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Digitalisierung und die Bearbeitung von Ungewissheit:

Gestaltungsmöglichkeiten im Konzept der prospektiven Organisation

Digitalization and the Management of Uncertainty:

Design Possibilities in the Concept of Prospective Organization

  • Hauptbeiträge – Thementeil
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Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO) Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Dieser Beitrag der Zeitschrift Gruppe. Interaktion. Organisation. (GIO) widmet sich dem Zusammenhang von Digitalisierung, Ungewissheit und organisationaler Prospektivität. Informalität wird zunehmend als organisationale Ressource zur Bearbeitung von Ungewissheit erkannt. Zurückführen lässt sich diese Entwicklung darauf, dass Organisationen es mit Unsicherheiten zu tun haben, die nicht mehr ausreichend mithilfe formaler Wege der Herstellung von Erwartbarkeit bearbeitet werden können. Vielschichtige und ungleichzeitige Vernetzungs- und Digitalisierungsprozesse sorgen dafür, dass organisationale Umwelten eine Komplexitätssteigerung erfahren und etablierte Organisation-Umwelt-Relationen brüchig und bisweilen dysfunktional werden. Organisationen sind daher gezwungen, neue Wege zu finden, die einen produktiven Umgang mit Ungewissheit unter gesteigerten Kontingenzbedingungen ermöglichen. Der Beitrag macht auf Basis empirischer Analysen einen Gestaltungsvorschlag, der Unternehmen dazu befähigen soll, die neuen Herausforderungen der VUKA-Welt zu meistern. Es handelt sich um das Konzept der prospektiven Organisation, das ein komplementäres Verhältnis von Technik und Arbeit und eine situative Verknüpfung formaler und informeller Prozesse abzielt. Dazu werden zwei Gestaltungsbeispiele aus produzierenden KMU vorgestellt. Unter theoretischen Gesichtspunkten diskutiert der Beitrag die Frage, wie das Verhältnis von formaler Planung und informeller Praxis in den soziotechnischen Zusammenhängen der prospektiven Organisation zu fassen ist und was dies für die soziologische und psychologische Arbeits- und Organisationsforschung bedeutet.

Abstract

This contribution of the magazine Gruppe. Interaktion. Organisation. (GIO) is dedicated to the connection between digitalization, uncertainty and organizational prospectivity. Informality is increasingly recognized as an organizational resource for dealing with uncertainty. This development can be traced back to the fact that organizations have to deal with uncertainties that can no longer be adequately processed with the help of formal ways of establishing expectability. Multi-layered and disparate networking and digitalization processes lead to increasingly complex organizational environments and render established organization/environment relationships fragile and sometimes dysfunctional. Organizations are therefore forced to find new ways of dealing productively with uncertainty under increased conditions of contingency. On the basis of empirical analyses, this article makes a design proposal that is intended to enable organizations to master the new challenges of the VUCA world. The concept of the prospective organization aims at a complementary relationship between technology and work and a situational linking of formal and informal processes. To this end, two design examples from manufacturing SMEs are presented. From a theoretical point of view, the article discusses the question of how the relationship between formal planning and informal practice is to be understood in the socio-technical contexts of prospective organization and what this means for sociological and psychological research on work and organization.

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Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3

Notes

  1. Informalität meint nicht nur ungeplante Interaktionen in Organisationen wie situative Abstimmungs- und Kooperationsprozesse (Böhle und Bolte 2002), sondern auch eine auf Gespür, ganzheitlicher Wahrnehmung und Empathie beruhende Arbeitspraxis, wie sie das Konzept des subjektivierenden Arbeitshandeln beschreibt (Böhle 2017). Gemein ist diesen Formen, dass sie einer Bearbeitung von Ungewissheit dienen, die mit formalen Mitteln allein nicht bewerkstelligt werden kann.

  2. Für mehr Informationen zum Projekt siehe https://www.prodika.de.

  3. Das Akronym steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität.

  4. Mit dieser Gegenüberstellung ist nicht gemeint, dass in der Arbeit keine Technik genutzt wird oder Technik prinzipiell ohne Arbeit auskommt. Technik und Arbeit verweisen in der hier verwendeten Lesart vielmehr auf unterschiedliche praxisbezogene Zugangs- und Problemlösungsweisen. Arbeit zu technisieren bedeutet demnach, „die besondere formgebende Praxis, Elemente, Ereignisse oder Bewegungen kunstfertig und effektiv in schematische Beziehungen von Einwirkung und notwendiger Folge zusammenzusetzen. Handlungen, natürliche Prozessabläufe oder Zeichenprozesse sind dann technisiert, wenn sie einem festen Schema folgen, das wiederholbar und zuverlässig erwartete Wirkungen erzeugt.“ (Rammert 2007, S. 16) Unsere Argumentation zielt darauf ab, die unterschiedlichen Potenziale von digitaler Technik und menschlichem Arbeitsvermögen produktiv aufeinander zu beziehen.

  5. Dieser starke Kontrast zum ersten Fallbeispiel hat methodischen Mehrwert, da sich das Gestaltungskonzept der prospektiven Organisation auch in Organisationen bewähren muss, in denen kaum digitale Strukturen vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, ein KMU mit diesen Eigenschaften zu wählen.

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Heinlein, M., Huchler, N. Digitalisierung und die Bearbeitung von Ungewissheit:. Gr Interakt Org 52, 625–637 (2021). https://doi.org/10.1007/s11612-021-00605-6

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