Das vorgelegte Buch „Humble Leadership“ von Edgar H. Schein und Peter A. Schein ist Teil einer praxisorientierten Reihe, die Wissen über „demütiges“ Führungsverhalten vermitteln soll. Dabei ist das Führungskonstrukt für die Autoren eine Antithese gegenüber kompetitiven, individualistisch und heroisch geprägten „Superstar“-Führern der Vergangenheit, die vor allem Großfirmen, aber auch Sportteams, Medizin, Institutionen, die Künste und andere Bereiche der Gesellschaft geprägt haben. Dabei sehen die Autoren das Konzept als Weiterentwicklung der Beziehung zwischen Führern und Geführten von transaktionsbasierten Austauschbeziehungen des 20. Jahrhunderts hinzu moderner Level 2 Führung, wodurch Offenheit, Vertrauen und Informationsaustausch stimuliert werden soll. Dazu beschreibt das Buch die entsprechenden Stufen (Level) in jedem Kapitel.

Im ersten Kapitel skizzieren die Autoren vorherige Ansätze der Führer-Gefolgten Beziehung als unpersönlich, transaktionsbasiert und hierarchisch (Level 1). Zudem gehen die Autoren auf Herausforderungen moderner Organisationen – erhöhte Aufgabenkomplexität, veränderte Generationenwerte in Gesellschaft und auf Arbeitnehmerseite sowie eine dysfunktionale Managementkultur (z. B. Top-Down-Kommunikation) – ein. Zudem verweisen die Autoren auf Manifestierungen dieser Herausforderungen in aktuellen Unternehmensskandalen wie Volkswagen oder Wells Fargo. Das Kapitel schließt mit mehreren Fallstudien, wie personalisierte hierarchische Beziehungen oder wie gemeinsame Verantwortlichkeit in einem multinationalen Unternehmen ausgestaltet werden könnte. Zudem verweisen die Autoren auf Fallstudien außerhalb der Unternehmensumwelt, beispielsweise wie ein Chirurg mit seinem Team eine persönliche und vertrauensvolle Beziehung aufbauen kann. Demütige Führung basiert demnach auf Beziehungen, die von Vertrauen und Offenheit geprägt sind (Level 2). Wiederholt argumentieren die Autoren, dass es sich bei demütiger Führung nicht primär um individuelles Verhalten handelt, sondern um ein Gruppenphänomen.

Im zweiten Kapitel werden zunächst die Stufen der Beziehungsqualität erläutert. Level −1 sind demnach negative Beziehungen, die durch Drohungen und die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen gekennzeichnet sind. Zudem macht der Mangel an Personalisierung klassische Führung unmöglich. Wiederholt charakterisieren die Autoren Level 1 Beziehungen, die vor allem durch transaktionale, bürokratische und professionelle Beziehungen gekennzeichnet sind. Level 2 Beziehungen enthalten nach den Autoren ehrliches Interesse, Offenheit und Ehrlichkeit, die Person im Arbeitskontext als Ganzes zu betrachten. Zudem werden Hindernisse der Level 2 Beziehung aufgezeigt, zum Beispiel in Fällen großer Informationsasymmetrie (Arzt-Patient Beziehung). Level 3 Beziehungen basieren auf emotionaler Verbundenheit und Freundschaft, wodurch aktiv versucht wird, Wege zu finden, um eine andere Person besserzustellen. Damit verlässt diese Stufe die organisationale, berufliche Sphäre. Wiederholt verweisen die Autoren auf Level 2 und grenzen die Stufe von Sympathie und „Nettigkeit“ ab. Die Autoren verweisen auf die Schaffung einer Umgebung erhöhter psychologischer Sicherheit und offener bidirektionaler Kommunikation, um Aufgaben als Ergebnis schneller und besser zu erfüllen.

Im dritten Kapitel wird das Konzept auf Singapur als Fallstudie moderner Staatsführung angewendet. Dabei argumentieren die Autoren, dass die Wertschätzung offener und vertrauter Beziehungen sich in den Strategien und Governancestrukturen des Landes widerspiegeln, wodurch die ökonomische und politische Erneuerung des Stadtstaates gelang. Nach den Autoren zeigt sich demütige Führung an verschiedenen Stellen, beispielsweise durch Anerkennung der eigenen Unkenntnis und der darauffolgenden Hinzuziehung verschiedener externer Partner aus den Vereinten Nationen, die Erfahrung im Aufbau eines jungen Staates hatten. Die Autoren argumentieren, dass der Prozess in Gesellschaften – anders als in abgrenzbaren, kleinen Gruppen oder kleinen Unternehmen – besonders schwierig zu implementieren ist und der Gefahr eines Rückfalls auf Level 1 ausgesetzt ist. Im vierten Kapitel wird das Konzept auf ein Medizincenter als Fallstudie übertragen. Nach den Autoren fokussiert der Vorstandsvorsitzende die Ziele der Organisation auf ein einziges Ziel, Patientensicherheit, und personalisiert die Beziehungen mit anderen Mitgliedern des Top-Managements, um dieses Ziel gemeinsam zu erreichen. Im fünften Kapitel nutzen die Autoren das US-Militär, um auf die Personalisierung zu jedem Zeitpunkt und auf jeder Hierarchieebene hinzuweisen, selbst in sehr hierarchisch geprägten Umwelten. Im sechsten Kapitel werden weitere drei Fallstudien genutzt, um auf das Führungskonstrukt in verschiedenen Kontexten hinzuweisen. Im siebten Kapitel werden Herausforderungen für das Führungskonzept und das Wachstum von Beziehungen in der Zukunft besprochen, beispielsweise durch die Zunahme von Telearbeit und künstlicher Intelligenz. Im achten Kapitel wird erneut das Bedürfnis nach interpersonellen- und Gruppenprozessen betont und damit auf die „weichen“ Faktoren in Organisationen verwiesen. Das Buch schließt mit dem neunten Kapitel und enthält anwendungsorientierte Übungen für Entscheidungsträger, wie Beziehungen analysiert und personalisiert werden können. Das Buch schließt mit einem Abriss der wichtigsten Unterschiede zwischen den beschriebenen Level 1 und Level 2 Ansätzen.

Die prominenten Autoren Schein und Schein versuchen mit ihrem Buch eine Alternative zu tradierten Führungsmustern zu geben und verweisen gekonnt auf Auswüchse dieser individuell und kollektiv etablierten Führungsmuster, die in zahlreichen Unternehmensskandalen in den letzten Jahrzenten mündeten. Daher kommt das Buch zur rechten Zeit. Die Autoren beschreiben in klarer und deutlicher Sprache mit einer Reihe von Anschauungsbeispielen, welche Elemente dieser Führungsansatz enthält. Daher ermöglichen es Praktikern, Grundlagen des Ansatzes auf anschauliche und nichttechnische Weise kennenzulernen. Gerade für Praktiker sind die zusätzlich im Buch verankerten Fallbeispiele und Übungen interessant. Für Wissenschaftler erscheint der Mangel an Evidenz aus dem sozialpsychologischen Bereich (z. B. Davis et al. 2010; Tangney 2000), die Abgrenzung zu anderen psychologischen Konstrukten sowie die fehlende Einbettung in die wachsende akademische Managementforschung (z. B. Mao et al. 2018; Ou et al. 2016) als Hindernis.