1 Einleitung

Die Frage, wie die agile Transformation gelingen kann und Organisationen flachere Hierarchien und damit mehr Selbstorganisation bzw. Selbstbestimmtheit in die Teams bringen können, dominiert seit Jahren den Managementdiskurs. Dass es dabei nicht ohne Nebenfolgen geht, wird inzwischen genauso breit diskutiert wie die immer noch laufenden Werbeeinschaltungen für New Work, Purpose Driven Organization oder Holacracy. Der stark gehypte Trend zu agilen Teams und zu mehr Selbstorganisation in Unternehmen hat aber mittlerweile seinen Glanz verloren und sowohl in Managementliteratur als auch im wissenschaftlichen Diskurs nehmen die kritischen Stimmen zu, dass Veränderungen in Organisationen an ihre Grenzen geraten sobald an den strukturgebenden Stellschrauben der Hierarchie gedreht wird (vgl. etwa Bachmann und Jung 2023 zu New Work; Schweinschwaller und Zepke 2021 zu Selbstorganisation oder Kühl und Sua-Ngam-Iam 2023 zu den Nebenfolgen und Konsequenzen in holakratischen Organisationen).

Folgt man einem systemtheoretischen Verständnis von Organisation und dem Verhältnis zwischen Mensch und Organisation, so müssen Personen in einem Unternehmen austauschbar sein, um ein langfristiges Überleben der Organisation zu gewährleisten. Die Betonung „Funktion vor der Person“ (vgl. aktuell Matthiesen et al. 2022) stellt ein zentrales Merkmal in der systemtheoretischen Organisationsbetrachtung dar, die ein hilfreiches Beobachtungsprinzip in der Beschreibung organisationaler Prozesse ausmacht. Der Mensch ist Mittel. Formalisierung und Hierarchiebildung innerhalb von Organisationen zielen darauf ab, Verhaltenserwartungen sachlich, zeitlich und sozial zu generalisieren und damit die Kontingenz menschlichen Verhaltens so weit wie möglich zu vermeiden (vgl. Luhmann 2000, S. 233). Aus organisationaler Sicht gibt es genügend Gründe, den ganzen Menschen mit seinen Gefühlen, Affekten und persönlichen Vorlieben aus den Arbeitsabläufen auszuschließen.

Diese Betrachtungsweise produziert jedoch eine latente Kränkung bei den Organisationsmitgliedern, da wenig Aufmerksamkeit auf die individuellen Bedürfnisse der Personen gelegt wird. Allerdings, und zu Freude vieler organisationsgeschädigter Menschen, hat sich in den letzten 20 Jahren eine Veränderung in diesem Diskurs abgezeichnet, die durch die agile Transformation (Oestereich und Schröder 2019), dem agilen Manifest (Beck 2001) sowie weiteren Trends in Richtung New Work und neuen Organisationsformen (Laloux 2015; Robertson 2015) Namen bekommen haben. Baecker (2003) hat von einer „Wiedereinführung der Person in Organisation“ gesprochen, bei dem eine Zunahme an Interaktion und Kooperation im Team als Lösung zur Bewältigung zunehmender Komplexität und Herausforderungen der Umwelt postuliert wird.

Scheint diese Beobachtung zur neuen Arbeitswelt und der Entwicklung von Organisation aus verschiedenen Gründen (vgl. Schumacher und Wimmer 2019) zutreffend zu sein, so schafft sie andere Problemstellungen auf die Organisation (und Führung) eine Antwort finden müssen. Eine Zunahme an Interaktion im Team bedeutet eine Zunahme an zwischenmenschlicher Kommunikation, was wiederum zu einer Zunahme an Irritation und Spannung führt. Mehr persönlicher Austausch bedeutet nicht automatisch mehr Effizienz oder Klarheit, sondern oft das Gegenteil: mehr Verwirrung und Konfliktpotential.

Das (agile) Team wird als Ort betrachtet, an dem veränderte Erwartungen an die Organisation (ein Abflachen der Hierarchien, Dezentralisierung der Verantwortlichkeiten, etc.) und zunehmende Erfordernisse an die Personen und Rollen (selbstorganisiertes Arbeiten, Übernahme von Verantwortung, etc.) prozessiert werden müssen. Das diese veränderten Erwartungshaltungen an Organisation, Team und Individuen, nicht spannungsfrei zu haben sind, wäre anzunehmen. Dieser Artikel möchte zum Verständnis beitragen welche Dynamiken entstehen können, sofern ein Mehr an Person in Organisationen und damit in der Teamzusammenarbeit gewünscht bzw. gefordert wird.

Dabei werden drei theoretische Perspektiven zusammengelegt: Nach einem soziologischen Diskurs zum Wechselspiel zwischen Person und Rolle – und dessen Bedeutung für Teamarbeit – wird auf die psychologischen Faktoren (Person) eingegangen, die in der Entwicklung und Zusammenarbeit in agilen Teams eine Rolle spielen. Die These dabei lautet, dass narzisstische Persönlichkeitsanteile die Teamarbeit erschweren, diese in agilen Teams jedoch durch die Erwartung an mehr (persönlicher) Beteiligung zusätzlich induziert werden könnten. Aufbauend auf verschiedenen Studien zum Thema werden anschließend Ergebnisse einer sozialpsychologischen, explorativen Datenanalyse aus einem eigenen Forschungsprojekt zur Performance agil arbeitender Teams vorgestellt, welche zeigen, dass sich eine zu starke Personenfokussierung negativ auf die Teamleistung auswirkt.

2 Wenn Personenanteile die Rolle überlagern (sollen)

Agile Teams befinden sich in einem Spannungsfeld zweier sozialer Systemtypen wieder, die nach ihrer Systemlogik unterschiedliche Erwartungen an ihre Teammitglieder richten (vgl. etwa Kühl 2019 oder Geramanis 2022). So ist der Systemtyp Organisation durch formale Regelungen, eine hierarchische Ordnung und die Ausrichtung auf bestimmte Zwecke gekennzeichnet, während sich Gruppen durch ihre Personenorientierung und persönliche Kommunikation, eine diffuse Mitgliedschaft und informelle Regeln auszeichnen (vgl. auch Neidhardt 1979). In Gruppen haben persönliche Themen Vorrang, während in Organisationen immer der Zweck und die damit verknüpften Erwartungen an die Mitgliedschaft im Mittelpunkt stehen. „Ein zentrales Merkmal von Organisationen ist (…), dass diese nicht die komplette Person inkludieren, sondern lediglich einen Teil ihres Leistungsrepertoires abfragen“ (Kühl 2019, S. 7). Die Konzentration auf die Organisationsrolle unterstützt letztlich eine „Entpsychiatrisierung“ (ebd., S. 7) der Organisation.

Die Gruppe hingegen ist der Bereich, in dem Persönliches zur Sprache gebracht wird und weitgehend zur Sprache gebracht werden muss. Auch Wimmer (2007) geht davon aus, dass die Sozialform Gruppe die informelle Seite modernder Organisation darstellt. Als spezialisierte Kommunikationsstruktur finden Mitglieder dort Ausdrucksmöglichkeiten ihrer durch die Organisation ausgeblendeten Personenseite (vgl. auch Tyrell 1983). Eine noch genauere Unterscheidung trifft Kühl (2021), der Arbeitsteams von Cliquen und Gruppen in Organisationen unterscheidet. Allen Beschreibungsformen ist jedenfalls gemeinsam, dass persönliche Kommunikation als Systembildungsprinzip wirksam wird.

Es lässt sich annehmen, dass ein agiles Team eine spezifische Art von Gruppe ist, die unter Organisationsbedingungen möglichst selbstorganisiert und selbstbestimmt arbeiten soll. Nach Krejci und Groth (2020) muss diese beide Systemlogiken in besonderem Maße gleichzeitig prozessieren: Auf der einen Seite die Erwartungen der Gruppe, die sich durch persönliche Befindlichkeiten, Affekte sowie Zugehörigkeit aufgrund der Beziehungen zueinander und dem entstehenden Wir-Gefühl entwickelt. Auf der anderen Seite die Erwartungen der Organisation, die durch Aufgabenorientierung, formaler Prämissen der Hierarchie sowie Ersetzbarkeit des/der Einzelnen hin ausgerichtet ist. Mitglieder eines agilen Teams müssen einen Umgang mit dem Widerspruch zwischen Person (die in der Gruppe ihren Platz findet) und Rolle (die von der Organisation definiert wird) finden. (Zur Unterscheidung Person und Rolle vgl. Luhmann 1984, S. 429ff und Kühl 2019).

Im Spannungsfeld dieser beiden Erwartungshaltungen müssen Teammitglieder lernen zu unterscheiden, wann es angebracht ist, ihre Person zur Geltung zu bringen, persönliche Bedürfnisse zu verfolgen und in die Stabilisierung von zwischenmenschlicher Beziehung zu investieren, und wann es wiederum notwendig ist, aus der Rolle heraus zu agieren, formale Regeln zu verfolgen und sich möglichst der Organisation und ihrer Sache dienlich zu verhalten. Diesen Widerspruch im Erwartungsmanagement zu balancieren ist sowohl für den/die Einzelne/n herausfordernd und oftmals mit Zurückweisung bzw. Kränkung verbunden. Als auch für ein Team schwierig, weil gemeinsames Erwartungsmanagement in diesem Spannungsfeld betrieben werden muss: wieviel Personenanteil will, fordert und braucht man im Team, und wieviel organisationale Setzungen müssen und können vom Team verarbeiten werden.

In der derzeit geführten Diskussion zu agilen Teams und neuen Organisationsformen könnte man annehmen, dass die Idee und Hoffnung steigen, noch mehr Person(en)erwartung(en) in die Teams und damit in die Organisation zu bringen. Wenn Laloux von mehr Ganzheit (2015) spricht bzw. der individuelle Purpose im Purpose der Organisation gefunden werden soll (Fink und Möller 2018), müssen sich auch die einzelnen Organisationsmitglieder mit all ihren Facetten in der Arbeit einbringen können.

Mögliche Nebenwirkungen dieser Erwartungshaltung an die vermeintlich neuen Formen des Organisierens bringt Geramanis (2022) zu dem Schluss, dass Gruppendynamik den „blinden Fleck“ der Agilität darstellt (vgl. auch Bachmann und Jung 2023, S. 197ff). Mit dem Wunsch nach mehr Agilität, Kreativität und Innovation sind Unternehmen angehalten, mehr „subjektiviertes Handeln“ und Wissen der Personen zu zulassen und dieses in Räumen „professioneller Informalität“ zu organisieren (vgl. Geramanis 2022, S. 3–4). Agile Frameworks schaffen folglich einen Rahmen für mehr Selbstorganisation und damit Distanz zu der rein sachlich-rationalen Dimension der Organisation. „Je agiler Organisationen werden, je informaler die Spielräume für Kooperation und je diffuser die Rollenbildung innerhalb der Gruppierungen, desto weniger haben wir es mit Organisationen zu tun und desto mehr hält die Gruppendynamik Einzug“ (ebd., S. 7). Weder Personen noch das Team als Ganzes können „autonom“ handeln. Die Erzählung von agilen, selbstständigen Teams, die sich frei entfalten sollen, kann diese Spannung verstärken und von den einzelnen Teammitgliedern überinterpretiert werden.

So beschreibt Geramanis (ebd., S. 11) explizite Gefahren, wenn durch agile Arbeitsformen ein Mehr an Person und Gruppe gefordert wird, die wiederum den formalen Auftrag der Organisation bedrohen. Wenn Personen und die personenorientierte Kommunikation stärker in den Fokus rücken, organisationale Begrenzungen (durch hierarchische Strukturen etwa) entfernt werden, wird es auch schwerer sachlich zu bleiben und die organisationale Rolle als Schutz vor persönliche Auseinandersetzung zu nutzen. Auch können womöglich die für die Sache dienlich jedoch aber kritische Themen aus Scham heraus nicht angesprochen werden, weil man „Freunden“ nicht weh tun will. Konflikte in sehr personenorientierten Teams neigen also entweder eher unterdrückt bzw., wenn nicht mehr möglich, stärker emotional zu eskalieren, „weil diese nicht mehr nur als positions- und rollenbezogene, sondern als persönliche Konflikte begriffen werden“ (ebd., S. 12).

Wenn Teammitglieder in agilen, selbstbestimmten Teams ermutigt werden, sich stärker einzubringen und nicht nur auf Anweisungen und Vorgaben der Hierarchie zu warten, nimmt die Gruppendynamik zu. Obwohl agile Teams Empowerment, Innovationskraft und Flexibilität fördern, werden negative Phänomene wie Konformitätsdruck, Group Think, informelle Rangdynamiken oder In-Group-Out-Group-Phänomene oft übersehen. Konflikte, Kränkungen und Enttäuschungen in der Zusammenarbeit innerhalb solcher Teams werden selten tiefgehend bearbeitet, weil die typischerweise abgehaltenen Team-Retrospektiven weder den nötigen zeitlichen noch fachlichen und psychologisch sicheren Raum bieten können. Agiles Arbeiten und damit kollektive Selbststeuerung ist darauf angewiesen, dass eine Mehrheit der Teammitglieder die Fähigkeit zur Selbstdistanzierung, Reflexion impliziter Regeln im Team und zum Umgang mit persönlichen „Marotten“ im Rahmen derer funktionaler Rolle mitbringt. Ist dem nicht der Fall bzw. beginnt in Teams der Personenanteil die Rollenerwartung der Organisation zu überlagern, so entstehen sowohl für die einzelnen Mitglieder als auch für die Dynamik des Teams Herausforderungen, in denen die Nachteile gegenüber den Vorteilen in den „neuen Formen“ des Organisierens womöglich überwiegen.

3 Wenn zu viel Person vorkommt: Narzisstische Persönlichkeitsanteile

An dieser Stelle sei der Unterschied von soziologischer und psychologischer Forschung betont. Für die folgende Argumentation zum Einfluss von Narzissmus ist insbesondere die Unterscheidung von Personen als Bezugspunkt für Erwartungsbildung und der Persönlichkeit im Sinne psychischer Dispositionen, die in Interaktionen zu Zuge kommen, wichtig.

Agiles Arbeiten ist eines der lebendigsten Schlagworte im Zusammenhang mit New Work. Laut einer Studie von Bitkom Research (2020), in der 955 repräsentative Unternehmen in Deutschland zum Thema Digitalisierung befragt wurden, gibt mehr als die Hälfte an, agile Methoden regelmäßig einzusetzen. Im dem jährlich erscheinenden New-Work-Barometer bestätigten fast 60 % der Befragten, dass agile Projektarbeit in ihrem Unternehmen eingesetzt wird (Schermuly und Meifert 2022). Außerhalb des Bereichs der Softwareentwicklung wird Agilität im Zusammenhang mit allgemeiner projektbasierter agiler Arbeit in erster Linie als „Mindset“ von Mitarbeitenden und Führungspersonen verstanden. Das meint u. a. Veränderungssensitivität und -fähigkeit, um in turbulenten Umfeldern erfolgreich agieren zu können (Highsmith und Highsmith 2002, S. 29). Für die Organisation und ihre Teams bedeutet dies z. B. Zielausrichtung, klarer Fokus, Transparenz, offene Kommunikation, autonome und vernetzte Teams, iterative strukturierte Prozesse, strukturierte Lernprozesse und kontinuierliche Verbesserung (Denning 2016). Damit unterscheidet sich agile Projektarbeit grundlegend von traditionellen Ansätzen.

Nach dem Person-Environment-Fit-Modell (Harrison 1985) suchen Menschen für sich nach einem Arbeitsumfeld, welches konform zu ihren persönlichen Werten ist bzw. wo sie ihre Stärke gut einsetzen können. Beispielsweise finden introvertierte Menschen sich seltener in Positionen wieder, die viel Kundenkontakt voraussetzen. Neugierige und sprunghafte Menschen dagegen entscheiden sich eher für abwechslungsreiche Berufe mit sich stetig wandelnden, weniger kalkulierbaren Anforderungen. Diese Tendenzen lassen sich wahrscheinlich auch auf die Personen im agilen Arbeitskontext übertragen. In einer explorativen Studie zum Big Five-Persönlichkeitsmodell zeigte sich, dass die Persönlichkeitsmerkmale „Extraversion“ und „Offenheit für neue Erfahrungen“ mit der Präferenz für agile Projektarbeit korrelierten (Bishop und Deokar 2014). Demnach sind gesprächige und aktive (extravertierte), aber auch experimentierfreudige und neugierige (für Erfahrungen offene) Personen besonders empfänglich für agile Methoden. Koch und Schermuly (2020) untersuchten in ihrer Studie, welche Personen mit welchen Eigenschaften besonders offen gegenüber dem Einsatz agiler Methoden sind. Sie fanden heraus, dass Personen mit einer hohen Ausprägung von sensation seeking das Arbeiten in agilen Organisationen deutlich attraktiver wahrnahmen als andere. Sensation seeking beschreibt das Bedürfnis nach abwechslungsreichen, neuen und komplexen Eindrücken. Für agiles und zugleich effektives Arbeiten zwischen den Projektmitgliedern, sollten auch die Wertvorstellungen innerhalb des Teams übereinstimmen. Die Forschung konnte hierzu ein agiles Mindset definieren (Eilers et al. 2022), welches die Organisationsleistung vorhersagt. Dieses agile Mindset beschreibt eine positive Ausprägung auf vier Dimensionen: Lernbereitschaft, kollaborativer Austausch, empowerte Selbstführung und User-Zentrierung. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen gibt, welche die Zusammenarbeit in agilen Teams und die Person-Umwelt-Passung in diesem Kontext positiv beeinflussen. Was aber, wenn zu viel Ich das Wir bestimmt?

Forschung zur Teameffektivität zeigt, dass diese durch Persönlichkeitsmerkmale einzelner Teammitglieder beeinflusst werden kann (Morgeson et al. 2005). Dabei wird deutlich, dass narzisstische Teammitglieder weniger mit anderen kooperieren und kaum Beziehungen zu anderen Teammitgliedern eingehen, was sich letztlich negativ auf die Teamleistung auswirken kann (Hoch und Dulebohn 2017). Der ineffektive Informationsaustausch von Personen mit narzisstischen Persönlichkeitsanteilen, der Mangel an Empathie, das Fehlen echter Anteilnahme an den Gedanken anderer und die maladaptive Ausrichtung auf Selbstoptimierung (Nevicka et al. 2011), haben negative Auswirkungen auf die Dynamik von Teams (Furnham 2008). Narzisstische Personen wirken durch ihr Verhalten negativ auf freiwillige und prosoziale Verhaltensweisen bei anderen Teammitgliedern und können so eine effektive Kooperation im Teams behindern (Felty et al. 2015). Narzisstische Führungskräfte können weiterhin auch die Ursache dafür sein, dass talentierte Mitarbeitende die Organisation verlassen (Lubit 2002). Weiterhin steigt die Gefahr von De-Railment und nicht mit der Organisation kompatiblem Verhalten (Blickle et al. 2006) bei narzisstischen Führungspersonen. Teams mit einem höheren Anteil an narzisstischen Persönlichkeiten zeigen zudem eine schlechtere Teamperformance (Felty et al. 2015).

Narzissmus wurde erstmals 1898 von Ellis als Persönlichkeitsfacette beschrieben, in der Individuen vollständig in der Selbstbewunderung aufgehen (vgl. Raskin und Terry 1988). Narzissmus wird seitdem als ein übersteigertes Gefühl der Selbstachtung konzeptualisiert, das mit Arroganz, Grandiosität, übermäßigem Selbstvertrauen, Selbstabsorption, Selbstdarstellung, Aufmerksamkeitssucht und einem übermäßigen Bedürfnis nach Bewunderung einhergeht (Blair et al. 2008; Helfrich und Dietl 2019). Narzisstische Persönlichkeiten gehen keine Kompromisse ein, sind nicht empfänglich für Kritik, reagieren auf negatives Feedback wahrscheinlich mit Aggression und suchen zwischenmenschliche Beziehungen, die ihre Selbstliebe verstärken (Nassif 2019). In der Führungsforschung hat sich gezeigt, dass die narzisstische Ausprägung von Führungskräften im engen Zusammenhang mit der Zurückhaltung bzw. dem Schweigeverhalten der Mitarbeitenden steht (Wang et al. 2018). Außerdem vermeiden narzisstische Führungskräfte es, Informationen mit ihren Mitarbeitenden zu teilen (Nevicka et al. 2011), weisen den Rat anderer zurück (Kausel et al. 2015) und nutzen Mitarbeitende für ihren persönlichen Vorteil aus (Watts et al. 2013). Dementsprechend wirkt sich der Einfluss einer narzisstischen (Führungs‑) Persönlichkeit nachweislich negativ auf die psychologische Sicherheit, das affektive Organisationsengagement und das veränderungsorientierte Organisationsverhalten der Mitarbeitenden aus (Wang et al. 2020).

4 Was macht agil arbeitende Teams erfolgreich? – Eine empirische Studie

Durch die Fragestellung dieses Artikels angeregt, entstand die Idee, die Daten eines Forschungsprojekts zu agil arbeitenden Teams noch einmal mit dem Fokus auf die Person, also auf die Persönlichkeitseigenschaften der Teammitglieder hin zu betrachten. Das Projekt „Teametry“ ging ursprünglich der Frage nach, wie psychologische Sicherheit bei der Teamarbeit entstehen kann und welche Zusammenhänge es zwischen psychologischer Sicherheit und diversen anderen Variablen gibt. Im Rahmen des Projekts entstanden fünf Masterarbeiten und eine Dissertation mit den Forschungsfragen, inwieweit sich psychologische Sicherheit durch Teamidentifikation (Bastam 2021), Präsenz vs. Remote-Arbeit (Bachmann et al. 2022), Persönlichkeitseigenschaften (Heemann 2021), Humor (Köhler 2021) und voice behavior (Tönshoff 2021; Trapp 2021) prädiktieren lässt. Die Dissertation befasste sich mit dem Zusammenhang von psychologischer Sicherheit und dem Interaktionsverhalten im Team (Bravo 2023).

Im Folgenden werden die Daten des Projekts „Teametry“ re-analysiert, und zwar hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Persönlichkeitseigenschaften und Teamleistung von agilen Teams. Dabei handelt es sich ausschließlich um ein exploratives Vorgehen, ohne das Forschungsfragen oder überprüfbare Hypothesen formuliert werden. Die Idee ist dabei ein Ranking aller möglichen (in der Studie erhobenen) Prädiktoren hinsichtlich der Teamleistung zu erstellen und die Wirkung von Personeneigenschaften hier einzuordnen.

4.1 Methodik und Stichprobe

Im Rahmen eines Forschungsprojekts von artop – Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin mit agil arbeitenden Teams wurden 54 seit mindestens zwei Monaten bestehende teils internationale Arbeitsteams überwiegend aus der IT-Branche in Präsenz (N = 15) und remote (N = 39) bei der Lösung einer komplexen Gruppenaufgabe untersucht. Alle untersuchten Teams (Größe M = 5,79, 4–9 Mitglieder) nahmen freiwillig an der Studie teil. Die Untersuchung dauerte etwa zwei Stunden und wurde zweisprachig, auf Deutsch und auf Englisch, durchgeführt.

Zu Beginn füllten Teammitglieder (weiblich N = 146, männlich N = 146, andere N = 2) im Alter von im M = 32 Jahren und einer Teamzugehörigkeit von M = 20 Monaten einen Fragebogen aus. Darin wurden u. a. die psychologische Sicherheit, die Identifikation mit dem Team, die Big Five-Persönlichkeitsmerkmale und eine Skala zum Narzissmus sowie verschiedene Teamfaktoren 7‑stufigen Likert-Skalen (trifft gar nicht zu … triff voll und ganz zu) erfasst. Danach führten die Teams eine Problemlöseaufgabe (Desert Survival Situation nach Lafferty und Pond 1974) durch, die im Mittel 45 min dauerte. Darin mussten die Teams 15 Gegenstände in eine Rangfolge bringen, in der sich deren Wichtigkeit für das Überleben der Gruppe widerspiegelt. Die Gruppenarbeit wurde aufgezeichnet und somit die Interaktion der Mitglieder erfasst.

Im Anschluss an die Teamaufgabe wurde wiederum ein Fragebogen ausgefüllt. Es wurde die Expertenlösung für die Gruppenaufgabe, die in den folgenden Analysen als objektives Teamperformance-Maß fungiert, präsentiert. Anschließend reflektierten die Teammitglieder gemeinsam mit der Untersuchungsleitung den Problemlöseprozess auf Basis eines Teamfeedbacks.

4.2 Erhobene Daten und verwendete Skalen

Es wurden objektive Daten zur Teammerkmale (Anzahl der Mitglieder, Dauer der Zugehörigkeit, Alter der Mitglieder, Branche etc.) und der Interaktionen während der Gruppenaufgabe (Arbeitsformat, Gesamtzeit, Anzahl der Redebeiträge, Dauer der Redebeiträge) und der Teamleistung (Ergebnis Gruppenaufgabe entsprechend der Expertenlösung) erhoben. Mithilfe von Fragebögen vor und nach der Teamaufgabe wurde das subjektive Erleben der Teammitglieder mit folgenden Skalen untersucht (Tab. 1).

Tab. 1 In der Studie verwendete psychometrische Skalen und Subskalen bzw. Items mit den Reliabilitätskennwerten (Cronbachs α bzw. McDonalds ω)

Um einzuschätzen, inwieweit es sich bei den untersuchten Teams tatsächlich um agil arbeitende Shared Leadership-Teams handelt, wurden zunächst die Teamcharakteristika ausgewertet. Die Ergebnisse des semantischen Differential zu den Teamcharakteristika sind in Abb. 1 dargestellt. Die befragten Teammitglieder der 54 Teams bezeichnen ihre Teams als überwiegend agil und (bedingt durch die Corona-Pandemie) remote arbeitend. Auch hinsichtlich der Innovativität sehen sie sich deutlich über dem mittleren Skalenwert.

Abb. 1
figure 1

Semantisches Differential der Teamcharakteristika als Selbsteinschätzung der Teammitglieder (N = 294, 54 Teams)

5 Ergebnisse

Die Datenanalyse erfolgte durch eine multiple Regressionsanalyse mit dem Ziel, den Einfluss der individuellen und Team-Faktoren auf die Teamleistung zu prädiktieren. Dazu wurde eine Backward-Regression durchgeführt. Dabei werden zunächst alle potenziellen Prädiktoren eine die Regressionsgleichung aufgenommen (Tab. 2) und dann schrittweise verringert, bis nur noch Prädiktoren übrigbleiben, die einen signifikanten und nicht-redundanten Einfluss haben (Tab. 3; 22. Regressionsmodell). Als Teamleistung wurde das Ergebnis genutzt, welches die Teams in der Problemlöseaufgabe erzielten. Dazu wurde die Rangsummendifferenz zwischen der Expertenlösung für diese Aufgabe und der Rangfolge, welche das jeweilige Team erarbeitet hatte.

Tab. 2 β‑Gewichte, t‑Werte und Signifikanzniveaus der aller potenziellen Prädiktoren auf die Teamleistung
Tab. 3 β‑Gewichte, t‑Werte und Signifikanzniveaus der signifikanten Prädiktoren auf die Teamleistung

Durch die neun verbleibenden signifikanten Prädiktoren können mit dem 22. Regressionsmodell 36 % der Varianz der Teamperformance prädiktiert werden. Als stärkste Prädiktoren erweisen sich die Teamcharakteristik „Agilität“, die Persönlichkeitseigenschaft „Extraversion“ und das Alter der Teammitglieder. Weitere Prädiktoren sind „Gewissenhaftigkeit“, das Format „Präsenz oder Remote“ und die Redezeit pro Person. Schwächere, aber trotzdem signifikante Prädiktoren sind die Situationswahrnehmung „monoton“, der Narzissmus und die Teamgröße.

Bei diesen Analysen ist es genau so relevant auf die nicht-signifikanten Prädiktoren zu schauen. Keine Rolle für die Teamperformance spielen die Dauer der Zugehörigkeit zum Team sowie die psychologische Sicherheit, andere Persönlichkeitseigenschaften (Verträglichkeit, emotionale Stabilität und Offenheit) sowie alle Variablen, die die Einstellung zum Team erfassen (Teamidentifikation, Teamperformance, Teampurpose, Prozesszufriedenheit) andere Variablen der Situationswahrnehmung (Ergebniserwartung, Belebtheit, Kognitiver Load, Psych. & phys. Load) sowie die soziometrischen Positionen der Teammitglieder. Auch die Teamcharakteristika „Innovativität“ und „Flexibilität“ spielen keine Rolle bei der Prädiktion der Gruppenleistung. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Teams nach den Ergebnissen dieser Analyse am leistungsfähigsten, wenn sie

  • agil und in Präsenz arbeiten (Umfeld),

  • die Teamgröße nicht zu gering ist und die Mitglieder nicht zu jung (Teamzusammensetzung),

  • die Teammitglieder extravertiert und zugleich gewissenhaft, jedoch nicht narzisstisch sind (Persönlichkeit),

  • die Aufgabe als nicht monoton erlebt wird und (Aufgabentyp)

  • nicht zu viele Redebeiträge von Einzelnen eingebracht werden (Interaktion).

Viele Variablen, von denen man annimmt, dass sie zur Leistungsfähigkeit direkt oder indirekt beitragen von Teams beitragen, zeigten in der vorliegenden Untersuchung keinen Prädiktionswert. Dazu u. a. gehören die psychologische Sicherheit, Teamidentifikation und Teampurpose.

6 Interpretation und Ausblick

Wie die Ergebnisse der Datenanalyse zeigen, lässt sich hier – wie in anderen Studien auch – ein negativer Zusammenhang zwischen Teamleistung und narzisstischen Persönlichkeitsanteilen einzelner Personen nachweisen. Neben vielen anderen untersuchten Prädiktoren zeigt der Narzissmus zwar keinen sehr großen, aber doch stetigen negativen Effekt bezüglich der Teamleistung. Die Variable bringt also einen spezifischen Varianzanteil in die Prädiktion der Teamleistung ein, der nicht mit den anderen Variablen in Beziehung steht, sonst würde in den Analysen nicht bis zum letzten Regressionsmodell enthalten sein (nicht-redundante Prädiktoren vgl. Bortz 2013). Gleichzeitig besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Teamleistung und denen für agiles Arbeiten als hilfreich interpretierten Persönlichkeitsmerkmalen „Extraversion“ und „Gewissenhaftigkeit“. Die aktive, selbstbestimmte Beteiligung von Personen in einem agilen Team ist also sowohl Voraussetzung als auch bei zu hoher Ausprägung Risiko für die Teamentwicklung und Teamleistung. Dabei ist auf der Interaktionsebene zwischen der Anzahl der Redebeiträge und deren Länge im Zusammenhang mit narzisstischen Persönlichkeiten zu unterscheiden. Die Anzahl der Redebeiträge wirkt sich negativ auf das Teamergebnis aus. Das bedeutet offensichtlich, dass zu viele Beiträge, eine strukturierte ergebnisorientierte Kommunikation erschweren. Die Anzahl der Redebeiträge zeigt jedoch keinen Zusammenhang zum Narzissmus, sonst wäre diese Variable nicht als eigenständiger Prädiktor im Regressionsmodell enthalten. Der Zusammenhang zum Narzissmus besteht mit der Länge der Redebeiträge, wie aus der Korrelationsmatrix im elektronischen Zusatzmaterial ersichtlich ist. Diese Korrelation wird im Regressionsmodell nicht sichtbar, weil die Varianzanteile, welche die Länge der Beiträge zur Erklärung der Teamleistung einbringt, bereits durch die Variable Narzissmus abgedeckt sind. Es geht also nicht um Dominanz durch viele, sondern durch signifikant längere Redebeiträge, durch die sich die narzisstischen Persönlichkeiten in der Teaminteraktion bemerkbar machen.

Das führt uns zu dem Schluss, dass genau hingeschaut werden sollte, wenn in Organisationen mit der Erwartung geworben wird, sich hier – im agilen Team bzw. in New Work Organisationen – „voll und ganz als Mensch einbringen zu können“. Agiles Arbeiten eröffnet und verlangt einen Raum nach mehr Interaktion und damit nach mehr Redebeteiligung der Einzelnen. Sobald diese Erwartung auf Personen trifft, die das als Einladung verstehen, die Teamkommunikation zu dominieren (vgl. negativer Zusammenhang von Teamleistung und dem langen Redebeiträgen) sowie darin eine persönliche Lust zur Selbstinszenierung und Selbstdarstellung empfinden, dann entwickelt sich aus der Chance von Selbstorganisation und Selbststeuerung eine Bürde von Dominanz und Belastung für ein Team. Während also auf der einen Seite das Konzept der Agilität als eine Zumutung für einige Personen wahrgenommen wird, kann es auf der anderen Seite zu einer Bestätigung von narzisstischen Anteilen mit damit einhergehender Legitimation kommen. Die Idee von New Work, Selbstorganisation und Agilität führt dann missverständlicherweise zum toxischen Ausleben von Individualität und Ganzheit im Arbeitskontext.

In Teams mit solchen Mitgliedern bedarf es der gemeinsamen Anstrengung ein Umfeld zu schaffen, in dem unterschiedliche Persönlichkeiten und individuelle Arbeitsstile miteinander vereinbart werden können. „Wenn im Team die personen- die rollenbezogene Kommunikation überlagert, braucht man Wissen über Gruppen, um mit dieser Konstellation arbeiten zu können“ (Kühl 2019, S. 11). Somit wäre eine Voraussetzung für agile Teams nicht das Schaffen einer organisierten Rationalität und eindeutigen Orientierung, sondern die Befähigung im Umgang mit Ungleichgewicht und Ungewissheit. Einzelne Teammitglieder wie das Team als Ganzes brauchen die Fähigkeit, „informelle Einflussunterschiede unaufgeregt besprechbar zu machen – mit allen damit verbundenen Affekten wie Konkurrenz, Neid, Angst vor Einfluss- bzw. Vertrauensverlust etc. und sich auf diese Weise reflexive Selbststeuerungsmöglichkeit kollektiv zu erarbeiten“ (Zepke 2021, S. 71).

Moderationsrollen sind Mittel, die agile Methoden zur Steuerung von Interaktionen selbst vorsehen und die möglicherweise auch der Eindämmung narzisstischer Persönlichkeitsanteile dienen. Gleichzeitig tun vermeidliche New Work Organisationen sowie agil arbeitende Teams gut daran, neben den Freiheiten, die sie ihren Mitgliedern bieten und den Erwartungen, die sie im Zuge eines selbstbestimmten Einbringens und Arbeitens formulieren, auch (Lern‑) Räume zur Verfügung zu stellen (vgl. Csar 2020), um den Umgang mit dieser organisationalen Entgrenzung individuell als auch sozial- und gruppendynamisch zu verstehen. Eben dort ließen sich Auswirkungen von Teamzusammensetzung, Umfeld und Aufgabentyp, sowie das Zusammenspiel zwischen Persönlichkeit und Rollenerwartung reflektieren. Dadurch entwickeln Teams die Fähigkeit zur Selbstregulation und Selbststeuerung, die wiederum notwendig ist, mit den jeweiligen Persönlichkeitstypen, deren Potenziale und Risiken, sowie deren Zusammenwirken untereinander umzugehen.