1 Einleitung

Generell zeigt sich in den letzten Jahren, dass das Thema Sprache in der gesellschaftlichen Debatte, aber auch in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland einen größeren Stellenwert eingenommen hat. So kommt Lobin (2021) zu dem Befund, dass in Deutschland mittlerweile ein regelrechter „Sprachkampf“ herrscht, wobei seiner Meinung nach insbesondere die Neue Rechte Debatten um die korrekte Verwendung der deutschen Sprache als Vehikel nutzt, um auf sich aufmerksam zu machen und Wahlkampf zu betreiben. Vor allem ein Aspekt der Sprache steht dabei im Fokus: die Frage, ob und in welcher Form eine Veränderung hin zu einer stärker geschlechtergerechten Sprache – die in diesem Beitrag werturteilsfrei synonym mit dem Begriff des Genderns bezeichnet werden soll – angebracht ist.

Das grundlegende Ziel geschlechtergerechter Sprache ist es, alle Geschlechter, bzw. zumindest neben Männern auch Frauen, in der Sprache sichtbar zu machen. Um Frauen sichtbarer zu machen, kann beispielsweise auf Doppelnennungen (z. B. Lehrerinnen und Lehrer), Schrägstrichvarianten (z. B. Lehrer/innen) oder das Binnen‑I (z. B. LehrerInnen) zurückgegriffen werden. Im Gegensatz zu diesen Varianten des Genderns sollen mehrgeschlechtliche Schreibweisen mit Sonderzeichen (z. B. Lehrer:innen, Lehrer*innen, Lehrer_innen) neben Frauen auch weitere, nichtbinäre Geschlechtsidentitäten abbilden. Neben der Sichtbarmachung von Geschlechtern kann zudem die komplette Neutralisierung, d. h. das Unsichtbarmachen des Geschlechts, als eine Form der geschlechtergerechten Sprache verstanden werden (z. B. Lehrkraft, Lehrende).

Dieser Artikel nimmt eine sozial- bzw. politikwissenschaftlich, empirisch-analytische Perspektive auf das Thema Gendern ein und folgt damit einer Herangehensweise, die in der bisherigen, v. a. linguistisch geprägten Forschung zur Akzeptanz des Genderns bislang fehlt. Inhaltlich zeigt er in einer Voranalyse auf, ob und wenn ja, wie sich die Parteien in den letzten Jahren und insbesondere im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 zu geschlechtergerechter Sprache positioniert haben. Basierend auf der grundlegenden Annahme, dass sich die von Parteien propagierten Sichtweisen in den Einstellungen der Bevölkerung widerspiegeln, wird in einem zweiten Schritt, basierend auf einer Online-Umfrage, bei der mehr als 10.000 Personen teilgenommen haben, geklärt, wie hoch die Akzeptanz der Genderstern-Schreibweise in der deutschen Bevölkerung ist. Diese Variante wird den Teilnehmer*innen in einer Alltagssituation – konkret beim Ausfüllen eines Fragebogens – neben dem generischen Maskulinum zur Auswahl gestellt. Die Versuchsanordnung unterscheidet sich damit von vielen bisherigen Studien darin, dass die Proband*innen in einer – vermeintlich für sie – unbeobachteten Situation eigenständig wählen können, welche Sprachform sie lieber lesen möchten. Dadurch wird das bei direkteren Befragungen auftretende Problem der sozialen Erwünschtheit minimiert. Basierend auf den Umfragedaten wird dann untersucht, welche individuellen Charakteristika mit der Genderpräferenz korrelieren. Dabei liegt der Hauptfokus auf politsoziologischen Faktoren wie der politischen Selbstpositionierung oder der Parteineigung.

2 Gendern als relevantes Thema der Identitätspolitik

Dieser Abschnitt soll einerseits aufzeigen, weshalb Gendern als identitätspolitisches Thema gerade für Parteien relevant sein kann, und andererseits, weshalb die Einstellungen innerhalb der Bevölkerung auch mit den Parteipositionen zusammenhängen könnten.

In den vergangenen Jahren machten viele politische Beobachter*innen eine grundlegende Veränderung in Richtung einer vermehrten Relevanz identitätspolitischer Themen aus. Laut Fukuyama (2018) geht es hierbei primär darum, dass unterschiedliche Gruppen ihre jeweilige selbstwahrgenommene Identität in der Gesellschaft und von der Politik nicht ausreichend beachtet sehen. Diese Identitäten speisen sich dabei weniger aus den klassischen ökonomischen Trennlinien (z. B. Proletariat vs. Arbeitgeber), die bislang zu einem großen Teil die westliche Parteienlandschaft geprägt haben, sondern verstärkt aus eher soziokulturellen Unterscheidungen wie Positionen zu Einwanderung (Hainmueller und Hopkins 2014) oder eben Gender. Es gehe entsprechend weniger um die materiellen Fragen als um Fragen der Würde und Anerkennung. Während Evans (1993) die Politisierung von Geschlechterungleichheiten noch primär entlang der klassischen Links-rechts-Unterscheidung verortet hat, zeigen neuere Analysen, dass Genderthemen in vielen Ländern selbst zu zentralen ideologischen Unterscheidungsmerkmalen für Parteien werden und hierbei insbesondere Parteien aus dem rechten/rechtspopulistischen, aber auch konservativen Parteienspektrum Gender als Thema erkannt haben, mit dem sich gut Wähler*innen mobilisieren lassen (Abou-Chadi et al. 2021; Dietze und Roth 2020). Doch auch eher linke bzw. sozialdemokratische Parteien verschieben ihren Fokus verstärkt von ökonomischen Fragen hin zu Identitätsthemen und damit unter anderem auch zum Thema Gender, da auch für deren Wählerschaft diese Themen immer wichtiger werden (Hildebrandt und Jäckle 2021). Diese Entwicklung, durch die gesellschaftspolitisch relevante Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in einen stark moralisierenden Diskurs verschoben werden, der auch diskriminierende und autoritäre Lösungsmuster hervorbringt, wird von einigen Autor*innen als Gefährdung für das Grundgerüst liberaler Demokratien betrachtet, und das sowohl für etablierte Demokratien (Kováts 2017) als auch für Staaten, die sich in einem Demokratisierungsprozess befinden (Krizsán und Roggeband 2021). Zudem beobachten einige Autor*innen einen „gender backlash“, der politische Themen, die an sich nichts mit Gender zu tun haben, überlagert – wie z. B. beim Brexit-Referendum, bei dem Männer, die sich aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert fühlen, überproportional häufig für „leave“ stimmten (Green und Shorrocks 2021).

Die Frage des Genderns, also ob und wenn ja, wie verschiedene Geschlechter sprachlich repräsentiert werden sollten, kann dabei gerade auch für Parteien als eine wichtige Frage gesehen werden, da sie es ihnen ermöglicht, sich für die Wählenden leicht ersichtlich zu dem identitätspolitisch aufgeladenen Themenkomplex Gender zu positionieren. Parteipositionen in Bezug auf das Gendern können damit heutzutage als wirkungsmächtige „party cues“ interpretiert werden – ähnlich wie dies auf der persönlichen Ebene für die Genderidentität von Politiker*innen bereits nachgewiesen wurde (Jones und Brewer 2019). Für die Herausbildung von Einstellungsmustern in der Bevölkerung können klar kommunizierte Parteipositionen daher durchaus als Heuristiken dienen, insbesondere, um latent vorhandene Einstellungen mit geringem Aufwand zu bestätigen (Bullock 2020) – auch wenn der Einfluss von „party cues“ auf die öffentliche Meinung in der Forschung kontrovers diskutiert wird (Nordø 2021). Gleichzeitig ist auch die umgekehrte Kausalrichtung denkbar: Parteien könnten gerade diejenigen Themen aufgreifen, die in der Bevölkerung hoch umstritten sind, um sich ein klares Profil zu geben. Für die folgende Untersuchung spielt es allerdings keine sonderliche Rolle, ob es eher die Parteipositionen sind, die die öffentliche Meinung zum Thema Gendern beeinflussen, oder ob umgekehrt eher die Parteien ihre Programmatik an die in ihrer Wählerschaft vorherrschenden Sichtweisen anpassen – oder eine Kombination aus beidem –, es kann so oder so angenommen werden, dass sich die Parteipositionen und die Einstellungen der Parteianhänger*innen ähneln.

3 Forschungsstand zur Akzeptanz des Genderns

Das Thema Gendern wird bereits seit mehreren Jahrzehnten wissenschaftlich, v. a. aus linguistischer Perspektive, analysiert.Footnote 1 Erste empirische Arbeiten zur Akzeptanz geschlechtergerechter Sprache stammen aus den 1980er-Jahren. Damals gaben nur 10–15 % der Befragten an, geschlechtergerechte Formulierungen, wie sie in den 1980 präsentierten „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ (Trömel-Plötz et al. 1981) gefordert wurden – also primär Doppelnennungen von männlicher und weiblicher Form sowie geschlechtsneutrale Benennungen – „ohne Einschränkung in den eigenen Sprachgebrauch zu übernehmen“ (Hellinger und Schräpel 1983). Dabei ist das aktive Verwenden einer Sprachform sicherlich die am weitesten gehende Form der Akzeptanz. Neuere Studien zeigen hier einen gewissen Wandel. So fanden Steiger und Irmen (2007) heraus, dass in Rechtstexten insbesondere neutrale Formulierungen von einer breiten Masse akzeptiert und für angemessener befunden werden als das generische Maskulinum oder Doppelnennungen. Eine repräsentative, 2017/18 vom Institut für Deutsche Sprache auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) durchgeführte Umfrage am Beispiel der Akzeptanz unterschiedlicher geschlechtergerechter Schreibweisen für „Studentinnen und Studenten“ konnte zeigen, dass vor der Beidnennung und dem generischen Maskulinum insbesondere die Partizipialform („Studierende“) präferiert wird. Dies sei insofern überraschend, als eine Suche nach Wortformen im Deutschen Referenzkorpus für die geschriebene Gegenwartssprache (DeReKo) zu dem Ergebnis kommt, dass das generische Maskulinum mit weitem Abstand die am häufigsten verwendete Form darstellt: > 150.000 Fundstellen für „Studenten“ gegen 30.000 für „Studierende“ (Adler und Plewnia 2019, S. 150–152). Laut derselben Untersuchung gebe es zudem nur geringe Unterschiede in den Sprachpräferenzen zwischen Männern und Frauen, wohingegen das Alter der Befragten eine große Relevanz aufweise – interessanterweise jedoch nicht in der Form, in der man es erwarten würde: Während etwa ¼ aller unter 30-Jährigen das generische Maskulinum präferieren, sind dies bei den über 60-Jährigen nur 10 %. Umgekehrt bevorzugen Letztere zu über 60 % die Partizipialform „Studierende“, während diese Schreibweise bei der Gruppe der Jungen (< 30 Jahre) nur von 35 % als beste Variante gesehen wird (Adler und Plewnia 2019, S. 152–153). Eine der aktuell am intensivsten diskutierten Schreibweisen, die des Gendersterns, wird allerdings nicht getestet. Weitere Umfragen zeigen, dass insbesondere der gesprochene Genderstern, die Genderpause, mehrheitlich – v. a. von Männern – abgelehnt wird (ZDFheute 2021; Infratest dimap 2021; Michaux et al. 2021).

Obgleich die genannten Studien interessante erste deskriptive Ergebnisse liefern, gehen sie doch nicht ins Detail bei der Frage, welche Faktoren die Unterschiede in den Sprachpräferenzen erklären können. Hier soll dieser Artikel ansetzen und insbesondere mögliche politsoziologische Erklärungsfaktoren beleuchten, welche in der bisherigen Forschung deutlich zu kurz kamen. Der folgende Abschnitt zeigt, wie das identitätspolitische Thema Gendern in der parteipolitischen Debatte der letzten Jahre und insbesondere im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 an Relevanz gewann, und welche Positionen die Parteien dabei vertreten.

4 Das Thema Gendern in der politischen Debatte der letzten Jahre

Mit dem Aufkommen von Leitfäden zu geschlechtergerechter Sprache und der vermehrten Nutzung selbiger in diversen Printmedien und auch Organisationen – darunter sogar eher konservative wie die katholische Kirche (Kaiser 2021) – hat in den letzten Jahren eine intensive gesellschaftliche Debatte um das Thema Gendern begonnen. Als weiterer Katalysator dieser Entwicklung kann auch die in Rundfunk und Fernsehen immer häufiger anzutreffende Praxis gesehen werden, gegenderte Formen auch sprachlich durch die sogenannte Genderpause – phonetisch ein Glottisschlag – kenntlich zu machen (Fromm 2020). Dies hat zu einer verstärkten Sicht- bzw. Hörbarkeit der Thematik geführt, sodass auch Menschen, die sich bislang nicht intensiv mit geschlechtergerechter Sprache beschäftigt haben, sich nun damit konfrontiert sehen. Die Diskussion um das Gendern hat sich damit aus Kultursendungen und dem Feuilleton hinaus auf die Straße verlagert und es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass dieses gesellschaftlich umstrittene Thema auch in der politischen Debatte angekommen ist.

4.1 Gender(n) als Thema der Politik

Eine Datenanalyse des Tagesspiegels (Barthels et al. 2021), basierend auf Facebook-Posts und Tweets aller Bundestags- und Landtagsabgeordneten, zeigt, dass das Thema seit 2017 deutlich an Relevanz gewonnen hat.Footnote 2 Die aktive Nutzung des Genderns, beispielsweise in Form des Gendersterns, findet sich bei Linken, SPD und Grünen deutlich häufiger als bei FDP, CDU/CSU oder AfD. Bei Linken und SPD nahm seit Beginn des Wahlkampfs der Gebrauch geschlechtergerechter Sprache allerdings wieder deutlich ab. Zum einen steht dies in zeitlicher Kongruenz mit großen innerparteilichen Debatten über Identitätspolitik, angestoßen durch Wolfgang ThierseFootnote 3 bzw. Sahra WagenknechtFootnote 4, andererseits kann dies auch als Versuch gewertet werden, „keine Wähler*innen [zu] verschrecken, die den Genderstern ablehnen“ (Barthels et al. 2021).

Im Vorfeld der Bundestagswahl wurde das Thema zudem von einzelnen Politiker*innen aktiv auf die Agenda gesetztFootnote 5 und zahlreiche Medien griffen es auf: So sah der Bayerische Rundfunk „sprachpolitische Themen auf dem Vormarsch“ und den „Wahlkampf als Sprachkampf“ (Ortmann 2021) und auch eine Arte-Reportage machte „Gendern als Wahlkampfthema“ (Häfele 2021) aus. Zudem wurde das Thema im zweiten Triell der Kanzlerkandidat*innen am 29.08. behandelt. Alle drei, Scholz, Laschet und Baerbock, machten dabei klar, dass sie sprachliche Sensibilität befürworten, einen Zwang zu Gendern für das einzelne Individuum aber ablehnen. Dabei betrachteten offenbar alle drei das Thema Gendern als ein heißes Eisen, an dem sich niemand kurz vor der Wahl die Finger verbrennen wollte: Eine klare Ablehnung oder Befürwortung des Genderns kam daher von keinem der Kandidierenden.

4.2 Parteipositionen zum Thema Gendern

Da in dieser Arbeit davon ausgegangen wird, dass Parteipositionen und Einstellungen in der Bevölkerung kovariieren können – gleich, welche Kausalitätsrichtung man dabei annimmt – folgt an dieser Stelle eine kurze Analyse der in den Parteien vorherrschenden Positionen. Hierfür wird zunächst auf das Item „Inklusive Sprache“ aus der Expertenbefragung „Open Expert Survey“ (Jankowski et al. 2021) zurückgegriffen, bevor in einem zweiten Schritt die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2021 in Bezug auf den Themenkomplex Gender(n) ausgewertet werden.

Abb. 1 zeigt, wie die politikwissenschaftlichen Expert*innen die Einstellung der Parteien zu der Frage des Genderns einschätzen. Obgleich sich von den insgesamt 361 Teilnehmer*innen der Umfrage nur zwischen 21 und 66 zu der Frage äußerten, kann diese Grafik doch erste Anhaltspunkte liefern. So zeigen sich einerseits klare Links-rechts-Differenzen, andererseits geben die Expert*innen aber auch – gerade bei SPD, Linken und FDP – zum Teil deutlich unterschiedliche Einschätzungen ab. Diese Parteien werden beim Thema Gendern entsprechend vergleichsweise uneinheitlich eingeschätzt.

Abb. 1
figure 1

Experteneinschätzung der Parteipositionen zum Thema Gendern. Anmerkung: Exakte Frage aus dem „Open Expert Survey“: „Um verschiedene Geschlechter sichtbar zu machen, wird in der öffentlichen Verwaltung und in den Medien eine inklusive Sprache und Schreibweise, zum Beispiel das sogenannte Gender-Sternchen verwendet. Welche Positionen vertreten Ihrer Meinung nach die Parteien dazu? 1 = Mit der männlichen Sprachform werden alle Geschlechter angesprochen, andere Sprachformen sind weder grammatikalisch richtig noch nötig; 20 = Es soll eine möglichst inklusive Sprache und Schreibweise verwendet werden.“

Für die Analyse der Wahlprogramme werden neben denjenigen der im Bundestag vertretenen Parteien auch diejenigen der Kleinparteien, die bei der Wahl mindestens 100.000 Zweitstimmen auf sich vereinigen konnten, ausgewertet (Freie Wähler, Die PARTEI, Tierschutzpartei, Piratenpartei, ÖDP, dieBasis, Team Todenhöfer und Volt). Drei Aspekte werden betrachtet:

  1. 1.

    Wird eine Form geschlechtergerechter Sprache verwendet, und wenn ja, welche?

  2. 2.

    Kommt die Begrifflichkeit „Gender“ in dem Wahlprogramm vor, und wenn ja, in welchem Kontext?

  3. 3.

    Wird allgemein Sprache und konkret das Gendern als relevantes Thema im Wahlprogramm erwähnt?Footnote 6

Tab. 1 zeigt einen Überblick der Ergebnisse. An dieser Stelle kann nicht auf alle einzelnen Teilaspekte eingegangen werden. Im Online-Anhang findet sich jedoch eine detailliertere Auswertung mitsamt einer Tabelle sämtlicher Fundstellen von „Gender(n)“ in den Programmen. Zusammenfassend zeigt die Analyse der Wahlprogramme, dass sich insbesondere die AfD deutlich von den anderen Parteien unterscheidet. Nicht nur ist sie die einzige der größeren Parteien, die in ihrem Programm konsequent auf das generische Maskulinum setzt, sie ist auch die einzige Partei, die den Begriff Gender ausschließlich kulturell und v. a. sprachlich auffasst und dabei vehement ablehnt.Footnote 7 Die Linke hingegen ist die einzige der im Bundestag vertretenen Parteien, die eine aus Genderperspektive diskriminierungsfreie Sprache als Ziel formuliert. Die Grünen – als Partei, die häufig mit dem Gendern assoziiert wird – schweigen zu diesem sprachlichen Themenkomplex hingegen. Dabei liegt bei Linken und Grünen allgemein der Fokus bei Genderthemen eindeutig auf sozioökonomischen Aspekten und nicht wie bei der AfD auf kulturellen. Bei den Unionsparteien, der SPD und auch der FDP lässt sich in diesem Zusammenhang keine der beiden Ebenen ausfindig machen. Gender(n) spielt für diese Parteien zumindest in den Wahlprogrammen keine Rolle – ganz im Gegensatz zu Volt, die als einzige Partei ihr Programm sogar mit einem extra Absatz zu diskriminierungsfreier Sprache beginnt.

Tab. 1 Sprache und Gender(n) als Thema in den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021

5 Befragung zur Akzeptanz des Genderns

In diesem Abschnitt wird basierend auf einer Online-Befragung die Akzeptanz einer bestimmten Form geschlechtergerechter Sprache untersucht, nämlich der Schreibweise mit Genderstern.

5.1 Forschungsleitende Hypothesen

In dieser Arbeit sollen v. a. politsoziologische Faktoren für die Akzeptanz von geschlechtergerechter Sprache untersucht werden. Darüber hinaus wird auf weitere potenziell relevante Faktoren statistisch kontrolliert. Angesichts der in den vorigen Abschnitten beschriebenen Situation, nach der das Gendern als identitätspolitisch aufgeladene Thematik in der politischen Debatte generell an Relevanz gewonnen hat und gerade im Wahlkampf stark politisiert wurde, wird zunächst davon ausgegangen, dass Anhänger*innen einer Partei grundsätzlich eine ähnliche Sichtweise auf das Thema haben, wie sie von der von ihnen präferierten Partei (auch in den Wahlprogrammen) propagiert wird (H1a): Personen mit Wahlabsicht Grüne, Linke, FDP oder SPD sollten eine Schreibweise mit Genderstern tendenziell weniger stark ablehnen als solche mit Wahlabsicht CDU/CSU. Als Partei, die mit Abstand am stärksten gegen eine Genderschreibweise mobil macht, sollten Anhänger*innen der AfD die geringste Akzeptanz für den Genderstern aufweisen. Die deutlich sichtbaren innerparteilichen Debatten zum Thema Gendern innerhalb der SPD und der Linken sollten sich auch in einer stärker gespaltenen Einstellung unter deren Wähler*innen zeigen, als dies bei Grünen, Unions- oder AfD Anhänger*innen der Fall ist (H1b).

Da es sich beim Gendern um ein Thema handelt, das geradezu exemplarisch für den Konflikt zwischen progressiv und konservativ-bewahrenden Kräften steht, kann davon ausgegangen werden, dass Personen, die sich eher links und v. a. im Sinne der GAL/TAN-UnterteilungFootnote 8 als eher ökologisch und alternativ einstufen, eine höhere Akzeptanz aufweisen (H2a). Daneben sollten Menschen, die sich auch in anderen aktuell debattierten Bereichen gegen staatliche Eingriffe bzw. Reglementierungen aussprechen – beispielsweise bei der Klimafrage – eine geringere Akzeptanz für Gendersprache aufweisen, da diese als übergriffige Einmischung in die Selbstbestimmung wahrgenommen wird (H2b).

Neben diesen beiden Hypothesenblöcken wird in der folgenden statistischen Analyse auf das Alter (Annahme: je jünger, desto höhere Akzeptanz), das Geschlecht (Annahme: weiblich und v. a. diversFootnote 9 mit höherer Akzeptanz als männlich) und den höchsten Bildungsabschluss (Annahme: je höher der Bildungsabschluss, desto höher die Akzeptanz) kontrolliert. Auch die Frage, ob man als Haushalt mit dem verfügbaren Einkommen bequem leben kann, wird als Kontrollfaktor untersucht, wobei es schwierig ist, hierzu eine klare Annahme zu formulieren. Daneben werden zwei mögliche räumliche Effekte kontrolliert – Ost/West und Stadt/Land. Die Annahme dahinter ist, dass Einstellungsmuster sich vielfach im sozialen Kontakt zu anderen Menschen ausbilden und es daher räumliche Schwerpunkte in diesen Mustern gibt. Ähnlich den Einstellungen zu anderen identitätspolitischen Fragen (z. B. Einwanderung) kann angenommen werden, dass in den ostdeutschen Bundesländern (mit Ausnahme von Berlin) eine niedrigere Akzeptanz für eine Schreibweise mit Genderstern besteht als im Westen. Daneben ist anzunehmen, dass Menschen, die in einem urbanen Gebiet leben, häufiger mit geschlechtergerechten Schreibweisen konfrontiert werden (z. B. im universitären oder kulturellen Kontext) und zudem mehr Kontakte zu in Städten überproportional häufig anzutreffenden, progressiveren Personen haben. Entsprechend sollten Personen, die in (Groß‑)Städten leben, eine höhere Akzeptanz für den Genderstern aufweisen als solche, die auf dem Land leben.

5.2 Untersuchungsdesign

Ein generelles Problem von Studien, die die Akzeptanz des Genderns untersuchen, ist, dass diese die Befragten i. d. R. sehr direkt fragen, wie sie entweder eine bestimmte gegenderte Schreibweise beurteilen, welche Schreibweise sie selbst gewählt hätten oder wie sie generell zum Gendern stehen (z. B. Infratest dimap 2021; Adler und Plewnia 2019; MDR 2021). Dadurch, dass die Debatte zum Thema Gendern in der Öffentlichkeit jedoch mit wenig Grautönen geführt wird, fühlen sich diejenigen, die an diesen Studien teilnehmen, durch die direkte Frage nach dem Gendern eventuell dem Druck der sozialen Erwünschtheit ausgesetzt. Auch ist davon auszugehen, dass eine potenziell stark emotionale Reaktion der Teilnehmer*innen auf ein gesellschaftlich so intensiv diskutiertes Thema die Ergebnisse systematisch beeinflussen könnte. Ebenso ist denkbar, dass Personen, obgleich sie sich in Umfragen eventuell für die Verwendung einer geschlechtergerechten Schreibweise aussprechen, doch lieber auf die althergebrachte Schreibweise mit generischem Maskulinum zurückgreifen, da diese für sie in der Anwendung aktiv (schreiben/sprechen) wie passiv (lesen) angenehmer ist. Diese Menschen teilen folglich die rationalen Argumente von Befürworter*innen, ändern aber ihr Verhalten, wenn sie sich unbeobachtet wähnen oder selbst wählen können, welche Sprachform sie im alltäglichen Sprachgebrauch nutzen oder zu lesen bekommen möchten.

Aus diesen Gründen soll in dieser Studie eine alternative, weniger direkte Befragungsvariante gewählt werden. Noch bevor die eigentliche Befragung begann, wurden die Teilnehmer*innen einer Online-Umfrage zu politischen Einstellungen unterschiedlicher Generationen, die zwischen dem 07. Juli und dem 08. August 2021 durchgeführt wurdeFootnote 10 (Wagschal und Jäckle 2021), gefragt, ob sie die Umfrage als gegenderte Variante mit Genderstern oder „nicht gegendert“ als Variante mit generischem Maskulinum angezeigt bekommen möchten.Footnote 11 Auf diese Weise ist es besser möglich, die wirkliche, intrinsische Einstellung der Befragten zum Gendern abzufragen, ohne vorab ein Priming zu setzen, wie es bei der direkten Fragevariante der Fall wäre. Den Befragten dürfte an dieser Stelle vielfach gar nicht bewusst gewesen sein, dass ihre Auswahl als Untersuchungsgegenstand dient, da die eigentlichen Fragen erst auf der folgenden Seite starteten. Die zweite auf dieser Startseite präsentierte Frage, ob man eine barrierefreie Version benötigt, die für sehbehinderte Menschen geeignet ist, sollte den Eindruck noch verstärken, dass es sich hierbei ausschließlich um eine für die Befragten selbst relevante Auswahl der Anzeigeoptionen der eigentlichen Umfrage handelt (vgl. Online-Anhang Abbildung A1). Die Umfrage selbst wurde dann den Befragten in der sprachlichen Version präsentiert, die sie zuvor ausgewählt hatten. Durch diese Versuchsanordnung kann davon ausgegangen werden, dass die hier angegebene Präferenz für oder gegen das Gendern von äußeren Faktoren maximal unbeeinflusst ist und daher eine valide Messung darstellt. Die Umfrage erlaubt es damit, Aussagen darüber zu treffen, ob eine Person in einer privaten Situation bereit ist, dem Genderstern passiv ausgesetzt zu sein. Im Gegensatz zur aktiven Nutzung des Genderns (mündlich oder in Texten) ist der zusätzliche Aufwand für die Teilnehmenden somit minimal. Es ist daher wahrscheinlich, dass Personen, die das Gendern akzeptieren, in der Umfrage auch die gegenderte Variante auswählen.Footnote 12

Fehlende Werte werden für die Analyse durch eine multiple Imputation mittels Kettengleichung (MICE) ersetzt.Footnote 13 Damit ergeben sich insgesamt 10.308 zu analysierende Fälle. „Listwise deletion“ würde demgegenüber die Fallzahl um etwa 20 % verringern, was auch die Signifikanzen reduzieren würde. Zudem zeigt der Test nach Little eindeutig, dass die Missing-Completely-At-Random(MCAR)-Annahme nicht zutrifft (prob > χ2 = 0,00). Das bedeutet, dass eine Analyse, die ausschließlich auf die vollständig vorhandenen Fälle zurückgreifen würde, systematisch verzerrte Ergebnis liefern würde (Little und Rubin 2014; Li 2013).

Für die statistische Analyse werden die Umfragedaten zunächst anhand von Alter, Geschlecht und Wohnort (Bundesland) poststratifiziert.Footnote 14 Eine Aufstellung der verwendeten Variablen, deren Operationalisierung sowie einiger deskriptiv-statistischer Maße findet sich im Online-Anhang in Tabelle A2. Die folgende Analyse geht in zwei Schritten vor: Um einen ersten Eindruck der Zusammenhänge zu bekommen, wird die abhängige Variable zunächst deskriptiv untersucht. Für eine systematische Analyse unter Kontrolle von Drittfaktoren wird dann in einem zweiten Schritt eine binär logistische Regression durchgeführt.

6 Ergebnisse

6.1 Erste deskriptive Befunde

Erste deskriptive Analysen zeigen, dass 21,2 % der Befragten die Umfrage mit der Gendersternschreibweise lesen wollten, 75,2 % haben das generische Maskulinum gewählt und 3,6 % der Befragten haben bei dieser einleitenden Frage keine Auswahl getroffen. Es existieren allerdings deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Befragtengruppen. So präferieren unter den Männern nur etwa 16 % die gendergerechte Variante, unter den Frauen sind es 27 % (vgl. Abb. 2). Bei denjenigen Personen, die als Geschlecht „divers“ angeben, werden die beiden Schreibweisen etwa gleich häufig gewählt. Unterteilt man die Befragten nach Altersgruppen, zeigt sich, dass insbesondere die Mitglieder der jüngsten Gruppe (14–30 Jahre) die geschlechtergerechte Schreibweise gewählt haben. Dennoch stellt auch in dieser Gruppe das generische Maskulinum mit etwa 60 % deutlich die modale Kategorie dar. Je älter die Befragten werden, desto seltener wählen diese die Schreibweise mit Genderstern. Des Weiteren zeigt eine Analyse nach Wohnort deutliche Ost-West- und auch Stadt-Land-Unterschiede (vgl. Abbildung A3 im Online-Anhang).

Abb. 2
figure 2

Präferierte Schreibweise nach Geschlecht und nach Altersgruppe (in %). Anmerkung: N = 10.308; Berechnung über alle 10 imputierten Datensätze; Gewichtung nach Alter, Geschlecht und Bundesland

Abb. 3, in der die präferierte Schreibweise nach der Antwort auf die Sonntagsfrage dargestellt ist, zeigt ebenfalls deutliche Unterschiede. Von den Anhänger*innen der CDU, CSU, FDP, AfD, Freien Wähler und dieBasis sowie den Nichtwähler*innen bzw. denjenigen, die den Wahlschein ungültig machen würden, wünschen weniger als 10 % die gegenderte Schreibweise zu lesen. Bei den SPD-Anhänger*innen waren es 25 %, bei denen der Linken 35 % und bei denen der Grünen 45 %. Nur unter den Personen mit Wahlabsicht Volt hat sich eine Mehrheit (56,7 %) für die Schreibweise mit Genderstern entschieden. Diese deskriptiven Befunde bestärken größtenteils die in H1a aufgestellten Annahmen über den Zusammenhang zwischen Wahlabsicht und Genderpräferenz. Hypothese H1b, nach der eine größere Spaltung der Wählerschaft bei SPD und Linken in Bezug auf das Gendern zu erwarten wäre, lässt sich im Vergleich zu den meisten anderen größeren Parteien bestätigen. Ein noch weniger einheitliches Bild liefern einzig die Grünen. Nur die Tatsache, dass Personen mit Wahlabsicht FDP die geschlechtergerechte Variante noch seltener wählen als CDU-Anhänger*innen, passt nicht zu den Hypothesen.

Abb. 3
figure 3

Präferierte Schreibweise nach Sonntagsfrage (in %). Anmerkung: N = 10.308; Berechnung über alle 10 imputierten Datensätze; Gewichtung nach Alter, Geschlecht und Bundesland

Bei der Bewertung dieser deskriptiven Ergebnisse muss allerdings beachtet werden, dass noch keine Kontrolle weiterer Drittvariablen vorgenommen wurde. Im folgenden Abschnitt wird deshalb im Rahmen einer Regressionsanalyse getestet, ob die hier gefundenen Parteieneffekte auch unter Einbezug weiterer erklärender Variablen Bestand haben.

6.2 Ergebnisse der Regressionsanalyse

Für die folgende Regressionsanalyse werden ausschließlich Daten von denjenigen Befragten verwendet, die eine Auswahl bei der Frage nach der Gendervariante getroffen haben (N = 9970). Die 3,6 % der Befragten, die hier keine Auswahl getroffen haben, werden nicht betrachtet. Aufgrund der regionalen Varianzen, die bereits im vorherigen Abschnitt angesprochen wurden, werden nach Bundesland geclusterte Standardfehler ausgewiesen. In einem ersten Schritt werden die einzelnen Hypothesen zunächst in getrennten Modellen getestet – allerdings immer unter Kontrolle von Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Haushaltseinkommen (Modelle 1–5 in Tab. 2). In Modell 6 werden dann sämtliche Variablen gemeinsam eingebracht. Da es sich um eine logistische Regression handelt, lassen sich die b‑Koeffizienten in Tab. 2 zunächst nur in Bezug auf die Signifikanz und die Richtung des Zusammenhangs interpretieren. Positive Werte bedeuten, dass eine Erhöhung der betreffenden Variable mit einer Steigerung der Wahrscheinlichkeit einhergeht, dass die betreffende Person die Variante des Fragebogens mit Genderstern und nicht diejenige mit generischem Maskulinum gewählt hat.

Tab. 2 Ergebnisse der logistischen Regressionsanalyse b‑Koeffizienten

Das erste Modell zeigt, dass die in H1a postulierten Parteieneffekte zum Teil vorhanden sind. So wählen Anhänger*innen der SPD, der Grünen und der Linken sowie der Kleinpartei Volt im Vergleich zur Referenzkategorie CDU signifikant häufiger die geschlechtergerechte Schreibweise, diejenigen von FDP, den Freien Wählern und der Partei dieBasis hingegen seltener. Personen mit Wahlabsicht AfD oder CSU unterscheiden sich, nach Kontrolle auf Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Haushaltseinkommen statistisch nicht von denen mit Wahlabsicht CDU. Eine Alleinstellung der AfD-Anhänger*innen lässt sich demnach nicht feststellen.

Im zweiten Modell wird die politische Selbstpositionierung auf den Links-rechts- und GAL-TAN-Skalen getestet (H2a). Wie erwartet nimmt die Wahrscheinlichkeit, sich für die Gendersternvariante zu entscheiden, ab, je weiter rechts bzw. je weiter man sich in Richtung des traditionell-autoritär-nationalistischen Pols verortet. Einen ebenfalls signifikanten Effekt zeigt der in Modell 3 getestete Index, der die Zustimmung zu staatlichen Eingriffen bemisst. Je stärker die Befürwortung staatlicher Eingriffe und Vorgaben ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, die geschlechtergerechte Variante zu wählen. Dies entspricht der Hypothese H2b.

Die Modelle 4 und 5 untersuchen die beiden räumlichen Kontrollfaktoren Ost/West/Stadtstaat und Größe des Wohnorts. Nach Kontrolle auf die weiteren Drittvariablen ist kein signifikanter Unterschied zwischen Personen aus West- und Ostdeutschland mehr feststellbar. Bewohner*innen der drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin haben demgegenüber eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, die Variante mit Genderstern zu wählen.Footnote 15 Die Wahrscheinlichkeit die geschlechtergerechte Variante zu wählen, steigt zudem, je größer der Wohnort ist. Insbesondere in Großstädten (> 100.000 Einwohner) gilt dies.

Inwiefern die in den Modellen 1–5 gefundenen Effekte auch unter Einbezug der jeweils anderen erklärenden Faktoren bestehen bleiben und wenn ja, welche von diesen sich als besonders erklärungskräftig herausstellen, zeigt Modell M6. Zunächst zeigen die Pseudo‑R2-Werte an, dass das finale Modell den besten Fit aller Modelle aufweist.Footnote 16 Regressionsdiagnostische Verfahren indizieren für dieses finale Modell keine Probleme.Footnote 17 Um die Effekte besser interpretieren zu können, findet sich dieses Modell auch (in Form von Odds Ratios inklusive 90, 95 und 99 %-Konfidenzintervallen abgetragen) in Abb. 4.

Abb. 4
figure 4

Darstellung des finalen Modells M6 aus Tab. 2 in Form von Odds Ratios

Der Effekt der Parteipräferenz geht im finalen Modell deutlich zurück. Einen signifikant positiven Einfluss weisen im finalen Modell nur noch die Anhänger*innen von Volt auf. Deren Chance, die geschlechtergerechte Variante zu wählen, ist ceteris paribus 1,75-mal so hoch wie die der Referenzkategorie CDU. Eine im Vergleich zu CDU-Anhänger*innen signifikant geringere Wahrscheinlichkeit, die geschlechtergerechte Variante zu wählen, haben Personen mit Wahlpräferenz Freie Wähler, dieBasis sowie Nichtwähler*innen und zumindest auf dem 95 %-Vertrauenswahrscheinlichkeitsniveau auch die Anhänger*innen der FDP. Da sich Odds Ratios kleiner eins nicht direkt mit solchen größer eins vergleichen lassen, bietet sich für diese Koeffizienten die Berechnung des Kehrwerts an. Den größten Parteieneffekt haben damit die Nichtwähler*innen, gefolgt von den Anhänger*innen der Basis, die im Vergleich zur CDU-Referenz eine 3,4- bzw. eine 2,6-fache Chance aufweisen, nicht die Gendersternvariante zu wählen.Footnote 18

Während die Parteieneffekte teilweise im finalen Modell gar nicht mehr als relevant auftauchen, bleiben die Variablen, die die politische Einstellung bemessen, hochsignifikant und zeigen insgesamt betrachtet auch den stärksten Effekt aller getesteten Faktoren. So erhöht bereits ein um eine Einheit höherer (d. h. rechterer) Wert auf der elfstufigen Links-rechts-Skala die Chance, nicht die Gendersternvariante zu wählen, um das 1,2-Fache. In einer ähnlichen Größenordnung ist der Effekt der GAL-TAN-Selbsteinstufung. Den mit Abstand größten Effekt hat allerdings der Index, der die Zustimmung zu staatlichen Eingriffen misst. Eine um eine Einheit höhere Zustimmung (Skala 0–10) geht hier mit einer um das 1,7-fach erhöhten Chance einher, die geschlechtergerechte Version zu wählen.

Die Effekte der beiden räumlichen Kontrollvariablen lassen sich auf Basis des finalen Modells nicht mehr bestätigen. Einzig Personen aus Wohnorten mit mehr als 100.000 Einwohner*innen haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, die Gendersternvariante zu wählen im Vergleich zu denjenigen, die auf dem Land leben (Orte < 5000 Einwohner*innen). In Bezug auf die weiteren Kontrollvariablen zeigt sich, dass unter ansonsten gleichen Bedingungen jüngere Menschen, Frauen, Personen mit höherer Bildung und solche, die das eigene Haushaltseinkommen so einschätzen, dass sie damit (sehr) bequem leben können, eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, die geschlechtergerechte Version des Fragebogens zu wählen.

Da auch die Interpretation von Odds Ratios nicht in allen Fällen anschaulich ist, sind in den Abb. 5 und 6 für Kombinationen einzelner Variablenausprägungen die auf Basis von Modell 6 vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten – berechnet als Average Adjusted Predictions (Williams 2021) – dafür abgetragen, die Variante mit Genderstern zu wählen. Bei dieser Darstellungsform gilt es zu beachten, dass alle weiteren, nicht in der Abbildung enthaltenen Erklärungsvariablen auf ihren real beobachteten Werten verbleiben.

Abb. 5
figure 5

Vorhergesagte Wahrscheinlichkeit für Männer und Frauen, die Variante mit Genderstern zu wählen nach links/rechts, sowie GAL/TAN-Selbstpositionierung und der Einstellung zu staatlichen Eingriffen (+95 % Konfidenzintervall)

Abb. 6
figure 6

Vorhergesagte Wahrscheinlichkeit für Männer und Frauen, die Variante mit Genderstern zu wählen nach Haushaltseinkommen, Bildungsstand und Alter (+95 % Konfidenzintervall)

Abb. 5 vergleicht die vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten für zwei Gruppen von Männern und von Frauen, die sich bei der politischen Selbsteinstufung maximal unterscheiden:Footnote 19 erstens Personen, die sich ganz links und ganz alternativ-ökologisch sehen und zweitens solche am gegenüberliegenden Ende des politischen Spektrums (ganz rechts und ganz traditionell/konservativ). Der Unterschied zwischen diesen beiden politischen Extremen ist deutlich, ebenso zumindest tendenziell der Unterschied zwischen Frauen und Männern. Zudem zeigt die Darstellung den großen Effekt, den die Zustimmung zu staatlichen Eingriffen aufweist. Während auch sehr links-ökologisch-alternative Personen, sofern diese staatliche Eingriffe ablehnen, so gut wie nie die Variante mit Genderstern wählen würden, erhöht sich deren Wahrscheinlichkeit, die geschlechtergerechte Version des Fragebogens anzuklicken, auf 70 % für Männer und 75 % für Frauen, sofern sie eine maximale Zustimmung zu staatlichen Eingriffen aufweisen. Abb. 6 lässt sich analog interpretieren: So hat beispielsweise eine 30-jährige, hochgebildete Frau, die von sich sagt, dass sie mit ihrem Haushaltseinkommen gut leben kann, eine 36-prozentige Wahrscheinlichkeit, die Variante mit Genderstern zu wählen. Für einen gleichalten Mann mit mittlerem Bildungsstand und einem nach eigener Einschätzung, unzureichenden Haushaltseinkommen wird hingegen nur eine Wahrscheinlichkeit von 15 % geschätzt, die geschlechtergerechte Version auszuwählen.

7 Fazit

Das Thema Gendern hat in den letzten Jahren eine immer wichtigere Rolle im gesellschaftlichen und v. a. auch im politischen Diskurs gespielt. Dies zeigt auch die Betrachtung der in diesem Zusammenhang geführten Debatten im Vorfeld der Bundestagswahl sowie die Analyse der Wahlprogramme. Das Bild, welches sich hier bietet, ist deutlich: Insbesondere die AfD begreift das Thema geschlechtergerechte Sprache offensichtlich als wahlkampfrelevant. Das Wort „Gender“ findet sich in ihrem Wahlprogramm häufiger als bei allen anderen Parteien. Gender wird von der AfD dabei als eine fehlgeleitete Ideologie beschrieben, die im Kontext des Genderns einen Angriff auf das zentrale kulturelle Merkmal der deutschen Nation, nämlich ihre Sprache, darstellen würde. Zudem wird die geschlechtergerechte Sprache als eine von linken Eliten oktroyierte Vorschrift dargestellt, die von der Bevölkerung abgelehnt wird. Für die meisten anderen Parteien scheint allgemein das Thema Sprache und konkret das Thema Gendern hingegen kein so großes Gewicht zu besitzen. Eine explizite Positionierung zu geschlechtergerechter Sprache fehlt zumeist. Nur die Linke und Volt führen in ihren Programmen aus, dass sie sich für eine diskriminierungsfreie Sprache einsetzen wollen. Auch wenn es in den Wahlprogrammen mit Ausnahme von AfD, Linke und Volt nicht explizit vorkam, spielte das Thema Gendern im Wahlkampf durchaus eine Rolle. So haben sich mehrere Debatten zum weiteren Komplex der Identitätspolitik, die im Vorfeld der Bundestagswahl geführt wurden, an der Frage der Nutzung geschlechtergerechter Sprache entzündet.

Diese Situation nimmt der vorliegende Artikel als Ausgangspunkt, um die Akzeptanz des Gendersterns als eine der am intensivsten diskutierten Varianten geschlechtergerechter Sprache in der Bevölkerung zu untersuchen und um zu testen, mit welchen Faktoren diese Akzeptanz zusammenhängt. Das Design der Untersuchungsanlage unterscheidet sich von bisherigen Studien zur Akzeptanz geschlechtergerechter Sprache in zweierlei Hinsicht. Erstens wird die Akzeptanz nicht direkt abgefragt, sondern die Teilnehmer*innen konnten vor Beginn des eigentlichen Fragebogens auswählen, in welcher Schreibweise (mit Genderstern oder mit generischem Maskulinum) sie die Umfrage lesen wollten. Zweitens werden im Gegensatz zu bisherigen Studien, die meist nur den Zusammenhang mit soziodemografischen Faktoren untersucht haben, in dieser Analyse auch politisch-soziologische Erklärungsvariablen getestet.

Basierend auf über 10.300 Fällen zeigt die deskriptive statistische Auswertung zunächst, dass nur etwa 21 % der Befragten die Gendersternvariante zu lesen wünschen, wohingegen 75 % die Fragebogenversion mit generischem Maskulinum gewählt haben (4 % trafen bei der Frage keine Auswahl). Als Haupterkenntnis der durchgeführten binär-logistischen Regressionsanalyse kristallisiert sich heraus, dass unter Kontrolle auf Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Haushaltseinkommen sowie Wohnort (Ost/West und Größe des Wohnorts) politische Einstellungsfaktoren die größte Erklärungskraft dafür aufweisen, welche Fragebogenvariante jemand auswählt. Insbesondere Personen, die eine hohe Zustimmung zu staatlichen Eingriffen zeigen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die geschlechtergerechte Version zu wählen. Diese Variable hat sich mit deutlichem Abstand als der erklärungsmächtigste Faktor in der Analyse erwiesen. Aber auch die klassischen Links-rechts- und die GAL-TAN-Skalen hängen mit der Präferenz für oder gegen den Genderstern zusammen. Wie erwartet möchten Menschen, die sich politisch weiter rechts sowie stärker nationalistisch und traditionell einstufen, deutlich seltener die geschlechtergerechte Schreibweise lesen. Die Analyse hat zudem gezeigt, dass eine geschlechtergerechte Schreibweise eine höhere Akzeptanz bei FrauenFootnote 20, bei Jüngeren und höher Gebildeten sowie bei Personen, die ihr eigenes Haushaltseinkommen als gut auskömmlich beschreiben, aufweist. Daneben wählen Menschen, die in Großstädten leben, häufiger die Variante mit Genderstern. Ein Ost-West-Unterschied findet sich hingegen nicht mehr, sobald auf die weiteren Faktoren kontrolliert wird.

Insgesamt zeigt die Analyse damit, dass die Akzeptanz des Gendersterns deutlich mit bekannten politischen Einstellungsmustern zusammenhängt. Über diese grundlegenden politischen Einstellungen hinaus finden sich nur wenige weitere Parteieneffekte. So unterscheiden sich beispielsweise Anhänger*innen der AfD nach Kontrolle auf links-rechts, GAL-TAN und der Zustimmung zu staatlichen Eingriffen nicht mehr von denen der CDU. Das spricht dafür, dass bei der Frage nach dem Gendern vergleichsweise tief liegende identitätspolitische Einstellungsmuster aktiviert werden (vgl. Fukuyama 2018). Obgleich das Thema aktuell in erster Linie durch eine einzige Partei wahlkampftaktisch genutzt wird, zeigt diese Analyse damit, dass die Frage, wie in Deutschland mit diskriminierungsfreier Sprache umgegangen wird, auch in Zukunft ein großes politisches Konfliktpotenzial besitzt, welches potenziell auch für die anderen Parteien relevant werden wird – wie dies für andere identitätspolitische Themen bereits der Fall ist (Abou-Chadi und Wagner 2020; Hildebrandt und Jäckle 2021).

Damit können die Ergebnisse dieser Analyse auch als Ausgangspunkt für weitere politikwissenschaftliche Fragestellungen betrachtet werden. Denn während die Politisierung des Themas Gender gerade vonseiten der Parteien- sowie der Extremismusforschung mittlerweile intensiv behandelt wird (z. B. Abou-Chadi et al. 2021; Coffé 2018; Graff und Korolczuk 2021; Kováts 2018), fehlt es an empirischen Arbeiten, die den Zusammenhang zwischen Einstellungsmustern in der Bevölkerung und Parteipositionen in den Blick nehmen – also beispielsweise auch die in diesem Artikel bewusst ausgesparte Frage der hierbei vorherrschenden Kausalitätsrichtung: Übernehmen die Parteianhänger*innen von ihren Parteien propagierte Sichtweisen auf das Thema Gender, wie dies auch bei anderen „party cues“ der Fall ist, und beeinflussen Parteiprogramme und Aussagen von Parteirepräsentant*innen damit die gesellschaftliche Realität? Oder ist es eher umgekehrt, sodass die Parteien sich in ihren ideologischen Positionierungen und Programmen den in ihrer Wählerklientel vorherrschenden Einstellungsmustern anpassen? Der Befund dieses Artikels, dass die grundlegenden politisch-ideologischen Einstellungen wichtiger für die Akzeptanz des Gendersterns sind als Wahlpräferenzen, spricht zumindest eher für die zweite Variante. Daneben ging diese Analyse davon aus, dass die persönliche Präferenz für oder gegen den Genderstern im Lesen eines Fragebogens ein gutes Maß für die intrinsische Einstellung zum Thema Gendern ist. An dieser Stelle könnte weitere Forschung ansetzen, die einer möglichen Differenz zwischen intrinsischer, persönlicher Präferenz pro oder contra Gendern und der realen, aktiven Nutzung gegenderter Sprache in unterschiedlichen sozialen Kontexten auf den Grund geht und dabei zu klären sucht, ob – sofern es eine solche Differenz gibt – diese eher auf rationale Erwägungen oder auf sozialen Druck zurückzuführen ist.