Zusammenfassung
Die Systemtheorie Niklas Luhmanns hat sich zu einer Leittheorie des systemischen Managements und der systemischen Beratung entwickelt. Dabei wird vielfach von einer Eins-zu-eins-Übersetzung einer wissenschaftlichen Theorie in die organisationale Praxis ausgegangen. Eine zentrale Einsicht der Systemtheorie ist aber gerade, dass sie sich dieser simplifizierenden Übertragungslogik von Theorie in Praxis grundlegend entzieht. In der systemischen Beratung und dem systemischen Management ist es – so die These des Artikels – zu einer Trivialisierung der Systemtheorie gekommen. Die Systemtheorie verkommt in der Praxis zu einem Instrument der Kompetenzdarstellung, ohne dass dabei bemerkt wird, dass als systemisch verkaufte Postulate wie Ganzheitlichkeit, Authentizität oder Wertschätzung der Stoßrichtung der soziologischen Systemtheorie zuwiderlaufen.
Abstract
Niklas Luhmann’s systems theory has developed into a leading theory of systemic management and systemic consulting. Here, a one-to-one translation of a scientific theory into organizational practice is often assumed. However, an essential understanding of systems theory is that it is actually withdrawing from the simplifying transference logic of “theory into practice.” According to the article, in both systemic consulting and systemic management, a point of trivialization in regard to systems theory has been reached. In practice, systems theory is relegated to an instrument of competence depiction, while postulates made to pass off as systemic—such as Holism, Authenticity or Appreciation—run unnoticed against the stream of sociological systems theory.
Notes
Eine ähnliche Debatte findet – unter anderen Vorzeichen – zurzeit unter dem Stichwort „Relevanz“ versus wissenschaftlicher „Rigorisität“ in den Management Studies statt. Siehe nur beispielhaft Whitley (1984); Rynes et al. (2001); Cohen (2007) und Bartunek und Rynes (2014). Es fällt auf, dass die Referenzen auf die Systemtheorie dabei eher die Ausnahme sind; siehe dafür Ernst und Kieser (2002); Nicolai (2004); Kieser und Leiner (2009); Nicolai und Seidl (2010).
Die systemische Welt ist noch sehr viel bunter als sie hier in aller Kürze dargestellt werden kann. Die unkontrollierte Ausdehnung ähnelt dabei der Expansion des Begriffs des Coachings. Weil der Begriff „systemisch“ einen Ansatz beschreibt und der des „Coachings“ ein Tätigkeitsfeld fällt die Expnasion in solchen Begriffen wie „sysemisches Lebens-Coaching“ oder „systemisches Hund-Coaching“ nicht selten zusammen.
Zur Rezeption der Systemtheorie durch Systemike fehlen noch – von wenigen Ausnahmen abgesehen – noch ausführliche empirische Studien. Interessant wären dabei nicht nur Studien über die Rezeption der Systemtheorie in der Literatur (siehe Krizanits (2007)) sondern besonders auch über Spuren der Systemtheorie in Beratungsprojekten. Als Beispiel für solche empirischen Studien über konkrete Beratungsinterventionen siehe z. B. Dörr (2009) oder Franzke und Schauf (2009).
Ich verzichte hier auf ausführliche Belege dieser Fusionen von Theorie und Praxis. Es gibt genug und sie werden in der an Praktiker gerichteten Literatur auch konsequenterweise nicht thematisiert. Problematisch ist jedoch, wenn die wissenschaftliche Kontrollmechanismen nicht funktionieren und die Theorie-Praxis-Differenz bei Überblicksartikeln zu Rezeption der Systemtheorie von „Organisationstheorie, Management und Beratung“ einfach ignoriert wird (siehe die auffällige Fusion bei Wimmer (2012)).
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Kühl, S. Die fast unvermeidliche Trivialisierung der Systemtheorie in der Praxis. Gruppendyn Organisationsberat 46, 327–339 (2015). https://doi.org/10.1007/s11612-015-0286-2
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