1 Einleitung

Seit Greta Thunbergs erstem Protest in Stockholm im August 2018 ist eine wachsende Institutionalisierung von Fridays for Future (FFF) sowohl als globale als auch als „kosmopolitische“ (Beck 2007, S. 110 ff.) Bewegung für den Klimaschutz zu beobachten, die in bislang ungeahnter Weise Menschen mobilisierte und die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Gefahren des Klimawandels lenken konnte (Laux 2021, S. 416 ff.).Footnote 1 Zuerst durch allwöchentliche Schulstreiks, die sich als Protestform schnell weltweit ausbreiteten, und dann im Zuge von bislang insgesamt zwölf globalen Klimastreiks (Stand August 2023) hat sich die Bewegung mittlerweile institutionalisiert und gar eine „new generation of climate activists“ (Wahlström et al. 2019, S. 18) hervorgebracht (Haunss et al. 2019, S. 69 f.; Rucht und Rink 2020, S. 96 ff.), die, so diagnostiziert jüngst Staab (2022, S. 130), die „politische Speerspitze einer im Kern adaptiven Lebensweise“ bildet.

Den bisherigen Höhepunkt der Bewegung stellt der dritte globale Klimastreik vom 20. bis 27. September 2019 mit über 6 Millionen Teilnehmer:innen weltweit und mit mehr als 6000 Protestaktionen in 185 Staaten dar (350.org 2019). In Deutschland war die Klimaschutzbewegung besonders erfolgreich: So nahmen im September 2019 1,4 Millionen Menschen am Klimastreik teil, so viel wie in keinem anderen Land der Welt, und zum vierten globalen Klimastreik am 29. November 2019 fanden sich bundesweit (immerhin) 630.000 Teilnehmer:innen ein (Rucht und Rink 2020, S. 98). Zu beiden Klimastreiks konnten deutschlandweit somit jeweils wesentlich mehr Menschen mobilisiert werden als zum Anti-TTIP-Protest am 15. Oktober 2015 (zwischen 150.000 und 250.000 Teilnehmer:innen; Daphi et al. 2015, S. 1) oder zum Protest gegen den Irakkrieg am 15. Februar 2003 (500.000 Teilnehmer:innen; Verhulst 2010, S. 15).

Trotz der starken Protestbeteiligung im Jahr 2019 waren und sind die Erwartungen hinsichtlich der weiteren Entwicklungen der Klimastreiks von Skepsis geprägt, was wohl auch auf den Rückgang der Proteststärke – wenn auch auf sehr hohem Niveau – zwischen dem dritten und vierten Klimastreik zurückzuführen ist: So weisen etwa Rucht und Rink (2020, S. 99) auf eine zu beobachtende Überlastung und die daraus resultierende „Erschöpfung“ der Aktivist:innen hin, während Thompson (2020, S. 225) eine zunehmende „Resignation“ aufgrund eines bislang ausgebliebenen klimapolitischen Wandels feststellt (Hunger und Hutter 2021, S. 222). Zudem nahm im Laufe des Jahres 2019 der Anteil neuer jugendlicher Protestteilnehmer:innen ab, wobei sich die Bewegung zeitgleich für ältere Unterstützer:innen öffnete (Rucht und Rink 2020, S. 107, 112; Sommer et al. 2020, S. 51 f.). Daneben nährten die Coronapandemie sowie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine neuen Zweifel an weiteren Mobilisierungserfolgen der Klimaschutzbewegung. Die Lockdowns zur Eindämmung der Pandemie schränkten die Zivilgesellschaft im Allgemeinen, und damit auch die Klimaschutzbewegung in ihren Handlungs- und Aktionsmöglichkeiten ein, vor allem durch die verhängten Kontakt- und Versammlungsverbote (Hutter et al. 2021, S. 9 f.; Rucht und Rink 2020, S. 99). Um den damit verbundenen Verlust des „Zugang[s] zum öffentlichen Raum“ (Hunger und Hutter 2021, S. 219) zu kompensieren, wandelte sich das Protestrepertoire von FFF temporär verstärkt hin zum Online-Aktivismus, womit jedoch weniger Menschen mobilisiert werden konnten (ebd., S. 231).

Zudem verdrängten die Coronapandemie sowie der Krieg in der Ukraine den Klimawandel teilweise von den medialen und politischen Agenden (ebd., S. 219; Porta 2022). Trotz der rückläufigen Entwicklung der Klimaschutzbewegung ist sie jedoch nicht verschwunden. So nahmen deutschlandweit 280.000 Menschen am elften globalen Klimastreik (23.09.2022) teil (MDR 2022), und laut der aktuellen „Mitte-Studie“ ist für 70 % der deutschen Bevölkerung der Klimawandel immer noch „eine große Bedrohung für das Land“ (Reusswig und Küpper 2023, S. 295).

Vor dem Hintergrund dieser ambivalenten Diagnosen und Tendenzen bezüglich der Entwicklung der Klimaschutzbewegung untersucht diese Studie explorativ, wie sich die Größe, die Dynamik, die Stabilität, die Diversität sowie die räumliche Ausbreitung der Klimabewegungsindustrien in Deutschland zwischen September 2019 und September 2022 entwickelt haben. Im Fokus der empirischen Analyse stehen die Bewegungsindustrien der Klimastreiks in Deutschland, weil soziale Bewegungen für ihr Entstehen und ihre Institutionalisierung auf Ressourcen angewiesen sind, die zumeist von Organisationen bereit und auf Dauer gestellt werden (Jenkins 1983; vgl. Kern 2008, S. 122 ff.). Die Bewegungsindustrie bzw. „social movement industry“ bezeichnet nach McCarthy und Zald (1977, S. 1219) die gesamten „SMOs [social movement organizations, T. L.] that have as their goal the attainment of the broadest preferences of a social movement“. Die Bewegungsindustrie ist das organisationale Gegenstück einer sozialen Bewegung und umfasst die Gesamtheit aller Organisationen, die eine Bewegung arbeitsteilig mit der Bereitstellung verschiedener notwendiger Ressourcen unterstützen (ebd.; Edwards und McCarthy 2004, S. 136 f.; Zald und McCarthy 1979, S. 15). Ebendiese organisationale Basis und ihre Ressourcen stellen eine „INUS“-Bedingung (Mackie 1974, S. 62) für erfolgreiche Mobilisierungsprozesse und ihre Erklärung dar (Edwards und McCarthy 2004, S. 116; Jenkins 1983, S. 532 f.; Rucht und Neidhardt 2007, S. 648).Footnote 2 Die von der Bewegungsindustrie bereitgestellten Ressourcen aus der Zivilgesellschaft sind für die Mobilisierung einer sozialen Bewegung in gesellschaftlichen Krisen, wie etwa der Coronapandemie sowie dem russischen Angriff auf die Ukraine, noch einmal stärker umkämpft.

Studien zu Fridays for Future in Deutschland fokussierten sich bislang auf die spezifischen Gelegenheitsstrukturen für den Erfolg der Klimaschutzbewegung (Haunss et al. 2019, S. 69; Laux 2021, S. 426 f.), ihr Framing (Rucht 2019; Rucht und Sommer 2019; Svensson und Wahlström 2023; Zabern und Tulloch 2021) sowie die sozialstrukturellen und kulturellen Merkmale ihrer Protestteilnehmer:innen (Daphi et al. 2021; Sommer et al. 2020; Wahlström et al. 2019). Über die Bewegungsindustrien der Klimastreiks in Deutschland liegen trotz ihrer zentralen Bedeutung für die Protestmobilisierung und die Institutionalisierung der Bewegung bislang noch keine systematischen Analysen vor. Diese Forschungslücke hinsichtlich der Einbettung von Fridays for Future auf der gesellschaftlichen Mesoebene soll nun im Folgenden mit dem Fokus auf Organisationen bearbeitet werden, die finanzielle Ressourcen für die Klimastreiks bereitgestellt haben. Somit wird ein höchst relevanter Teil der Bewegungsindustrien der Klimastreiks untersucht, der sich vor allem aus etablierten Organisationen der deutschen Zivilgesellschaft zusammensetzt (für weitere Details siehe Abschnitt 3.1). Die organisationale Basis von Protesten ist nicht nur hinsichtlich der Ressourcenmobilisierung relevant, sondern verweist auch auf die gesellschaftliche Einbettung der Bewegung, d. h. aus welchen Bereichen, z. B. Umweltschutz, Bildung und Forschung, Religion oder Kunst und Kultur, die Bewegung durch die Bewegungsindustrie Unterstützung erfährt. Die Datengrundlage der empirischen Analyse bilden die Angaben zu den Mitgliedern des Bündnisses Klimastreik, die insgesamt 421 Organisationen umfassen, die die acht Klimastreiks in Deutschland zwischen September 2019 und September 2022 unterstützt haben.

Ausgehend von der Taxonomie des Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project (Salamon und Anheier 1992; vgl. Anheier et al. 2000; Strachwitz et al. 2020, S. 58 ff., 106 ff.) werden die Akteure der ausgewählten Bewegungsindustrien unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen zugeordnet, was Rückschlüsse auf die Breite der gesellschaftlichen Einbettung der Klimastreiks auf der Mesoebene und ihre sich verändernde Diversität erlaubt (Abschn. 3.2 und 3.3). Die Informationen über die Bewegungsindustrie zu acht Klimastreiks ermöglichen es zudem, ihre Stabilität und ihre Dynamik sowie den Wandel der räumlichen Ausbreitung zu ermitteln. Gerade der räumliche Kontext prägt, wie etwa Studien zu den Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie (Frei und Nachtwey 2021) zeigen, in einem nicht unerheblichen Maße die Mobilisierungsprozesse und führt zu interessanten regionalen Unterschieden (Abschn. 3.4). Die Studie möchte damit zu einem besseren Verständnis der Mobilisierung zu den Klimastreiks in Deutschland beitragen und zugleich über die lokalen Bedingungen dieser globalen Bewegung aufklären, da das Globale „stets im lokalen Kontext […] situiert“ ist (Nassehi 1998, S. 154; vgl. Laux 2021, S. 417 f.).

2 Die Institutionalisierung der Klimaschutzbewegung in Deutschland: Forschungsperspektiven und bisherige Erkenntnisse

Die Entstehung und Institutionalisierung einer sozialen Bewegung ist grundsätzlich von verschiedenen zusammenwirkenden Prozessen und Bedingungen abhängig.Footnote 3 Ausgehend davon haben sich in der Bewegungsforschung verschiedene Ansätze etabliert, die aus unterschiedlichen Perspektiven die jeweiligen Bedingungskonstellationen für Mobilisierungsprozesse näher untersuchen (vgl. Kern 2008, S. 111 ff.; McAdam et al. 2001, S. 14 ff.): Dazu zählen (i) Framingprozesse, die sowohl die gesellschaftliche Problemwahrnehmung als auch die Identität der Bewegung prägen, die (ii) gesellschaftlichen und politischen Gelegenheitsstrukturen für die Herausbildung sozialer Bewegungen sowie (iii) die Prozesse der Ressourcenmobilisierung.

Im Folgenden werden zunächst die unterschiedlichen Forschungsperspektiven skizziert und die damit gewonnenen Erkenntnisse zur Entstehung und Institutionalisierung von Fridays for Future sowie zu den Klimastreiks dargelegt. Anschließend wird die bislang nicht hinreichende beachtete organisationale Basis der Klimaschutzbewegung sowie, damit einhergehend, ihre gesellschaftliche Einbettung diskutiert.

Mit dem (i) Framing-Ansatz wird untersucht, wie die Ziele und Forderungen einer sozialen Bewegung mit den Einstellungen und Deutungen von potenziellen Unterstützer:innen verbunden werden, um diese zu mobilisieren (Snow et al. 1986, S. 464). Mittels Framingprozessen werden also Bedeutungen geschaffen und miteinander verknüpft, was auch die kollektive Identität einer Bewegung prägt (Benford und Snow 2000, S. 614, 631 f.).Footnote 4 Zum Framing der Klimaschutzbewegung wurde bislang herausgearbeitet, dass sie sich als Stimme der Klimawissenschaften versteht und dies auch so kommuniziert (Rödder und Pavenstädt 2022, S. 34 ff.). Die Proteste betonen vor allem die drastischen Folgen des Klimawandels, die letztlich auf ein Versagen der politisch Verantwortlichen zurückzuführen seien. Vor diesem Hintergrund müsse nun, so die Selbstwahrnehmung von FFF, die Jugend den politischen und gesellschaftlichen Wandel anführen und gestalten (Rucht und Sommer 2019). Letztere Aussage betont einen intergenerationalen Konflikt, der auch in der medialen Berichterstattung über die Klimaproteste häufig aufgegriffen wird (Zabern und Tulloch 2021, S. 41). Hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen herrscht jedoch Uneinigkeit in der Bewegung: Während die Mehrheit der Protestteilnehmer:innen befürwortet, dass die Politik nun endlich zur Abmilderung des Klimawandels aktiv werden soll, sieht eine kleinere, aber aktivere Gruppe die Lösung in einem Systemwandel in Politik und Wirtschaft (Svensson und Wahlström 2023, S. 18). Diese unterschiedlichen Lösungsvorstellungen sprechen unterschiedliche soziale Gruppen an und wirken damit mobilisierungsfördernd, bergen aber auch ein gewisses Konfliktpotenzial innerhalb der Bewegung. Trotz vermeintlicher Konflikte ist die Bewegung insgesamt von einer inklusiven kollektiven Identität mit durchlässigen Grenzen für neue Unterstützer:innen und Aktivist:innen geprägt (Laux 2021, S. 416).

Der (ii) Ansatz der Gelegenheitsstrukturen geht darauf ein, dass sich soziale Bewegungen in spezifischen politischen und kulturellen Kontexten herausbilden, die ihre Entstehung, ihre Institutionalisierung und ihre Wirkung mitbestimmen (Kern 2008, S. 153 ff.; Kitschelt 1986, S. 57 f.). Im Fokus stehen somit „Pullfaktoren“ (Kern 2008, S. 153), die unter anderem im politischen System zu verorten sind, etwa hinsichtlich der Offenheit der Politik gegenüber den Ansprüchen der Bürger:innen (Eisinger 1973). Der kulturelle Kontext ist ebenfalls zu beachten: z. B. Übereinstimmungen zwischen den Wertorientierungen der Bewegung und in der Gesellschaft (Kern 2008, S. 165 ff.; Kitschelt 1986, S. 61 f.). Zudem bieten auch die Öffentlichkeit und die Medien in Form „diskursiver Gelegenheitsstrukturen“ (Koopmans und Olzak 2004) förderliche Bedingungen für die Entstehung von Protest und die Institutionalisierung sozialer Bewegungen (Rucht 1994, S. 338).Footnote 5 In diesem Sinne sind die Proteste gegen die Abholzung des Hambacher Forsts im September 2018 als Vorläufer für die Entstehung von Fridays for Future in Deutschland zu verstehen, da damit die Aktivist:innen und Unterstützer:innen (weiter) politisiert wurden und sie die Themen Umwelt- und Klimaschutz noch stärker auf die öffentliche Agenda brachten (Haunss et al. 2019, S. 69; Rucht 2019, S. 5). Darüber hinaus legitimierte der in den Medien kommunizierte wissenschaftliche Konsens zu den Ursachen und Folgen des Klimawandels die Anliegen der Klimaschutzbewegung und beförderte damit die Proteste (Kern und Opitz 2021, S. 311).Footnote 6 Weitere Legitimität erwuchs aus der Forderung nach der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens, zu der sich seit 2015 185 Staaten verpflichtet haben (Laux 2021, S. 417). Zudem spielte für die starke Mobilisierung zum Klimastreik in Deutschland das hohe Vertrauen in die Umweltbewegung eine wichtige Rolle. Die Institutionalisierung von FFF geht somit auch auf Pfadabhängigkeiten und den Erfolg früherer Mobilisierungen zurück (ebd., S. 426 f.). Letzteres zeigt sich unter anderem darin, dass die Protestteilnehmer:innen Umweltorganisationen als äußerst vertrauenswürdig ansehen (Sommer et al. 2020, S. 56).

Für die Entstehung und Institutionalisierung sozialer Bewegungen sind (iii) Ressourcen eine weitere Bedingung, um das mit Protest verbundene sogenannte „Kollektivgutproblem“ (Olson 1976) zu lösen (Edwards und McCarthy 2004, S. 116; Jenkins 1983, S. 532; McCarthy und Zald 1977, S. 1216). Der Ressourcenmobilisierungsansatz fokussiert sich auf die vielfältigen „instrumentellen Handlungsressourcen“ (Kitschelt 1999, S. 148, Hervorh. im Orig.) sozialer Bewegungen, die auf unterschiedliche Weise bereitgestellt werden (vgl. Edwards und McCarthy 2004, S. 125 ff.; Kern 2008, S. 123 ff.). Aus dieser Perspektive sind Protestteilnehmer:innen vor allem Träger:innen von Ressourcen (Oliver et al. 1985, S. 528). Um Protest und Engagement für Kollektivgüter zu erklären, weist Elster (1989, S. 186 ff.) auf die zentrale Bedeutung pluraler Handlungsorientierungen hin, die in ihrem Zusammenwirken zur Entstehung von Protest und zu kollektivem Handeln führen. Neben unterschiedlichen Handlungsmotiven machen Oliver et al. (1985, S. 529 f.) auf den Einfluss von Ressourcenheterogenität unter den Protestteilnehmer:innen für die Entstehung einer „kritischen Masse“ aufmerksam. Studien zu den Protestteilnehmer:innen der Schul- und Klimastreiks weisen auf deren zunehmende sozialstrukturelle Heterogenität hin. Zwar ist die Mehrheit der Protestierenden jung, weiblich und verortet sich selbst eher im linken politischen Spektrum (Daphi et al. 2021, S. 449; Sommer et al. 2020, S. 57), jedoch wandelte sich im Laufe des Jahres 2019 die Altersstruktur der Protestierenden, und zunehmend mehr ältere Menschen (> 26 Jahre) nahmen an den Klimastreiks teil (Rucht und Rink 2020, S. 107; Sommer et al. 2020, S. 28 f.).

Neben den Aktivist:innen und Protestteilnehmer:innen spielen für die Mobilisierung von FFF und der Klimastreiks das Internet, soziale Medien und digitale Kommunikationstechniken, und hier vor allem WhatsApp-Gruppen, eine wichtige Rolle (Laux 2021, S. 428 f.; Rucht und Rink 2020, S. 105; Wahlström et al. 2019, S. 12 f.). Die Technik wird dabei gezielt in die Organisation und Kommunikation der Protestaktivitäten eingebunden und bildet eine der „Infrastrukturen“ der Offline-Mobilisierung (Dolata und Schrape 2014, S. 20). Aufgrund der Coronapandemie nahm diese Bedeutung noch zu, gerade für die Mobilisierung des Online-Klimastreiks am 24.04.2020 (Hunger und Hutter 2021, S. 218 f.). Jedoch erschloss der Online-Protest keine neuen Bevölkerungsgruppen für die Klimaschutzbewegung, stattdessen gleichen die Einflussfaktoren der Online-Mobilisierung jenen der Offline-Proteste (ebd., S. 231).Footnote 7

Trotz der zweifellos zunehmenden Bedeutung des Internets, der sozialen Medien und der digitalen Kommunikationstechnik für soziale Bewegungen bildeten sich keine eigenständigen Online-Mobilisierungsdynamiken heraus. Aus Sicht des Ressourcenmobilisierungsansatzes ergänzt die Online-Infrastruktur lediglich die organisationale Basis sozialer Bewegungen, gerade wenn es um ihre Institutionalisierung geht (Earl 2015, S. 48 f.). Die zentrale Bedeutung von Organisationen für soziale Bewegungen ist eine Grundannahme des Ressourcenmobilisierungsansatzes. Demnach bestehen die Leistungen von Organisationen in der vielfältigen Bereit- und Auf-Dauer-Stellung von Ressourcen, etwa in Form von finanzieller, personeller, ideeller oder logistischer Unterstützung (Kern 2008, S. 128; McAdam 2003, S. 291; McCarthy und Zald 1977, S. 1218 f.). Dies geschieht sowohl durch die sogenannten „social movement organizations“ selbst (McCarthy und Zald 1977, S. 1218 f.) als auch durch etablierte zivilgesellschaftliche Organisationen des „Dritten Sektors“ (Anheier et al. 2000, S. 75) oder durch Initiativen bzw. Gruppen, die sich ggf. erst im Zuge der Institutionalisierung einer sozialen Bewegung gegründet haben (vgl. McAdam 2003, S. 292). Für die Klimaschutzbewegung und die Klimastreiks in Deutschland sind etwa der BUND, der NABU oder Greenpeace relevante Bewegungsorganisationen (Gentes et al. 2020, S. 165, 171; Rucht und Rink 2020, S. 105). Zudem werden die Klimastreiks von einer Vielzahl etablierter Akteure des Dritten Sektors mit Ressourcen unterstützt, was im Folgenden näher untersucht werden soll. Auch gründeten sich eine Vielzahl von „… for Future“-Gruppen (z. B. Scientists for Future, Teachers for Future etc.), um für die Schul- und Klimastreiks zu mobilisieren. Diese verschiedenen Organisationen und Gruppen bilden zusammen die „Bewegungsindustrie“ (McCarthy und Zald 1977, S. 1219; vgl. Jenkins 1983, S. 540). Die Mitglieder einer Bewegungsindustrie unterstützen dabei arbeitsteilig eine Bewegung und stellen dazu verschiedene Ressourcen bereit (Edwards und McCarthy 2004, S. 136 f.; Zald und McCarthy 1979, S. 15). Diese in der und durch die Bewegungsindustrie stattfindenden Kooperationen zwischen den unterstützenden Organisationen sind grundlegend für soziale Bewegungen und ihre Mobilisierungsprozesse (Rucht 2004, S. 203). Trotz ihrer zentralen Bedeutung für die Institutionalisierung einer sozialen Bewegung liegen bislang zur Klimaschutzbewegungsindustrie in Deutschland keine Studien und Erkenntnisse vor.

Im Rahmen dieser Studie soll nun jener Teil der Bewegungsindustrie in den Analysefokus genommen werden, der finanzielle und weitere wichtige Ressourcen für die Klimastreiks bereitstellt. Die bislang fehlende Beachtung der organisationalen Ebene ist umso bemerkenswerter, als sich über die Bewegungsindustrie – ihre Diversität, ihre Stabilität, ihre Dynamik und ihre räumlichen Schwerpunkte – Rückschlüsse auch auf die gesellschaftliche Einbettung der Klimaschutzbewegung ziehen lassen. Die organisationalen Akteure der Bewegungsindustrie sind zum einen wichtige Quellen für Ressourcen dieser sozialen Bewegung, zum anderen sind sie über ihre Mitglieder, ihr Handeln und ihre Leistungen in der Gesellschaft verankert (Edwards und McCarthy 2004, S. 141 f.; Kern 2008, S. 131).

Für die Analyse der Bewegungsindustrie schließt diese Studie an Breigers (1974) netzwerkanalytischer Weiterentwicklung der Simmel’schen Analyse von Individualität als das Ergebnis der „Kreuzung sozialer Kreise“ an (Simmel 1989, S. 237 ff.; vgl. Diani 2000, S. 394). Die gemeinsame Mitgliedschaft in der Bewegungsindustrie stiftet einerseits soziale Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Organisationen. Andererseits, und darauf liegt im Folgenden ein Fokus, lässt sich über die Tätigkeitsbereiche der Mitglieder und die Größe der Bewegungsindustrie die gesellschaftliche Einbettung der Klimastreiks näher bestimmen (Breiger 1974, S. 184; Diani 2000, S. 389; vgl. Kern und Nam 2009, S. 644 ff.).Footnote 8 Zudem können auf dieser Grundlage die Dynamik der organisationalen Basis, der Anteil von Bewegungsorganisationen sowie die räumlichen Schwerpunkte der Bewegungsindustrie ermittelt werden.

Diese organisationsbezogene Analyseperspektive ist somit komplementär zu den Studien über die Protestteilnehmer:innen und ermöglicht neue Einsichten in die Struktur der Klimaschutzbewegung und ihrer Einbettung auf der gesellschaftlichen Mesoebene (Diani 2000, S. 400; McAdam 2003, S. 284). Der Fokus auf Organisationen als Mitgliedern der Bewegungsindustrie folgt der Diagnose der „Organisationsgesellschaft“, nach der „formale Organisationen“ nicht nur in nahezu allen „Lebensbereiche[n]“ und gesellschaftlichen Wertsphären dominant sind (Schimank 2005, S. 19), sondern gerade auch in der Zivilgesellschaft und für soziale Bewegungen wichtige Akteure darstellen (vgl. Anheier et al. 2000; McCarthy und Zald 1977).

3 Analyse der Klimaschutzbewegungsindustrie

3.1 Datenbasis und Vorgehen

Die Grundlage für die Untersuchung der Bewegungsindustrien der Klimastreiks in Deutschland bilden Informationen zum Bündnis Klimastreik (klima-streik.org), das selbst keine Klimastreiks organisiert, diese aber mit finanziellen Mitteln für die Produktion von Plakaten, Flyern, Kampagnen, Anzeigen etc. zum Zweck der Mobilisierung unterstützt.Footnote 9 Das Bündnis stellt also im Wesentlichen finanzielle Ressourcen für die Klimastreiks bereit, mobilisiert für sie und legitimiert auch aufgrund des Ansehens seiner Mitglieder die Proteste. Das Bündnis gründete sich im Vorfeld des dritten Klimastreiks im September 2019. Mitglieder des Bündnisses sind zivilgesellschaftliche Akteure, die in der Lage sind, solche finanziellen Ressourcen bereitzustellen. Die Mitgliedschaft im Bündnis ist nicht an eine feste Summe gebunden, sondern orientiert sich an den finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Organisation.

Das Bündnis umfasst sowohl Organisationen aus der Umweltbewegung, z. B. BUND, Greenpeace, NABU und WWF, als auch zivilgesellschaftliche Akteure aus anderen Tätigkeitsbereichen, wie etwa Campact und Avaaz, sowie Gewerkschaften und Kirchen.Footnote 10 Das ebenfalls zur Unterstützung der Klimaschutzbewegung gegründete For Future Bündnis (for-future-buendnis.de) versammelt hingegen die erst im Zuge des Aufstiegs von FFF neu entstandenen Initiativen bzw. Graswurzelgruppen und dient vornehmlich der Vernetzung für die lokale Organisation der Klimastreiks. Zwischen den beiden Bündnissen gibt es enge Verbindungen sowie ein arbeitsteiliges Verhältnis, in dem das hier untersuchte Bündnis Klimastreik vor allem für die Bereitstellung finanzieller Ressourcen verantwortlich ist. Gleichwohl sind die Grenzen zwischen den beiden Bündnissen durchaus fließend. So ist etwa Scientists for Future Mitglied in beiden Bündnissen, was auf deren Professionalisierung hinweist. Neben den beiden genannten Bündnissen zeichnen noch eine Vielzahl weiterer lokaler Initiativen, Gruppen und Organisationen für die Mobilisierung und Durchführung der Klimastreiks verantwortlich. Sie alle sind Teil der Bewegungsindustrie der Klimastreiks in Deutschland.

Im Rahmen dieser Studie wird nur das Bündnis Klimastreik näher untersucht, weil es mit der Bereitstellung finanzieller Ressourcen einen zentralen Beitrag für die Mobilisierung der Klimastreiks leistet. Da das Bündnis etablierte zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland umfasst, kann die Studie Hinweise über die Dynamik und das Ausmaß der Unterstützung der Klimaschutzbewegung durch den Dritten Sektor als dem „institutionellen Kern der Zivilgesellschaft“ (Anheier et al. 2000, S. 76) geben. Die Fokussierung auf das Bündnis Klimastreik geht auch auf eine forschungspragmatische Überlegung zurück, denn das Bündnis Klimastreik formierte für die nachfolgend untersuchten acht Klimastreiks zwischen September 2019 und September 2022 jeweils einen Koordinations- und einen Unterstützungskreis.Footnote 11 Hierbei kann jede Organisation entscheiden, ob sie Mitglied in einem der beiden Kreise sein möchte oder nicht. Über die Mitgliedschaft der Organisationen in den Unterstützungs- bzw. Koordinationskreisen wurden die Bewegungsindustrien der acht Klimastreiks zwischen September 2019 und September 2022 ermittelt. Entsprechend handelt es sich nicht um eine vollständige Erfassung der Bewegungsindustrie der jeweils ausgewählten Klimastreiks. Wohl aber konnte auf diese Weise ganz im Sinne des Ressourcenmobilisierungsansatzes die organisationale Basis für die Bereitstellung wichtiger finanzieller Ressourcen dokumentiert werden.

Insgesamt waren 421 fast ausschließlich der Zivilgesellschaft zuzuordnende Organisationen als Teil des Bündnisses für die acht Klimastreiks aktiv. Der gewählte Analysezeitraum von September 2019 bis September 2022 umfasst den bisherigen Höhepunkt der Klimaschutzbewegung in Deutschland im September 2019, die Coronapandemie ab März 2020 sowie den Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse stellt sich die Frage nach der Entwicklung der organisationalen Basis der Klimastreiks (ihre Größe, ihre Dynamik und ihre Stabilität), gerade weil die Zahl der Protestteilnehmer:innen stark schwankte, was nicht zuletzt auf die zum Teil eingeschränkten Protestmöglichkeiten durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie zurückzuführen ist. So fand etwa der Klimastreik am 24.04.2020 nur digital statt, während der Streik am 22.10.2021 auf Berlin beschränkt blieb. Gerade auch im Hinblick auf diese Besonderheiten ist es von Interesse, ob und ggf. inwieweit sich die Bewegungsindustrien entwickelt haben.

Neben der quantitativen Vermessung der Klimaschutzbewegungsindustrie zwischen September 2019 und September 2022 werden mittels der International Classification of Nonprofit Organizations (ICNPO) des Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project (Salamon und Anheier 1992) die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche der Mitgliedsorganisationen erfasst. Die Klassifikation wurde ursprünglich entwickelt, um die Struktur des Dritten Sektors international vergleichend zu erheben und damit Zivilgesellschaften empirisch zu erfassen (Anheier et al. 2000, S. 71; vgl. Strachwitz et al. 2020, S. 58 ff.). Sie eignet sich auch, um die Bewegungsindustrien hinsichtlich der Tätigkeitsbereiche der unterstützenden Organisationen zu vermessen.Footnote 12 Damit lässt sich ermitteln, welche Unterstützungsbasis aus der etablierten und organisierten Zivilgesellschaft für die Klimaschutzbewegung besteht und wie sich diese ggf. gewandelt hat. Auf der Grundlage der Informationen zu den Mitgliedern der Bewegungsindustrie werden sie anhand ihres Tätigkeitsbereichs den Kategorien der ICNPO zugeordnet. Diese Informationen erlauben über die zeitliche Entwicklung hinaus auch die Breite der gesellschaftlichen Einbettung der Klimastreiks zu erfassen. Hierzu wird für die Bewegungsindustrie jedes Klimastreiks der „Lieberson-Index“ berechnet, um den Wandel der kategorialen Diversität zu bestimmen (Diaz-Bone 2019, S. 52 ff.; Lieberson 1969, S. 850 ff.).Footnote 13 Der Lieberson-Index erfasst die „Unterschiedlichkeit der Ausprägungen als qualitative Variation“ (Diaz-Bone 2019, S. 52; Hervorh. weggel.), wobei das Maximum an Diversität bei einer Gleichverteilung der relativen Häufigkeiten der Kategorien in der untersuchten Population vorliegt (ebd., S. 53). So lässt sich ermitteln, ob, und wenn ja, inwieweit sich die Diversität und damit die Breite der gesellschaftlichen Einbettung in der Zivilgesellschaft zwischen 2019 und 2022 verändert haben.

Daneben wird über den regionalen Sitz der Mitglieder der Klimaschutzbewegungsindustrie die räumliche Unterstützungsstruktur der Klimastreiks erfasst. Auch hierzu werden mittels des Lieberson-Index Veränderungen im Zeitverlauf erfasst, um ggf. die Dynamik des räumlichen Wandels zu bestimmen.

3.2 Größe, Dynamik und Stabilität der Klimaschutzbewegungsindustrien

Die Größe der Bewegungsindustrie in den acht untersuchten Klimastreiks wurde anhand der Zahl der unterstützenden Organisationen ermittelt. Hierbei zeigt sich, dass ihre Zahl seit September 2019, dem bisherigen Höhepunkt der Klimaschutzbewegung, gesunken ist. Parallel dazu sank auch die Zahl der Teilnehmer:innen an den Klimastreiks, jedoch relativ gesehen in einem viel größeren Ausmaß (siehe Tabelle 1). Die Größe der jeweils aktiven Bewegungsindustrie schwankt, und es ist in der Tendenz ein leichter Rückgang festzustellen. Vor allem der digitale Klimastreik im April 2020 sowie der nur in Berlin durchgeführte Klimastreik im Oktober 2021 weisen deutlich kleinere Bewegungsindustrien auf, was sich jedoch wohl zum Teil auf die Spezifika der beiden Streiks zurückführen lässt. Trotzdem lässt sich die These einer zu beobachtenden „Phase des Abschwungs“ (Rucht und Rink 2020, S. 112) nicht wirklich belegen. Vielmehr scheint sich die Bewegungsindustrie im Jahr 2022 nach Beendigung der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie und trotz des Beginns des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stabilisiert zu haben.

Tab. 1 Größe der Bewegungsindustrien und Stärke der Proteste

Die Dynamik der Bewegungsindustrie wurde über den prozentualen Anteil von Organisationen erfasst, die zum ersten Mal einen Klimastreik unterstützen. Diese Angabe wurde für jeden der acht untersuchten Klimastreiks separat ermittelt, und sie zeigt, in welchem Ausmaß sich die organisationale Basis der Klimaschutzbewegung erweiterte bzw. erneuerte (siehe Tabelle 2). Die erste Angabe zum großen Klimastreik am 20.09.2019 ist (logischerweise) wenig aussagekräftig. Bei den folgenden Klimastreiks ist die Dynamik durchaus erheblich und schwankt beträchtlich. Der Klimastreik im November 2019 weist mit einem Anteil an neuen Organisationen von 24,5 % eine hohe Dynamik auf, was aber auch heißt, dass von den 252 Organisationen im September 2019 110 im November nicht mehr dabei waren. Diese Dynamik flaute jedoch mit dem Einsetzen der Coronapandemie und dem rein digitalen Klimastreik im April 2020 deutlich ab (8,4 % Neuzugänge an Organisationen). Bei den im September 2020 und im September 2021 wieder offline stattfindenden Klimastreiks lässt sich jedoch wieder eine hohe Dynamik in den Bewegungsindustrien (24 % bzw. 24,2 % Neuzugänge) feststellen, trotz andauernder Coronapandemie. Zum Klimastreik direkt vor der Bundestagswahl im September 2021 konnten auch wieder ausgesprochen viele Teilnehmer:innen mobilisiert werden (siehe Tabelle 1). Die Erneuerung der Bewegungsindustrien nahm im Oktober 2021 sowie im März 2022 stark ab (auf 3,4 % bzw. 4,2 % Neuzugänge), was im Falle des Klimastreiks im Oktober 2021 zum Teil auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass der Streik ausschließlich in Berlin stattfand. Zudem ist das Reservoir an mobilisierbaren neuen Organisationen natürlich nicht unerschöpflich. Zum Klimastreik am 23.09.2022 lässt sich jedoch wieder eine größere Dynamik feststellen, was womöglich mit der aktuell wieder verstärkt in den Fokus rückenden Frage nach der Zukunft der Energieerzeugung und ihren Auswirkungen auf den Klimawandel zu erklären ist. Die Coronapandemie sowie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben mit Blick auf die Bewegungsindustrien die Klimaschutzbewegung in Deutschland im Untersuchungszeitraum zwar durchaus beeinträchtigt, aber nicht gänzlich ausgebremst.

Tab. 2 Dynamik der Klimaschutzbewegungsindustrien (Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung)

Die Stabilität der Bewegungsindustrien wird anhand der Anzahl der Mitgliedschaften der Organisationen im Unterstützungs- und Koordinierungskreis der Klimastreiks erfasst. Das Maximum an Stabilität wäre gegeben, wenn immer dieselben Organisationen Mitglieder in den Bewegungsindustrien zu den acht Klimastreiks gewesen wären. Wie Tabelle 3 zeigt, trifft dies lediglich auf 21 Organisationen (d. h. 5 % der organisationalen Basis der Bewegung) zu. Zum stabilen Kern der Bewegungsindustrie werden im Folgenden Organisationen gezählt, die sechs oder mehr Klimastreiks unterstützt haben.Footnote 14 66 zivilgesellschaftliche Organisationen haben dies getan; der stabile Kern der Bewegungsindustrie macht also 15,7 % der gesamten organisationalen Basis der Klimastreiks aus. Aufgrund bislang fehlender Vergleichsfälle lässt sich leider nicht bestimmen, ob dieser Wert als hoch oder als gering einzustufen ist.

Tab. 3 Stabilität der Bewegungsindustrien zu den Klimastreiks (Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung)

Die Zahlen weisen auch eine hohe Fluktuation innerhalb der Bewegungsindustrie aus. So waren 142 Organisationen (33,7 %) nur einmal unterstützend für die Klimastreiks aktiv. Dies verweist nochmals auf die Dynamik in den Bewegungsindustrien, dass trotz des Ausscheidens von Unterstützern immer wieder neue zivilgesellschaftliche Organisationen zur Unterstützung mobilisiert werden konnten.

3.3 Die Diversität der Klimaschutzbewegungsindustrien

Die Kategorisierung der Bewegungsindustrien zu den acht Klimastreiks nach der ICNPO gibt Einblicke in die Tätigkeitsbereiche der organisationalen Basis der Klimaschutzbewegung (siehe Tabelle 4). Von Interesse ist hierbei, welche Rolle Bewegungsorganisationen spielen, in welchem Maß Organisationen, die erst im Zuge der Klimaschutzbewegung gegründet wurden, finanzielle Ressourcen bereitstellen und wie sich die Diversität der Bewegungsindustrie zwischen September 2019 und September 2022 entwickelt hat.

Tab. 4 Zusammensetzung und Wandel der Bewegungsindustrien nach Tätigkeitsbereichen der Organisationen (Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung)

Zu den Bewegungsorganisationen sowie zur Rolle der im Zuge der Klimaschutzbewegung gegründeten Organisationen ist festzustellen, dass ihre Bedeutung im Laufe der acht Klimastreiks zugenommen hat. So hatten Umwelt‑, Natur- und Tierschutzorganisationen im September 2019 einen Anteil von 27 % an der Bewegungsindustrie, der sich bis zum September 2022 auf 34,3 % steigerte. Einen noch bemerkenswerteren Anstieg ist bei den „…for Future“-Organisationen als neu entstandenem Bewegungsindustriezweig zu verzeichnen. Ihr Anteil an den Bewegungsindustrien ist drastisch von 6,7 % (20.09.2019) auf 18,6 % (23.09.2022) angewachsen, was zeigt, dass die Klimaschutzbewegung nicht nur immer mehr die bereits bestehenden klassischen Bewegungsorganisationen der Umweltbewegung hinter sich versammelt, sondern sie auch zunehmend eine eigene organisationale Basis aufbauen konnte. Die Mitgliedschaft der „…for Future“-Organisationen im Bündnis Klimastreik lässt zudem darauf schließen, dass sie sich verstetigt und professionalisiert haben; sie sind schließlich in der Lage, materielle Ressourcen für die Streiks bereitzustellen. Zusammen haben die „…for Future“-Organisationen und die Organisationen aus dem Bereich Umwelt‑, Natur- und Tierschutz einen Anteil von 52,9 % (23.09.2022) an der Bewegungsindustrie.

Darüber hinaus basieren die Klimaschutzbewegungsindustrien auch noch auf anderen als den erwartbaren Bewegungsorganisationen. Organisationen im Bereich „Internationale Aktivitäten“ (z. B. aus der Entwicklungshilfe) haben einen durchaus relevanten Anteil ebenso wie Wirtschafts- und Berufsverbände (etwa Energiewirtschafts- oder Landwirtschaftsverbände). Religiöse Organisationen aus verschiedenen Konfessionen sowie Vertretungen von Bürger- und Verbraucherinteressen weisen ebenfalls einen mittleren Anteil an den Bewegungsindustrien auf. Im Gegensatz zu den Bewegungsorganisationen aus dem Bereich Umwelt‑, Natur- und Tierschutz sowie zu den „…for Future“-Organisationen stagniert oder sinkt jedoch ihr Anteil im untersuchten Zeitverlauf.

Trotz der starken Wissenschaftsorientierung der Klimaproteste spielen etablierte Organisationen aus dem Bereich Bildung und Forschung nur eine kleine Rolle in den Bewegungsindustrien (vgl. Kern und Opitz 2021). Ansonsten zeigt die Analyse eine durchaus breite gesellschaftliche Einbettung der Klimaproteste. Die Lieberson-Indexe der Bewegungsindustrien der acht Klimastreiks zeigen, dass die kategoriale Diversität nach dem 20.09.2019 gesunken ist. Der digitale Klimastreik im April 2020 stellt als Tiefpunkt der Diversität erkennbar einen Ausreißer dar, während der nur in Berlin durchgeführte Klimastreik im Oktober 2021 keinen Ausreißer bildet. Nach dem Tiefpunkt erhöhte sich die Diversität beim Klimastreik im September 2020 deutlich, sank danach aber wieder relativ kontinuierlich ab (siehe Abbildung 1). Es lässt sich also im Zeitverlauf tendenziell ein zunehmender Konzentrationsprozess in den Bewegungsindustrien feststellen, der auf eine stärkere Bedeutung der Bewegungsorganisationen (inklusive der „…for Future“-Organisationen) in der Klimaschutzbewegung hinweist.

Abb. 1
figure 1

Diversität der Bewegungsindustrien (20.09.2019–23.09.2022), gemessen mit dem Lieberson-Index (Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung)

3.4 Die räumliche Ausbreitung der Klimaschutzbewegungsindustrien

Die Erhebung der räumlichen Ausbreitung der Klimaschutzbewegungsindustrien orientiert sich an der föderalen Struktur Deutschlands und ordnet die Organisationen ausgehend von ihrem Sitz einem Bundesland zu.Footnote 15 Aufgrund der politischen Bedeutung der Hauptstadt verwundert es nicht, dass Berlin den größten Anteil bei der räumlichen Verortung der Bewegungsindustrien aufweist (siehe Tabelle 5). Dies ist sowohl auf lokale Berliner als auch auf bundesweit tätige Organisationen zurückzuführen, die ihren Sitz in der Hauptstadt haben. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Anteil Berlins am Klimastreik im April 2020 anstieg und dann auf hohem Niveau verharrte, was als leichter Zentralisierungsprozess der Klimaschutzbewegung interpretiert werden könnte. Wenig überrascht, dass der nur in Berlin durchgeführte Klimastreik im Oktober 2021 den höchsten Anteil an Organisationen mit Sitz in Berlin (46,1 %) und die geringste räumliche Diversität aufweist. Der digitale Klimastreik im April 2020 weist eine ähnliche Tendenz auf, die sich jedoch nicht damit erklären lässt, dass der Streik rein digital stattfand. So ermittelten Hunger und Hutter (2021, S. 224 ff.) eine relativ hohe räumliche Diversität der Protestteilnehmer:innen am digitalen Klimastreik im April 2020.

Tab. 5 Räumliche Ausbreitung der Klimaschutzbewegungsindustrien und ihr Wandel (Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung)

Der zweite Schwerpunkt der Klimaschutzbewegung liegt, wenn auch mit Abstand, in Nordrhein-Westfalen, dessen Anteil sich ebenfalls vergrößerte. Während die Unterstützung bayerischer Organisationen für die Klimastreiks über den Analysezeitraum sank, stieg der Anteil von Organisationen aus Baden-Württemberg leicht an. Im Süden haben die Klimastreiks jedoch eine nur mäßige organisationale Basis für die Bereitstellung von Ressourcen. Die Unterstützung aus dem Norden (Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen) fällt ebenfalls nur mäßig aus. Marginal ist hingegen die Situation in den ostdeutschen Bundesländern (Berlin ausgenommen). Der ostdeutsche Anteil an der erfassten organisationalen Basis liegt im Mittel für alle acht untersuchten Klimastreiks bei 5,5 % und damit unter dem durchschnittlichen Anteil hessischer Organisationen (5,8 %). Für keinen der acht Klimastreiks gab es im untersuchten Bündnis Unterstützung von einer thüringischen Organisation, weshalb Thüringen nicht in Tabelle 5 aufgenommen wurde. Die erhebliche Diskrepanz zwischen West- und Ostdeutschland war zwar angesichts der Unterschiede in Bezug auf das zivilgesellschaftliche Engagement grundsätzlich erwartbar (vgl. Simonson et al. 2022, S. 87 ff.), ist aber in seinem Ausmaß doch überraschend. Im stabilen Kern der organisationalen Basis (≥ 6 Mitgliedschaften in den Bewegungsindustrien der acht untersuchten Klimastreiks) findet sich keine Organisation mit Sitz in einem ostdeutschen Bundesland.

Die Werte des Lieberson-Index zur räumlichen Verteilung der organisationalen Basis der Klimastreiks zeigen, dass die Diversität nach dem September 2019 zunächst gesunken ist, sich jedoch im Herbst 2020 und 2021 wieder erhöht hat (Abbildung 2). Die beiden letzten Klimastreiks im Jahr 2022 machen deutlich, dass sich die organisationale Basis der Klimaschutzbewegung wieder etwas stärker räumlich diversifiziert, wenn auch Berlin unangefochten ihr Zentrum bleibt.

Abb. 2
figure 2

Räumliche Ausbreitung der Klimastreiks (20.09.2019–23.09.2022), gemessen mit dem Lieberson-Index (Quelle: Eigene Berechnung und Darstellung)

4 Fazit

Die vorliegende Studie untersuchte die Größe, die Dynamik, die Stabilität, die Diversität sowie die räumliche Ausbreitung von einem zentralen Teil der Bewegungsindustrien der Klimaschutzbewegung. Insgesamt wurden die Bewegungsindustrien von acht Klimastreiks zwischen September 2019 und September 2022 analysiert. Im Fokus stand hierbei die Frage, wie sich die Klimaschutzbewegung während der Coronapandemie und seit dem russischen Angriff auf die Ukraine entwickelt hat. Schon zuvor waren Studien skeptisch gegenüber der weiteren Entwicklung der Bewegung. Waren ihr globaler Aufstieg und ihre Mobilisierungserfolge in Deutschland nur von kurzer Dauer?

Die hier untersuchte Mesoebene der Klimaschutzbewegung rückte vor allem die notwendigen finanziellen Ressourcen für die Mobilisierung und Institutionalisierung einer sozialen Bewegung in den Fokus, wobei die Studie aufgrund fehlender vorliegender Informationen keine Aussagen über die Höhe der finanziellen Zuwendungen machen kann. Jedoch gibt die Analyse Einblicke in die gesellschaftliche Einbettung der Klimaschutzbewegung, vor allem im Dritten Sektor. Die Ergebnisse zeigen, dass die Größe der Bewegungsindustrien schwankte, sie im Jahr 2022 aber wieder wuchsen und sich stabilisierten. Auch lässt sich eine zunehmende Dynamik in der Mobilisierung neuer Unterstützungsorganisationen beobachten. Diese neuen Organisationen treffen auf einen stabilen Kern der Bewegungsindustrien (N = 66), die die Klimastreiks mit finanziellen Ressourcen unterstützen. Die vorliegenden Informationen zur Größe, Dynamik und Stabilität der Bewegungsindustrien lassen darauf schließen, dass die organisationale Basis bislang die Krisen gut überstanden hat und weiterhin Ressourcen für weitere Protestaktionen bereitgestellt werden. Die Institutionalisierung der Bewegung schreitet, so ist anzunehmen, weiter voran.

Die organisationale Basis bilden mehrheitlich klassische Bewegungsorganisationen, größtenteils etablierte Umwelt‑, Natur- und Tierschutzorganisationen sowie neu gegründete „… for Future“-Organisationen. Gerade an Letzteren zeigt sich wiederum die Dynamik der Bewegung, da der Anteil der „… for Future“-Organisationen an den untersuchten Bewegungsindustrien kontinuierlich angestiegen ist. Im Gegenzug sank die Diversität der Bewegungsindustrien hinsichtlich der Tätigkeitsbereiche der unterstützenden Organisationen. Dieser Konzentrationsprozess stabilisiert die Bewegung und trägt zu ihrer Institutionalisierung bei, damit schrumpfte jedoch die Breite ihrer gesellschaftlichen Einbettung. Die Stärke der Klimaschutzbewegung speiste sich bislang schließlich aus ihrer breiten gesellschaftlichen Verankerung, die sich etwa im Zuge ihrer Öffnung gegenüber älteren Unterstützer:innen ausgeweitet hatte (Rucht und Rink 2020, S. 107).

Ähnlich ambivalent wie die Entwicklung der Diversität der Bewegungsindustrien stellt sich auch ihre räumliche Ausbreitung dar. So gewann Berlin als Zentrum der Bewegung weiter an Bedeutung, gefolgt von Nordrhein-Westfalen. Im Jahr 2022 erhöhte sich die räumliche Diversität zwar leicht, jedoch ist bislang nicht erkennbar, ob neben Berlin und, mit Abstand, Nordrhein-Westfalen noch ein weiteres Zentrum der Bewegung entsteht. Bezüglich der organisationalen Basis lässt sich zudem eine große Diskrepanz zwischen West- und Ostdeutschland feststellen. Hinsichtlich der Bereitstellung finanzieller Ressourcen durch etablierte Organisationen und zivilgesellschaftliche Akteure sind die Klimastreiks in Ostdeutschland kaum verankert. Damit wird jedoch keine Aussage über das Ausmaß und die Ausbreitung lokaler Gruppen und Initiativen getroffen, die die Klimastreiks vor Ort organisieren und dafür mobilisieren. Ihre Erfassung und Analyse steht noch aus und würde sehr gut die hier vorgestellte Studie ergänzen.

Die räumliche Ausbreitung der Bewegungsindustrien gibt zudem erste Einblicke in die Differenzen zwischen Offline- und Online-Mobilisierung, gerade im Hinblick auf die ressourcenbereitstellenden Infrastrukturen. Nach Hunger und Hutter (2021, S. 225) lagen die Zentren des Online-Klimastreiks am 24.04.2020 in den drei Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen, was so nicht mit der organisationalen Basis der untersuchten Klimastreiks übereinstimmt. Auch bestand beim Online-Klimastreik keine derart große Diskrepanz zwischen Ost- und Westdeutschland. Diese Befunde deuten darauf hin, dass die Offline- und Online-Mobilisierung unterschiedlichen sozialräumlichen Mechanismen hinsichtlich der benötigten Ressourcen folgen, die aber noch näher zu untersuchen und in ihrem Verhältnis zueinander zu bestimmen sind.

Im Rahmen dieser Studie wurde auch ein neuer analytischer Zugang zur Vermessung von Bewegungsindustrien mit dem ICNPO präsentiert. Dies eröffnet eine neue Perspektive auf die Diversität der Bewegungsindustrien sowie auf die gesellschaftliche Einbettung sozialer Bewegungen auf der gesellschaftlichen Mesoebene. Ein solches Vorgehen ermöglicht auch fall- oder zeitvergleichende Untersuchungen und damit ein dynamisches Verständnis der Entwicklung der Ressourcen, die für Protest und Bewegungen notwendig sind (McAdam 2003, S. 284). Auch ist die Analyse der Bewegungsindustrien komplementär zur Befragung von Protestteilnehmer:innen, denn deren Mobilisierung erfolgt unter anderem durch Organisationen. Während für die wöchentlichen Schulstreiks etwa vor allem Schüler:innenvertretungen Ressourcen bereitstellten (Rucht und Sommer 2019), gewannen für die Klimastreiks klassische Bewegungsorganisationen zunehmend an Bedeutung, was zur Mobilisierung älterer Unterstützer:innen führte (Sommer et al. 2020, S. 53). Eine solche Verbindung von Meso- und Mikroebene verspricht weiterführende Einsichten in die Entstehung von Protest und die Institutionalisierung sozialer Bewegungen, die für die Analyse gesellschaftlichen Wandels und sozialer Konflikte von zentraler Bedeutung sind.