Debatten zur Zukunft politikwissenschaftlicher Hochschullehre: Einleitung

Sonja Blum, Lasse Cronqvist

Lehre in und nach der Pandemie, Digitalisierung, Umgang mit ChatGPT und prüfungsrechtliche Fragen – aktuell besteht kein Mangel an Debatten rund um die politikwissenschaftliche Hochschullehre, die unsere Disziplin stark beschäftigen. Der Arbeitskreis Hochschullehre in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft möchte zusammen mit dem Vorstand der DVPW das Forum der Politischen Vierteljahresschrift zur Diskussion ausgewählter Aspekte der Lehre nutzen. Dabei konzentriert sich dieser Debattenbeitrag auf zwei Fragen, die bereits länger Gegenstand von inneruniversitären Diskursen sind, und auch im öffentlichen Diskurs über die Anforderungen an moderne Universitäten immer wieder thematisiert werden: Wer lehrt und Wie wird gelehrt?

Aus unserer Sicht sprechen mehrere Gründe dafür, zunächst diese beiden Fragen näher zu beleuchten. Erstens werden sie unter Lehrenden in der Politikwissenschaft intensiv diskutiert und kommen z. B. auf Veranstaltungen des Arbeitskreises Hochschullehre in der DVPW regelmäßig auf. Insofern passen die Fragen zum Format der Debatten, mit dem die PVS eine Möglichkeit bietet, aktuelle politische Entwicklungen und/oder Entwicklungen im Fach Politikwissenschaft wissenschaftlich aufzuarbeiten und wissenschaftliche Kontroversen anzustoßen oder auszutragen. Zweitens ergeben sich so die Möglichkeiten, auch Aspekte an den Schnittstellen beider Fragen auszuleuchten, die sich aus den unterschiedlichen Perspektiven der Autor*innen zu zwei ausgewählten Debattierpunkten ergeben.

Die universitäre Lehre teilt die Beschleunigung des sozialen Wandels. Durch die technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben an einigen Stellen große, teilweise disruptive Veränderungen an den Universitäten stattgefunden, die nicht nur die Bedeutung unterschiedlicher Lehrformate betreffen, sondern gleichsam die Anforderungen an universitäre Stellenprofile. Einen zusätzlichen Schub bekam die Diskussion z. B. zur breiteren Einführung digitaler Lehrveranstaltungen durch die Auswirkungen der Coronapandemie (vgl. exemplarisch: Lambach 2021). Diese wirkte sich auf den Lehrbetrieb über mehrere Semester massiv aus, musste die Präsenzlehre doch eingestellt und abrupt auf digitale Formate gewechselt werden. An anderen Stellen zeigt sich die Lehre an den Universitäten allerdings erstaunlich änderungsresistent. So haben z. B. große Vorlesungen trotz Zweifeln an der Sinnhaftigkeit ihre Stellung als tragendes Lehrformat behaupten können.

Vor diesem Hintergrund unterzieht unser erster Debattierpunkt den Veranstaltungstypus Vorlesung einer kritischen Betrachtung. Inwiefern kann diese Art der Lehre heute noch als zeitgemäß betrachtet werden? Daniel Lambach plädiert für die Abschaffung des Vorlesungsformats, während Hendrik W. Ohnesorge und Manuel Becker in der klassischen Pro-und-contra-Debatte für das Format Position beziehen. Doch zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Lehre gehört nicht nur die Wahl von geeigneten Lehrformen, auch müssen für die Lehrenden ausreichend Zeitkapazitäten zur Verfügung stehen, um diese Lehrformate dann entsprechend vorzubereiten. Der zweite Debattierpunkt Wer lehrt eigentlich wie und unter welchen Bedingungen an Universitäten greift diese Frage auf, und beleuchtet die sehr heterogene Aufgabenverteilung an den Universitäten auch in Bezug zur Lehre. Julia Schwanholz beschäftigt sich zunächst aus deutscher Perspektive mit dieser Frage, und konstatiert eine in vielen Aspekten „unbekannte“ Situation in der Lehre. Ergänzend und kontrastierend tritt daher die vergleichende Perspektive hinzu: Katharina Glaab und Stephan Engelkamp präsentieren eine Außenperspektive auf die politikwissenschaftliche Hochschullehre in Deutschland. Das ist nicht zuletzt deshalb interessant, da nicht wenige Lehrende aufgrund der strukturellen Rahmenbedingungen das deutsche Wissenschaftssystem verlassen. Beide Debattenbeiträge greifen dabei das Spannungsverhältnis zwischen Lehre und Forschung im Arbeitsalltag der Beschäftigten an Hochschulen auf.

Im Folgenden fassen wir die Hauptargumente der vier Debattenbeiträge kurz zusammen und diskutieren im Anschluss einige Aspekte, die sich aus der Zusammenschau ergeben.

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    Die Debattenbeiträge

Lambach argumentiert, die Vorlesung als klassisches Format der Hochschullehre sei demotivierend und – insbesondere angesichts der notwendigen Kompetenzen zukünftiger Politikwissenschaftlicher*innen – als Form der Wissensvermittlung schlichtweg ungeeignet. Aufbauend auf Befunde aus der Lehr-Lern-Forschung sieht er kaum Möglichkeiten dazu, Vorlesungen sinnstiftend in die Lehre einzubinden. Durch den Mangel an Interaktion würden weder Studierende angeregt, über die Inhalte der Lehrveranstaltung nachzudenken, noch hätten sie die Möglichkeit, eine Rückmeldung über ihren Lernfortschritt zu bekommen. Wenn denn Vorlesungen aufgrund von kapazitätsbezogenen Überlegungen gar nicht zu vermeiden seien, so Lambach, dann sollten zumindest aktivierende Formen der Gestaltung zur Geltung kommen. Auch eine Lehrveranstaltung mit über 100 Teilnehmenden könne so umgebaut werden, dass interaktive Elemente nicht nur als kurzes „Gimmick“ eingebaut werden. Vielmehr sollten im Rahmen einer Vorlesungssitzung kurze Lehrinputs seitens der bzw. des Lehrenden mit längeren Phasen des aktiven Lernens z. B. eines inverted classroom kombiniert werden. Eine Vorlesung dürfe somit nicht mit einem Lehrvortrag gleichgesetzt werden. Allerdings sieht Lambach auch die insofern veränderte Vorlesung nur als eine kapazitär bedingte Notwendigkeit an.

Ohnesorge und Becker hingegen klassifizieren die Vorlesung als „das schlagende Herz des Universitätslebens“, prägen doch diese vor großem Publikum gehaltenen Veranstaltungen das öffentliche Bild der Alma Mater genauso wie die Hörsäle, in denen sie stattfinden. Die Autoren widersprechen der Auffassung, dass Vorlesungen nicht mit einem modernen Verständnis von Hochschullehre vereinbar seien. Zwar können neue Technologien als didaktische Ergänzungen zur besseren Gestaltung hinzugezogen werden, gerade aber bei der strukturierten Vermittlung von Grundlagenwissen finde diese Art der Veranstaltung weiterhin ihren Platz in der universitären Lehre. Dabei sehen die Autoren durchaus die Möglichkeit, durch Vorlesungen kritische Auseinandersetzungen mit dem Gegenstand der Lehrveranstaltungen zu fördern. Auch gelinge es, mit dieser Art der Massenveranstaltung ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln, da die Anwesenheit die Studierenden am universitären Leben teilhaben lässt und somit identitätsstiftend wirke.

Sowohl Vorlesungen in geeigneter didaktischer Vorbereitung als auch alternative Lehrformate erfordern hohe Zeitkapazitäten in der Durchführung sowie Vor- und Nachbereitung. Welche Schlüsse lassen sich aus der Innen- und Außenperspektive hier hinsichtlich der Bedingungen der politikwissenschaftlich Lehrenden in Deutschland ziehen? Bei dieser Betrachtung lohnt sich auch ein Blick auf die Situation an Universitäten außerhalb der Bundesrepublik. Lehrkulturen unterscheiden sich international genauso wie die inneruniversitären Strukturen, und Lehrende finden somit vor Ort unterschiedliche Rahmenbedingungen vor, welche sich auf das Spannungsverhältnis zwischen Lehre und Forschung auswirken. Die folgenden Debattenbeiträge greifen dieses Spannungsverhältnis im Arbeitsalltag der Beschäftigten an Hochschulen auf. Schwanholz betont, dass die Qualifikation innerhalb des Wissenschaftsbetriebs weiterhin vor allem über die Forschungsleistung erfolge und weniger die nachgewiesene Lehrqualität betrachtet werde. Daher würden – gerade auf Qualifikationsstellen – im Zweifel zeitliche Ressourcen nicht in die Sicherstellung von hochwertigen Lehrangeboten eingebracht. Wie kann aber erreicht werden, dass die zukünftige Stellenstruktur an den Hochschulen in Deutschland sich förderlich auf die Qualität der Lehre auswirkt? Schwanholz wirft in ihrem Aufsatz einen kritischen Blick auf die Ausweitung von Lehrprofessuren und diskutiert Möglichkeiten, die Bemessung von Lehrdeputaten anzupassen und universitäre Organisation hin zu Department-Strukturen umzubauen, um eine flexiblere Gestaltung von Lehrangeboten zu erreichen.

Die international festzustellenden Unterschiede in der Lehrbelastung von Dozierenden sowie der Aufbau der Universitäten stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Glaab und Engelkamp. Aus der Sicht von zwei im Ausland tätigen Lehrenden verweisen sie darauf, dass zur Sicherung guter Lehre nicht nur das zu erbringende Lehrdeputat deutlich geringer sein müsse. Vielmehr sei es ebenfalls wichtig, dass die Lehrveranstaltungen stärker in Evaluierungsprozesse sowohl in der Vorbereitung wie in der Prüfungsphase eingebunden werden. Dies sei aufgrund des damit verbundenen Zeitaufwands nur möglich, wenn sich die Lehrenden auf entsprechend weniger Kurse konzentrieren können.

Glaab und Engelkamp sehen dabei ein Hauptproblem, das der Qualität von Veranstaltungen an deutschen Universitäten abträglich sei, in der hohen Lehrbelastung der Dozierenden. Dieses führe in Kombination mit der ebenfalls von Schwanholz diskutierten geringen Motivation, übermäßig in die Lehre zu investieren dazu, dass „pragmatisch“ vorgegangen und weniger Zeit in die Neugestaltung von Lehrveranstaltungen und intensive Begleitung von Studierenden investiert werde. Unter Berücksichtigung eigener Erfahrungen im norwegischen und britischen Universitätssystem werden von Glaab und Engelkamp die Vorteile des Department-Systems dargelegt. Durch die flachere Hierarchie sei eine breitere Verteilung der Aufgaben auf mehr (unbefristet eingestelltes) wissenschaftliches Personal möglich, welches bei einer geringeren Lehrbelastung zu höherer Qualität der Lehre führen könne. Dabei wird aber betont, dass die Existenz solcher Strukturen allein keine besseren Ergebnisse hervorbringe, sondern andere (auch politisch bedingte) Faktoren ebenfalls negativen Einfluss haben können.

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    Ausblick

Gemeinsam ist allen vier Beiträgen in diesem Debattenbeitrag, dass sie grundlegende strukturelle Fragen zur Zukunft (nicht nur) der politikwissenschaftlichen Hochschullehre in Deutschland in den Blick nehmen. Bei aller Streitbarkeit und allem Gegensatz der Positionen von Lambach sowie Ohnesorge und Becker bilden sich in der Zusammenschau doch auch Schnittmengen heraus. Zwar wird der Vorlesung strukturell eine komplett unterschiedliche Rolle zugesprochen – zwischen einer bestenfalls Notlösung in adaptierter Form einerseits und dem Herzstück der universitären Lehre andererseits. Doch auch Ohnesorge und Becker stimmen zu, dass Vorlesungen heute kein frontaler Vortragsmonolog bleiben können, sondern interaktive Elemente gewinnbringend einbeziehen sollten. All dies benötigt zusätzliches Wissen, Zeit und Ressourcen. Debatten um politikwissenschaftliche Hochschullehre in Deutschland daher zu stark auf die Tool-Ebene zu fokussieren, blendet die Grundlagen der Qualitätsverbesserungen aus: Zu häufig werden Lehrveranstaltungsformen als Monolithe diskutiert, dabei wäre es sinnvoll zu prüfen, inwieweit Lehrkonzepte zur Stärkung der studentischen Kompetenzentwicklung beitragen können, die diese scharfe Trennung verschiedener Lehrveranstaltungstypen überwinden, welche nicht zuletzt auch durch den stark gestiegenen Formalisierungsgrad akkreditierter Studiengänge verfestigt worden ist. Eine solche Flexibilisierung würde neben organisatorischen Fragen der Studienorganisation allerdings auch veränderte Anforderungen an die Lehrenden stellen. Gerade angesichts der aktuell in den Mittelpunkt gerückten Strukturfragen des deutschen Wissenschaftssystems sollte daher auch die Lehre stets mitgedacht und mitdiskutiert werden, wie Schwanholz argumentiert. Glaab und Engelkamp zeigen, welche Inspirationen hier durch den Blick auf benachbarte Wissenschaftssysteme möglich sind, die der Qualität der Lehre deutlich höheren Stellenwert einräumen.

Schafft Vorlesungen ab: Für eine evidenzbasierte Didaktik im Hörsaal

Daniel Lambach

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    Einführung

Wir erwarten von der Politik, sie möge evidenzbasiert vorgehen. Warum richten wir dieselbe Erwartung nicht auch an die politikwissenschaftliche Hochschullehre? Dann würden nämlich gewichtige Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Vorlesungen entstehen, einem in der Politikwissenschaft sehr weit verbreiteten Lehrformat. In manchen Studiengängen mit hohen Studierendenzahlen, insbesondere im Bachelor- und Lehramtbereich, machen Vorlesungen ein Drittel bis zur Hälfte aller Lehrveranstaltungen aus, die Studierende im Rahmen ihres Studiums besuchen. In didaktischer Hinsicht haben Vorlesungen jedoch gravierende Schwächen. Im klassischen Lehrvortrag können Studierende leicht den Anschluss verlieren, die beständige Konzentration über bis zu 90 Minuten fällt schwer und Lehrende bekommen keine Rückmeldung über den Verständnisgrad der Studierenden. Diese Kritik ist nicht neu. Schon vor über einem Jahrhundert kritisierte der Ökonom Charles Persons die Vorlesung als „thought-deadening business of receiving and recording another’s thoughts, which might better first be read from a printed page and discussed later in the class-room“ (Persons 1916, S. 96). Im ersten Teil des Textes werde ich diese Kritik mit Evidenz aus der Lehr-Lern-Forschung unterfüttern, um dann im zweiten Teil Möglichkeiten zur Verbesserung zu benennen. Um den Kernpunkt vorwegzunehmen und die Begrifflichkeiten zu klären: die Vorlesung als Veranstaltungsform ist nur dann zu retten, je weniger sie eine Vorlesung im Sinne eines reinen Lehrvortrags wird.

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    Gegen die Vorlesung

Unsere Lehrmethoden sollten sich an den Lehrzielen orientieren (constructive alignment, vgl. Biggs und Tang 2011). Wenn ich möchte, dass Studierende lernen, kritisch zu denken und komplexe Sachverhalte zu analysieren, dann sollten sie Gelegenheit bekommen, dies im Rahmen der Lehrveranstaltung zu üben. Oder in den Worten Blighs (1998, S. 10): „[I]f students are to learn to think, they must be placed in situations where they have to do so.“ Außerdem müssen Studierende Rückmeldungen über ihren Lernfortschritt erhalten (Hattie 2009). Für beides ist der Lehrvortrag, in dem die Lehrenden Wissensbestände an passive Zuhörer*innen vermitteln, ungeeignet.

Die Lehr-Lern-Forschung zeichnet ein düsteres Bild der Effektivität von vortragsbasierten Lehrformaten:

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    Prüfungsergebnisse und Lernfortschritt sind schlechter als bei aktivem Lernen. Eine Metastudie von 225 Untersuchungen fand im Vergleich einen signifikant positiven Effekt von aktiven Lehr-Lern-Methoden auf Prüfungsergebnisse; auch die Häufigkeit von Nichtbestehen wurde dadurch signifikant verringert (Freeman et al. 2014). Besonders beim Erwerb anspruchsvoller kognitiver Kompetenzen haben aktive Lernmethoden Vorteile (Goerres et al. 2015; Roehling 2018).

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    Das in Vorlesungen erworbene Wissen haftet nicht. Wenn man Wissensbestände nicht sofort anwendet oder wiederholt, ist nach einem Tag schon mehr als die Hälfte wieder vergessen, nach nur einer Woche sogar mehr als 75 % (Bligh 1998; Deslauriers et al. 2011).

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    Aktives Lernen ist wirksamer bei der Vermittlung von Schlüsselkompetenzen und metakognitiven Fähigkeiten, z. B. des selbstgesteuerten Lernens (Talbert 2017).

  4. 4.

    In aktivierenden Formaten sind Studierende engagierter, ganz gleich ob man dies über das Interesse der Teilnehmenden misst, ihre Zeitinvestition oder ihre Bewertung des Kurses (Roehling 2018).

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    Studierende überschätzen die Wirksamkeit von Vorlesungen. In einem randomisierten Versuch stellten Deslauriers et al. (2019) fest, dass Studierende in einer traditionellen Vorlesung weniger lernten als in einem aktivierenden Setting gleichen Inhalts, ihren Lernfortschritt aber als größer einschätzten.

Neben diesen wirkungsbezogenen Argumenten hat auch die Vorlesung als Sozialform ihre Schwachpunkte. Zum einen zementiert sie hierarchische Rollenverteilungen, in denen die Lehrenden die einzige Quelle der Weisheit sind, was die Erkenntnisse jahrzehntelanger konstruktivistischer Bildungsforschung ignoriert (Perry 1970) und die Entwicklung von Demokratiekompetenz hemmt (Lambach 2017). Gerade für ein Fach wie die Politikwissenschaft, die ein sehr pluralistisches Wahrheitsverständnis hat, ist diese Annahme problematisch (Kärger und Lambach 2016). Zum anderen verhindert das Vorlesungsformat die soziale Interaktion der Studierenden untereinander. Man kann ein ganzes Semester eine Vorlesung hören, ohne seine Sitznachbar*innen kennenzulernen. Dabei hat uns gerade die soziale Isolation während der Coronapandemie gezeigt, wie wichtig das Miteinander-Lernen für das Wohlbefinden unserer Studierenden sein kann.

Kurz gesagt: Die Vorlesung in ihrer traditionellen Form als 90-minütiger Lehrvortrag, als Vor-Lesung im wortwörtlichen Sinne, ist ein Anachronismus, wie auch Ohnesorge und Becker in diesem Forum einräumen. Sie ist in ihrer Wirkung ineffektiv und in sozialer Hinsicht defizitär. Überdies finde ich traditionalistische Argumente nicht überzeugend, dass die Vorlesung in irgendeiner Weise zu Kultur und Habitus der Universität gehöre (siehe den Beitrag von Ohnesorge und Becker). Gleiches gilt für die Behauptung, es sei eine wichtige, ja unerlässliche Fähigkeit, einem 90-minütigen Vortrag konzentriert zuzuhören (z. B. bei Enders 2020) – für welches Szenario außerhalb der universitären Vorlesung soll diese Fähigkeit wichtig sein? Die wichtigsten Kompetenzen für ihr Leben und ihre Arbeit erwerben Studierende durch Anwendung und Übung, für die im Vorlesungsrahmen typischerweise wenig Zeit bleiben. Das einzig gültige Argument für die Vorlesung ist pragmatisch-kapazitär. In vielen politikwissenschaftlichen Instituten werden die Einführungsvorlesungen für 100–400 Studierende einfach als unausweichlich akzeptiert, weil man die jährliche Kohorte anders nicht betreut bekommt (siehe den Beitrag von Schwanholz).

  1. 3.

    Vorlesungen sinnvoll umbauen

Wenn man am Format des Lehrvortrags festhalten möchte, dann sollte man allermindestens versuchen, diesen möglichst lernfreundlich zu gestalten. Das bloße Ablesen von Buchtexten ist zum Glück aus der Mode gekommen, aber auch in punkto Vortragsstil, Körpersprache und Informationsgehalt kann man vieles besser machen. Ratschläge zur Strukturierung findet man beispielsweise bei Bligh (1998) und Enders (2020). Aus meiner Sicht ist jedoch ein besserer Lehrvortrag didaktisch immer noch nicht ausreichend. Eine Vorlesung wird umso wirksamer, je weniger sie ein reiner Frontalvortrag ist und je mehr sie durch interaktive, aktivierende Elemente aufgelockert wird. Analysieren, Argumentieren, Kritisieren und Synthetisieren von Wissen lernt man nicht durch passives Zuhören, sondern durch einen aktiven Umgang mit dem im Vortrag vermittelten Wissen. Aktives Lernen bedeutet, dass Studierende an ihrem eigenen Lernprozess beteiligt sind, der sich in Form von Aktivitäten ausdrückt und durch die Lehrenden unterstützt wird (Prince 2004).

Aktives Lernen kann in vielen Formen stattfinden: Einzel‑, Paar- oder Gruppenarbeiten, Peer Instruction, Arbeitsblätter, Werkstattarbeit, Rollenspiele und Simulationen, Anwendungsübungen, oder problem-based learning und andere Formen des Projektlernens (Kärger und Gurr 2020). Aktives Lernen besteht aber nicht nur aus dem Tun, sondern geschieht bereits beim Reflektieren. Damit Studierende über einen Lehrvortrag nachdenken, brauchen sie dafür jedoch Raum, d. h. Vortragspausen, und Anleitung, z. B. durch Leitfragen, Diskussionsanstöße, Lerntagebücher oder Übungsaufgaben.

Es bleibt jedoch die organisatorische und didaktische Herausforderung, wie man Elemente aktiven Lernens sinnvoll in Massenveranstaltungen mit 100+ Teilnehmenden integriert. An anderer Stelle haben Caroline Kärger und ich ausgiebig über das Format des inverted classroom als einer möglichen Alternative geschrieben (Lambach und Kärger 2021). Im inverted classroom wird die reine Wissensvermittlung über Videos und Texte in die Sitzungsvorbereitung verschoben, während die gemeinsame Präsenzzeit für Anwendungsaufgaben genutzt wird. Der inverted classroom ermöglicht eine stärker kompetenzorientierte Lehre, ohne dafür die grundsätzliche Betreuungsrelation zu verändern, erzeugt aber auch höheren Aufwand für die Lehrperson. Zudem erfordert die große Zahl an Teilnehmenden Kreativität in der Feedbackform für studentische Aktivitäten, sodass individuelles Feedback durch kollektive Rückmeldung (z. B. Musterlösungen) oder Peer Feedback der Studierenden untereinander substituiert werden muss. Die bessere Wirksamkeit des inverted classroom gegenüber vortragsbasierter Didaktik ist durch eine Vielzahl von Studien belegt (Roehling 2018; Talbert 2017).

Aber es gibt auch niedrigschwellige Möglichkeiten, mit aktivierenden Elementen Lehrvorträge anzureichern. Bereits eine einfache Unterbrechung des Vortrags durch eine Lernkontroll- oder Diskussionsfrage, die Studierende mittels eines Abstimmungssystems wie Mentimeter beantworten, ist ein hilfreicher Schritt. Murmelgruppen, Think-Pair-Share-Übungen und Minute Paper sind andere Aktivitäten, die einfach skalieren und ohne große Vorbereitung eingebaut werden können. Auf diese Weise werden die Zuhörenden aktiviert, für ihr Zuhören belohnt und finden im Anschluss wieder den Anschluss an den Lehrvortrag.

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    Fazit

Eine evidenzbasierte Didaktik kann sich nicht vor den gravierenden Schwachpunkten der Vorlesung verschließen. Allermindestens sollte dieses Format kritisch auf seine Möglichkeiten und Einschränkungen überprüft werden, um daraus sinnvolle Einsatzszenarien und Leitlinien zu entwickeln. Für einige Ziele kann eine Vorlesung durchaus einen Wert haben, von der Strukturierung und Einordnung grundsätzlicher Wissensbestände im Fach über die Vermittlung von Begeisterung für das Fach bis zum modellhaften Vormachen analytischer Prozesse. In diesen Punkten hat der Lehrvortrag Vorteile gegenüber der eigenständigen und unangeleiteten Lektüre von Fachtexten. Damit können Studierende zwar ebenfalls Grundlagenwissen erwerben (und dies eigenständig zu können ist ebenfalls eine wichtige Fähigkeit, die man im Rahmen eines Studiums lernen sollte), aber die meisten Texte sind für die Kontextualisierung des Wissens und dessen Anknüpfung an die Lebenswelt der Studierenden nicht geeignet. Wenn Dozent*innen öffentlich machen, wie umstritten bestimmte Fragen im Fach sind, und Strategien vermitteln, mit dieser Ungewissheit umzugehen, zeigt dies Studierenden, wie sie mit der Ambiguität der sozialen Welt und dem Pluralismus der Politikwissenschaft umgehen können. Im besten Fall kann dies bei Studierenden produktive Krisen auslösen, die ihre intellektuelle Entwicklung fördern.

Nach dem bisherigen Stand der Forschung sollte der reine Lehrvortrag aber nur ein Baustein der Vorlesung als Veranstaltungsformat sein und diese nur in möglichst kleinen Teilen ausfüllen. Wenn wir die Vorlesung aus kapazitären Gründen schon nicht als Veranstaltungsformat abschaffen können, dann sollte man sie so betreiben, dass sie mit dem klassischen, 90-minütigen Lehrvortrag möglichst wenig gemein hat.

Pro Lectione – Über die Vorteile der Vorlesung in der politikwissenschaftlichen Lehre

Hendrik W. Ohnesorge, Manuel Becker

Eine Vorlesung „hören“ – das klingt für viele nach der alten, angestaubten Universität, nach dem schon sprichwörtlichen tausendjährigen Muff unter den Talaren, nach Frontalbeschallung und nach Kathedergehorsam. Dies gilt insbesondere für ein Fach wie die Politikwissenschaft, die sich im Vergleich zu älteren geisteswissenschaftlichen akademischen Disziplinen schon immer als methodisch besonders innovativ, modern und zukunftsorientiert begriffen hat. Die hinter solchen Schlagworten stehende substanzielle Kritik zielt in den meisten Fällen darauf ab, dass das universitäre Lehrformat der Vorlesung didaktisch unterbestimmt sei und sich aufgrund seines frontalen Charakters nicht mehr auf der Höhe der Zeit bewege. Heutiges Lehren und Lernen sehe anders aus. Neben diese Ebene didaktischer und methodisch begründeter Bedenken aber tritt noch eine weitere, gleichwohl häufig mit der ersten verbundene Kritikebene. Diese Kritik adressiert politische und soziale Aspekte. Sie zielt darauf ab, dass es sich um ein gleichsam autoritäres Format handele, das den Idealen des herrschaftsfreien Diskurses à la Habermas noch nie entsprochen habe. Einer Gesellschaft, die sich zunehmend diversifiziert, in der traditionelle Hierarchien verstärkt hinterfragt und dekonstruiert werden und in der Werte wie Integration und Inklusion großgeschrieben werden, gelte die Vorlesung durch ihren frontalen Charakter ein Stück weit aus der Zeit gefallen, gar einer vergangenen und überkommenen Epoche zugehörig. Auch Daniel Lambach stellt in seinem Beitrag in diesem Heft auf diese beiden Ebenen der Kritik ab. Grund genug also, beide Kritikebenen einmal auf den Prüfstand zu stellen und danach zu fragen, welches auch heute noch Vorteile dieses klassischen Formats der politikwissenschaftlichen Hochschullehre sind. Der vorliegende Essay geht dieser Frage nach, indem er zentrale und einzigartige Vorzüge der Vorlesung als Lehrformat identifiziert, diskutiert und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Hochschullehre in Gegenwart und Zukunft einordnet.

Zunächst erscheint es dabei lohnenswert, sich den Lehr- und Lernort zu vergegenwärtigen, an dem Vorlesungen typischerweise stattfinden. Das Lehrformat der Vorlesung wird gewöhnlich in den größten und nicht selten in den traditionsreichsten Räumlichkeiten einer Universität praktiziert. Bis zu mehrere Hundert Studierende kommen im Hörsaal zusammen, um zumeist von etablierten Lehrenden in Grundbegriffe und Grundlagen ihrer jeweiligen Studienfächer eingeführt zu werden. Beide Begriffe – Vorlesung als Lehrformat sowie Hörsaal als Lehr- und Lernort – stehen somit nicht ohne Grund für das gesamte Universitätsleben wie wohl nur wenige neben ihnen. Sie haben das öffentliche Bild der Universität über Jahrhunderte hinweg geprägt. Auch wenn die Vorlesung häufig (so auch von Lambach) als Anachronismus dargestellt wird, blickt diese zweifelsfrei auf eine besonders lange und beeindruckende Tradition zurück, und der Hörsaal kann in vielerlei Hinsicht auch heute noch als das schlagende Herz des Universitätslebens gelten. So hält Christiane Bender (2020, S. 42) kürzlich zurecht fest: „Der Hörsaal war einst konzipiert als ein (nach außen hin) geschützter, abgegrenzter Ort der nachdenklichen Rede, der Fragen und Antworten, der gedanklichen Vertiefung, der kritischen Erörterung, vor allem der Konzentration bei der Suche nach Wahrheit und Erkenntnis“. Jene Suche nach Wahrheit und Erkenntnis, die am Anfang der europäischen Hochschulgründungen des Mittelalters stand, hat heute, im Zeitalter von „Fake News“ und „alternativen Fakten“, mit denen sich gerade die Politikwissenschaft mit ihren Fragestellungen und Themenhorizonten auseinandersetzt, nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt. Im Gegenteil.

Zentrale Aufgabe von Vorlesungen war es dabei seit jeher, ihren Zuhörenden einen grundlegenden Ein- und Überblick über die jeweils fachspezifisch relevanten Inhalte, Theorien und Methoden zu vermitteln (vgl. Bender 2020). Gerade für Studienanfänger*innen bietet sie in dieser didaktischen Funktion nach wie vor ein ausgezeichnetes Format, um wesentliche Grundlagen zu vermitteln, auf deren Basis im weiteren Studienverlauf eine (individuelle) Vertiefung und Spezialisierung, etwa durch Seminare oder andere Formate, erfolgen kann. Der von Daniel Lambach unter Bezugnahme auf hochschuldidaktische Forschung vorgetragenen Forderung, in der universitären Lehre seien Kompetenzen im Analysieren, Diskutieren und Kritisieren zu vermitteln, ist selbstredend zuzustimmen. Aber gerade in diesem Zusammenhang bietet die Vorlesung einen unverzichtbaren Mehrwert – und dies gleich in doppelter Hinsicht: Erstens kann das Argument, in Vorlesungen werde nicht zur Diskussion und Kritik angeregt, zügig widerlegt werden. Wie die Autoren an anderer Stelle gezeigt haben (Ohnesorge und Becker i.E.), zeichnet sich eine gute Vorlesung nicht zuletzt durch die maßvolle Integration interaktiver Elemente aus, die auch Raum zur Kritik eröffnen. Zweitens ist für alles Analysieren, Diskutieren und Kritisieren ein belastbares Wissensfundament unabdingbar. Worauf sonst sollten Analyse, Diskurs und Kritik fußen, sollen sie nicht beim ersten Windstoß in sich zusammenzufallen wie ein Kartenhaus? Für das Legen aber ebendieses Fundaments hat das Lehrformat der Vorlesung unschlagbare Stärken.

Auch mit der selbstständigen Lektüre alleine, zweifelsfrei wichtiger Bestandteil des Studiums, noch dazu in der Politikwissenschaft, kann hier keine Abhilfe geschaffen werden, sofern die Lektüre denn überhaupt erfolgt. Zudem ist das Vorwissen gerade von Erstsemestern der Politikwissenschaft oft sehr unterschiedlich ausgeprägt. Vor allem in teilnehmerstarken (Bachelor‑)Studiengängen bietet die Vorlesung daher eine gute Gelegenheit, um Studierende mit unterschiedlichen Hintergründen und Facherfahrungen gemeinsam und durch angeleitetes Lernen auf einen einheitlichen Stand zu bringen. Dass eine solche grundlegende Wissensvermittlung durch die Vorlesung erfolgreicher ausfällt als beispielsweise durch die individuelle Lektüre entsprechender Grundlagenwerke, zeigt nicht nur die eigene Erfahrung, sondern auch die Lehrforschung deutlich (vgl. Webler 2013).

Aufseiten der politikwissenschaftlichen Lehrenden erwächst aus dieser grundlegenden Funktion der Vermittlung von Grundlagenwissen Vorteil und Anspruch der Vorlesung zugleich. Zunächst einmal eröffnet sich der Vorteil, dass die inhaltliche Ausgestaltung im Vorlesungsformat besonders gut steuer- und planbar ist (vgl. Enders 2020). Gleichzeitig sind Lehrende gezwungen, sich im Rahmen dieses sich in der Regel einmal wöchentlich öffnenden, eineinhalbstündigen Zeitfensters auf das Wesentliche zu beschränken, wobei der Reiz des Formates gerade in der Größe seiner Zuhörerschaft liegen kann. Friedrich Paulsen hat diese Aspekte bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts auf den Punkt gebracht: „Man spricht anders zu 100 als zu 10 oder 5 Hörern“. Zudem, so Paulsen zurecht weiter, sei die Vorlesung nicht der rechte Ort für die Auseinandersetzung mit Partikularem, denn „der systematische Vortrag einer Wissenschaft in einer Vorlesung richtet den Sinn auf das Grosse [sic!] und Ganze“ (zit. nach Wenzl 2019, S. 306). Gerade in Zeiten, in denen die meisten wissenschaftlichen Disziplinen eine unverkennbare Tendenz zur immer weitergehenden Spezialisierung aufweisen, das Große und Ganze aber dabei oft aus den Augen verloren wird, ist die Vermittlung von Überblick- und Orientierungswissen sowie von Grundlagenkompetenzen ein besonderer und schützenswerter Mehrwert der Vorlesung – für Lehrende ebenso wie für Lernende.

Es geht mithin nicht nur um die Vermittlung von Fakten, Daten oder Theorien. Vielmehr kann die Vorlesung auch wichtige Grundlagen zur weiteren kritischen Auseinandersetzung mit einem Thema liefern und folglich geradezu als „das konstituierende Grundmuster verstehender Kritik“ (Eugster 2020, S. 151) verstanden werden. Es ist somit gerade die Vorlesung, so Balthasar Eugster (2020) weiter, „die das Grundmuster wissenschaftlicher Kritik institutionalisiert und damit die Wissenschaftlichkeit wissenschaftlichen Wissens als Handlungspraxis präformiert.“ Die zentrale Zielsetzung der Vorlesung besteht folglich darin, „zum Widerspruch und zu Auseinandersetzung, also zum Denken“ (Apel 1999, S. 36), anzuregen. Es werden insofern nicht nur Inhalte, sondern insbesondere wissenschaftliche Denk- und Problemlösungsprozesse vermittelt (vgl. Enders 2020). Von entsprechender Bedeutung ist es, die Vorlesung so zu gestalten, dass sie nicht allein im frontalen Format verharrt, sondern zum aktiven Mitdenken und Hinterfragen anregt (vgl. Renkl et al. 2020). Gelingt dies, so kann ihr unter den Lehrformaten jene Sonder- und Schlüsselrolle zukommen, die ihr Thomas M. Sutherland zuspricht: „[A] lecture may arouse, stimulate, give perspective on a subject, prepare the way for discussion, exhibit a mode of thought, present dramatically a movement of ideas in a way no other method can do. It can cause fertile and active mental reactions of a highly individualized nature in the mind of each attentive listener“ (Sutherland 1976, S. 31).

Im Mittelpunkt der Kritik an der Vorlesung steht weiterhin der Vorwurf, dass ihre Qualität wie kaum eine andere Lehrveranstaltung von der Qualität der Person abhängt, die sie hält. Aber genau darin kann auch eine ihrer größten Stärken liegen. Abgesehen davon, dass diese Überlegung für jede universitäre Lehrveranstaltung, mithin also auch für Seminare, Übungen oder Tutorien, ebenso gilt, werden Wissen und Kompetenzen maßgeblich über den personalen Zugang vermittelt. Das intensive Bücherstudium ist gewiss elementar für den Erfolg des Studiums, aber jeder, der ein Hochschulstudium erfolgreich abgeschlossen hat, wird sich sicher an spezifische Dozierende erinnern, bei denen man am meisten gelernt hat und die maßgeblich für den erfolgreichen Abschluss verantwortlich waren. Neigung und Interesse mussten Studierende schon immer mitbringen, wenn das Studium gelingen sollte – wirkliche motivationale Begeisterung jedoch können nur Lehrpersonen entfachen, die selber für ihr Fach brennen. Insofern steckt auch hier großes Potenzial in einem Veranstaltungstyp, der besonders stark auf die Lehrperson zugeschnitten ist. Die Vorlesung hat mithin das besondere Potenzial, Neugier hervorzurufen und eigene Interessen zu wecken (vgl. Bender 2020).

Ein häufig – so auch von Daniel Lambach – ausgeblendeter Aspekt stellt die Sozialisationsfunktion von Vorlesungen dar: Jenseits der genannten engeren, fachlichen beziehungsweise inhaltlichen Vorzüge vermittelt das Vorlesungsformat Studierenden zudem ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl, das sie Teil einer größeren universitären Öffentlichkeit und Gemeinschaft werden lässt. Die Vorlesung, und damit der Hörsaal, sind folglich zentrale Begegnungs- und Interaktionsstätten: von Studierenden unterschiedlicher Fachkombinationen und -traditionen, von lernenden Studierenden und lehrenden Forschenden sowie nicht zuletzt von unterschiedlichen akademischen Generationen. Die Vorlesung ist somit mit ihrem traditionell großen Publikum und den zumindest teilweise unterschiedlichen Fachkombinationen ihrer Zuhörerschaft, nicht zuletzt auch „ein Bekenntnis zu und die Teilnahme an einer großen intellektuellen Welt“ (Wenzl 2019, S. 309). Das Vorlesungsformat, so Thomas Wenzl weiter, ist folglich dasjenige Lehrformat, „das Studierenden wie kein anderes unmittelbar vor Augen führt, dass sie mit dem Eintritt in die Universität zu Mitgliedern einer sozialen Welt geworden sind, die weit über das hinausgeht, was sie bislang kannten“ (ibid.).

Weitere unbestreitbare Vorteile des Vorlesungsformats offenbaren sich, abschließend, im Kontrast beziehungsweise im Vergleich zu anderen Lehrformaten sowie mit Blick auf einschlägige Lehrforschung. So zeigen jüngste Forschungsergebnisse etwa, dass Lehr-Lern-Methoden, wie beispielsweise flipped classroom oder inverted classroom nicht notwendigerweise effektivere Lehrmodelle darstellen als die klassische Vorlesung. Lernende mit geringem Vorwissen in einem ausgewählten Themenfeld etwa haben von Lehr-Lern-Formen mit hohen Anforderungen an die Selbststeuerung nur beschränkten Nutzen. Veranstaltungen mit hoher studentischer Selbststeuerung sind daher vor allem dann sinnvoll, wenn bereits grundlegendes Wissen erworben wurde, wozu die Vorlesung wiederrum selbst hervorragend geeignet ist (vgl. Renkl et al. 2020).

Forschungsergebnisse wie diese belegen: Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Lehrformats Vorlesung läuft maßgeblich auf die Frage hinaus, wie die Vorlesung gestaltet wird. Der betagte, im Dienste der Wissenschaft ergraute Ordinarius, der aus einer über 20 Jahre alten Publikation – natürlich seiner eigenen! – im wahrsten Sinne des Wortes vorliest und auf diese Art die komplette Lehrveranstaltung über ein gesamtes Semester (beziehungsweise mittlerweile über eine Myriade an Semestern) hinweg in monotonster Manier bestreitet, wie es in vergangenen Jahrzehnten durchaus flächendeckend Usus war, gehört gewiss der Vergangenheit an, und es gibt wenig Anlass, ihm nachzutrauern. Eine generelle Kritik, die diese Art der (meist karikierenden) Darstellung heute noch als Normalfall darstellt, ist allerdings wenig zielführend. Heutige Vorlesungen sind nicht länger rein frontal gehaltene Monologe, sondern sie lassen im gegebenen Rahmen auch kritische Nachfragen durch die Studierenden zu. Zudem werden sie längst durch umfassende interaktive Elemente sowie digitale Präsentationtechniken und Begleitmaterialien flankiert, was gerade in der Coronazeit einen deutlichen Anschub erfahren hat.

Entwicklungen wie diese belegen: Auch wenn die Kommunikationssituation eines Dozierenden gegenüber mehreren Hundert Studierenden selbstredend eine andere ist als in einem Seminar, einer Übung oder einem Tutorium, so ist die Vorlesung dennoch offen für innovative didaktische Elemente. Auch in einer digitalisierten Hochschule ist sie nicht zuletzt angesichts ihres spezifischen Charakters geeignet, ihren festen Platz als grundlegendes und ergänzendes Element zu finden und zu behaupten. Dies gilt auch und insbesondere für die Politikwissenschaft.

Insofern steht am Ende dieser Verteidigungsschrift zugunsten Vorlesung als klassisches Format der Universitätslehre die Erkenntnis, dass das Fortbestehen der Vorlesung eigentlich gar nicht infrage gestellt werden kann. Vielmehr ist die Frage nach ihrer zeitgemäßen inhaltlichen und didaktischen Fortentwicklung die tatsächlich zielführende. Mit anderen Worten: Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Je nachdem, wie heutige Lehrende ihre Lehrveranstaltung anlegen und umsetzen, hat die Vorlesung als Herzstück der universitären Lehre nicht nur eine glorreiche Vergangenheit, sondern auch eine goldene Zukunft.

Die unbekannte Lehre: Wer lehrt wie viel in Deutschland? Ein Blick von Innen

Julia Schwanholz

In Deutschland ist der Frust über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZVG) groß. Dabei ist die unter dem Schlagwort #IchbinHanna geführte Debatte längst keine Frage der persönlichen Betroffenheit mehr. Die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Karrierewegen – also einer als ungerecht und perspektivlos empfundenen Befristungspraxis an deutschen Universitäten und Hochschulen, eine mangelnde Planbarkeit der eigenen Karriere und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – hat sich zwischenzeitlich zum Politikum ausgewachsen. Sinnvollerweise wird dies dazu genutzt, eine breitere Diskussion über Arbeitsbedingungen und -aufgaben im Spannungsfeld von Forschung, Lehre und Selbstverwaltung anzustoßen, um so eine Engführung der Debatte auf das zurecht kritisierte WissZVG zu überwinden. Gerade jetzt, wo sich die Aufmerksamkeit und Solidarität der Akteure nicht mehr allein auf bestimmte Dienstebenen konzentriert, sondern auf alle Qualifikationsniveaus ausgeweitet hat, könnten weitere grundlegende Schwachstellen im System benannt, diskutiert und reformiert werden.

Mit einem Augenmerk auf die allgemeine Lehrsituation an deutschen Universitäten und Hochschulen will dieser Debattenbeitrag entsprechend zur kritisch-differenzierten Auseinandersetzung anregen. Aus der Binnenperspektive wird dazu hinterfragt, was wir eigentlich über Lehrbedingungen wissen, wer in Deutschland lehrt und wie (viel).

Nachfolgend wird zunächst das Spannungsfeld von Forschung und Lehre skizziert und mit dem Kernproblem fehlender Daten zusammengebracht. Daran anschließend werden Empfehlungen und Reformvorschläge verschiedener Institutionen und Communities vorgestellt, die sich vor allem in der Tragweite der Änderungen unterscheiden. Während das Ziel aller Vorschläge im Wesentlichen gleich ist – nämlich eine Verbesserung der Qualität akademischer Lehre und deren Kontextbedingungen – reichen konkrete Maßnahmen von strukturellen Anpassungen bis hin zur kompletten Transformation des Systems.

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    Was ist das Problem?

Im bekannten Spannungsfeld aus Forschung und Lehre fehlen Daten. Schon beim ersten Draufschauen wird deutlich, dass wenige Abhandlungen auf Basis empirisch erhobener Verteilungen von Lehrdeputaten nach Fächern existieren und sich Beiträge stattdessen in anekdotischen Erzählungen und persönlichen Erfahrungsberichten erschöpfen. Dass eine belastbare Datengrundlage noch immer fehlt, erschwert also ausgewogene Debatten über und die Entwicklung von (Reform‑)Ansätzen zur Qualitätssteigerung und strukturellen Verbesserung der (politikwissenschaftlichen) Lehre. Dies vorweggeschickt, kommt zweitens hinzu: Universitäre Forschung und Lehre stehen strukturell bedingt in einem Spannungsverhältnis zueinander. Obschon forschungsinspirierte Lehre wünschenswert wäre, wirken sich chronisch verknappte Zeitkontingente negativ auf beide Aufgabenbereiche aus. Hilbrich und Schuster (2014a) führen hierfür nachvollziehbare Gründe an. In der Organisation Universität wird die Einheit von Forschung und Lehre als eine „quasi natürliche Ordnung“ beider Systembereiche zwar wie selbstverständlich zusammengedacht, die Verbindung dieser Aufgaben auf einer Ebene stellt aber eine höchst anspruchsvolle Integrationsleistung dar, die von den mit ihr befassten Akteuren im gegenwärtigen System ständig neu zu erbringen ist. Es werden damit zwei grundverschiedene Logiken gekoppelt, nämlich ein Erziehungssystem mit einem Wissenschaftssystem. Die Universität priorisiert keines der Systeme, behandelt sie aber auch nicht grundsätzlich gleichwertig. Es gehört vielmehr zum akademischen common sense, sich über Forschungs- und nicht über Lehrleistungen zu qualifizieren und auszuweisen. Das bedeutet, dass Engagement in der Lehre selten förderlich und Kollektivgüterproduktion manchmal sogar hinderlich für die individuelle wissenschaftliche Karriere sind. Praktisch müssen hier zwei ungleichwertige Tätigkeitsfelder miteinander verknüpft werden, die für Wissenschaftler*innen „nicht in gleicher Weise reputationsstiftend sind“ (Hilbrich und Schuster 2014a, S. 61). Letzteren Aspekt bemängeln auch Glaab und Engelkamp in ihrem Beitrag in diesem Forum mit ihrem Blick von außen auf die Lehre in Deutschland als eine „unmögliche Wahl“, die einer engen Verzahnung von Forschung und Lehre im Wege stehe.

Das beschriebene Dilemma wirkt besonders negativ auf die Arbeitssituation von Wissenschaftler*innen in der Qualifizierungsphase: „Unter diesen Vorzeichen ist für Nachwuchswissenschaftler*innen nicht die Performanz in der Lehre, sondern die Beschränkung der Lehrtätigkeit sowie möglichst ihre Verschränkung mit der eigenen Forschungsarbeit eine wesentliche Erfolgsstrategie“ (Bloch et al. 2014, S. 100).

Zwar wissen wir aus den #IchbinHanna-Beiträgen (in Sozialen Medien und andernorts) zwischenzeitlich, dass Wissenschaftliche Mitarbeitende in der Promotions- und PostDoc-Phase die von ihnen angestrebten Qualifizierungsziele oftmals aufgrund von zu hoher Lehrbelastung und Verpflichtungen gegenüber ihren Vorgesetzten nicht im vorgegebenen Zeitrahmen (bzw. innerhalb der Vertragslaufzeiten) erreichen (können). Dies zeigt sich auch in Fallstudien zur Evaluation des 2016 novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetz (vgl. BMBF 2022). Darüber hinaus ist allerdings (zu) wenig systematisch dokumentiert, wer die Mammutaufgaben in der Lehre übernimmt und welchen Einfluss diese Verteilung auf die Qualität der Lehre hat. Stellenkategorien werden zwar differenziert nach Beschäftigungsdauer (befristet/unbefristet) und Beschäftigungsumfang (Vollzeit/Teilzeit) sowie nach Geschlecht (männlich/weiblich/divers) erhoben, Lehrdeputate werden dabei jedoch nicht entsprechend ausgewiesen.

Das Statistische Bundesamt (2021) beziffert das hauptberufliche wissenschaftliche Personal an HochschulenFootnote 1 für die Politikwissenschaft im Jahr 2021 auf 2108 (davon 910 Frauen). Rechnet man nebenberuflich Tätige über alle Hochschularten hinweg dazu, umfasst das Fach 3720 Politikwissenschaftler*innen im Jahr 2021. Unter den hauptberuflich Beschäftigten sind Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen (= 1502) die zahlenmäßig größte Gruppe, gefolgt von Professor*innen (= 425) und Lehrkräften für besondere Aufgaben (LfbA) (= 71). Obschon die Lehrdeputate (aufgeschlüsselt nach Fächern und Dienstverhältnis) vom Statistischen Bundesamt nicht explizit ausgewiesen sind, lässt sich anhand allgemeiner Aufgaben- und Stellenbeschreibungen sagen, dass LfbA in der Regel das höchste Deputat übernehmen, gefolgt von Professor*innen und Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen. Innerhalb dieser Personalgruppen variiert der Umfang der Lehrtätigkeit jedoch erheblich (vgl. Bloch et al. 2014). Lehre als Dienstaufgabe richtet sich dabei nach den Maßgaben des konkret übertragenen Amtes sowie der jeweiligen Lehrverpflichtungsverordnung des Bundeslandes. Die Regellehrverpflichtung der Professor*innen an Universitäten variiert zusätzlich entsprechend des Schwerpunktes einer Professur. Es wird hier unterschieden zwischen Professuren Forschung und Lehre (= 8–9 SWS), Professuren mit Schwerpunkt Forschung (= 0–6 SWS) und Professuren mit Schwerpunkt Lehre (= 10–16 SWS) (vgl. Deutscher Hochschulverband 2019).

Die Norm an Universitäten sind und bleiben Professuren mit Forschung und Lehre, Schwerpunkt-Professuren bleiben demgegenüber bis heute Ausnahmen. Besonders Professuren mit einem Schwerpunkt in der Lehre sind in Deutschland selten zu finden (vgl. Bloch et al. 2014). Eingerichtet wurden sie mit dem Ziel einen eigenständigen Karriereweg in der Lehre zu etablieren und zur Stärkung universitärer Lehre. Anspruch und Realität scheinen in der Praxis allerdings auseinanderzufallen. Eine frühe Studie (Hilbrich und Schuster 2014b) zu Professuren mit Schwerpunkt Lehre, die qualitativ angelegt ist und die Ergebnisse berufsbiografischer narrativer Interviews mit verschiedenen Lehrprofessor*innen über ein breites Fächerspektrum hinweg vorlegt, kommt zu interessanten Ergebnissen hinsichtlich der subjektiven Motive, sich zu bewerben oder eine solche Position einzunehmen: Inhaber*innen von Lehrprofessuren haben nicht zwingend ein verstärktes Interesse an Lehre. Vielmehr beruht die Entscheidung, eine solche Position zu besetzen im Wesentlichen auf dem Bedürfnis nach berufsbiografischer Sicherheit, persönlichem Interesse daran, weiterhin forschen zu können, und dem dringenden Wunsch, erwerbliche mit familien- und partnerschaftsbezogenen Anforderungen in Einklang bringen zu können (vgl. Hilbrich und Schuster 2014b). Lehrprofessor*innen verstehen sich primär als Forschungspersönlichkeiten, die schlicht mehr Semesterwochenstunden lehren müssen als reguläre Universitätsprofessor*innen. Das Angebot von Lehrprofessuren – wenn denn überhaupt flächendeckend umgesetzt – würde demnach bestehende Zielkonflikte im Kern nicht lösen, sondern könnte sie im Gegenteil sogar noch weiter verschärfen.

Es hat sich auch gezeigt, dass die Diskussion nicht auf die professorale Gruppe beschränkt bleiben kann, da dies der Realität der Lehrstrukturen nicht gerecht würde. Lehre wird zu wesentlichen Teilen, häufig zu mehr als 50 %, von anderen Personalgruppen erbracht (vgl. Bloch et al. 2014). Für die Gruppe wissenschaftlich Beschäftigter an deutschen Hochschulen liegen jedoch noch weniger Daten und kaum systematische Informationen darüber vor, wie viel diese Gruppe in der Politikwissenschaft lehrt. Die unter dem Schlagwort #IchbinHanna geführte Debatte zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz erbringt ebenfalls keine Erkenntnisse über die tatsächliche Verteilung der Lehrbelastung. Kritisiert wird diese allerdings als zu hoch. Nicht nur der Forschung schade dies, sondern auch die Lehre leide klar und deutlich hierunter, weil Zeit für gute Lehre und die Entwicklung innovativer Formate fehle und daher – wie aber ja eigentlich gewünscht oder sogar gefordert – aktuelle Forschungsergebnisse kaum mehr in Lehrformate übersetzt oder eingearbeitet werden könnten. Hinzu kommen außerdem Betreuungsprobleme, wenn aufgrund permanenter Personalfluktuation wichtige Ansprechpersonen für Studierende regelmäßig wechselten oder komplett fehlten (vgl. Bahr et al. 2021). Außerdem wird kritisiert, dass Personen, die Einkommenseinbußen durch Teilzeitstellen und Vertragslücken nicht durch eigene Rücklagen überbrücken können oder deren Aufenthaltsgenehmigung vom Arbeitsvertrag abhängt, im deutschen System benachteiligt werden und daher in der deutschen Wissenschaft eindeutig unterrepräsentiert sind. Dies gibt zwar keinen konkreten Hinweis auf die Frage Wer lehrt?, wirft jedoch zusätzlich die Frage auf, wer sich Lehre innerhalb des aktuellen Systems überhaupt leisten kann.

  1. 2.

    Empfehlungen und Reformvorschläge

Der Wissenschaftsrat (vgl. 2022) hat Empfehlungen für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Studium und Lehre in Deutschland vorgelegt, die sich an den Bund und die Länder, Hochschulen und deren Mitglieder, an die Fächer und an Förderorganisationen sowie den Akkreditierungsrat richten. Darin heißt es, die Anforderungen an zeitgemäße Lehre seien gestiegen. Hochschulbildung müsse entsprechend einen Qualitätssprung schaffen, um auf die komplexen Herausforderungen, die durch den technologischen, gesellschaftlichen und ökologischen Wandel entstanden seien, vorbereitet zu sein. Mithilfe ihrer Außenperspektive markieren Glaab und Engelkamp in ihrem Beitrag an dieser Stelle einen wesentlichen Unterschied zwischen den Hochschulsystemen (Deutschlands und anderen Standorten, wie Norwegen und UK): „Auch hier sind Lehrende überarbeitet und kämpfen mit den unterschiedlichen Anforderungen, sowohl in Lehre als auch in Forschung herausragend sein zu müssen. Der Unterschied ist jedoch, dass die strukturellen Bedingungen zumindest Qualität in der Lehre als wünschenswert verankern“ (Glaab und Engelkamp in diesem Heft: S. 18).

Der Wissenschaftsrat plädiert konkret für eine Verschiebung der Prioritäten in der Lehre von der Quantität hin zu mehr Qualität, d. h. Formate sollen nicht mehr vor allem Wissen akkumulieren und reproduzieren, sondern Reflexion, intellektuelle Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit sollen als Lehrziele ins Zentrum gerückt werden. Der Wissenschaftsrat spricht sich außerdem für ein Verständnis von „Lehre als Wissenschaftspraxis“ (2022, S. 11) aus: Die Lehrpraxis kann und sollte ebenso erlernt werden, wie die Forschungspraxis und daher einen zentralen Bestandteil des professionellen Selbstverständnisses bilden; Fachgemeinschaften sind demnach zuständig für Qualitätsstandards in der Lehre; eine Weiterentwicklung von Lehre ist notwendig, da sich Voraussetzungen, Lehrmethoden und Medien ständig verändern; Lehre als Wissenschaftspraxis umfasst einen Ansatz, der „arbeitsteilig, ergebnisoffen und anspruchsvoll“ zugleich ist (Wissenschaftsrat 2022, S. 11).

Auch ein neues Modell zur Bemessung der Lehrdeputate wird vorgeschlagen, welches den künftigen Anforderungen des Hochschulstudiums Rechnung tragen soll. Dabei könnten Aufgaben zukünftig in Abhängigkeit von Interessen, Erfahrung und Stellenkategorie flexibler gestaltet werden und sich nicht nur aus Vor- und Nachbereitung sowie Durchführung der Lehre, sondern auch aus intensiverer Begleitung der Studierenden in Form eines akademischen Mentorats sowie der übergeordneten Weiterentwicklung von Lehre und Studium zusammensetzen (vgl. Wissenschaftsrat 2022). Dieser Ansatz ähnelt dem, was Glaab und Engelkamp aus der Außenperspektive bereits als einen Standard an anderen Standorten beschreiben. In Deutschland obliegt es den Ländern zu überprüfen, ob und wie sie dies übernehmen können. Schließlich wird vom Wissenschaftsrat darauf verwiesen, dass eine neue Lehr- und Lernkultur auch eine geeignete Finanzierungs- und Beschäftigungsgrundlage benötigt: „Der erforderliche Qualitätssprung und die vorgeschlagenen Maßnahmen können nicht allein durch Verhaltensänderungen bei den Hochschulmitgliedern erreicht werden. Es braucht bedarfsdeckende Grundmittel, angemessenes Wachstum von Ressourcen mit den Aufgaben und Studierendenzahlen sowie eine Finanzierung, die Qualitätssteigerungen in Lehre und Personalpolitik belohnt“ (Wissenschaftsrat 2022, S. 12).

Ausgehend von einer Beschreibung des deutschen Systems der Fakultäten, Institute und Lehrstühle an Universitäten als vergleichsweise hierarchisch und starr organisiert, geht die Debatte über die sogenannte Department-Struktur über Verbesserungen des bestehenden Modells hinaus und fordert eine ganz neue Art der Wissenschaftsorganisation. Diese wird auch im Beitrag von Glaab und Engelkamp für das Beispiel Norwegen beschrieben und für das deutsche System gefordert. Die zentrale Idee der Department-Struktur ist, das System so zu dynamisieren, dass es nach außen international kompetitiv wird und nach innen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe ermöglicht (vgl. Specht et al. 2017). Verfechter*innen einer Department-Struktur, die die Abschaffung von Lehrstühlen fordern, wollen Karrierewege an Universitäten attraktiver gestalten und dazu verlässlichere Strukturen schaffen (etwa den Mittelbau verkleinern und die Anzahl der Professuren erhöhen). Die Trennung von Forschung und Lehre soll überwunden werden (Forschung, Gremienaufgaben und Lehre sollen dazu bedarfsgerecht unter einem größeren Personalkörper aufgeteilt werden, sodass alle alles übernehmen können und müssen). Kritiker*innen halten dagegen, dass mehr Personal zu mehr Studienplätzen (und letztlich mehr Studierenden) führen würde, sodass die zur Verfügung stehende Nettozeit gleichbliebe und das Zeitkontingentproblem nicht gelöst werden würde. Verteilungskämpfe, so ein weiteres Argument, würden ebenfalls erbitterter geführt werden als im Falle von Lehrstuhlzuweisungen, was wiederum den Konkurrenzdruck erhöhen und Lobbyismus an Universitäten begünstigen könnte (vgl. Pössel 2018).

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    Fazit und Ausblick

Infolge der im ersten Teil konstatierten unzureichenden Datenbasis lässt sich die Frage Wer lehrt in Deutschland und wie (viel)? nicht so einfach beantworten. Auch fällt eine ausgewogene Beurteilung der vorgestellten Reformvorschläge ohne Rückgriff auf eine solche datenfundierte Informationsgrundlage schwer. Zugleich wurde im Debattenbeitrag deutlich, dass genau die aufgeworfene Frage (Wer lehrt in Deutschland und wie (viel)?) schon der eigentliche Kern des Problems ist: Das Spannungsfeld von Forschung und Lehre ist in keiner Weise geklärt. Vielmehr wirft es eine Reihe neuer Fragen auf: Welchen Stellenwert hat Lehre in Deutschland? Welchen soll(te) sie haben und wie wäre dies zu gewährleisten? Welche strukturellen oder systemischen Veränderungen braucht es hierfür? Diese Fragen müssen in Politik und Hochschulen gleichermaßen gestellt, diskutiert und beantwortet werden. Meine Kritik und das Plädoyer des Beitrags betreffen daher klar und deutlich die unklaren Wissensbestände: Wo sind die Daten? Wann wird endlich systematisch gesammelt und ausgewertet? So muss vor allem und als erstes die unbekannte Lehre transparenter gemacht werden. Bestehende Schwachstellen – auf allen Qualifikations- und Beschäftigungsebenen – sind datengestützt zu analysieren und zu bewerten. Nur so und erst dann können Diskussionen über strukturelle oder gar systemische Veränderungen im Sinne der Qualitätsverbesserung sinnvoll geführt und entsprechende Reformvorhaben entschieden, eingeleitet und umgesetzt werden.

Wer lehrt, wie und unter welchen Bedingungen? Eine Außenperspektive auf politikwissenschaftliche Lehre in Deutschland

Katharina Glaab, Stephan Engelkamp

Eine Debatte um die Zukunft der politikwissenschaftlichen Hochschullehre kann sich nicht vor der Frage der strukturellen Rahmenbedingungen und universitären Stellenstrukturen verschließen. Provokant formuliert herrschen in deutschen Universitäten noch die Herrschaftsstrukturen eines mittelalterlichen Feudalsystems vor. Einer kleinen Gruppe Entfristeter (zumeist Professor*innen) steht mit ganzen 90 % eine große Gruppe befristet beschäftigtes wissenschaftliches Personal gegenüber (BMBF 2022). Das bedeutet, dass die Frage wer lehrt? damit beantwortet werden kann, dass ein Großteil der Lehre von mittelfristig Beschäftigten getragen wird. Doch inwieweit beeinflusst dieser Fakt die Qualität der Lehre? Als zwei von den vielen Wissenschaftler*innen, die das deutsche Universitätssystem verlassen haben, um im Ausland unbefristete Stellen anzunehmen, werfen wir auf diese Frage einen Blick von außen. Aufbauend auf unseren Lehrerfahrungen im norwegischen und britischen Wissenschaftssystem diskutieren wir, welche Rolle Stellenstrukturen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten spielen, inwieweit in Deutschland in der Lehre Quantität vor Qualität steht, und das Für und Wider einer Anpassung der deutschen Universitätslehre an Lehrpraktiken und -strukturen im Ausland.

Es ist zu einfach, gute und schlechte Lehre mit dem Hinweis auf die individuelle pädagogische Befähigung als Universitätslehrer*in zu erklären. Denn genauso wie es unterschiedliche Lerntypen bei Studierenden gibt, finden sich auch unterschiedliche Lehrtypen und Persönlichkeiten unter den Hochschuldozent*innen. So wie wir als Lehrende versuchen, den unterschiedlichen studentischen Lerntypen gerecht zu werden, sollte auch das Universitätssystem eine Struktur schaffen, die es den Lehrenden ermöglicht, sich nicht trotz, sondern wegen dieser unterschiedlichen Eigenschaften in die Lehre einzubringen und diese weiterzuentwickeln. Mit anderen Worten: Die strukturellen Rahmenbedingungen sind entscheidend für gute Lehre an den Universitäten. Mittelfristig beschäftigte Lehrende müssen sich für eine Professur qualifizieren, die oftmals die einzige Möglichkeit darstellt, um eine entfristete Stelle zu ergattern. Selbst wenn der Lehre eine zunehmend wichtigere Rolle in Berufungsverfahren zugesprochen wird, bleibt die Eintrittskarte zum Vorsingen doch die wissenschaftliche Exzellenz in der Forschung. Die Mehrheit der Lehrenden steht also vor einer unmöglichen Wahl: Entweder investieren sie in ihre akademische Lehre, vernachlässigen aber ihre Forschung, oder sie fokussieren auf ihre Forschung und das Schreiben von Forschungsartikeln und lassen die Lehre mit minimalem Einsatz am Rande laufen. Beide Strategien sind schlecht für die Qualität der Lehre, denn in keiner kann das Ideal einer engen Verzahnung von Forschung und Lehre erreicht werden (wie auch Schwanholz in diesem Heft konstatiert).

Dieser Interessenkonflikt wird umso sichtbarer, je weniger Alternativen es zur Karriere als Professor*in gibt, um eine unbefristete Anstellung zu erhalten oder einen langfristig planbaren Karriereweg an deutschen Universitäten einzuschlagen. Während sich Professor*innen in Deutschland zu einem gewissen Grad diesem Dilemma verweigern können, haben befristet beschäftigte Hochschulmitarbeiter*innen diesen Luxus nicht. Obgleich die sporadische Entfristung von Lehrkräften für besondere Aufgaben (LfbA) oder die Einrichtung von Lehrprofessuren eine lobenswerte Entwicklung darstellt, sollte jede*r, die/der schon einmal gelehrt hat, wissen, dass ein durchschnittliches Lehrdeputat von 12–14 Semesterwochenstunden (SWS) nicht nur an der absoluten Belastungsgrenze liegt, sondern auch kaum eigenständige Forschung erlaubt. Insofern stimmen wir Schwanholz zu, dass die Lehrprofessur allein keine Lösung für die strukturellen Probleme an deutschen Hochschulen sein kann. Zumindest nicht, so lange Universitäten chronisch unterfinanziert sind, und entfristete Stellen fast ausschließlich über den Nachweis von Publikationen und Drittmittel erreicht werden. Dabei zeigen unsere Erfahrungen im Ausland, dass es durchaus möglich ist, eine Lehrstelle mit Forschung zu vereinbaren, wenn das Hochschulsystem diversere Karrierewege anbietet.

In Großbritannien ist forschungsbasierte Lehre die Regel, zumindest an den forschungsstarken Hochschulen wie dem King’s College London. Hier gibt es seit einigen Jahren neben der regulären Lecturer-Stelle die Option des Academic education pathway, also eine lehrfokussierte Karriereoption, die Aufstiegsmöglichkeiten bis zur Professur erlaubt. Die Lehrverpflichtung ist in diesem Fall etwas höher als im normalen lecturer pathway, allerdings nicht vergleichbar mit den in Deutschland üblichen Deputaten von LfbA-Stellen oder Professor*innen. Zudem werden akademische Arbeitsverhältnisse entfristet, sobald Kolleg*innen mehr als vier Jahre ununterbrochen auf befristeten Verträgen beschäftigt waren. Der wesentliche Unterschied ist hier, dass die Kriterien für die individuelle professionelle Karriereentwicklung im Wesentlichen auf die Lehre fokussieren, z. B. über Innovation in der Lehre, erbrachte Kontaktstunden, Studierendenzufriedenheit, Lehrforschung, oder die Verbesserung bestehender und/oder Entwicklung neuer Lehrformate. Dies schafft sowohl Anreize, sich in der Lehre zu engagieren als auch quantitative und qualitative Indikatoren, um das tatsächliche Engagement zu bemessen.

In Norwegen gibt es in der Politikwissenschaft nur wenige dezidierte Lehrstellen, es wird zumeist von allen am Institut entfristet beschäftigten Kolleg*innen erwartet, dass sie sich sowohl in der Lehre als auch der Forschung einbringen. Bei einem Department-System, wie es unter anderem auch von Mitgliedern der Jungen Akademie gefordert wird (Specht et al. 2017), in dem Entfristung die Regel und nicht die Ausnahme ist, wird die Lehre dementsprechend auf vielen Schultern verteilt, was die individuelle Lehrbelastung verringert. Der Anspruch ist jedoch, dass die ein bis zwei Kurse, die im Semester unterrichtet werden, von hoher Qualität und die Studierenden zufrieden sind. Dies spiegelt sich auch in den Bewertungskriterien wider, die bei der Beförderung vom Associate Professor zum Full Professor angewendet werden: die Betreuung von Studierenden, das Lehrportfolio, Hochschuldidaktikkurse und Studierendenevaluierungen spielen eine wichtige Rolle in dem Antrag zur Beförderung.

Der Zusammenhang von Quantität und Qualität in der Hochschullehre scheint offensichtlich: Die durchschnittliche Lehrbelastung einer Professur in Deutschland von neun SWS kann kaum die gewünschte Qualität in der Lehre aufrechterhalten. Selbst wenn wir nur von einer minimalen Vorbereitungszeit ausgehen, die Betreuung von Studierenden und die Zeit für die Bewertung von Studien- und Prüfungsleistungen reduziert werden, bedeuten neun SWS, dass Lehre ungefähr die Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit während der Vorlesungszeit ausmacht. Bei wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, die weniger Lehrerfahrung haben und in der Regel längere Vor- und Nachbereitungszeiten benötigen, stellen die durchschnittlichen zwei bis vier SWS zumindest einen erheblichen Teil der Arbeitszeit dar. Lehrende haben unter diesen Bedingungen keine andere Wahl, als ihre Lehre pragmatisch durchzuführen und Lehrinhalte und Unterrichtsmaterialien für Seminare zu recyclen. Dies lässt wenig Zeit für aktivierendes Lernen, pädagogische Innovationen und individuelle Studierendenbetreuung (vgl. auch den Beitrag von Lambach in diesem Heft), zumal wenn in Berufungsverfahren Lehrevaluationen im Vergleich zu exzellenter Forschung nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Doch die Debatte über Qualität in der Lehre lässt sich nicht allein auf das Lehrdeputat reduzieren. Als wir im Ausland zu lehren begonnen haben, fiel uns vor allen Dingen auf, dass ein großer Fokus auf die Qualitätssicherung in der Lehre gelegt wird. Dies hat nicht nur mit einer langsichtigen Lehrplanung zu tun, die versucht, einigermaßen realistisch den tatsächlichen Aufwand für Lehre mit Kursadministration, Studierendenfeedback, Neuerstellen und Aktualisieren von Lehrmaterialien sowie Bewertung einzubeziehen, sondern auch mit einer strukturierten Programmentwicklung, die einen Schwerpunkt auf Qualitätssicherung und Zufriedenheit der Studierenden legt.

Sowohl in Norwegen als auch in Großbritannien müssen neue Kurse im Programmrat diskutiert und verabschiedet werden. Dabei wird in der Diskussion darauf geachtet, dass abwechslungsreiche und angemessene Lehr- und Evaluierungsmethoden bereitgestellt werden. Das bedeutet z. B., dass Expert*innen aus der Forschung oder Praxis als Referent*innen eingeladen werden oder Exkursionen organsiert werden. Als eines der wichtigsten Elemente der Qualitätssicherung in der Lehre gilt das externe Begutachtungsverfahren. In Norwegen werden z. B. Klausuren und Seminararbeiten sowie Master-Arbeiten von eine*r externen Expert*in gelesen, mit den Lehrenden diskutiert und anhand vorab entworfener und transparenter Bewertungskriterien evaluiert. Wenn sich externe und interne Gutachter*in auf die Noten geeinigt haben, erhalten alle Studierenden Rückmeldungen und eine Begründung ihrer Note. Diese externe Korrektur dient der Kontrolle der eigenen Bewertungskriterien und soll eine objektive Bewertung der Studierenden ermöglichen. In Großbritannien ist die Einbeziehung von internen Zweit- und externen Drittgutachter*innen die Regel für eine kontinuierliche Qualitätskontrolle aller Lehrveranstaltungen vom ersten BA-Jahr bis zur Postgraduiertenausbildung in der MA-Phase. Diese externen Begutachtungsverfahren sind zugegebenermaßen ein zeit- und kostenintensives und teilweise recht bürokratisches Verfahren. Trotz des Aufwandes überwiegt jedoch in unseren Institutionen das Verständnis, dass das externe Korrekturverfahren deutlich zur kontinuierlichen Verbesserung und Wertschätzung der Lehre beiträgt.

Einen wesentlichen Unterschied zum deutschen Hochschulsystem nehmen wir zudem in der Betreuung von Studierenden wahr. Als Beispiel mag hier die Betreuung von Studierenden bei Abschlussarbeiten dienen. An unseren Instituten in Norwegen und Großbritannien wird den Studierenden in einem zentralen Prozess, an dem alle Studienprogramme teilnehmen, ein/e Betreuer*in zugewiesen, der/die das gewünschte Thema fachlich betreuen kann. Am Department for International Environment and Development Studies in Norwegen umfasst die reguläre Betreuung einer Masterarbeit 40 Stunden (wobei zehn Stunden für die Organisation, Evaluierung der Arbeit und Durchführung der mündlichen Prüfung eingeplant werden). Diese Studierendenbetreuung wird ins Lehrdeputat eingerechnet. Dies ist möglich, da bei einer Department-Struktur nicht nur die Lehre, sondern auch die Studierendenbetreuung auf vielen Schultern verteilt wird. Jede/r Lehrende betreut maximal vier Studierende pro Jahr, was eine intensivere Zusammenarbeit ermöglicht. Nicht nur werden schon in der Anfangsphase Ideen für die Arbeit besprochen, verworfen und weiterentwickelt, die Betreuer*innen geben auch kontinuierlich Feedback zu einzelnen Kapiteln der Arbeit. Durch die enge Betreuung können wir Studierende, die Schwierigkeiten beim Verfassen von akademischen Arbeiten haben, besser fördern und wir verlieren weniger Studierende in der Abschlussphase. Gleichermaßen können wir begabte Studierende weiter und gezielt fördern, indem wir sie in Forschungsprojekte einbinden und eigenständige empirische Forschung ermöglichen.

Am Department of War Studies in London betreut jede/r Lehrende etwa 15 Studierende als persönliche/r Tutor*in. Das Tutor*innensystem weist jeder/m Studierenden eine individuelle Ansprechperson zu, an die/den er/sie sich jederzeit bei Schwierigkeiten oder mit Fragen wenden können. Dies ist insbesondere in Hinblick auf die Inklusion von internationalen Studierenden, Kommiliton*innen, die in der ersten Generation an der Hochschule studieren, oder Studierenden mit besonderen Erfordernissen wichtig. Das System der Nichtentfristung von Qualifikationsstellen führt dagegen an deutschen Universitäten dazu, dass Lehrende kaum Anreize haben, eine solch intensive Betreuung anzubieten. Alle Zeit, die in Betreuung investiert wird, geht letztlich von der Forschungszeit ab. Die Leidtragenden sind die Studierenden, die inzwischen schon fast für eine beantwortete E‑Mail dankbar sind, und eben die prekär beschäftigten Kolleg*innen.

Eine offensichtliche Frage, die sich hier stellt, ist, wieso an unseren Institutionen Zeit dafür bereit gestellt werden kann, um Studierende derart intensiv zu betreuen, Kursentwicklung voranzutreiben und externe Gutacher*innenverfahren durchzuführen. Aus unserer Außenperspektive liegt die wesentliche Antwort in der hierarchischen Struktur des deutschen Hochschulsystems und dem Mangel an entfristeten Dauerstellen. In unserer Department-Struktur gibt es neben planbaren Karrierepfaden klare Anreize, sich in der Lehre zu engagieren, da diese ein wichtiger Bestandteil für eine Beförderung im wissenschaftlichen System ist. Natürlich sind auch Norwegen und Großbritannien weit davon entfernt, ein bildungspolitisches Paradies zu sein. So sehen wir insbesondere in Großbritannien, aber auch in Skandinavien, trotz sehr unterschiedlicher Formen der Hochschulfinanzierung, einen klaren Trend zur Neoliberalisierung des Universitätssektors, zur Prekarisierung bei Einstiegsstellen, zur Einführung von New-Public-Management-Modellen, Quantifizierung von Bildungsinhalten und einer Fokussierung auf Impact und scheinbarer Exzellenz in der Forschung (vgl. etwa Gourlay und Stevenson 2017). Auch hier sind Lehrende überarbeitet und kämpfen mit den unterschiedlichen Anforderungen, sowohl in Lehre als auch Forschung herausragend sein zu müssen. Zunehmend unterfinanzierte Hochschulen konkurrieren untereinander um die besten Studierenden, vor allem um internationale Studierende auf einem sich mehr und mehr globalisierenden Bildungsmarkt. Aber im Gegensatz zu deutschen Universitäten ist die Ausschreibung von entfristeten Dauerstellen auf allen Qualifkationsebenen immer noch die Regel und exzellente Lehre spielt eine zentrale Rolle für die individuelle Karriereentwicklung. Sicherlich sind ein paar unserer Beobachtungen – zum Zweck des Debattenbeitrags – überzeichnet und wir hoffen, dass sich an den politikwissenschaftlichen Instituten an deutschen Universitäten in den letzten Jahren einiges zum Besseren verändert hat. Wir kennen viele hervorragende Wissenschaftler*innen, die sich bemühen, die Qualität der Lehre zu verbessern. Diese Veränderungen können jedoch nur kosmetisch sein, solange sich nicht dem offensichtlichen Problem der Stellenstrukturen an Universitäten angenommen wird (Bahr et al. 2021; Specht et al. 2017) und ein stärkerer Fokus auf Lehre als Teil der universitären Karriere gesetzt wird. Eine Department-Struktur ermöglicht dabei nicht nur eine bessere Verteilung der Lehrbelastung, da die Verantwortung für die Lehre unter allen festangestellten Kolleg*innen verteilt wird. Mit einer festen Stelle müssen Lehrende nicht den Spagat zwischen eigener Karriereplanung und Lehrverpflichtung bewerkstelligen, da Lehre als Teil des normalen Karriereweges an den Universitäten gleichgestellt mit der Forschung bei Beförderungsentscheidungen herangezogen wird. Feudale Stellenstrukturen passen nicht zu einem sich zunehmend neoliberalisierenden Bildungssystem. Das deutsche Hochschulsystem braucht eine Glorious Revolution!