1 Einleitung

Agilität erfreut sich, trotz kritischer Diskussion in der Wissenschaft (Walter 2020), nach wie vor großer Beliebtheit in der Praxis (Brückner und von Ameln 2016; Komus und Kuberg 2017; Gergs 2019). Häufig stehen dabei Teams und insbesondere „selbstorganisierte“ Teams im Mittelpunkt (vgl. z. B. Neumer und Nicklich 2021). Für die in Projekten am weitesten verbreitete agile Methode Scrum (Digital.ai. 2022, S. 11) findet sich beispielsweise im offiziellen Leitfaden, dem sogenannten „Scrum Guide“, der Hinweis, dass Scrum-Teams „self-managing“ sein sollen, also selbst entscheiden, wer was wann macht (Schwaber und Sutherland 2020, S. 5).

Bei allen Unterschieden in der unternehmensspezifischen Umsetzung von agilen „selbstorganisierten“ Teams ist ihnen gemeinsam, dass in der Regel Formalität und Hierarchie reduziert werden (Kühl 2015). Das bedeutet, dass im Team ausgehandelt wird, welche Regeln man sich gibt, ohne dass diese „von außen“ entschieden werden. Obwohl z. B. Scrum einen sehr strikten Rahmen für Prozesse und Rollen vorgibt, werden auch diese in der Praxis situativ ausgehandelt (Diebold et al. 2015). Typischerweise nimmt dabei die Informalität in einer Art Ausgleichsbewegung zu. Das heißt, die Teammitglieder versuchen Einfluss darauf zu nehmen, was nun „gilt“ und woran man sich orientiert, es werden Verbündete gesucht, Allianzen geschmiedet etc.

Kurzum: Die von agilen Ansätzen propagierten „selbstorganisierten“ Teams bereiten einen optimalen Nährboden für Teamdynamik. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Gruppen- und Teamdynamik gerade im Beratungsumfeld eine ungebrochen hohe Aufmerksamkeit genießt (Wimmer 2006; Königswieser et al. 2013). Empirisch konnte beispielsweise gezeigt werden, wie der Einsatz von Scrum in Teams durch das Pendeln zwischen Exploration und Exploitation zu einer erheblichen Dynamik bis hin Zusammenbruch der Koordination führt (Sailer 2019, 2020; Sailer et al. 2023). Insgesamt fehlt es jedoch an Überblicken auf die Teamdynamik in agilen Teams. Ausnahmen bilden Studien zu einzelnen Konzepten wie Lerndynamik, denen jedoch der integrierende theoretische Rahmen fehlt (z. B. Annosi et al. 2020) oder Beiträge von Praktiker, die gruppendynamische Modelle wie den „gruppendynamischen Raum“ (Antons 2004) einfach auf Teams übertragen, ohne zwischen Gruppen und Teams zu unterscheiden (z. B. Werro 2018). Die Forschungsfrage lautet daher: Welche Perspektiven auf Teamdynamik lassen sich unterscheiden?

In diesem Beitrag werden dazu verschiedene Modelle der Gruppen- und Teamdynamik aus der Organisationspsychologie sowie der Systemtheorie anhand agiler Teams diskutiert. Es wird herausgearbeitet, dass schließlich auch die Eigendynamik von Situationen in agilen Teams eine wichtige Rolle spielt, die jedoch in der Teamforschung und -praxis bislang vernachlässigt wurde. Denn agile Methoden wie Scrum zeichnen sich dadurch aus, dass Prozesse in Teams iterativ ablaufen (Sailer und Kaiser 2022). Das bedeutet, dass sich Situationen in solchen Teams wiederholen. Zum Beispiel tägliche Stand-Ups oder wöchentliche Reviews. In Situationen bildet sich jedoch eine eigene situative Ordnung heraus, die nicht mit der sozialen Ordnung des Teams identisch ist. Abschließend werden die Perspektiven aus der gesichteten Literatur in einen Zusammenhang gebracht und Anregungen für weitere Forschungen gegeben.

2 Gruppen- und Teamdynamik in der Organisationspsychologie und Systemtheorie

In der Literatur zur Gruppen- und Teamdynamik lassen sich grob zwei Arten von Perspektiven unterscheiden (Chidambaram und Bostrom 1997; Arrow et al. 2004): 1) Sequenzielle Perspektiven, die beschreiben, welche einheitlichen Entwicklungsmuster Gruppen nacheinander durchlaufen und 2) nicht-sequenzielle Perspektiven, die erklären, wie Entwicklungsprozesse durchlaufen werden, aber keine einheitliche Abfolge von Mustern mehr vorhersagen.

Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über sequenzielle Perspektiven gegeben, da diese Strömung den Großteil der Forschungsarbeiten ausmacht und sich in der Praxis nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Sequenzielle Modelle lassen sich vereinfacht in Stufenmodelle und zyklische Modelle unterteilen. Im Anschluss werden nicht-sequenzielle Modelle behandelt, da diese den akzeptierten Standard der heutigen Teamforschung darstellen (McGrath et al. 2000; Ilgen et al. 2005, S. 519; Ramos-Villagrasa et al. 2018). Diese lassen sich vereinfacht in zeitbasierte Modelle und komplexe Systemmodelle unterscheiden. Auf die unzähligen Studien zur zeitlichen Veränderung einzelner Konstrukte wie Konflikte, Entscheidungsfindung, Normen, Mitgliedschaft, Kohäsion etc. soll hingegen nicht näher eingegangen werden, da ihnen ein integrierender theoretischer Rahmen fehlt.

2.1 Sequenzielle Perspektiven

2.1.1 Stufenmodelle

Die frühe gruppendynamische Forschung ging von der Annahme aus, dass Gruppen spezifische Entwicklungsstufen zu höherer „Reife“ durchlaufen, deren lineare Abfolge sich vorhersagen lässt (z. B. Bennis und Shepard 1956; Kaplan und Roman 1963). Dynamik wird also als das Durchlaufen von Stufen verstanden. Das implizite Entwicklungsziel ist häufig „Leistung“. Das bekannteste Modell dieser Strömung stammt von Tuckman (1965; Tuckman und Jensen 1977). Basierend auf einer Literaturübersicht unterscheidet er fünf Phasen: Forming, Storming, Norming, Performing und Adjouring.

Stufenmodelle von Gruppen sind mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Zunächst muss die Grundannahme in Frage gestellt werden, dass Gruppen erst im Laufe der Zeit „reifen“. Vielmehr gibt es empirische Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass die verstrichene Zeit selbst kein Indikator für „Reife“ oder Entwicklung ist. So stellt Ginnett (1990) fest, dass neu zusammengesetzte Cockpit-Crews bereits nach wenigen Minuten die Stufe „Performing“ erreichen. Die Gründe hierfür liegen in den hohen Aufgabenanforderungen und dem hohen Umweltdruck. Umgekehrt stellt Katz (1982) fest, dass Forschung & Entwicklungs-Teams mit der Zeit immer ineffizienter werden und damit die Idee eines Stufenmodells konterkarieren. Zweitens lassen sich die Stufen nicht scharf voneinander abgrenzen, d. h. es bleibt unterbestimmt und empirisch unklar, wann bestimmte Handlungen einer Stufe aufhören und Handlungen einer anderen Stufe beginnen (Chang et al. 2003; Arrow et al. 2005, S. 330f.). Drittens bleibt die Generalisierbarkeit dieser Studien fragwürdig, teils aufgrund methodischer Mängel, teils aufgrund geringer und nicht repräsentativer Stichproben von Psychologiestudierenden (Humphrey und Aime 2014, S. 459). Schließlich ignorieren Stufenmodelle den zentralen Kontext von Teams – die Organisation.

Aus diesen Modellen lassen sich insbesondere für den Aufbau agiler Teams allgemeine Beschreibungen wichtiger Teamphasen wie Kennenlernen, Konflikte und gemeinsame Normsetzung ableiten. Vorsicht ist jedoch geboten, die „Reifegrade“ von Teams zu wörtlich oder zu „naturgesetzlich“ zu verstehen. So lenkt z. B. die Suche nach „Forming“ oder „Storming“ in bereits länger bestehenden agilen Teams eher vom vielleicht wichtigeren Blick auf die Teamgeschichte ab.

2.1.2 Zyklische Modelle

Im Gegensatz zu den Stufenmodellen gehen die zyklischen Modelle nicht von einer linearen Abfolge aus, sondern von einem mehrmaligen Durchlaufen eines Zyklus bzw. dem Erreichen eines Gleichgewichts. Dynamik wird in diesen Modellen als ständige Spannung zwischen widersprüchlichen Anforderungen an die Gruppe verstanden. Die theoretische Grundlage bildet somit die Forschung zu anhaltenden Widersprüchen oder Paradoxien (Putnam et al. 2016). Nach einem frühen Modell von Bales (1950) oszillieren Gruppen beispielsweise zwischen Aufgabenfokus und sozio-emotionalem Fokus. Edding und Schattenhofer beschreiben beispielsweise den Widerspruch zwischen Differenzierung und Integration in Gruppen als „Pendeln zwischen unterschiedlichen Polen“ (2015, S. 36). Dabei bezieht sich Integration auf Kohäsion, also den Zusammenhalt und die Gemeinsamkeiten der Gruppe, und Differenzierung auf Diversität, also das Zulassen von individuellen Unterschieden und Meinungen der Gruppenmitglieder als Personen. Gruppen entwickeln sich nach diesen Autor:innen dann weiter, wenn sie diese Paradoxie entfalten, d. h. „wenn größere Ausschläge in beide Richtungen, also mehr Integration und mehr Differenzierung, gleichermaßen möglich werden“ (Edding und Schattenhofer 2015, S. 37).

Auch innerhalb von Organisationen lassen sich vielfältige Widersprüche für Teams als Auslöser von Dynamiken finden (z. B. Krejci und Groth 2020). In agilen Teams können beispielsweise Widersprüche wie „Flexibilität vs. Stabilität“, „verfügbare Zeit vs. geforderte Funktionalität“ oder „Exploration vs. Exploitation“ auftreten. So pendeln agile Teams, die Scrum als agiles Vorgehen nutzen, innerhalb eines Sprints zwischen dem Erlernen von etwas Neuem (z. B. geänderte Kundenwünsche), also Exploration, und dem Optimieren von etwas Bestehendem (z. B. bei der Umsetzung einer Maßnahme), also Exploitation, hin und her (Sailer 2019, 2020).

Aus diesen Modellen kann für agile Teams gelernt werden, dass permanente Widersprüche als „Motor“ für Dynamik wirken können. Aus Beratersicht ist die Entscheidung für einen Widerspruchspol („Entweder-Oder-Lösung“) meist nur eine kurzfristige „Lösung“. Denn ein Team entwickelt sich entlang dieser Muster, wenn ein Widerspruch immer wieder neu ausgehandelt und ausbalanciert wird („Sowohl-als-auch-Lösungen“).

2.2 Nicht-sequenzielle Perspektiven

2.2.1 Zeitbasierte Modelle

Im Gegensatz zu Stufenmodellen, die nur Momentaufnahmen von Gruppen liefern, aber keine Stufenübergänge erklären können, liefern zeitbasierte Modelle eine Erklärung, wann und wie zeitliche Veränderungen stattfinden. Dynamik wird in diesen Modellen als drastische Veränderung über die Zeit verstanden. Das bekannteste „punctuated equilibrium“-Modell wurde von Gersick (1988, 1989) auf Teams übertragen, nachdem sie die Bedeutung von Zeit und insbesondere von Fristen für die Teamentwicklung beobachtet hatte. Sie beobachtete, dass sich Teams bei einer neuen Aufgabe schnell, meist schon beim ersten Treffen, auf einen Lösungsansatz einigten und diesen bis etwa zur Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit beibehielten. Ungefähr zur „Halbzeit“ machten die Teams jedoch eine Veränderung durch und änderten ihren Lösungsansatz drastisch. Diesen veränderten Ansatz behielten die Teams bis zum Ende der Frist bei.

Als Erklärung für den Wandel zur Halbzeit werden zwei Konzepte der Organisationstheorie von March und Simon (1993) herangezogen: Problemorientierte Suche und Taktung (pacing). Teammitglieder suchen nur dann nach neuen Lösungen, wenn sie bisherige Lösungsversuche als problematisch einschätzen. Ein solche Einschätzung kommt durch die Taktung der zur Verfügung stehenden Zeit zustande. Die Halbzeit funktioniert als eine Art „natürlicher Alarm“, da ab diesem Zeitpunkt noch genau so viel Zeit zur Verfügung steht wie bereits verbraucht wurde. So wird es Teams erleichtert, ihren bisherigen Fortschritt mit dem gewünschten Fortschritt zu vergleichen. Wichtig ist, dass diese Halbzeit kein Garant für Entwicklung (und erst recht nicht: für dessen Erfolg) ist, sondern eine Möglichkeit für Wandel. Letztendlich sind es zeitliche Meilensteine, die besonders salient für das Team sind und deren Arbeit „takten“ – nicht zwingend die „exakte“ Halbzeit (Gersick 1988, S. 33f.).

Im Gegensatz zu Stufenmodellen beziehen sich zeitbasierte Modelle auf Teams in Organisationen, und nicht auf geschichts- und kontextlose Gruppen, und wurden vielfach empirisch überprüft (Arrow 1997; Chang et al. 2003). Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass eine klarere Wahrnehmung der Halbzeit erfolgreicher Veränderungen auslöst (Labianca et al. 2005).

Für agile Teams lässt sich aus diesen Modellen ableiten, dass die Wahrnehmung von Zeit, insbesondere von Fristen, einen starken Einfluss auf die Teamdynamik hat. Da agile Teams häufig sehr bewusst mit zeitlichen Begrenzungen („Timeboxing“), arbeiten und in Iterationen („Sprints“ in Scrum) vorgehen, gewinnen zeitbasierte Modelle eine hohe Relevanz. Für Teamentwicklungen bieten sich dann besondere das erste Teamtreffen sowie die Halbzeit für beraterische Interventionen an, da hier die Akzeptanzchancen höher zu sein scheinen (Gersick 1988, S. 35). Für die Taktung des Teams kommen dabei sowohl einzelne Iterationen in Frage als auch längere Zeiträume, in denen größere Funktionalitäten („Epics“) erarbeitet werden, und schließlich auch die Zeit, die für ein Projekt insgesamt zur Verfügung steht.

2.2.2 Komplexe Systemmodelle

Komplexe Systemmodelle erklären Dynamiken mit Hilfe umfassenderer Theorien wie der Strukturationstheorie (Giddens 1986) oder der Systemtheorie (Luhmann 1984; für einen Überblick für Organisationsberater:innen vgl. Sailer 2023). Die Dynamik in Teams wird in komplexen Systemmodellen als Interaktion der Elemente unter dem Einfluss des Kontextes definiert (McGrath et al. 2000, S. 98). In der Systemtheorie sind die Elemente eines Teams nicht Individuen (wie häufig in der Kleingruppenforschung), sondern Kommunikationsereignisse. Ähnlich wie in zeitbasierten Modellen spielt die Zeit und damit die Teamgeschichte eine wichtige Rolle (Marks et al. 2001; Ilgen et al. 2005; Cronin et al. 2011, S. 579f.). Das bedeutet, dass die Wirkung von Ursachen zeitabhängig ist und sich mit der Zeit verändert. So kann z. B. nicht entschieden werden, ob Aufgabenkonflikte für Teams funktional oder dysfunktional sind, wenn nicht berücksichtigt wird, wann der Konflikt auftritt und wie viele Konflikte bereits aufgetreten sind (Jehn und Mannix 2001).

Obwohl nicht unumstritten, kann aus systemtheoretischer Sicht zwischen Gruppen und Teams unterschieden werden (Wimmer 2022). Einem Vorschlag von Kühl (2021b) folgend, werden Gruppen hier als eigener sozialer Systemtypus mit starker Personenorientierung definiert, d. h. persönliche Bekanntschaft und Kompatibilität durch Sympathie, diffuse Mitgliedschaft und persönliche Kommunikation. In Gruppen ist z. B. zu nahezu allen Themen zu erwarten, dass „Mitglieder dabei stets auch ihre persönliche Haltung zum Ausdruck bringen“ (Kühl 2021b, S. 33).

Von Gruppen zu unterscheiden sind Teams. Nach Kühl (2021b, S. 50) können Teams als formale Teileinheiten von Organisationen definiert werden. Teams orientieren sich sowohl an ihrer „inneren Umwelt“ (Neidhardt 2017), d. h. den Teammitgliedern als Personen, als auch an ihrer äußeren Umwelt, d. h. der Organisation. Welche Umwelt zu einem bestimmten Zeitpunkt dominiert, hängt nicht zuletzt von der Art der Aufgaben des Teams sowie der zeitlichen Befristung ab (Edding und Schattenhofer 2020, S. 22–25).

Teams sind notwendigerweise zeitlich, sachlich und sozial stark an Organisationen gebunden:

  1. a.

    In zeitlicher Hinsicht obliegt es der Organisation, ein Team einzurichten, zu verändern oder aufzulösen. Diese Abhängigkeit wird spätestens dann deutlich, wenn bei „selbstorganisierten“ Teams (zur Überraschung der Teammitglieder) gewährte Kompetenzen wieder entzogen werden (Kühl 2021a).

  2. b.

    Sachlich erhalten Teams ihre Zwecke von der Organisation und sind nicht legitimiert, über ihren Hauptzweck zu entscheiden (z. B. kann das Kundendienstteam nicht beschließen, ab morgen das Buchhaltungsteam zu sein). Teams orientieren sich daher bei der Wahl ihrer Aufgaben und Themen an den Rollen und Programmen der Organisation, da sie sonst in Rechtfertigungsprobleme geraten.

  3. c.

    Sozial wird die Mitgliedschaft in Teams durch formale Entscheidungen der Organisation geregelt, d. h. Teams können ihre Mitglieder in der Regel nicht frei wählen. Über hierarchische Rollen schließlich wird die Führung in Teams formal entschieden und verstetigt (Kühl 2021a).

Neben der Sachorientierung der Organisation, die sie prägt, sind Teams in unterschiedlichem Maße auch personenorientiert (Kühl 2019, S. 5f.). Nach Simon sind Teams „(…) in hohem Maße von ihrer personellen Zusammensetzung abhängig, da die Einzelnen und ihre persönlichen Eigenheiten (psychische Umwelten) die Selbstorganisation der Interaktionsmuster bestimmen“ (2014, S. 63). Teams sind in drei Dimensionen personenorientiert:

  1. a.

    Zeitlich durch die Dauer der Teamzugehörigkeit. Beispielsweise kann der Eintritt eines neuen Teammitglieds in ein bereits länger bestehendes Team die Dynamik im Team beeinflussen.

  2. b.

    Sachlich an den Fähigkeiten und Kompetenzen in relevanten Themen, wenn sich z. B. durch eine neue Aufgabe herausstellt, dass die dafür notwendigen Kompetenzen im Team anders verteilt sind als bei den bisherigen Aufgaben. Auch dies kann zu einer Dynamik im Team führen, da sich nun neue Statusunterschiede oder informelle Rollen herausbilden können.

  3. c.

    Sozial durch (vergangene oder aktuelle) Mitgliedschaften in anderen Teams (Arrow und McGrath 1993; Arrow et al. 1995; Wimmer et al. 2019). Beispielsweise kann es in temporären Projektteams zu Teamdynamiken kommen, wenn die Teammitglieder auch Mitglieder in anderen Teams sind und sich die Interessen der verschiedenen Teams widersprechen können.

Die Dynamik in Teams ergibt sich dabei aus dem Zusammenspiel von Kommunikation und Erwartungskontexten, die durch die interne Umwelt der Teammitglieder und die externe Umwelt der Organisation beeinflusst werden. Für agile Teams kann daraus gelernt werden, dass Berater:innen zuerst auf die organisationale Umwelt schauen sollten, da diese grundsätzlich über den Fortbestand des Teams, den Zweck und die Aufgaben sowie die Mitglieder entscheidet. Darüber hinaus spielen auch in agilen Teams, die häufig Generalisten propagieren, damit die „Pull-Verteilung“ von Arbeitspaketen funktioniert (Sailer und Kaiser 2022), unterschiedliche wahrgenommene Kompetenzen weiterhin eine Rolle. Ebenso sollte auf Mehrfachmitgliedschaften, z. B. von „Scrum Mastern“, die mit mehreren agilen Teams arbeiten, geachtet werden. Denn diese Mitgliedschaften in anderen Teams werden registriert und beeinflussen auch das Verhalten im aktuellen Team. Schließlich kann man lernen, dass die Wirkung von Ursachen und Interventionen zeitabhängig ist und sich mit der Zeit verändert. Berater:innen sollten also immer die Teamgeschichte mit betrachten.

3 Die vergessene Ordnung der Situation

3.1 Theoretischer Hintergrund

Häufig bleibt die Beschreibung der Teamdynamik bei der inneren und äußeren Umwelt von Teams stehen. Dabei wird übersehen, dass „[d]ie konkreten Handlungen (…) erst in der Situation ausgehandelt werden, und dabei kann die Situation Verstöße gegen die Prämissen nahelegen“ (Luhmann 2017, S. 118). Obwohl beispielsweise eine Besprechungsagenda vorgegeben ist, kann sich die Besprechung um ein Thema drehen, das erst in der Besprechung selbst aufkommt, aber gar nicht auf der Agenda stand. In Situation bilden sich jeweils einmalige „Situationsordnungen“ heraus (Luhmann 1999, S. 297). Diese sind nicht identisch mit der sozialen Ordnung der Teams. Beide stehen zwar in Wechselwirkung zueinander, sind aber nicht aufeinander reduzierbar. Dem Eigenrecht des Teams steht gleichsam das „Eigenrecht der Situation“ (Luhmann 1999, S. 295) gegenüber.

Unter Situationsordnung versteht man nach Goffman (1983) die Struktur der Situation, d. h. Verhaltenserwartungen zur gegenseitigen Koordination in face-to-face Situationen, die ihren Ursprung in der Situation selbst haben oder aus der Umwelt in die Situation „importiert“ werden. Zum Beispiel die Erwartung, sich nicht gegenseitig ins Wort zu fallen. Oder eben sich gegenseitig ins Wort zu fallen. Die Begrüßung mit Handschlag zu Beginn eines Treffens wäre z. B. auf gesellschaftliche Konventionen zurückzuführen. Die Erwartung, dass die Führungskraft ein Meeting eröffnet, wäre ebenfalls eher auf die Teamstruktur (hier: die formale Rolle der Führungskraft) zurückzuführen, weniger aber auf die Situation selbst.

In der Systemtheorie werden, im Anschluss an Goffman, Situationsordnungen als „Interaktionssysteme“ konzipiert (Luhmann 1975). Generell basieren Interaktionssysteme wie alle sozialen Systeme auf Kommunikation, mit der Besonderheit, dass diese zwischen Anwesenden stattfindet. Anwesenheit bedeutet dabei zum einen, dass sich Individuen wechselseitig wahrnehmen (Kieserling 1999, S. 15ff.; Luhmann 2014, S. 7). Zum anderen „schließen [Interaktionssysteme] alles ein, was als anwesend behandelt werden kann, und können gegebenenfalls unter Anwesenden darüber entscheiden, was als anwesend zu behandeln ist und was nicht“ (Luhmann 1984, S. 560). Das bedeutet, dass Anwesenheit sozial konstruiert wird und gegenseitige Wahrnehmung für Interaktionssysteme notwendig, aber nicht hinreichend ist. So wird z. B. das Personal in der Gastronomie während eines Tischgesprächs oft als sozial nicht anwesend und damit nicht als Teil des Interaktionssystems behandelt.

Weiten Teilen der Kleingruppenforschung wird eine Verwechslung von Gruppen mit situativen Ordnungen vorgeworfen (Goffman 1961, S. 11–13; Putnam und Stohl 1990, S. 249–251; McGrath et al. 2000, S. 97). So wurden in Laborexperimenten häufig Studierende, die sich vor dem Experiment nicht kannten, in hochgradig künstliche Situationen gebracht. Solche „Container-Gruppen“ sind aber weder repräsentativ noch realistisch, da sie keiner natürlich vorkommenden „Gruppe“ ähneln (Manson 1993), Umwelteinflüsse völlig ignoriert werden und Handlungen keine Konsequenzen haben (Beck et al. 2016). Überzeugender erscheint, dass hier keine Gruppen, sondern einmalige Situationsordnungen künstlich erzeugt und beobachtet wurden (Goffman 1961, S. 96).

3.2 Praktische Implikationen

Die Perspektive auf Interaktionssysteme und ihre situativen Ordnungen spielt in agilen Teams eine herausragende Rolle, da Interaktionen in agilen Teams aufgrund ihrer iterativen Funktionslogik in der Regel in wiederkehrenden Situationen stattfinden. Zum Beispiel gibt es in agilen Scrum-Teams ein morgendliches „Stand-up“ oder in agilen SAFe-Teams regelmäßig ein „PI Planning“ (Scaled Agile, Inc. 2023). Trotz wiederkehrender Abläufe findet aber keiner dieser Regeltermine zweimal exakt identisch statt.

So spielt in Situationen das Thema eine wichtige Rolle. Obwohl prinzipiell jeder Situationsteilnehmende die Möglichkeit hat, durch Beiträge zum Thema seinen eigenen Redeanteil zu erhöhen, sorgt das Thema für eine strukturelle Vorverteilung der Beitragschancen. Beispielsweise bietet eine Besprechung zum Thema „Digitalisierung des Rechnungswesens“ einer Informatikerin höhere Beitragschancen als ihren fachfremden Kollegen. Allerdings führt eine solche sich herausbildende Situationsordnung nicht automatisch dazu, dass z. B. auch die formalen Entscheidungsbefugnisse neu verteilt, d. h. die Teamordnung verändert wird (Luhmann 2011). Es gilt also zwischen situativen Dynamiken und Teamdynamiken zu unterscheiden und ihr Wechselspiel in den Blick zu nehmen.

Insbesondere wenn die Situationsteilnehmende gleichzeitig Teammitglieder sind, ist es natürlich schwierig, zwischen der Situationsordnung und dem Team zu unterscheiden. Beispielsweise kann in bestimmten Situationen, z. B. in einer Teambesprechung eines Arbeitsteams, die Verteilung der Redezeit beobachtet werden. Es wäre jedoch fahrlässig, von durchschnittlichen Redezeiten oder einer „Sprecherrolle“ als Beobachter:in direkt auf formale Führungsrollen im Team zu schließen. Denn es kann sein, dass es der situativen Ordnung des Teamtreffens entspricht, die Sprecherrollen in jedem Treffen neu zu verteilen, oder dass eine häufig anzutreffende „Gleichheitsnorm“ es für die formale Teamleiterin strategisch klug erscheinen lässt, einem Teammitglied die Leitung des Treffens zu überlassen (Goffman 1961, S. 12).

Darüber hinaus unterscheiden sich die Einflussfaktoren, die zu Dynamiken in Teams und zu Dynamiken in Situationen von Teams führen können (Goffman 1961, S. 9, 11). Auf der Ebene von Teams spielt, wie bereits ausgeführt, die Dauer der Zugehörigkeit der Teammitglieder eine wichtige Rolle für die Dynamik im Team. Auf der Ebene von Situationsordnungen spielt die Dauer der Teilnahme an der Situation eine weitaus geringere Rolle, da Situationen nur während der Anwesenheit existieren. Umgekehrt spielt in Situationsordnungen das Thema eine wichtige Rolle für die Dynamik, da es immer nur ein exklusives Thema geben kann und dieses die Beitragschancen und damit den Status unter den Beteiligten verteilt. In Teams hingegen können immer mehrere Themen parallel bearbeitet werden, mit entsprechend breiteren Möglichkeiten des Statuserwerbs unter den Teammitgliedern.

Schließlich verändert sich die Bedeutung der Einflussfaktoren. So implizieren z. B. Spannungen in Situationen die Schwierigkeit, einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus aufrechtzuerhalten, der durch Ablenkungen und Desinteresse am Thema verursacht wird. So kann eine Situationsteilnehmerin, die lange aus dem Fenster geschaut hat, durch eine direkte Frage taktvoll wieder in die Situation und den Aufmerksamkeitsfokus „zurückgeholt“ werden (Goffman 1961, S. 13). In Teams hingegen implizieren Spannungen z. B. die durch Kooperationserfordernisse bei gleichzeitigen individuellen Zielprämien ausgelöste Schwierigkeit zu entscheiden, wie viel Arbeitsaufwand in Kooperationsprojekte und wie viel in eigene Projekte zur individuellen Zielerreichung investiert werden soll. So kann die Vorgesetzte informell suggerieren, dass es für die eigene Karriere förderlicher sei, sich um die individuelle Zielerreichung zu kümmern als um Kooperationsprojekte.

4 Zusammenfassung

Die Forschungsfrage lautete, welche Perspektiven auf die Teamdynamik unterschieden werden können. Zusammenfassend wurde dazu zwischen sequenziellen Perspektiven, die beschreiben, welche einheitlichen Entwicklungsmuster Gruppen nacheinander aufweisen, und nicht-sequenziellen Perspektiven, die erklären, wie Entwicklungsprozesse durchlaufen werden, aber keine einheitliche Abfolge von Mustern mehr vorhersagen, unterschieden. Schließlich wurde die Situationsordnung als bisher vernachlässigte Perspektive der Teamdynamik eingeführt. Abb. 1 gibt einen Überblick über die sich daraus ergebenden Perspektiven auf Teamdynamik anhand der relevanten Umwelten von Teams.

Abb. 1
figure 1

Perspektiven auf Teamdynamik

Stufenmodelle konzentrieren sich eindeutig auf Gruppen und vernachlässigen daher den organisatorischen Kontext von Teams. Zyklische Modelle konzentrieren sich zwar auch auf Gruppen, tendieren aber eher in Richtung Organisation, da Widersprüche häufig organisatorischen Ursprungs sind. Zeitbasierte Modelle konzentrieren sich auf Arbeitsteams und berücksichtigen den organisatorischen Kontext in Bezug auf Fristen und Meilensteine. Komplexe Systemmodelle schließlich umfassen die Wechselwirkungen zwischen Team, Teammitgliedern und Organisation in zeitlicher, sachlicher und sozialer Dimension. Nicht zuletzt besitzen situative Ordnungen eine Eigendynamik.

Mit Blick auf zukünftige Forschung scheint insbesondere die Perspektive auf Interaktionssysteme zur Erklärung von Dynamiken noch ungenutztes Potenzial zu bieten. Solche Forschung kann auf wertvolle Arbeiten in Bezug auf z. B. gruppendynamische Trainings (Pelikan 2004), Organisationen (Luhmann 1999) oder Hochschulseminare (Kieserling 1999) aufbauen.