Die rechtlichen Regelungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie führten zur Schließung der Schulen sowie der Restaurants und des Einzelhandels am 13. März 2020 und wurden mit der Corona-Schutzverordnung verschärft (Land NRW 2020a). Das Versammlungsverbot galt für Gruppen von mehr als zwei Personen. Weiterführende Abstands- und Hygieneregeln betrafen insbesondere Risikogebiete. Vor dem Hintergrund mangelnder Infrastruktur und insbesondere eines Mangels an Masken und Diagnose-Tests wurde das öffentliche Leben weitgehend eingeschränkt. Erst Ende April wurde dies durch die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasenbedeckung im öffentlichen Raum erweitert (Paragraf 12 Abs. 1 Corona-Schutzverordnung).
Mitte April wurden Veranstaltungen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Daseinsvorsorge dienten, mit entsprechenden Vorkehrungen wieder erlaubt (Land NRW 2020b). Sinkende Infektionszahlen im Mai führten zu weiteren Lockerungen und begrenzten Öffnung von Schulen und Kitas. Im Sommer 2020 wurden in Nordrhein-Westfalen Veranstaltungen bis zu 300 Teilnehmern erlaubt, wenn entsprechende Hygieneschutzmaßnahmen, wie z. B. Mindestabstände, eingehalten wurden.
Auf der lokalen Ebene wurden bereits Anfang März Corona-Krisenstäbe eingesetzt, die zeitnahe und (sub-)lokale Lösungen entwickeln sollten. Das lokalpolitische Leben wurde weitgehend lahmgelegt. Demonstrative Beteiligung fand zunächst nicht statt und richtete sich dann vereinzelt gegen die Corona-Verordnungen und Maskenpflicht. Deliberative Bürgerbeteiligung in Planungsprozessen mit direkter Bürgerbeteiligung kam zum Stillstand (siehe zur Beteiligung im „invited space“ Kersting 2017). In der Mehrzahl übernahmen Hauptausschüsse die Entscheidungen, anstelle der Gemeinderäte (Jungvogel 2020). Aufgrund mangelnder Räume wurden zunächst weitergehende Lösungen, wie z. B. (analog zum Bundestag) Ratssitzungen mit halber Besetzung, nur begrenzt implementiert (z. B. in Rheine).
Pandemie und Ratssitzungen
Bei den Umfragen im Juni/Juli 2020 bestand unter den Ratsmitgliedern eine große Unzufriedenheit über die Regelung während der ersten Welle der Pandemie (siehe Abb. 1). Die Aufwertung des Hauptausschusses wurde von den Parteien im Gemeinderat unterschiedlich bewertet (siehe Abb. 1). Durchschnittlich sah etwas mehr als ein Drittel der Ratsmitglieder dies als eine positive Lösung an. Mehr als die Hälfte (52 %) kritisierten diese Alternative. Hierbei zeigten sich Unterschiede zwischen den Parteien. Während CDU, FDP, SPD und die Kleinparteien dieser Regelung etwas positiver gegenüberstanden – von diesen Parteien waren zwischen 37 und 43 % damit zufrieden – lag die Zustimmung bei Grünen und Linken (je 27 %) deutlich niedriger. Auffällig ist, dass sich mehr als drei Viertel der LokalpolitikerInnen der Grünen (67 %) explizit gegen entsprechende Lösungen aussprachen.
Etwa ein Fünftel der LokalpolitikerInnen sahen Ratssitzungen mit halber Größe als (sehr) positiv an; fast zwei Drittel der Ratsmitglieder lehnten diese Lösung (sehr) stark ab. Die Skepsis überwiegt bei allen Parteien, am stärksten bei der CDU. Nur 19 % ihrer Ratsmitglieder sehen den Vorschlag positiv, aber 69 % negativ. Bei der Linken sind es immerhin 29 %, die diese Regelung positiv bewerten. Doch auch hier sind 47 % dagegen, und 24 % sehen es ambivalent. Schlüsselt man das Antwortverhalten nach Geschlecht auf, so zeigt sich, dass Frauen dieses Verfahren eher ablehnen als Männer.
Erst im Juli 2020 kam es in einigen Städten zur Revitalisierung der Gemeinderäte. Diese tagten in der Regel in größeren Sport- oder Messehallen. Hier bestand z. B. eine Maskenpflicht lediglich auf dem Weg in die Ratssitzung. Die Sitzungen waren durch lange Tagesordnungen geprägt, da viele Themen aufgearbeitet werden mussten und zudem die Sommerpause sowie die Kommunalwahl Mitte September 2020 vor der Tür standen.
Die Vielzahl der kritischen Kommentare der Ratsmitglieder über die offenen Felder zeigt, dass diesbezüglich die Kommunikation zwischen Politik und Verwaltung als stark defizitär betrachtet wurde. Ein Personalmangel in den Fachämtern erschwerte den direkten Kontakt. Aufgrund mangelnder Räumlichkeiten, die zudem oft als nichtadäquat genutzt betrachtet wurden, wurden viele Ratssitzungen, aber auch eine Vielzahl an Sitzungen von Kommissionen und Ausschüssen, nicht umgesetzt. Von den Ratsmitgliedern wurde kritisiert, dass Sitzungen durch die Verwaltungsspitze und die Fraktionsspitzen ohne die übrigen Ratsmitglieder nur eine unzureichende demokratische Meinungsbildung ermögliche. Der Ersatz der Ratssitzung durch den Hauptausschuss wurde insbesondere von den Kleinparteien kritisiert, da hier häufig fraktionslose Einzelvertreter im Hauptausschuss nicht stimmberechtigt sind.
Fraktionssitzungen wurden zum Teil als Telefonkonferenzen, aber häufiger als Videokonferenzen abgehalten, die nicht mehr als sechs TeilnehmerInnen mit ihrem Kamerabild erfassten und dabei den Informationsfluss und die Diskussion erschwerten. Grundsätzlich wurde die Qualität der Diskurse bei den Videokonferenzen bemängelt.
Bei den Rats- und Ausschusssitzungen, die lange Zeit gar nicht möglich waren, wurde kritisiert, dass Risikogruppen (Senioren, Personen mit Vorerkrankungen) von einer Teilnahme absehen. Zudem fehlten adäquate Kinderbetreuungsregelungen. Dies war auch deshalb problematisch, da eine Vielzahl der Ausschusssitzungen bereits am frühen Nachmittag beginnen.
Da insbesondere die Sitzungen der Ausschüsse ausfielen, wurde Kritik laut, dass die Handlungskompetenzen der Fraktionsspitzen und der höchsten WahlbeamtInnen, d. h. der BürgermeisterInnen, stark zunahmen. Eine Vielzahl der wichtigen Entscheidungen wurde mit hoher Dringlichkeit durch die Exekutive getroffen.
Auch die Kommunikation zwischen PolitikerInnen und BürgerInnen trat in dieser „Zeit der Exekutive“ in den Hintergrund. Aufgrund der Dauerpräsenz der BürgermeisterInnen sahen viele Befragte den Wahlkampf und die Wahlen als beeinträchtigt an. Dabei wurden die fehlende Integrität und Fairness aufgrund mangelhafter Chancengleichheit und deutlicher Vorteile der Exekutive und der AmtsinhaberInnen bemängelt.
Pandemie und Parteienregistrierung zur Kommunalwahl
Die nordrheinwestfälischen Kommunalwahlen im September 2020 umfassten gemeinsame Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen (Holtkamp 2006; Holtmann et al. 2017). Für beide Wahlen begannen Anfang 2020, also etwa neun Monate vor der Kommunalwahl, die Vorbereitungsmaßnahmen, wie z. B. die KandidatInnen- und Listenaufstellung in den Parteien (Kersting 2017).
Vielfach hatten bei Ausbruch der Pandemie Mitte März die Listenparteitage noch nicht stattgefunden. Die Registrierung der Parteien, der Wählergruppen und der EinzelkandidatInnen bedarf einer Aufstellung von BewerberInnen in den entsprechenden Wahlbezirken. Im nordrheinwestfälischen Kommunalwahlgesetz wird zudem erwartet, dass sowohl für den Wahlbezirk als auch für die Reservelisten entsprechende Kandidaturen vorgehalten werden.
Nach dem nordrheinwestfälischen Kommunalwahlgesetz kann bis zum 59. Tag vor der Wahl ein Wahlvorschlag eingereicht und entsprechende Vertrauenspersonen benannt werden (Land NRW 2019, 2020c; Korte 2020). Dabei sind zudem Unterstützungsunterschriften notwendig: Es wird ein Promille der EinwohnerInnenzahl benötigt. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann eine verspätete Unterzeichnung eingereicht werden. Die Reihenfolge der BewerberInnen auf den Reservelisten muss – auch wenn dies oft informell vorentschieden wurde – in einer Mitgliederversammlung bestimmt werden (Paragraf 17 Abs. 1 Kommunalwahlgesetz NRW vom 01.09.2019). Grundsätzlich sollte bis zum 40. Tag vor der Wahl die Zulassung des Wahlvorschlags entschieden werden. Daraus ergibt sich ein Beschwerderecht gegen die Entscheidung des Wahlausschusses (Paragraf 18 Art. 4 Kommunalwahlgesetz Nordrhein-Westfalen). Hierfür besteht für alle Wahlberechtigten das Recht, in die WählerInnenverzeichnisse Einblick zu nehmen. Diese Überprüfung kann zwischen dem 16. und 20. Tag vor dem Wahltermin erfolgen, um Einspruchsmöglichkeiten zu gewährleisten.
Diese Vorbereitungen der Kommunalwahl fielen letztendlich in die Hochphase der ersten Welle der COVID-19-Pandemie. 50 % der Ratsmitglieder sahen diese Vorbereitung als massiv beeinträchtigt an (vgl. Abb. 2). Von einer massiven Beeinträchtigung sprachen mehr als die Hälfte der Ratsmitglieder der Linken (67 %), von Bündnis 90/Die Grünen (57 %), der SPD (56 %) und der Kleinparteien (54 %). Knapp die Hälfte der FDP-Ratsmitglieder (48 %) stimmte der entsprechenden Aussage ebenfalls zu. Lediglich innerhalb der CDU sahen nur 37 % der befragten KommunalpolitikerInnen massive Beeinträchtigungen, wohingegen 48 % der Aussage nicht zustimmten.
Mit dem Lockdown im März 2020 gerieten das politische Leben und der Wahlkampf ins Stocken. Erst die Änderung der Kommunalwahlgesetze und die Erleichterungen führten zu einer Revitalisierung. Lange Zeit hielten sich Bedenken zum Wahltermin. So waren zum Teil neue Parteien und Wählerlisten, die Schwierigkeiten hatten, fristgerecht Unterstützungsunterschriften zu bekommen, zunächst zurückhaltend und erwarteten ein Urteil des Landesverfassungsgerichtshof und einen möglichen Aufschub der Wahl (Verfassungsgerichtshof NRW 2020). Ihnen waren aufgrund der Pandemie ohnehin die Hände gebunden. Ein Sammeln von Unterstützungsunterschriften war aufgrund der Angst vor Ansteckung bei längeren Gesprächen schwierig bis nahezu unmöglich.
Im Juni 2020 wurde das Kommunalwahlgesetz in Nordrhein-Westfalen verändert. Damit wurde die Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge um 11 Tage verlängert. Gleichzeitig bekamen die Gemeinden acht Tage mehr Zeit zur Prüfung der Wahlvorschläge. Nur über diese Modifizierung der Regelung wurde die Registrierung von einigen Parteien und Wählergruppen erst ermöglicht. So konnten Wahlvorschläge bis zum 48. Tag vor der Wahl eingereicht werden (Paragraf 6 Gesetz zur Durchführung der Kommunalwahl 2020). Zudem wurde die Zahl der Unterstützung durch Unterschriften deutlich verringert (Paragraf 13 Gesetz zur Durchführung der Kommunalwahlen 2020).
Dennoch reichten die Maßnahmen für viele Initiativen und potenzielle Wählerlisten nicht aus. Der Zeitraum der Unterschriftensammlung wurde aufgrund der Verschiebung der Mitgliederversammlungen deutlich verkürzt. Es zeigten sich Fälle, wo Wahlvorschläge von unabhängigen Wählergruppen zurückgenommen wurden. Hiervon waren die Parteien und Wählergruppen, die bereits im Stadtrat vertreten sind, nicht betroffen. Doch auch sie waren verpflichtet, Mitgliederversammlungen abzuhalten, die vielfach zunächst verschoben, dann zum Teil als Online-Meetings geplant wurden und letztendlich aufgrund der Lockerung der Gesetzgebung oft doch als klassischer Präsenz-Parteitag stattfanden.
Das NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (MHKBG) forderte die Kommunen dazu auf, insbesondere neue Wählergruppen zu unterstützen. Große Probleme gab es dabei, entsprechende Räume für die Nominierungsveranstaltungen zu finden. Die hieraus resultierenden Kosten zur Einhaltung der Hygienebestimmung, d. h. für die besondere Bestuhlung, das Tragen von Mund-Nasenbedeckung und entsprechende Desinfektionsmittel, stellten viele Gruppierungen in einigen Städten dennoch vor enorme Herausforderungen.
Auch für die kommunalen Verwaltungen wurden Schwierigkeiten erwartet. Letztendlich stellte die Prüfung der Wahlvorschläge durch die kommunalen WahlleiterInnen aufgrund einer Aufstockung des Personals kein Problem dar. Es gab aber am Wahltag, an dem die Ratswahl, der erste Wahlgang der (Ober‑)BürgermeisterInnenwahl, die Wahl der Bezirksvertretungen sowie in einigen Kommunen die Landrats- und Kreistagswahlen und die Integrationsratswahlen stattfanden, zum Teil lange Wartezeiten.
In vielen Fällen haben die Listenparteitage nicht rechtzeitig stattgefunden. Die Zustimmungserklärung der Kandidaten entstand häufig unter enormen Zeitdruck. So fielen die Termine der Nominierungsveranstaltung zum Teil in die Urlaubszeit in Nordrhein-Westfalen.
Die Kommentare der Ratsmitglieder zeigen weiterhin, dass es während der Corona-Pandemie schwieriger war, KandidatInnen für die Besetzung der Wahlkreise anzusprechen und zu begeistern. Dies wurde nur zum Teil durch Befürchtungen sinkenden Handlungsspielraums aufgrund mangelnder finanzieller Kapazitäten begründet. Weiterhin waren Risikogruppen, insbesondere ältere Personen, schwerer zu kontaktieren. Die vom Innenministerium empfohlene kostenlose Überlassung von Räumen z. B. für Aufstellungsversammlungen wurde – so die Kommentare der Ratsmitglieder – nicht adäquat realisiert, und die Preise waren zu hoch. Die massive Beeinträchtigung der kleineren Parteien, die „analoge“ Unterstützungsunterschriften erbringen mussten (eine digitale Sammlung, Bearbeitung und Einreichung war nicht möglich), wurde stark kritisiert. Die hierzu genutzten Formulare wurden als „ineffiziente Schikane“ tituliert. Dies führte dazu, dass einige Wählergemeinschaften aufgrund mangelnder Chancengleichheit ihre Kandidatur bzw. Registrierung zurückzogen.
Pandemie und Wahlkampf
Die Kommentare der Ratsmitglieder zu neuen, durch die Corona-Krise entstandenen Problemen beinhalteten insbesondere Befürchtungen stark sinkender kommunaler Einnahmen durch die starke Volatilität und Krisenanfälligkeit der kommunalen Gewerbesteuer. Hierdurch sah man den kommunalen Handlungsspielraum längerfristig eingeschränkt. Als unmittelbare Folge der Pandemie traten andere Politikfelder als mögliche Wahlkampfthemen zunächst in den Hintergrund.
Insbesondere neue BürgermeisterkandidatInnen hatten bereits im Januar und Februar 2020 mit der Wahlkampfplanung begonnen und erste Planungstreffen bzw. Wahlkampfveranstaltungen umgesetzt. Mit dem Lockdown im März 2020 kam dieser Wahlkampf weitgehend zum Erliegen. Mit der schrittweisen Öffnung des öffentlichen politischen Lebens wurden teilweise etablierte Wahlkampfinstrumente wieder möglich. Dennoch waren die klassischen Wahlkampfstände in den Innenstädten und Fußgängerzonen von den Schutzbestimmungen stark betroffen. LokalpolitikerInnen und insbesondere neue KandidatInnen konnten sich mit Mund-Naseschutz nicht entsprechend präsentieren. Die Wiedererkennung selbst der SpitzenpolitikerInnen wie der OberbürgermeisterInnen gelang nur bedingt. Neue unbekannte KandidatInnen hatten es besonders schwer sich darzustellen. So kam dem klassischen Plakat-Wahlkampf eine besondere Bedeutung zu. Das Verteilen von Werbeschriften wie auch die Hausbesuche waren aufgrund von Abstandsregelung und Ansteckungsgefahr eher problematisch.
Die Zwangsdigitalisierung, die sich im öffentlichen Leben, in Schulen und Hochschulen realisierte, zeigte sich auch im politischen Leben und dem Wahlkampf. Obwohl auf Bundesebene die Digitalisierung des Wahlkampfs in den letzten Jahren vorangetrieben worden war, lagen deutsche Bundes- und Landtagswahlkämpfe im Vergleich zu anderen Ländern, wie z. B. den USA, Frankreich oder Großbritannien, deutlich zurück. Kommunalwahlkämpfe hatten lange Zeit nur sporadische digitale Elemente. Mit der COVID-19-Pandemie wurde der digitale Wahlkampf insbesondere von den etablierten Parteien deutlich vorangetrieben. Dabei wurden verstärkt die sozialen Netzwerke Instagram und Facebook sowie in geringerem Maße Twitter genutzt. Eine Verknüpfung der Plakate über QR-Code erleichterte den Wechsel zwischen verschiedenen Kommunikationskanälen.
In der Umfrage im Juni/Juli 2020 sahen über alle Parteigrenzen hinweg fast drei Viertel der Ratsmitglieder in Nordrhein-Westfalen den Wahlkampf massiv durch die COVID-19-Pandemie beeinträchtigt (vgl. Abb. 2). Nur knapp ein Fünftel bewertete dies als weniger problematisch. Hier zeigen sich kaum Unterschiede zwischen den Parteien. Über drei Viertel der Linken- (87 %), SPD- und Grünen-Ratsmitglieder (je 78 %) sowie exakt 75 % aus den kleineren Parteien und Wählergruppen sahen diese Beeinträchtigung. Aber auch innerhalb der FDP und der CDU attestierten klare Mehrheiten der Ratsmitglieder (69 bzw. 60 %) massive Pandemie-Beeinträchtigungen im Wahlkampf. Nur je ein knappes Viertel der CDU- und FDP-Räte bewerteten dies als unproblematisch.
Weitere Analysen des Antwortverhaltens machen zudem deutlich, dass weibliche Ratsmitglieder eher eine massive Beeinträchtigung des Wahlkampfs wahrnahmen. Dies galt auch eher für die jüngeren KandidatInnen als für die älteren. Signifikant unterschiedliche Einschätzungen zeigten sich auch bei den EinwohnerInnen der Großstädte im Vergleich zu Klein- und Mittelstädten. In den letztgenannten sahen weniger Ratsmitglieder das Problem massiver Wahlkampfbeeinträchtigung. Dies mag damit zusammenhängen, dass Großveranstaltungen in Klein- und Mittelstädten weniger relevant sind und hier Veranstaltungen mit kleineren Gruppen auch in Zeiten der Pandemie eher realisiert werden konnten. In Großstädten wurden Podiumsdiskussionen und Großveranstaltung eher abgesagt.
In den offenen Fragen im Fragebogen konstatierten einige Ratsmitglieder zudem, dass aufgrund des Mangels an persönlichen Gesprächen die Kommunikation mit bildungsfernen Schichten weitestgehend ausgeblieben sei. Man beklagte, dass Telefongespräche oder E‑Mails dies nicht kompensieren könnten.
Pandemie und der Wahlprozess
Bei der Festlegung des Wahltermins etwa ein Jahr vorab waren keine Anzeichen einer Pandemiekrise erkennbar. Die Pandemie führte zu 12 Verfahren des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen; hier waren insbesondere unabhängige Personen, freie Wählergruppen und Kleinparteien, wie z. B. die Familien-Partei Deutschlands, Beschwerdeführer. Eine Verschiebung der Wahl auf den November 2020 oder in das Frühjahr 2021 wurde aufgrund der erwarteten Kontaktsperren im Winter negativ beschieden. Eine Verschiebung auf den Oktober war aufgrund der Überschneidung mit den Schulferien in Nordrhein-Westfalen problematisch und hätte zudem die aufgrund der Harmonisierung von BürgermeisterInnen- und Gemeinderatswahlen ohnehin lange Legislaturperiode zusätzlich verlängert.
Die repräsentative Umfrage unter allen Ratsmitgliedern in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass über alle Parteien hinweg weniger als ein Drittel für eine Verschiebung der Kommunalwahl war, während sich deutlich mehr als die Hälfte dagegen aussprachen (vgl. Abb. 3). Hier sind deutliche Unterschiede zwischen den Parteien erkennbar. Insbesondere bei der Linkspartei (73 %) hätte man sich eine Verschiebung der Wahl gewünscht. Bei allen anderen Parteien war jeweils eine relative Mehrheit gegen die Verschiebung. Am stärksten gegen eine Verschiebung der Wahl sprachen sich die VertreterInnen von CDU (77 %) und FDP (71 %) aus. Bei SPD und Grünen war jeweils ein gutes Drittel für eine Verschiebung, etwa die Hälfte dagegen. Die Ratsmitglieder der Kleinparteien waren in dieser Frage am ambivalentesten (42 % dafür, 48 % dagegen).
Untersucht man das Antwortverhalten hinsichtlich weiterer Kriterien, zeigen sich signifikante Unterschiede. Ratsmitglieder mit höherem und universitärem Bildungsabschluss sprachen sich eher gegen eine Verschiebung der Wahl aus. Gleiches gilt für die Ratsmitglieder in den Klein- und Mittelstädten.
Mit den Änderungen des Kommunalwahlgesetzes von 2020 wurde es ermöglicht, die Stimmbezirke von 2500 Wahlberechtigten auf 5000 Wahlberechtigte aufzustocken. Hierüber sollte ein Mangel an Wahllokalen vermieden werden. Aufgrund dieser Regelung kam es trotz der hohen Zahl an Vorabwählern (Briefwählern) in vielen Städten und Wahllokalen zu langen Schlangen und Wartezeiten.
Aufgrund der Abstandsregelungen und verschiedener Sicherheitsbedenken konnten unterschiedliche, lange Zeit etablierte Wahllokale nicht benutzt werden. So standen vielfach kleinräumige Kindergarteneinrichtungen nicht zur Verfügung. Von der Nutzung von Altersheimen und Pflegeeinrichtungen, die Risikogruppen beherbergen, wurde abgeraten. Die gesamte Planung wurde eng mit den Corona-Krisenstäben und den örtlichen Gesundheitsämtern entwickelt. Das Vermummungsverbot wurde aufgehoben und WahlhelferInnen und Wahlvorständen wurde es erlaubt und angeraten, Mund- und Nasenschutz zu tragen. Die Risikogruppen (über 65-Jährige) wurden nicht als WahlhelferInnen verpflichtet. Die Zahl der WahlhelferInnen wurde erweitert, häufig durch das Heranziehen von MitarbeiterInnen der Kommunalverwaltungen.
Die Attraktivität der Briefwahl nimmt seit Jahrzehnten zu (Kersting 2019). Bei der Bundestagswahl lag der Anteil bei etwa einem Drittel der WählerInnen. Auch die NRW-Kommunalwahl im September 2020 zeigte einen starken Zuwachs der BriefwählerInnen (etwa zwei Drittel der WählerInnen [Landeswahlleiter NRW 2020]). Die Stichwahl der Kommunalwahl in Bayern im März 2020 fiel in die erste Welle der Corona-Pandemie. Dort entschied man sich dafür, die gesamte Stichwahl ausschließlich als Briefwahl abzuwickeln, d. h. es gab keine Präsenzwahl. Diese Option einer reinen Briefwahl hätte grundsätzlich auch für NRW bestanden.
Auch zu dieser Möglichkeit wurden die Ratsmitglieder zwei bis drei Monate vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen befragt (s. Abb. 3). Zu diesem Zeitpunkt wurden bereits die vorab restriktiveren Maßnahmen abgemildert. Nur etwa jedes siebte Ratsmitglied wollte die Kommunalwahl als reine Briefwahl durchführen. Die Zustimmung zwischen den Parteien schwankt mit 13–16 % nur gering. Mehr als zwei Drittel sprachen sich hingegen gegen diese Alternative aus. Die stärksten Widerstände gegen die reine Briefwahl zeigten sich bei der FDP (74 %), die geringsten bei der CDU (immerhin auch noch 64 %). Weitere Analysen zeigen zudem signifikante Unterschiede für Kleinstädte, wo Briefwahl auf eine höhere Akzeptanz stößt.