Zusammenfassung
Der Artikel behandelt die Frage, ob der neoliberale Diskurs der Selbstoptimierung in den großen deutschsprachigen Wirtschaftszeitschriften Einzug gehalten hat. Dazu wurden sechs der auflagenstärksten Wirtschaftsmagazine Deutschlands, Österreichs und der Schweiz von 2000 bis 2015 analysiert. In einer explorativen Phase wurden rd. 1000 Artikel geprüft, um die Suchbegriffe für die Frequenzanalyse in 4500 Artikeln zu operationalisieren. 52 Artikel wurden schließlich einer qualitativen Inhaltsanalyse in Form der vergleichenden Deutungsmusteranalyse unterzogen und die zugrundeliegenden kognitiven und normativen Muster herausgearbeitet. Die Befunde zeigen, dass die Thematisierungsformen in allen drei Ländern ähnlich sind. Der neoliberale Gedanke einer instrumentellen Verfügbarkeit des Selbst kam nur zur Geltung, wenn das „Ausbrennen“ der Manager zum Thema wurde. Im Gegensatz dazu wurden ihre Untergebenen nicht als autonome Akteure, sondern nur als dem Management verfügbare Opfer ihrer Arbeitsumstände thematisiert.
Abstract
This article investigates empirically the appearance of the neoliberal discourse in German language business publications. For the period from 2000 until 2015, we examined six of the most important business magazines by circulation in Germany, Austria and Switzerland. We derived the search criteria for the frequency analysis by exploring about 1000 articles and subsequently searched 4500 articles. Finally, we analyzed 52 articles in-depth via a qualitative content analysis. We found similar forms of thematic discourses in all three countries. Moreover, we find an increase of the negatively connoted buzzword “burnout”. Our analysis of articles regarding the topic burnout shows that only in the case of managers who fear burning out, the neoliberal concept of an instrumental self-disposability comes into account. On the contrary, these media present employees usually as being at management’s disposition, and as victims of poor working conditions.
Notes
Im Detail wurden von uns zunächst Artikel und Textpassagen mit Hilfe der Ergebnisse der Frequenzanalyse ausgewählt (1.) und reformuliert (2.). Danach wurden abstrakte Kategorien gebildet (3.) und unter Anwendung von MAXQDA® die Artikel nach diesen Kategorien codiert. Dann wurde mit Hilfe der abstrakten Kategorien die zugrundeliegende kognitive und normative Struktur rekonstruiert (4.) und im Vergleich mit anderen Passagen des Artikels und den anderen Artikeln dominante Deutungsmuster herausgearbeitet (5.). Der sechste Schritt bestand in einer Bestimmung der Deutungs- und Handlungsregeln (6.), die sich aus den analysierten Sequenzen inferieren ließen (vgl. Pohlmann et al. 2014, S. 18 f.). Die Deutungsregel kann dabei in Analogie zur kognitiven Struktur als die textspezifische Konzeption oder Grundauffassung des Problems verstanden werden; die Handlungsregel bezieht sich auf daraus eventuell abgeleitete praktische Empfehlungen zur Bearbeitung des Problems. Im siebten Schritt – der Kontextualisierung (ebd., S. 19 ff.) – erfolgte die Einbeziehung von Kontextwissen: Welche medien(system)spezifischen Faktoren haben eventuell einen Einfluss auf die Struktur der vorgefundenen Deutungsmuster (7.)? Ausgehend von diesen Befunden konnten im achten Schritt Erklärungen (ebd. S. 21 f.) dafür formuliert werden, warum jeweils bestimmte Deutungsmuster aktualisiert wurden (8.); entsprechende Unterschiede konnten demnach als spezifische Selektionen aus kollektiven Wissensvorräten erkannt werden.
Zur Theoretisierung als wichtiger Bedingung von Diffusionsprozessen siehe Strang und Meyer (1993).
So wäre nach unseren Kriterien auch das Magazin Capital hinzuzuziehen gewesen, aber dessen digitale Verfügbarkeit war für unsere Analyse zu stark eingeschränkt. Da eine Exploration des Magazins Capital aber auf keine erheblichen Abweichungen hindeutete, gehen wir insgesamt von einer hohen qualitativen Repräsentanz unserer Befunde aus.
„Bei einem sogenannten hierarchischen Kategoriensystem mit Ober- und Unterkategorien liegt Vollständigkeit der Haupt- bzw. Oberkategorie vor, wenn die Summe aller Unterkategorien den Bedeutungsgehalt der betreffenden Hauptkategorie vollständig repräsentiert“ (Früh 2011, S. 87). In Bezug auf die positiv-deskriptive Seite des Selbstoptimierungskonzepts hätte aber bei unserer Analyse jeder Ausdruck in Betracht kommen können.
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Pohlmann, M., Helbig, V. & Bär, S. Ein neuer Geist des Kapitalismus?. Österreich Z Soziol 42, 21–44 (2017). https://doi.org/10.1007/s11614-017-0252-z
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