1 Einleitung

Berufliche Qualifizierung, so die allgemeine Annahme, befördert eine nachhaltige Erwerbsteilhabe von Geflüchteten. In Deutschland existieren drei Berufsbildungssektoren: das duale System, das Schulberufssystem und der Übergangsbereich (Kohlrausch und Islertas 2022). Im Zuge der Fluchtzuwanderung nach 2015 kam es zur rechtlichen Öffnung des deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkts. In der Folge wurde der Übergangsbereich enorm ausgebaut und ausdifferenziert: neben regulären Angeboten (Brussig et al. 2022) hat sich ein wenig reguliertes, unübersichtliches Integrations- und Unterstützungsfeld mit unzähligen berufs- und ausbildungsvorbereitenden Qualifizierungsmaßnahmen speziell für Geflüchtete angesiedelt.

In Integrationspolitiken und -diskursen rücken die beruflichen Potenziale von geflüchteten Frauen vermehrt in den Fokus. Teils wird explizit geschlechterspezifische Unterstützung angeboten. Trotz vergleichsweise hoher Erwerbsambitionen und Qualifizierungsbedarfe ist die Gruppe im Berufsbildungssystem unterrepräsentiert. Sie nehmen seltener an Förderangeboten teil und gelten als Problemgruppe am Arbeitsmarkt (Goßner und Kosyakova 2021). Aushandlungen darüber, was als berufliche Qualifikationen und insofern förderliche Qualifizierungen gilt (oder nicht) sind aber kaum Forschungsgegenstand. Dabei schließt die Frage unmittelbar an aktuelle präventive arbeitsmarkt- und weiterbildungspolitische Entwicklungen in Deutschland an: Die Grundsicherung für Arbeitssuchende – die Sozialleistungen, die anerkannte Geflüchtete zunächst beziehen – wurde in Richtung eines Bürgergelds reformiert, was die Förderung von Weiterqualifizierung gegenüber einem raschem Erwerbseintritt priorisiert (Falkenhain und Hirseland 2022). Zur Stärkung von Chancen bei der beruflichen Qualifizierung sollen Bildungskarenz und -teilzeit nach österreichischem Vorbild durch Qualifizierungsberatung, Weiterbildungsgeld und Bildungsteilzeitgeld ausgebaut werden (Leber et al. 2022).

In diesem Artikel nutzen wir jüngere feministisch-sozialkonstruktivistische Erweiterungen segmentationstheoretischer Ansätze (Neuhauser 2019, 2020), übertragen diese – aufbauend auf ungleichheitsanalytischen Forschungssträngen (Krüger 2003) – auf das Berufsbildungssystem und liefern empirische Befunde dafür. Dreh- und Angelpunkt beim Zugang zu Berufsbildung bildet die Einschätzung der berufsfachlichen Qualifikationen – also Stand der berufs- und ausbildungsrelevanten Sprachkenntnisse, Fertigkeiten, Vorqualifizierungen und Potenziale – und der damit verbundenen Qualifizierungsoptionen. Wir zeigen, inwiefern diese Beurteilungen, wenn auch ungewollt, mit Mechanismen der (Re‑)Produktion ethnisch-vergeschlechtlicht segmentierter Arbeitsmärkte zusammenhängen. Grundlage bilden Interviews mit Fachkräften von Arbeitsverwaltung und Arbeitsmarktintegrationsprojekten, die geflüchtete Frauen beim Arbeits- und Ausbildungsmarkteintritt zwischen 2017 und 2020 begleiteten.

Wir schließen an Debatten um Geschlecht im Fluchtdiskurs (Castro Varela und Dhawan 2016; Akdemir et al. 2023) und differenzielle Arbeitsmarktzugänge an (Lenz 2020) und argumentieren, dass Qualifizierungschancen innerhalb der drei Berufsbildungssektoren durch Migrations- und Arbeitsmarktpolitiken und institutionalisierte Prozesse und Mechanismen der Differenzierung, Segmentierung und symbolischen Ab- und Aufwertung mitgebrachter Potenziale strukturiert werden. Die vergeschlechtlicht-rassifizierten Zuweisungspraxen der Unterstützungsakteur:innen werden durch Regelungen, Anforderungen, Verfahren, Maßnahmen und Standards der regulären Berufsbildungssektoren und des Anerkennungssystems gesteuert und bedingen selektive Ein- und Ausschlüsse.

Der Artikel ist wie folgt aufgebaut: Nach der Einleitung diskutieren wir den Forschungsstand zu Qualifizierung und Qualifizierungsteilhabe geflüchteter Frauen und erläutern danach unseren erweiterten segmentationstheoretischen Ansatz. Im Anschluss an die Vorstellung des methodischen Vorgehens und Samples präsentieren wir die empirischen Befunde. Wir schließen mit einer Diskussion und allgemeinen Schlussfolgerungen.

2 Berufliche Qualifikationsteilhabe geflüchteter Frauen in Deutschland

Über die Qualifikationsstruktur von geflüchteten Frauen, die nach 2015 überwiegend aus der arabischsprachigen Region nach Deutschland kamen, liegen mittlerweile differenzierte Daten vor (Salikutluk und Menke 2021, S. 288 f.). Während bei der Schulbildung kaum Geschlechterdifferenzen vorliegen, verfügt die Gruppe oft über weniger mitgebrachte praktische Berufserfahrungen als geflüchtete Männer. Gleichzeitig sind sie im Herkunftsland häufiger in Positionen mit höherem Anforderungsniveau tätig gewesen. Entgegen gängigen Annahmen weisen sie nach Ankunft eine hohe Erwerbs- und Ausbildungsmotivation auf. Trotz vorliegender Bedarfe und Aspirationen landen geflüchtete Frauen selten in Ausbildung: Der Anteil registrierter geflüchteter Ausbildungsstellenbewerberinnen stieg von 15 % im Jahr 2017 zwar stetig an, lag aber im Jahr 2022 mit 31 % unter dem Anteil geflüchteter Männer (68 %) sowie Frauen ohne Fluchthintergrund (39 %) (Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) 2023, S. 301). Unter den geflüchteten Auszubildenden im dualen System sind sie ebenso weniger vertreten als Männer – 35 % vs. 47 % (Eberhard und Schuß 2021, S. 20). In der Ausbildung im Gesundheits‑, Erziehungs- und Sozialwesen, Branchen im Schulberufssystem mit wachsender gesellschaftspolitischer Bedeutung, lag der Frauenanteil bei 75 %, aber der Anteil nicht-deutscher Auszubildender nur bei 17 % (BIBB 2023, S. 181). Trotz des Ausbaus fluchtspezifischer Unterstützung im Übergangsbereich lag der Frauenanteil zwischen 2017 und 2018 bei nur einem Fünftel (Bonin et al. 2021, S. 228). Auf dem Arbeitsmarkt sind geflüchtete Frauen häufiger unterqualifiziert beschäftigt als Männer (35 % vs. 27 %) und arbeiten zu 45 % in Hilfstätigkeiten (Brücker et al. 2020, S. 9 f.). Qualitative Studien belegen indes geschlechtsstereotype Beratung in Unterstützungspraktiken (Wehking 2022) und eine vermehrte Kanalisierung in den Care-Sektor (Farrokhzad et al. 2022). Die prekäre berufliche Stellung zieht niedrigen Lohn nach sich (Brücker et al. 2020, S. 13).

In der Forschung zu Flucht und Berufsbildung wird die geringe Qualifizierungsteilhabe der Gruppe vorherrschend zurückgeführt auf personenbezogene Defizite und Merkmale und strukturelle Barrieren: Problematisiert werden rechtliche Hürden, betriebliche Rekrutierungsstrategien, unübersichtliche Angebotsstrukturen, Brüche in der Zuständigkeit, Mangel an passgenauer Betreuungsinfrastruktur für Mütter mit (Klein‑)Kindern sowie die am reglementierten deutschen Arbeitsmarkt schwieriger zu verwertenden frauentypischen Qualifikationen (Kosyakova et al. 2021; Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2020). Die tendenzielle Unterbelichtung der spezifischen Probleme der Gruppe liegt einerseits daran, dass Studien oft auf das duale System und Fragen des (rechtlichen) Zutritts junger (männlicher) Geflüchteter begrenzt sind (Bauer und Schreyer 2019). Andererseits liegen zwar Studien z. B. zu fluchtspezifischen Förderangeboten vor, meist jedoch geschlechtsunabhängig (Nzume und Polat 2022). Der Zugang in das für frauentypische Ausbildungsgänge im Gesundheits‑, Erziehungs- und Sozialwesen wichtige Schulberufssystem findet in der Forschungsdebatte kaum Berücksichtigung. Da viele geflüchtete Frauen den Erwerbseintritt gerade in diesen Sektoren schaffen (Brücker et al. 2020, S. 9), erscheint der Zugang zu entsprechender Berufsausbildung für eine nachhaltige Teilhabe und Bleibesicherung der Gruppe (und ihrer Familien) aber als entscheidend.

Unserer Ansicht nach betrachtet die Forschung bislang zu wenig die Zusammenhänge zwischen Zugang zu Berufsbildung und Platzierung in spezifischen Arbeitsmarktsegmenten. Humankapitaltheoretische Ansätze, nach deren Logik das mitgebrachte berufliche Kapital die Erwerbschancen bestimmt, können die geringe berufliche Qualifizierungs- und die prekäre Erwerbsteilhabe der Gruppe nicht erklären: ein erhöhter Qualifizierungsbedarf müsste gerade den Eintritt ins Berufsbildungssystem zur Folge haben (Kalter und Granato 2018, S. 359). Befunde ausbleibender oder unterqualifizierter Beschäftigung geflüchteter Frauen trotz vorhandener Berufserfahrungen (Brücker et al. 2020, S. 13) deuten auf Differenzierungs- und Ausschließungsmechanismen beim Berufsbildungszugang hin.

Aus der Rassismus- und Diskriminierungsforschung sind die Gefahren der Dequalifizierung von Migrant:innen im Berufsbildungssystem durch rassistische Vorurteile bekannt (Chadderton und Wischmann 2014). Studien belegen bei der Einschätzung berufs- und ausbildungsrelevanter Qualifikationen zudem Ethnisierung (Hormel 2013) und Vergeschlechtlichung (Thielen 2014) als Diskriminierungsfallen. Dabei sind meritokratische Prinzipien bereits in geschlechtsspezifische und rassifizierte Institutionen und Organisationen eingelassen. So zeigen Studien zur Arbeitsvermittlung geflüchteter Musliminnen die Rolle institutionalisierter sexistisch-rassistischer Adressierungen für die Zuweisung in prekäre, feminisierte Segmente auf (Menke 2023). Bislang fehlt jedoch eine Analyse von Prozessen und Mechanismen der (Re‑)Produktion ethnisch-vergeschlechtlichter Segmentierung bei der vorgelagerten Zuweisung in die drei Berufsbildungssektoren.

3 Die Funktion beruflicher Qualifizierung für segmentierte Arbeitsmärkte

Unser theoretischer Zugang baut auf jüngere feministisch-sozialkonstruktivistische Erweiterungen der neueren segmentationstheoretischen Ansätze auf (Neuhauser 2019, 2020), die wir auf das Berufsbildungssystem übertragen. Segmentationstheorien gehen von der arbeitssoziologischen Prämisse aus, dass Arbeitsmärkte aufgrund nationaler Bedarfe an unterschiedlichen Arbeitskräften asymmetrisch strukturiert sind. Arbeitsmarktsegmente werden als geschlossene Teilmärkte verstanden, zwischen denen Mobilitätsbarrieren bestehen und die in einem relationalen Verhältnis zueinanderstehen. Abgrenzend zu neoklassischen (Borjas 1989) und humankapitaltheoretischen Ansätzen (Sjaastad 1962) wird die Positionierung nicht über das individuelle Angebot (an Produktivität und Qualifikation) in einem fairen, neutralen und freien Wettbewerb erklärt, sondern über die wirtschaftliche Nachfrage an flexibler, kostengünstiger (migrantischer) Arbeitskraft. Der US-amerikanische Ansatz nach Piore ging von einem dualistischen Modell aus, wonach das primäre (sichere, gut entlohnte) vom sekundären (unsicheren, niedrig entlohnten) Segment abhängt. Da nationale Arbeitskräfte das sekundäre Segment aufgrund des geringen sozialen Status stets meiden, entsteht Arbeitskräftemangel am unteren Ende der Arbeitshierarchie, der (mittlerweile) überwiegend von Migrant:innen aufgefangen wird (Doeringer und Piore 2020 [1971]; Piore 1986).

Die älteren segmentationstheoretischen Ansätze wurden stark weiterentwickelt und für einzelne kapitalistische Nationalstaaten modifiziert. Lutz und Sengenberger (1974) gingen für den deutschen Arbeitsmarkt von einer dreifachen Spaltung aus. Sie wiesen einen berufsfachlich strukturierten Teilmarkt mit guten Bedingungen und hohen Löhnen nach, der sich idealtypisch durch überbetriebliche Transferierbarkeit von Qualifikationen kennzeichnet. Daneben unterschieden sie einen Teilmarkt für unspezifische Qualifikationen (unstrukturiert, schlechte Bedingungen, geringe Löhne; sogenannte Jedermannsmärkte) und für betriebsspezifische Qualifikationen (betrieblich strukturiert, gute Bedingungen, hohe Löhne) (ebd., S. 57–70). Neuere segmentationstheoretische Ansätze heben den ambivalenten Einfluss von (nicht-)staatlichen Institutionen und Politiken bei der Strukturierung und Kontrolle von Arbeitsmärkten heraus, die Segmentierungen verfestigen können (Peck 1996; Grimshaw et al. 2017). Kritisiert wird zudem, dass komplexe Differenzierungen und Segregierungen entlang verschiedener Ungleichheitsachsen wie race, Gender und Klasse sich mit dualistischen (oder dreiteiligen) Ansätzen nicht angemessen erklären lassen (Morokvasic 1984; Lenz 2020).

Johanna Neuhauser (2019) baut auf diese neueren Debatten auf. Sie betont explizit die Rolle von Migrationspolitiken und nimmt an, dass die Pluralisierung von Rechtsformen und die Fragmentierung und Diversifizierung von Arbeit als auch von Migration die Migrantisierung bestimmter Sektoren und Arbeitsbereiche fördern (ebd., S. 18). Auch andere Autor:innen sehen Migrationspolitiken als Instrument zur Flexibilisierung von Arbeitsmärkten und Kostensenkung (Munck et al. 2011). Neuhauser weist daneben auf Rassifizierungs- und Vergeschlechtlichungsprozesse hin, durch die Gruppen von Arbeiter:innen auf bestimmte Sektoren verteilt würden (Neuhauser 2019, S. 18). Andere Studien zu migrantischen Arbeitskräften bestätigen, dass sozial zugeschriebene Qualifikationen entlang von Gender, Ethnizität und Alter entscheidender sind als Bildung, Qualifikation und Fertigkeiten (Peck 1996, S. 29–32) und ethnisch-nationale Gruppen entlang personen- oder gruppenbezogener Merkmale geordnet und hierarchisiert werden (Waldinger und Lichter 2003, S. 8–11). Ein auf Produktion reduzierter Arbeitsbegriff schließt indes feminisierte (und zunehmend migrantisierte) reproduktive Bereiche kapitalistischer Gesellschaften aus. Dies erscheint beim Berufsbildungszugang geflüchteter Frauen besonders relevant, da die (Nicht‑)Anerkennung von Berufspotenzialen eng mit Zuschreibungen feminisierter Fähigkeiten und Geschlechterrollen verknüpft ist und Qualifizierungsoptionen immer auch im Lichte von erwarteter familiärer Sorgeverantwortung verhandelt werden.

Angewandt auf das Berufsbildungssystem nehmen wir an, dass Zugang zu und Mobilität innerhalb der drei Berufsbildungssektoren (duales System, Schulberufssystem, Übergangsbereich) nicht (nur) durch individuelle berufs- und ausbildungsbezogene Qualifikationen, sondern durch institutionalisierte Prozesse und Mechanismen der Differenzierung, Segmentierung und symbolischen Ab- und Aufwertung ebenjener Potenziale strukturiert sind. Die Zuweisung wird durch meist aufnahmelandspezifische Regelungen, Anforderungen, Verfahren, Maßnahmen und Standards (wie formale Abschlüsse und Vorqualifizierungen) gesteuert, die von zahlreichen (nicht-)staatlichen Einrichtungen (wie Arbeitsverwaltung, Projektträger, Behörden und Berufsschulen) ausgehandelt werden. Die Akteur:innen sind in ihrem Handeln (mit relativer Eigenständigkeit) zudem arbeitsmarkt- und migrationspolitisch gerahmt. Dies beinhaltet z. B. die integrationspolitische Maßgabe der Förderung rascher Erwerbsteilhabe.

Gleichzeitig stellt der Zugang zu Berufsqualifizierung kein neutralen, formalen Prozess dar. In der Literatur wird das Berufsbildungssystem beschrieben zwischen sozial-integrativer Errungenschaft und Schließungsfunktion besonders gegenüber Frauen und Migrant:innen. Trotz der „herausragenden Weichenstellerfunktion“ (Krüger 2003, S. 498) im Zugang zum berufsfachlichen Segment ist von institutionalisierter Vergeschlechtlichung und Rassifizierung auszugehen. So wird mit der Aufteilung in duale und schulische Ausbildung die Hierarchie in männlich und weiblich konnotierte Arbeitsmarktsegmente reproduziert: Während männertypische Ausbildungsgänge (z. B. im Handwerk) mehrheitlich dual in einem Betrieb in Form von Lehrverträgen mit Entgelt, Standardisierung und geschützten Qualifikationsprofilen erfolgen, gehen frauentypische Ausbildungsgänge (z. B. Erzieher:in) im Schulberufssystem teils mit Schulgeld, unsicherem Berufseintritt aufgrund länder- und trägerspezifischer Regelungen und mangelnder Qualitätssicherung einher (ebd., S. 502; Krüger 2007; Büchter 2021).

Berufsbildungsteilhabe ist auch Ergebnis von Rassifizierung. Rassismuskritische Theorien zeigen seit Langem auf, dass rassistische Grenzziehungen zunehmend durch Aushandlungen von individueller Produktivität und kognitiver Fähigkeit verdeckt werden (Balibar 1992, S. 36). Beispielhaft kann hier die Einweihung Neuzugewanderter in geistige und kulturelle Errungenschaften des Westens genannt werden. Postkoloniale feministische Theorien betonen die Verschränkung vergeschlechtlichter und rassifizierter Zuschreibungen: Nach Yıldız (2016) können Migrantinnen in der Sprache des Defizits als Mangelwesen konstruiert werden und – trotz Anerkennung bzw. Aufwertung kultureller Differenzen und Potenziale – als Negativfolie (Othering) einer (vermeintlich) modernen, emanzipierten und produktiven westlichen Weiblichkeit fungieren. Derlei sexistisch-rassifizierte Wissensbestände und Diskurse werden besonders wirksam, wenn nur begrenzte Informationen über die Berufsbildungs- und Arbeitsmärkte der Herkunftsländer und lückenhaftes Wissen über die Zielgruppe, deren Erfahrungen und Ressourcen vorliegen.

4 Methodisches Vorgehen und Sample

Unsere Analyse fußt auf qualitativen Daten mit 110 Interviews aus zwei Forschungsprojekten zur (staatlichen Unterstützung der) Erwerbsteilhabe von geflüchteten Frauen in Deutschland, die zwischen 2017 und 2021 erhoben wurden. Grundlage für diesen Artikel bilden 36 Interviews mit erwerbsarbeits- und berufsbildungsbezogenen Unterstützungsakteur:innen (49 Personen). Das Sample umfasst 25 Interviews mit Fachkräften von Trägerorganisationen von Arbeitsmarktintegrationsprojekten und 11 Interviews mit der Arbeitsverwaltung (6 mit Jobcentern, 5 mit Arbeitsagenturen). Teils wurden ergänzend Integrationsprojekte teilnehmend beobachtet und projektbezogene Dokumente von Trägerorganisationen analysiert. Zudem wurden mehr als 45 Interviews mit geflüchteten Frauen selbst geführt, deren Analyse für diesen Artikel allerdings nicht im Fokus steht (siehe dafür Autorin 1 2023).

Wir fokussieren damit zwei zentrale (nicht-)staatliche Akteur:innen des Übergangsbereichs, die eng kooperieren und als dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vorgelagerte Instanzen der Überprüfung, Bewertung und Einschätzung von erwerbs- und berufsbildungsrelevanten Qualifikationen und Qualifizierungswegen fungieren: Die Arbeitsverwaltung (AA/JC) ist traditionell für die Beratung, Kompetenzfeststellung und Vermittlung von anerkannten Geflüchteten zuständig, während Projektträger (wie Wohlfahrtsverbände, kommerzielle Bildungseinrichtungen und Flüchtlingshilfeorganisationen) mit der Durchführung arbeitsmarkt- und integrationspolitischer Fördermaßnahmen (sogenannte Arbeitsmarktintegrationsprojekte, MAT) beauftragt sind. Die Projekte, teils explizit an geflüchtete Frauen gerichtet, zielen auf die Förderung des Arbeitsmarkteintritts ab und beinhalten typischerweise Aktivitäten wie Profiling, Spracherwerb, Orientierung und Information über den lokalen Arbeits- und Ausbildungsmarkt, das Kennenlernen von Berufsfeldern, Training, Coaching und Praxiserfahrung. Auch wenn unser Sample damit eine organisationale Vielfalt abbildet, steht eine organisationssoziologische Perspektive auf Variationen innerhalb des Unterstützungsfelds im Folgenden nicht im Fokus (siehe dafür Ullmann 2023).

In den Gesprächen mit den Fachkräften orientierten wir uns am problemzentrierten Interview (Witzel 2000). Leitfadengestützt mit narrativen Elementen fragten wir nach den wahrgenommenen Problemen und Bedarfen der Zielgruppe beim Eintritt in die Arbeitswelt, welche Potenziale und Chancen gesehen und wie genau Unterstützung geleistet wurde. Uns geht es in diesem Artikel nicht darum ‚Fehler‘ und Versagen bei den hoch engagierten Unterstützungsakteur:innen ‚aufzudecken‘ und normativ nach widerständigen Handlungen Ausschau zu halten. Vielmehr begreifen wir die Befragten als versierte Fachkräfte, die in ihren alltäglichen Handlungsoptionen durch strukturelle und institutionelle Zwänge und Bedingungen begrenzt sind. Alle Interviews wurden transkribiert. Das Material wurde – angelehnt an der Grounded Theory und dem Prinzip des minimalen und maximalen Vergleichs – hinsichtlich sich wiederholender subjektiver Interpretationen durchgearbeitet, auf dessen Grundlage Kategorien in ihren Dimensionen, Hypothesen sowie empirisch begründete Konzepte gebildet wurden (Glaser und Strauss 2010, S. 26). Unsere Analyse wurde durch Diskussionen in Interpretationsrunden mit anderen Forscher:innen und gemeinsamen Vorträgen verdichtet.

Wir fassen unter Qualifizierung in einem breiten Sinne neben individuellen formalen Merkmalen wie Abschlüssen das subjektive Arbeits- oder Ausbildungsvermögen als Bündel an geistigen und körperlichen (Vor‑)Erfahrungen, praktischen Fertigkeiten und Wissensbeständen, Sprachkompetenzen, Orientierungen, Einstellungen, Interessen und dem gesundheitlichen Wohlbefinden (Promberger et al. 2008, S. 72–74). Qualifizierungsoptionen ergeben sich nicht (nur) aus personenbezogenen (zugeschriebenen oder tatsächlichen) Merkmalen, sondern schließen die nachfragebezogenen (ermöglichenden oder begrenzenden) Berufsbildungsstrukturen und institutionellen Rahmenbedingungen ein (vgl. ebd.).

5 (Um‑)Deutungen von beruflichen Qualifikationen und Qualifizierungsoptionen geflüchteter Frauen im Berufsbildungssystem

Segmentationstheoretisch ist beim Berufsbildungszugang von geflüchteten Frauen von einer Hierarchie der Berufsqualifizierung auszugehen, die einen institutionellen Bedarf an bestimmten Vorqualifikationen (und deren Mangel) produziert. Auf Basis einer feministisch-sozialkonstruktivistischen Perspektive gehen wir davon aus, dass es bei der Einschätzung von Berufsqualifikationen und Qualifizierungswegen im Unterstützungsfeld zu strukturellen Anpassungen der empfohlenen Optionen nach unten kommt. Folgend betrachten wir deshalb die im Material vorgefundenen Zuweisungspraxen. Wir blicken zunächst auf symbolische (Um‑)Deutungen von Berufsqualifikationen entlang vergeschlechtlichter und rassifizierter Zuschreibungen (5.1.) und rekonstruieren dann die durch die Fachkräfte empfohlenen Integrationswege angesichts der damit einhergehenden wahrgenommenen strukturellen Bedingungen (5.2).

5.1 Berufliche Qualifikationen geflüchteter Frauen zwischen Ab- und Aufwertung

5.1.1 Qualifikationen absprechen: Vom Negieren, Übersehen und Infragestellen

Das Absprechen von Qualifikationen umfasst das explizite Negieren, das unbewusste Übersehen und das systematische Infragestellen mitgebrachter Ressourcen.

Eine extreme Form der symbolischen Abwertung äußert sich im ausdrücklichen Negieren beruflicher Fähigkeiten. Charakteristisch für diese Form ist das sexistisch-rassistische Stereotyp der weiblichen Anderen, die pauschal auf Sorgearbeit beschränkt und ungebildet sei. So kritisiert eine Fachkraft, dass zahlreiche Frauen Jahrzehnte nur zu Hause und mit Kinderbetreuung betraut gewesen seien. „Man kann mit denen überhaupt nichts machen. Sie sind nicht alphabetisiert und die wollen auch nichts machen“ (JC1, Feb/20, S. 15). Qualifizierung erscheint in diesen Fällen sinnlos.

Häufiger zeigt sich Abwertung in Form des unbewussten Übersehens von Qualifikationen. So setzen Praktiker:innen mangelnde Deutschkenntnisse mit fehlender Fachkompetenz gleich. Trotz expliziter Verweise auf einen Gleichstellungsimperativ und der Abwehr von Stereotypen wird implizit die Erwartung geteilt, dass Frauen aus afrikanischen und arabischen Herkunftsländern allgemeinhin nicht beruflich qualifiziert seien. Unterschiede innerhalb der Gruppe z. B. entlang von Klasse, Stadt/Land oder Herkunftsland werden kaum beobachtet. Diese ambivalente Haltung offenbart sich in der positiven Überraschung der Fachkräfte, wenn unter der als ‚noch-nicht-qualifiziert‘ konstruierten Gruppe doch Qualifikationen vorzufinden sind. Auf die Frage nach der Rolle beruflicher Qualifikationen reagierte die Praktikerin eines Integrationsprojekts beispielsweise wie folgt: „Sie stellen aber auch Fragen. Ihre eigenen Qualifikationen? Ja, die hatten ja keine. Können sie ja keine Rolle gespielt haben“ (MAT1, Apr/18, S. 5). Anders als im Fall des Negierens wird die Gruppe als prinzipiell qualifizierbar gedeutet. Notwendig sei die Entwicklung von ernsthaften Berufsambitionen und grundlegenden arbeits- und berufsbildungsbezogenen Fertigkeiten wie Pünktlichkeit. Dafür sei eine enge Begleitung notwendig: „Das sind Menschen, die […] mit uns die ersten Schritte in die westliche Kultur machen“ (MAT2, Sept/19, S. 1). Der Abwertung folgen insofern Qualifizierungsbemühungen.

Abwertung zeigt sich auch in Form des permanenten Infragestellens von (nachgewiesenen) Berufsqualifikationen und deren wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Dies reflektiert eine stark eurozentrische und nationale (Nicht‑)Anerkennungslogik, die sich im Material durch die Vorstellung des Downshifting an hiesige Realitäten äußert. Das also, so schwierig und schmerzhaft es sei, verdeutlicht werden müsse, „dass man wirklich wieder bei null anfangen muss, weil die Erwartungshaltung teilweise schon sehr hoch ist“ (JC1, Feb/20, S. 18). Häufig werden mangelnde Deutschkenntnisse herangezogen, um ambitionierte Berufspläne und Selbsteinschätzungen grundsätzlich anzuzweifeln: „Das wird lange dauern. Im Reisebüro kann man nicht mit gebrochenem Deutsch eine Reise anbieten. Das geht leider nicht“ (MAT1, Apr/18, S. 5). Indem die (rasche) ökonomische Nützlichkeit als Maßstab gesetzt wird für die Anerkennung beruflicher Qualifikationen führen die Deutungen de facto zur Unsichtbarkeit vorhandener vielfältiger Ressourcen.

5.1.2 Qualifikationen zusprechen: Besondere Ressourcen zwischen Kultur, Geschlecht und beruflicher Individualität

Das ressourcenorientierte Feststellen beruflicher Stärken, Interessen und Wünsche ist Bestandteil professioneller Unterstützung. Im Material finden sich symbolische Aufwertungen durch das Zusprechen von besonderen kulturellen und frauentypischen Qualifikationen und das Sichtbarmachen beruflicher Individualität.

Im Feld vorherrschend war die Anerkennung von vermuteten kultur- und migrationsspezifischen Ressourcen (Lenz 2020, S. 409). So werden die Sprache, die Küche, die ‚traditionellen‘ Produkte und Gepflogenheiten aus dem Herkunftsland als spezielles Kapital aufgewertet: „Durch ihre Erfahrung im Heimatland – also sowieso bringen sie sehr vieles mit“ (MAT4, Apr/18, S. 11). Neben der kulturellen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit und Nähe wird die Fluchterfahrung als Solche als Ressource und (neoliberales) Zeichen von Stärke, Selbstverantwortung und Resilienz gedeutet. Die Frauen hätte einen „weiten Weg erfolgreich zurückgelegt“ (MAT3, Apr/18, S. 15). Das heißt, dass sie „organisieren […], kommunizieren […], dass sie überleben können, und dass sie halt flexibel genug sind, sich auf die Verhältnisse einzustellen“ (ebd.). Auch wird oft unspezifisch von interkulturellen Fähigkeiten ausgegangen, die aufgrund nationaler Bedarfe als nützlich eingestuft werden: „Wir brauchen gerade diese interkulturelle Kompetenz von den Menschen“ (MAT4, Jun/18, S. 6). Die als kultur- und migrationsspezifisch aufgewerteten Ressourcen qualifizieren demnach für Tätigkeiten in einem prekären Segment: den neu entstandenen migrationsbezogenen Feldern der Flüchtlingshilfe, Sprach- und Kulturmittlung, Dolmetscherdienste oder interkulturellen Sozialen Arbeit.

Das widersprüchliche Zusammenspiel gleichzeitiger Auf- und Abwertungen findet auch im Hinblick frauentypischer Ressourcen statt. Hier wird implizit von konservativen Geschlechterrollen und daraus resultierend von „praktische[n] Erfahrungen durch hauswirtschaftliche Tätigkeiten [und] Erziehungstätigkeiten“ (MAT3, Apr/18, S. 5) sowie von weiblicher Fürsorglichkeit und Sozialorientierung als natürlich verfügbare Kompetenzen ausgegangen. Die Frauen würden „gar nicht wissen, welches Potential in ihnen liegt und wie sie das so monetär ausschöpfen können“ (ebd., S. 17). Es ginge darum ihnen ihre Kompetenzen z. B. als „Familienmanagerin“ (MAT5, Aug/17, S. 9) bewusst zu machen und in berufliche Tätigkeiten in vermeintlich vertrauten, zugleich prekären Bereichen wie Hauswirtschaft, Pflege oder dem Dienstleistungssektor zu übertragen.

Der Anspruch nach einer qualifizierten Verwertung („nicht ehrenamtlich, sondern sozialversicherungspflichtig“, MAT4, Jun/18, S. 2) und Anerkennung kultureller und frauentypischer Potenziale kann stärkend wirken. Eine Reduzierung auf Kultur im Sinne einer Exotisierung oder auf Geschlecht im Sinne einer Feminisierung wirkt aber begrenzend, etwa wenn die Zuschreibungen mit der Flexibilität gleichgesetzt werden, schlechte Arbeitsbedingungen und Löhne im unteren Segment zu akzeptieren.

Wenn auch weniger ausgeprägt, lagen im Material Deutungen vor, die individuelle berufliche Ressourcen sahen und aufwerteten. Im Fokus lagen die vielfältigen persönlichen Kompetenzen, die mit gängigen (kulturalisierenden bzw. migrantisierenden und feminisierenden) Stereotypen im Widerspruch stehen konnten. Den Selbsteinschätzungen geflüchteter Frauen wurden in diesen Fällen in der Beratung ein hoher Stellenwert und viel Zeit eingeräumt: „Wir haben so Anfangsgespräche. Da habe ich immer abgefragt, was haben sie denn gemacht in ihrem Heimatland?“ (MAT6, Dez/18, S. 3). Ziel ist es gewünschte Integrationswege (möglichst aufbauend auf bisherige Erfahrungen) bewusst (auch entgegen konjunktureller Nachfragen) zu verfolgen: „Dass sie ihre Potentiale nutzen und nicht als Reinigungskraft ihre Potentiale vergeuden“ (MAT7, Nov/17, S. 24).

Die Positionierung auf dem Arbeits- und Berufsbildungsmarkt ergibt sich nicht allein aus der symbolischen Hierarchisierung von Berufsqualifikationen, sondern gleichsam aus der segmentierten Struktur des Berufsbildungsmarkts. Folgend rekonstruieren wir die sich darauf beziehenden Integrationswege, die die Fachkräfte geflüchteten Frauen (nicht) empfehlen.

5.2 Berufliche Qualifizierungsoptionen geflüchteter Frauen zwischen (selektiver) Teilhabe und Ausschluss

5.2.1 Das duale System: Kaum realisierbare, abstrakte Ermöglichungsstruktur

Das duale System, meist reduziert auf die betriebliche Ausbildung, wird von den Fachkräften überwiegend durch Rhetoriken der Modernität und Chancengleichheit beschrieben und als allgemein bewährtes ‚Erfolgsmodell‘ wahrgenommen. Über Berufssparten hinweg wird von einem deutschen Qualitätsstandard ausgegangen, der über dem der Ausbildungssysteme der Herkunftsländer liege: „Das was sie hier machen [eine Ausbildung], das ist auch in ihrem Heimatland viel wert. […] Ansehen weltweit. Wenn man in Deutschland was geschafft hat, dann ist das was wert“ (MAT4, Jun/18, S. 25). Der Erwerb eines deutschen Zertifikats erscheint als Zukunftsinvestition, auch im Fall von Remigration. Abgrenzend zu vermuteten unsystematischen Strukturen der Herkunftsländer wird das deutsche Berufsbildungssystem als überlegen beschrieben. Eine Praktikerin vergleicht: „Für die [geflüchtete Frauen] ist das ein Studium […] aber letztendlich ist es bei uns wie eine Ausbildung“ (MAT8, Feb/20, S. 9). Es gelte „dieses System und den Sinn dahinter“ (BA1, Jul/2019, S. 9) als Wert zu verteidigen und der Gruppe begreiflich zu machen, weil

„viele verstehen halt auch einfach nicht, dass man in Bereichen nicht einfach so reinflutschen kann. Also, dass ich jetzt nicht einfach sagen kann: ich mach gern was mit Kindern, ich geh jetzt in den Kindergarten, werd’ ich mal Kindergärtnerin“ (ebd.).

Aus Sicht der Fachkräfte fungiert eine (duale) Ausbildung als echter Garant für erfolgreiche Erwerbsteilhabe von Geflüchteten (statt Prekarität und Ausbeutung). Grund: „Wer keine Ausbildung hat, der hat dann nachher eine Hilfstätigkeit“ (MAT3, Apr/18, S. 13). Sie würde es jedem:r ermöglichen sich „hochzuarbeiten“ (BA1, Jul/18, S. 4), was als besondere Integrationsleistung gilt. Die Einstellungschancen seien gegenüber dem qualifizierten Einstieg höher, weil Betriebe sich auf der Suche nach flexiblen und kostengünstigen Arbeitskräften die Auszubildenden „quasi […] noch so zurechtbiegen“ (MAT5, Aug/17, S. 19) könnten.

Oft müsse erst über die Existenz bestimmter Ausbildungswege aufklärt werden, weil „viele Berufe überhaupt nicht bekannt“ (MAT5, Aug/17, S. 13) seien. Derlei Überzeugungsarbeit geht mit der Korrektur falscher Vorstellungen von angestrebten Qualifizierungswegen einher. Das kann so weit gehen, dass von der Aufnahme eines Studiums direkt abgeraten wird. Denn: „In Deutschland gibt es das duale Ausbildungssystem. Das ist eine sehr gute Alternative, um letztlich beruflichen Erfolg zu bekommen“ (MAT1, Apr/18, S. 15).

Mit Verweis auf die hohe Qualität und scheinbaren Objektivität der leistungsbezogenen Standards, Verfahren und Regulierungen des dualen Systems aber werden Zutrittsbarrieren auf individuelle Qualifikationsdefizite reduziert. Als abstrakte Ermöglichungsstruktur wird der Zugang in dieses Ausbildungssegment zwar beworben, für die Gruppe aber angesichts begrenzt wahrgenommener Ressourcen als kaum denk- und realisierbare Option verhandelt. Strukturelle Differenzen in den Voraussetzungen zwischen den Geschlechtern und zwischen geflüchteten und deutschen Ausbildungsaspirant:innen werden vernachlässigt.

Auch wenn im Feld die Vorstellung eines deutschen Erfolgsmodells dominierte, lagen vereinzelt Positionen vor, die dieses als veraltet und reformbedürftig kritisieren. Wahrgenommen werden „festgefahrene Strukturen“ (MAT4, Jun/18, S. 5) und staatlich gewollte Barrieren für bestimmte Gruppen, die „die ganze Integration behinder[n]“ (ebd.).

Beklagt werden die lange Ausbildungsdauer, Sprachbarrieren und hohe Zulassungsvoraussetzungen wie z. B. nachgewiesene Schulabschlüsse. Notwendig sei ein institutioneller Wandel, um gleiche Zugangschancen zu schaffen, „sich den Gegebenheiten anzupassen und vielleicht diese Hürden nicht ganz so hochzumachen“ (MAT6, Dez/18, S. 10). Spielräume für derartige Transformationen werden aber als limitiert eingeschätzt, da institutionelle Widerstände diagnostiziert werden: „Das ist natürlich ein goldenes Ei. Also das tastet niemand an. … Wie so ein goldenes Kalb, da tanzen alle so drum herum. So eine deutsche Arroganz. Wir haben das beste Ausbildungssystem“ (ebd.).

5.2.2 Das Schulberufssystem: Erhöhte Anforderungen als unnötige Überforderungen

Frauentypische Berufe erfordern vornehmlich eine Schulausbildung an Berufsschulen, Berufsfachhochschulen oder im Berufskolleg – ein Qualifizierungsweg, den Praktiker:innen ebenfalls als herausfordernd beschreiben. Stärker am Erwerb von theoretischem Wissen (als praktischen Kompetenzen) orientiert, erfordere die Ausbildung erhöhte Lernbereitschaft und -fähigkeit sowie Sprachkompetenzen: „Diese Ausbildung ist nicht ohne und ich nehme an, selbst mit einem B2-Abschluss schwierig zu schaffen“ (MAT9, Okt/21, S. 6). So „extrem ehrgeizig“ (MAT4, Jun/18, S. 18) zu sein, um dem antizipierten Leistungsdruck standzuhalten, wird bei geflüchteten Frauen angezweifelt: „Die werden alle nicht in der Berufsschule bestehen […] Die praktische Arbeit wird fantastisch erledigt und in der Schule […] Das ist Überforderung total“ (MAT6, Dez/18, S. 9). Die Schulausbildung wird auch wegen der zunehmenden Akademisierung der BerufeFootnote 1 als unerreichbar eingeordnet: „Da eine Erzieherausbildung zu bekommen […] das wird natürlich schwierig, das würden dann nur Erzieherhelferinnen sein“ (MAT10, Okt/21, S. 14). Als Problem wahrgenommen werden die strukturellen Unzulänglichkeiten in den Bildungseinrichtungen sich auf die (neue) Zielgruppe einzustellen. So landet die Gruppe meist direkt im Regelbetrieb. An zielgruppenspezifischer Förderung und Begleitung mangele es. „Da wird auch nicht besonders große Rücksicht genommen. Da gibt es halt einen Plan und der wird abgearbeitet“ (MAT5, Aug/17. S. 23). Aufgrund zugeschriebener familiärer Sorgeverantwortung wird es zudem als kaum denkbar erachtet die vollzeitschulische Ausbildung („von Montag bis Freitag“, MAT4, Jun/18, S. 18) zu durchlaufen und deren Zweck gänzlich infrage gestellt: „Ist das sinnvoll? […] Sie hat zuhause drei Kinder“ (MAT1, Apr/18, S. 26).

Vereinzelt setzen sich Fachkräfte für die institutionelle Öffnung des Schulberufssystems durch den Ausbau von Teilzeitausbildungen und flächendeckender sozialpädagogischer Begleitung von Neuzugewanderten ein. Der Pflegeberuf bietet zwar kürzere Ausbildungswege mit den „größten Schulungs- und Unterbringungsmöglichkeiten“ (BA1, Jul/18, S. 9) stoße bei der Gruppe aber auf wenig Interesse: „Viele können sich das überhaupt nicht vorstellen“ (ebd.). In der Folge und aus Sorge vor Abbrüchen tendieren Fachkräfte dazu, Frauen mit derlei Berufsambitionen teils eher auszubremsen und „darauf einzuwirken, dass sie vielleicht noch ein Jahr warten, weil einfach die Berufsschule nicht zu schaffen ist“ (MAT5, Aug/17, S. 23).

5.2.3 Reglementierte Berufe: Aussichtslose und komplizierte Anerkennungsverfahren

Wenn Berufsqualifikationen gesehen werden, spielt die Förderung von formaler Anerkennung eine Rolle, um den Eintritt ins berufsfachliche Segment zu schaffen. Frauentypische Berufe z. B. im Gesundheits‑, Erziehungs- und Sozialwesen sind in Deutschland rechtlich stark reglementiert und „ohne Papier nicht ausübbar“ (MAT6, Dez/18, S. 5). Erforderlich ist eine Berufserlaubnis durch staatliche oder institutionelle Anerkennungsverfahren oder Gleichwertigkeitsprüfungen. Auf die Anerkennung ausländischer Abschlüsse wird in der Unterstützungsarbeit zwar oft verwiesen, sie spielt aber als Integrationsoption eine erstaunlich geringe Rolle („Das ist ein komplizierter Bereich […] Wir schicken zur Anerkennungsberatung“, MAT5, Aug/17, S. 12). Grund: Sie werden übergreifend als langwierig, kostspielig, hürdenreich und kaum erfolgsversprechend wahrgenommen. Viele Frauen scheitern zudem am Erbringen der Nachweise (MAT8, Feb/20, S. 12). Bei Berufen in denen im Vorhinein geringe Anerkennungschancen antizipiert werden, wird vom Verfahren gänzlich abgeraten: „Mit der Qualifikation Lehrerin laufen wir ins Leere!“ (MAT4, Jun/18, S. 8). Für die Erteilung der vollen Berufserlaubnis notwendig sind oft Teilqualifizierungen, was z. B. im Lehramt fast einem neuen Studium gleichkäme. Dies stünde „für Frauen über 50 eigentlich nicht mehr zur Diskussion. Frauen über 40 überlegen es sich vielleicht gerade noch“ (MAT4, Jun/18, S. 18). Trotz Fachkräftemangel und beruflicher Vorqualifizierung bedeutet das für viele Frauen, dass ihnen durch professionsrechtliche Interessenssteuerung ein qualifizierter Zugang bürokratisch de facto erschwert und teils verunmöglicht wird.

5.2.4 Der Übergangsbereich als gute Option

Die Teilnahme an (weiteren) ausbildungs- und berufsvorbereitenden Unterstützungsmaßnahmen im Übergangssystem wird in vielen Fällen explizit empfohlen. Ziel ist das „sukzessive Fortbilden“ (MAT3, Apr/18, S. 22), um die Gruppe zu befähigen, die duale oder schulische Ausbildung mit ihren hohen Standards und Ansprüchen und einen qualifizierten (Quer‑)Einstieg irgendwann zu bewerkstelligen. Die Sonder- oder Requalifizierung wird ferner angeraten, da vermutet wird, dass geflüchtete Frauen teils erst nach gewisser Zeit Erwerbsambitionen entwickeln würden: „Dass die Frauen dann feststellen, oh ja, ich will hier etwas machen. Ich möchte auch weiterkommen“ (BA2, Sep/17, S. 2). Auch wo Qualifikationen gesehen werden, aber als nicht passfähig zum deutschen Arbeitsmarkt erscheinen, kommt der Erwerb neuer (Teil‑)Qualifikationen durch spezielle Angebote ins Gespräch. So wird geraten, dass ein Studium nicht die Lösung sei, „lieber machen wir eine Umschulung. Weil, sie hatte die Basis […] Und sie ist ja berechtigt so einen Bildungsgutschein zu bekommen“ (MAT2, Sep/19, S. 11). Der Eintritt in den regulären Arbeits- und Ausbildungsmarkt wird so in die unbestimmte Zukunft – außerhalb des Wirkungsbereichs der einzelnen Maßnahmen – geschoben. Dabei handelt es sich nach Angaben der Fachkräfte um einen langen, kostenintensiven und mühseligen Qualifizierungsweg. Dass die Frauen im Zweifel nichts Neues hinzulernen und vorliegende Ressourcen verloren gehen, erscheint als nebensächlich. Es gehe darum, „dass ich [als geflüchtete Frau] verinnerlichen muss, dass ich nochmal was lernen muss, was ich eigentlich schon kann nach meinem Gefühl“ (BA1, Jul/18, S. 13). Ziel ist der rasche Erwerb von Zertifikaten, die den wirtschaftlichen Bedarfen entsprechen – auch wenn diese auf dem Arbeitsmarkt potenziell wertlos sind. Das Aufweisen von Integrationsoptionen im Übergangsbereich bedeutet daher ambivalenterweise, vorhandene Qualifikationen unsichtbar zu machen.

5.2.5 Un-/qualifizierter Direkteinstieg als (letzte) Konsequenz

In vielen Fällen in unserem Material mündet die Aushandlung der als begrenzt wahrgenommenen Berufsbildungsstrukturen und vorliegenden Berufsqualifikationen darin die Gruppe trotz Bedarf und Motivation direkt in den Arbeitsmarkt zu kanalisieren. Die zügige Vermittlung in unqualifizierte Erwerbsarbeit wird besonders empfohlen, wenn Qualifikationen symbolisch abgesprochen werden. Die Gruppe müsse sich aufgrund fehlender Qualifikationen notgedrungen mit Tätigkeiten im prekären Niedriglohnsektor arrangieren. Auch wenn die Fachkräfte diese Tatsache beklagen, führen sie als Argument auch die anhaltend hohen Bedarfe in derlei Segmenten an: „„Diese Jobs wie Reinigungskraft und Küchenhilfe [sind] auf jeden Fall schon immer machbar, auch immer zu finden“ (MAT2, Sept/19, S. 14).

Wenn frauentypische Fähigkeiten gesehen werden, wird stets betont, dass man die Fachkompetenzen auf dem Arbeitsmarkt aufgewertet sehen möchte. De facto aber gestaltet sich der Eintritt in entsprechende qualifizierte Positionen überwiegend als schwierig. Oft wird angeraten sich in dem Sektor eher an Anlern- und Hilfstätigkeiten zu orientieren. Auch im kultur- und migrationsbezogenen Bereich handelt es sich beim Direkteinstieg häufig um prekäre Beschäftigung wie (Solo‑)Selbstständigkeit oder bezahltes Ehrenamt. Neben dem Umgehen der hohen Anforderungen für die Fachberufe gelten diese flexiblen Tätigkeiten nicht zuletzt als passender, weil der Gruppe ohnehin unterstellt wird, nur eine Teilzeitbeschäftigung anzustreben:

„Um dann später in Teilzeit vier, fünf Stunden zu arbeiten. Dann soll sie doch lieber gleich die vier, fünf Stunden … gut, sie bekommt natürlich etwas weniger Geld als Ungelernte, aber wenn ich viele Jahre in einem Betrieb bin, habe ich auch die Chance gleichgestellt zu werden mit Fachkräften.“ (MAT1, Apr/18, S. 26)

Niedrigqualifizierte, unsichere Berufspositionen werden derart normalisierend als adäquate Berufseintritte reproduziert. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Segment stecken zu bleiben, wird nicht erwogen.

Vereinzelt tun Fachkräfte ihr Bestes um der Gruppe ohne weitere Qualifizierung einen qualifizierten Berufszugang anzubieten. Oft wird intensiv nach toleranten und offenen Betrieben und Nischen gesucht, die „einen Quereinstieg möglichen mach[en]“ (MAT4, Jun/18, S. 21). Auch werden die Interessen der Gruppe in lokalen arbeitsmarkt- und berufsbildungspolitischen Netzwerken vertreten, um strukturelle Reformen anzustoßen.

6 Diskussion und Schlussfolgerungen

Forschung zu Flucht und Berufsbildung erklärt bisher kaum, warum das qualifizierte Arbeitsmarktsegment für geflüchtete Frauen trotz rechtlicher Öffnungen das Arbeits- und Ausbildungsmarkts schlecht zugänglich ist. Dieser Beitrag belegt einen systematischen Zusammenhang zwischen ethnisch-vergeschlechtlicht segmentierten Arbeitsmärkten und dem institutionalisierten deutschen Berufsbildungssystem. Verknüpft man jüngere feministisch-sozialkonstruktivistische Erweiterungen segmentationstheoretischer Ansätze (Neuhauser 2019, 2020) mit ungleichheitsanalytischen Forschungssträngen zur beruflichen Bildung (Krüger 2003), lässt sich dieses Zusammenspiel verstehen. Gerade der empirische Blick auf das erwerbsarbeitsbezogene Unterstützungsfeld für geflüchtete Frauen macht Segmentierung beim Berufsbildungszugang wie in einem Brennglas sichtbar.

Anhand unserer empirischen Befunde zu den Zuweisungspraxen in der Arbeitsverwaltung und Arbeitsmarktintegrationsprojekten lassen sich die Mechanismen der (Re‑)Produktion segmentierter Arbeitsmärkte verstehen und ausdifferenzieren. Die Zuweisungspraktiken der Fachkräfte beruhen sowohl auf vergeschlechtlichte und rassifizierte Zuschreibungen bei der Einschätzung von Berufsqualifikationen als auch den strukturellen Bedingungen des Berufsbildungssystems, an denen sich die empfohlenen Integrationswege orientieren. Aus dem komplexen Zusammenspiel entstehen Prozesse der Dequalifizierung von geflüchteten Frauen durch symbolische Umdeutungen, der Disqualifizierung durch Ausschluss aus den regulären (Berufsbildungs- und Arbeits‑)Teilmärkten und der Sonder- bzw. Requalifizierung durch die Zuweisung ins parallele, unsichere, berufs- und ausbildungsvorbereitende Übergangssystem am unteren Ende der Berufsbildungshierarchie. Die Handlungsmacht der Fachkräfte ist eingespannt zwischen den institutionalisierten Strukturen und den subjektiven symbolischen Deutungen der Zielgruppe.

Die Ergebnisse belegen Debatten der Relationalität von Qualifikationen als Aushandlungsarenen, in denen die Qualifikationen geflüchteter Frauen als „Träger kulturspezifischer soft skills“ (Lenz 2020, S. 408–410) Ab- und Aufwertung zugleich erfahren. Die Einschätzungen der Qualifikationen in den Förderangeboten werden durch tiefsitzende rassistisch-vergeschlechtlichte Narrative angeleitet. In den Vorstellungen der Fachkräfte, westliche Werte, Maßstäbe und Errungenschaften der Fluchtmigrantin zu vermitteln, spiegeln sich postkoloniale Diskurse (Castro Varela und Dhawan 2016, S. 18–21). Der Übergangsbereich fungiert damit als zentraler, wenn auch unterschätzter, gatekeeper (vgl. Kohlrausch und Islertas 2022, S. 806). Er erfüllt nicht (nur) einen Qualifizierungs- und Unterstützungsauftrag, sondern trägt, wenn auch ungewollt, dazu bei, Zugänge ins reguläre Berufsbildungssystem de facto zu erschweren.

Wenn Qualifikationen und Qualifizierungsoptionen zusammengedacht werden, wird ersichtlich, dass Ressourcen von Subjekten erst in Wechselwirkung mit institutionellen Regelungen, Strukturen und Bedingungen zu (nicht) verwert- und einsetzbarem Kapital werden. Es handelt sich um eine dynamische Verwobenheit von geschlechtsspezifisch-rassifizierenden Zuschreibungen und der Strukturiertheit vorhandener Berufsbildungs- und Arbeitsmarktinstitutionen, welche die günstigen (feminisierten, migrantisierten) Arbeitskräfte für den segmentierten Arbeitsmarkt produziert. Die Berufsbildungs- und Arbeitsmarktinstitutionen mit ihrer ambivalenten Rolle der Qualifizierung aber auch Regulierung und Strukturierung von Ausbildungs- und Arbeitsmärkten dienen als Orientierungsfolie für die Suche nach Integrationswegen. Der Druck von Migrations- und Aufenthaltspolitiken rasch von staatlicher finanzieller Hilfe unabhängig zu werden, um den Aufenthalt zu festigen, verstärkt die Empfehlung einfacher, realistischer Integrationswege und die Vorstellung der notgedrungenen, zeitweisen Anpassung nach unten. Die sektorale Differenzierung auf dem Arbeitsmarkt ergibt sich damit nicht (allein) aus kapitalistischen Arbeitsmarktlogiken heraus, sondern ist auch Ergebnis der vorgelagerten Aushandlungsprozesse, der arbeitsmarkt- und aufnahmepolitisch gerahmten (nicht-)staatlichen Akteur:innen des Übergangsbereichs (vgl. Peck 1996). Es gilt, die jüngeren Weiterentwicklungen segmentationstheoretischer Ansätze aus sozialkonstruktivistisch-feministischer Perspektive (Neuhauser 2019) für weitere empirische Forschung zu nutzen.

Unsere Empirie bestätigt Studien, die auf die Fallstricke feministischer Gleichstellungsrhetorik im Flucht- und Aufnahmekontext verweisen (vgl. Autorin 2 et al. 2023, S. 10). So wird der Ausschluss aus dem regulären Berufsbildungs- und Arbeitsmarkt auch in Schutz- und Vulnerabilitätsdiskurse eingebettet. Zudem reflektieren unsere Daten Studien zur vergeschlechtlichten Berufsberatung, die eine Kanalisierung in (feminisierte) Bereiche des Niedriglohnsektors beobachten (vgl. Farrokhzad et al. 2022). Die Ergebnisse schließen auch an die ungleichheitstheoretischen Institutionenansätze zu Berufsbildung an. Unsere Beobachtungen bestätigen die „Strukturierungsmacht“ (Krüger 2007, S. 74) des Berufsbildungssystems in ihrer institutionellen Verfasstheit: Die etablierten ethnisch-vergeschlechtlichten Strukturen, Verfahren und Maßgaben werden weniger als tatsächliche Benachteiligung bewertet, denn als objektiv-vorliegende institutionelle Zwänge, die selektive Teilhabe und Ausschluss legitimieren.

Die Ergebnisse der Studie stehen kritisch gegenüber Forschung, die Berufsbildung und Flucht auf formal-rechtliche Zugänge (zum dualen System) oder Qualifikationsstrukturen reduzieren. Gerade mit Blick auf Zugänge ins Gesundheits‑, Erziehungs- und Sozialwesen sind kulturelle Aushandlungen von berufs- und berufsbildungsbezogenen Potenzialen und die vorliegenden Strukturen von Schulberufssystem und Anerkennungsverfahren stärker zu berücksichtigen.

Für geflüchtete Frauen gehen die Zuweisungspraxen mit einem verzögerten oder gar ausbleibenden Eintritt ins reguläre Berufsbildungssystem und damit attraktive(re) Arbeitsmarktsegmente einher. Sie machen nicht nur unqualifizierte Anlern- und Hilfstätigkeit in ethnisch-vergeschlechtlichten Sektoren mit geringem Lohn, schlechten Bedingungen und wenig Aufstiegschancen wahrscheinlicher, sondern auch ein Verharren im Übergangsbereich und damit langfristige Abhängigkeiten von Leistungen des Staats oder anderer Familienmitglieder. Das Ausbleiben existenzsichernder Beschäftigung stellt Desintegration und Bleibeunsicherheit auf Dauer.

Die differenziellen Berufsbildungschancen der Gruppe, die wir im Unterstützungsfeld beobachten, stehen im eklatanten Widerspruch zur dominanten aufnahmepolitischen Agenda der Integration durch Qualifizierung. Sie weichen in ihrer rassistisch-sexistischen Logik auch vom gesetzlich verankerten Gleichstellungsauftrag ab. Es bleibt abzuwarten, welche Effekte die jüngsten Reformen der Grundsicherungsleistung zugunsten der Weiterbildungsförderung auf die Gruppe der geflüchteten Frauen haben werden. Unsere Forschung zeigt, dass Qualifizierung per se kein Garant für nachhaltige Arbeitsmarktteilhabe ist.