1 Einleitung

Im Zuge des neoliberalen Umbaus von Kapitalismus und Wohlfahrtsstaat, der in den vergangenen Jahren eine Reihe multipler Krisenerscheinungen nach sich gezogen hat, sind Probleme der gesellschaftlichen Reproduktionssicherung und insbesondere Fragen der (Neu‑)Verteilung von Sorge und Sorgearbeit vermehrt in den Mittelpunkt gesellschaftstheoretischer Debatten und feministischer Analysen gerückt (Aulenbacher 2020; Dück 2022; Haller 2022). Zudem hat die Corona-Pandemie nicht nur deren gesellschaftliche Relevanz, sondern auch die strukturelle Verantwortungs- und Sorglosigkeit kapitalistischer Gesellschaften vor Augen geführt (Wichterich 2022).

In Anbetracht ökonomischer, politischer, sozialer und demografischer Veränderungsprozesse (u. a. Pluralisierung familialer Lebensformen, zunehmende Frauenerwerbstätigkeit, niedrige Geburtenraten, Arbeitskräftemangel) sehen sich nunmehr auch vormals abgesicherte Gesellschaften mit der Herausforderung konfrontiert, ihre eigenen (sozial) reproduktiven Grundlagen zu sichern. Dies betrifft vor allem die Art und Weise, wie gesellschaftlich notwendige und lebensdienliche Sorgearbeiten – sei es die Erziehung, Betreuung und/oder Pflege von Kindern, alten und/oder kranken Menschen – als Teil der sozialen Reproduktion im Kapitalismus wohlfahrtsstaatlich ausgestaltet und gesellschaftlich (re-)organisiert werden (müssen) (Aulenbacher et al. 2018; Fraser 2023; Haller und Chorus 2013). Wie sich mit Blick auf den wohlfahrtsstaatlichen Wandel, wie er sich ab den 1990er-Jahren vollzogen hat, zeigt, wird der Familien- und Kinderbetreuungspolitik hierbei eine besondere sozialpolitische Bedeutung beigemessen. Familienpolitik, so lässt sich konstatieren, stellt angesichts der bestehenden Herausforderungen hinsichtlich der Reproduktionssicherung gegenwärtig einen der expansivsten und zugleich dynamischsten Sektoren wohlfahrtsstaatlicher Politik dar (Blum 2012; Ferragina 2023; Leitner 2019; Saraceno 2022).

Parallel dazu hat der Um- und Abbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme, wie er in den vergangenen Jahren durch neoliberale Regierungsprojekte und unter austeritätspolitischen Vorzeichen vorangetrieben wurde, weitreichende gesellschaftliche Transformationsprozesse und Veränderungsdynamiken mit sich gebracht (Atzmüller et al. 2023; Betzelt und Fehmel 2022), die zu einer umfassenden Destabilisierung und Neuordnung der sozialen Reproduktionsweise geführt haben. Im Zuge dessen sind bestehende Sorgeregime in Bewegung geraten, was sich auch auf das Verhältnis von Wohlfahrtsstaat und Familie ausgewirkt hat (Hajek 2020).

Der vorliegende Beitrag befasst sich am Beispiel von Österreich, das als konservativ-familialistischer Wohlfahrtsstaatstypus gilt, mit eben diesen Entwicklungen. Der Fokus der Analyse richtet sich darauf, wie sich der wohlfahrtsstaatliche Umbau – spezifisch in der Familien- und Kinderbetreuungspolitik – auf die Neuverteilung reproduktiver Zuständigkeiten und Verantwortungen auswirkt. Im Zuge dessen wird danach gefragt, ob und inwiefern diese Veränderungen zu einer Aktualisierung, Modifizierung oder Verwerfung des familialistischen Profils Österreichs beitragen. Die Untersuchung familienpolitischer Entwicklungs- und Reformprozesse erfolgt unter Rückgriff auf Elemente der historisch-materialistischen Policy-Analyse. Auf diese Weise lassen sich Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Bedeutung und Funktion wohlfahrtsstaatlichen Programmen und Maßnahmen im Bereich der Familien- und Kinderbetreuungspolitik für die Reproduktionssicherung zukommen, welche Ungleichheiten, Widersprüche und Krisentendenzen dadurch fortgeschrieben werden und inwiefern diese Entwicklung im Einklang mit den Erfordernissen des Gegenwartskapitalismus stehen.

2 Methodisches Vorgehen: Historisch-materialistische Analyse von Familien- und Kinderbetreuungspolitik

Während sich ein Großteil der (Wohlfahrtstaats‑)Forschung vorwiegend auf international-vergleichende Analysen und Policy-Outputs konzentriert (Blum 2012; Gauthier und Koops 2018; Leitner 2013; Pfau-Effinger und Saxonberg 2015), werden familienpolitische Entwicklungen dagegen nur unzureichend aus historisch-materialistischer Perspektive im Sinne einer umfassenderen politischen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates, sozialer Reproduktionsverhältnisse und somit als konstitutiver Bestandteil moderner, kapitalistisch verfasster Gesellschaften beleuchtet. Zugleich werden Veränderungsdynamiken in der Familien- und Kinderbetreuungspolitik oftmals „uncritically as a beneficial policy transformation“ (Ferragina 2023, S. 205) verstanden. Ungeachtet zahlreicher gesellschaftspolitischer Modernisierungsprozesse, wie sie sich auch in der Familien- und Kinderbetreuungspolitik manifestiert haben – sei es die Wahlfreiheit für Familien, die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen, der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung –, zeigt sich, dass nach wie vor bestimmte Familien- und Haushaltsformen sowie geschlechtliche Arbeitsteilungen stabilisiert und reproduziert werden. Mit Blick auf die in den vergangenen Jahr(zehnt)en durchgesetzte Rekonfiguration und Reorganisation wohlfahrtsstaatlicher Reproduktionsdynamiken geschieht dies dabei jedoch unter veränderten Vorzeichen und zum Teil auf direktere Weise als in der Vergangenheit (Daly 2020).

Um den Wandel von Wohlfahrtsstaat und Familie im Kontext der (Re‑)Organisation von Sorge und Sorgearbeit im Gegenwartskapitalismus verstehen zu können, werden die damit verbundenen Entwicklungen im Anschluss an Überlegungen zur historisch-materialistischen Policy Analyse beleuchtet (Brand 2013; Brand et al. 2021; Lenikus et al. 2022). Hierbei handelt es sich um einen relativ jungen Forschungsansatz, der sich in Abgrenzung zu eher konventionellen Ansätzen der Policy-Forschung verstehtFootnote 1. In der Regel werden unter Policies „die materiell-inhaltlichen Fragen und Probleme, auf die mit politischen Programmen und Maßnahmen reagiert wird, aber auch die Resultate der politischen Aktivitäten in den jeweiligen Politikfeldern“ (Blum und Schubert 2018, S. 10) gefasst. Der historisch-materialistische Ansatz betrachtet Policies hingegen nicht in einem szientistisch-technokratischen Sinne isoliert als rationale Handlungs- und Lösungsvorschläge für bestehende Probleme. Diese werden vielmehr als Bestandteil und Ausdruck vielfältiger, historisch gewachsener sozialer Verhältnisse, materieller Strukturen und konfligierender gesellschaftlicher Interessen verstanden, wie sie für moderne, kapitalistisch verfasste Gesellschaften konstitutiv sind. Bestimmte (wohlfahrts-)staatliche Programme und Maßnahmen werden folglich dahingehend untersucht, welchen Beitrag diese – je nach Politikfeld – zur „Aufrechterhaltung bzw. Reproduktion widersprüchlicher gesellschaftlicher Verhältnisse und Krisentendenzen“ leisten und „welche Formen bzw. Modi der Reproduktion daraus entstehen“ (Lenikus et al. 2022, S. 545). Das Vorgehen gestaltet sich dabei als ein analytischer Dreischritt bestehend aus Kontext‑, Prozess- und Akteursanalyse, der sich allerdings je nach Erkenntnisinteresse und Fragestellung insofern adaptieren lässt, als der Fokus auf einen oder mehrere Bereiche gerichtet werden kann. Die Analyse der österreichischen Familien- und Kinderbetreuungspolitik beschränkt sich im Folgenden auf die Kontext- und Prozessanalyse.

Zu Beginn werden hierzu die mit der gesellschaftlichen Reproduktionssicherung verbundenen Strukturprobleme und Widersprüche in einen gesellschaftstheoretischen Kontext eingebettet. Dies geschieht im Rekurs auf feministische Kapitalismusanalysen sowie die kritische Wohlfahrtsstaatsforschung (3. Abschnitt). Im Anschluss daran werden sozio-ökonomische Dynamiken kapitalistischer Gesellschaften hinsichtlich sozial reproduktiver Erfordernisse und damit verbundener wohlfahrtsstaatlicher Regulierungsformen historisch beleuchtet, wobei das Hauptaugenmerk auf den Entwicklungen von der fordistischen Nachkriegsära, über die Krise des Fordismus in den 1970er-Jahren bis hin zur Durchsetzung einer postfordistischen Regulationsweise liegt. Auf diese Weise lassen sich wesentliche Umbruchsdynamiken im Reproduktionsmodell begreifen, die zum Wandel von Wohlfahrstaat und Familie beigetragen haben (4. Abschnitt).

Vor ebendiesem Hintergrund werden familienpolitische Reformen- und Entwicklungsprozesse analysiert, wie sie sich in der österreichischen Familien- und Kinderbetreuungspolitik ab den frühen 2000er Jahren im Zuge der „neo-konservative[n] Wende“ (Leitner 2013, S. 73) manifestiert haben. Für Österreich lassen sich ab diesem Zeitpunkt paradigmatische Veränderungen erkennen (Österle und Heitzmann 2020; Tálos und Obinger 2020), in deren Folge familiarisierende und defamilialisierende Programme und MaßnahmenFootnote 2 implementiert wurden. Dieser „public-private welfare mix“ ist durch neue wohlfahrtsstaatliche Steuerungs- und Funktionslogiken, Handlungsimperative und Leitbilder gekennzeichnet, wie sie sich im Kontext aktivierender und sozialinvestiver Politiken durchgesetzt haben (Deindl und Décieux 2023). In Anbetracht dieses Wandels werden zum einen wesentliche familienpolitische Programme und Maßnahmen analysiert, wobei der Fokus auf Leistungen wie etwa dem Kinderbetreuungsgeld und dem Familienbonus und deren Auswirkungen auf geschlechtsspezifische Formen der Arbeitsteilung liegt (5. Abschnitt). Mit Blick auf den Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung sowie der Betonung arbeitsmarkt- und bildungspolitischer Aspekte werden zum anderen defamilialisierende Tendenzen beleuchtet, die wiederum als Ausdruck für die zunehmende Orientierung an sozialinvestiven Strategien verstanden werden (6. Abschnitt). Anhand der Gleichzeitigkeit dieser auf den ersten Blick gegenläufigen Entwicklungen werden familienpolitische Reform- und Entwicklungsprozesse dahingehend untersucht, inwieweit diese Familien nicht nur bei der Erbringung reproduktiver (Sorge‑)Leistungen unterstützen, um entstandene Sorgelücken und -engpässe zu schließen. Es ermöglicht auch danach zu fragen, inwiefern Familien – insbesondere Frauen, aber auch Kinder – durch diese Programme und Maßnahmen dazu befähigt werden (sollen), den Anforderungen und Modalitäten des flexiblen Kapitalismus in adäquater Weise nachkommen zu können (Atzmüller 2019; Décieux 2020; Lessenich 2008; Leitner 2008).

3 Soziale Reproduktion als Strukturproblem des Kapitalismus

Den theoretischen Ausgangspunkt hierfür bilden feministische Kapitalismusanalysen, die sich mit Fragen und Problemen der sozialen Reproduktion auseinandersetzen. Diese argumentieren, dass moderne, kapitalistisch verfasste Gesellschaften hinsichtlich ihrer reproduktiven Grundlagen an sich widersprüchlich, instabil und krisenanfällig sind. Dieser widersprüchliche Charakter in Bezug auf die eigene Reproduktionssicherung erweist sich als ein grundlegendes Strukturproblem der kapitalistischen Ökonomie, das historisch aus der für den Kapitalismus konstitutiven Trennung und hierarchischen Grenzziehung zwischen Produktion und sozialer Reproduktion hervorgeht (Chorus 2013; Fraser 2023). Gleichwohl zeigt sich aber auch, dass sich Produktion und soziale Reproduktion ungeachtet dieser Trennung gegenseitig bedingen, voneinander abhängen und ko-konstitutiv für kapitalistische Gesellschaften sind, wobei sie in einem permanenten Spannungsverhältnis zueinanderstehen. Dieses Spannungsverhältnis rührt dabei aus der kapitalistischen Grundstruktur her, in der vorwiegend markt- und verwertungsorientierte Interessen und Bestrebungen gegenüber Fragen der Reproduktion und Lebenssorge dominieren (Aulenbacher 2020; Chorus 2013; Klinger 2013).

Aufgrund dieses Vorrangs der Marktökonomie vor anderen, nicht unmittelbar ökonomischen Bereichen wird von gesellschaftlich notwendigen Reproduktions- und Sorgearbeiten – solange sie in einem funktionsnotwendigen Ausmaß anderweitig erbracht werden – insofern abstrahiert, als sie den Maßgaben des Kapitalismus untergeordnet werden (Becker-Schmidt 2014). Hierin begründet sich auch die inhärente Selbstwidersprüchlichkeit der kapitalistischen Gesellschaftsformation: auch wenn kapitalistisch verfasste Gesellschaften auf Sorge und Sorgearbeit als Basis für die soziale Reproduktion angewiesen sind und nicht ohne diese funktionieren können, sind sie jedoch nicht dazu imstande, aus sich heraus die zur sozialen Reproduktion erforderlichen Mittel und Voraussetzungen in einem ausreichenden Maße zu erzeugen bzw. zu erhalten. Die kapitalistische (Re‑)Produktionsweise unterminiert daher nicht nur strukturell ihre eigene Regenerations- und Funktionsfähigkeit, sondern weist immer auch Tendenzen zu deren Destabilisierung auf, insbesondere dann, wenn sich „das Streben des Kapitals nach erweiterter Akkumulation von seinen sozialen Grundlagen abkoppelt und sich gegen diese wendet“ (Fraser 2023, S. 104). Diese dysfunktionalen und selbstdestruktiven Tendenzen stellen ein grundlegendes Strukturproblem der kapitalistischen Gesellschaftsformation dar, das sich jedoch nicht automatisch „etwa dank eines ‚stummen Zwangs ökonomischer Verhältnisse‘“ (Offe und Lenhardt 2006, S. 164) von selbst erledigt. Vielmehr muss das Problem der gesellschaftlichen Reproduktionssicherung durch außer-ökonomische Instanzen von staatlicher Seite mittels wohlfahrtsstaatlicher Kontrolle fortwährend bearbeitet, reguliert und neu justiert werden (Haller 2022; Offe und Lenhardt 2006).

In diesem Sinne gilt auch die Familien- und Kinderbetreuungspolitik als ein wichtiges staatliches Instrument zur „Korrektur ökonomisch dysfunktionaler gesellschaftlicher Entwicklungen“ (Leitner 2008, S. 72), wobei die jeweilige wohlfahrtsstaatliche Ausrichtung über die Ausgestaltung sozialer Reproduktionsverhältnisse entscheidet. Familienpolitische Programme und Maßnahmen legen nicht nur das Ausmaß und die Höhe staatlicher Transfer- und Infrastrukturleistungen fest, sondern regeln auch, dass Familien und Haushalte über hinreichend Zeit für Reproduktions- und Sorgearbeiten verfügen. Sie entscheiden auch darüber, welche Tätigkeiten in welcher Form verrichtet werden, sei es durch marktexterne Institutionen wie der Familie oder aber durch Dienstleistungen (Chorus und Haller 2013).

Aufgrund der strukturellen Sorglosigkeit (Aulenbacher et al. 2015) kapitalistischer Gesellschaften wird jedoch ein Großteil reproduktiver Tätigkeiten entweder nicht in ausreichendem Maße oder nur mehr bedingt und zumeist unter prekären Bedingungen erbracht. Erschöpfen sich vorhandene reproduktive Ressourcen, weil sie entweder in nicht-nachhaltiger Weise beansprucht werden oder aber weil der vorherrschende gesellschaftliche Zusammenhang von Produktions‑, Lebens- und Seins-Weise erodiert, entstehen in bestimmten Bereichen Reproduktions- und Sorgelücken, die in Reproduktionskrisen münden können (Aulenbacher 2013; Dück 2022; Jürgens 2010). Insofern die bestehenden wohlfahrtsstaatlichen Regulierungsweisen und Problemlösungsstrategien nicht mehr greifen, um die entstandenen Engpässe zu schließen, können derartige Krisen zu einem Umbau des vorherrschenden Reproduktionsmodells führen.

Mit Blick auf die vielfältigen, sich wechselseitig beeinflussenden Krisenerscheinungen, wie sie mit der Durchsetzung des Neoliberalismus sowie infolge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff. aufgetreten sind, ist die Krise der Reproduktion – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Corona Pandemie – zunehmend sicht- und spürbar geworden. Die wohlfahrtsstaatliche Bearbeitung erfolgt seither über unterschiedliche, teils gegenläufige Mechanismen. Diese können von der Ökonomisierung staatlicher Segmente, der Landnahme profitträchtiger Bereiche, der zunehmenden Verzivilgesellschaftlichung sozial reproduktiver Aufgaben bis hin zur Rückverlagerung von Sorgetätigkeiten in den Privathaushalt bzw. in die Familie reichen (van Dyk und Haubner 2021; Hajek 2020; Riegraf 2013; Soiland 2018). All diese Entwicklungen bringen Verschiebungen mit sich, die nicht nur das Verhältnis von Produktion und sozialer Reproduktion, sondern auch die Funktions- und Arbeitsteilung zwischen Staat, Markt, Drittem Sektor und Familie betreffen. Zugleich ändern sich aber auch die Institutionen, die damit verbundenen Subjektivitäten sowie die reproduktiven Tätigkeiten selbst, so dass von einer umfassenden Neuordnung von Sorge und sozialer Reproduktion und gesprochen werden kann (Aulenbacher 2020). Für den österreichischen Kontext zeigt sich dies insofern, als im Zuge des wohlfahrtsstaatlichen Umbaus vom versorgenden hin zum aktivierenden und sozialinvestiven Steuerungsstaat familialisierende und defamilialisierende Programme und Maßnahmen implementiert wurden. Diese Entwicklungen wirken sich nicht nur darauf aus, wie auf die Familie als Ort der Wohlfahrtsproduktion zurückgegriffen wird, sondern auch welche Rolle und Funktion ihr als sozioökonomischer Akteur in der politischen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates (Papadopoulos und Roumpakis 2019) zukommt.

4 Wandel von Wohlfahrtsstaat und Familie vom Fordismus zum Postfordismus

Über mehrere Jahrzehnte beruhte der „staatlich gelenkte Kapitalismus“ (Fraser 2023, S. 113), wie er in der fordistisch geprägten Nachkriegszeit auch in Österreich vorherrschte, auf einem temporär relativ stabilen, wohlfahrtsstaatlich abgesicherten Reproduktionsmodell. Zentrale Kennzeichen bildeten das Male-Breadwinner-Modell (Lewis 2001), ein institutionalisierter – und im Fall von Österreich wesentlich sozialpartnerschaftlich regulierter – Klassen- und Geschlechterkompromiss (Weiss 2012) sowie ein staatlich forcierter Familialismus (Leitner 2013). Aufgrund der für den Fordismus eigentümlichen Trennung von Produktion und sozialer Reproduktion wurden gesellschaftlich notwendige Reproduktionsarbeiten primär von marktexternen Institutionen wie der Familie erbracht. Dies galt insbesondere für die Sorge für Kinder, die der Familie überantwortet, an Frauen delegiert und dadurch unsichtbar gemacht wurde (Lutz 2010).

Zentrales Stabilisierungsmoment des fordistischen Akkumulationsregimes bildete der keynesianische Wohlfahrtsstaat (Hirsch 2005), der sich in dieser Phase „zu einem zentralen sozialen Gestaltungsfaktor“ (Tálos und Obinger 2020, S. 41) entwickelte. Der Ausbau sozialstaatlicher Leistungen führte dazu, dass bisherige Formen gesellschaftlicher Kohäsion, Versorgung und Reproduktion unterschiedlicher – überwiegend lohnarbeitender – Bevölkerungsgruppen grundlegend geändert und aufgelöst wurden. Der Wohlfahrtsstaat beteiligte sich an der gesellschaftlichen Reproduktionssicherung, indem er Arbeitskräfte und deren Familien, die vorübergehend und/oder vollständig aus dem fordistischen (Re‑)Produktionsmodell herausfielen, vor sozialen Risiken wie etwa Arbeitsunfähigkeit, Krankheit oder Alter absicherte. Die Arbeitskraft wurde dadurch nicht nur ihrer „Warenform entkleidet und den Marktmechanismen entzogen“ (Lessenich 2019a, S. 880), sondern es wurden auch – z. B. durch die Gewährleistung sozialer Rechte oder den Verbleib in der Familie – legitime Existenzformen abseits des Arbeitsmarktes geschaffen. Die Familie bildete nicht nur die Basis der fordistischen Vergesellschaftungsform, sondern avancierte zugleich zum „Objekt vielfältiger staatlicher Kompensations‑, Betreuungs- und Stützungsaktivitäten“ (Hirsch und Roth 1986, S. 57).

Das fordistische Reproduktionsmodell basierte darüber hinaus auf einer klar definierten Geschlechterordnung. Während der Mann als ein im Normalarbeitsverhältnis beschäftigter Familienernährer galt, wurden Frauen auf die Funktion der zu versorgenden Ehe- und Hausfrau sowie sorgenden Mutter beschränkt. Soziale Rechte erhielten sie nur vermittelt über den Erwerbsstatus des Mannes. Auch in Österreich wurde diese Geschlechterordnung durch den konservativen Zuschnitt des Wohlfahrtsstaats bewahrt und durch entsprechende familialistische Strukturen und Politiken gefördert. Diese reichten „von der Kinder- bzw. Familienbeihilfe, vom Wochen- und Karenzurlaub, von Mutterbeihilfen, von Kinderzuschüssen in der Pensionsversicherung, vom Familienzuschlag in der Arbeitslosenversicherung, bzw. Familienzulagen bis hin zur steuerlichen Familienförderung“ (Tálos und Obinger 2020, S. 33). Der österreichische Wohlfahrtsstaat priorisierte von Anfang an Geldleistungen, wohingegen Infrastruktur- und Sachleistungen kaum eine Rolle spielten. Durch die Kopplung von Kinderbetreuung an die Nichterwerbstätigkeit erhielt mütterliche Sorgearbeit Vorrang vor institutioneller Kinderbetreuung. Dieser staatlich forcierte Familialismus war dabei am Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie inklusive geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung orientiert. Als konstitutiver und hegemonialer Bestandteil fordistischer Verhältnisse setzte sich die Kleinfamilie „in einem Ausmaß für alle sozialen Schichten durch […] wie niemals zuvor oder danach“ (Weiss 2012, S. 102).

Ab Mitte der 1970er-Jahre geriet das fordistische Akkumulationsregime an seine ökonomischen und sozialen Grenzen. Aufgrund rückläufiger Profit- und Wachstumsraten bei dauerhaft hohen Produktions- und Lohnkosten zerfiel allmählich „die fordistische, sozialstaatlich-keynesianische Regulationsweise, die über mehrere Jahre hinweg eine Stütze der Kapitalakkumulation dargestellt hatte“ (Hirsch 2005, S. 125). Mit der sukzessiven Durchsetzung eines finanzgetriebenen Akkumulationsregimes (Dörre und Brinkmann 2005) und sich wandelnden gesellschaftlichen Leistungsansprüchen erwies sich der Wohlfahrtsstaat als erheblicher Kostenfaktor und wurde zunehmend als Problemerzeuger denn als Problemlöser betrachtet (Lessenich 2019b). Zudem wurde die wohlfahrtsstaatlich institutionalisierte Geschlechterordnung von feministischer Seite in Frage gestellt und ein eigenständiger Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen gefordert (Dalla Costa 2022). Veränderte ökonomische Rahmenbedingungen wie auch die Forderungen nach einem geschlechteregalitäreren Wohlfahrtsstaat führten zu einer „adaptiven Selbsttransformation des [wohlfahrtsstaatlichen] Systems“ (Offe 2006, S. 66), die sukzessive mit einem Umbau des Reproduktionsmodells einherging (Aulenbacher 2013; Jürgens 2010).

Vor dem Hintergrund veränderter sozio-ökonomischer Rahmenbedingungen – sei es der Anstieg der Arbeitslosigkeit, die Pluralisierung familialer Lebensformen, die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit oder aber die Alterung der Gesellschaft – kommt es im Übergang zum Postfordismus zu einem tiefgreifenden Wandel wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme. Dies betrifft die sozialpolitische Ordnung im Allgemeinen wie auch das Verhältnis von Wohlfahrtsstaat und Familie im Besonderen. Im Anschluss an die kritische Wohlfahrtsstaatsforschung lässt sich dieser Wandel als ein Umbau vom versorgenden hin zum aktivierenden und sozialinvestiven Steuerungsstaat begreifen (Atzmüller 2014; Lessenich 2008), wobei die damit verbundenen Entwicklungen als Ausdruck für die weitreichenden und vielfältigen fragmentierten Polarisierungstendenzen wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme gelten (Atzmüller 2019).

Einerseits zielen aktivierungspolitische Maßnahmen darauf ab, mittels Reduktion staatlicher Transferleistungen die Teilnahme am Erwerbsleben zu forcieren. Unter der Devise „from welfare to workfare“ soll die Rekommodifizierung der Ware Arbeitskraft vorangetrieben werden, wobei von Subjekten zugleich ein erhöhtes Maß an Flexibilität, Eigenverantwortung und Selbstsorge eingefordert wird (Rau 2020). Im Zentrum der Aktivierungspolitik steht „der tendenzielle Übergang von der öffentlichen zur privaten Sicherheit, vom kollektiven zum individuellen Risikomanagement, von der Sozialversicherung zur Eigenverantwortung, von der Staatsversorgung zur Selbstsorge“ (Lessenich 2008, S. 82). Andererseits nutzen Wohlfahrtsstaaten in zunehmendem Maße sozialinvestive Instrumente, um gesellschaftliche Ansprüche und ökonomische Erfordernisse miteinander zu versöhnen, wobei mit der Ausrichtung auf die Förderung des Humankapitals jene Arbeitskräfte und Segmente der Bevölkerung mobilisiert werden sollen, von denen eine Steigerung der Produktivität erwartet wird. Wohlfahrtsstaatliche Aktivitäten werden dabei in einem umfassenderen Sinne als Investitionen betrachtet, die letztlich zur Verbesserung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit nationaler Standorte in der globalisierten Ökonomie beitragen sollen (Esping-Andersen et al. 2002; Hemerijck 2017; Morel et al. 2012; kritisch: Atzmüller 2019). Im Zuge dessen hat sich insbesondere die Familien- und Kinderbetreuungspolitik zu einem zentralen Terrain aktivierungspolitischer Programme und sozialer Investitionsstrategien entwickelt. Wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Elternkarenz, der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung sowie die frühkindliche Bildung sind hierbei zu Schlüsselinstrumenten sowohl für die Förderung der Erwerbsbeteiligung – insbesondere von Frauen – als auch für die Entwicklung des Humankapitals von Kindern geworden (Ferragina 2023; Saraceno 2023).

Parallel dazu werden diese Entwicklungen auf supranationaler Ebene von der Durchsetzung eines neuen familien- und geschlechterpolitischen Leitbildes, dem sogenannten Adult-Worker-Modell, begleitet (Lewis 2001). Demnach sollen nunmehr alle erwerbsfähigen Erwachsenen ihre Existenz durch Erwerbsarbeit sichern, wobei auch hier „die Ausschöpfung des weiblichen ‚Humankapitals‘ [im Mittelpunkt steht], das angesichts des antizipierten demographisch bedingten Fachkräftemangels nicht durch Kindererziehung und Angehörigenpflege blockiert werden soll“ (Auth et al. 2015, S. 44). Während also die Vorstellung vom erwerbstätigen Paar mit Kind(ern) zum Dreh- und Angelpunkt wohlfahrtsstaatlicher Regulierung avanciert, erscheinen reproduktive Erfordernisse und Sorgeverpflichtungen gegenüber der anvisierten doppelten Erwerbstätigkeit als sekundär (Riegraf und Weber 2023). Die Vernachlässigung gesellschaftlich notwendiger und lebensdienlicher Sorgearbeiten zeigt sich in fehlender öffentlicher Infrastruktur (z. B. flächendeckender Ausbau ganztägiger Betreuungseinrichtungen mit entsprechendem Personalschlüssel) und stellt Familien vor erhebliche Vereinbarkeitsprobleme. Was also häufig als Vereinbarkeitsdilemma dargestellt wird, erweist sich im Grunde genommen als ein zentrales Strukturproblem der kapitalistischen Ökonomie, das seinen Ausdruck in entsprechenden Sorgelücken und -engpässen findet, die wohlfahrtsstaatlich bearbeitet werden müssen und daher eine Neuordnung sozialer Reproduktionsverhältnisse erfordern.

In ÖsterreichFootnote 3 erfolgt die wohlfahrtsstaatliche Bearbeitung seit den frühen 2000er Jahren einerseits über den Rückgriff auf die Familie unter Zuhilfenahme entsprechender familienpolitischer Programme und Leistungen. Andererseits kommt es zum Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung, der vor dem Hintergrund einer Orientierung an sozialinvestiven Politiken nicht nur auf die Arbeitsmarktintegration von Frauen bzw. Müttern, sondern zugleich auf die frühkindliche Bildung von Kindern abzielt (Deindl und Décieux 2023; Saraceno 2023). Im Folgenden wird näher beleuchtet, wie sich die hier angedeuteten Verschiebungen zwischen Wohlfahrtsstaat und Familie zu einem neo-familialistischen Modell verdichten, das zwar Wahlmöglichkeiten bereitstellt, aber auch weiterhin traditionelle Familien- und Geschlechterverhältnisse priorisiert (Daly 2011).

5 Neo-Familialismus

Das neo-familialististische Profil des österreichischen Wohlfahrtsstaats zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass im Bereich der Familien- und Kinderbetreuungspolitik nach wie vor direkte Geld- sowie steuerliche Absetzbeträge gegenüber Infrastruktur- und Sachleistungen präferiert werden. Während sich die staatlichen Aufwendungen für Familienleistungen zwischen 2000 und 2020 insgesamt von 6,6 auf 13 Mrd. € verdoppelt haben, bilden hiervon über 70 % monetäre Transfers (Schratzenstaller 2022). Neben Leistungen wie der Familienbeihilfe oder dem Kinderabsetzbetrag, die in Form direkter Geldleistungen ausbezahlt werden, bildet das Kinderbetreuungsgeld ein zentrales familienpolitisches Instrument, durch das Geld sowie entsprechend Zeit für Sorgearbeit freigesetzt wird, so dass zumindest ein Elternteil dem Arbeitsmarkt fernbleiben kann. Ein gleichzeitiger Bezug von Kinderbetreuungsgeld durch – insofern der Fall – beide Elternteile ist grundsätzlich nicht möglich.

Das Kinderbetreuungsgeld wurde 2002 von der rechts-konservativen Koalition aus ÖVP und FPÖ eingeführt und ersetzte bisherige Regelungen zu Karenzgeld, Sonder-Notstandshilfe und Anerkennung von Kindererziehung im Rentensystem. Mit der Einführung des Kinderbetreuungsgeldes als einer universellen Leistung und der Entkopplung von einer vorherigen Erwerbstätigkeit erweiterte sich nicht nur der anspruchsberechtigte Personenkreis, sondern zugleich auch die Bezugsdauer auf maximal drei Jahre. Aufgrund fehlender Kinderbetreuungsinfrastruktur wurden durch „die Kombination aus langen und relativ generösen Transferleistungen […] vielmehr negative Arbeitsanreize für Frauen geschaffen, wodurch sich die bestehende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der familialen Wohlfahrtsproduktion eher verfestigte“ (Tálos und Obinger 2020, S. 120).

Unter Regierungsbeteiligung von SPÖ und ÖVP wurde das Kinderbetreuungsgeld in den darauffolgenden Jahren mehrfach reformiert und angepasstFootnote 4. 2017 trat eine Neuregelung in Kraft, so dass Eltern seither zwischen einer einkommensabhängigen Variante und einem flexiblen Kinderbetreuungsgeld-Konto als Pauschalleistung wählen können. Ungeachtet dieser Reformen, die Leistungsumfang und Bezugsdauer betreffen, Eltern mehr oder weniger schnell den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben ermöglichen und je nach Modell somit entweder defamilialisierend oder familialisierend wirken, ist das Kinderbetreuungsgeld dabei an zahlreiche Anspruchsvoraussetzungen gekoppelt. Neben asylrechtlichen Bestimmungen, einem Nachweis über den Lebensmittelpunkt und einen auf Dauer angelegten (mindestens 91-tägigen) gemeinsamen Haushalt von Eltern und Kind innerhalb Österreichs zählen hierzu obligatorische Eltern-Kind-Pass Untersuchungen vor und nach der Schwangerschaft sowie die Einhaltung von Zuverdienstgrenzen. Bei etwaiger Nichterfüllung können die mit dem Kinderbetreuungsgeld verbundenen Leistungen nachträglich rückgefordert werden.

Ungeachtet dieser Reformen und Wahlmöglichkeiten zeigt sich, dass die mit Kinderbetreuung verbundenen Sorgearbeiten weiterhin nach wie vor primär von Müttern verrichtet werden. Diese ungleiche Verteilung reproduktiver Aufgaben spiegelt sich nicht zuletzt in der durchschnittlichen Bezugsdauer des Kinderbetreuungsgeldes von Vätern wider, die gerade einmal bei 4,5 % aller Anspruchstage (Schmidt 2022) liegt. Auch Anreize zur Steigerung der Väterbeteiligung wie etwa der 2017 eingeführte Partnerschaftsbonus für Eltern, die sich den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes zu gleichen Teilen aufteilen, oder der Rechtsanspruch auf Familienzeit (im öffentlichen Diskurs auch Papamonat genannt), der seit 2019 gilt, haben hieran kaum etwas geändert, da der Leistungsbezug in beiden Fällen an relativ hohe bürokratische Hürden gekoppelt ist. Im Fall des Partnerschaftsbonus müssen Eltern nachweisen, dass das Kinderbetreuungsgeld annähernd gleich, mindestens aber im Ausmaß von je 124 Tagen rechtmäßig und tatsächlich bezogen wurde; beim Papamonat betrifft dies die Nachweispflicht zum einen über die vollständige Unterbrechung der Erwerbstätigkeit – auch für Selbstständige – und zum anderen, dass vor Bezugsbeginn der Leistung mindestens 182 Tage durchgehend einer in Österreich kranken- und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen wurde.

Eine weitere familienpolitische Maßnahme bildet der Familienbonus Plus, der 2019 eingeführt wurde. Programmatisches Ziel ist es, Haushalte mit einem jährlichen Absetzbetrag von bis zu 2000 € pro Kind steuerlich zu fördern. Da sich der Familienbonus jedoch erst ab einem monatlichen Bruttogehalt von 2075 € voll ausschöpfen lässt, profitieren hiervon überwiegend mittlere bis obere Einkommen, wohingegen in den niedrigeren Einkommensgruppen, insbesondere bei Alleinverdienenden und/oder Alleinerziehenden, keine volle Auszahlung des Bonus erfolgt (Wintersberger 2019). Der Familienbonus gilt somit als Ausdruck einer klassenpolitisch auf die Mittelschicht fokussierten konservativen Familienpolitik, die noch dazu geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede verschärft. Dies wird mit Blick auf das Gesamtvolumen des Familienbonus ersichtlich, da Männer 76 %, Frauen hingegen nur 24 % erhalten (Rathgeb und Wiß 2020).

Die angesprochenen Entwicklungen werden zum Teil auch unter Rückgriff auf konservative Familienideologien legitimiert. Noch im Regierungsprogramm 2017–2022 von ÖVP/FPÖ wurde die Familie nicht nur als „Gemeinschaft von Frau und Mann mit Kindern“, sondern zugleich als „Keimzelle für eine funktionierende Gesellschaft“ (2017, S. 9) definiert. Neben der staatlichen Forcierung traditioneller Familienstrukturen und Geschlechterverhältnisse, wie sie von autoritär-populistischen Kräften propagiert werden, ließen sich auch in der Familien- und Kinderbetreuungspolitik Tendenzen der Renationalisierung beobachten (Atzmüller 2022). So wurde 2019 u. a. die Familienbeihilfe, der Familienbonus wie auch weitere familienbezogenen Absetzbeträge für im EU-Ausland lebende Kinder indexiert und an die Lebenserhaltungskosten der jeweiligen Länder angepasst. Da dieser Wohlfahrtschauvinismus erhebliche Kürzungen insbesondere für Familien aus ost- und südeuropäischen Staaten mit sich brachte (Ennser-Jedenastik 2020), entschied der Europäische Gerichtshof 2022 im Zuge eines Vertragsverletzungsverfahrens, dass die Indexierung gegen EU-Recht verstoße und zurückgenommen werden müsse.

Die Aufrechterhaltung traditioneller Geschlechterarrangements spiegelt sich allerdings nicht nur auf Seiten der Politik, sondern auch in entsprechenden gesellschaftlich vorherrschenden Wertehaltungen wider. Dies betrifft zum einen Fragen danach, ob und inwiefern gleichgeschlechtliche Paare genauso gute Eltern sind wie heterosexuelle Paare (Berghammer und Schmidt 2021), zum anderen die deutlich geringere egalitäre Einstellung gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern. Laut der Europäischen Wertestudie stimmen 47 % der österreichischen Bevölkerung der Aussage zu, „dass Kinder darunter leiden, wenn die Mutter berufstätig ist“ (Schmidt und Berghammer 2020).

Die Analyse familienpolitischer Reform- und Entwicklungsprozesse verdeutlicht, dass die Familie unter veränderten Rahmenbedingungen weiterhin als zentraler Ort der Wohlfahrtsproduktion gilt, an dem gesellschaftlich notwendige Reproduktions- und Sorgetätigkeiten zumeist durch Mütter für Kinder geleistet werden (sollen). Mit Blick auf die skizzierten Veränderungen, die in erster Linie wohlfahrtsstaatliche Unterstützungsleistungen für Familien betreffen, zeigt sich, dass diese weniger zu einer Abkehr von der familialistischen Tradition als zu deren Erneuerung und Modifikation geführt haben. Dieser Neo-Familialismus ist dadurch gekennzeichnet, dass zum einen bestimmte Familien- und Haushaltsformen begünstigt und zum anderen geschlechtsspezifische Ungleichheiten reproduziert werden.

6 Defamilialisierung oder: Frauen und Kinder zuerst

Die angesprochenen familialistischen Kontinuitäten werden zugleich von einer zunehmenden Defamilialisierung begleitet, die zu einer familienpolitischen Neuausrichtung und entsprechenden Verschiebungen in den sozialen Reproduktionsverhältnissen geführt hat und sukzessive mit einer Orientierung an sozialinvestiven Politiken einherging. Dies betrifft insbesondere den Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung, wie er ab den frühen 2000er Jahren im Zuge der Lissabon Strategie und mithilfe der Barcelona-Ziele auf EU-Ebene festgesetzt wurde. In Österreich wurde die erste Vereinbarung für den gezielten Betreuungsausbau zwischen Bund und Ländern 2008 getroffen, wobei die Ausgaben in diesem Bereich bis 2017 von 1,46 auf 2,61 Mrd. € um 79,4 % (Baierl und Kaindl 2021) gestiegen sind. Der wohlfahrtsstaatlich vorangetriebene Ausbau sollte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und zugleich die Frauenerwerbstätigkeit erhöhen. Zudem rückten hierdurch aber auch Aspekte der frühkindlichen Bildung in den Mittelpunkt, um den Bildungserfolg der nachwachsenden Generation zu sichern (Leitner 2019). Ungeachtet der diesen Entwicklungen zugrunde liegenden sozialinvestiven Schlagseite werden die vorgegebenen Zielgrößen in Österreich bisher nur teilweise erfüllt. Während die Betreuungsquote bei den Drei- bis unter Sechsjährigen mittlerweile 94,1 % beträgt und somit den EU-Vorgaben entspricht, liegt diese bei den unter 3‑Jährigen mit 29,1 % weiterhin unterhalb der festgelegten 33 %-Marke (Statistik Austria 2024). Auch wurden die Ziele inzwischen angepasst, so dass bis 2030 insgesamt 45 % der Kinder unter drei Jahren institutionell betreut werden sollen.

Die mit dem Ausbau der Kinderbetreuung verbundenen Ausgaben sowie der Fokus auf Aspekte der frühkindlichen Bildung lassen sich als Ausdruck einer verstärkten humankapitalzentrierten Sozialpolitik verstehen, die dadurch legitimiert wird, „möglichst früh in die Erziehungs- und Sozialisationsprozesse von Kindern [– primär solchen aus arbeitsmarkt- und bildungsfernen Familien –] zu investieren, um deren spätere Arbeitsmarktintegration zu verbessern und um Armut und Kriminalität zu vermeiden“ (Atzmüller 2019, S. 38). In diesem Sinne sollen wohlfahrtsstaatliche Investitionen einen entsprechenden – wenn auch in die Zukunft gerichteten – sozialpolitischen Return versprechen. Wichtige Reformen in diesem Kontext bilden zum Beispiel die Implementierung eines bundesländerübergreifenden Bildungsrahmenplans, der eine Orientierungshilfe bei der Entwicklung grundlegender Kompetenzen wie Selbst‑, Sozial- und Sachkompetenz, lernmethodische Kompetenz sowie Metakompetenz darstellt und Bildungsbereiche wie Emotionen und soziale Beziehungen, Ethik und Gesellschaft, Sprache und Kommunikation, Bewegung und Gesundheit sowie Natur und Technik umfasst. Programmatisches Ziel ist es, die pädagogische Qualität in elementaren Bildungseinrichtungen zu gewährleisten, da dies für die „Bildungsbiografie von ausschlaggebender Bedeutung“ sei, wovon letztlich wiederum „nicht nur jedes einzelne [Kind], sondern auch die Gesellschaft insgesamt“ (BMBWF 2020, S. 29) profitiere. Um dies gewährleisten zu können, wurden in den vergangenen Jahren Kontroll- und Messinstrumente wie etwa der Bildungskompass implementiert, um die erforderlichen Lernfortschritte festzuhalten, sei es in Form von Entwicklungsportfolios und/oder verpflichtenden Sprachfeststellungstests. Der diesen Reformen zugrunde liegende Fokus auf frühkindliche Bildung entspricht somit in weiten Teilen der „zunehmenden Humankapital- und Outputorientierung auf Seiten der Politik“ (Décieux 2020, S. 203). Unter der Prämisse „prepare statt repair“ (Morel et al. 2012) werden Kinder somit in erster Linie als zukünftige zeitgemäße Arbeitskräfte in den Blick genommen, wohingegen sorgende Aspekte u. a. aufgrund zunehmender Arbeitsverdichtung in den Hintergrund treten und so zum Teil abgewertet werden (eine ausführliche Analyse der Entwicklungen in der (Klein‑)Kinderbetreuung liefert Décieux 2020).

Auch wenn die staatlichen Investitionen in die frühkindliche Betreuung und Bildung darauf zielen (sollen), bestehende soziale Ungleichheiten zwischen Kindern unterschiedlicher sozialer Herkunft zu verringern, zeigt sich, dass hiervon mehrheitlich ökonomisch besser gestellte Familien profitieren (Ferragina 2023). Zumeist sind dies Doppelverdienerhaushalte, die nicht nur das entsprechende ökonomische und kulturelle Kapital mitbringen, sondern auch „more sensitive to the cognitive development appeal of these services“ (Saraceno 2023, S. 316) sind. Die mit dem Ausbau der Kinderbetreuung verbundenen sozialinvestiven Angebote kommen somit in erster Linie Familien zugute, die im Sinne des Sozialinvestitionsparadigmas als potenzielle Leistungsträger:innen gelten und ihr vorhandenes (Human‑)Kapital wie auch das ihrer Kinder in gesellschaftlich produktiver Weise einsetzen (Lessenich 2008).

Neben dem Fokus auf Kinder zielt der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung zudem darauf ab, die Frauenerwerbstätigkeit zu erhöhen. In der Hoffnung, durch die Auslagerung reproduktiver Aufgaben aus der Familie das vorhandene weibliche Arbeitskraftpotential besser ausschöpfen zu können (Atzmüller 2019; Saraceno 2015), werden die damit verbundenen Ausgaben deshalb auch als „‚good face‘ of activation“ (Ferragina 2023, S. 215) betrachtet. In der Realität reicht der bisherige quantitative Ausbau öffentlicher Betreuungseinrichtungen jedoch nicht aus. Neben dem vorhandenen Angebot betrifft dies insbesondere die Öffnungszeiten, die sich in der Regel auf die sogenannten Kernzeiten beschränken und je nach Beschäftigungsform die Vereinbarkeit erschweren. Aufgrund dieser Betreuungslücken erfolgt der Wiedereinstieg in das Erwerbsleben insbesondere für Frauen nicht selten über prekäre Beschäftigung häufig in Form von TeilzeitFootnote 5, wodurch sich bestehende Geschlechterungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt verfestigen.

Weitere Ungleichheiten ergeben sich dadurch, dass Familien und Haushalte mit höherem Einkommen leichter private Anbieter in Anspruch nehmen können und daher nicht ausschließlich auf öffentliche Einrichtungen angewiesen sind. Dies hat zur Folge, dass sich – zumindest in Wien – private Kindergärten vornehmlich in Wohnvierteln mit höherem sozio-ökonomischen Status ansiedeln, weshalb der Zugang zu Kinderbetreuungseinrichtungen bei Kindern aus diesen Gegenden höher ist als umgekehrt (Pennerstorfer und Pennerstorfer 2021). Wie sich zeigt, decken sich diese Entwicklungen mit internationalen Befunden, die bestätigen, dass die Höhe des Haushaltseinkommens die Inanspruchnahme institutioneller Kinderbetreuungseinrichtungen bedingt (Ferragina 2023; van Lancker 2018).

7 Fazit

Wie die historisch-materialistische Analyse der österreichischen Familien- und Kinderbetreuungspolitik zeigt, haben familienpolitische Reform- und Entwicklungsprozesse in den vergangenen Jahren zu einer Neuordnung sozialer Reproduktionsverhältnisse geführt. Diese manifestiert sich in der Gleichzeitigkeit familialisierender und defamilialisierender Politiken. Zum einen treibt der Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung die Defamilialisierung voran und schafft so – zumindest partiell – Möglichkeiten, Sorge- und Betreuungsaufgaben aus der Familie auszulagern. Zum anderen trägt das vorhandene Angebot und die spezifische Ausgestaltung staatlicher Familienleistungen ungeachtet bestehender Wahlmöglichkeiten wie beim Kinderbetreuungsgeld dazu bei, dass Reproduktions- und Sorgearbeiten nach wie vor der Familie, in erster Linie jedoch Frauen, überantwortet werden. Diese scheinbar gegensätzlichen Entwicklungen erweisen sich in ihrem Zusammenspiel als Antwort auf bestehende Strukturprobleme im Gegenwartskapitalismus, die allerdings mit Ungleichheiten und Widersprüchen verbunden ist und nicht zuletzt neue Sorgelücken und -engpässe hervorbringt.

Der Familien- und Kinderbetreuungspolitik kommt insofern eine wichtige Funktion in der politischen Ökonomie des Wohlfahrtsstaates zu, als die staatlichen Ausgaben in das vorhandene Humankapital – von Frauen wie auch von Kindern – gesamtgesellschaftlich betrachtet gewinnbringende Investitionen darstellen. Zugleich gilt die Familie auch weiterhin als zentraler Ort der Wohlfahrtsproduktion, was staatliche Unterstützungsleistungen erfordert, seien es monetäre Transfers oder steuerliche Absetzbeträge, die an zahlreiche Anspruchsvoraussetzungen gekoppelt sind.

Mit Blick auf die eingangs formulierte Frage lässt sich festhalten, dass der für Österreich charakteristische Mix aus familialisierenden und defamilialisierenden Programmen und Maßnahmen zu einer Aktualisierung und Modifizierung des familialistischen Profils beiträgt. Das neo-familialistische Modell zeichnet sich dadurch aus, dass neben entsprechenden Reformen staatlicher Familienleistungen sowie dem Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung zum einen bestimmte Familien- und Haushaltsformen priorisiert und zum anderen bestehende geschlechtliche Arbeitsteilungen reproduziert werden. In diesem Sinne zielt die wohlfahrtsstaatliche Bearbeitung von Sorgebedarfen in erster Linie darauf ab, die vorherrschenden ökonomischen Bedarfe zu decken, während die Modernisierung der Geschlechterverhältnisse nur in begrenztem Maß vorangetrieben wird. Trotz zunehmender Erwerbsbeteiligung wird ein Großteil der reproduktiven Aufgaben auch weiterhin von Frauen übernommen, was zu deren Doppelbelastung durch Betreuung und Erwerbstätigkeit führt. Die wohlfahrtsstaatlichen Problemlösungsversuche schreiben folglich die strukturelle Sorglosigkeit des Kapitalismus insoweit fort, als durch die scheinbare Wahlfreiheit für die jeweiligen Familien nicht nur bestehende Sorgelücken verdeckt, sondern auch damit verbundene Ungleichheiten zwischen Geschlechtern und Klassen reproduziert werden.