1 Prolog

Die Herausgeber*innen der Publizistik sind mit der Einladung an uns herangetreten, einen Beitrag für das Meinungsforum der Zeitschrift zu verfassen. Inhaltlich sollte es – ausgelöst durch die „Genderstern-Debatte“ und unter anderem anschließend an Beiträge von Wessler (2022) und Schicha (2022) – um die Frage nach den Grenzen der Kommunikations- und Wissenschaftsfreiheit in unserem Fach gehen. Für uns als Mittelbauvertretung der DGPuK bestand die Einladung auch darin, unsere Erfahrungen und Meinungen zur Diskurskultur einzubringen und aus Mittelbauperspektive den Blick nach vorn und auf grundlegende kommunikations- und diskursethische Fragen zu richten.

Wir haben lange überlegt, wie wir uns dieser Aufgabe nähern können und wollen. Wir sind beide weder Gender- noch Diskurstheoretiker*innen, und es gibt weitaus geeignetere Kandidat*innen für dieses Thema. Wir verstehen es aber als unsere Aufgabe als Sprecher*innen des Mittelbaus, wie von Wessler (2022) gefordert Selbstreflexion zu betreiben, Probleme zu benennen und zumindest Denkanstöße für mögliche Lösungen bieten. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, haben wir uns mit den Kolleg*innen des Mittelbaus ausgetauscht und sie eingeladen, uns ihre Erfahrungen zu schildern. Wir verfolgen in diesem Beitrag das Ziel, den Status Quo der Diskurskultur zu charakterisieren, und haben dafür Meinungen und Perspektiven zum Thema aus unserer Statusgruppe gesammelt. Diesen Diskurs des Mittelbaus zur Diskurskultur haben wir in einem intensiven (elektronischen) Briefwechsel reflektiert und versucht, ihn auch zukunfts- und lösungsorientiert zu überdenken. Um dem Prozess- und Gedankenspielcharakter der vorliegenden Ausführungen Nachdruck zu verleihen, bilden wir den Briefwechsel als solchen ab.

2 Dialog

Alex:

Liebe Elena, ich würde gerne mit ein paar Gedanken zu unserer Diskussion im Mittelbau einsteigen, denn ich muss gestehen, dass ich überrascht bin ob der Rückmeldungen, die es zum Thema Diskussionskultur gegeben hat. Es mag vielleicht naiv erscheinen, da ich als weißer „cis-Mann“ auf jeden Fall zu den Privilegierten gehöre – aber im Grunde bin ich froh, dass ich viele der beschriebenen Situationen bisher in meinem beruflichen Umfeld nicht so wahrgenommen habe.

Zunächst ist aus meiner Sicht festzuhalten, dass nicht wenige Kolleg*innen aus dem Mittelbau berichteten, sie hätten sich gern im Forum auf der DGPuK-Website an Diskussionen wie beispielsweise zur „Genderstern-Debatte“ beteiligt. Am Ende haben sie aber doch nichts geschrieben. Der Grund offenbart das wohl größte Problem, das wir mit Wissenschafts- und Diskursfreiheit im Universitätskontext (nicht nur, aber hier besonders) haben: Abhängigkeitsverhältnisse. Viele der Kolleg*innen aus dem Mittelbau haben sich in der Debatte zurückgehalten, weil diese so emotional geführt wurde (und wird), dass die Befürchtung bestand, jemandem mit einem Kommentar auf die Füße zu treten, der oder die später in Berufungskommissionen oder an anderer entscheidender Stelle sitzt. Dann könnte sich ein entsprechender Beitrag negativ auswirken.

Und jetzt komme ich auf meine Naivität zurück: Hättest Du mich vor unserem Gespräch mit dem Mittelbau gefragt, ich hätte diese Befürchtung wohl eher als etwas überzogen deklariert, in der festen Überzeugung, dass diese Fälle nicht (oder wenn, dann nur sehr vereinzelt) auftreten, weil insbesondere die Professor*innen im Fach professionell genug agieren und fachliche Kritik von persönlichen Befindlichkeiten zu trennen wissen. Und ich wiederhole gern, dass dies sicher auch an mangelnder Erfahrung meinerseits gelegen hätte, da ich als weißer cis-Mann strukturellem Machtmissbrauch weniger ausgesetzt bin und bisher auch fast ausschließlich an nur einer Institution tätig war. Dass die Angst vor Sanktionen und die damit einhergehende Zurückhaltung in der „Genderstern-Debatte“ nur die Spitze des Eisbergs sind, wie die Berichte der Kolleg*innen gezeigt haben, hat mich daher doch erheblich schockiert und eines Besseren belehrt.

Elena:

Lieber Alex, ich würde deine Beobachtung als Anstoß für eine andere Einordnung des Berichteten nehmen. Ich war nicht überrascht, dass Asymmetrie und Abhängigkeitsverhältnisse einer offenen Diskurskultur im Weg stehen und bei vielen Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase eher zu mehr Zurückhaltung in entsprechenden Debatten führen oder zumindest die öffentliche Positionierung vor der unbekannten Masse der Kommunikationswissenschaftler*innen einschränken. Ich erinnere mich aber durchaus auch daran, dass es positive Stimmen gab, z. B. zu einem sehr produktiven Diskurs innerhalb des eigenen Instituts. Hier wurde berichtet, dass Themen wie die „Genderstern-Debatte“ angesprochen, eingeordnet und diskutiert werden und damit unter Umständen in vertrauteren Kreisen eine ganz andere Wahrnehmung des Diskussionsklimas herrschen kann.

Ich glaube, wir müssen hier zwischen verschiedenen Arenen des Diskurses unterscheiden, wenn wir problematisieren, wo Austausch gleichberechtigt, vorurteilsfreier, weniger emotional aufgeladen und stärker an Verständigung ausgerichtet stattfinden kann. Es gilt also zunächst einmal festzuhalten, dass es nicht die eine Diskussionskultur in der Kommunikationswissenschaft gibt, sondern verschiedene Ebenen des Diskurses zu unterscheiden sind. Dabei scheint die Öffentlichkeit aus Sicht des Mittelbaus besonders problematisch zu sein, weil man die Folgen der eigenen Aussage nur bedingt abschätzen kann und letztlich eher negative Auswirkungen antizipiert. Zudem wäre auch zu unterscheiden, ob wir von Themen des eigenen Fachgebietes sprechen oder von Themen, die eher Arbeitsstrukturen, Fachpolitik oder gesellschaftliche Veränderungen betreffen. Gefragt nach der Diskurskultur, hat niemand angemerkt, dass man bei Tagungen nicht konstruktiv über Theorien oder Methoden streiten könne, auch wenn durchaus unterschiedliche Kritik-Mentalitäten in den einzelnen Fachgruppen anklangen. Bei einem fachlichen Diskurs scheint somit Zurückhaltung weniger bedeutsam, und Asymmetrien werden weniger stark wahrgenommen – oder sind zumindest weniger handlungsleitend. Das scheint bei eher politischen Themen des Faches ganz anders zu sein.

Dabei ist zudem zu problematisieren, dass unser Bild der kommunikationswissenschaftlichen Öffentlichkeit stark durch solche Austauschrunden des Mittelbaus geprägt werden – so wie du am Ende etwas schockiert warst von den negativen Erfahrungen, die hier geteilt werden. Vor allem vor unserem disziplinären Hintergrund sollten wir beachten, dass die positiven Stimmen hier vielleicht weniger sichtbar waren und es sicherlich viele gibt, die wie du bisher nicht solche Erfahrungen gemacht haben. Damit geht einher, dass genau dieser Diskurs die Ängste aller schüren kann, entsprechende Meinungsäußerungen würden vielleicht nicht am eigenen Institut, aber durchaus in der DGPuK kritisch wahrgenommen. Ich muss gestehen, dass ich mich bei der Anfrage der Publizistik von diesen Ängsten auch nicht ganz lösen konnte.

Alex:

Ja, vielleicht ist es wie in den populären Online-Netzwerken, wo die wenigen negativen Stimmen die lautesten sind und die positiven Stimmen eher leise bleiben. Worauf ich hinaus möchte: Ja, vielleicht sind die geschilderten Fälle, in denen Kolleg*innen auf ihre Unterzeichnung des offenen Briefes kritisch angesprochen oder ihre Namen auf einer Versammlung verlesen wurden, Einzelfälle, und die meisten Mitarbeiter*innen kennen diese Erfahrungen nur aus Berichten. Dennoch sind diese Fälle hochproblematisch und sollten deshalb auch im Diskurs über den Diskurs eine zentrale Stelle einnehmen. Denn sie sind, wie du herausgestellt hast, der Grund für die Angst, in Abhängigkeitsverhältnissen nicht frei reden zu können. Und das ist nicht nur Gift für eine aufgeschlossene Diskussionskultur, sondern langfristig auch für das Fach. Letztlich kann das dazu führen, dass die Diskurse von denjenigen geführt (oder zumindest dominiert werden), die auf den wenigen privilegierten Stellen sitzen. Und das wiederum repräsentiert nicht die Meinungsvielfalt der im Fach Arbeitenden.

Zudem gebe ich dir recht, dass die öffentliche Diskussion dabei die sichtbarste und problematischste zugleich ist, was Machtmissbrauch, Asymmetrie und Abhängigkeiten betrifft. Vielleicht sind deswegen die fachlichen Diskurse bei Konferenzen auch weniger problematisch, weil es sich hier nur um die Öffentlichkeit einer einzelnen Fachgruppe handelt. Die von dir bereits beschriebenen Arenen würde ich insofern spezifizieren, als es hier auch um verschiedene räumliche Ebenen zu gehen scheint: eine Binnen-Diskurskultur (innerhalb von Fachgruppen/Instituten oder auf Tagungen), die vielleicht offener und freier ist, sowie eine öffentliche, die auch auf Grund der Positionierung von Meinungen sowie der Reichweite stärker an Machtverhältnisse geknüpft zu sein scheint. Hinzu kommt die bereits beschriebene Differenzierung nach verschiedenen Inhalten (fachlich, politisch, gesellschaftlich). Wobei ich schon auch das Gefühl habe, dass fachliche Kritik nicht unbedingt immer als solche aufgenommen wird. Eine übermäßig emotionale Aufladung des (auch fachlichen) Diskurses könnte damit zusammenhängen, dass wir uns häufig mit unserer Arbeit, mit unseren Werken und Ideen so sehr identifizieren, dass wir Kritik daran schnell als Angriff auf uns persönlich wahrnehmen.

Elena:

Ich gebe dir vollkommen recht. Zudem ist neben dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Professor*innen und Mittelbau in der Qualifikationsphase auch die „Flaschenhalsproblematik“ unbefristeter Stellen mitzudenken. Hier besteht eine extreme Konkurrenzsituation, wodurch sich der Leistungsdruck erhöht und auch die Angst, zu scheitern und anzuecken. In dieser Stresssituation und bei der Ressourcenknappheit, die im Mittelbau – aber sicherlich auch bei Professor*innen – vorherrscht, ist es nicht verwunderlich, wenn Kritik nicht mehr rational, sondern emotional verarbeitet wird.

Für die Diskurskultur ist aber auch zu beachten, dass es zwischen Professor*innen und Mittelbau oder zumindest bestimmten Generationen innerhalb dieser Gruppen ein unterschiedliches Verständnis von „Streit“ (im Vergleich zum „Diskurs“) zu geben scheint. Zunehmend häufiger begegnet mir jedenfalls die gewaltfreie und einfühlsame Kommunikation als derzeit beliebtes und auch gefordertes Konzept. Auch wenn es das Konzept schon lange gibt, würde ich hinterfragen, ob in älteren Generationen nicht ganz andere Kommunikationsstile gängig sind.

Alex:

Mir fällt dazu passend auf Konferenzen häufig auf, dass jüngere Kolleg*innen ihre Kritiken positiver, mitunter weniger direkt und auch respektvoller formulieren, während Kolleg*innen mit längerer Berufserfahrung ihre Kritik auch gern mal unverblümt und direkt äußern – vielleicht auch um zu provozieren. Das meine ich absolut wertfrei, weil aus meiner Perspektive ein gut geführtes Streitgespräch ebenso produktiv sein kann wie eine sachlich und konstruktiv angeführte Kritik. Voraussetzung für den Streit ist jedoch, dass dieser nicht persönlich genommen wird, und das fällt offensichtlich schwer (mögliche Ursachen hast du ja angeführt). Vielleicht liegt es auch daran, dass uns die Übung fehlt, den tatsächlichen Diskurs zu führen, tatsächlich zu streiten.

Die Flaschenhalsproblematik und die daraus resultierende Konkurrenzsituation ist heute sicher auch gravierender als noch vor 20 bis 30 Jahren. Durch die veränderten Beschäftigungsverhältnisse und die zunehmende Verengung des Flaschenhalses führen wir Diskussionen vorsichtiger und weniger provokativ im Streit – wodurch wiederum die Übung darin fehlt, ein faires Streitgespräch zu führen. In dem Zusammenhang fällt mir bspw. auf, dass wir in unserem Fach nur wenig das Mittel der Replik in Fachzeitschriften nutzen, das etwa in den Geisteswissenschaften gängig ist.

Elena:

Zu unserem Thema passt auch die Veröffentlichung einer alternativen Evaluation zu den Folgen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (Kuhnt et al. 2022). Die Autoren stellen unter anderem heraus, dass sich befristet Beschäftigte mit wissenschaftlich motivierter Kritik zurückhalten. Wir stehen mit dem Problem in der Kommunikationswissenschaft also nicht allein da, und die strukturellen Gegebenheiten scheinen maßgeblich für diese Entwicklung zu sein. Der Bericht nennt Unsicherheit über die Weiterbeschäftigung und Abhängigkeit als Hauptursachen. Die Autoren weisen sogar darauf hin, dass nicht nur die Kritikbereitschaft unter befristet Beschäftigten gering ausfällt, sondern auch Fehlverhalten nicht öffentlich gemacht wird. Dabei scheint es keine Unterschiede bei der Berufserfahrung und zwischen Promovierten und Nicht-Promovierten zu geben. Aus meiner Sicht zeigt dies deutlich, wie viele Ängste oder zumindest Hemmnisse in allen Qualifikationsphasen vor der Entfristung vorherrschen. Sowohl Doktorand*innen als auch Post-Doktorand*innen scheinen also davor zurückzuschrecken, Einwände geltend zu machen und Meinungen zu äußern.

Die alternative Evaluation problematisiert vor allem Zurückhaltung gegenüber den direkten Vorgesetzten. Hier scheint es dann auch um direkten Machtmissbrauch in Betreuungsverhältnissen zu gehen. Davon will ich unsere Diskussion etwas abgrenzen. Relevant ist jedoch, dass bei einer geringen Kritikbereitschaft wichtige Potenziale, den wissenschaftlichen Diskurs voranzutreiben, verloren gehen und es daher über Lösungswege nachzudenken gilt. Wir sind uns sicherlich einig, dass ein angeregter Austausch dabei eines der Hauptziele sein muss. In einem Fach, in dem „Kommunikation“ das zentrale Forschungsfeld darstellt, sollten wir zumindest versuchen Probleme zu verstehen, um daraus geeignete Werkzeuge der Verständigung zu entwickeln.

Alex:

Wir sind uns in der Tat einig, dass das Ziel der Überlegungen zum Diskurs ein (möglichst) freier Diskurs sein soll. Auch wenn es schwer wird: Lass uns gern überlegen, wie dies zukünftig besser gelingen kann. Wir sind uns ja sicher auch einig, dass weder Wahlkampfmodus noch Anklageschrift eine Lösung des Problems bieten (vgl. Wessler 2022). Wir müssen einen Weg finden, wie bei Mittelbau und Professor*innen ein Lerneffekt angeregt und der Austausch zwischen diesen beiden Gruppen verbessert werden kann. Eine Anonymisierung von Diskussionen kann aus meiner Sicht keine Lösung sein, weil sie das Problem nicht behebt und sich Gruppenzugehörigkeiten kaum mehr zuordnen lassen.

Elena:

Um diese Konfliktlinie zwischen unterschiedlichen Gruppen zu durchbrechen, könnte beispielsweise die Idee der gegnerischen Zusammenarbeit, wie sie Wessler (2022) beschreibt, fruchtbar sein. Ich kann mir vorstellen, dass solche Mittelbau-Professor*innen-Tandems sehr produktiv werden, gegenseitige Verständigung verbessern und Ängste abbauen könnten. Ebenso könnten wir aber auch den Diskurs über die Diskurskultur selbst zum Thema von Veranstaltungen machen. Ich könnte mir bei zukünftigen Tagungen gut „Barcamps“ oder „Design Thinking-Workshops“ vorstellen, um gemeinsam über das Thema zu diskutieren, möglichst aus unterschiedlichen Perspektiven das Problem zu beschreiben, Verständigung zu schaffen und mögliche Lösungen zu erarbeiten, auf die einzelne Personen nicht kommen. Hier wäre es natürlich bedeutsam, dass ausreichend viele Vertreter*innen von Professor*innen und Mittelbau zusammenkommen.

Weiterhin fungieren wir als Sprecher*innen auch als Sprachrohr des Mittelbaus innerhalb des Diskurses. Ich kann mich erinnern, dass sich der Mittelbau in größeren Debatten eher zurückgehalten hat und der direkten und öffentlichen Konfrontation ausgewichen ist. Stattdessen wurde eher ein Stimmungsbild zusammengetragen und dann beispielsweise über die Mittelbausprecher*innen publik gemacht. Letztlich haben wir in diesem Meinungsbeitrag nichts anderes versucht. Im Zuge der nun geplanten kontinuierlichen Befragung des DGPuK-Mittelbaus wollen wir auch ein Instrument schaffen, um Probleme besser zu erkennen und an Lösungen zu arbeiten. Für mich hat das den großen Vorteil, dass es eben nicht mehr um Einzelmeinungen geht, sondern die Stimmen gemeinsam mehr bewegen können. Ebenso wird bei bestimmten Diskursen auf andere Plattformen ausgewichen. Hier sei beispielsweise auf Twitter hinzuweisen: Nicht erst #IchBinHanna hat gezeigt, welche Bedeutung diesem Kanal zukommt und wie gut es gelingen kann, hier Interessen zu vereinen und Sichtbarkeit zu schaffen. Kritisch sollten wir allerdings überdenken, ob wir je nach gewähltem Kanal nicht auch bestimmte Sichtweisen ausschließen und inwiefern es sich bei Twitter um einen geeigneten Kanal für fachinterne Debatten handelt, wenn doch für viele hier eher Wissenschaftskommunikation stattfindet und das Hauptziel der Hinweis auf die eigenen wissenschaftlichen Erfolge, Erkenntnisse und Veröffentlichungen ist.

Gerade mit Blick auf die Bedeutung unterschiedlicher Sichtweisen sollten wir auch über die Regulierungsinstanzen des Diskurses sprechen. Ein gewisses Maß an Regulierung kann bedeutsam für den Abbau von Ängsten des Mittelbaus sein und teilweise die Grundlage für einen respektvollen Umgang und eine höhere Toleranz schaffen.

Alex:

Mit Blick auf die erforderliche Toleranz anderen Meinungen und Einstellungen gegenüber drängt sich der Verdacht auf, dass bei „Leben und leben lassen“ viele nur noch den ersten, nicht aber den zweiten Teil als zentral erachten, obwohl er Voraussetzung für den ersten ist.

Und hier liegt meines Erachtens auch das zentrale Problem möglicher Lösungswege begründet: Die geschilderten Probleme sind weniger als Resultat einer mangelnden Diskursbereitschaft oder Kritikfähigkeit zu verstehen, sondern viel eher als Symptom strukturell bedingter Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, die wir nicht oder nur kaum durchbrechen werden, mit welchen Werkzeugen auch immer. Ich glaube viel eher, dass wir geschützte Kommunikationsräume („Safespaces“) schaffen müssen. Zunächst (wie stellenweise bereits vorhanden) in Binnen-Diskursen, die dann vielleicht so ausgeweitet werden können, dass die Fachgesellschaft selbst ein solcher werden kann oder sich zumindest die Diskurskultur aus dem Binnen- in den öffentlichen Raum überträgt. Im Grunde ist der Austausch auf Mittelbauebene, wo – wie geschildert – Stimmungsbilder gesammelt und diese dann über die Sprecher*innen in die Öffentlichkeit getragen werden, ein solcher Safespace. Ich gebe dir aber recht, dass wir mit diesem Modell zusammengefasster Positionen oder einem Ausweichen auf z. B. Twitter bestimmte Sichtweisen (un)bewusst ausschließen. Wir generalisieren damit zumindest Argumentationslinien, die vielleicht das gleiche Ziel verfolgen, aber in Nuancen dann doch anders verlaufen und den Diskurs bereichern würden. Auch in diesem Beitrag fallen mit Sicherheit bedeutsame Argumente unter den Tisch. Daher sollte diese Form der Diskursbeteiligung eine Übergangslösung bleiben.

Meines Erachtens müssen wir uns – wie bei vielen strukturellen Problemen, z. B. mangelnder Diversität, Benachteiligung durch Gender oder Care-Tätigkeiten, prekären Beschäftigungsverhältnissen etc. – zunächst durch Sensibilisierung nähern. Im Grunde wird ein freier Diskurs nur ein schönes Ideal bleiben, weil Diskussionen (auch rein fachliche) nie unabhängig von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen sind. Das wäre aber sicher auch der Fall, wenn der gesamte Mittelbau in unbefristeten Verhältnissen arbeiten würde. Denn ein hierarchisches Gefälle unterhalb der Professur (und damit Abhängigkeit) bleibt systemimmanent, selbst wenn die Hierarchie sich verflachte. Das klingt jetzt pessimistischer, als es ist. Allein die aktuelle Auseinandersetzung mit der Diskussionskultur, unser guter Austausch mit dem Vorstand der DGPuK und die Einladung zu einem Beitrag aus Mittelbausicht zeigen, dass hier wichtige Schritte gegangen werden. Das finde ich – nebenbei bemerkt – wichtiger, als die Diskurse in andere Räume zu verlagern, wodurch zudem leicht der Eindruck entsteht, der Mittelbau würde sich an Diskursen nicht beteiligen. Dabei finden Gespräche natürlich statt – nur eben nicht sichtbar.

Übertragen wir die durch Habermas formulierten Prozesse der Willens- und Meinungsbildung aus der Diskurstheorie einer deliberativen Politik auf wissenschaftliche Willens- und Meinungsbildung, so verlangt auch der wissenschaftliche Diskurs „die Inklusion aller von möglichen Entscheidungen Betroffenen als gleichberechtigt […] Beteiligte“ sowie den „diskursiven Charakter vorangehender Beratungen“ (Habermas 2021, S. 476). Und diese müssen auch in einer neuen Öffentlichkeit stattfinden, und zwar möglichst sichtbar. Vielleicht braucht es für einige Diskurse dann eben doch die sichtbare, regulierende Hand (Bentham, vgl. Joas 2003), wie du sie angesprochen hast – in welcher Form auch immer. Damit Meinungsdiskurse eben nicht nur als Strohmann-Argument zur Meinungsverstärkung ohnehin privilegierter weißer alter Männer fungieren (siehe Forumsbeiträge auf der DGPuK Website), sondern im Habermas’schen Sinne tatsächlich den diskursiven Charakter mit der Inklusion aller am Prozess Beteiligten fördern, braucht es vielleicht viel mehr Meinungs- oder Ideenforen. Diese sollten dann im Sinn einer Regulierungsinstanz moderiert und die Beiträge entsprechend eingeordnet werden, sei es hier in der Publizistik, in anderen Fachzeitschriften oder im Forum auf der DGPuK Website. Dabei meint Regulierung weniger ein inhaltliches Regulieren, sondern die Einhaltung von Zivilitätsnormen.

Elena:

Regulierung kann für mich auch bedeuten, dass für den Diskurs in solchen Foren die Herausgeber*innen nicht nur eine Plattform für Meinungen bereitstellen, sondern aktiv auf verschiedene Interessenvertretungen zugehen. Die Regulierung bezieht sich also eher darauf, wer zu Wort kommen sollte. So müssen die Herausgeber*innen auf ein quantitatives Gleichgewicht von Interessensgruppen achten und es aktiv fördern. Ich gebe dir also recht, dass wir uns nicht nur auf eine unsichtbare, selbstregulierende Hand (vgl. Smith 1776/2001) verlassen, sondern kritisch hinterfragen und definieren sollten, in welcher Form im Sinne der Diversität, der Inklusion und der Zivilität regulierend eingegriffen werden könnte. Dabei teile ich dein Verständnis von Regulierung als Achtsamkeit der Zivilität.

Obwohl Sichtbarkeit ein zentrales Ziel darstellt, sollte sie aber nicht noch zu einer weiteren Anforderung an den wissenschaftlichen Mittelbau werden. Die Aufgaben, die wir auf unserem Weg zur Professur oder zunächst nur dem Weg des Abschlusses der einzelnen Qualifikationsphasen absolvieren müssen, sind vielfältig. Wir sollen publizieren, lehren, in der Verwaltung aktiv sein, Wissenschaftskommunikation betreiben und zudem durch die Beteiligung an Diskursen vielleicht Änderungen von Strukturen anregen. Es darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch ein Meinungsbeitrag manchmal eine Frage der Zeit und der verfügbaren Ressourcen ist. Es geht also auch darum, Barrieren dieser Art zu reduzieren. Ich möchte damit unterstreichen, wie wichtig es ist, gerade den Mittelbau direkt anzusprechen und einzuladen. Es gilt dabei zunächst ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass sich alle äußern können und wo sie das wie tun können. So haben uns einige Kolleg*innen berichtet, dass sie gar nicht von der Möglichkeit eines Meinungsbeitrags wussten und das Meinungsforum noch nie wahrgenommen haben. Das ist eine Barriere, die sehr leicht zu beheben wäre.

Ich finde aber auch, dass wir nicht nur an Online-Foren denken sollen oder Beiträge in der Publizistik als zentralem Medium unseres Faches. Diskussionskultur zeigt sich auch im direkten Austausch. Wir sollten überdenken, wie die Fachkultur auf Konferenzen inklusiver werden und wie der Raum für Austausch und vielleicht auch die Arbeit miteinander gestärkt werden könnten. Hier ist Sensibilisierung bedeutsam, aber es muss eben auch Zeit und Formate für einen solchen Austausch oder Streit geben. Wie oben beschrieben, könnten wir auf den Jahrestagungen mit anderen Formaten des Austauschs experimentieren und damit Lerneffekte initiieren. Es gibt so etwas teilweise schon auf den Mittelbauveranstaltungen, aber hier bleibt man halt wieder unter sich.

Alex:

Ja, ich sehe es auch so, dass es zu weit ginge, wollte man dem Mittelbau die Verantwortung dafür geben, die Sichtbarkeit des eigenen Standpunktes zu wahren. Ich halte auch die Moderation und Einordnung von Diskursen und deren Beiträgen für notwendig. Eine Fachgesellschaft, die den wissenschaftlichen und auch gesellschaftspolitischen Diskurs fordert und fördert, sollte sich auch um die Infrastruktur und das Einhalten von Regeln bemühen. Ich finde, es ist eine sehr gute Idee, solche Infrastrukturen auch auf Konferenzen zu schaffen und dort, wie von dir beschrieben, Diskursräume zu öffnen. Daraus könnten dann auch öffentliche Meinungsbeiträge entstehen, gegebenenfalls wie vorgeschlagen als Tandem Professur-Mittelbau. Wir brauchen sichere Orte des Austausches, die möglichst frei von Machtstrukturen möglichst inklusive und inhaltlich diverse Debatten fördern, aus denen heraus dann gemeinsame, wenn auch kontroverse Stimmungsbilder in den öffentlichen Diskurs gelangen können. Somit wäre das u. a. von Schicha (2022) geforderte „breite Spektrum unterschiedlicher Haltungen und Positionen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über relevante Themenfelder dokumentiert“, ohne das Kolleg*innen auf befristeten oder nicht-professoralen Stellen um Auswirkungen auf Ihre Karriere fürchten müssen.

3 Epilog

Fassen wir unsere Reflexion zusammen, dann wünschen wir uns einen diversen Austausch, wünschen Lerneffekte an den in Teilen bestehenden Konfliktlinien zwischen Mittelbau und Professor*innen sowie ein gemeinsames Bemühen um gegenseitiges Verständnis. Wir wünschen uns einen Diskurs, der möglichst frei ist von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen und im Rahmen der Zivilitätsnormen eine freie Äußerung der Meinung zulässt. Wir sehen aber auch, dass die Ideen, die wir zusammengetragen haben, nur bedingt bei dem grundsätzlichen Problem helfen, dass Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse auch wissenschaftliche Diskurse und damit Meinungsäußerungen bedingen. Ein offener Brief zur Genderstern-Debatte hat vielen individuellen Meinungen im öffentlichen Schulterschluss Gehör verschafft. Allerdings wurde uns auch hier berichtet, dass Dienstvorgesetzte Unterzeichnende darauf ansprachen, weshalb sie den Brief unterschrieben hätten. An diesem Beispiel wird deutlich, warum wir nach weiteren Lösungen suchen sollten. Wir haben hierzu noch keine konkreten Lösungsvorschläge – vielleicht kann es diese auch nicht geben. Was wir bieten können, sind Denkanstöße, die den Prozess der Sensibilisierung für die besondere Situation der zahlenmäßig stärksten, verschiedenartigsten und dennoch in Diskussionen leisesten Gruppen unseres Faches anregen. Wir sind offen für weitere Vorschläge, dankbar für den Diskurs über unsere Diskurskultur und hoffen auf neue Formate dieses Diskurses.