Als die Planungen zu dem Thementeil dieser Ausgabe aufgenommen wurden, befand sich der Flüchtlingsstrom in Richtung der europäischen Länder auf einem bis dahin unerreichten Höhepunkt. Im zufluchtsstärksten Monat November 2015 kamen 97.463 Menschen aus Syrien, 44.846 Menschen aus Afghanistan und 24.678 Menschen aus dem Irak neben weiteren weniger stark von Flucht betroffenen Nationen in die Bundesrepublik Deutschland (Reimann et al. 2015). Im Jahr 2015 wurden 441.899 Erstanträge auf Asyl gestellt, dabei stammen die meisten Asylbewerber aus Syrien mit 158.657 (35,9 %) Erstanträgen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015). Die Wanderungsbewegung hat die europäischen Länder in vielen Bereichen und auf den verschiedensten Ebenen vor starke Herausforderungen gestellt, deren Ausmaße erst langsam deutlich werden. Aktuell nimmt die Zufluchtsbewegung nach Nord- und Mitteleuropa zwar deutlich ab, da Fluchtrouten gesperrt und Rückführungen unternommen wurden. Zeitgleich werden immer mehr Asylanträge, insbesondere von aus Syrien und aus dem Irak Geflüchteten bewilligt (a. a. O. 2016). Viele Menschen, die kamen, bleiben vorerst in Deutschland und bedürfen der Unterstützung.

Zunächst müssen ganz handlungspraktische Hilfen zur Versorgung bereitgestellt werden. Dies leisten insbesondere die kommunalen Einrichtungen. Anschließend gilt es, sprachliche Barrieren zu überwinden und eine interkulturelle Perspektive von Toleranz und Respekt zu entwickeln. Hier sind in erster Linie pädagogische Begleitungen und Betreuungen gefragt. Ebenso müssen erste Schritte in Richtung der Partizipation an unserem gesellschaftlichen Leben unternommen werden, insbesondere durch Schule und berufliche Integration. Die Bandbreite der Bedarfe ist groß und betrifft weite Bereiche unserer Gesellschaft. Parallel dazu nehmen wir von immer wiederkehrender Bedrohungswahrnehmung Kenntnis (Wendekamm 2014), die, um nicht zu Polarisierungen und Ausgrenzungsbestrebungen zu führen, kommunikativ bearbeitet und reflektiert werden muss (Thomas 2005). Gefragt ist die Entwicklung eines unterstützenden, akzeptierenden und wertschätzenden Verständnisses der Geflüchteten ebenso wie eines Verständnisses der Bedingungen ihrer Flucht (Zito und Martin 2016; vgl. auch die dazugehörige Rezension in diesem Heft).

Neben allen Anforderungen, welche die großen Zuzugsströme mit sich bringen, ist der Blick damit auch direkt auf uns als Mitglieder der bestehenden Gesellschaft gerichtet. Erforderlich werden Sensibilisierungen und Perspektivenwechsel, die Interkulturalität und gruppendynamische Balancen ermöglichen. Dabei kann angeknüpft werden an bereits bestehende Konzepte interkultureller Pädagogik (Auernheimer 2015; Neumann und Karakasoğlu 2011), die vorhergehende Modellierungen von Aufnahmeprozessen einer Ausländerpädagogik ablösen. Diese gehen nicht mehr von alleinigen Integrationsbemühungen in eine bestehende Kultur aus, sondern sie lassen die Wechselseitigkeit in der Annäherung verschiedener Kulturen und Ethnien zum zentralen Element der Neuordnung werden (Mecheril et al. 2010). Diese Perspektive in die Entwicklung von Organisationen einzubeziehen heißt, die Bedingungen von Migration und Interkulturalität als einen Teil von Veränderung anzuerkennen und dynamisierende Effekte durch eben solche Sensibilisierungen für Heterogenität entstehen zu lassen.

Das Themenheft „Flucht und Migration: Herausforderungen für Teams und Organisationen“ greift die aufgezeigte Vielschichtigkeit und die damit verbundenen hohen Aufgaben an alle am Prozess Beteiligten auf. Aus verschiedenen Perspektiven wird diese Herausforderung beleuchtet. Es werden Möglichkeiten der Sensibilisierung für die eigene Haltung dem Fremden gegenüber aus der Position der Helfenden ebenso vorgestellt wie Bildungsinstitutionen in ihrer organisationsdynamischen Entwicklung von Lernangeboten für Geflüchtete und/oder deren Unterstützer/-innen und die Herausforderungen der beruflichen Integration in verschiedenen Phasen beschrieben werden. Dabei zeigt die Beitragsübersicht, dass die aktuelle Bedarfssituation deren theoretischer und empirischer Forschung vorgelagert ist. Nicht zu allen Bereichen der Thematik konnten Beiträge eingeholt werden, obgleich oder gerade weil der Handlungsdruck in diesen Bereichen hoch ist. Im pädagogischen Kontext und hier fokussiert auf Bildungsinstitutionen setzen aktuelle Bedarfe dabei eher auf eine vorhandene Forschungstradition zum Umgang mit Migration auf als dies im organisationspsychologischen Bereich der Fall ist. Diese Gewichtung spiegelt sich auch in den Beiträgen des vorliegenden Thementeils dieses Heftes wider.

Im Einzelnen widmet sich Christina Spaller im ersten Beitrag des Thementeils unter dem Titel ‚„Weil wir einander fremd sind …“ Gruppendynamische Reflexionen zu Fragen der Zugehörigkeit‘ ausgehend von ersten Untersuchungen Lewins zunächst der Frage nach Zugehörigkeit und Ähnlichkeit, um ausgehend von dieser Differenzierung gesellschaftliche Machtverhältnisse zu diskutieren und für diese zu sensibilisieren. Anschließend werden gruppendynamische Arbeitsprinzipien diskutiert. Deren Bedeutung im Hinblick auf die Klärung von Fragen der Zugehörigkeit zeigt die Autorin beispielhaft an zwei Seminargestaltungen auf.

Eine Analyse der Entwicklung von Bildungsangeboten an Universitäten nehmen Telse Iwers-Stelljes, Elke Bosse und Anna Heudorfer in ihrem Beitrag „Universitäre Umgangsweisen mit den Herausforderungen von Flucht und Migration“ vor. Sie generieren zunächst einen hochschul-organisationsdynamischen Kategorienrahmen, mittels dessen sie anschließend exemplarisch die Anforderungen und daraus entstandene Angebote einer Universität differenziert betrachten. Dabei widmen sie sich den Perspektiven der Meta-, Meso- und Mikroebene, hier der Ebene der Organisation, der Ebene der Studienprogramme und der Ebene der Lernprogramme. Sie untersuchen auf diesen drei Ebenen jeweils den historischen und sozialen Kontext der Angebotsentstehung sowie die Ermöglichung von Potenzialen bzw. Ressourcen und Autonomiezonen.

Margarete Boos, Nicolai Miosge, Johann Fischer, Simon Bögel und Abdulrahman Abbasi widmen sich in ihrem Beitrag „Integrationstandems und Supervised Networking: Interkulturelle Integration mit Flüchtlingen in studentischen Gruppen durch Service Learning“ einem Seminarkonzept, in dem Studierende interkulturelle Erfahrungen in Begegnungstandems machen und diese universitär reflektieren. Die entstehenden Beziehungen scheinen von Nachhaltigkeit geprägt und bewirken Perspektiverweiterung für alle Beteiligten.

Eine weitere bildungsorganisationale Perspektive nehmen Karin Heinrichs, Tobias Kärner, Simone Ziegler, Alexander Feldmann, Hannes Reinke und Jörg Neubauer mit ihrem Bericht „Die Implementierung neuer Konzepte zur Beschulung von Flüchtlingen und Asylsuchenden – Herausforderungen und Chancen aus organisationstheoretischer Perspektive“ ein. Sie berichten von Ergebnissen einer Delphi-Studie, durchgeführt mit den verschiedenen Akteuren der Beschulung von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen. Die Ergebnisse der Studie werden vor dem Hintergrund organisationstheoretischer Annahmen ausgewertet und machen deutlich, dass aufgrund der aktuellen Notwendigkeiten einzelne Phasen im Organisations-Entwicklungsprozess übersprungen werden bzw. unvollständig bleiben.

Hilko Paulsen, Timo Kortsch, Simone Kauffeld, Laura Naegele, Ireen Mobach und Bernd Neumann fokussieren in ihrem Beitrag auf die „Anerkennung der beruflichen Kompetenzen von Flüchtlingen – Ein Beitrag zur Integration“ auf die Problematik sehr hoher formaler Anforderungen bundesrepublikanischer Anerkennung und entwickeln einen Ansatz, der diese formalen Kriterien ergänzend vorhandene berufsspezifische Kompetenzen in Aktion erfasst.

Abschließend vergleichen Antje Barabatsch, Seraina Leumann und Ursula Scharnhorst in ihrem Beitrag „Die Entwicklung von Organisations- und Teamstrukturen zur Integration von Flüchtlingen: Zwei Fallbeispiele aus der Schweiz“ verschiedene Strukturen zweier Integrationsorganisationen und diskutieren deren Maßnahmen zur beruflichen und sozialen Integration.

Die Hauptbeiträge des offenen Teils befassen sich einerseits mit gesundheitsförderlicher Interaktion in Unternehmen und andererseits allgemein mit Innovationen und deren Förderung und können auf einer Metaebene durchaus auch interessante Impulse für den Umgang mit Migration und Flucht für Organisationen aufzeigen.

Stefan Erberz und Conny Antoni stellen unter dem Titel „Das Systemisch-Salutogene Interaktions-Modell (SSIM) – Ein ganzheitlicher Ansatz zur Erklärung und Entwicklung gesundheitsförderlicher Interaktionsdynamiken zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden“ ein Konzept vor, mittels dessen die Interaktionen zwischen Führenden und Mitarbeiter/-innen wechselseitig analysiert werden, wobei auch Kontextfaktoren berücksichtigt werden. Dieser mehrperspektivische Analyserahmen zielt auf die Entwicklung von Kohärenzerleben am Arbeitsplatz.

Der Beitrag von Paul Constantin Endrejat und Simone Kauffeld ist innovationshindernden und -fördernden Denkweisen in Unternehmen gewidmet. Ausgehend von der Unterscheidung analytisch-deduktiver und abduktiv-hypothesenbildender Organisationskulturen wird zunächst untersucht, warum viele Organisationen deduktive Schließprozesse bevorzugen, wenngleich abduktive Prozesse der Problemlösung innovationsförderlicher sind.

Die Rubrik Aktuelles ergänzt in diesem Heft zunächst den Thementeil, indem die in den Beiträgen eingenommenen Perspektiven erweitert werden durch ein Interview zum Umgang mit der Integration von Geflüchteten in Arbeitsprozesse eines führenden deutschen Automobilunternehmens. Des Weiteren werden in dieser Rubrik Forschungsperspektiven von Studierenden der Erziehungswissenschaft aufgezeigt, die in einem universitären Seminar zum Umgang mit Flucht und Migration entstanden sind. Diese Perspektiven zeigen verschiedene Forschungsfragen auf, denen in Zukunft nachgegangen werden sollte.

Der letzte Beitrag in der Rubrik Aktuelles eröffnet eine neue Textsorte in unserer jungen Zeitschrift: eine Replik. Gerhard Fatzer formuliert unter dem Titel ‚Die Kunst des vorurteilsfreien Fragens oder „Auf dem Weg zu einer neuen Unternehmenskultur“ – notwendige Anmerkungen zu Ed Scheins „Humble Inquiry“ (EHP 2016)‘ einige Antworten auf Einschätzungen von Karin Lackner zum „Humble Inquiry“, einer vorurteilsfreien Frageform, die von Edgar H. Schein in dem gleichnamigen Buch beschrieben wurde. Der Beitrag von Karin Lackner wurde im ersten Heft der GIO (2016) publiziert.

Wieder zur Thematik des Themenheftes zurückführend endet das Heft mit einer „Rezension zu Dima Zito & Ernest Martin (2016). Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen. Ein Leitfaden für Ehrenamtliche und Fachkräfte. Weinheim: Beltz Juventa“. Dieses rezensierte Buch reagiert ausgehend auf einer verständlichen Einführung in die Thematik von Flucht und Traumatisierung auf die aktuellen Bedarfe Geflüchteter mit sehr konkreten Methodenhinweisen.

Insgesamt schlägt der Thementeil dieses Heftes einen großen Bogen, der gruppendynamische Überlegungen ebenso erörtert wie er die Herausforderungen im Umgang mit Flucht und Migration für Bildungsinstitutionen reflektiert. Abschließend werden erste berufsfeldintegrierende Maßnahmen gewürdigt. Allen Beiträgen gemein ist, dass sie weitere Forschungsperspektiven erkennen lassen, denen in nächster Zeit nachzugehen sein wird. Die Hauptbeiträge befassen sich mit wesentlichen Fragen der Entwicklung von Organisationen, die wiederum im Hinblick auf den Umgang mit Flucht und Migration relevant sein können. In der Rubrik Aktuelles werden anwendungs- sowie forschungsorientierte Anliegen konkretisiert. Dieses Repertoire an Zugängen führt hoffentlich zur Entwicklung weiterer Untersuchungs- und Reflexionsimpulse für Praktiker/-innen ebenso wie für Forscher/innen.

Telse Iwers-Stelljes