Lean Production
Entstehung
Von „Lean Production“ oder „Lean Management“Footnote 3 wird seit der Studie von Womack et al. (1990) gesprochen, die die Leistungsfähigkeit von Automobilwerken international verglich und dabei zu dem Ergebnis kam, dass die untersuchten japanischen Produktionswerke produktiver, sparsamer und mit besserer Qualität produzierten. Die aus Sicht der Autoren zentralen Elemente dieser leistungsfähigeren Produktionsorganisation wurden als „Lean Production“ (LP) bezeichnet, die sich seit den 1990er Jahren zum wohl weltweit dominierenden Leitbild für die Organisation von Produktion und Dienstleistung entwickelt hat. Im Kern handelt es sich bei den so benannten Maßnahmen und Praktiken nach Ōno (1993) um die spezifische Weiterentwicklung des tayloristischen Systems wissenschaftlicher Betriebsführung unter Berücksichtigung japanischer Verhältnisse mit dem Ziel, eine hochproduktive wirtschaftliche Fertigung auf Basis von Standardisierungen und kontinuierlicher Verbesserung bei zunehmend kleineren Losgrößen und hohem Qualitätsstandard zu erreichen.
Kernelemente
Dabei werden für LP i. d. R. folgende zentralen Bausteine bzw. Prinzipien genannt:
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Das LP-Konzept fokussiert Wertschöpfung: Alle nicht notwendigen Schritte sollen aus der Leistungserstellung getilgt und möglichst mit jedem Produktionsschritt dem Produkt „Wert“ hinzugefügt werden (Womack et al. 1990, S. 99 f.): Lean-Ansätze sind darauf gerichtet, Verschwendung jeglicher Art (jap. muda) zu vermeiden. Dies beginnt damit, dass an jedem einzelnen Arbeitsplatz eine feste Ordnung für die benötigten Dinge eingeführt wird; alles nicht Notwendige fällt weg, sei es Material, Arbeitskapazität und -zeit, Produktionsfläche etc. (ebd., S. 99–101; Ōno 1993).
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Zweiter zentraler Aspekt ist die Kund*innenorientierung, die sich auf interne wie externe Kund*innen bezieht und sich insbesondere auf die Materialflüsse auswirkt. Die Steuerung des Materialflusses wird gegenüber traditionellen („Push“-)Produktionsplanungsmodellen umgekehrt: Ein Kunden*innenauftrag löst jeweils Produktionsaufträge mit Materialanforderung bei den (internen oder externen) Zuliefer*innen aus („Pull“-Prinzip); im Idealfall wird so kein Material im Fertigungsprozess eingesetzt, das nicht schon verkauft ist. Die Materialversorgung erfolgt soweit möglich durch Kanban-Systeme und Just-in-Time-Zulieferung: Kanban sorgt durch bedarfsgesteuerte Abrufe für Material und vermeidet dabei überflüssige Lagerbestände (Ōno 1993, S. 54–72). Dies bedingt, dass nur „Gut-Teile“ im Prozess sein dürfen, d. h. in jeder Stufe der Produktion immer auf Qualitätssicherung zu achten ist (Womack et al. 1990, S. 138 ff.).
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Dritter charakteristischer Bestandteil des Konzepts ist entsprechend der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP), der für die störungsfreie Aufrechterhaltung eines schlanken Produktionssystems unabdingbar ist: Da es idealiter keine Puffer mehr gibt, müssen alle Teile deshalb fehlerfrei und zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Auftretende Fehler müssen entsprechend systematisch beobachtet, analysiert und beseitigt werden. Die entwickelten Verbesserungsmaßnahmen werden dann über eine unternehmensweite Standardisierung in allen anderen Bereichen analog umgesetzt (ebd., S. 99 f.).
Die Einführung dieses Systems ist aus Sicht der genannten Autoren eine Führungsaufgabe, für die im Unternehmen entsprechende Voraussetzungen zu schaffen sind. Gleiches gilt für KVP, an dem die Beschäftigten methodisch unterstützt regelmäßig beteiligt werden und so für die Stabilität der Prozesse und die Weiterentwicklung der Produktionsstandards sorgen.
Weiterentwicklung
Spezifisch für Deutschland ist, dass das LP-Konzept offenbar nirgendwo so enthusiastisch rezipiert wurde, gleichzeitig aber für die betriebliche Umsetzung die enge Koppelung von LP und Personalabbau zum Problem wurde (vgl. Benders und van Bijsterveld 2002, S. 51, 60).
Seit einigen Jahren werden ergänzende Ansatzpunkte (etwa zu Fertigungsanlauf oder Produktentwicklung) in einem von Lean-Gedanken geprägten Rahmen zusammengeführt: Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS, zuerst Spath 2003) integrieren die Prinzipien des LP-Konzepts und anderer „innovativer“ Formen der Produktionsorganisation. Ziel ist es, dass jedes Unternehmen „sein“ individuelles Produktionssystem entwickelt. Dabei werden generische Prinzipien genutzt, die für eine einheitliche Ausrichtung im gesamten Unternehmen sorgen sollen. So wird z. B. ein prozessorientierter Ansatz verfolgt, bei dem die Wertschöpfung im Vordergrund steht (vgl. Latniak 2013).
Die Nähe zum LP-Konzept wird nicht nur durch die Betonung der Qualitätsmaßnahmen deutlich, gerade die Vermeidung von Verschwendung steht in dieser Tradition. Methodisch umgesetzt wird dies durch „Wertstromdesign“ (u. a. Erlach 2010), mit dem der gesamte Produktionsprozess optimiert werden soll. Voraussetzung dafür sind transparente Produktionsprozesse und deren datentechnische Abbildung zur Unterstützung von Simulation und Steuerung. In diesem Designansatz sind die Arbeitsbedingungen Resultat der Auslegung des produktionsoptimalen Wertstroms: Produktion und kontinuierliche Verbesserung der Prozesse auf Basis der alltäglichen Erfahrungen sind die beiden Kernaufgaben, die von den Beschäftigten dann zu bearbeiten sind.
Darüber hinaus stellt die Übertragung der Lean-Production-Prinzipien von der Produktion auf die Kopfarbeit (z. B. auf Büro- und Verwaltungstätigkeiten) eine grundlegende Weiterentwicklung des Konzepts dar (Boes et al. 2018, S. 21 ff.). Demnach würden hier insbesondere die Lean-Methoden 5S, KVP, Wertstromanalysen sowie das Shopfloor-Management Anwendung finden (ebd., S. 26).
Agiles Arbeiten
Entstehung
Gleichwohl bereits zuvor in gewisser Hinsicht agile Konzepte, Instrumente und Gestaltungsansätze existierten (u. a. ansatzweise bei Takeuchi und Nonaka 1986; Sanchez und Nagi 2001), scheinen sich die aktuellen agilen Entwicklungen, ähnlich wie die Lean-Ansätze, vor allem auf einen konkreten Text zurückführen zu lassen: Das „Agile Manifest“ (Beck et al. 2001) wurde im Jahr 2001 von 17 renommierten Softwareentwicklern veröffentlicht, und stellte zunächst eine Kritik an auswuchernder Projektbürokratie und überplanten Softwareentwicklungsprojekten aus Entwicklersicht dar: Es dokumentiert die Unzufriedenheit der Betroffenen mit ihrer eigenen Arbeitssituation. Ein theoretischer Bezug ist nicht erkennbar, eher ein pragmatisches Argumentieren für bestimmte bewährte und zielführende Handlungsmuster. So propagierten die Autoren im Gegensatz zu den damals etablierten Methoden der Softwareentwicklung ein Aufgeben der detaillierten Planung zugunsten früher nutzbarer Software-Bausteine für die Kund*innen, was mittels einer inkrementellen Entwicklung des Software-Produkts im Kontakt mit diesen erreicht werden soll.
Kernelemente
Relevant für unseren Kontext ist die dabei vollzogene Re-Fokussierung der Arbeitsbedingungen der Entwickler*innen anhand folgender Prinzipien und Maximen (vgl. Beck et al. 2001):
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Primäres Ziel ist eine, im Verhältnis zu konventioneller Entwicklung frühzeitige Lieferung lauffähiger, nützlicher Software und weiterer, neuer Versionen in möglichst kurzen Abständen. Verfügbarkeit funktionierender und hilfreicher Software ist dabei der zentrale Fortschrittsmaßstab und hat Vorrang vor umfassender Dokumentation.
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Die notwendige Grundhaltung der so Arbeitenden ist, dass Änderungen grundsätzlich begrüßt werden, weil sie den Kund*innen nutzen; Entwickler*innen und Fachexpert*innen müssten dafür täglich zusammenarbeiten. Anforderungsänderungen haben Priorität vor der sturen Verfolgung eines Entwicklungsplans.
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Dabei habe face-to-face-Kommunikation Vorrang: Beteiligte und ihre Zusammenarbeit sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
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Im Zuge der Entwicklungsprozesse wird angestrebt, dass die Auftraggeber*innen, Entwickler*innen und Benutzer*innen ein gleichmäßiges (Arbeits‑)Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können.
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(Erfolgreiche) Projekte entstehen um motivierte Personen herum: Die Auftraggeber*innen sollen für geeignete Unterstützung sorgen, die die Entwickelnden brauchen. Sie geben den Auftrag und die Verantwortung aber nicht an die Entwickelnden ab, sondern bleiben selbst Teil des Entwicklungsprozesses. Die konkrete Zusammenarbeit ist wichtiger als Vertragsverhandlungen.
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Beste Architekturen und Designs kommen – aus Sicht der Autoren – aus selbstorganisierten Teams; diese reflektieren ihre Arbeitsweise in regelmäßigen Abständen und ziehen daraus Konsequenzen für die weitere Arbeit. Dies wir in geeigneten Prozessmodellen (z. B. scrum u. a. Bahlow und Kullmann 2018; Gloger und Margetich 2018) methodisch und durch Rollendefinition unterstützt.
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Einfachheit ist dabei gefordert: „Einfachheit – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren – ist essenziell“ (Beck et al. 2001).
Zusammenfassend sind folgende Charakteristika agilen Vorgehens festzustellen:
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1.
Agilität und schnelle Reaktionsfähigkeit von Teams mit Blick auf Kund*innen erscheint zunächst als plausible Antwort auf die skizzierten, turbulenten Umweltbedingungen in Zeiten der Digitalisierung. „Agiles Arbeiten reagiert auf diese planbare Unplanbarkeit mit dem Konzept der Iterationen, indem auf einer Mikroebene der gesamte Produktentstehungsprozess von der Konzeptphase über die Planung bis hin zur Umsetzung abgebildet und direkt ins Team hineingetragen wird“ (Bahlow und Kullmann 2018, S. 36). Ziel agiler Konzepte ist es, so die Komplexität der Anforderungen aus der (Unternehmens- oder Team‑)Umwelt beherrschbar zu machen.
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2.
Agile Teams sind dabei als zentrale Organisationseinheiten zu sehen, und scrum, neben design thinking (u. a. Luchs et al. 2016), ist das vermutlich am weitesten verbreitete Ordnungsschema für iterative Entwicklungsprozesse, das Rollendefinitionen bereitstellt, Transparenz über Prozesse und Aufgaben schafft (mittels backlogs etc.), und (u. a. über daily scrums) hohe Informationsdichte im Team als Basis für die Planung der nächsten Arbeitsschritte sichert. Damit werden Selbstorganisation und Commitment im Team zu leitenden Prinzipien.
Weiterentwicklung
Bei der agilen Vorgehensweise stehen weniger konkrete Instrumente im Vordergrund als vielmehr Entwicklungsprozess, Interaktion und die Haltung, dass Entwickler*innen und Auftraggeber*innen in engem Austausch miteinander agieren. Der Ansatz ist mit seinen Wurzeln im IT/Softwareentwicklungsbereich sehr pragmatisch und erfahrungsbezogen entworfen worden. Deshalb ist eine Übertragung dieses Ansatzes auf andere Bereiche zunächst begründungsbedürftig; das gilt u. a. auch schon für spezielle Bereiche der IT/Softwareentwicklung, in der z. B. hoch zuverlässige Software (bei hardwarenaher Programmierung von Fahrzeugassistenzsystemen, die vor dem Einsatz geprüft/zertifiziert werden muss) entwickelt werden, in denen eine 80 %-Lösung nicht akzeptabel wäre. Ansätze zur Weiterentwicklung agiler Ansätze in Richtung Organisationsdesign (u. a. Bischof und Kohn 2015) und zur Nutzung agiler Prinzipien in Change-Prozessen (u. a. Kohnke und Wieser 2019) stehen derzeit zwar noch am Anfang der Entwicklung, gehen jedoch deutlich über die ursprüngliche Intention agilen Arbeitens – als Mittel zur kund*innengerechten Programmierung von Software – hinaus. Diesbezüglich scheinen Ansätze wie SAFe (Scaled Agile Framework) zur Erweiterung von Tools (wie scrum) auf die gesamte Organisation (u. a. Mathis 2018) oder die Nutzung von user stories für organisationale Veränderungsprozesse („Change als Produkt“, Gloger und Margetich 2018, S. 94 ff.) derzeit zunehmend Verbreitung zu finden.
Soziotechnische Gestaltungsansätze
Entstehung
ST-Arbeits- und Organisationsgestaltungsansätze blicken mittlerweile auf eine rund sechzigjährige Entwicklungsgeschichte zurück. Analysen von konkreten Arbeitssystemen im Bergbau und in der Textilindustrie konnten in der Zeit kurz nach Ende des 2. Weltkriegs illustrieren, dass damals in der Produktion soziales und technisches Teilsystem dann am besten genutzt werden, wenn beide integriert optimiert werden (vgl. Trist und Bamforth 1951), was die Bedeutung von Personal und Organisation gegen die weit verbreitete Technikgläubigkeit hervorheben konnte.
Aufbauend auf dieser Einsicht wurden seitdem Alternativen zu tayloristischen Arbeitsgestaltungskonzepten entworfen, die mittels des (später aus kybernetischen Überlegungen entwickelten) Grundgedankens der Teilautonomie bürokratische Hierarchien in den Unternehmen in Frage stellten: Teilautonomie der Teams stellt eine Antwort auf die unvermeidlichen ungeplanten Zustände in der Produktion dar, die in hierarchie- und kontrollorientierten Organisationen nur unter Zeitverlust und in langen Entscheidungsketten fachlich suboptimal bearbeitet werden konnten.
Kernelemente
Die heterogenen soziotechnischen Ansätze eint zunächst das Grundverständnis, dass Arbeitssysteme aus sozialen und technischen Subsystemen bestehen, die in Wechselwirkung zueinander und mit den Kompetenzen und Voraussetzungen der in ihnen arbeitenden Beschäftigten stehen. Wesentlich für Gestaltungsprozesse wird damit, was als zum System gehörig begriffen wird; dies bringt Vorentscheidungen über Gestaltungsperspektiven und -begrenzungen mit sich. Dieser Auffassung entsprechend, zielen soziotechnische Ansätze i. d. R. auf die abgestimmte Gestaltung von sozialem und technischem System ab – nur so könnten beide ihre vollen Potentiale entfalten („joint optimization“, Cherns 1976, 1987).
Soziotechnische Ansätze weisen darüber hinaus eine gemeinsame, normative Orientierung auf: Grundlegendes Ziel soziotechnischer Arbeits- und Organisationsgestaltung ist die „quality of working life“ (Mumford 2006). Im Gegensatz zu tayloristischen Ansätzen der Arbeitsgestaltung wenden sich die Autor*innen dieser Schule gegen entfremdete Arbeit und unternehmen den Versuch eine selbstbestimmte, persönlichkeitsförderliche Tätigkeit zu ermöglichen. Letztlich werden rein technikzentrierte Maßnahmen der Arbeitsgestaltung zurückgewiesen: Technik wird zunächst neutral als Arbeitsmittel verstanden, das je nach Konzeption menschengerechte Arbeit ermöglichen, aber auch verhindern kann.
Ein weiteres wesentliches Ziel, etwa bei Cherns (1976, 1987), besteht für die Arbeits- und Organisationsgestaltung darin, „Varianz“ (d. h. das Auftreten ungeplanter Zustände im System) unmittelbar dort zu bearbeiten, wo sie auftritt. Dies soll möglichst von einem Team kompetenter Beschäftigter erledigt werden und bewirkt erhebliche Geschwindigkeitsvorteile gegenüber einer hierarchiekonformen, bürokratischen Bearbeitung mit vielen Informations- und Genehmigungsstufen. Zum anderen wird damit die Kompetenz und höhere Leistungsfähigkeit eines Teams zur Lösung solcher Probleme genutzt, und dadurch gleichzeitig bessere und produktivere Arbeitsbedingungen geschaffen, weil Unterbrechungen, Wartezeiten (auf Entscheidungen) und Blindleistung vermieden werden.
Weiterentwicklung
Schon früh prägten sich unterschiedliche länderspezifische ST-Traditionen und fachspezifische Zugänge aus: Während in den Niederlanden bzw. Belgien ein Schwerpunkt auf Organisationsaspekten („integrated organizational renewal“ (IOR), vgl. de Sitter et al. 1997; Mohr und van Amelsvoort 2016) lag und in Skandinavien (insb. Norwegen und Schweden) die umfassende Beteiligung und Teamstrukturen im Vordergrund standen (u. a. Gustavsen 1992), war der Schwerpunkt der deutschsprachigen ST-Konzepte insbesondere die Analyse von individuellen Arbeitsbedingungen bzw. teilautonomer Gruppen- oder Teamarbeit (Ulich 2011).
Charakteristisch für den deutschen ST-Diskussionskontext ist rückblickend eine häufig eher metaphorische Verwendungsweise der ST-Terminologie, die die betrieblichen Subsysteme Technik und Organisation sowie die Rolle der Beschäftigten unterscheidet („Mensch, Technik, Organisation“; vgl. Strohm und Ulich 1997). Zudem wurde der ST-Gestaltungsansatz in Deutschland zwar für Analysezwecke systematisch ausgearbeitet (ebd., kritisch Latniak 1999), während die in den Niederlanden, Skandinavien und im angelsächsischen Sprachraum entwickelten Prinzipien, Gestaltungsansätze und Vorgehensweisen für Organisationsdesign bzw. -entwicklung (u. a. Majchrzak 1997; de Sitter et al. 1997; Pasmore et al. 2018; Winby und Mohrman 2018) bisher kaum rezipiert oder adaptiert wurden.
Während in der deutschen Diskussion die Handlungs- und Entscheidungsautonomie von Teams und Beschäftigten fokussiert wurde, sind die in den anderen Ländern entwickelten Leitlinien und Prinzipien (u. a. Cherns 1976, 1987) darauf gerichtet, konkrete Gestaltungsprozesse anzuleiten und Akteur*innen in umfassenderen Gestaltungsprozessen Orientierung zu geben: Zu nennen sind hier z. B. Cherns’ Prinzip der „Varianzkontrolle“. Varianz, verstanden als „any unprogrammed event“ (Cherns 1976, S. 787) sollte in den Organisationen immer möglichst unmittelbar dort bearbeitet werden, wo sie auftritt. Diese Grundüberlegung wurde weiterentwickelt zu der Maxime, „simple organizations and complex jobs“ (de Sitter et al. 1997) zu schaffen mit dem Ziel, die Handlungs- und Lösungspotenziale der Beschäftigten, die in tayloristischen Strukturen systematisch als Störgrößen des Fertigungsprozesses ausgeschlossen wurden, möglichst optimal zur Beherrschung von Komplexität zu nutzen (u. a. Majchrzak 1997, S. 546 f.).
Zentrales Konzept in der deutschen ST-Entwicklung ist die „Arbeitsaufgabe“ (u. a. Zink 1997, S. 75 f.), auf die bezogen, technische, organisatorische und qualifikatorische Elemente zusammenwirken, und deren hierarchische und sequenzielle Vollständigkeit (i. S. der psychologischen Handlungsregulationstheorie, u. a. Bergmann und Richter 1994) als Beurteilungsmaßstab für die Qualität der Arbeit herangezogen wird: Es wird davon ausgegangen, dass nicht alle individuellen Aufgaben dieses Vollständigkeitskriterium zwingend erfüllen müssen, sondern in der Gruppen- bzw. Teamaufgabe eine Vollständigkeit der Handlungsregulation erreicht werden sollte (vgl. u. a. Weber 1997).
Durch die enge Koppelung der ST-Argumente mit der Auseinandersetzung um teilautonome vs lean-orientierte Gruppenarbeitskonzepte in der arbeitspolitischen Debatte in den 1990er Jahren (u. a. Bahnmüller und Salm 1996) geriet der ST-Ansatz unter Druck, und später zunehmend aus dem Blick der wissenschaftlichen wie der Fachöffentlichkeit (im Überblick vgl. Dankbaar 1997; Latniak 2013, S. 40–45). Dies hat sich erst in jüngster Zeit, etwa durch die Weiterentwicklung von Methoden der Arbeitsanalyse (mittels der „Kompass“-Methode, vgl. Grote 2018; Gerst et al. 2019) geändert. Dagegen wurden im IT-Bereich bzw. in der Informatik in Deutschland in den vergangenen Jahren systematischer Weiterentwicklungen des ST-Konzepts erarbeitet. So hat etwa Herrmann (2012) ein ST-orientiertes Handbuch zum Prozessdesign vorgelegt. Zudem haben Herrmann und Nierhoff (2019) jüngst ein Instrument zu ST-Beurteilung von Arbeitssystemen in Form von Heuristiken veröffentlicht, mit dessen Hilfe die Qualität der Arbeitssysteme beurteilt werden kann.
Auch international zeigt sich die ST-Community auf dem Weg, die neuen Anforderungen und Herausforderungen durch die Digitalisierung aufzunehmen und Antworten zu entwickeln (Mohr und van Amelsvoort 2016). Zu nennen sind die erweiterten Modelle zum Veränderungsprozess etwa bei Winby und Mohrman (2018) und das Konzept des „ecosystems“ (Pasmore et al. 2018).