1 Einleitung

Das Wahlsystem zum Bundestag steht in der Kritik: Bei der Bundestagswahl 2013 zählten 15,7 % der Zweitstimmen nicht für die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag, da sie an Parteien vergeben wurden, die die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden konnten. Im Jahr 2017 wuchs der Bundestag aufgrund von Ausgleichsmandaten, die mit der jüngsten Reform des Wahlsystems eingeführt wurden, auf 709 Abgeordnete (statt der Mindestzahl von 598 Sitzen). Dies führte zu einer Diskussion über eine (erneute) Reform. Eine Reformierung ist jedoch alles andere als einfach, da die Kernanforderungen an Wahlsysteme (Konzentration, Repräsentation, Legitimität, Partizipation, Einfachheit) nicht gleichzeitig erfüllt werden können. Eine Reform des Wahlsystems wird daher nur einige dieser Ziele hervorheben und in erster Linie verfolgen müssen.

Daher beschäftigt sich auch die politikwissenschaftliche Forschung mit möglichen Reformoptionen, ist sich jedoch uneins über den bestmöglichen Weg: In der jüngsten, in dieser Zeitschrift geführten Diskussion sprechen sich Bräuninger und Pappi (2018) für die Einführung eines Grabenwahlsystems bei gleichzeitiger Stärkung der Mehrheitswahlkomponente aus. Ein Grabenwahlsystem bietet den Vorteil, dass beide Stimmen komplett getrennt voneinander betrachtet werden und somit keine Überhangs- bzw. Ausgleichsmandate entstehen. Die Stärkung der Mehrheitskomponente eines solchen Wahlsystems begründen sie mit der höheren elektoralen Responsivität der Mehrheitswahl. Dies bedeutet, dass die Sitzverteilung der Abgeordneten in Mehrheitswahlsystemen stärker auf Veränderungen der Leistungsbewertungen der Parteien reagiert, folglich die Sanktionsmöglichkeiten der WählerInnen stärkt. Hierdurch führen Sie folglich eine weitere Anforderung an Wahlsysteme, die elektorale Responsivität, neben den oben genannten in die Diskussion ein. Behnke (2019) widerspricht dieser Argumentation, indem er zeigt, dass eine starke Mehrheitswahlkomponente in einem Grabenwahlsystem mit mehr als zwei Parteien auch zu Sitzmehrheiten führen kann, die nicht durch eine höhere Leistungsbewertung der Mehrheitspartei, sondern durch die Stimmverteilung zwischen den anderen Parteien bzw. hohen Verlusten des Hauptkonkurrenten zustande kommen. Dies widerspräche den normativen Anforderungen an das Konzept der Responsivität. Zudem argumentiert er, dass die elektorale Responsivität letztlich mit dem Kriterium der Konzentration zusammenfalle, also nicht als eigenständige Anforderung angesehen werden sollte. Bräuninger et al. (2020) antworten auf diese Kritik Behnkes, dass sie zu stark auf die mechanische Transformation von Stimmen in Sitze fokussiere und weitere Aspekte des politischen Prozesses außer Acht lasse, was jedoch genau das zugrundeliegende Ziel des Heranziehens der elektoralen Responsivität als Kriterium zur Beurteilung des Bundestagswahlsystems war. Die elektorale Responsivität unterscheide sich somit von der Anforderung der Konzentration, da sie nicht auf Ungerechtigkeiten bei der Verrechnung von Stimmen in Sitze fokussiere, sondern durch die Betrachtung der allgemeinen Responsivität und der Verantwortlichkeit der Regierung für den Policy-Output den gesamten politischen Prozess in den Blick nähme.

Diese wissenschaftliche Diskussion um eine Wahlsystemreform ist sehr wichtig, da sie die Kriterien, die an Wahlsysteme angelegt werden, hinterfragt und Konsequenzen unterschiedlicher Optionen durchdenkt. Somit kann sie politische Entscheidungen, beispielsweise für eine Stärkung der Mehrheits- oder der Verhältniswahlkomponente, fundiert informieren. Ein Faktor bleibt jedoch in der aktuellen Diskussion weitgehend unbeachtet: Wie bewerten die Bürger/innen die unterschiedlichen Anforderungen an das Wahlsystem und wovon hängen diese Bewertungen ab? Dies ist insofern überraschend, als die Bewertung eines Wahlsystems durch die BürgerInnen insbesondere für die Legitimität des Wahlsystems, aber auch für die Legitimität der Wahlergebnisse wesentlich ist. Ein Grund für die mangelnde Berücksichtigung der Präferenzen der BürgerInnen bezüglich einer Wahlsystemreform in Deutschland könnte darin liegen, dass diese Präferenzen schwer zu messen sind. Das Wahlsystem an sich ist kompliziert, da es zwei Stimmen bereitstellt, die durch zwei sehr unterschiedliche Wahlformeln in Sitze umgewandelt werden. Da die Berichterstattung über Reformvorschläge zudem recht gering ist, erhalten die WählerInnen nur wenige Informationen über die Reformoptionen und die Positionen der Parteien. Ungeachtet dieser Herausforderungen befasst sich dieser Beitrag mit der Frage, wie die BürgerInnen verschiedene Reformoptionen bewerten. Statt sich auf Umfragedaten zu stützen, anhand derer die Präferenzmessung aus den oben genannten Gründen schwierig ist, wurde ein Online-Umfrageexperiment durchgeführt, in dem die Einstellungen zu den Zielkonflikten Konzentration vs. Repräsentation und Partizipation vs. Einfachheit bewertet und die Rolle von parteilichen Hinweisen bei der Bewertung von Reformoptionen untersucht wurden.

Der Beitrag geht wie folgt vor: Im ersten Teil werden die wichtigsten Anforderungen an Wahlsysteme und mögliche Zielkonflikte zwischen diesen Anforderungen vorgestellt. Darauf aufbauend werden die Präferenzen der BürgerInnen für Wahlsystemreformen diskutiert, aus denen überprüfbare Hypothesen abgeleitet werden. Der zweite Teil informiert über das für diese Arbeit durchgeführte Online-Umfrageexperiment sowie das Vorgehen bei der Datenanalyse. Im dritten Teil werden die Ergebnisse der Analyse vorgestellt. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion der Ergebnisse und einem Ausblick auf die zukünftige Forschung.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Anforderungen an Wahlsysteme

Nach Nohlen (2014) müssen Wahlsysteme drei Kern- und zwei zusätzliche Anforderungen erfüllen, die nicht im gleichen Maße realisiert werden können.Footnote 1 Die Kernanforderungen sind Repräsentation, Konzentration und Partizipation. Repräsentation bezieht sich zunächst auf die Chance aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen, einschließlich der Minderheiten, im Parlament vertreten zu sein. Repräsentation bedeutet zweitens auch, dass sich die relative Stärke der politischen Meinungen und gesellschaftlichen Präferenzen – zumindest grob – in der Zusammensetzung des Parlaments widerspiegelt (Nohlen 2014, S. 190). Daher konzentrieren sich Wahlsysteme mit Verhältniswahl in der Regel auf diese Anforderung (Norris 2004, S. 69). Im Gegensatz dazu bezieht sich das Ziel Konzentration auf die Schlüsselfunktion von Wahlsystemen, unterschiedliche politische Meinungen und gesellschaftliche Präferenzen zu aggregieren, um die politische Entscheidungsfindung zu erleichtern. Im Prozess der Übertragung von Stimmen in Sitze soll die Zahl der Parlamentsparteien – und damit die Zahl der politischen Meinungen – also durch das Wahlsystem reduziert werden, mit dem Ziel, die Regierungsbildung zu erleichtern sowie stabile und effektive Regierungen hervorzubringen (Nohlen 2014, S. 190). Mehrheitswahlsysteme konzentrieren sich auf dieses Erfordernis und zielen auf klare Ein-Parteien-Mehrheiten als Ergebnis von Wahlen ab (Norris 2004, S. 69). Neben der Verbesserung der Regierbarkeit wird dadurch auch die Zuschreibung von Verantwortlichkeit gestärkt, da die WählerInnen die Leistung der Regierungspartei klar beurteilen können (Norris 2004, S. 68–74; Powell 2000, S. 26). Die dritte Kernanforderung an Wahlsysteme ist nach Nohlen (2014, S. 191) die Partizipation. Damit ist die Möglichkeit für die WählerInnen gemeint, die Zusammensetzung der Parlamente nicht nur in Bezug auf die Parteistärke, sondern auch in Bezug auf ihre Mitglieder zu beeinflussen. Daher geben hochgradig partizipative Wahlsysteme den WählerInnen die Möglichkeit, eine Präferenz für bestimmte KandidatInnen einer Partei anzugeben, statt beispielsweise nur für eine Parteiliste zu stimmen.

Die von Nohlen (2014) aufgeführten zusätzlichen Anforderungen sind Einfachheit und Legitimität. Einfachheit bedeutet, dass WählerInnen mit unterschiedlichem Hintergrund – vor allem in Hinblick auf den Bildungsstand – in der Lage sein sollten, zu verstehen, wie ein Wahlsystem funktioniert und wie Stimmen (zumindest grob) in Sitze umgesetzt werden, damit sie ihre Stimme nutzen können, um ihren politischen Willen auszudrücken und das Wahlergebnis in der von ihnen beabsichtigten Weise zu beeinflussen. Die letzte Voraussetzung, Legitimität, betrifft die allgemeine Akzeptanz des Wahlsystems durch die BürgerInnen. Einerseits ist dies eine wichtige Voraussetzung, da ein demokratisches System ohne die Unterstützung der Öffentlichkeit für einen so entscheidenden Teil wie das Wahlsystem nicht effizient funktionieren kann. Andererseits ist die Quelle der Unterstützung für ein Wahlsystem unklar, während die anderen vier Anforderungen (Repräsentation, Konzentration, Beteiligung, Einfachheit) durch die Ausgestaltung eines Wahlsystems erfüllt werden können, z. B. Mehrheits- vs. Verhältniswahl, offene vs. geschlossene Listen, Anzahl der Stimmen oder Art der Stimmabgabe. Legitimität umfasst somit die anderen vier Anforderungen (Nohlen 2014, S. 191), wenn man diese als Quelle der Unterstützung für ein Wahlsystem betrachtet. Wenn eine Wählerin oder ein Wähler also den konzentrierenden Effekt von Wahlsystemen der Repräsentation vorzieht, wird sie oder er ein Mehrheitswahlsystem stärker unterstützen als ein Verhältniswahlsystem. Wenn dies für den größeren Teil der BürgerInnen in einem Land zutrifft, wird folglich ein Mehrheitswahlsystem einen höheren Grad an Legitimität haben als ein Verhältniswahlsystem. Daher hängt die Legitimität eines Wahlsystems (neben anderen Faktoren) von den Präferenzen der BürgerInnen hinsichtlich Repräsentation, Konzentration, Beteiligung und Einfachheit ab, was das diesem Artikel zugrundeliegende Argument unterstützt, dass es wichtig ist, diese Präferenzen zu kennen.

Daher gibt es auch keinen Zielkonflikt zwischen der Legitimität und den anderen vier Anforderungen (für eine andere Sichtweise siehe Jankowski et al. 2019, S. 226). Ein Zielkonflikt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass nicht alle Anforderungen in hohem Maße gleichzeitig erfüllt werden können (Nohlen 2014, S. 188). Der sichtbarste Zielkonflikt besteht zwischen Repräsentation und Konzentration, da diese Anforderungen prinzipiell entgegengesetzt sind. Beispielsweise kann eine bessere Repräsentation der Wählerschaft durch eine höhere Anzahl von Parlamentsfraktionen erreicht werden, was zu einer geringeren Konzentration führt (Nohlen 1984; Jankowski et al. 2019). Ein weniger sichtbarer Zielkonflikt besteht zwischen Einfachheit und Partizipation, da Wahlsysteme durch zunehmende Wahlmöglichkeiten, z. B. offene vs. geschlossene Listen, auch komplexer und damit weniger verständlich werden (Jankowski et al. 2019; Müller und Jankowski 2018; Nyhuis 2014).Footnote 2 Daher konzentriert sich diese Analyse auf den Kompromiss zwischen Repräsentation und Konzentration auf der einen sowie Partizipation und Einfachheit auf der anderen Seite. Im nächsten Abschnitt wird vorgestellt, was aus früheren Untersuchungen über die Präferenzen der BürgerInnen hinsichtlich dieser vier Anforderungen an Wahlsysteme bekannt ist.

2.2 Präferenzen zu unterschiedlichen Anforderungen an Wahlsysteme

Obwohl Untersuchungen über die Präferenzen der BürgerInnen hinsichtlich der Anforderungen an das Wahlsystem selten sind, lassen sich einige Erwartungen aus früheren Studien ableiten. Die wichtigste davon ist die von Jankowski et al. (2019), die die Präferenzen hinsichtlich Repräsentation, Konzentration, Partizipation und Einfachheit untersuchen, indem sie ein Conjoint-Experiment nutzen, bei dem die TeilnehmerInnen zwischen Wahlsystemen mit unterschiedlichen Ergebnissen wählen mussten. Ein zentrales Ergebnis hinsichtlich des Zielkonflikts zwischen Repräsentation und Konzentration ist, dass die Proportionalität für die WählerInnen wichtiger ist als klare Mehrheiten, obwohl Konzentration ebenfalls ein wichtiger Faktor bei der Erklärung der Wahl eines bestimmten Wahlsystems ist. Darüber hinaus ist ein Ergebnis, dass ein Wahlsystem, das nur größeren Parteien eine Chance einräumt, eher abgelehnt wird. Die Ergebnisse sind also gemischt, weisen aber leicht in die Richtung, dass Repräsentation gegenüber Konzentration bevorzugt wird. Um ein klareres Bild zu erhalten, wird eine weitere Studie berücksichtigt: Norris (1999) stellt die Hypothese auf, dass das Institutionenvertrauen in Ländern mit Verhältniswahlsystem höher sein sollte als in Ländern mit Mehrheitswahlsystem. Die Verbindung zu den Präferenzen der BürgerInnen bezüglich der Anforderungen an das Wahlsystem besteht darin, dass das Institutionenvertrauen höher sein sollte, wenn die bevorzugten Anforderungen vom Wahlsystem erfüllt werden. In ihrer umfragebasierten empirischen Analyse in 25 Demokratien findet sie jedoch kein Nachweis dafür, dass das Institutionenvertrauen in Ländern mit Verhältniswahlsystemen höher ist. Darüber hinaus zeigt ein weiteres Ergebnis der Studie, dass das Institutionenvertrauen in Ländern mit Zwei- und moderaten Mehrparteiensystemen (im Gegensatz zu Einparteien- und fragmentierten Systemen) höher ist. Da reine Zwei-Parteien-Systeme selten sind (vgl. Gallagher 2009, S. 546) und ihre Studie auch gemischte Wahlsysteme enthält, deuten die Ergebnisse weniger auf einen klaren Vorteil von Mehrheits- gegenüber Verhältniswahlsystemen hin, sondern darauf, dass das Institutionenvertrauen in „ausgewogenen“ Systemen am höchsten ist. Zusammenfassend weisen beide Studien darauf hin, dass die WählerInnen offenbar ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Repräsentation und Konzentration bevorzugen. Die erste Hypothese besagt daher:

H1

Es gibt keine klare Präferenz für eine Wahlsystemreform, die zu einer stärkeren Repräsentation führt statt zu einer stärkeren Konzentration (oder umgekehrt).


Allerdings werden verschiedene WählerInnengruppen unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich der Wirkungen von Wahlsystemen haben, je nachdem, welche Partei sie bevorzugen und wie ein Wahlsystem die Chancen ihrer bevorzugten Partei auf einen Sitzgewinn erhöht oder verringert. Die Ergebnisse von Jankowski et al. (2019) zeigen deutlich, dass die AnhängerInnen kleiner Parteien Proportionalität stärker bevorzugen als die AnhängerInnen großer Parteien, die ihrerseits klare Mehrheiten stärker bevorzugen als die AnhängerInnen kleiner Parteien. Die zweite Hypothese lautet also:

H2

Anhänger großer Parteien werden eine Wahlreform, die zu mehr Konzentration führt, einer Wahlreform vorziehen, die zu mehr Repräsentation führt.


Was den Zielkonflikt zwischen Partizipation und Einfachheit betrifft, so zeigen die Ergebnisse von Jankowski et al. (2019), dass die BürgerInnen sowohl die Möglichkeit, Parteien und Kandidaten zu wählen, als auch ein einfaches gegenüber einem komplexen Wahlsystem vorziehen. Dieser Befund ist insofern widersprüchlich, als dass beide Ziele gleichzeitig nicht zu erreichen sind. Im abstrakten Rahmen des Conjoint-Experiments scheint den TeilnehmerInnen der Zielkonflikt zwischen den beiden Anforderungen also nicht klar zu sein. Praktische Beispiele, in denen Wahlsysteme reformiert wurden, um mehr Partizipation zu ermöglichen, zeigen jedoch, dass die Wahlbeteiligung nach Reformen (in der Regel) zurückging (Nyhuis 2014) und in einigen Fällen auch die Unterstützung für das reformierte Wahlsystem (Müller und Jankowski 2018). Dies könnte auf die Komplexität des reformierten Wahlsystems zurückzuführen sein, sodass die dritte Hypothese besagt:

H3

Die BürgerInnen bevorzugen eine Reform, die zu einem einfacheren Wahlsystem führt, gegenüber einer Reform, die zu einem Wahlsystem führt, das mehr Partizipation ermöglicht.


Für politisch gebildete BürgerInnen sollte es einfacher sein, die Regeln und Auswirkungen selbst komplexerer Wahlsysteme zu verstehen als für politisch weniger gebildete BürgerInnen. Frühere Untersuchungen zeigen, dass politisch stark interessierte BürgerInnen ein Wahlsystem, in dem man Parteien und Kandidaten wählen kann, stärker bevorzugen als politisch weniger interessierte BürgerInnen, während sich die beiden Gruppen in Bezug auf die Einfachheit des Wahlsystems nicht sehr unterscheiden (Jankowski et al. 2019). Darüber hinaus befürworten politisch stark interessierte BürgerInnen eher ein kompliziertes Wahlsystem, bei dem die WählerInnen mehr Partizipationsmöglichkeiten haben, als weniger interessierte BürgerInnen (Müller und Jankowski 2018). Daher lautet die vierte Hypothese:

H4

Politisch kultivierte BürgerInnen bevorzugen eine Reform, die zu einem partizipativeren Wahlsystem führt, gegenüber einer Reform, die zu einem einfacheren Wahlsystem führt.


Die fünfte und letzte Hypothese bezieht sich nicht auf einen Zielkonflikt zwischen den verschiedenen Anforderungen an Wahlsysteme, sondern auf einen Faktor, der bei der Diskussion der Ergebnisse früherer Untersuchungen deutlich wurde: Die Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Anforderungen scheinen den BürgerInnen nicht bewusst zu sein, da sie sowohl mehr Repräsentation und mehr Konzentration als auch mehr Partizipation und mehr Einfachheit bevorzugen (Jankowski et al. 2019). Um über eine Wahlsystemreform zu entscheiden, können die BürgerInnen jedoch Hinweise der Parteien heranziehen, d. h. sie können der Position ihrer bevorzugten Partei bezüglich der Reform folgen. Beim britischen Alternative-Vote-Referendum im Jahr 2011 hatte eine Identifikation mit den Liberal Democrats, die die Reform befürworteten, einen positiven Effekt auf die Abstimmung zugunsten einer Änderung des Wahlsystems, während die Identifikation mit den Conservatives (die sich gegen die Änderung des Wahlsystems aussprachen) einen negativen Effekt hatte (Whiteley et al. 2011). Die fünfte Hypothese besagt also:

H5

BürgerInnen bevorzugen eine Wahlsystemreform, die von der Partei, die sie unterstützen, vorgeschlagen wird.


Der nächste Abschnitt zeigt, wie diese Hypothesen empirisch überprüft werden.

3 Messung von Präferenzen für eine Wahlsystemreform

Die Messung von Präferenzen der BürgerInnen für verschiedene Anforderungen an das Wahlsystem ist eine Herausforderung: Erstens scheint der Zielkonflikt zwischen den verschiedenen Anforderungen vielen BürgerInnen nicht bewusst zu sein, wie bisherige Studien zeigen (Jankowski et al. 2019). Die Messung von Präferenzen durch Umfragen könnte daher zu einer hohen Unterstützung für widersprüchliche Anforderungen führen, wenn der Zielkonflikt nicht explizit gemacht wird. Zweitens ist es sehr wahrscheinlich, dass viele BürgerInnen keine vordefinierten Präferenzen bezüglich der Anforderungen an Wahlsysteme haben, da Wahlsysteme kein herausragendes Thema in den Medien sind. Dies könnte entweder zu einer Verzerrung zugunsten des Status quo oder zu einer Verzerrung zugunsten von Reformen führen (z. B. in Abhängigkeit von der Demokratiezufriedenheit), unabhängig von der konkreten Reformoption. Daher sind experimentelle Untersuchungsdesigns sinnvoll.

Das durchgeführte Experiment unterscheidet sich trotz gleicher Zielsetzung deutlich von dem Conjoint-Experiment, das Jankowski et al. (2019) durchgeführt haben. Dort wurden den TeilnehmerInnen in einem Durchgang zwei Wahlsysteme mit unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der fünf Anforderungen Repräsentation, Konzentration, Partizipation, Einfachheit und Legitimität vorgelegt, die TeilnehmerInnen sollten sich für eines der beiden Wahlsysteme entscheiden. Pro TeilnehmerIn gab es fünf Durchgänge. Während die beiden Wahlsysteme angezeigt wurden, konnten sich die TeilnehmerInnen eine Erklärung zu den Wahlsystemeigenschaften einblenden lassen. Das Conjoint-Experiment erreicht somit, dass die TeilnehmerInnen sehr gut informiert sind und die Erfüllung unterschiedlicher Anforderungen gleichzeitig im Blick haben, was als Voraussetzung für die Bildung von Präferenzen angesehen werden kann. Es bietet folglich eine sehr gute Präferenzmessung, wenn man von einer hohen Informiertheit und einem Bewusstsein für Zielkonflikte der WählerInnen ausgeht.

Da dies nicht immer gegeben sein dürfte, geht das im April 2018Footnote 3 für diesen Beitrag durchgeführte Online-Umfrageexperiment einen anderen Weg und versucht, die Entscheidungssituation realistischer abzubilden und gleichzeitig den Herausforderungen bei der Messung von Präferenzen zu Wahlsystemreformen Rechnung zu tragen. Es soll daher nicht als Alternative zum Conjoint-Experiment von Jankowski et al. (2019), sondern als Ergänzung dienen. Um die experimentelle Situation realitätsnäher zu gestalten, wurde den TeilnehmerInnen ein fiktiver Zeitungsartikel über eine Reformoption für das Wahlsystem zum Deutschen Bundestag vorgelegt. Dies entspricht der Art und Weise, wie viele WählerInnen Informationen zur Diskussion über eine Wahlsystemreform erhalten. Der Artikel argumentiert für die Stärkung einer Kernanforderung (beispielweise Konzentration), erklärt aber auch kurz den Zielkonflikt mit der gegenteiligen Anforderung (beispielsweise Repräsentation). Dieses Vorgehen bildet die Diskussion um eine Wahlsystemreform derart ab, dass meist nicht mehrere Reformoptionen neutral nebeneinander gestellt werden (wie in dem Conjoint-Experiment von Jankowski et al. 2019), sondern ein Vorschlag für eine Reform in die eine oder andere Richtung gemacht wird. Dennoch wird den TeilnehmerInnen der Zielkonflikt kurz deutlich gemacht, um nicht eine einseitig hohe Zustimmung zu dem Reformvorschlag zu erhalten.

Um den Effekt bereits bestehender Präferenzen für unterschiedliche Reformoptionen zu kontrollieren, werden die TeilnehmerInnen nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe liest einen Artikel, der die Stärkung einer Anforderung an Wahlsysteme (z. B. Konzentration) fordert, während die andere Gruppe einen Artikel liest, der die Stärkung der dazu in einem Widerspruch stehenden Anforderung fordert (z. B. Repräsentation). Nach der Präsentation der Zeitungsartikel werden beide Gruppen gefragt, ob sie die in dem Artikel vorgeschlagene Reform unterstützen. Die Idee dahinter ist, dass ein/e TeilnehmerIn, wenn er/sie bestimmte Präferenzen bezüglich der Anforderungen an das Wahlsystem hat, die Reform unterstützen sollte, wenn sie ihren/seinen Präferenzen entspricht. Sollte die in dem Artikel vorgeschlagene Reform hingegen ihren/seinen Präferenzen nicht entsprechen, sollte die Reform auch nicht unterstützt werden.

Ein alternatives Untersuchungsdesign würde darin bestehen, den TeilnehmerInnen beide Reformoptionen vorzustellen und sie zwischen diesen wählen zu lassen. Das könnte jedoch dazu führen, dass die Präferenzen erst durch das Vorstellen der Reformoptionen induziert werden. Diese Möglichkeit besteht zwar auch in dem angewendeten Untersuchungsdesign: Die TeilnehmerInnen könnten die vorgeschlagene Reform unterstützen bzw. ablehnen, unabhängig von der jeweiligen Richtung der Reform, wenn sie keine vordefinierten Präferenzen haben. Die Idee hinter dem verwendeten Design ist jedoch, dass dies für beide Experimentalgruppen gelten sollte, sich dieser Effekt also im Vergleich zwischen den Gruppen ausgleicht, und zudem durch das Vorstellen nur einer Reformoption klar ist, dass die Beeinflussung in Richtung dieser Option geschieht. Bei einem alternativen Untersuchungsdesign, in dem beide Reformoptionen vorgestellt werden, ist hingegen nicht klar, in Richtung welcher der beiden Optionen die Beeinflussung stattfindet. Darüber hinaus würde es hier keine zwei Experimentalgruppen geben, zwischen denen sich der Beeinflussungseffekt ausgleicht.

Vor der Präsentation der Zeitungsartikel werden Fragen zur Demokratiezufriedenheit und zur allgemeinen Unterstützung einer Wahlsystemreform gestellt. Diese Fragen dienen als Kontrollvariablen für eine mögliche Tendenz zur Unterstützung oder Ablehnung der Wahlsystemreform, unabhängig von der Richtung des Reformvorschlags.

Um die Präferenzen hinsichtlich der Zielkonflikte zwischen Repräsentation und Konzentration sowie zwischen Beteiligung und Einfachheit und zusätzlich die Rolle der Parteipräferenzen zu untersuchen, wird das Online-Umfrageexperiment in drei nicht miteinander verbundene Teilexperimente aufgeteilt: In Experiment 1 (N = 110) geht es um Repräsentation vs. Konzentration, wobei Gruppe 1a einen fiktiven Zeitungsartikel sieht, der eine Reform zugunsten stärkerer Konzentration vorschlägt, Gruppe 1b sieht dagegen einen fiktiven Zeitungsartikel, der eine Reform zugunsten stärkerer Repräsentation vorschlägt, wobei beide kurz den Zielkonflikt zwischen den beiden Anforderungen erwähnen. Experiment 2 (N = 112) konzentriert sich in gleicher Weise auf Partizipation (Gruppe 2a) vs. Einfachheit (Gruppe 2b), während sich Experiment 3 (N = 139) nicht auf eine Wahlsystemanforderung bezieht. Hier lesen beide Gruppen einen fiktiven Zeitungsartikel zur Notwendigkeit einer Reform des Wahlsystems, die in Gruppe 3a von der CDU thematisiert wird, in Gruppe 3b von der SPD (keiner Gruppen wird ein Hinweis darauf gegeben, wie diese Reform aussehen könnte, siehe Online-Anhang für die verwendeten fiktiven Zeitungsartikel).Footnote 4 Diese Versuchsgruppen bilden die unabhängigen Variablen zur empirischen Überprüfung der Hypothesen 1, 3 und 5.

Nach der Präsentation der fiktiven Zeitungsartikel wurden alle TeilnehmerInnen gefragt, wie sie die ihnen vorgestellte Reformoption anhand der folgenden Items bewerten: „Ich würde eine solche Reform des Wahlsystems begrüßen“, „Diese Reform würde das deutsche Wahlsystem besser machen“, „Diese Reform wäre ein Rückschritt zu einem schlechteren Wahlsystem“ (für alle Items wurde eine 7‑Punkte-Skala von „1 – stimme überhaupt nicht zu“ bis „7 – stimme stark zu“ verwendet). Ein Mittelwert-Index dieser drei Items wird als abhängige Variable verwendet (Cronbachs Alpha = 0,84). Zur empirischen Überprüfung von Hypothese 2 wird ein Interaktionsterm zwischen den Versuchsgruppen von Experiment 1 und der Präferenz für eine große Partei (CDU oder SPD) auf der Grundlage der Angaben bei einem Sympathieskalometer für die Parteien verwendet. Im Hinblick auf Hypothese 4 wird ein Interaktionsterm zwischen den Versuchsgruppen von Experiment 2 und der politischen Kultiviertheit erzeugt. Die politische Kultiviertheit wird anhand eines Mittelwert-Index aus politischem Interesse, Wissen über das deutsche Wahlsystem und der politischen SelbstwirksamkeitFootnote 5 gemessen. Die Demokratiezufriedenheit, eine allgemeine Präferenz für eine Reform des Wahlsystems, Alter, Geschlecht und Bildung dienen als Kontrollvariablen. Die drei Experimente wurden separat mithilfe von linearen Regressionsmodellen ausgewertet. Im nächsten Abschnitt werden die Ergebnisse der Analyse vorgestellt.

4 Ergebnisse

Bevor wir uns den Ergebnissen der linearen Regressionsanalysen zuwenden, zeigt Tab. 1 die Mittelwerte und Standardabweichungen der abhängigen, moderierenden und Kontrollvariablen in den verschiedenen Experimentalgruppen. Obwohl die Randomisierung meist gut funktionierte, gibt es einige Fälle, in denen Unterschiede in den Mittelwerten der Variablen zwischen den Experimentalgruppen bestehen (z. B. Bildung in allen drei Experimenten, allgemeine Unterstützung für eine Reform des Wahlsystems in Experiment 2 und 3, Demokratiezufriedenheit in Experiment 3). Dies spricht für das Einbeziehen dieser Variablen als Kontrollvariablen in die linearen Regressionsmodelle.

Tab. 1 Deskriptive Statistik (Mittelwerte mit Standardabweichungen in Klammern)

In Tab. 2 sind die Ergebnisse der linearen Regressionsmodelle zu sehen. In Bezug auf Hypothese 1 zeigt der nichtsignifikante Effekt der unterschiedlichen Zeitungsartikel in Modell 1a, dass es keine klare Präferenz für eine Reform in Richtung mehr Konzentration oder Repräsentation gibt. Dies wird von Hypothese 1 vorhergesagt. Da ein nichtsignifikanter Effekt jedoch unterschiedliche Ursachen haben kann, wird aus dem Ergebnis nicht gefolgert, dass Hypothese 1 bestätigt wird, sondern lediglich, dass Hypothese 1 durch dieses Ergebnis nicht widerlegt werden kann.

Tab. 2 Ergebnisse der linearen Regressionsmodelle

Mit Blick auf Hypothese 2 zeigt sich, dass die TeilnehmerInnen, die eine große Partei (CDU/CSU oder SPD) bevorzugen (welche von einer Reform in Richtung eines stärker konzentrierenden Wahlsystems profitieren würde), einen entsprechenden Reformvorschlag stärker unterstützen als die TeilnehmerInnen, die eine kleine Partei bevorzugen. Dies lässt sich am signifikanten Interaktionseffekt zwischen Parteipräferenz und Gruppe in Modell 1b ablesen und unterstützt Hypothese 2. In Bezug auf Hypothese 3 gibt es in Modell 2a keinen signifikanten Effekt der unterschiedlichen Zeitungsartikel, der zeigen würde, dass ein einfacheres Wahlsystem gegenüber einem partizipatorischeren System bevorzugt wird. Daher wird diese Hypothese durch die Ergebnisse nicht unterstützt. Darüber hinaus bevorzugen politisch kultivierte TeilnehmerInnen eine Reform, die zu einem stärker partizipativen Wahlsystem führt, nicht stärker als politisch weniger gebildete TeilnehmerInnen, wie der insignifikante Interaktionsterm zwischen Gruppe und politischer Kultiviertheit in Modell 2b zeigt. Daher wird auch Hypothese 4 durch die Ergebnisse nicht unterstützt. Betrachtet man zusätzlich die nichtsignifikanten Effekte der Kontrollvariablen und die geringe erklärte Varianz, muss man zugeben, dass die experimentelle Variation in Experiment 2 nicht wie gewünscht funktioniert hat. In Bezug auf Hypothese 5 weisen die Ergebnisse in die Richtung, dass ein Reformvorschlag einer Partei mehr Unterstützung innerhalb der Gruppe der AnhängerInnen dieser Partei findet als bei anderen TeilnehmerInnen. Allerdings ist der entsprechende Effekt in Modell 3 nur auf dem Niveau von 10 % signifikant, so dass dieses Ergebnis nur als schwache Unterstützung für Hypothese 5 gelten kann.

5 Diskussion und Schlussfolgerung

Die vorgestellte Analyse führt zu gemischten Ergebnissen: Die fehlende direkte Wirkung der unterschiedlichen Reformvorschläge in Experiment 1 und 2 deutet darauf hin, dass die BürgerInnen wie erwartet keine starken Präferenzen hinsichtlich der vier untersuchten Anforderungen an Wahlsysteme (Konzentration, Repräsentation, Partizipation, Einfachheit) haben. Es muss jedoch eingeräumt werden, dass das gewählte Untersuchungsdesign das Aufzeigen dieser Präferenzen – sollten sie doch vorhanden sein – erschwert. Der Grund hierfür ist, dass durch das Vorstellen nur einer statt unterschiedlicher Reformoptionen dafür kontrolliert wird, dass sich möglicherweise erst durch das Lesen von Informationen über Reformoptionen Präferenzen über die grundliegenden Anforderungen an Wahlsysteme bilden. Sollten hierzu also Präferenzen vorhanden sein, würden sie durch das experimentelle Design nicht in gleichem Maße aktiviert werden wie durch das Vorstellen unterschiedlicher Reformoptionen. Da andere Studien jedoch zeigen, dass den BürgerInnen Zielkonflikte bei einer Wahlsystemreform nicht bewusst sind (Jankowski et al. 2019), sollte man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die BürgerInnen schlicht keine starken Präferenzen zu Wahlsystemreformen besitzen. Da solche Präferenzen dennoch beispielsweise in Umfragen gemessen werden, können die Ergebnisse dieser Studie daher auch so interpretiert werden, dass sich Präferenzen bezüglich einer Wahlsystemreform häufig genau in dem Moment bilden, in dem man mit dem Thema konfrontiert wird.

Die Ergebnisse zeigen einen Effekt der Neigung zu einer großen oder kleinen Partei bei der Präferenzbildung: TeilnehmerInnen, die eine große Partei unterstützen, sind eher für konzentrierende Effekte von Wahlsystemen als AnhängerInnen kleiner Parteien. Daher stehen die Präferenzen der BürgerInnen hinsichtlich einer Wahlsystemreform im Einklang damit, was ihrer Partei Vorteile bringen würde. Wenn die Reformoption von einer Partei vorgeschlagen wird (wie in Experiment 3), unterstützen die TeilnehmerInnen, die diese Partei bevorzugen, die Reform stärker als TeilnehmerInnen, auf die das nicht zutrifft. Die Verwendung von Informationen dazu, welche Partei welche Reformoption unterstützt, kann eine sinnvolle Möglichkeit sein, Präferenzen in Bezug auf eine Wahlsystemreform zu bilden, da dies ein kompliziertes Thema ist und die Parteien höchstwahrscheinlich eine Reform, die sie deutlich schwächt, nicht unterstützen werden. Wenn die BürgerInnen also der Linie ihrer bevorzugten Partei folgen, werden sie nicht zufällig eine Reform unterstützen, die sich gegen ihre Partei und damit gegen ihre eigenen politischen Präferenzen richtet.

Dies sollte jedoch nicht als Freibrief für die politischen Akteure verstanden werden, die Präferenzen der BürgerInnen bei einer Reform des Wahlsystems nicht zu berücksichtigen. Da die BürgerInnen offenbar in der Lage sind, Präferenzen zu bilden, wenn sie mit verschiedenen Reformoptionen konfrontiert werden (wie auch die Studie von Jankowski et al. 2019 zeigt), sollte das Thema Wahlsystemreform deutlicher in der öffentlichen Diskussion behandelt werden, damit BürgerInnen relevante Informationen sammeln können, sich über mögliche Kompromisse bewusst sind und somit besser informierte Präferenzen abgeben können. Auf lange Sicht sollte ein solcher Prozess die Legitimität des Wahlsystems stärken.

Damit ForscherInnen und politische Akteure jedoch besser darüber informiert sind, wie die BürgerInnen Präferenzen in Bezug auf Wahlsystemreformen bilden, ist mehr Forschung zu diesem Thema erforderlich. Die Umfrageforschung steht dabei vor der Herausforderung, dass einerseits nicht alle Befragten über das notwendige Wissen zu einem Wahlsystem verfügen, um sinnvolle Präferenzen wiederzugeben, es andererseits aber auch nicht möglich ist, die TeilnehmerInnen über komplexe Wahlsysteme und Reformoptionen innerhalb kurzer Zeit zu informieren. Bei experimentellen Untersuchungsdesigns ist es hingegen schwierig, die TeilnehmerInnen in eine realistische Situation bezüglich der Informationen über Wahlsysteme und Reformoptionen zu versetzen. Das in dieser Studie angewandte Forschungsdesign könnte problematisch sein, da es den TeilnehmerInnen nicht die Wahl zwischen zwei oder mehreren Optionen (von denen eine der Status quo sein kann) lässt und nur einen Artikel zum Thema präsentiert, der nicht einem Mediendiskurs ähnelt. Die Beantwortung der Frage, welche Art von Wahlsystem die BürgerInnen bevorzugen, erfordert daher ausgefeilte Studiendesigns und mehr Forschung, für die die vorliegende Analyse nur als Ausgangspunkt dienen kann.