1 Einleitung

Der kooperative Föderalismus in Deutschland bezeichnet eine Entscheidungsstruktur, in der die meisten öffentlichen Aufgaben nicht durch Entscheidungen einzelner Gebietskörperschaften, sondern durch Kooperation von Bund, Ländern und Kommunen und zunehmend auch der Europäischen Union wahrgenommen werden. Aufgaben müssen in einer differenzierten Mehrebenenstruktur organisiert und zugleich die Interdependenzen durch Koordination bearbeitet werden. Diese Vermischung der Aufgaben- und Verwaltungszuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen führt zu einer gesonderten Form der Willensbildung, die in der Politikwissenschaft schon länger vor allem unter dem Stichwort Politikverflechtung diskutiert wird (Scharpf et al. 1976; Benz 1997, 2020; Kropp 2010).

Koordination bedeutet, dass Bund und Länder ihre Handlungen auf gemeinsame Ziele und Standards ausrichten und entsprechend entscheiden und handeln müssen (Benz 2020, S. 44). Politikverflechtung ist also eine spezifische Form der Koordination zwischen Ebenen, die im deutschen Bundesstaat besonders stark ausgeprägt ist. Sie steht für alle Kompetenzverschränkungen, die autonome Entscheidungsträger des Bundes und der Länder zwingt, bei der Erfüllung der Aufgaben zusammenzuwirken; sie ist also ein institutionalisiertes Zwangsverhandlungssystem (Kropp 2010, S. 237). Politikverflechtung ist in Deutschland durch die Gemeinschaftsaufgaben, durch die Mitsprache der Länder im Bundesrat, durch den Steuerverbund und den Verwaltungsföderalismus verfassungsmäßig institutionalisiert (Kuhlmann und Wollmann 2019, S. 89) und wird durch freiwillige föderale Kooperationsformen (Kropp 2010) ergänzt. Koordinationsprobleme sind daher sowohl in der politischen Entscheidungsfindung wie im Verwaltungsvollzug ein wichtiges Thema (Scharpf 1973, 1996; Benz 1997; Döhler 2007; Bogumil und Jann 2020, S. 179–188; die Debatte um Regierungs- und Verwaltungskoordination reflektierend: Hustedt und Veit 2014). Politikfeld-Koordination und „policy integration“ gelten zudem als Antwort auf zunehmend komplexe Politikzusammenhänge (z. B. Briassoulis 2004; Peters 2015; Trein et al. 2021).

Im Folgenden soll es vor allem um den Verwaltungsvollzug gehen. Hier stellt die interorganisationale Koordination von autonomen Verwaltungen eine zentrale Herausforderung dar. So werden die Zuständigkeiten für die Implementation der Gesetze und Programme überwiegend von Ländern und Kommunen wahrgenommen (Vollzugsföderalismus, siehe Behnke und Kropp 2021). Sowohl aus der territorialen wie auch der sektoralen Differenzierung der Verwaltungsorganisation bei inhaltlich zusammenhängenden Aufgaben entsteht somit vielfach ein institutionalisierter Zwang zu intensiver Koordination zwischen den Verwaltungsebenen und zwischen Gebietskörperschaften der gleichen Ebene, der als „Verwaltungsverflechtung“ bezeichnet wird (Benz 1997, 2019).

In jüngerer Zeit ist eine stärkere Thematisierung von Verwaltungsverflechtung insbesondere durch die Analyse erheblicher Koordinationsdefizite von vollziehenden Behörden in der Migrations- und Integrationspolitik und in der Sozialpolitik erfolgt. Dabei wird deutlich, dass die strukturelle Beschaffenheit und Organisation der interorganisationalen Beziehung von vollziehenden Verwaltungen eine eigenständige Erklärung des Verwaltungs-Outputs darstellen (vgl. Bogumil und Kuhlmann 2022, Stöbe-Blossey et al. 2021). Im Wesentlichen verweist die bisherige Literatur zu solchen Verwaltungsverflechtungen – auch wenn sie teils diesen Begriff nicht verwendet – auf zwei wesentliche Problemstellungen. Zum einen bestehen vielfach suboptimale Zuständigkeitsverteilungen, wenn Jurisdiktionen so abgegrenzt sind, dass keine Zuständigkeit für einen Vollzugsfall besteht („underlap“ oder „Diffusion“) oder aber eine Mehrfachzuständigkeit begründet wird („overlap“ oder „Interferenz“, Wegrich und Štimac 2014, S. 45–46; Stöbe-Blossey et al. 2021). Zum anderen werden Schnittstellenprobleme thematisiert. So weist schon die klassische Implementationsforschung darauf hin, dass Verwaltungen vom Arbeitsfortschritt und den Entscheidungen anderer Verwaltungen abhängig sind (Ellwein 1994, S. 108–109; Pressmann und Wildavsky 1984). Darüber hinaus werden Verwaltungen vom Handeln dritter Stellen beeinflusst, wenn deren Entscheidungen aufgrund von Mehrfachzuständigkeiten zu Wechselwirkungen führen. Bogumil und Kuhlmann (2022) heben zudem die Bedeutung von Datenaustausch und Kommunikationsbeziehungen hervor, vor allem im Rahmen häufig notwendiger Fallübergaben – wenn also Fälle von einer Verwaltungszuständigkeit zur anderen transferiert werden („Transition“ bei Stöbe-Blossey et al. 2021).

Trotz dieser ersten Ansätze von Theoriebildung bleiben viele dieser Studien jedoch auf ihre spezifischen Anwendungsfälle bezogen. Vor allem fehlt es an einer übergreifenden, auch vergleichenden Perspektive. Der vorliegende Beitrag greift daher aus einer verwaltungs- sowie föderalismusforschenden Perspektive die bisherigen Ansätze zur Verwaltungsverflechtung (vor allem Bogumil und Kuhlmann 2022) auf und entwickelt sie weiter. Hierbei steht zunächst die Abgrenzung zur Politikformulierung (und damit zur Politikverflechtung) im Vordergrund. Darauf aufbauend wird im weiteren Verlauf des zweiten Kapitels Verwaltungsverflechtung in ihren Teildimensionen zu einem Analysekonzept weiterentwickelt. In drei Fallstudien erfolgt anschließend die empirische Anwendung in den Politikfeldern Migration und Integration, Sozialpolitik sowie Verwaltungsdigitalisierung. Mit den Fallstudien sollen die Erkenntnisse aus denjenigen Forschungsfeldern konsolidiert werden, in denen Verwaltungsverflechtungen bislang untersucht wurden (siehe hierzu ausführlich Bogumil et al. 2018, 2023; Bogumil und Kuhlmann 2020, 2022 zur Migrations- und Integrationspolitik; Stöbe-Blossey et al. 2021; Stöbe-Blossey 2016; Bogumil 2022; Bogumil et al. 2021 zur Sozialpolitik; Gräfe 2024 zur Digitalisierung). Im Wege einer vergleichenden Literaturstudie werden die Verflechtungszusammenhänge der drei Verwaltungsbereiche systematisch mit Blick auf die vorgestellten Dimensionen Verflechtungsstruktur und Schnittstellenbearbeitung sowie die vorgefundenen Optimierungsstrategien untersucht. Zielsetzung ist also, die in der Literatur festgestellten Koordinationsprobleme mit dem Analysekonzept auf einer verallgemeinerungsfähigen Basis zu erklären. Eine vergleichende Diskussion der Fallstudienergebnisse schließt die Ausführungen ab.

2 Verwaltungsverflechtung als neuer Analyseansatz

2.1 Politikverflechtung und Verwaltungsverflechtung

Die Föderalismusdebatte ist überwiegend dadurch gekennzeichnet, dass sie entweder dem Verwaltungsvollzug nur am Rande Beachtung schenkt oder aber keine systematische Unterscheidung zwischen Verflechtungen in der Politikformulierung und im Verwaltungsvollzug vornimmt, sondern beides im Konzept der Politikverflechtung zu erfassen sucht. Die „Verwaltungsverflechtung“ wird als eigene Erklärung erstmals von Ellwein (1994, S. 75, 108–110) kurz aufgegriffen, aber später nicht mehr vertieft. Benz geht in einem frühen Aufsatz zur Verflechtung der Verwaltungsebenen (1997) auf einige Merkmale von Verwaltungsverflechtungen im Bundesstaat ein; aber auch er weist nicht darauf hin, dass Verwaltungsverflechtungen einen eigenen Erklärungsbeitrag jenseits des Konzeptes der Politikverflechtung leisten können. Erst in jüngerer Zeit sind Versuche einer systematisierenden Unterscheidung von Politik- und Verwaltungsverflechtung zu verzeichnen (Bogumil und Kuhlmann 2022; vgl. auch die Unterscheidung von „multi-level administration“ und „multi-level governance“ bei Benz et al. 2017).Footnote 1

Vor diesem Hintergrund greifen wir die Idee auf, systematisch zwischen Politikverflechtung und Verwaltungsverflechtung zu unterscheiden. Dabei sind Verwaltungsverflechtungen ebenso wie im Konzept der „Politikverflechtung“ aus einer Situationslogik der Interaktion zwischen korporativen Akteuren zu begreifen, deren Handlungen durch den institutionellen Kontext beeinflusst werden (akteurzentrierter Institutionalismus, Mayntz und Scharpf 1995, S. 43). Allerdings gibt es Unterschiede zwischen Politikverflechtung und Verwaltungsverflechtung im Untersuchungsgegenstand, in den Interaktionsbeziehungen und den zugrunde liegenden Koordinationslogiken.

So sind im Unterschied zu den Politikformulierungsprozessen die Interaktionssituationen der Verwaltungsverflechtung im Vollzug in der Regel dauerhafte, beständige Beziehungen. Vollzugsprozesse sind meist auf Wiederholung ausgelegt, insbesondere wenn standardisierte Fallbearbeitung im Vordergrund steht. Dagegen ergeben sich in der Politikformulierung (durch Wahlen, Interessenverschiebungen und Parteipolitik) mitunter neue Akteurskonstellationen von einer Kooperationssituation zur nächsten, was im Vollzugshandeln normalerweise nicht der Fall ist. Angesichts des eher auf Dauerhaftigkeit ausgelegten Charakters der Interdependenzbeziehungen des Vollzugshandelns sind die institutionellen Rahmenbedingungen, unter denen die Akteure in die Kooperationssituation treten, besonders relevant. Vor allem die Schnittstellen zwischen den Verwaltungen werden als wesentliche Einflussfaktoren auf den Verwaltungsoutput hervorgehoben (Stöbe-Blossey et al. 2021; Brettschneider 2019). In der Föderalismusforschung wie auch in der Forschung zur Verwaltungskoordination wird die Bearbeitung von Schnittstellen im Verwaltungshandeln bislang allerdings noch weitgehend vernachlässigt (vgl. aber Ellwein 1994, S. 109–110).

Als weiterer Unterschied sind Vollzugsprozesse weniger von Verhandlungen, sondern primär von formalen Interaktionen und wechselseitiger Anpassung geprägt (siehe Benz 2009, S. 86 zum hierarchischen Koordinationstyp). Die wechselseitige Anpassung (Schimank 2007) kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Verwaltungen nicht miteinander über ein Ergebnis (z. B. Zuerkennung eines Aufenthaltstitels) verhandeln, sondern jede beteiligte Verwaltung für sich eine eigene Entscheidung (Stellungnahme, Gutachten, Bescheid usw.) trifft, an die sich die anderen Behörden dann anpassen müssen.Footnote 2 Dies führt zu partiell anderen Erklärungen der Koordinationsprobleme als bei den Verhandlungssystemen, die der Politikverflechtung zugrunde liegen (vgl. Benz 2009, 2020).

Im Allgemeinen werden zur Erklärung von Koordinationsproblemen neben dem Parteienwettbewerb organisationale Eigeninteressen (Lindblom 1959) und „turf fights“ (Bardach 1996), selektive Perzeptionen (Simon 1947), Zuständigkeitsfragen oder Koordinationskosten (Scharpf 1996) thematisiert. Einige spezifische Logiken, welche für Akteure in der Politikformulierung handlungsleitend sind, sind allerdings nur schwach oder gar nicht im Vollzugshandeln ausgeprägt. So ist die politische Dimension von Koordination, d. h. die Bedeutung von Parteien und Regierungsleitlinien, „issue networks“ und Interessengruppen besonders in der Koordinierung der Politikformulierung relevant (Peters 1998, S. 300). Verhandlungsprozesse im Kontext der Politikformulierung sind in Deutschland stark vom Parteienwettbewerb (Lehmbruch 2000), von Länderinteressen und dem Gegensatz von Regierung/Opposition geprägt. Die Logik des Zusammenwirkens zwischen Verwaltungseinheiten im Vollzug folgt dagegen einer viel stärkeren Orientierung an Zuständigkeitsfragen und organisationalen Eigeninteressen und weniger am Parteienwettbewerb. Von Eigeninteressen geleitete „Kartellbildungen“ können z. B. auch Verflechtungsstrukturen entstehen lassen, die eigentlich sachlich nicht zu rechtfertigen sind (Benz 1997, S. 168). Eine „politische“ Logik ist vor allem im professionellen Ethos der „street-level bureaucrats“ zu finden (Lipsky 2010), welche die interorganisationale Zusammenarbeit beeinflusst. Auch „Fachbruderschaften“ (Wagener 1979) können fernab der politischen Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle spielen. Diese Logiken im Verwaltungsvollzug sind also keineswegs mit denen der Regierungsebene und Politikformulierung gleichzusetzen. Diese Unterschiede zwischen Politik- und Verwaltungsverflechtungen (anderer Forschungsgegenstand, unterschiedliche Koordinationslogiken, stärkere Betrachtung von Schnittstellen) sprechen dafür, Verwaltungsverflechtungen als eigenständiges Phänomen zu untersuchen.

Generell ist festzuhalten, dass Verwaltungsverflechtungen in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben. Gründe liegen in der Sektoralisierung (Wagener 1976, S. 36) und Verrechtlichung von Problemen sowie der Entstehung „neuer“ Politikfelder wie Klima‑, Digital‑, Asyl- und Integrationspolitik, die für eine Zunahme von Interdependenzen zwischen Verwaltungen verantwortlich sind (vgl. Fleischer und Hustedt 2012; Busch et al. 2019; Blätte 2011). In vielen Politikfeldern ist eine Akkumulation von Policies erkennbar, die zur weiteren Komplexität im Verwaltungshandeln und damit zu zusätzlicher Belastung der Verwaltungen führt (Adam et al. 2019). Beispielsweise werden soziale Probleme und daraus resultierende Bedarfslagen zunehmend in eigenen Rechtsbereichen ausdifferenziert, was aber zu einer immer komplexeren Zuständigkeitsverteilung führt. Mit zunehmender Spezialisierung, Professionalisierung und Ausdifferenzierung nehmen die Schnittstellen- und Koordinationsprobleme zu. Es kommt zu erheblichen Reibungsverlusten und anderen Defiziten in der Problembearbeitung (Brettschneider 2019, S. 741–742). Ein weiterer Aspekt, der Verwaltungsverflechtungen verstärkt sichtbar macht, sind Krisensituationen im Vollzug wie die Flüchtlingskrise und die Corona-Pandemie (Bogumil und Kuhlmann 2022; Kuhlmann und Franzke 2022). In Krisen werden Koordinationsprobleme besonders offenbar, weil hier ein Mehr an Koordination benötigt wird. Zudem kann die Überlastung von einzelnen Behörden zu Störungen im gesamten Verwaltungsverfahren führen.

Zusammenfassend thematisiert Verwaltungsverflechtung, dass auch der Vollzug der Gesetze von erheblichen Verflechtungen bestimmt wird. Der Vorteil von Verflechtungen besteht darin, dass die Autonomie von Organisationen und damit eine gewisse Flexibilität aufrechterhalten bleiben, während gleichzeitig die notwendige Vereinheitlichung und Stabilität gewährleistet werden. Hier wird nun jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass sich Verwaltungsverflechtungen unter bestimmten, zu untersuchenden Bedingungen auch negativ auf den Verwaltungs-Output auswirken können.

2.2 Analysedimensionen der Verwaltungsverflechtung

Unter Verwaltungsverflechtung soll hier jede Form der Interdependenzbeziehung von autonomen Verwaltungen im Vollzug bezeichnet werden. Im Unterschied zur Politikverflechtung, die als ein Zwangsverhandlungssystem kategorisiert wird (Benz 2009, S. 87, 2020, S. 44), soll Verwaltungsverflechtung nicht bereits als eine spezifische Koordinationsform konzipiert werden. So kann die Verflechtung von Verwaltungen unterschiedlich viele Akteure umfassen, sie kann unterschiedlich organisiert sein und sie kann mit unterschiedlichen Formen der Schnittstellenbearbeitung einhergehen. Wichtig ist also die Identifikation der beteiligten Akteure, die Analyse des institutionellen Kontexts, d. h. der rechtlichen Zuständigkeiten und Verfahren, und der Logiken und Praktiken der Interaktion im Politikfeld. Zu unterscheiden sind die vertikale Verwaltungsverflechtung, bei der die verschiedenen Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen im Vollzug voneinander abhängen, und die horizontale Verwaltungsverflechtung, bei der ähnliche Abhängigkeiten im Handeln zwischen gleichrangigen Gebietskörperschaften, Ressorts und Ämtern bestehen. Zudem lassen sich Verflechtungen von Fach- und Querschnittsfunktionen sowie formelle und informelle Verflechtungen (Benz 1997, S. 168–178) differenzieren.

Die empirische Auseinandersetzung mit Verwaltungsverflechtungen in konkreten Politikfeldern erfordert eine anwendungsorientierte Operationalisierung von Verwaltungsverflechtung. Hierfür wird die Unterscheidung der drei Dimensionen Verflechtungsdichte, -organisation sowie Schnittstellenbearbeitung vorgeschlagen (Tab. 1).

Tab. 1 Verwaltungsverflechtung als Analysekonzept

In der Dimension der Verflechtungsdichte (auch „Akteursdichte“) steht die Untersuchung der Interdependenzen im Vollzugsbereich im Fokus. Erhoben wird hierbei die Anzahl der interdependenten Akteure.Footnote 3 Die Verflechtungsdichte ist dabei umso höher, je mehr Akteure in dieser Interdependenzbeziehung verflochten sind. Es wird angenommen, dass eine höhere Verflechtungsdichte eher zu Koordinationsproblemen führt, weil die Verflechtungsstrukturen schwieriger organisational angemessen aufgestellt werden können und zugleich die Zahl der Schnittstellen erheblich ansteigt.Footnote 4 In unserem Konzept der Verwaltungsverflechtung dient die „Verflechtungsdichte“ zunächst als eine erste Linse, die auch jene Interdependenzen beleuchtet, die zwischen Verwaltungen vorliegen, die nicht in einer organisationalen Beziehung zueinander stehen. Dies ist eine Grundvoraussetzung, um Interferenzen im Verwaltungshandeln zu erfassen.

Die Verflechtungsorganisation ist die zweite Linse des Analysekonzepts, in der die konkreten Beziehungsgeflechte der Akteure im Vollzug untersucht werden. Betrachtet wird die institutionelle Gestaltung der Interdependenzbeziehung, also die Governance der interorganisationalen Kooperation, so wie sie aus den rechtlich vorgegebenen Verfahren folgt. So kann die Beziehung z. B. durch zentrale oder dezentralisierte Strukturen, formalisierte oder informelle Beteiligungsverfahren oder sonstige Koordinationsmechanismen (zu nennen sind hier z. B. Hierarchien, Verhandlungsregime, Koproduktion, Vertragsbeziehungen und verteilte/kooperative Leistungserbringung) strukturiert sein. Zentrale Variablen sind sowohl, wie stark die Autonomie der Einzelorganisation ausfällt, als auch die Frage nach der Verbindlichkeit der Kooperation.

Verflechtungsdichte und Verflechtungsorganisation bilden zusammen die strukturellen Rahmenbedingungen der Verflechtung, die sich aus der Zuständigkeitsverteilung und der Verfahrensorganisation ergeben. Diese Verflechtungsstruktur ist also der institutionelle Kontext, in dem sich interdependente Verwaltungsakteure koordinieren. Die Verflechtungsdichte steht dabei mit der Verflechtungsorganisation im engen Zusammenhang, indem die Organisation von Mehrfachzuständigkeiten bzw. Querschnittszuständigkeiten sowie die Vermeidung von fehlenden Zuständigkeiten thematisiert werden, die auf ein Auseinanderfallen von Zuständigkeitsstruktur und Koordinationsstruktur hinweisen (siehe Abschn. 2.3).

Von der Verflechtungsstruktur zu unterscheiden ist als dritte Dimension der Verwaltungsverflechtung die Schnittstellenbearbeitung. Als „Schnittstellen“ werden die Nahtstellen bezeichnet, an denen eine Interaktion zwischen zwei oder mehr getrennten Organisationen stattfindet. Als dritte Linse betrachtet sie also jeweils die einzelne Beziehung zwischen Organisationen. Untersucht wird die Art und Weise, wie Schnittstellen zwischen Verwaltungen konkret im Hinblick auf Informations- und Datenaustausch sowie Kommunikation ausgestaltet sind. Die Schnittstellen sind es letztlich, welche die Verflechtungsorganisation mit Leben erfüllen. Sind beispielsweise die Zuständigkeiten geklärt und ein Beteiligungsverfahren formalisiert, kann erfolgreiche Verwaltungsverflechtung noch immer an unzureichenden Informationslagen, Missverständnissen und Kommunikationsdefiziten scheitern. Teil der Schnittstellenbearbeitung sind die Koordinationskosten, die von der Anzahl der Akteure (Verflechtungsdichte) und der Art der Koordination (Verflechtungsorganisation) abhängen.

Im Rahmen der Schnittstellenbearbeitung sind verschiedene Formen in der Bearbeitung der Interaktionsbeziehung zu differenzieren (vgl. Thompson 1967, S. 54–55; Brockhoff und Hauschildt 1993, S. 5). Bei der sukzessiven (oder sequenziellen) Bearbeitung wird ein Fall erst weiterbearbeitet, wenn die vorhergehende Verwaltung ihre Bearbeitung abgeschlossen hat. Die simultane Bearbeitung bedeutet eine gleichzeitige Bearbeitung durch mehrere Verwaltungen. Hierbei kann zwischen zwei Unterformen simultaner Bearbeitung unterschieden werden: Entweder die Verwaltungen arbeiten parallel, d. h., sie arbeiten individuell in gleichzeitiger und wechselseitiger Zuarbeit und damit allerdings immer nur so weit, wie es der Arbeitsfortschritt der anderen Verwaltungen erlaubt; oder die Verwaltungen arbeiten gebündelt. Bei Thompson beschreibt dieser Interaktionstyp eine Bearbeitung, bei der die Verwaltungen auf gemeinsame Ressourcen und gemeinsame Informationslagen zurückgreifen. Der Extremfall ist die unkoordinierte Bearbeitung, bei der gleichzeitig zuständige Verwaltungen den gleichen Fall bearbeiten, aber keinerlei wechselseitige Anpassung stattfindet.

2.3 Defizite und Optimierung von Verwaltungsverflechtungen

Trotz der angesprochenen Vorteile von Verflechtungen können Kooperationszusammenhänge auch zu Implementationsproblemen führen. Der Verwaltungsverflechtungsansatz betont hier, dass die Eigenschaften der Interdependenzbeziehung zwischen Verwaltungen eine erhebliche Erklärungskraft für den Verwaltungs-Output haben. Wie in Abb. 1 dargestellt, können wir Output-Defizite einerseits auf die Verflechtungsstruktur zurückführen, die wiederum zu Schnittstellenproblemen führt. Andererseits entstehen Schnittstellenprobleme auch unabhängig der Verflechtungsstruktur.

Abb. 1
figure 1

Verflechtungsstruktur und Schnittstellenprobleme. (Quelle: eigene Darstellung)

2.3.1 Problemstellungen der Verflechtungsstruktur

Die Verflechtungsstruktur wird im Kontext der Politikverflechtung als eine wesentliche Begründung für Output-Probleme in der Politikformulierung identifiziert. Nach Scharpf führt diese mehrere Ebenen verbindende Entscheidungsstruktur aus ihrer institutionellen Logik heraus systematisch zu ineffizienten und problemunangemessenen Entscheidungen. Sie ist zugleich unfähig, die institutionellen Bedingungen ihrer Entscheidungslogik zu verändern – weder in Richtung Integration noch in Richtung Desintegration, was als Politikverflechtungsfalle bezeichnet wird (Scharpf 1985, S. 349–350).

Auch im Kontext von Verwaltungsverflechtung gibt es strukturelle Defizite. Zu nennen sind hier die Überflechtung und Unterflechtung, d. h. eine Zuständigkeitsverteilung, in der entweder zu viele Akteure organisational verflochten sind oder aber im Gegenteil nicht alle sachlich relevanten Akteure organisatorisch eingebunden sind. Wir orientieren uns hierbei an den Konzepten des „overlap“ und „underlap“ von Wegrich und Štimac (2014) bzw. der Interferenz und Diffusion von Stöbe-Blossey et al. (2021). Die Kategorien der Überflechtung und Unterflechtung gehen jedoch darüber hinaus, indem systematisch zwischen der Struktur/Zuständigkeit und der Schnittstellenbearbeitung/Interaktion unterschieden wird. Sowohl Über- als auch Unterflechtung bezeichnen Situationen mit einer hohen Verflechtungsdichte, wo jedoch eine unangemessene Verflechtungsorganisation besteht (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Defizite der Verflechtungsstruktur. (Quelle: eigene Darstellung)

Überflechtung bezeichnet dabei Verflechtungszusammenhänge im Vollzugshandeln, in denen die Zahl der zuständigen Verwaltungen höher ist, als sie mit Blick auf den eigentlichen Verwaltungsvorgang sachlich betrachtet notwendig wäre. Es werden also interorganisationale Schnittstellen geschaffen, die zur Bearbeitung der Interdependenzbeziehung an sich nicht notwendig wären. Überflechtungen können das Ergebnis politischer oder staatsrechtlicher Logiken sein, wenn z. B. Bund und Länder bestimmte Vollzugskompetenzen ausüben, aber die wesentliche Vollzugszuständigkeit bei den Kommunen liegt. Auch sind es teils Anforderungen aus anderen Politikfeldern (z. B. von Sicherheitsbehörden), die zusätzliche Zuständigkeiten begründen. Da viele Zuständigkeiten in den gesetzlichen Bestimmungen festgelegt sind, spielen zudem Pfadabhängigkeiten eine wichtige Rolle. Überflechtung kann des Weiteren entstehen, wenn Verwaltungen sich aus Eigeninteressen für zuständig erklären, um Ressourcen und/oder Reputation zu gewinnen. In Situationen der Überflechtung wird der Vollzug erschwert, da zusätzliche Schnittstellen entstehen, die bearbeitet werden müssen, und damit die Wahrscheinlichkeit von Verfahrensverzögerungen und anderen Schnittstellenproblemen zunimmt.

Unterflechtung bezeichnet Verflechtungszusammenhänge im Vollzugshandeln, in denen Verwaltungen, die an sich eine sachliche Zuständigkeit hätten (→Verflechtungsdichte), nicht in die Verflechtung einbezogen sind. Eigentlich betroffene Verwaltungen sind also nicht zuständig, was dazu führt, dass die Interdependenzen unzureichend in der Verflechtungsorganisation umgesetzt sind. Unterflechtung entsteht z. B. in Situationen, wo Kooperation zwischen Verwaltungen rechtlich nicht möglich oder eingeschränkt ist, etwa aufgrund des Verbots der Mischverwaltung des deutschen Grundgesetzes oder auch aufgrund strenger Datenschutzvorschriften. Logiken wie Ressortzuständigkeiten können ebenfalls ursächlich für Kooperationshindernisse sein. Des Weiteren können organisationale Eigeninteressen wie die „blame avoidance“ oder die Schonung eigener Ressourcen Motive für eine fehlende Zuständigkeit sein. Daraus resultieren schlimmstenfalls Situationen, in denen sich gar keine Verwaltung für einen Vollzugsfall verantwortlich fühlt (Stöbe-Blossey et al. 2021). Vor allem führt Unterflechtung aber zu Interdependenzsituationen zwischen Verwaltungen, die unkoordiniert sind.

2.3.2 Problemstellungen der Schnittstellenbearbeitung

Insbesondere der Informationsaustausch und die Kommunikationsbeziehung zwischen verflochtenen Verwaltungen bestimmen darüber, wie erfolgreich eine Schnittstelle bearbeitet werden kann. Wesentliche Merkmale sind daher sowohl die Qualität der Übergaben als auch die Zeit, welche für die Übergaben benötigt wird. Schnittstellen werden insbesondere dann nur unzureichend bearbeitet, wenn dies mit hohen Koordinationskosten verbunden ist. Diese Koordinationskosten werden unter anderem in die Höhe getrieben durch

  • die Zahl der Schnittstellen,

  • Schwierigkeiten bei der Antizipation der Gegenüber,

  • rechtliche Rahmenbedingungen,

  • fehlende Transparenz (z. B. über Ansprechpartner*innen),

  • Eigeninteressen, z. B. „blame avoidance“,

  • selektive Perzeptionen, unterschiedliche Auffassungen und Prioritäten,

  • Inkompatibilität von technischen Systemen und Formaten,

  • zwischenmenschliche Faktoren.

Die Schnittstellenbearbeitung hängt zum Teil von der Verflechtungsstruktur ab, da diese die Zahl der Schnittstellen sowie einige Rahmenbedingungen der Interaktion beeinflusst. Rechtlich vorgegebene Interaktionsformen (Bogumil und Jann 2020, S. 181–183; Apelt und Männle 2023, S. 164–165) wie der Aktenlauf, Datenstrukturen und Standardformulare können beispielsweise Unsicherheiten zwischen jenen Verwaltungen, die selten interagieren, reduzieren und damit Koordination erleichtern. Andere Faktoren sind jedoch durch die beteiligten Verwaltungsakteure geprägt, etwa die Struktur vor Ort, eine Kultur der Zusammenarbeit, Anreize durch Politik und/oder Management, gemeinsame Planungen, ähnliche Ausbildung und zwischenmenschliche Kontakte. Auch die technische Infrastruktur in den Verwaltungen ist ein Faktor. Bogumil und Kuhlmann (2022) heben daher die Möglichkeiten der „Verflechtungsoptimierung“ hervor.

2.3.3 Optimierung von Verwaltungsverflechtungen

Optimierung bezieht sich auf Reformen einerseits der Verflechtungsstruktur, andererseits der Schnittstellenbearbeitung, die zur besseren Koordination von Verwaltungshandeln beitragen sollen. Defizite der Verflechtungsstruktur könnten prinzipiell durch Entflechtung (bei Überflechtung), Neuverflechtung (bei Unterflechtung) und andere Formen der Zuständigkeitsreform abgebaut werden. Tatsächlich stellen sich aber die Zuständigkeiten im Vollzug als oft nur schwer reformierbar dar, da hierzu in der Regel politische Handlungen (u. a. Gesetzesänderungen) erforderlich sind. Insbesondere vertikale Zuständigkeitsveränderungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen fallen dabei in die „Politikverflechtungsfalle“, die Scharpf beschreibt. Stattdessen wird in der Regel auf Strategien zur Optimierung von Verwaltungsverflechtungen gesetzt (vgl. zum Folgenden Thompson 1967, S. 56; Bogumil und Jann 2020, S. 181; Bogumil und Kuhlmann 2022, S. 5), darunter

  • Hierarchisierung: Verflochtene Verwaltungen werden unter eine gemeinsame Steuerungsebene gestellt und von dieser top-down koordiniert. Eine Form dieser Hierarchisierung kann die Standardisierung sein, also die verbindliche Normierung durch die übergeordnete Ebene. Hierarchisierung geht mit einem hohen Autonomieverlust einher.

  • Harmonisierung: Verhalten und Normen der verflochtenen Verwaltungen werden einander angeglichen. Hierzu können beispielsweise Pläne dienen (vgl. Thompson: „coordination by plan“). Harmonisierung kann (muss aber nicht) durch Leistungen (z. B. Vorschläge, Vermittlung, Anreize) höherer Hierarchieebenen vorangetrieben werden. Die Autonomie der Einzelorganisation wird jedoch nur begrenzt eingeschränkt, wenn die Möglichkeit zur Abweichung bleibt.

  • Bündelung: Zuständige Verwaltungen bearbeiten Fälle gemeinsam, z. B. als Taskforces oder als Fallmanagement. Organisatorische und/oder auch räumliche Bündelung stellen eine Mischform der Hierarchisierung und der Anpassung dar.

  • Einseitige/wechselseitige Anpassung: Verflochtene Verwaltungen passen sich an die Informationen, Bedürfnisse und Entscheidungen der anderen Verwaltungen an.

Diese Unterscheidung von Optimierungsstrategien ist primär analytisch, da in der Realität Mischformen vorherrschen. Auch die Optimierung der Kommunikations- und Informationswege trägt zur verbesserten Schnittstellenbearbeitung bei (Bogumil und Kuhlmann 2022, S. 5). Insbesondere durch digitalen Datenaustausch können sowohl zeitineffiziente Postwege ersetzt als auch Verfahrenstransparenz gefördert werden, um somit Koordinationskosten zu reduzieren. Im Folgenden sollen diese konzeptionellen Überlegungen am Beispiel dreier Politikfelder empirisch unterfüttert werden, um abschließend den Mehrwert des hier verfolgten Ansatzes zu diskutieren.

3 Verwaltungsverflechtung in der Migrations- und Integrationspolitik

3.1 Verflechtungsstruktur

Der Verwaltungsvollzug in der deutschen Migrations- und Integrationspolitik ist durch zum Teil sehr zersplitterte, zum Teil verflochtene und insgesamt undurchsichtige Zuständigkeiten gekennzeichnet (Bogumil et al. 2018). Insbesondere im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015/2016 und ihrer Folgenbewältigung (Integration) sind trotz erheblicher Anstrengungen in den Verwaltungen der verschiedenen Ebenen einige Defizite deutlich geworden, die auf Probleme der Verwaltungsverflechtung zurückzuführen sind (Bogumil und Kuhlmann 2022; Bogumil et al. 2018). Vollzugshandeln in der Migrations- und Integrationspolitik kann im Wesentlichen in die fünf Bereiche Asylverfahren, Aufenthaltsstatus, Sozialleistungen, Arbeitsmarkt und Integration unterteilt werden. Grundlage staatlichen Handelns sind hierbei bundesrechtliche Regelungen, insbesondere des Sozialgesetzbuchs (SGB), des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) und des Aufenthaltsrechts (Aufenthaltsgesetz – AufenthG). Die Vollzugszuständigkeiten – auch innerhalb der fünf Vollzugsbereiche – sind auf eine Vielzahl von Akteuren verteilt (im Überblick Tab. 2).

Tab. 2 Gesetzesgrundlagen und Vollzugsinstanzen im Bereich Asyl und Integration

Mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), einer Bundesoberbehörde, verfügt der Bund über eine eigene Verwaltungskompetenz in diesem Politikfeld. In Ergänzung zur Durchführung des Asylverfahrens kommt dem BAMF auch „eine durchaus bedeutende Rolle bei der Implementation von Integrationsaufgaben“ zu (Bogumil und Kuhlmann 2020, S. 462). So verantwortet die Bundesverwaltung das Angebot an Sprachförderung und Integrationskursen und entwickelt in diesem Kontext die Grundstruktur und Lerninhalte, steuert, evaluiert und finanziert diese (Bogumil und Kuhlmann 2020, S. 463). Faktisch entstehen bei der Sprachförderung damit Mehrfachzuständigkeiten mit Angeboten der Länder und Kommunen. Die weiteren migrationsbezogenen Aufgaben werden durch die Länder bzw. Kommunen verwaltungsseitig umgesetzt. Dies betrifft z. B. die Erstaufnahme Geflüchteter durch die Länder und den Vollzug des Aufenthaltsgesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes durch die kommunalen Ausländer- bzw. Sozialbehörden. Zudem sind die Länder und Kommunen mit verschiedenen Behörden (z. B. Schulverwaltung, Jobcenter, Wohnungsämter, Integrationszentren) für die Integration von Neuzugewanderten zuständig.

Aufgrund der Zuständigkeitsverteilung gibt es beim Vollzug der Erstaufnahme, des Aufenthaltsgesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes erhebliche Verflechtungen zwischen den Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen. So müssen sich z. B. bei der Erstaufnahme die Länder mit den Außenstellen des BAMF intensiv abstimmen, welches für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Ausländerbehörden sind bei der Ausstellung von Aufenthaltstiteln von Entscheidungen des BAMF abhängig. Die Kommunen müssen auf Zuweisungen von Geflüchteten durch die Länder häufig sehr zeitnah reagieren und dann umfassende Verwaltungsprozesse einleiten (Unterkunft, Anmeldung, gesundheitliche Versorgung, Sozialleistungen etc.). Auch müssen sich die Ausländerbehörden bei Versuchen der Arbeitsaufnahme mit der Bundesagentur für Arbeit abstimmen (vgl. im Detail Bogumil et al. 2018). Durch die Zuständigkeiten auf allen drei Verwaltungsebenen entstehen zahlreiche Schnittstellen mit erheblichem Koordinationsbedarf (Überflechtung).

Im Bereich der Integration müssen angesichts des sehr ausdifferenzierten Schul‑, Ausbildungs- und Weiterbildungssystems in Deutschland, erschwerender formaler Regelungen (z. B. Schulpflicht bei Zuzug in die Kommune, Ausbildungsverordnungen, Anerkennungsverfahren für Zeugnisse und Abschlüsse) und unterschiedlichster Unterstützungsleistungen (SGB II-Bezug, BAföG, Schüler-BAföG, Berufsausbildungsbeihilfe, Jugendhilfeleistungen usw.) zielgruppenspezifische Beratungsprozesse (Fallmanagement) durchgeführt werden. Beratungsangebote gibt es bei den Jobcentern, wenn die Geflüchteten nach der Zuteilung eines Schutztitels durch das BAMF in das SGB II fallen. In den Kommunen gibt es in der Regel weitere Beratung, z. B. durch bundesgeförderte Beratungsangebote, Sozialämter, Bildungsbüros, landesgeförderte kommunale Integrationszentren, Flüchtlingssozialarbeit, Migrantenselbstorganisationen und Ehrenamtliche. Diese Angebote werden von verschiedenen Akteuren angeboten, weisen hinsichtlich ihrer Ausrichtung unterschiedliche Spezifika auf und sind selten aufeinander abgestimmt. Insgesamt handelt es sich um eine ausgesprochen fragmentierte institutionelle Landschaft mit Doppel- und Mehrfachzuständigkeiten. Das grundlegende Problem liegt hier in nicht vorhandenen oder stark unterentwickelten Verflechtungsstrukturen (Unterflechtung).

3.2 Schnittstellenbearbeitung

In den Jahren 2014 bis 2017 ist es zu erheblichen Problemlagen bei der Asylantragsbearbeitung durch das BAMF gekommen. Neben den enormen Wartezeiten bei der Beantragung von Asyl ist vor allem eine mangelnde Qualität im Bereich der Asylantragsbearbeitung konstatiert worden (Bogumil et al. 2018; Thränhardt 2020, S. 493). Diese Problemlagen haben nicht nur Auswirkungen auf die Betroffenen und den weiteren Integrationsverlauf, sondern auch auf andere Verwaltungseinheiten wie kommunale Ausländerbehörden, Sozialämter oder auch die Verwaltungsgerichte. Insbesondere die Ausländerämter sind bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen oder -gestattungen abhängig von den Entscheidungen des BAMF. Veränderte Entscheidungen durch Verwaltungsgerichtsverfahren führen dann wieder zu Veränderungen bei den Aufenthaltstiteln, was mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden ist. Zudem dürfen Integrationskurse in der Regel nur besucht werden, wenn ein Schutzstatus besteht. Um ein angemessenes Angebot vor Ort zur Verfügung zu stellen, ist aber eine zeitnahe Information über diesen Sachverhalt wichtig. Im Bereich der Sprachkursplanung war dies jedoch angesichts der oben genannten Problemlagen nicht möglich. Insgesamt führt die sukzessive Schnittstellenbearbeitung aufgrund erheblicher Zeitverzögerungen zu erheblichem Doppelaufwand, z.B. in den Ausländerämtern, und anderen Folgeproblemen wie einer verzögerten Integration.

Um die Schnittstellen gut zu bearbeiten, ist ein funktionierender Informations- und Datenaustausch in und zwischen Behörden verschiedener Bereiche und föderaler Ebenen wichtig. Als Registerbehörde ist das BAMF dafür zuständig, alle öffentlichen Stellen mit den notwendigen Daten zu versorgen, welche mit der Durchführung ausländer- und asylrechtlicher Vorschriften betraut sind (Bogumil et al. 2018, S. 89). Als zentrale Schnittstelle für den Datenaustausch ist das Ausländerzentralregister (AZR) vorgesehen. Während der Flüchtlingskrise gab es nun erhebliche Probleme hinsichtlich der Datenerfassung im BAMF und hinsichtlich des inner- und zwischenbehördlichen Datenaustausches im Bundesstaat. Insbesondere das Eingeständnis der Bundesregierung im Jahr 2015 und z. T. 2016, man wisse nicht, wie viele Flüchtlinge sich tatsächlich in Deutschland aufhalten, ist vielfach öffentlich thematisiert worden. So waren weder korrekte und eindeutige Einträge noch insgesamt eine einwandfreie Datenqualität und -verlässlichkeit im AZR gesichert (Bogumil et al. 2018, S. 89–121). Erst seit Herbst 2016 gelang es mittels biometrischer Datenerfassung bei der Erstregistrierung, vermehrt für eine eindeutige Identifikation zu sorgen, um Mehrfachregistrierungen auszuschließen. Dennoch gibt es weiterhin Probleme mit der Datenqualität, sodass die Ausländerbehörden in der Regel bis heute mit eigenen Datenbeständen arbeiten. Insgesamt zeigen sich trotz klarer Zuständigkeiten für das AZR erhebliche Schnittstellenprobleme beim Datenaustausch. Auch in diesem Bereich dominiert bisher die sukzessive Schnittstellenbearbeitung, angestrebt wird durch aktuell diskutierte Reformmaßnahmen der Ministerpräsidentenkonferenz allerdings eine stärker gebündelte Datenerfassung.

Zusammenfassend zeigt sich, dass Vorentscheidungen von Bundesbehörden getroffen werden, die weiterführende Entscheidungen von Landes- und Kommunalbehörden beeinflussen. Diese Entscheidungen werden aber nur zeitverzögert getroffen und darüber hinaus auch noch zögerlicher kommuniziert. Es kommt also zu Problemen der zeitlichen Abhängigkeit von Entscheidungsvorleistungen sowie zu Kommunikations- und Informationsproblemen zwischen Behörden verschiedener Ebenen.

3.3 Optimierungsstrategien

Im Kontext der vielfältigen Defiziterfahrung in der Migrations- und Integrationspolitik während, aber auch vor und nach der Flüchtlingskrise sind immer wieder Maßnahmen der Verflechtungsoptimierung unternommen worden. Allerdings ist die erfolgreichste Maßnahme gegen Überflechtungsprobleme, die Durchführung von Entflechtungsmaßnahmen (sei es durch Dezentralisierung oder Zentralisierung), trotz einiger Vorschläge bisher nicht aufgegriffen worden, weswegen vor allem Optimierungen der Interaktion politisch thematisiert werden.

Zum einen geht es darum, die Problemlagen, die sich aus dem Querschnittscharakter der Migrations- und Integrationspolitik ergeben, zu bearbeiten und „policy“-übergreifende Abstimmungen zu ermöglichen (zwischen dem Bundesinnenministerium (BMI) und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), zwischen den Ministerien auf Länderebene und den Fachbereichen/Ämtern in der Kommunalverwaltung). Vorangetrieben wird eine organisatorische Bündelung in Kommunen und Ministerien durch die Einrichtung von integrierten Verwaltungseinheiten für Migration und Integration oder (deutlich weniger realisiert) Ministerien-übergreifende Förderportale. Unter dem Begriff des „lokalen Integrationsmanagements“ wird zudem auf individuelles Fallmanagement gesetzt, um die Verwaltungsadressat*innen durch die komplexen Verwaltungsverfahren zu leiten und Hilfestellungen zu bieten (Bogumil et al. 2023).

Neben diesen Bündelungsmaßnahmen ergeben sich Optimierungsmöglichkeiten bei der Verbesserung des Datenaustausches zwischen den Verwaltungsebenen. Diese sind aber deutlich schwieriger und langwieriger zu erreichen, was am Beispiel der mühsamen und andauernden Reformen des Ausländerzentralregisters deutlich wird. Auch Schnittstellenreduzierungen durch die Vermeidung des Rechtskreiswechsels zwischen dem AsylbLG und dem SGB II bzw. SGB III oder durch eine grundsätzliche Reform der unterschiedlichen Sozialleistungen sind bisher nicht zustande gekommen.

Probleme der Unterflechtung bestehen vor allem im Bereich der Migrationsberatung (Fallmanagement). Auf die ausgesprochen fragmentierte institutionelle Landschaft haben einige Bundesländer (Baden-Württemberg, Hessen, NRW) durch neue Förderprogramme reagiert. Diese zielen darauf ab, mit einem erheblichen aus Landesmitteln geförderten Personaleinsatz auf kommunaler Ebene sowohl die strategische Steuerung und Koordinierung der Integrationsarbeit als auch die Beratungsaktivitäten deutlich zu stärken und damit die beschriebenen Fragmentierungen zu überwinden. Ziel ist eine integrierte Steuerung der unterschiedlichen Integrationszuständigkeiten vor Ort. Es wird abzuwarten sein, ob die damit verbundenen Zielvorstellungen erreicht werden können.

4 Verwaltungsverflechtung in der Sozialpolitik

4.1 Verflechtungsstruktur

In Deutschland hat sich durch eine zunehmende Ausdifferenzierung und Verrechtlichung ein Sozialverwaltungssystem entwickelt, das vielfältige Verflechtungsstrukturen und Ebenen-übergreifende Koordinationszwänge aufweist (Bogumil et al. 2021). Dieses ist durch ein Geflecht von Zuständigkeiten sowie einen „Trägermix“ beim Leistungsvollzug gekennzeichnet, das staatliche Ebenen sowie öffentliche und private Akteure umfasst. Auch auf kommunaler Ebene sind die Ämterstrukturen fragmentiert, indem die Zuständigkeiten für Sozialhilfe (SGB XII) beim Sozialamt, für Jugendhilfe nach SGB VIII beim Jugendamt und für die Grundsicherung für Erwerbslose nach SGB II beim Jobcenter liegen. Auch die Gesundheitsämter, Bildungseinrichtungen und Integrationsstellen sind Teil der komplexen Sozialpolitik vor Ort. Deren Zusammenwirken ist dabei nicht nur im Sinne einer ganzheitlichen sozialpolitischen Steuerung relevant, sondern kann auch im Verwaltungsvollzug eine entscheidende Rolle spielen. Die administrative Fragmentierung begründet jedoch einen hohen Koordinationsaufwand und ist vor allem deshalb problematisch, weil sich die sozialen Problemlagen von Menschen nicht an diese Zuständigkeiten halten, sodass ein umfassendes Schnittstellenmanagement nötig ist. Die Verflechtungsproblematik soll hier am Beispiel der kommunalen Aufgabenwahrnehmung dargestellt werden (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Zuständigkeiten im Bereich kommunaler Sozialpolitik. (Quelle: eigene Darstellung; SGB Sozialgesetzbuch; WoGG Wohngeldgesetz; BEEG Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz; BKGG Bundeskindergeldgesetz; UhVorschG Unterhaltsvorschussgesetz; BAföG Bundesausbildungsfördergesetz; AdVermiG Adoptionsvermittlungsgesetz; „überörtlicher Träger“ sind z. B. in NRW die Landschaftsverbände)

Einen wesentlichen Kern der Sozialleistungen stellen die Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach SGB II (Bürgergeld) sowie im Alter und bei Erwerbsminderung nach SGB XII dar. Die Gesetzgebungskompetenz für Grundsicherungsleistungen liegt beim Bund; nachrangig erlassen die Länder Ausführungsgesetze, die Detailfragen der Umsetzung regeln. Ergänzend können Wohngeld, Leistungen für Bildung und Teilhabe oder auch BAföG zu den Grundsicherungsleistungen gezählt werden. In den Sozialgesetzen ist allerdings eine Fragmentierung der institutionellen Zuständigkeit angelegt. Für den Vollzug der Grundsicherungsleistungen und mit diesen verbundenen Leistungen sind die Kreise und kreisfreien Städte in zwei unterschiedlichen Zuständigkeiten verantwortlich, die in etwa der Trennung in SGB II und SGB XII entsprechen: Für den Vollzug des SGB II sind die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die Landkreise bzw. kreisfreien Städte als kommunale Träger zuständig. Diese Verflechtung ist auch institutionell fest verankert, indem beide Träger eine gemeinsame Einrichtung (Jobcenter) als einzige nach dem Grundgesetz zugelassene Mischverwaltung von Bund und Kommunen bilden. Jobcenter werden also gemeinsam durch BA und die jeweilige Kommune betrieben, falls es sich nicht um eine Optionskommune handelt. Die Jobcenter gewährleisten den Lebensunterhalt von prinzipiell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden, aber erwerbslosen Personen sowie deren Angehöriger, sofern diese mit der arbeitslosen Person in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Die Aufgaben der Sozialhilfe, d. h. grundsichernde Leistungen für Personen, die kein Bürgergeld beziehen, werden dagegen von den Kommunen selbst getragen und durch die kommunalen Sozialämter verwaltet.

Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung sieht vor, dass es trotz der hohen institutionellen Fragmentierung keine Mehrfachzuständigkeit für einen Vollzugsfall geben soll. Umgesetzt wird dies in einer Verflechtungsorganisation der Vorrang-Nachrang-Regeln bei der Sozialleistungsgewährung (Bellermann 2015, S. 58–59). Das Bürgergeld ist dabei eine „nachrangige Sozialleistung“, sodass zunächst die Anspruchsberechtigung auf andere (Sozial‑)Leistungen geprüft und ggf. wahrgenommen werden muss. Gleichzeitig schließen sich auch viele Leistungen wechselseitig aus (z. B. Wohngeld und Bürgergeld). Dadurch, dass aber viele dieser „vorrangigen“ Sozialleistungen (u. a. Rente, Kinderzuschlag, Wohngeld) nicht beim Jobcenter zu beantragen sind, ist der Vorgang gerade bei Erstantragstellenden zunächst mit der Klärung von Zuständigkeiten und ggf. dem „Wegschicken“ der Unterstützungssuchenden verbunden. Obwohl die Vorrang-Nachrang-Regeln eigentlich der Organisation der Verflechtung dieser Leistungsträgerschaften dienen, können sie zu unzumutbaren Situationen für die Unterstützungssuchenden führen, wenn nämlich während der Zuständigkeitsklärung gar keine Leistungen gewährt werden (Bellermann 2015, S. 59; Problem der Unterflechtung). Bei einigen Leistungen wird die Problematik zumindest durch ein Vorleistungsgebot abgeschwächt, wonach der Träger, bei dem eine Person vorstellig geworden ist, eine Leistung zunächst einmal gewähren muss. Nach Klärung der Zuständigkeiten wird dann eine finanzielle Ausgleichsrechnung zwischen den Trägern vorgenommen (Bellermann 2015, S. 59). Allerdings ist dieses Verfahren mit dem Aufwand einer doppelten Antragstellung seitens der Bürger*innen verbunden.

Bei Kindern und Jugendlichen im Leistungsbezug ist dementgegen eine Mehrfachzuständigkeit institutionell vorgesehen, da sie einerseits Adressat*innen des SGB VIII und damit des Jugendamts sind, andererseits sich aber, abhängig von der familiären Situation, in der Betreuung durch das Jobcenter oder das Sozialamt befinden. Eine federführende Zuständigkeit für eine der Behörden gibt es dabei jedoch nicht. Diese Verflechtung hat insofern das Risiko, dass fehlende Koordination der Ämter zu widersprüchlichem Verwaltungshandeln führen kann (Problem der Überflechtung). Beispielsweise kann ein alleinerziehendes Elternteil vom Jobcenter zur Aufnahme einer Tätigkeit aufgefordert werden, während das Jugendamt aufgrund der individuellen Erziehungslage genau das Gegenteil befürwortet.

Diese grob skizzierten Zuständigkeiten führen zu einem extrem komplexen und Außenstehenden kaum vermittelbaren, hoch differenzierten kommunalen Sozialverwaltungssystem. Verschiedenste Ämter in Kommunen, die Kreisverwaltung, die Jobcenter, die BA, Landschaftsverbände und Wohlfahrtsverbände agieren in verschiedenen Rechtskreisen im Bereich kommunaler Sozialpolitik. Die Zuständigkeiten auf dieser horizontalen Ebene sind also von einer hohen Verflechtungsdichte gekennzeichnet und besonders dann problematisch, wenn Personen quer zu den Zuständigkeiten liegen, ihre Fälle also entweder von mehreren Behörden bearbeitet werden oder wenn es umgekehrt an einer Zuständigkeit fehlt (Stöbe-Blossey et al. 2021).

4.2 Schnittstellenbearbeitung

Trotz der rechtlichen Abgrenzung der institutionellen Zuständigkeit ergeben sich aus der Verflechtungsorganisation umfangreiche Erfordernisse zur Schnittstellenbearbeitung. So stellt sich eine besondere Herausforderung durch die in der Sozialpolitik häufig vorkommenden Zuständigkeitswechsel, wenn Leistungsempfänger*innen den Rechtskreis wechseln. Diese Transitionen können insb. durch biografische Übergänge (Volljährigkeit, Aufnahme einer Beschäftigung, Krankheit etc.) eintreten und bedingen dann einen Wechsel der Ansprechpartner*innen, z. B. statt des Jobcenters das kommunale Sozialamt.

Die Sozialverwaltung kennt als Folge der Vorrang-Nachrang-Regeln im Bereich der Grundsicherung vor allem die sukzessive Fallbearbeitung. Da Zuständigkeitstransitionen jedoch so häufig vorkommen, sind hier die Fallübergaben von einer Verwaltung zur nächsten besonders bedeutsam. Als negative Auswirkungen dieser Transition sind dann etwa Lücken in der Leistungserbringung oder auch Informationsbrüche zu befürchten. Entsprechend wäre eine funktionierende Schnittstellenbearbeitung, z. B. eine Überleitung eines Falls von einem Amt zum nächsten als eine Art gebündelter „warmer Übergang“, erforderlich (Stöbe-Blossey et al. 2021, S. 15). Tatsächlich zeigt sich allerdings ein erheblicher Mangel an Kommunikation und Datenaustausch insbesondere zwischen den zentralen Akteuren, den Jobcentern und den Sozialämtern. Wesentliche Ursachen hierfür sind die institutionelle Trennung von Kommunalverwaltung und Jobcenter (Ausnahme sind Optionskommunen) sowie von deren IT-Systemen. Es gibt normalerweise keine Koordinationspläne und personellen Austausche (erschwert durch hohe Personalfluktuationen) oder gar gemeinsame Fallberatungen (Bogumil und Gräfe 2022; Bogumil et al. 2021). Auch der strenge Sozialdatenschutz setzt dem Behörden-übergreifenden Austausch enge Grenzen (Bogumil und Gräfe 2022). Im Ergebnis werden Daten mehrfach erhoben und Informationslagen nicht zusammengeführt. Außerdem werden Schnittstellen zwischen den Sozialbehörden vor allem über die Klient*innen abgewickelt, indem die Bürger*innen Bescheide der einen Behörde zur nächsten tragen.

Die Schnittstelle zwischen Sozialleistungsträgern und den Jugendämtern ist durch eine simultane Fallbearbeitung gekennzeichnet. Allerdings kann nur in den wenigsten Fällen von einer wechselseitigen Zuarbeit der Ämter gesprochen werden. Vielmehr liegen hier die für Unterflechtungen typischen unkoordinierten Schnittstellen vor, wodurch die Entscheidungen von Jugendamt und Sozialleistungsträgern nicht aufeinander abgestimmt werden.

4.3 Optimierungsstrategien

Schwachstellen, die aus Mängeln der Verflechtungsorganisation resultieren, werden bislang vor allem durch verstärkte Koordination statt durch Zuständigkeitsveränderungen adressiert. Programme von Bund und Ländern zur Adressierung von spezifischen sozialen Problemlagen (z. B. Alleinerziehende, Jugendliche im Übergang Schule-Beruf) fördern daher bestimmte Formen der Kooperation der Träger (Stöbe-Blossey 2016). Ein Beispiel sind die „Jugendberufsagenturen“ als (teils auch räumliche) Bündelung von Zuständigkeiten für den Vollzug der Rechtsbereiche SGB II, III und VIII für Unter-25-Jährige. Die Bündelung soll eine gemeinsame Anlaufstelle für die Zielgruppe, verbesserten Datenaustausch der Behörden und auch eine koordinierte individuelle Förderplanung ermöglichen (Stapf-Finé 2016). Auch einzelne Kommunen versuchen mit eigenen Programmen, die Koordinierung im Vollzug zu verbessern (Rechtskreis-übergreifendes Case-Management).

5 Verwaltungsverflechtung in der Verwaltungsdigitalisierung

5.1 Verflechtungsstruktur

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist ein ambitioniertes Unterfangen, das alle Ebenen im föderalen Bundesstaat und alle Verwaltungssektoren zugleich betrifft. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtete die Verwaltungen bis zum Jahreswechsel 2022/2023, ihre Leistungen digital zugänglich zu machen. Gleichzeitig soll ein Portalverbund geschaffen werden, der den Bürger*innen als einheitlicher Zugang zu allen Verwaltungen dient. Ein solches Vorhaben setzt dabei eine umfangreiche Verflechtung der politisch-administrativen Ebenen sowie unterschiedlichster Politikfelder voraus. Während die daraus resultierenden Koordinationserfordernisse der politischen Ebene beforscht werden (Hustedt und Trein 2020; Lühr 2020), sind die zugehörigen Verflechtungen im Vollzug noch wenig beachtet (Ausnahmen: Gräfe 2024; Krebs und Kohl 2016).

Verwaltungsverflechtungen in der Verwaltungsdigitalisierung werden vor allem in der digitalisierten Aufgabenerbringung offenbar. So geht mit der Digitalisierung, etwa in der Form digitaler Anträge und digitaler Beratung, auch ein Wandel der Vollzugsprozesse einher, der zu Zuständigkeitsveränderungen führt. Verwaltungsdigitalisierung umfasst die Integration von Leistungen der verschiedenen Verwaltungsebenen und -sektoren in übergreifende Online-Portale (Single Digital Gateway), die Umsetzung eines One-Stop-Government und die Vermeidung von Mehrfachdatenerhebungen bei den Bürger*innen (Once Only). Entsprechend bedarf es auch einer Koordinierung der Aufgabenerbringung der Vollzugsbehörden. Konkret sind die nötige organisationale Integration und Interoperabilität von IT-Systemen herzustellen, etwa durch zentralisierte Register, Standardisierung und/oder Clearing-Stellen (Kubicek 2006; Kubicek et al. 2011). Gräfe (2024) weist entsprechend darauf hin, dass mit dem OZG sowohl die horizontale als auch die vertikale Verflechtung von Verwaltungen zugenommen hat.

Grundsätzlich ist aber jede Ebene weiterhin für die Digitalisierung ihrer jeweiligen Verwaltung zuständig. Der Artikel 91c GG sowie das OZG haben diese vormals strikten Zuständigkeitsgrenzen jedoch aufgeweicht. Durch OZG und E‑Government-Gesetze sind alle Verwaltungsebenen heute zur Digitalisierung verpflichtet. Wie sie diese Digitalisierung vollziehen, bleibt der Verwaltungsebene selbst überlassen. Dies gilt insbesondere für die Kommunalverwaltung, welche als Ausdruck ihrer Organisationshoheit über die Nutzung von digitalen Verfahren überwiegend selbst bestimmen kann. Allerdings sind Bund und Länder zunehmend an der Umsetzung kommunaler Verwaltungsdigitalisierung beteiligt, sodass neuerdings umfangreiche vertikale Verflechtungen erkennbar sind (Tab. 3).

Tab. 3 Zuständigkeit in der Verwaltungsdigitalisierung

Im Rahmen der OZG-Umsetzung ist vorgesehen, dass Bund und Länder nach dem Prinzip „Einer für Alle“ (EfA) digitale Leistungen entwickeln, die anschließend deutschlandweit von Kommunen und Ländern nachgenutzt werden sollen (Hustedt und Trein 2020). Entsprechende digitale Verwaltungsleistungen wie digitale Anträge (z. B. auf Wohngeld), Portale (z. B. „Sozialplattform“) sowie IT-Basiskomponenten (insb. Servicekonten zur Authentifizierung der Bürger*innen) werden dabei von Bund oder Ländern entwickelt und betrieben. Für die Vollzugsprozesse hat dies zur Folge, dass nicht mehr nur z. B. das kommunale Fachamt für die Fallbearbeitung zuständig ist, sondern dass Teilprozesse wie die Identitätsprüfung, die Rechnungsstellung oder auch die Entscheidung über die Antragsberechtigung von Landes-IT-Einrichtungen durchgeführt werden („funktionale Verschränkung“, Gräfe 2024).

Diese Bereitstellung von digitalen Verwaltungsleistungen ist von einer hohen Verflechtungsdichte geprägt, da explizit an der föderalen Aufgabenteilung festgehalten wird. So sind zahlreiche autonome Akteure der Bundes‑, Landes- und Kommunalebenen in die Digitalisierung involviert und beeinflussen wechselseitig das Ergebnis der Verwaltungsdigitalisierung im Bundesstaat. Das Ziel eines bundesweit flächendeckenden und im Portalverbund verflochtenen digitalen Leistungsvollzugs kann per Definition nur erfüllt werden, wenn sich alle Vollzugsverwaltungen koordinieren und damit eine gewisse Einheitlichkeit ermöglichen. Gerade über die EfA-Leistungen, Online-Portale, IT-Basiskomponenten sowie zentralen Register besteht eine vertikale Abhängigkeitsstruktur zwischen den Vollzugsbehörden und den höheren Ebenen. Doch auch horizontal sind die Verwaltungen interdependent, da beispielsweise die ausbleibende Partizipation von Kommunen an Online-Portalen wiederum Einfluss auf Kostenstrukturen oder auch Verhandlungsmacht hat. Außerdem bestehen vielfältige interkommunale Verflechtungen über gemeinsame IT-Zweckverbände, Rechenzentren sowie Shared Service Center. Im Ergebnis besteht somit ein riesiges Netzwerk von interdependenten, aber autonom handelnden Akteuren. Davon zu unterscheiden ist allerdings die Verflechtungsorganisation, die sich durch zahlreiche Probleme der Unterflechtung auszeichnet, da viele der strukturellen Interdependenzen, insbesondere die horizontalen, nicht oder unzureichend organisiert sind.Footnote 5

Statt eines zentralen Regierungsportals nach estnischem Vorbild besteht beispielsweise ein Nebeneinander unterschiedlicher Online-Portale, die in erster Linie auf Leistungen und Einzelportale verlinken, die an den unterschiedlichsten Orten der Republik gehostet werden. In die digitale Erbringung einer einzelnen Verwaltungsleistung können somit mehrere Bundesländer, überregional verteilte Verwaltungen und IT-Dienstleister gleichzeitig involviert sein, ohne dass diese immer hinreichend aufeinander abgestimmt wären. Hier zeigt sich also eine strukturelle Unterflechtung. Symptomatisch für eine unzureichende Verflechtungsorganisation sind auch jene Fälle, wo verschiedene Länder (teils aber auch die Kommunen selbst sowie private IT-Dienstleister) gleiche digitale Leistungen anbieten (z. B. beim digitalen Bauantrag, vgl. Gräfe 2024). Viele Leistungen, die von einem Bundesland nach dem EfA-Prinzip entwickelt und durch Bundesmittel finanziert wurden, werden nicht von allen, teils auch nur von sehr wenigen Bundesländern nachgenutzt. Mit dem Familienportal des Bundesfamilienministeriums, dem Familienportal.NRW und der Sozialplattform zeigt sich zudem eine Überlappung von Portalen. Hier liegt eine Schwäche des Koordinationsansatzes, da keine Verbindlichkeit zur Nachnutzung besteht. Hintergründe hierfür sind aber nicht nur wirtschaftliche und politische Interessen sowie Eigeninteressen der zuständigen Ressorts, sondern auch mangelnde Passfähigkeit von EfA-Lösungen aufgrund rechtlicher Unterschiede etwa der Landesbauordnungen.

Die Zuständigkeitsverteilung bedingt aber auch, dass die Kommunen für die IT-Organisation der ihnen übertragenen Vollzugsaufgaben eigenverantwortlich sind. Insofern gibt es nicht nur auf der Seite der Anbieter*innen von digitalen Leistungen eine große Akteursdichte, gleichzeitig sind die Kommunen jede für sich mit der Digitalisierung beschäftigt und dabei nur wenig koordiniert. Programme der Verflechtungsorganisation zwischen Land und Kommunen, darunter der „Portalverbund.NRW“ und Baden-Württembergs „Service-BW“ (Engel 2021; Krebs und Kohl 2016), konnten bislang die Unterflechtung in der digitalen kommunalen Aufgabenerbringung nur abmildern, nicht aufheben (siehe ausführlich Gräfe 2024).

Die hohe Verflechtungsdichte bewirkt jedoch auch höhere Koordinationskosten dort, wo für die digitale Leistungserbringung gleich mehrere IT-Anbieter und Verwaltungen, möglicherweise noch aus mehreren Bundesländern, organisational eingebunden werden müssen (Überflechtung). So haben die kommunalen Ämter gleich mit einer Vielzahl von Softwares sowie Portalen unterschiedlicher Hersteller zu tun, was zu erheblichem Koordinierungsaufwand im Betrieb, aber auch zu Schnittstellenproblemen wie Medienbrüchen und Inkompatibilitäten führt (Gräfe 2024).

5.2 Schnittstellenbearbeitung

Die beschriebene Neuverflechtung führt zur Entstehung neuer Schnittstellen zwischen Akteuren, die erstmals interagieren müssen. Beim digitalen Wohngeld-Antrag, der z. B. von einem nordrhein-westfälischen Sozialamt angeboten wird, bestehen insofern Schnittstellen vom Fachamt und dem kommunalen Rechenzentrum zum NRW-Landesportal, zur Datenclearingstelle NRW sowie zum IT-Dienstleister von Schleswig-Holstein (Bogumil und Gräfe 2022). Für die Kommune stellt sich somit die Herausforderung, für die technische Anbindung und Zertifikate zu sorgen sowie notwendige Verträge abzuschließen.

In der digitalen Aufgabenerbringung ist das Frontoffice ausgelagert, Front- und Backoffice müssen aber simultan einen Fall bearbeiten können. Häufiges Problem sind Medienbrüche, wenn die Daten aus den Online-Formularen nicht direkt in die internen Verfahren eingelesen werden können. Dann ist eine erneute Datenerfassung durch Einscannen oder Abtippen notwendig, was zu Zeitverlusten und ggf. Übertragungsfehlern führt. Auch die Distanz zwischen der Vollzugsbehörde und den Online-Portalen führt in einigen Fällen zu Problemen. So haben die einzelnen Kommunen keinen Einfluss auf die Formulare, um diese z. B. an eigene Bedürfnisse anzupassen. Auch kann das Fachamt häufig keinen Einblick in die Vorgänge auf der Kundenseite nehmen. So bekommt die Verwaltung oft erst sehr spät mit, wenn Funktionen des Portals nicht funktionieren, und auch Bürgerbeschwerden können nur unzureichend nachvollzogen werden (Gräfe 2024).

Digitalisierung kann jedoch auch die Bearbeitung von Schnittstellen verbessern. Einige digitale Leistungen wie der digitale Bauantrag aus Mecklenburg-Vorpommern ermöglichen die vollständig digitale Abwicklung der Beteiligung der weiteren im Baugenehmigungsverfahren verflochtenen Verwaltungen. Dadurch können Postwege eingespart und Echtzeitdatenlagen geschaffen werden. Die umfassende Digitalisierung dieser internen Schnittstellen ist allerdings bislang noch die Ausnahme.

5.3 Optimierungsstrategien

Als Reaktion auf die Koordinationsprobleme in der digitalen Aufgabenerbringung sind einige Maßnahmen der Verflechtungsoptimierung entwickelt worden. Im Rahmen des Föderalen Informationsmanagements (FIM) werden Informationen zu Verwaltungsleistungen, die aus Bundesrecht resultieren, in Stamminformationen und Referenzprozessen zusammengefasst und redaktionell aufbereitet. Damit sollen die Vollzugsprozesse zumindest in ihrer digitalen Umsetzung vereinheitlicht und die Implementierung erleichtert werden. Gleichzeitig wird im Leistungskatalog LeiKa eine Katalogisierung aller Verwaltungsleistungen vorgenommen. Beide Optimierungsmaßnahmen verfolgen also eine Harmonisierung von Informationen und Prozessen, die jedoch auf eine freiwillige Annahme durch die Kommunen und Länder sowie umsetzende IT-Dienstleister setzt. Eine verbindliche Standardisierung von Datenstrukturen erfolgt indes durch den IT-Planungsrat, der mit den XÖV-Standards die Interoperabilität der IT-Umsetzung gewährleisten will (Döring und Noack 2020). Die Standardisierung von Datenformaten ist als Reaktion auf die große Heterogenität der kommunalen IT-Landschaft zu sehen.

Bedeutsam ist die Bereitstellung bestimmter IT-Basiskomponenten durch die Länder und den Bund, darunter die Servicekonten zur Authentifizierung, Postfachfunktionen und Module zur elektronischen Bezahlung (Martini und Wiesner 2019, S. 641). Diese Komponenten werden in den OZG-Entwicklungen verwendet und stellen damit ein verbindendes (harmonisierendes) Element der digitalen Aufgabenerbringung dar. Vor allem die Vereinheitlichung des Logins für Bürger*innen über die interoperablen Servicekonten soll dem Chaos konkurrierender digitaler Zugänge entgegenwirken.

Den auf Unterflechtung zurückzuführenden Problemen wird zudem mit den „Digitalisierungslaboren“ begegnet (Bünzow 2021). Nach dieser Methode werden OZG-Leistungen gemeinsam von Ministerien, IT-Dienstleistern, ausgewählten Kommunen und unter Einbeziehung der Nutzer*innen-Perspektive entwickelt. So sollen Schnittstellenprobleme früh erkannt und vermieden werden.

6 Diskussion

In allen drei untersuchten Verwaltungsbereichen sind Verflechtungsprobleme deutlich geworden, die sowohl in der Verflechtungsstruktur als auch der Schnittstellenbearbeitung angelegt sind (Tab. 4).

Tab. 4 Verwaltungsverflechtung im Vergleich

Defizite der Verflechtungsstruktur sind in allen drei Untersuchungsfeldern festzustellen. Die kommunale Sozialverwaltung offenbart dabei in ihrem Kernbereich, der Sozialleistungserbringung, eine gravierende Unterflechtung, bei der es ganz an einer Organisation der Mehrfachzuständigkeit fehlt. Vielmehr ist die Sozialleistungserbringung im Rahmen der Vorrang-Nachrang-Regeln auf eine sektorale Einfachzuständigkeit ausgerichtet, die aber in der Realität u. a. aufgrund biografischer Übergänge ihrer Klient*innen gar nicht besteht. Auch der Querschnittsbereich Integration mit seiner hoch komplexen Verflechtungsdichte ist unterflochten, weil die hier dominierenden Akteure erstens formal anderen Politikfeldern angehören (z. B. Bildungseinrichtungen) und zweitens freiwillige Aufgaben und Programme von Kommunen und Ländern die Landschaft prägen. Demgegenüber gibt es im Bereich Asylverfahren und Aufenthaltsrecht zumindest formalisierte Verfahren, welche die Mehrfachzuständigkeit von BAMF und kommunalen Ämtern organisieren sollen. Auch in der Verwaltungsdigitalisierung sind mit der OZG-Umsetzung nach dem EfA-Prinzip und durch Dienstleistungsverträge Kooperationen zwischen den Verwaltungen institutionalisiert. Dennoch ergeben sich strukturelle Defizite, die bei der Digitalisierung aus der fehlenden Verbindlichkeit und beim Asylverfahren aus der umständlichen Mehrebenenkoordination (Überflechtung) resultieren.

In der Schnittstellenbearbeitung identifizieren wir drei wesentliche Defizittypen. Unkoordinierte Schnittstellen prägen den Verwaltungs-Output in der kommunalen Sozialverwaltung, aber auch im Kontext von Migrationsberatung, Integrationsförderprogrammen sowie konkurrierenden Online-Portalen. Hier fehlt es vollständig an institutionalisiertem Austausch, weil die Verflechtungsorganisation (Unterflechtung) einen solchen nicht hergibt. Bisherige Optimierungsstrategien konzentrieren sich daher vor allem auf die Bündelung, um doch noch koordinierte Schnittstellen zu schaffen. Der zweite Defizittyp betrachtet die zeitliche Abhängigkeit von Vorleistungen, wie wir sie bei den sukzessiv bearbeiteten Schnittstellen zum BAMF gesehen haben. Eine Optimierungsstrategie hierzu wäre daher, sofern möglich, der Übergang zu simultanen Bearbeitungsformen. Als Gegenstück sehen wir die Defizite durch Abhängigkeit von gemeinsamen Ressourcen, wenn also im Kontext simultaner Schnittstellenbearbeitung der Zugriff auf gemeinsame Informationsressourcen Probleme bereitet, etwa durch Medienbrüche bei digitalen Anträgen oder auch mangelhafte Datenqualität im Ausländerzentralregister.

Die hier formulierten Defizittypen sind nicht notwendigerweise abschließend, sondern ergeben sich aus der Analyse der in diesem Beitrag betrachteten drei Verwaltungsbereiche. Insofern besteht die Notwendigkeit weiterer Forschung, die auch andere Verwaltungsbereiche systematisch im Hinblick auf Verflechtungsstruktur und Schnittstellen untersucht. Es stellt sich die Frage, ob die in Leistungsverwaltungen und Querschnittsfeldern identifizierten Problemlagen z. B. auch in Ordnungsverwaltungen in dem Ausmaß auftreten.

Grundsätzlich verdeutlichen die Analysen, dass wir es bei den Verwaltungsverflechtungen im Vollzugshandeln im Bundesstaat mit einem Phänomen zu tun haben, das sich von der besser beforschten Politikverflechtung unterscheidet. Mit der systematischen Betrachtung von Verflechtungsstrukturen und Schnittstellen konnten wir spezifische Koordinationsprobleme identifizieren und diese auf dahinterliegende strukturelle Bedingungen der Zuständigkeitsverteilung und die Ausgestaltung der Interaktion zurückführen.

Deutlich wird, dass als Folge gesetzlich vorgegebener Zuständigkeiten in allen Politikfeldern Merkmale von Überflechtung, Unterflechtung und Schnittstellenprobleme anzutreffen sind. Über- und Unterflechtung schließen sich dabei keineswegs aus, sondern sind im Gegenteil häufig zugleich anzutreffen. Unterflechtungserscheinungen waren in den drei Fallstudien allerdings häufiger zu beobachten als Überflechtung, wobei dieses Ergebnis auch der Fallauswahl geschuldet sein kann und daher erneut auf weiteren Forschungsbedarf hinweist. Die Unterscheidung von Defizittypen der Verwaltungsverflechtung ist indes wichtig, da mögliche Optimierungsmaßnahmen von der Problemdiagnose abhängen. In der Regel gelingt es bei den Überflechtungsproblemen nicht, zu Entflechtungen zu kommen, da hier organisatorische Eigeninteressen (z. B. im BAMF), etwa in der Abwehr eines drohenden Verlusts von Zuständigkeiten, entgegenstehen. Zudem sind Zuständigkeitsveränderungen zwischen den Verwaltungsebenen, wenn sie überhaupt zustande kommen, oftmals komplexe Aushandlungsprozesse. Selbst die weicheren „Optimierungsoptionen“ wie Harmonisierungen und Standardisierungen (z. B. von IT-Schnittstellen) sowie die Steuerung über Förderprogramme erfordern umfangreiche Abstimmungsprozesse im Bundesstaat. Denn in diesen Fällen, wo die Verflechtungsorganisation reformiert werden soll, bewegen wir uns vom Feld des Verwaltungsvollzugs in jenes der Politikformulierung, die wie eingangs beschrieben mit ihren eigenen Logiken und Herausforderungen (etwa der Politikverflechtung) einhergeht.

Häufiger anzutreffen sind daher verschiedenste Koordinationsmaßnahmen zur Begegnung von strukturellen Unterflechtungen und bei Schnittstellenproblemen. Vielfach wird hier auf Bündelungsmaßnahmen gesetzt, die durch räumliche, organisatorische, personelle oder perspektivisch auch digitale (Registermodernisierung) Zusammenfassung besseren Datenaustausch und bessere Kommunikation gewährleisten sollen. Aber auch hier sind Reformen nicht selbstverständlich, denn insbesondere bei der Unterflechtung fehlt in der Regel eine zuständige Stelle, die sich für Koordination verantwortlich fühlt. Auch Modelle der (verbindlichen) Federführerschaft sind so kaum vorzufinden. Nötig wären also in einigen Fällen auch hierarchisierende Maßnahmen, um Standards zu setzen und Harmonisierung (z. B. durch anreizsetzende Programme) zu fördern. Auch die Bereitschaft der Verwaltungen zur wechselseitigen Anpassung müsste gefördert werden. Deutlich wird in allen untersuchten Verwaltungsbereichen jedoch, dass die dominante Logik des Verwaltungshandelns trotz aller Appelle zu mehr Koordination zunächst immer die Orientierung an Zuständigkeitsfragen und häufig damit verbunden an organisationalen Eigeninteressen ist. Diese Logik behindert umfassende Reformbemühungen beträchtlich.

Zusammenfassend hoffen wir deutlich gemacht zu haben, dass mit dem Konzept der Verwaltungsverflechtung Fragen der Verwaltungskoordination im Verwaltungsvollzug in einen systematischen Zusammenhang hinsichtlich der Problemlagen in der Zusammenarbeit innerhalb und zwischen Verwaltungen gebracht werden können. Als Analysekonzept eignet es sich zur weiteren Untersuchung von Zuständigkeitsverteilungen und insbesondere von Schnittstellenproblemen. Deutlich wird auch, dass grundlegende Veränderungen vor allem durch Zuständigkeitsreformen in einigen Fällen angebracht wären, diese aber ähnlich wie bei der Politikverflechtung schwer durchzusetzen sind.