1 Einleitung

Ähnlich wie die Führungsforschung sich lange auf die Führungs-Dyade konzentriert hat, hat die Coachingforschung sich lange auf die Interaktion zwischen Coach und Coachee fokussiert. Der Kontext, in dem Coaching stattfindet, ist dagegen in der Forschung lange eher stiefmütterlich behandelt und erst in letzter Zeit stärker in den Blick genommen worden. Der vorliegende Beitrag gibt Einblicke, wie die Coachingforschung den Kontext von Coaching als Untersuchungsgegenstand bisher einbezogen hat, welche Erkenntnisse sie generiert hat, die auch für die Praxis relevant sind, und zeigt Perspektiven auf, welche Facetten des Kontexts von Coaching für die weitere Forschung besonders wichtig erscheinen.

Dazu wird im ersten Schritt kurz umrissen, was mit „Kontext“ von Coaching gemeint ist. Im zweiten Schritt wird auf die organisationale Einbettung von Coaching eingegangen. Dabei stehen zwei Aspekte im Fokus: zum einen die Rolle und das Zusammenspiel verschiedener Coaching-Stakeholder und ihre Agenden, zum anderen die Perspektive der Organisation auf Coaching: Welche Funktionen soll Coaching erfüllen, wie wird Coaching von Organisationen „gerahmt“? Im dritten Schritt wird auf verschiedene Zielgruppen und deren jeweils spezifische Arbeitsanforderungen als Kontext von Coaching genauer eingegangen. Dies geschieht exemplarisch anhand des Coachings von Führungskräften auf unterschiedlichen Ebenen und anhand des Coachings von Gründer:innen. Überlegungen zum Ausblick auf Perspektiven für die weitere Forschung runden den Beitrag ab.

2 „Kontext“ im Coaching

Was ist mit Kontext von Coaching gemeint? Etymologisch kommt Kontext aus dem Lateinischen. Es setzt sich zusammen aus con = zusammen und texere = weben, flechten, so dass contextus die Verbindung oder Verknüpfung bezeichnet. Kontext meint also den Zusammenhang, das Umfeld, in dem bestimmte Dinge – in unserem Fall Coaching oder etwas allgemeiner Beratung – stehen und betrachtet werden müssen.

In der Praxis von Coaching und Supervision ist das Umfeld von Coaching in der Regel sehr präsent. Die Leser:innen mögen kurz innehalten und überlegen, woran sie beim Thema kontextuelle Einbettung von Coaching in Bezug auf ihre eigene Beratungspraxis spontan denken: vielleicht an die Akteure, mit denen Sie zu tun hatten und die Sie ggf. im Rahmen von Dreiecks- oder Viereckskontrakten eingebunden haben? an die Organisation, in der das Coaching stattgefunden hat mit ihrer spezifischen Struktur und Kultur? an die spezielle Feld- oder Branchendynamik des Bereichs, in dem Sie beraten haben? oder an den kulturellen Hintergrund Ihrer Klient:innen oder das internationale und (inter)kulturelle Umfeld, in dem diese agieren? an die durch die Pandemie beschleunigte Digitalisierung von Arbeit und Beratung – oder noch etwas ganz anderes?

Während diese Facetten des Kontexts in der Praxis sehr präsent sind, ist die Untersuchung des Kontexts in der Forschung noch ein sehr junges Forschungsfeld. Kontext von Coaching kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen gedacht werden: auf der Ebene des organisationalen Kontexts (z. B. Einbettung des Coachings in die übergreifende Personalentwicklungsstrategie), (inter)kultureller Einflussgrößen oder gesellschaftlicher Entwicklungen (z. B. Pandemie, New Work).

Wie Abb. 1 verdeutlicht, hat sich die Coachingforschung lange (bis ca. 2015) ausschließlich auf die Coach-Coachee-Dyade bezogen, also darauf, inwiefern das, was Coach und Coachee miteinander machen, zum gewünschten Erfolg führt und inwiefern das von Coach- und Coachee-Merkmalen und deren Zusammenspiel (z. B. Ausbildungshintergrund, Geschlecht, Persönlichkeit, Erfahrung, Motivation), von der Coach-Coachee-Beziehung oder von Merkmalen des Coachingprozesses (z. B. Dauer oder Setting) abhängt.

Abb. 1
figure 1

Rahmenmodell Coachingforschung bis ca. 2015. (Eigene Darstellung)

Coaching wurde dementsprechend häufig auch an studentischen Stichproben untersucht, also an Studierenden, die zu Coaches ausgebildet wurden und andere Studierende gecoacht haben. Was dabei aber fehlt, ist die organisationale Einbettung von Coaching. Insgesamt sind Kontextfaktoren kaum empirisch untersucht wurden (Pandolfi 2020). Das mag auch damit zusammenhängen, dass in den meisten Coachingdefinitionen, auch zu berufsbezogenem Coaching, die Organisation nicht (explizit) vorkommt. Beispielhaft sei hier die insgesamt sehr differenzierte Definition von Bozer und Jones (2018, S. 342) genannt, die Workplace Coaching definieren als „A custom-tailored learning and development intervention that uses a collaborative, reflective, goal-focused relationship provided by a professional coach (internal or external, but without formal supervisory authority over the coachees) to achieve professional outcomes valued by the coachee.“ Was – wie hier auch – oft fehlt, ist der naheliegende Zusatz „and by the sponsoring organization.“

Was bereits existiert, sind überwiegend theoretische Überlegungen, etwa zu latenten Funktionen von Beratung aus Sicht der Organisation (von Ameln 2009, 2014), auf die weiter unten noch genauer eingegangen wird. Erst in den letzten Jahren, also seit ca. 2015, hat die Coachingforschung angefangen, sich mit der triadischen Beziehung zwischen Coach, Coachee und Organisation und damit auch mit Dreiecks- (oder Vierecks-)kontrakten zu beschäftigen (Louis und Fatien Diochon 2014; Lai und Smith 2020; Burger und van Coller-Peter 2019). Dementsprechend wird auch erst seit wenigen Jahren betont, dass Coaching eben keine individuelle, sondern eine soziale Intervention ist, die in einen sozialen Kontext eingebettet und durch ihn geprägt ist (Athanasopoulou und Dopson 2018; Bachkirova 2017). Diese Entwicklungen führen dazu, dass zunehmend gefordert wird, mit „echten“ Professionals (auf Coach- und Coachee-Seite) zu forschen (Jones und Bozer 2018; Kotte und Hinn 2021), zumal Metaanalysen zeigen konnten, dass sich die Effekte zwischen Studierenden und „echten“ Professionals unterscheiden (Sonesh et al. 2015).

Darüber hinaus gibt es inzwischen auch erste Forschungsarbeiten, die sich mit den Spezifika des Coachings spezieller Zielgruppen beschäftigen, statt von einem „one-size-fits-all“-Ansatz auszugehen. Untersucht wurden bisher insbesondere das Top-Management bzw. Unterschiede zwischen dem Coaching für Führungskräfte auf verschiedenen Führungsebenen (Berman 2019; Böning 2018) sowie Gründer:innen als Zielgruppe von Coaching (Kotte et al. 2021; Schermuly et al. 2021).

Insgesamt stellt sich also zum aktuellen Zeitpunkt insbesondere die Frage: Wie wirken sich situative, organisationale, gesellschaftliche und kulturelle Einflussfaktoren auf Coaching aus? Darauf geht der Artikel im Folgenden genauer ein (s. Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Aktuell relevante Themen der Coachingforschung. (Eigene Darstellung)

3 Organisationale Einbettung von Coaching

Im ersten Schritt wird genauer darauf eingegangen, wie Coaching in den organisationalen Kontext eingebettet ist.

3.1 Stakeholder und ihre Agenden

Dass in der Praxis des Coachings die Organisation und deren Vertreter:innen ein relevanter Akteur ist, wird u. a. daran deutlich, wie häufig Coaching vom Unternehmen der Klient:innen bezahlt wird – nämlich bei beruflichen Coaching-Themen in etwa 60 % der Fälle (Marktanalyse Middendorf 2019). Das führt dazu, dass aus Sicht von Coaches der primäre Klient im Coaching nicht mehr nur der/die einzelne Coachee ist, sondern auch Auftraggeber oder Vorgesetzte in den Blick kommen. So sehen in einer internationalen Marktanalyse immerhin 30 % der Coaches den/die Coachee, Human Resources und den/die Vorgesetzte/n der Coachees gleichermaßen als Klient:innen (Passmore et al. 2017). Das führt dazu, dass, wenn nicht explizit kontraktiert, so doch implizit immer (mindestens) eine Dreiecksbeziehung im Coaching vorliegt.

Der Umgang mit dieser organisationalen Dreiecksbeziehung ist nicht immer einfach. In einer qualitativen schriftlichen Befragung haben wir Coaches und Coachees (jeweils n = 77) zu Situationen befragt, die sie im Coaching als schwierig erlebt haben. Von den insgesamt 196 berichteten schwierigen Situationen werden Situationen, in denen organisationale und soziale Einflussfaktoren eine Rolle spielen, am vierthäufigsten genannt (n = 45 Situationen) – nach schwierigem Verhalten von Coach oder Coachee, Schwierigkeiten in der Beziehung und im Coaching bearbeiteten Themen (Kotte et al. 2022; vgl. Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Häufigkeit der Nennung unterschiedlicher Kategorien schwieriger Situationen (auf der Grundlage der Befragung von n = 154 Coaches und Coachees). (Eigene Darstellung)

Konkret werden unter schwierigen Situationen, die durch Einflüsse aus dem organisationalen Kontext bedingt sind, die folgenden Aspekte genannt: Zweifel an der Vertraulichkeit, verordnetes Coaching, Situationen, in denen der Coach durch andere organisationale Stakeholder instruiert oder instrumentalisiert wird, Befangenheit dadurch, dass der/die Coach andere Akteure im Unternehmen kennt, sowie die Auftragsklärung im Dreieck mit dem Auftraggeber.

Eine der frühesten internationalen Studien, die sich mit der Dreiecksbeziehung zwischen Coach, Coachee und Organisation und den Agenden unterschiedlicher Stakeholder beschäftigt, ist die aus dem Jahr 2014 stammende Studie „Power dynamics: Managing multiple agendas within the triangular relationship“ (Louis und Fatien Diochon 2014). Die Studie geht explizit davon aus, dass Coaching in Organisationen immer in einem politischen Feld stattfindet, dessen Spannungen sich nie ganz auflösen lassen. In der Studie wurden Coaches interviewt, welche Spannungsfelder sie innerhalb der Dreieckbeziehung Coach, Coachee und Organisation erleben und wie sie damit umgehen. Die Autorinnen weisen zudem explizit darauf hin, dass das Dreieck häufig noch komplexer ist, wenn z. B. der/die Coach nicht Solo-Berater:in, sondern für ein Beratungsunternehmen tätig ist und weitere Coaches in der Klientenorganisation tätig sind. Auch „die Organisation“ umfasst vielfältige Akteure mit mehr oder weniger expliziten Interessen bzgl. des Coachings, unter anderem Human Resources, Vorgesetzte, Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen der Coachees. Und auf Coachee-Seite existieren neben dem Einzelsetting auch weitere Gruppen- oder Teamsettings mit mehreren, miteinander in Beziehung stehenden Coachees.

Welche „Agenden“ der beteiligten Akteure wurden nun berichtet, die die Coaches als spannungsreich erleben? Am häufigsten wurden Situationen genannt, in denen Coaching als „giftiges Geschenk“ („poisonous gift“) von der Organisation genutzt wurde, also Coaching als letzte Chance vor einem Rauswurf oder einer Degradierung für den/die Coachee. Ein weiteres Spannungsfeld ergab sich, wenn der/die Coachee das vom Unternehmen bezahlte Coaching an der Organisation vorbei für eigene Themen nutzen wollte, z. B. für die Klärung, ob er/sie in der Organisation verbleiben oder kündigen und eine andere berufliche Perspektive einschlagen sollte („organization excluded“). Weitere „Agenden“ der Organisation bestanden darin, Probleme zu individualisieren (etwa den Coachee für Schwierigkeiten im Team verantwortlich zu machen, statt die Teamdynamik oder strukturelle Rahmenbedingungen zu bearbeiten, „individualization“) oder den/die Coach als Sprachrohr zu nutzen (z. B. wenn eine Führungskraft den Coach instrumentalisiert, um Kritik gegenüber der Mitarbeiterin zu äußern, statt dies selbst zu tun, „loudspeaker“). Wie erleben die Coaches nun solche Situationen? Solche Situationen sind überwiegend mit negativen Gefühlen verbunden, also Hilflosigkeit, Selbstzweifel, Unwohlsein, Ärger. Sie bringen Coaches in Vertraulichkeitsdilemmata (z. B. wie mit vertraulichem Wissen umgegangen werden soll, das die jeweils andere Partei nicht hat). Zudem werden Coaches in diesen Situationen häufig in Konfliktdynamiken zwischen den verschiedenen Akteuren verwickelt. Was hilft Coaches, damit umzugehen? Welche Strategien nutzen sie im Umgang mit Dreiecks-Beziehungen? Als hilfreich beschrieben werden Erfahrung, und zwar sowohl im Sinne eigener Erfahrung in und mit Organisationen als auch die Erfahrung als Coach. Kompetenzen und Wissen, insbesondere Gesprächsführungstechniken, Selbstwahrnehmung, ein aktiver Aufbau des Arbeitsbündnisses und ein systemischer Zugang wurden ebenfalls als hilfreich beschrieben. Darüber hinaus ist die kollegiale bzw. professionelle Unterstützung durch Intervision, Supervision und Weiterbildung wichtig.

3.2 Funktionen und „Rahmung“ von Coaching aus Sicht der Organisation

Die Studie von Louis und Fatien Diochon (2014) macht deutlich, dass verschiedene Interessen mit Coaching verfolgt werden, Coaching also sehr verschiedene Funktionen erfüllen kann. Einige davon sind explizit, wie sie etwa in der englischsprachigen Supervisions- und Coachingliteratur unterschieden werden (Hawkins und Smith 2006; Proctor 1987; Kadushin 1992): in entwicklungsbezogene Funktionen, unterstützende Funktionen oder qualitätssichernde Funktionen. Im Sinne der entwicklungsbezogenen Funktion dient Coaching dazu, Kompetenzen, Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern sowie die Karriereentwicklung zu fördern und die Übernahme neuer Aufgaben vorzubereiten. Im Sinne der unterstützenden Funktion dient Coaching dazu, Wohlbefinden, Zufriedenheit mit der Arbeit oder das Klima in der Organisation zu verbessern, den Umgang mit Arbeitsbelastungen zu fördern, Stress zu reduzieren, Burnout vorzubeugen und Konflikte zu bearbeiten. Im Sinne der qualitätssichernden Funktion dient Coaching dazu, die Arbeitsleistung zu verbessern, Professionalität zu stärken (auch in schwierigen Situationen), Veränderungen umzusetzen und Arbeitsabläufe (in der Abteilung/Organisation) zu verbessern. Oft sind aber auch implizite, latente Agenden mit Coaching verbunden, wie die Studie von Louis Fatien Diochon (2014) zeigt. Sowohl Coachees als auch die Organisation können eine hidden agenda mit dem Coaching verfolgen.

In eine ähnliche Richtung gehend hat von Ameln (2009, 2014) verschiedene latente Funktionen von Beratung aus Sicht der Organisation unterschieden, die in der Regel nicht öffentlich gemacht werden, aber häufig „eigentlich“ damit verfolgt werden. Beratung kann als Führungsersatz dienen, also fehlende Führung bzw. Führungsschwächen kompensieren oder Führungsaufgaben delegieren. Beratung kann der Kontrolle oder „Erziehung“ dienen, also dazu, Mitarbeitende zu kontrollieren, zu „erziehen“, zu „reparieren“ oder „auf Linie zu bringen“. Beratung kann als mikropolitisches Instrument eingesetzt werden, das heißt dafür, eigene Interessen gegenüber anderen durchzusetzen oder den/die Berater:in für Misserfolge verantwortlich zu machen. Beratung kann, wie wir das schon in der Studie von Louis und Fatien Diochon (2014) gesehen haben, der Problemverschiebung, konkret der Individualisierung, dienen, insofern Probleme, die eigentlich die Organisation betreffen, einzelnen zugeschoben werden. Beratung kann – und das wird manchmal sogar explizit gemacht, bleibt manchmal aber latent – dem Containment dienen, das heißt als Ort, an dem über Probleme gesprochen werden kann, für die sonst kein Raum ist, und in dem Angst, Unsicherheit und Spannungen aufgefangen werden. Beratung kann auch dem Impression Management dienen, das heißt, um zu zeigen, dass die Organisation etwas für die Mitarbeitenden tut oder aktuellen Standards der Personalentwicklung gerecht wird. Schließlich kann Beratung auch als Belohnung eingesetzt werden, also um Mitarbeitenden etwas Gutes zu tun oder ihnen Status (als herausgehobene Empfänger:innen von Beratung) zu verleihen.

Tatsächlich sind diese latenten Funktionen bisher erst theoretisch formuliert worden. In einem laufenden Forschungsprojekt wurden diese latenten Funktionen in einem ersten Schritt in einen Fragebogen übersetzt und in mehreren Abschlussarbeiten zum Image von Coaching bzw. Supervision in verschiedenen Feldern (Krankenhaus, ambulante Pflege, kommunale Verwaltung, Jugendhilfe) empirisch erhoben.

Oft wird Coaching von der Organisation auch explizit „gerahmt“, zum Beispiel durch die Personalentwicklung oder den/die Vorgesetzten. In einer experimentellen Studie (Bozer et al. 2021) haben wir untersucht, wie sich die organisationale Rahmung von Coaching auswirkt: Inwiefern macht es einen Unterschied für die Coaching-Motivation potenzieller Coachees, ob das Coaching als entwicklungsbezogen oder „reparativ/korrektiv“ (im Englischen: developmental vs. remedial) durch die Organisation gerahmt wird? Dazu haben wir die Studienteilnehmer:innen gebeten, sich in eines der folgenden beiden Szenarien hineinzuversetzen (Abb. 4):

Abb. 4
figure 4

(a) Entwicklungsbezogenes vs. (b) „reparatives/korrektives“ Coaching-Szenario. (Eigene Darstellung, adaptiert nach Bozer et al. 2021)

Abb. 5 veranschaulicht die der Studie zugrundeliegenden Hypothesen:

Abb. 5
figure 5

Hypothesen der Untersuchung von Bozer et al. (2021) und tatsächliche empirische Ergebnisse. (✓ Hypothese bestätigt, ✗ Hypothese nicht bestätigt)

Wir haben angenommen, dass die organisationale Rahmung sich auf die Coaching-Motivation auswirkt, konkret, dass sie als Feedback an den/die Coachee wahrgenommen wird. Darüber hinaus gingen wir davon aus, dass Coachees auf eine entwicklungsorientierte Rahmung mit mehr Interesse und Bereitschaft, sich im Coaching einzubringen, reagieren, dass sie dagegen eine korrektive Rahmung als kritische Leistungsrückmeldung wahrnehmen und weniger bereit sind, sich offen und engagiert in den Coachingprozess einzubringen. Tatsächlich haben wir diesen Effekt auch gefunden: Es zeigte sich eine höhere Coaching-Motivation bei einer entwicklungsorientierten Rahmung als bei einer korrektiven Rahmung durch die Organisation.

Darüber hinaus wollten wir genauer verstehen, wie es zu diesem Effekt kommt. Unsere Überlegung war, dass die Rahmung den situativen regulatorischen Fokus beeinflusst, d. h. sich darauf auswirkt, ob Coachees in der Folge situativ eher wachstumsorientiert denken und erleben oder sicherheitsorientiert (Higgins 1997). Dabei haben wir uns speziell die situative Neigung angeschaut, das heißt, ob Coachees situativ eher auf Wachstum, Vermeiden von Stagnation und Suche nach Erfolgschancen ausgerichtet sind oder eher nach Sicherheit suchen, versuchen, Risiken zu minimieren und Scheitern zu vermeiden. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass eine entwicklungsorientierte Rahmung bei potenziellen Coachees eher eine Wachstumsorientierung triggert, die wiederum dazu führt, dass sie das Coaching als Chance zu Exploration und Wachstum wahrnehmen und motivierter sind. Der situative Wachstumsfokus kann also erklären, warum eine entwicklungsorientierte Rahmung durch die Organisation zu höherer Coaching-Motivation führt. Die korrektive Rahmung triggert zwar eine stärkere Sicherheitsorientierung, allerdings wirkt sich diese nicht eindeutig auf die Coaching-Motivation aus. Einerseits kann die Sicherheitsorientierung zu mehr Misstrauen und geringerer Lernbereitschaft gegenüber dem Coaching führen. Andererseits kann die Sicherheitsorientierung auch dazu führen, das Coaching als Möglichkeit zu sehen, weitere Sanktionen zu vermeiden.

Insgesamt zeigt sich also: Die entwicklungsorientierte Rahmung wirkt sich über die situative Wachstumsorientierung positiv aus. Die korrektive Rahmung wirkt sich auf die Coachingmotivation negativ aus, allerdings ist hier noch nicht so klar, welche motivationalen Prozesse genau ablaufen.

4 Coaching von speziellen Zielgruppen

Im nächsten Schritt wird genauer auf das Coaching in verschiedenen Feldern bzw. von speziellen Zielgruppen eingegangen. Die Forschung zu den Charakteristika des Coachings verschiedener Zielgruppen steht noch ganz am Anfang und hinkt damit der in der Praxis schon bestehenden Differenzierung hinterher. Es wird aber zunehmend gefordert, dies zu untersuchen (Cooper 2019; Jones und Bozer 2018). Ein solch differenzierterer Forschungsblick kann relevante Beiträge leisten, um zu verstehen, was die besonderen Anforderungen spezifischer Tätigkeitsfelder für das Coaching bedeuten. Insbesondere zu zwei Zielgruppen gibt es bereits erste Untersuchungen, nämlich Führungskräfte auf unterschiedlichen Hierarchie-Ebenen, insbesondere dem Top-Management, und Gründer:innen, oder etwas breiter Unternehmer:innen.

4.1 Coaching auf verschiedenen Führungsebenen

Böning (2018) hat z. B. die Unterschiede im Coaching von mittleren Managern gegenüber Senior Managern und Top-Managern untersucht. Er identifiziert Unterschiede in der Persönlichkeit, der Motivation und den Coaching-Themen auf den verschiedenen Managementebenen. Während es gemeinsame Themen über die Ebenen hinweg gibt, etwa die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und dem Führungsstil, finden sich auch je spezifische Themen, etwa ein Fokus auf die eigene Person im Mittelmanagement im Gegensatz zu einem Fokus auf Machtfragen im Top-Management. Berman (2019) konzentriert sich auf die Besonderheiten des Coachings im Top-Management („top-level executives“) und arbeitet die besonderen Rollen und Funktionen von Coaches heraus, nämlich dass Coaching im Top-Management stärkere Anteile von Expertenberatung enthält, weil Executives unter anderem erwarten, dass Coaches sie unterstützen, strategische Geschäftsentscheidungen zu durchdenken.

4.2 Coaching von Gründer:innen

Auch Gründer:innen als Zielgruppe von Coaching sind in den letzten fünf Jahren stärker ins Interesse der Forschung gelangt (u. a. Schermuly et al. 2021). In einer Interviewstudie mit Coaches und Gründer:innen (Kotte et al. 2021) wurde zwei übergreifenden Fragen nachgegangen: (1) Was sind die Spezifika von Gründer:innen-Coaching? (2) Wie unterscheidet sich Gründer:innen-Caoching von anderen, verwandten Unterstützungsformaten im Bereich der Entrepreneurial Education?

Dazu wurden 44 Coaches, die über Erfahrung im Coaching von Gründer:innen verfügen, befragt (im Mittel 48 Jahre alt, zu 50 % weiblich, 80 % mit eigener unternehmerischer Erfahrung, im Mittel 10 Jahre Coaching-Erfahrung). Zusätzlich wurden 23 Gründer:innen in unterschiedlichen Gründungsphasen (pre-launch, launch, post-launch bis zu 5 Jahre nach der Gründung) befragt, die bereits einmal Coaching in Anspruch genommen hatten (im Mittel 37 Jahre alt, zu 40 % weiblich, durchschnittliche Teilnahme an 7,5 Coaching-Sitzungen). Die Interviews wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring 2015; Schreier 2012) ausgewertet. Im Hinblick auf den Kontext, in dem Gründer:innen-Coaching stattfindet, werden zwei zentrale Besonderheiten deutlich:

Eine Besonderheit liegt in den beruflichen Anforderungen: Gründer:innen müssen eine Vielzahl an gleichzeitigen Aufgaben und Rollen wahrnehmen (z. B. CEO und Shareholder des Unternehmens zugleich). Sie müssen Entscheidungen bei einem hohen Maß an Unsicherheit treffen. Zudem haben sie eine existenzielle Bindung an ihr Unternehmen, und zwar sowohl in finanzieller als auch in emotionaler Hinsicht als Schöpfer:innen ihrer eigenen Geschäftsidee. Diese Vielzahl beruflicher Anforderungen wirkt sich auf den Coaching-Prozess aus, insofern eine große Bandbreite unterschiedlicher Themen im Coaching nach Bearbeitung drängt, die das Coaching „fluten“. Zudem entsteht aus der hohen Unsicherheit, der Gründer:innen permanent ausgesetzt sind, ein hoher Sog in Richtung konkreter, praktischer Unterstützung mittels Expertenberatung.

Eine zweite kontextuelle Besonderheit beim Gründer:innen-Coaching bezieht sich darauf, dass dieses häufig in Inkubatoren, Start-up-Programme oder Gründungszuschuss-Programme eingebettet ist. 70 % der befragten Gründer:innen hatten solch ein „eingebettetes“ Coaching in Anspruch genommen. Damit geht einher, dass die Rahmenbedingungen – etwa die Anzahl der Coachingsitzungen, die über Coachinggutscheine in Anspruch genommen werden können, oder die thematischen Schwerpunkte des Coachings – oft von außen gesetzt sind. Darüber hinaus ist die Rolle des Coachs in ein Netzwerk anderer Stakeholder wie Inkubatormanager:innen und Investor:innen eingebettet. So knüpfen Investor:innen ihre Unterstützung teilweise an die Voraussetzung, dass Gründer:innen ein Coaching in Anspruch nehmen. Diese Multi-Stakeholder-Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren spielen beim Gründer:innen-Coaching eine wichtige Rolle – ähnlich wie beim „klassischen“ berufsbezogenen Coaching in Organisationen, bei dem, wie oben beschrieben, ebenfalls weitere organisationale Akteur:innen involviert sind.

Wie lässt sich nun das Spezifische des Coachings von Gründer:innen beschreiben? Wie Abb. 6 veranschaulicht, kann Gründer:innen-Coaching anhand zweier zentraler Dimensionen charakterisiert werden. Die erste Dimension bezieht sich auf den Coaching-Ansatz, d. h. das Ausmaß an Prozessberatung vs. Expertenberatung. Die zweite Dimension betrifft den inhaltlichen Fokus des Coachings, d. h. ob der Fokus auf dem/der einzelnen Coachee liegt (z. B. persönliche Motive, Kompetenzen), auf der Arbeitstätigkeit und deren Anforderungen (z. B. Klärung und Priorisieren von Aufgaben) und/oder auf der Organisation als ganzer (strategische Ausrichtung, Etablieren von Strukturen und Prozessen).

Abb. 6
figure 6

Zweidimensionales Framework von Gründer:innen-Coaching. (Basierend auf Kotte et al. 2021)

Eingeordnet in dieses Framework zeichnet sich Gründer:innen-Coaching durch eine Kombination aus Prozess- und Expertenberatung einerseits und durch ein breites inhaltliches Spektrum andererseits aus, das von der Person des Gründers bis zu seinem Unternehmen reicht. Insbesondere die Reflexion des Verhältnisses des/r einzelnen Gründers/Gründerin zu seinem Unternehmen erwies sich als ein zentrales, immer wiederkehrendes Coaching-Thema. Die Rollen, die Coaches beim Coaching von Gründer:innen einnehmen, sind vielfältig und reichen vom unterstützenden Begleiter (supportive companion), der eine individuell ausgerichtete Prozessberatung anbietet (vgl. Abb. 6), bis hin zum Business Development-Unterstützer (business development assistant) und Implementierungsbegleiter (implementation guide), die stärker als Experten-Berater:innen mit einem klaren Fokus auf die Weiterentwicklung des Unternehmens agieren.

Im Vergleich zu anderen Beratungsformaten zur Unterstützung von Gründer:innen kann Gründer:innen-Coaching in der Mitte zwischen dem „klassischem“ Workplace-Coaching als individuumsbezogener Prozessberatung und der Gründungsberatung, die als Expertenberatung auf den erfolgreichen Start des Unternehmens abzielt, angesiedelt werden. Wie in Abb. 7 dargestellt, ist es dem Top-Management-Coaching und dem Mentoring von Gründer:innen ähnlich, insofern es Elemente sowohl der Prozess- als auch der Expertenberatung umfasst und nicht nur auf die individuelle Entwicklung abzielt, unterscheidet sich aber dennoch von beiden im Hinblick auf die Positionierung entlang der beiden Dimensionen.

Abb. 7
figure 7

Gründer:innen-Coaching im Vergleich mit anderen Beratungsformaten für Gründer:innen. (Basierend auf Kotte et al. 2021)

5 Ausblick: Perspektiven für die weitere Forschung zum Coaching-Kontext

Abschließend folgt noch ein Ausblick, welche Perspektiven sich für die weitere Forschung zur kontextuellen Einbettung von Coaching abzeichnen. Wie kann die Forschung hier vorangetrieben werden und so neue Erkenntnisse generieren, die auch für die Beratungspraxis relevant sind? Vier Ansatzpunkte erscheinen besonders wichtig.

Ein erster Ansatzpunkt besteht in der weiterführenden Untersuchung des Einflusses organisationaler Interessen und Agenden auf Coaching. Aufbauend auf den hier bereits vorgestellten Studien und Überlegungen zu organisationalen Funktionen und den Agenden verschiedener Stakeholder auf den Coachingprozess (Louis und Fatien Diochon 2014; von Ameln 2009, 2014) sowie erste Untersuchungen zu Multi-Stakeholder-Kontrakten (Burger und van Coller-Peter 2019; Fatien Diochon et al. 2021; Lai und Smith 2020) erscheinen vor allem folgende Fragen relevant:

  • Wie wird Coaching von Organisationen gerahmt (wie wird es z. B. in Bezug gesetzt zur umfassenderen Personal- und Organisationsentwicklungsstrategie des Unternehmens, wie wird es gegenüber anderen Instrumenten der Personalentwicklung positioniert?), und wie wirkt sich diese Rahmung auf den Coaching-Prozess und die Wirkungen des Coachings aus?

  • Welche Auswirkungen haben die expliziten und latenten Funktionen, die Organisationen mit Coaching verfolgen, auf die Coaching-Motivation, auf die Coaching-Beziehung, auf den Coaching-Prozess und auf den Erfolg des Coachings?

  • Wie können Dreiecks- oder Vierecks-Kontrakte, in denen neben dem Coachee auch Human Resources und/oder der Vorgesetzte einbezogen werden, erfolgreich gebildet und über den Coachingprozess genutzt werden? Welche Besonderheiten ergeben sich für das Multi-Stakeholder-Contracting in speziellen Feldern wie dem Gründer:innen-Coaching, bei dem auch Inkubatormanager:innen und Investor:innen oft wichtige Stakeholder sind?

Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung von Coaching in der Praxis im Hinblick auf bestimmte Themen und Zielgruppen besteht darüber hinaus Bedarf an weiteren Untersuchungen zu den Spezifika des Coachings spezieller Zielgruppen.

  • Was sind die spezifischen Arbeits- und Rollenanforderungen und berufsbezogenen Herausforderungen unterschiedlicher Zielgruppen von Coaching (z. B. Gründer:innen, Emotionsarbeiter:innen, Telearbeiter:innen, „neurodiverse“ Berufstätige etwa mit Autismus oder ADHS; vgl. u. a. Doyle und Medhurst 2022)?

  • Welche Erwartungen haben spezielle Zielgruppen potenzieller Coachees an den Coachingprozess und an die Rolle(n) des Coachs? Wie kann eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufgebaut werden, die diese Erwartungen einerseits aufgreift und gleichzeitig nicht unhinterfragt übernimmt? Im Hinblick auf Gründer:innen-Coaching wäre hier etwa die genauere Analyse des Spannungsfelds von Experten- und Prozessberatung sinnvoll, das sich in der Studie von Kotte et al. (2021) andeutet: in dem Wunsch der Gründer:innen nach Expertenberatung einerseits vs. der Notwendigkeit von Prozessberatung, um die Gründer:innen langfristig zu empowern statt kurzfristig zu entlasten andererseits.

  • Welche Stakeholder sind für das Coaching spezieller Zielgruppen besonders relevant? Im Hinblick auf Gründer:innen-Coaching ist hier insbesondere das Spannungsfeld der Beziehungen zwischen Coach, Gründer:innen, Investor:innen und Inkubatormanager:innen relevant, das sich in bisherigen Arbeiten angedeutet hat.

Worauf der vorliegende Beitrag nicht eingegangen ist, ist der Blick über den Organisationskontext hinaus hin zu kulturellen Einflussfaktoren, wie sie etwa im Coaching im interkulturellen Kontext auftauchen. Hier besteht auf jeden Fall Forschungsbedarf, um bestehende Überlegungen (Schmid 2021; Bozer und Delegach 2019) theoretisch fundiert empirisch zu untersuchen.

  • Wir wirken sich die verschiedenen „Schichten“ des kulturellen Hintergrunds von Coach und Coachee, Interaktionspartner:innen der Coachees, des Arbeitsorts, der Organisation, der umgebenden Gesellschaft auf den Coachingprozess aus? Was sind z. B. Gelingensbedingungen und Stolpersteine, wenn im Coaching Coaches aus dem globalen Norden auf Coachees aus dem globalen Süden treffen?

Und schließlich sollte sich die Coaching-Forschung auch mit der Digitalisierung von Arbeit und dem Einsatz künstlicher Intelligenz befassen. Ein Forschungsfeld, das gerade beginnt, sich zu entwickeln, beschäftigt sich mit dem Einsatz von Chatbots im Coaching (u. a. Terblanche 2020; Graßmann und Schermuly 2021). Auch wenn die Entwicklung von Coaching-Chatbots noch in den Kinderschuhen steckt, ist auch hier neben der Frage, wie die Interaktion mit Chatbots im Coaching aussehen kann, die kontextuelle Einbettung wichtig:

  • Wie gestaltet sich die Interaktion zwischen Chatbot und Coachee in Abhängigkeit davon, ob Chatbots anstelle von oder in Ergänzung zu menschlichen Coaches eingesetzt werden?

  • Wie wird Chatbot-Coaching in Organisationen implementiert und positioniert: Als Stand-Alone-Intervention oder als Ergänzung zu bestehenden Personalentwicklungsprogrammen, z. B. um deren Transfer zu unterstützen?

  • Welche Rollenkonstellationen ergeben sich bei Chatbot-unterstütztem Coaching zwischen Coach, Coachee, Chatbot, dem Unternehmen, das den Chatbot entwickelt, und den Verantwortlichen auf Seiten der Kundenorganisation, die Chatbot-basiertes Coaching „einkauft“?