1 Problemexposition

Universitätskliniken sind im Umgang mit der Pandemie außerordentlich stark gefordert. Sie haben den Auftrag, die medizinische und pflegerische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Pandemiebedingt sind sie damit konfrontiert, ihren Betrieb permanent an kaum vorhersehbare Veränderungen anzupassen – unter anderem in Bezug auf Kapazitäten für die intensivmedizinische Versorgung sowie die Planung des Personals und der Räumlichkeiten. Als Arbeitgeber stehen sie in der Verantwortung, den Schutz der Mitarbeitenden sicherzustellen. Medizinische und pflegerische Fachpersonen sind seit Beginn der Pandemie mit extremen physischen und psychischen Belastungen konfrontiert. Je nach Pandemiesituation ist vorausschauendes organisatorisches Handeln unter Bedingungen der Unsicherheit gefragt. Wie Arbeiten dazu aufzeigen (vgl. Beck et al. 2021; Fernandez et al. 2020; Gibbons et al. 2021) aber auch unserer Erfahrungen verdeutlichen, bleibt der permanent erforderliche Anpassungs- und Veränderungsprozess nicht auf einzelne Einheiten beschränkt. Er wirkt sich auf die gesamte Organisation aus. Das Management organisationaler Veränderungsprozesse wird für die Führung, Stabstellen und Mitarbeitende in der Pandemie zur Daueraufgabe und die Fähigkeit zur Organisationsentwicklung zu einer Schlüsselkompetenz (Lobnig und Grossmann 2013). Neben dem Behandlungsbereich ist auch der Bereich Ausbildung und Lehre stark betroffen. Virtuelle Formen des Unterrichts sind entstanden. Lernende und Studierende in der klinischen Praxis sind gefordert, spezifische Maßnahmen einzuhalten, beispielsweise Isolations- und Hygienerichtlinien. Auch Berufseinsteiger*innen sind mit veränderten Rahmenbedingungen konfrontiert. Um ihren Weg in den Beruf, in die Arbeitsprozesse und in die Organisation fachlich solide beschreiten zu können, benötigen sie besondere Begleitung.

Der Berufsgruppe der Pflege kommt unter Pandemiebedingungen eine Schlüsselrolle in der gesamten Spitalorganisation zu. Um eine adäquate Patientenversorgung auf den Abteilungen zu gewährleisten, ist eine Koordination von verschiedenen Berufsgruppen und Diensten notwendig. Pflegefachpersonen sind an der zentralen Schnittstelle zwischen Patient*innen, Angehörigen und anderen beteiligten Berufsgruppen tätig. Sie sind die unmittelbaren Ansprechpersonen. Von der stationären Aufnahme der Patient*innen bis zum Entlassungsmanagement stellen sie auch die Koordination der Therapie- und Behandlungsmaßnahmen sicher. Die fachgerechte, evidenzbasierte medizinische und pflegerische Behandlung sowie die Patienten- und Mitarbeitersicherheit stehen dabei an erster Stelle. Das Vermitteln von Copingstrategien, um mit Unsicherheiten umzugehen, spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Faktoren des organisationalen Lernens, der Resilienz und des Mitarbeiterschutzes haben somit in der Pflege besonders hohe Priorität. Sie müssen sichtbar und nachhaltig gelebt werden, was eine zentrale Grundlage des Pflegemanagements darstellt.

1.1 Organisationale Vorbereitung auf außerordentliche Lagen

In Krisensituationen können Kliniken/Spitäler auf einen wertvollen Vorteil zurückgreifen: Im Unterschied zu vielen anderen Organisationen sind sie vertraut mit Handeln und Entscheiden in außerordentlichen Lagen, worauf in der Pandemiesituation zurückgegriffen werden kann (Walus und Holbe 2020). Im klinischen Kontext haben Konzepte wie Organizational Preparedness bzw. Disaster Preparedness seit jeher hohe Priorität (Zaghini et al. 2021; Fernandez et al. 2020). Führungspersonen und Mitarbeitende trainieren regelmäßig Szenarien für den Katastrophenfall. Sie müssen stets vorbereitet sein auf das Außerordentliche. Organizational Preparedness bedeutet, als Organisation proaktiv Ressourcen bereitzustellen, um die krisenbedingten Belastungen der Mitarbeitenden so gering wie möglich zu halten (Fernandez et al. 2020).

Insbesondere zu Beginn einer Krise erweist sich ein koordiniertes und strukturiertes Vorgehen der Organisation als entscheidend (Fernandez et al. 2020). Mitarbeitende können sich darauf verlassen, dass die Organisation ihnen einen klaren Orientierungsrahmen für ihr Handeln in außergewöhnlichen Situationen gibt. Dadurch kann psychologische Sicherheit für Einzelne und für Teams entstehen (Zaghini et al. 2021, Fernandez et al. 2020). Im klinischen Bereich zählt psychologische Sicherheit zu den wichtigsten Faktoren, um eine hochwertige Versorgung zu gewährleisten und Patientensicherheit zu ermöglichen (Aranzamendez et al. 2014). Psychologische Sicherheit ist charakterisiert durch „… ein Arbeitsklima, das eine frühe Prävention von Problemen und das Erreichen gemeinsamer Ziele ermöglicht, weil Mitarbeitende sich nicht in erster Linie auf den Schutz ihrer eigenen Sicherheit fokussieren müssen“ (Edmondson 2003, S. 5).

Führungspersonen kommt eine zentrale Rolle zu, um die elementaren Sicherheitsbedürfnisse der Mitarbeitenden zu erfüllen (Zhang et al. 2020). Wer sich von der Organisation unterstützt fühlt, erlebt weniger Stress, ist auch unter Krisenbedingungen motiviert und weist eine hohe Arbeitszufriedenheit auf (Labrague und De los Santos 2020; Zhagini et al. 2021). „Psychologische Sicherheit“ kann wesentlich zu organisationalem Lernen beitragen (Aranzamendez et al. 2014; Carmeli und Gittell 2008).

Unter Krisenbedingungen sind Organisationen herausgefordert, sich rasch und effektiv auf neue Umstände einzustellen. Flexibilität, kontinuierliches Aktualisieren der Informationen, Anpassen und Reflektieren sind gefragt (D’Auria und Smet 2020; Batra 2020). Diese Qualitäten werden im aktuellen Diskurs unter dem Stichwort Agilität subsumiert (Hasebrook et al. 2019; Worley et al. 2014). Agile Prinzipien und flachere, weniger hierarchische Entscheidungsstrukturen ermöglichen Organisationen, in der Krise handlungsfähig zu bleiben. Dezentralisiertes Entscheiden, die Abkehr von Top-down-Leadership und die damit verbundene wachsende Bedeutung agiler Teams erweisen sich als krisentaugliche Ansätze (Sneader und Shubham 2020).

Erfahrungen in Krankenhäusern zeigen, dass die in der Pandemie etablierten Organisationsprozesse nicht nur temporäre Formen des Organisierens sind: Sie können als Katalysatoren für nachhaltigen organisationalen Wandel gelten (Moeste und Schneider 2020). Die Empfehlung „Institutionalisieren Sie das, was sich bei der Krisenbewältigung bewährt hat“ (Sneader und Shubham 2020, S. 1) erscheint sehr naheliegend.

Die Fähigkeit einer Organisation, sich auf Herausforderungen immer wieder neu einzustellen und gemeinsam zu lernen, erweist sich in der Pandemie als essenziell. Dies gilt in besonderem Maße für Kliniken/Spitäler: „Durch organisationales Lernen können Gesundheitsinstitutionen sich zu lernenden Organisationen entwickeln und dadurch das gesamte Gesundheitssystem des jeweiligen Landes stärken“ (Alonazi 2021, S. 1).

Aufgrund der hohen pandemiebezogenen Belastung ist es für Kliniken/Spitäler besonders relevant, organisationale Resilienz aufzubauen (Burnard und Bhamra 2011). Dazu gehört unter anderem die Fähigkeit, interne Ressourcen aktivieren zu können (Dies.). Zugleich hat es für Kliniken/Spitäler in der Pandemie einen hohen Stellenwert erhalten, als Organisation die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeitenden proaktiv sicherzustellen und auf diese Weise eine sorgende Organisation (caring organization) zu werden (Caprez 2021). Diese achtet auf die Qualität des Umgangs mit den Menschen in der Organisation. Sie versteht sich als verantwortungsbewusste social entity, nicht ausschließlich als Wirtschaftsunternehmen (Gössling und Liedekerke 2014).

Vor diesem Hintergrund fokussiert der vorliegende Beitrag das organisationale Lernen im Kontext der Pflege am Beispiel eines Universitätsspitals in der Schweiz. Im Zentrum steht die Frage nach den Learnings aus den Erfahrungen der ersten Pandemiewelle: Was hat sich bewährt und wird in die zukünftige Krisenbewältigung bzw. in den Regelbetrieb übergehen?

1.2 Die Situation im Universitätsspital Zürich

Das Universitätsspital Zürich (USZ) zählt zu den größten Spitälern der Schweiz. Jährlich erhalten über 43.000 Patient*innen im USZ eine stationäre Behandlung. Als Zentrumsspital mit einem Leistungsauftrag des Kantons Zürich bezieht sich das Dienstleistungsangebot auf die Grundversorgung der Züricher Bevölkerung und auf die überregionale medizinische Versorgung. Hinzu kommt die Unterstützung von Forschung und Lehre sowie die Förderung der Aus‑, Weiter- und Fortbildung in den Berufen des Gesundheitswesens. Das USZ beschäftigt 8541 Mitarbeitende.

Als sich im Frühjahr 2020 die Zahl der Patient*innen mit COVID-19 erhöhte, wurde im USZ ein Krisenstab eingerichtet – die COVID-19-Task Force. Sie hat die Aufgabe, als Expertengremium die Spitaldirektion zu beraten und den öffentlichen Auftrag der Gesundheitsversorgung während der Pandemie zu gewährleisten. Die Task Force traf sich zunächst täglich zur Lagebeurteilung, um Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen einzuleiten. Behördliche Vorgaben und politische Entscheide haben einen massiven Einfluss auf die Handlungsfähigkeit und die Arbeitsabläufe des Spitals.

Für die Berufsgruppe der Pflege war der Beginn der Pandemie mit einschneidenden Veränderungen verbunden. Das Pflegepersonal kommt in der Regel ausschließlich in denjenigen Bereichen zum Einsatz, die ihrer Ausbildung entsprechen. Im Rahmen der Krisenorganisation trat jedoch eine Änderung ein, die sich mit der Organisationsform Führen in außerordentlichen Lagen (FaoL)Footnote 1 vergleichen lässt. Diese Organisationsform kommt im USZ zum Einsatz bei Schadensereignissen, die das Unternehmen zu krisenbedingtem Handeln veranlassen, beispielsweise ein Massenanfall von Verletzten, ein Terroranschlag oder ein Brandereignis. Zu Beginn der Pandemie wechselten deshalb über 250 Mitarbeitende des Pflegedienstes ihren Einsatzort. Sie arbeiteten in Bereichen, wo mehr Personal nötig war, beispielsweise auf der Notfallstation, den neu entstandenen COVID-19-Bettenabteilungen und auf Intensivstationen. Bisher waren sie kaum oder noch nie in diesen Bereichen tätig.

Aufgrund solcher Veränderungen war es ein zentrales Anliegen der Direktorin Pflege, die Erfahrungen der Pflegefach- und Führungspersonen aufzugreifen, um Bedürfnisse zu identifizieren und Schlussfolgerungen abzuleiten – auch mit Blick auf Weiterentwicklungen der Organisation, der Prozesse, der Führung und der Kommunikation.

2 Methode der Mitarbeiterbefragung

Um die Erfahrungen der akuten Krisenzeit zu erheben und daraus Rückschlüsse für die Ausgestaltung der weiteren organisationalen Massnahmen treffen zu können, fanden zwei Befragungen statt.

Erstens erfolgte im Mai 2020 eine Online-Umfrage mittels Fragebogen unter Mitarbeitenden der Pflege und der medizinisch-technischen/therapeutischen Berufe (MTTB): Was hat sich bewährt und wo gibt es Verbesserungspotenzial? Da Führungspersonen und Mitarbeitende diesen Aspekt am besten beurteilen können, bildeten sie die Zielgruppe. Die Fragen bezogen sich auf (a) eigene Befindlichkeit, (b) Kommunikation, (c) Austausch mit den Direktorinnen, (d) Führungsrahmen/Handlungsspielräume, (e) Zusammenarbeit (z. B. „Hatte ich genügend Möglichkeiten, um mich auszutauschen/um Anliegen zu deponieren?“; „War der Zugang zu den Direktorinnen in genügendem Ausmaß vorhanden?“). Neben binären Antwortmöglichkeiten (Ja/Nein) waren Verbesserungsvorschläge und Bewertungen im Freitext möglich. Fünfzehn Personen haben den Fragebogen vollständig beantwortet.

Zweitens fanden im August 2020 drei leitfadenbasierte Fokusgruppeninterviews statt (Jayasekara 2012; Wilkinson 2004). Dreizehn Pflegefachpersonen und drei Abteilungsleitende nahmen teil. Im Fokus standen Erfahrungen mit Fremdeinsätzen während der ersten Pandemiephase. Das Ziel bestand darin, die Erfahrungen der betroffenen Pflegefachpersonen und Führungspersonen aufzugreifen, um Bedürfnisse zu identifizieren und Schlussfolgerungen für zukünftige Krisensituationen zu ziehen. Die Leitfragen lauteten: „Wie haben Pflegefach- und Führungspersonen die Fremdeinsätze erlebt?“; „Wie bewerten sie die Zusammenarbeit im Team?“; „Worin bestanden die zentralen Herausforderungen?“

Die Auswertung der Daten erfolgte anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2014).

3 Pandemiebedingte Herausforderungen

Im Folgenden fokussieren wir fünf zentrale Herausforderungen, die sich aus der Analyse der Befragungen ergaben. Leitend für die Reflexion der krisenbezogenen Erfahrungen ist das Enactment-Konzept von Karl Weick. Enactment besteht im Sinne von Karl Weick darin, eine organisationale Situation durch Handeln in Kraft zu setzen: „Handeln bedeutet, die Lage zu erforschen. Der Entdecker weiß nie, was ihn erwartet, bis er es schließlich sieht und ihm gegenübersteht. Dann schaut er zurück, um herauszufinden, was passiert ist. Er entdeckt im Rückblick die Konsequenzen seines eigenen Handelns“ (Weick 1988, S. 306). Während einer Krise kann dieser Rückblick auf das Handeln zur Erkenntnisgewinnung dienen – um in unsicheren Zeiten achtsam auf Unerwartetes reagieren zu können (Weick und Sutcliffe 2010).

3.1 Erste Herausforderung: Organisation und Zusammenarbeit spitalweit agiler ausrichten

Die erste Pandemiewelle im Frühjahr 2020 hat zu einschneidenden Veränderung für das USZ als Gesamtorganisation geführt. Es erfolgte eine Umstellung von der bisherigen Matrixorganisation zu einer partiellen Linienorganisation. Dadurch wurden Abstimmungsbedürfnisse reduziert und Entscheidungsprozesse durch Zentralisierung beschleunigt. Der Einsatz der COVID-19-Task Force ermöglichte, als Organisation agiler zu werden – in Bezug auf Entscheidungen, Kommunikation und bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Das Ziel bestand darin, schnellere und einfachere Entscheidungsstrukturen und Kommunikationswege in der Krisensituation sicherzustellen.

Der Task Force gehören Expert*innen aus unterschiedlichen Berufsgruppen und Hierarchieebenen an. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig einmal pro Woche. Bei Bedarf wird der Turnus verkürzt.

Die Task Force-Mitglieder arbeiten je nach Thema und Fragestellung unkompliziert interdisziplinär zusammen. Im Gremium werden themenspezifisch Aufträge zur Bearbeitung an die entsprechenden Expert*innen delegiert. An der nächsten Sitzung erfolgt die Vernehmlassung. Dieses Vorgehen ermöglicht, auf pandemiebedingte Herausforderungen rasch zu reagieren und neue Maßnahmen umzusetzen.

Der Übergang zu agileren Strukturen im Rahmen der Krisenorganisation erwies sich als grundlegend für das gesamte weitere Handeln. Dadurch ist ein Kulturwandel in Gang gekommen – weg vom Silodenken in Bezug auf den eigenen Arbeitsbereich, hin zur Kooperation der unterschiedlichen Organisationseinheiten. In den Vordergrund trat das Spital als Expertenorganisation. Die Beschlüsse der COVID-19-Task Force als Expertengremium wurden akzeptiert. Alle Mitglieder der Taskforce konnten sich gemäß ihrer Expertise einbringen und Vorschläge machen – unabhängig von ihrer Stellung in der Hierarchie.

In den Fokusgruppeninterviews zeigte sich, dass Mitarbeitende die pandemiebedingten organisationalen Veränderungen deutlich wahrnahmen und positiv bewerteten. Sie erlebten das USZ durchwegs als „gut vorbereitet“, wie es in den Gruppeninterviews geäussert wurde. Pflegefachpersonen schätzten das vorausschauende Handeln der Gesamtorganisation. Sie erwähnten, dass Strukturen und Ressourcen im entscheidenden Moment verfügbar waren und Abläufe bereits im Vorfeld definiert wurden. Dadurch standen zum entscheidenden Zeitpunkt eine Intensivstation und eine Intermediate Care-Abteilung für Patient*innen mit COVID-19 bereit. Zudem erwähnten die befragten Fachpersonen eine bisher nie erlebte Niederschwelligkeit auf organisationaler Ebene. Sie bemerkten, dass die Krisensituation spitalweit ein Wir-Gefühl ausgelöst hat. Dies führte zu einer weitaus intensiveren Zusammenarbeit mit Fachpersonen aus anderen Settings oder Bereichen als bisher. Die Ergebnisse der Befragungen machten die hohe Flexibilität, Krisen- und Change-Kompetenz der Mitarbeitenden deutlich. Beim Bewältigen der außerordentlichen Lage erwiesen sich die FaoL-Erfahrungen aus der Vergangenheit als hilfreich, beispielsweise klare Entscheidungskompetenzen, Verantwortlichkeiten und Informationskanäle. Auf der FaoL-Basis konnte aufgebaut werden. Das proaktive organisationale Handeln zu Beginn der Pandemie erwies sich als essenziell, um für ein Klima psychologischer Sicherheit zu sorgen. Dennoch gab es auch eine Situation, in der die Mitarbeitenden Organizational Disorientation und fehlende Disaster Preparedness (vgl. Fernandez et al. 2020) erlebten: Fehlendes Schutzmaterial am Anfang der Pandemie war für die Befragten schwerwiegend.

Welche Learnings ergeben sich? Was hat sich bewährt und wird in die zukünftige Krisenbewältigung bzw. in den Regelbetrieb übergehen?

  • Agile Prinzipien: Möglichst flexibel zu planen und bewusst mit Unsicherheiten umzugehen, wird zum neuen „Normal“.

  • Die interprofessionelle Zusammenarbeit hat in der Pandemie eine neue Bedeutung und eine neue Qualität in der gegenseitigen Akzeptanz der Berufsgruppen bekommen.

  • Die Schlüsselrolle der Pflege in der gesamten Spitalorganisation wurde für alle beteiligten Schnittstellen und Dienste sichtbarer.

3.2 Zweite Herausforderung: Pflege unter Krisenbedingungen proaktiv gestalten

Einsätze in neuen Settings mit unbekannten Teams erlebten die betroffenen Pflegefachpersonen als einschneidende Veränderung. Diese Einsätze begannen zu einer Zeit großer Ungewissheit. Die Infektionswege waren noch nicht geklärt und die Furcht, sich zu infizieren war hoch. Das Arbeiten mit neuen Isolationskonzepten stellte eine neue Erfahrung dar. Infolge steigender Patientenzahlen geriet das gewohnte Pflegeorganisationssystem Bezugspflege (Primary Nursing) an die Grenzen. Deshalb erfolgte ein Übergang zum Team Nursing-System. Pflegefachpersonen mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen arbeiteten in Teams zusammen. Angeleitet durch erfahrene Kolleg*innen konnten sie bisher unvertraute Aufgaben übernehmen. In den neu gebildeten Teams waren jedoch die Kompetenzen anfangs unklar und es bestand Unsicherheit bezüglich der Rollen und Verantwortungsbereiche. In den Fokusgruppeninterviews erwähnten die Pflegefachpersonen, dass sie jede Art von Kontinuität inmitten der Veränderung als entlastend empfanden. Alle Befragten schätzten die Bemühungen der Führungspersonen in Bezug auf Konstanz und Kontinuität. Dennoch gab es einen Fremdheitseffekt aufgrund veränderter Abläufe sowie anderer Therapieformen und Dokumentationssysteme. Die Teilnehmenden erwähnten, dass der Austausch von Wissen in den Teams gut funktionierte. Sie thematisierten die hohe Bereitschaft der Pflegefachpersonen zur Unterstützung der Teams auf anderen Abteilungen. Eine Mehrheit der fremdeingesetzten Fachpersonen berichtete über einen hohen Zugewinn an neuen Kompetenzen. Die Unterstützung durch Kolleg*innen in den neu zusammengestellten Teams erlebten sie als sehr hilfreich. Die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzustellen, erwies sich als sehr hoch.

Welche Learnings ergeben sich? Was hat sich bewährt und wird in die zukünftige Krisenbewältigung bzw. in den Regelbetrieb übergehen?

  • Fremdeinsätze werden in Zukunft ausschließlich als Gruppe oder durch freiwillige interessierte Mitarbeitende erfolgen. Einzelpersonen werden nicht mehr das Setting wechseln.

  • Die Vorbereitung auf das Übernehmen settingfremder Tätigkeiten wird ausschließlich nach gezielter Vorbereitung erfolgen.

  • Essenziell ist eine zeitnahe, gezielte Information über definierte Kommunikationskanäle, beispielsweise durch Intranetmeldungen, Newsletter oder wöchentliche Task Force-Updates durch die Direktorinnen an die Kaderpersonen Pflege und MTTB.

3.3 Dritte Herausforderung: Durch Kommunikation und Partizipation Zusammenhalt ermöglichen

Ein vermeidbarer Stressor, der sehr belastend wirkte, war die anfangs unkoordinierte und unstrukturierte Kommunikation der Hygienemaßnahmen. Pflegefachpersonen erhielten häufig mehrmals täglich widersprüchliche Weisungen. Infektiöse Patient*innen zu versorgen, gehört für Pflegende zum Beruf. Dennoch war es für sie gravierend, unter derart exponierten Bedingungen mit unklaren und unstrukturierten Weisungen konfrontiert zu sein. Hier sahen sie die Organisation in der Verantwortung für Defizite in der Kommunikation. Sie hätten sich eine bessere Absprache von Informationen gewünscht.

Mehrere Fachpersonen erwähnten jedoch auch positive Seiten in Bezug auf Kommunikation. Fachpersonen, die bisher kaum miteinander zu tun hatten, führten nun gemeinsame Aufgaben aus. Da sie einander nicht kannten, waren häufig Rückfragen nötig. Der intensivierte Austausch von Informationen und die Gespräche mit den jeweiligen Kaderpersonen erhöhten die Handlungssicherheit. Es wurde vereinzelt in den Fokusgruppen auch explizit eine bedeutend niederschwelligere Kommunikation erwähnt, jeweils konzentriert auf das Wesentliche. Der Austausch untereinander war direkter und unkomplizierter, um rascher entscheiden zu können.

Eine Umfrage unter Mitarbeitenden der Direktion Pflege hatte unter anderem das Ziel, kommunikationsbezogene Bedürfnisse zu erfassen. Einige Mitarbeitende aus Bereichen, die nicht direkt mit der Pflege und Patientenbetreuung verbunden sind, waren seit mehreren Wochen im Homeoffice tätig. Deshalb stellte sich die Frage: Bestehen auch dort Austauschmöglichkeiten mit Führungspersonen? Fühlen sich die Mitarbeitenden gut informiert? Die Ergebnisse waren positiv. Die Mitarbeitenden fühlten sich weitgehend gut informiert. Sie schätzten beispielsweise regelmäßige zeitnahe Updates im Anschluss an jede Task Force-Sitzung. Zudem konnten sie eigene Anliegen nach dem wöchentlichen COVID-Update in die Task Force einbringen, beispielsweise per Mail oder durch direkte Ansprache über die Direktorinnen.

Welche Learnings ergeben sich? Was hat sich bewährt und wird in die zukünftige Krisenbewältigung bzw. in den Regelbetrieb übergehen?

  • Durch stringente und transparente Information werden robuste Kommunikationsprozesse etabliert, die den Mitarbeitenden Orientierung vermitteln in Zeiten von Unsicherheit und medialer Informationsüberflutung. Dies geschieht nicht als One-Way-Prinzip, sondern als Möglichkeit, über verschiedene Kanäle Fragen zu klären. Direkte Vorgesetzte sind dabei Schlüsselpersonen.

  • Aktives Abfragen von Erfahrungen und Vorschlägen hat sich in der Krise bewährt, beispielsweise in Bezug auf das Umsetzen von Besucherregelungen und Hygienemaßnahmen.

  • Regelmäßige Information und Dialog sind essenziell. Sie stärken das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Fähigkeit des Unternehmens zur Krisenbewältigung.

3.4 Vierte Herausforderung: Als Führungspersonen Sicherheit inmitten der Ungewissheit gewährleisten

Die duale Führungsstruktur der Direktorinnen hat sich unter Krisenbedingungen besonders bewährt. Die Bewältigung der anstehenden Aufgaben wäre für eine Führungsperson alleine kaum zu bewältigen. Die zeitliche Dynamik erfordert teilweise Präsenz und Entscheidungsfähigkeit rund um die Uhr. Die Aufteilung von Erreichbarkeiten und Zuständigkeiten auf mehrere Personen entlastet einzelne Akteure und gewährt Erholungspausen.

Die Ergebnisse der Umfrage zeigten: Die Mitarbeitenden erlebten beide Direktorinnen als jederzeit erreichbar. Sie schätzten die klare, direkte und zielorientierte Kommunikation. Bei Fragen erhielten sie eine schnelle Rückmeldung. Die Erreichbarkeit, Sichtbarkeit und Rückendeckung der Direktorinnen erwiesen sich als zentral und unterstützten das Erleben psychologischer Sicherheit im anspruchsvollen Arbeitsalltag.

Welche Learnings ergeben sich? Was hat sich bewährt und wird in die zukünftige Krisenbewältigung bzw. in den Regelbetrieb übergehen?

  • Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der Task Force-Mitglieder sind definiert. Anlässlich der Updates aus der COVID-19-Task Force können Mitarbeitende ihre Fragen und Anliegen direkt bei den definierten Personen platzieren.

  • Eine interdisziplinäre und interprofessionelle Ad-hoc-Arbeitsgruppe ist unter der Leitung des Human Resources Management entstanden. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sind auf den COVID-Abteilungen wöchentlich vor Ort und nehmen die Bedürfnisse der Teams auf.

3.5 Fünfte Herausforderung: Eine resiliente bzw. sorgende Organisation nachhaltig fördern

Aufgrund der andauernden, kontinuierlich hohen Belastung hat die Resilienz der Mitarbeitenden hohe Priorität erhalten. Im Zusammenhang mit Fremdeinsätzen starteten regelmäßige Reflexionsprozesse im Sinne eines Debriefings. Das Ziel bestand darin, pandemiebedingte Belastungen zu reduzieren. Führungsteams der betroffenen Abteilungen stellten eine engmaschige Begleitung sicher. Ergänzend bestand ein niederschwelliges Gesprächsangebot von Seiten der Psycholog*innen, Spitalseelsorger*innen, HR-Mitarbeitende aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement und Mitarbeitenden der klinischen Ethik.

Inzwischen besteht ein dichtes Netz von Möglichkeiten zur Sofortunterstützung für Mitarbeitende in Belastungs- und Krisensituationen, beispielsweise Gesundheitsberatung und Massageangebote für Mitarbeitende der COVID-19 Intensivstationen. Angebote der Klinischen Ethik, der Seelsorge für Mitarbeitende und der Betrieblichen Sozialberatung sind etabliert. In der Pandemie hat es hohe Priorität erhalten, als Organisation die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeitenden proaktiv sicherzustellen.

Welche Learnings ergeben sich? Was hat sich bewährt und wird in die zukünftige Krisenbewältigung bzw. in den Regelbetrieb übergehen?

  • Vorgesetzte sind sensibilisiert und achtsam in Bezug auf Resilienzförderung.

  • Professionelle niederschwellige Angebote für belastete Mitarbeitende stehen zur Verfügung.

  • Maßnahmen gegen Fachkräftemangel und Förderung der innerbetrieblichen Solidarität haben hohe Priorität, beispielsweise gezieltes Anfragen von freiwilligen Mitarbeitenden, die durch eigens konzipierte Weiterbildungsmaßnahmen (Intensivpflege-Unterstützungskurs) die Kolleg*innen auf Intensivpflegestationen und Intermediate Care-Abteilungen unterstützen.

4 Fazit

Das Spital hat sich in der Pandemie als lernende Organisation erwiesen. Die Situation erforderte intensive Lernprozesse. Die Grundlage für organisationales Lernen in der Krise war die hohe Bereitschaft der Mitarbeitenden, sich immer wieder auf neue Situationen einzulassen. Vieles, was sich in der außerordentlichen Lage bewährt hat, ist inzwischen zum Standard geworden. Ausgehend von der intensivierten Kommunikation im Kontext der COVID-Task Force hat sich ein breiter organisationaler Partizipations- und Feedbackprozess in unterschiedlichen Informationskanälen etabliert. Regelmäßige Online-Townhall-Veranstaltungen ermöglichen beispielsweise, Anliegen direkt einzubringen, sich auszutauschen und Einfluss auf Maßnahmen bzw. Handlungen zu nehmen.

Die Arbeitskultur ist inzwischen durch einen kontinuierlichen Feedbackprozess charakterisiert. Die Erfahrungen der Mitarbeitenden aufzugreifen und daraus Schlussfolgerungen abzuleiten, fördert das gemeinsame Lernen. Aktuelle Erfahrungen können kontinuierlich in die Organisation hineinwirken, um Anpassungen und Veränderungen auszulösen bzw. Prozesse situationsgerecht zu adaptieren.

Im Rahmen des Feedbackprozesses erfolgt stets eine Reflexion der momentanen Erfahrungswerte: Wo stehen wir jetzt? Welche Erfahrungen können wir in die Organisation aufnehmen? Auf diese Weise konnten sich infolge der Pandemie agilere Arbeits- und Partizipationsformen entwickeln.

Wenn wir die bisherigen Erfahrungen resümieren, ergeben sich folgende organisationale Learnings aus der ersten Pandemiephase:

  • Die Rolle der Führungs- und Leitungspersonen hat sich im Verlauf als entscheidend erwiesen, um pandemiebezogene Stressbelastungen zu reduzieren. Orientierung, Strukturierung, Kommunikation mit digitalen Medien und Vor-Ort-Gespräche wirken resilienzfördernd, motivierend und tragen zu einem Klima der psychologischen Sicherheit bei.

  • Die Pandemie hat sich als Chance erwiesen, um agilere, eher niederschwellige, verstärkt partizipative und kommunikative Elemente spitalweit nachhaltig zu implementieren. Dies gilt nicht nur für den Bereich der Patientenversorgung, sondern auch für die Ausbildung und die Lehre.

Diese Erfahrungen haben durchaus Gemeinsamkeiten mit aktuellen Studien zu organisationalem Lernen und zur Resilienzförderung in der Pandemie (Wojtkowska et al. 2021; Zaghini et al. 2021).

Durch Erfahrungen mit Führen in außerordentlichen Lagen hatten Kliniken/Spitäler eine gute Ausgangsposition, um in der Krise als Organisation zu lernen und Resilienz aufzubauen. Die hohe Flexibilität der Fach- und Führungspersonen hat dazu wesentlich beigetragen.

Die letzten Monate haben jedoch gezeigt, dass eine derart lang andauernde Krise nur durch interdisziplinäre Kooperation, ein neues, kollaborativeres Verständnis von Führung und die breite Übernahme von Verantwortung in allen Berufsgruppen zu bewältigen ist. Hierzu trägt der organisationsbezogene Feedbackprozess wesentlich bei und wirkt integrierend. Es bleibt zu hoffen, dass diese Learnings die Organisation und die Spitalkultur nachhaltig verändern werden.