Um das Handeln von Menschen sinnstiftend zu gestalten und damit Purpose zu erzeugen, können Unternehmen an sechs substanziellen Wirkmechanismen auf drei Ebenen ansetzen: Individuum, Team und Organisation (siehe Abb. 1). Ein Individuum kann sich mit dem Unternehmenszweck identifizieren, wenn Arbeit sinnhaft gestaltet ist. In manchen Fällen kann dies bis zur Verwirklichung einer individuellen Berufung in der Arbeitstätigkeit führen, wie etwa als Musiker:in. Auf Teamebene kann Purpose an der sozialen Identität sowie Beziehungsqualität und prosozialer Arbeitsgestaltung ansetzen. Die Arbeit am Purpose der Organisation liegt in den Feldern visionäre Führung bzw. sinnbasiertes Führungshandeln sowie dem Herstellen eines Gleichgewichts von Strukturen und Freiheitsgraden.
Individuum: Purpose als subjektive Sinnwahrnehmung
Sinnhafte Arbeitsgestaltung und Persönlichkeit
Sinnstiftende Arbeit ist mit hoher persönlicher Relevanz, positiver Bedeutung (Rosso et al. 2010) und folglich höherer Arbeitsmotivation verbunden (Grant 2008). Grant (2008) wies die Rolle der Bedeutsamkeit einer Tätigkeit für Mitarbeitende zur Steigerung der Arbeitsleistung nach. In drei Feldexperimenten untersuchte er den Leistungsunterschied zwischen Callcenter-Mitarbeitenden im Fundraising, von denen einigen (der Experimentalgruppe) der Sinn ihrer Tätigkeit vermittelt wurde, während die anderen keine Information darüber erhielten. Es überrascht kaum, dass die Experimentalgruppe signifikant bessere Ergebnisse erzielte. Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass Mitarbeitende deutlich bessere Leistungen erbringen, wenn sie verstehen, welchen Sinn ihre Aufgabe hat. Welche Aktivitäten aber Sinn stiften, ist im Kern eine individuelle Entscheidung.
Laut der Theorie der sinnorientierten Arbeitsgestaltung nach Barrick et al. (2013) führt individuelle Wahrnehmung dazu, dass Menschen motiviert sind und entsprechend handeln, wenn sie glauben, dass ihr Handeln zum Ziel führen kann (Zweckmäßigkeit), und sie ihr Handeln als bedeutsam empfinden (Sinnhaftigkeit). Dabei bringen selbstregulatorische Prozesse Merkmale der Persönlichkeit und der Situation in Einklang. Menschen verhalten sich zielgerichtet und motiviert, wenn eine als zielführend und sinnhaft wahrgenommene Arbeitstätigkeit Verhaltensweisen eines jeweils individuell übergeordneten Motivs aktiviert (Gemeinschaft, Status, Leistung oder Autonomie). Persönlichkeitsmerkmale (Extraversion, emotionale Stabilität, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit) beeinflussen, wie stark und häufig diese Verhaltensweisen ausgeübt werden (Williamson Smith und DeNunzio 2020). Demnach treibt offene Menschen das Bedürfnis nach Autonomie an, was dazu führt, dass sie Tätigkeiten mit einem hohen Maß an Gestaltungsspielraum und Aufgabenvielfalt bevorzugen. Für gewissenhafte Personen ist es dagegen wichtig, fleißig zu sein und Anerkennung zu erhalten. Solchen Menschen hilft häufiges Feedback dabei, motiviert zu arbeiten, eine starke Leistung zu zeigen und ihre Arbeit als bedeutsam zu empfinden.
Führungskräfte können diese Erkenntnisse für die Zuordnung von Aufgabenbereichen für ihre Mitarbeitenden nutzen. Indem sie in regelmäßigen Mitarbeitergesprächen die erlebte Motivation in Verbindung mit Arbeitsmerkmalen und dem, was sich Mitarbeitende wünschen, vergleichen, ergründen Mitarbeitende und Führungskräfte gemeinsam den Weg der besten Entwicklung des Mitarbeitenden. Unternehmen tun gut daran, die individuell sinnstiftenden Faktoren ihrer Mitarbeitenden auszumachen und damit nicht zuletzt einem der häufigsten Kündigungsgründe junger Nachwuchskräfte (vgl. Lancaster und Stillman 2010) entgegenzuwirken.
Arbeit als Berufung
Einige Menschen empfinden ihre Arbeit als Berufung, definiert als „verzehrende, bedeutungsvolle Leidenschaft, die Menschen für eine Domäne empfinden“ (Dobrow und Tosti-Kharas 2011, S. 1005). Menschen, die ihrer Arbeit als Berufung nachgehen, sind nachweislich erfolgreicher (Praskova et al. 2014), engagierter (Bunderson und Thompson 2009), stärker mit ihrem Unternehmen verbunden (Cardador et al. 2011) und erleben ihre Arbeit als sinnhafter (Hirschi 2011). Berufung bedeutet demnach, inspiriert und handlungsfähig in Übereinstimmung mit seinen wahren Potenzialen zu leben und zu arbeiten. Bloom et al. (2020) zeigten, dass, wenn Menschen mit einem starken Berufswunsch diesen auch ausüben können, sie im Laufe der Zeit ihre Berufung immer weiter stärken. Die Autoren beschreiben in der Entwicklung einer persönlichen Berufung zwei zentrale Faktoren: Authentizität, also wahrhaftig und kompetent für ihr ausgeübtes Handwerk zu stehen, und Legitimität, d. h., von ihrem Umfeld auch als fachliche Autorität anerkannt zu werden (Bloom et al. 2020, S. 32). Diese Aspekte können der sinnstiftenden Gestaltung von Nachwuchsprogrammen und Führungskräfteentwicklung dienen und auch für individuelle Zielvereinbarungsprozesse, Karrierepfade und Anreizsysteme genutzt werden. Dabei müssen Unternehmen jedoch darauf achten, dass sich Menschen mit einem starken Gefühl der Berufung durch ihr großes Engagement nicht selbst schaden. Duffy und Dik (2013) sehen neben den vielen positiven Effekten einer Berufung eine Gefahr darin, dass Menschen, die ihrer persönlichen Lebensaufgabe folgen, zu viel Energie in ihre Arbeit investieren und von ihren Arbeitgebern ausgebeutet werden könnten. Schabram und Maitlis (2017) weisen ebenfalls auf Burnout als potenzielle Schattenseite der Berufung hin.
Team: Purpose als Konsens und soziale Bindung
Soziale Identität
Teams stellen eine Form der Gemeinschaft dar, aus deren Zugehörigkeit Menschen Bedeutung (Pratt und Ashford 2003) und intrinsische Motivation schöpfen (Gagné und Deci 2005) und daraus einige ihrer sozialen Identitäten definieren. Griffin (1983) geht davon aus, dass die Sinnhaftigkeit, die Mitarbeitende einer Arbeitsaufgabe beimessen, sozial konstruiert wird. Je mehr Wertschätzung eine Aufgabe durch Führungskräfte und Kollegen erfährt, umso sinnvoller wird sie wahrgenommen. Mitarbeitende suchen demnach an ihrem Arbeitsplatz nach Hinweisen, wie sie sich am vorteilhaftesten verhalten sollen, und konstruieren daraus ihre Einstellungen, Interpretationen und Bedeutungen der Arbeit. So entwickeln sich gemeinschaftliche Normen und Regeln (Wrzesniewski et al. 2003). Maitlis und Christianson (2014) unterstreichen das Bedürfnis nach Sinn hinter dem eigenen Handeln und dem des Umfeldes: Wenn Menschen auf Momente der Mehrdeutigkeit oder Ungewissheit stoßen, versuchen sie zu klären, was vor sich geht, indem sie Hinweise aus ihrer Umgebung wahrnehmen, interpretieren und so einen Sinn im Geschehen ausmachen, der ihr weiteres Handeln beeinflusst. Purpose, als Orientierungspunkt und schließende Handlungsstrategie (s. unten), kommt demnach auch eine sozial normierende und konsensbildende Funktion zu (Gebert et al. 2010).
Beziehungsqualität und prosoziale Arbeitsgestaltung
Die Beziehungen zu anderen Menschen sind für unsere Wahrnehmung von Sinn und Bedeutsamkeit maßgeblich. Robertson et al. (2020) skizzieren die Rolle sozialer Verbindungen für das Purpose-Erleben von Mitarbeitenden. Sie nehmen an, dass Ressourcen aus beruflichen Netzwerken, die hierarchisch geprägt bzw. informell sein oder auf Expertentum basieren können, das Maß beeinflussen, in dem ein Mensch seine Tätigkeit als sinnhaft empfindet. Solche Ressourcen können instrumenteller Natur sein, wie z. B. Informationen und Ratschläge für die Erledigung von Aufgaben, oder expressiver Natur, wie soziale Unterstützung, Mitgefühl und Freundschaft (Umphress et al. 2003). Auf diese Weise verhelfen Netzwerke Menschen dazu, sich integriert zu fühlen, ihre Aufgaben gut zu erledigen und neue Fähigkeiten zu erwerben. Die Digitalisierung und IT-gestützte Kommunikation bringen weitere Implikationen für soziale Verbindungen am Arbeitsplatz mit sich: So postulieren Wang et al. (2020), dass der Austausch instrumenteller Unterstützung in der digitalen Kommunikation eine stärkere Rolle spielt und so die Produktivität und Aufgabenerledigung steigert. Expressive Verbindungselemente wie Körpersprache und soziale Hinweisreize sind digital dagegen eingeschränkter abbildbar.
Wenn Unternehmen ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit bieten, etwas Wertvolles für andere Mitglieder der Gemeinschaft beizutragen, gewinnen diese Mitarbeitenden ein Gefühl von Zweck, Handlungsfähigkeit und Einfluss (Grant 2007). Folglich können Organisationen der Arbeit auch Richtung und Intentionalität – also Purpose – verleihen, indem sie die Mitarbeitenden dabei fördern, starke soziale Bindungen in der Organisation aufzubauen. Gezielte Peer-Learning-Formate etwa, in denen Mitarbeitende von Mitarbeitenden lernen, umfassen instrumentelle und expressive Ressourcen gleichermaßen.
Organisation: Purpose durch Führungsverhalten und Strukturen
Visionäre Führung und sinnbasiertes Führungsverhalten
Visionäre Führung und sinnbasiertes Führungsverhalten sind wie zwei Seiten einer Medaille. Führungskräfte haben die Aufgabe, die Unternehmensvision so zu vermitteln, dass deren Inhalt und Sinnhaftigkeit von allen Mitarbeitenden gleich verstanden wird. Eine Vision kann als ein lebendiges, verbalisiertes Idealbild dessen definiert werden, was die Organisation eines Tages erreichen möchte (Rafferty und Griffin 2004, S. 332). Die Kommunikation der Führungskräfte über verschiedene Ereignisse und Umstände beeinflussen das arbeitsbezogene Sinnempfinden der Menschen (Podolny et al. 2004). Dazu sollte laut Carton et al. (2014, S. 1547) die Vision in einer möglichst vorstellbaren Sprache beschrieben werden. Sie zeigten, dass es Führungskräften, die mit Bildsprache kommunizierten, besser gelang, ein übereinstimmendes Verständnis der Vision unter den Teammitgliedern zu erzeugen, als durch das Verwenden von abstrakter Konzeptrhetorik (Carton et al. 2014). Van Knippenberg (2020, S. 9) beschreibt dazu einen neuen Ansatz der sinnbasierten Führung. Sein Kerngedanke folgt der Logik, dass Führung, die für die Grundausrichtung der Organisation steht, einen entsprechenden gemeinsamen Sinn und Zweck im Team inspiriert und somit gruppenspezifisches Handeln motiviert, das wiederum auf diesen Sinn einzahlt. Er greift in seinen Ausführungen das Problem von Purpose auf (das ebenfalls für Vision und Mission gilt), dass dieser – auf der Ebene der Organisation – immer abstrakt formuliert werden muss, dadurch jedoch nicht zu konkreten Handlungen führen kann. Abteilungen bzw. Fachrichtungen in Unternehmen, denken wir beispielsweise einfach an produzierende vs. verwaltende Berufe, haben jeweils sehr unterschiedliche Handlungsweisen, mit welchen sie auf den Purpose eines Unternehmens einzahlen. Führungskräften kommt die Rolle zu, den abstrakt formulierten Purpose in konkrete Handlungsweisen auf Team- und Abteilungsebene zu übersetzen bzw. ihr Team zu befähigen, gemeinsam diese Übersetzungsarbeit zu leisten. Van Knippenberg (2020) betont hierzu, dass erst das ‚Empowerment‘ des Teams durch die Führungskraft zur gemeinsamen Konkretisierung des Purpose in Handlungen und zur gewünschten Verbindlichkeit und Verinnerlichung des Purpose führt. Der Erfolg der Führungskraft bei der Vermittlung des Purpose wird davon beeinflusst, wie stark diese persönlich mit dem Purpose in Verbindung gebracht wird (Legitimität), z. B. weil sie in der Unternehmenshierarchie eine lenkende (hohe) Funktion bekleidet oder weil die Führungskraft durch ihr Handeln als Verkörperung der organisatorischen Identität wahrgenommen wird (Prototypizität).
Strukturen und Freiheitsgrade
Im Kontext Führung wird aktuell viel über flache Hierarchien, Freiräume und Selbstorganisation gesprochen. Die Argumentation ist hier meist, dass starre Strukturen aufgebrochen werden müssen, um Innovation und Anpassung an Veränderungen zu ermöglichen. Zhang et al. (2015) beschreiben bei der Vorstellung ihres Konzepts des paradoxen Führungsverhaltens, wie scheinbar widersprüchliche und doch verbundene Verhaltensweisen von Führungskräften dazu führen, dass Teams konkurrierenden Anforderungen am Arbeitsplatz gerecht werden. Es zeigt sich, dass alternativ ein stabiler Rahmen geschaffen werden kann, der den Mitarbeitenden innerhalb festgesetzter Grenzen flexibles Handeln ermöglicht und ihnen gleichzeitig den Halt gibt, für den sonst die Führungskraft sorgen würde (Gebert et al. 2010). Dieses Phänomen erklärt beispielsweise den Erfolg agiler Methoden wie Scrum (Pichler 2009). Nicht trotz der Regeln funktionieren diese, sondern weil diese Regeln die angestrebte Agilität unterstützen, indem sie eine strukturierte und zugleich dynamische Routine gewährleisten und zu jedem Zeitpunkt sicherstellen, dass alle Teammitglieder wissen, was von ihnen erwartet wird. Ein eindeutiger Purpose bildet in ähnlicher Weise den Rahmen für das Handeln der Mitarbeitenden: Ein niederländisch-amerikanisches Team fand bei der Untersuchung selbstorganisierter Teams heraus, dass die Voraussetzung für deren Leistungsfähigkeit das Vorhandensein einer gemeinsamen Zielausrichtung ist (Nederveen Pieterse et al. 2019). Somit liegt es nahe, dass ein klarer Purpose als Voraussetzung für Selbstorganisation seinen Mehrwert im Sinne höherer Anpassungsfähigkeit und zielgerichteter Leistungsfähigkeit entfaltet. Carton et al. (2014, S. 1548) erklären weiterhin die Funktion einer gemeinsamen Ausrichtung wie folgt: Je heterogener die Zielorientierung und das Zielbild im Team sind, umso höher ist der Koordinierungsaufwand des Teams, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. Fokus und Energie für die eigentliche Aufgabe gehen verloren. Teams mit heterogenem Zielbild profitieren deshalb stärker von hierarchischer Führung, während ein geteiltes Zielbild selbstorganisiertes Arbeiten erleichtert – bis dahin, dass es Führung ersetzen kann (siehe auch Gebert et al. 2010).
Den Purpose einer Organisation zu entwickeln und zu kommunizieren, bedeutet entsprechend, einen klaren Rahmen zu setzen, was dem Zweck der Organisation dient und was nicht. Purpose als Fixpunkt zur Orientierung ermöglicht die Freiheitsgrade, die für Innovation notwendig sind.