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Politische Theorie anwendungsbezogen lehren. Lehrende zwischen normativer Zurückhaltung und kritischer Stellungnahme

Teaching Normative Political Theory. How to Balance Normative Moderation and Adopting Political Positions in Theory Seminars

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Politische Vierteljahresschrift Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Ein zentrales Ziel der Lehre normativer Theorie besteht in der Anleitung Studierender zur eigenständigen Anwendung abstrakter normativer Kriterien auf komplexe politische Situationen. Je konkreter der Anwendungsbezug gestaltet wird, desto wahrscheinlicher wird in klassischen Seminarformaten die Diskurssituation von der Lehrperson dominiert. Als exemplarische Strategie für einen konstruktiven Umgang mit diesem Dilemma stellt der Artikel ein Seminarkonzept vor, das didaktische Ansätze des erfahrungsbasierten Lernens integriert und die Studierenden selbst normativ urteilen lässt. Fünf Empfehlungen integrieren die Darstellung des Seminarformats in allgemeinere Überlegungen zu Optionen und Rahmenbedingungen eines reflektierten Umgangs mit der als Ausgangspunkt gewählten Problembeschreibung.

Abstract

Teaching normative political theory at university level may require teachers to make explicit normative judgements if concrete political issues are addressed: The article claims that a major challenge lies in combining these teaching-settings and the moral dilemmas posed by them with discursive settings that allow students to form independent judgments. To propose a solution for this conflict, the article outlines a seminar concept which makes teachers and students exchange roles and thereby brings students into a position in which they are challenged to make normative judgements by themselves. Five recommendations aim at integrating the proposed concept with more general considerations for dealing with the discussed intricacies of teaching normative political theory.

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Notes

  1. Die Interpretation bzw. Umsetzung dieser Aussage sieht dabei zweifelsohne in politischen Theorien verschiedener Paradigmen sehr unterschiedlich aus. Dies ist zum Teil abhängig von den Zielsetzungen der Theorien, z. B. davon, ob sie ihren Fokus auf die Konstruktion oder Dekonstruktion von Normen begründenden Theoriegebäuden legen.

  2. Die Seminarplanung fand in Kooperation mit Alexander Weiß (Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg) statt.

  3. Die Fragen, was potentielle truth maker normativer Aussagen sind, lasse ich hier aufgrund der Zielsetzung dieses Aufsatzes außen vor. Die oben angegebene Explikation ist in ihrer Allgemeinheit zwar unspezifisch, ich halte sie gerade deshalb jedoch für konsensfähig für Politische Theoretiker unterschiedlicher façon.

  4. „Sollens-Aussagen“ können damit in der Lehre mehr oder weniger explizit getätigt werden: Eine ausdrückliche verbale Stellungnahme eines Lehrenden wäre damit von den durch die Wahl bestimmter Seminarthemen oder die Adaption eines bestimmten Argumentationsmodus oder auch Habitus nach ihrem „Explizitheitsgrad“ zu differenzieren.

  5. Der didaktische Fokus auf Kompetenzvermittlung impliziert hier eine Betonung der Vermittlung von verschiedenen Typen von Fähigkeiten anstelle von Wissen oder Bildungsgütern (May 2010; siehe auch Lambach 2017). „Kompetenzen“ werden dabei als „psychische Voraussetzungen“ begriffen, „die ein Individuum benötigt, um in […] [einem bestimmten Bereich] Probleme lösen, Ziele verfolgen und Handlungspläne umsetzen zu können […].“ (May 2010, S. 158).

  6. „Zur Vermeidung einer theoriefernen Kompetenzsetzung hilft folgende Überlegung weiter: Beachtet man dem [sic!] oben skizzierten Zusammenhang von Domäne und Kompetenz, so gibt die Sachlogik der Domäne die Struktur der angestrebten Kompetenzen vor. Zu fragen ist damit, wie die Domäne näher beschrieben werden kann und welche Kompetenzen zur Bewältigung von deren Anforderungen bestimmt werden können.“ (May 2010, S. 159).

  7. Diese „Arbeitsdefinition“ (ebenda) umfasst sowohl die „empirische“ als auch die „normative Politische Theorie“. Empirische Politische Theorien (auch: „Theorien der Politik“) formulieren auf möglichst allgemeinem Niveau Beschreibungen und Erklärungsmuster für Politik (Schaal und Heidenreich 2016, S. 28).

  8. Ein gutes Beispiel für diese Kriterien-entwickelnde Funktion für demokratische Performanzmessungen ist das Varieties of Democracy-Projekt, das den Anspruch erhebt, aus verschiedenen demokratietheoretischen Modellen Kriterien für die Messung der Demokratiequalität zu gewinnen (https://www.v-dem.net/en/. Zugegriffen: 03. Mai 2018).

  9. Neben der Vermittlung dieser im engeren Sinne wissenschaftlichen Kompetenz erfolgt im Falle der systematischen Evaluation politischer Sachverhalte die Einübung reflektierter politischer Urteilsbildung, ergo: die Herausbildung einer zentralen staatsbürgerlichen Kompetenz. Siehe hierzu auch die im von May (2010) entwickelten Kompetenzmodell einbezogene „moralische Urteilskompetenz“ und daran anknüpfend Lambach (2017).

  10. Ich werde im nächsten Kapitel anhand des Beispiels humanitärer Interventionen auf ein Thema aus dem Seminarverlauf bezugnehmen (zu Dilemma-Situationen in humanitären Interventionen: Moore 1998).

  11. Die zweite Prämisse könnte hier auch als begriffliche Setzung gelesen werden und nicht als empirische Aussage. Ich fokussiere mich an dieser Stelle aufgrund der Zielsetzung dieses Abschnittes auf die „empirische Lesart“.

  12. Hiermit soll nicht beansprucht werden, dass die geschilderte(n) Möglichkeiten die einzigen Modi sind, in denen Lehrende der Politischen Theorie dem geschilderten Dilemma konstruktiv begegnen können. Es soll jedoch das Potenzial des gewählten Seminarformates und der gewählten didaktischen Herangehensweise für den Umgang mit den Spannungsfeldern demonstriert werden.

  13. In den unten erläuterten Anwendungsfeldern behandelte konkrete, politische Streitfragen eignen sich aufgrund derartiger Dilemma-Strukturen besonders gut, um Probleme einer durch normative Theorien angeleiteten Urteilsbildung aufzuzeigen und den Umgang mit ihnen einzuüben, siehe – exemplarisch für derartige Dilemma-Strukturen in Hinblick auf ein Anwendungsfeld – Moore (1998).

  14. Thematisch spezifische Kompetenzprofile in der didaktischen Literatur stammen meist aus der Politischen Bildung bzw. der Schuldidaktik – sie verfolgen damit das Ziel einer „Menschenrechtsbildung“ und decken sich mit den Kompetenzprofilen, die Zielvorstellung dieses Seminars waren, nur eingeschränkt, z. B. Lenhart (2006).

  15. Die Seminardebatte über die „Form“ des Arguments des „rassistischen Skeptikers“ berührte damit indirekt auch die Haltbarkeit einer substanziellen Annahme des Skeptikers, d. h. konkret: die Annahme, Menschen mit unterschiedlichen empirischen Eigenschaften sei eine unterschiedliche Wertigkeit zuzuschreiben. Im Seminarkontext konnte gemeinsam erarbeitet werden, dass der Schluss von (präsupponierten) abweichenden empirischen Eigenschaften auf unterschiedliche moralische bzw. Rechtsansprüche einen naturalistischen Fehlschluss darstellt. Gerade dadurch, dass das Argument des „rassistischen Skeptikers“ hier im Rollenspiel sorgfältig rekonstruiert wurde, ließ sich die in den Blick genommene Position als unhaltbar erweisen.

  16. In Anbetracht der Zusammensetzung der Studierendenschaft dieses Projektseminars an der Universität der Bundeswehr war dieser Faktor für den Seminarverlauf und den generierten Mehrwert von erheblicher Bedeutung. Eine Besonderheit des Projektseminars war damit, dass es zum Teil Ort der Reflexion über oder der Ausgangspunkt für Praktika war, in dem menschenrechtsassoziierte Fragen persönlich und beruflich relevant werden.

  17. Frei verfügbare Fallsammlungen und Informationen zur Methode finden sich beispielsweise unter https://www.thecasecentre.org/. Zugegriffen: 03. Mai 2018.

  18. Zur Kritik an reinen Minimal Guidance-Ansätzen aus kognitionswissenschaftlicher Perspektive siehe Kirschner et al. (2006).

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Fleuß, D. Politische Theorie anwendungsbezogen lehren. Lehrende zwischen normativer Zurückhaltung und kritischer Stellungnahme. Polit Vierteljahresschr 59, 719–736 (2018). https://doi.org/10.1007/s11615-018-0133-5

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