1 Einleitung: Die „Kölner Schule“ und René König

Gemeinhin wird in der Soziologiegeschichtsschreibung der frühen bundesrepublikanischen Soziologie von 3 Schulen ausgegangen: der „Kölner Schule“, der „Frankfurter Schule“ und dem Kreis um Helmut SchelskyFootnote 1 (vgl. Dahrendorf 1960; Moebius 2015a), zuweilen wird noch die Marburger Schule genannt (vgl. Sahner 1982; Peter 2014).Footnote 2 Während zahlreiche Überblicksartikel oder Bücher von der „Frankfurter Schule“ handeln (vgl. Wiggershaus 1988; Kraushaar 1998; Albrecht et al. 1999), hat man über die „Kölner Schule“ als Schulzusammenhang bislang kaum etwas gelesen. Vielleicht hat es ja eine „Kölner Schule“ der Soziologie gar nicht gegeben? Zumindest die Zeitgenossen sind sich darin nicht einig: René König (1987, S. 323), der gemeinhin als der führende Repräsentant und Begründer einer „Kölner Schule“ gilt, spricht im Zusammenhang der Situation der remigrierten Soziologen explizit von einer „Kölner Schule“. Lepsius (2017, S. 81) ebenfalls. Günter Lüschen (1995, S. 21), Habilitand bei König und ehemaliger Präsident der René-König-Gesellschaft, geht in einem soziologiehistorischen Rückblick nicht nur davon aus, dass die „Kölner Schule“ die deutsche Soziologie wieder in die internationale Soziolog*innengemeinschaft zurückgeführt habe, sondern auch, dass Köln „unter den Schulen in den 1950er- und 1960er-Jahren … die am deutlichsten erkennbare Schule“ gewesen sei. Peter Atteslander (1998, S. 138), ein früher Schüler Königs aus der Zeit des Zürcher Exils, bestreitet hingegen, dass es eine solche Schule je gegeben habe. Königs Wirkung sei zu vielfältig gewesen, als dass man sie im Sinne einer Schule einhegen könne (Atteslander 1996, S. 178). Und Erwin K. Scheuch (1998, S. 241), ebenfalls zentraler Repräsentant einer Soziologie aus Köln und ehemaliger Assistent Königs, meint, eine richtige Schule sei das nicht gewesen, eher ein „Kreis mit einem übereinstimmenden Vorverständnis von Gesellschaft und den Methoden, mit denen über diese Informationen beschafft werden können. Intern gab es erhebliche Akzentsetzungen für Mikro- oder Makrosoziologie, für die Art der Faktensammlung, der Orientierung eher an Durkheim oder an Weber oder an Parsons.“Footnote 3 Und Johannes Weiß (1992) schließlich fragt gar: „Gehört René König zur ,Kölner Schule‘?“ Kann man wirklich von einer „Kölner Schule“ sprechen, wenn selbst ihr zugerechnete „Schüler“ und unmittelbar Beteiligte einen solchen Denk‑, Forschungs‑, Lehr- und Interaktionszusammenhang bestreiten?

Im Folgenden sollen zunächst in einer Auseinandersetzung mit soziologiegeschichtlichen Konzepten zur Erfassung wissenschaftlicher Kollektive zentrale Kriterien des Schulenbegriffs bestimmt werden (Abschn. „Schule“ als soziologiegeschichtliche und erkenntnisleitende Kategorie). Im Anschluss daran wird die Kölner Soziologie von 1945 bis Mitte der 1970er-Jahre in 3 Schritten hinsichtlich dieser Kriterien geprüft (Abschn. Gab es eine „Kölner Schule“?). Unter welchen Voraussetzungen kann man eine „Kölner Schule“ der bundesrepublikanischen SoziologieFootnote 4 im Nachhinein konstruieren oder feststellen? Lässt sich ein schulentypischer Kern ausmachen, etwa anhand der Publikationen, der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS) und der „Schülerschaft“ um René König, der es rechtfertigt, von der „Kölner Schule“ zu sprechen? Worin bestünde dann das Schulentypische? Im Fazit (Abschn. Fazit) geben wir ein Resümee unserer These von der „Kölner Schule“.

2 „Schule“ als soziologiegeschichtliche und erkenntnisleitende Kategorie

In der Soziologiegeschichte und Wissenschaftssoziologie werden mittlerweile eine Reihe soziologischer Konzeptualisierungen kollektiver Wissensgenerierung und -distribution unterschieden (vgl. Dayé 2016, 2017), man spricht beispielsweise von Denkkollektiv, der wissenschaftlichen Gemeinschaft (scientific community), dem unsichtbaren Kollegium (the invisible college), dem kollaborativen Zirkel, dem akademischen Stamm, der epistemic community, der Wissenskultur oder eben der wissenschaftlichen Schule.

Bezogen auf die Anfänge der bundesrepublikanischen Soziologie kann man durchaus unterschiedliche „Denkkollektive“ (Ludwik Fleck) ausmachen, die trotz anfänglich ähnlicher Themenstellungen und -interessen (Familie, Industriegesellschaft, Massenkultur, empirische Sozialforschung) eigene Denkstile und Herangehensweisen an die Themen entwickelt haben, die jedoch größtenteils den unterschiedlichen intellektuellen Prägungen (Philosophische Anthropologie etwa bei Schelsky, Durkheim-Schule und Kulturanthropologie bei König, Marxismus und Psychoanalyse bei Horkheimer/Adorno, Marxismus bei Abendroth) geschuldet waren (vgl. Moebius 2015a, S. 9–33, 2017a). Allein der Blick auf das Konzept der Denkkollektive reicht aber zur Bestimmung der „Kölner Soziologie“ unseres Erachtens nicht aus, da dieses Konzept beispielsweise einige typische Kennzeichen wissenschaftlicher Zusammenhänge vermissen lässt, die man hingegen beim Konzept der „wissenschaftlichen Schule“ und beim Blick auf eine „Kölner Schule“ wiederfindet, so etwa die „generationsübergreifende Komponente“ (vgl. Klausnitzer 2014, S. 14 f.; J.-H. König 2014, S. 21), die Institutionalisierung qua Zeitschrift sowie die lokale Verankerung. Der Fokus auf Denkkollektiv und Denkstil vernachlässigt zudem aufgrund einer Überbetonung der kognitiven Aspekte die sozialstrukturellen Merkmale sowie spezifische Arten der Wissenschaftskommunikation und -distribution – ähnlich dem Kuhn’schen Paradigmenbegriff, der vornehmlich auf die „vergleichbare Art & Weise, die Welt zu sehen und die Wissenschaft in ihr auszuüben“ (Kuhn 1973, S. 21) abzielt.

Das Konzept der scientific community mag weiterhelfen, da es mit dem Verweis auf „Gemeinschaft“ neben kognitiven Übereinstimmungen auch auf die sozialen und affektiven, rituellen und „quasi-familialen“ (Stichweh 1999, S. 26) Elemente verweist. Ebenso kommen normative Aspekte wie Belohnung, Bestrafung, (positive oder negative) Sanktion und Kontrolle in den Blick. Der Aspekt der Kontrolle muss dabei nicht nur auf den Bereich der unmittelbaren sozialen Interaktionen innerhalb des Kollektivs beschränkt sein, sondern kann gleichermaßen die Kontrolle über die Weitergabe, Fortführung und Ausbildung des Paradigmas/Denkstils meinen. Was jedoch bei diesem Konzept zu schnell aus dem Blick gerät, ist die (integrative) Dimension von Konflikten sowie explizite Lehrer-Schüler-Beziehungen. Dass solche Hierarchiebeziehungen jedoch „durchgängig als Strukturprinzip“ wissenschaftlicher Schulen fungieren, hat Rudolf Stichweh (1999) hervorgehoben. Ihm zufolge bedeutet jedoch eine Hierarchie in der Lehrer/Schüler- bzw. „Patron/Klient“-Beziehung nicht, „daß die intellektuellen Beziehungen von Lehrern und Schülern einseitig sind, daß Reziprozität abwesend ist. Das intellektuelle System des Lehrers, das wissenschaftliche Projekt, dem er sich verpflichtet hat, ist ja nicht in jedem einzelnen Fall als bereits konsolidiert anzusehen, sodaß es nur noch der Fortschreibung … bedürfte. Weil dies aber so ist, bilden vielfach die Schüler für den Lehrer ein protektives Sozialsystem, das eine vorläufig prekäre wissenschaftliche Innovation vor ihrer sofortigen Zerstörung durch Kritik schützt. … Die Reziprozität der Leistungen erzeugt dann eine Reziprozität der Verpflichtungen, eine Verpflichtung des Lehrers auf die Karrieren seiner Schüler.“ (Stichweh 1999, S. 25 f.).

Eng verwandt mit dem Konzept der scientific community ist das Konzept des akademischen Stamms (Becher 1989; Becher und Trowler 2001; vgl. Dayé 2017, S. 73 ff.). Im Unterschied zu der Berücksichtigung der normativen Strukturen im Konzept der scientific community hebt es auf die situativen Aushandlungs- und alltäglichen Interpretationsprozesse dieser normativen Strukturen ab und entwickelt ausgehend davon eine praxistheoretische Perspektive auf den „Stamm“ und dessen Wissensproduktion. Was jedoch bei dem Blick auf die community, den Stamm oder das „unsichtbare Kolleg“ (vgl. Crane 1972; de Solla Price 1974) kaum in den Blick kommt, sind einerseits die kognitiven Dimensionen (vgl. Peter 2015, S. 119 ff.), also die Frage der Ideenproduktion und -distribution jenseits rein sozialer Faktoren (auf welche Ideen beruft man sich, was sind paradigmatische Einflüsse und Ideenkontexte etc.?). Andererseits finden in diesen Klassifizierungskonzepten auch etwaige Institutionalisierungsprozesse, wie sie etwa Department- oder Institutsgründungen oder die Herausgabe von Zeitschriften darstellen, keine ausreichende Berücksichtigung.Footnote 5 Auch das Konzept der „kollaborativen Zirkel“ von Michael P. Farrell (2001) beinhaltet solche Institutionalisierungsprozesse, wie man sie bei der Kölner Soziologie ja beobachten kann, nicht. Bei Farrells Konzept stehen die Entstehungsprozesse wissenschaftlicher Gruppierungen aus Freundschafts- oder Bekanntschaftsbeziehungen im Vordergrund (vgl. Dayé 2017, S. 72 f.). Das mag für andere wissenschaftliche oder künstlerische Gruppierungen wie den Surrealismus oder auch das Collège de Sociologie (vgl. Moebius 2006) ein brauchbares heuristisches Konzept sein, da ein wesentliches Kriterium eines kollaborativen Zirkels nach Farrell die Rebellion gegen bestehende Autoritäten ist. Für die Analyse der Kölner Nachkriegssoziologie scheint es aber nur bedingt brauchbar, da sich diese nicht aus einem Zirkel Gleichgesinnter gebildet hat, der gegen bestehende Autoritäten (in Bourdieu’scher Begrifflichkeit „Orthodoxe“) anzukämpfen versuchte. Ausgangspunkt der Gruppenbildung war vielmehr das leidenschaftliche Engagement René Königs für eine an der US-amerikanischen empirischen Sozialforschung und der Soziologie Durkheims orientierte Neuausrichtung, Institutionalisierung und Professionalisierung der Soziologie nach 1945.

Wir finden also bei den diskutierten zentralen soziologiegeschichtlichen Konzepten zur Analyse wissenschaftlicher Kollektive Vorannahmen vor, die die Behandlung von entweder kognitiven, kommunikativen oder organisatorischen Aspekten größeres analytisches Gewicht zuteilwerden lassen oder gar wesentliche Merkmale wissenschaftlicher Zusammenarbeit auslassen. Tatsächlich erlaubt der Schulenbegriff unseres Erachtens hingegen eine ausgewogene Behandlung kognitiver, sozialer und institutioneller Aspekte. Im Anschluss an Lothar Peter definieren wir „als Schule die institutionelle Formierung einer soziologisch sowohl zeitlich als auch räumlich einflußreichen theoretischen und/oder empirischen Konzeption sowie die damit einhergehende formelle oder informelle Einbindung von soziologischen Akteuren in einen institutionalisierten Zusammenhang von Forschung, Lehre, Publikation und öffentlicher Präsenz.“ (Peter 2001, S. 43; vgl. auch Peter 2014, S. 9 ff.).Footnote 6 Zentral sei ein „kognitives Zentrum eines Paradigmas, einer Leittheorie oder einer regulativen moralischen Idee“ (Peter 2001, S. 43), die sich in vielen Fällen „außergewöhnlichen Leistungen von (manchmal charismatischen) Einzelpersönlichkeiten“ (Peter 2014, S. 9) verdanken. „Der spezifische Charakter einer Schule kann sich aber erst dann herausbilden, wenn die Tätigkeit dieser Einzelpersönlichkeiten dazu führt, dass sich weitere Akteure mit ihnen identifizieren und in einen nicht vorübergehenden Interaktionszusammenhang treten“ sowie das Paradigma oder die Leitidee, mit der sie identifiziert wird, „auch aktiv in der Öffentlichkeit“ vertreten (Peter 2014, S. 10). Tiryakian (1981) betont darüber hinaus in seiner Definition von „Schule“, dass die Bildung einer solchen oft vor dem Hintergrund als anomisch wahrgenommener Prozesse stattfindet, die nach neuen Orientierungsmustern und affektiven Bindungen an neue Lehrsätze verlangen. Ferner hebt er die Missionsbereitschaft hervor: „Die Schule mag das stillschweigende Gefühl haben, der Profession die Rettung zu bringen, mit anderen Worten, sie aus einem Zustand der Stagnation und/oder Niedergang zu erlösen; die Schule versucht, der Profession ‚neue Kleider zu verpassen‘, sie zu modernisieren, zu erneuern, ihr einen neuen Anfang zu ermöglichen.“ (Tiryakian 1981, S. 41). Der Missionswille kann auch über die Disziplin hinaus die Gesellschaft als solche betreffen, wie Tiryakian an seinem Beispiel der Durkheim-Schule verdeutlicht. Zuweilen kann dann eine Schule eine solche Eigendynamik entfalten (vgl. Tiryakian 1981, S. 43), dass es zum symbolischen „Vatermord“ kommt und ein Teil der Schüler sich gegen den oder die Gründer wendet – politisch, methodisch, theoretisch, lebensweltlich. Bei zunehmender Institutionalisierung und Sichtbarkeit der Schule kommt es nach Tiryakian (1981, S. 42) darüber hinaus zu einer Popularisierung und Veralltäglichung ihrer Grundideen.

Zusammenfassend kann hervorgehoben werden, dass der Schulenbegriff als erkenntnisleitende soziologiegeschichtliche Kategorie unsere Aufmerksamkeit auf ein kognitives Zentrum mit theoretischen und empirischen Leitideen, der sozialen und kognitiven Bindung weiterer soziologischer Akteure (Schülerinnen und Schüler) und einen institutionalisierten Zusammenhang von Forschung, Lehre und Publikation lenkt. Entsprechend wenden wir bei der Frage nach der „Kölner Schule“ unsere Aufmerksamkeit im nachfolgenden Kapitel diesen Aspekten systematisch zu.

3 Gab es eine „Kölner Schule“?

Für die Beantwortung der Frage, ob es eine „Kölner Schule“ gab, sind 2 Dinge relevant: Zum einen sollte man durchaus einen „epistemologischen Bruch“ (Bachelard; vgl. Bourdieu et al. 1991, S. 15 ff.) mit den zeitgenössischen Aussagen wagen und ihnen nicht ungeprüft folgen; ferner scheinen Schulenzuschreibungen in der Regel immer nachträgliche Typisierungen zu sein (vgl. Sahner 1982; Mikulinskij et al. 66,67,a, b; Stichweh 1999), die zuweilen die Funktion der nachträglichen Legitimierung eines bestimmten Denkstils erfüllen (vgl. J.-H. König 2014, S. 22). Das verweist zum anderen auf die Bedeutung der konzeptionellen Auseinandersetzung mit dem Begriff der „Schule“.

Auf den ersten Blick finden wir für eine „Schule“ gemäß der oben genannten Kriterien bedeutende Anzeichen, charismatische Hauptpersonen oder Gründer: König als geschickter, fördernder und aktiv in der Öffentlichkeit agierender Initiator; später daneben der ebenfalls öffentlich engagierte Erwin Scheuch als zweite Hauptperson, der insbesondere die quantitativ-empirische Ausrichtung der Kölner Soziologie auf- und ausbaut. Er hat die von Tiryakian (1981, S. 44) beschriebene zentrale Rolle des „Popularisierers“ der empirischen Sozialforschung; es gibt eine auf die Schule bezogene Lehre, eine Zeitschrift und eine Schülerschaft mit diffundierender Wirkung und einen sowohl auf die Gesellschaft als auch auf die Disziplin ausgerichteten Missionswillen (vgl. Hummell 1998, S. 311) (entgegen transzendentaler Soziologie Schelskys und Geschichtsphilosophie der Frankfurter Schule eine wirklichkeitsbezogene Soziologie zu etablieren). Hinzu kommen die anomischen gesellschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit (vgl. Reichardt und Zierenberg 2009), die nach Orientierung und Aufklärung verlangten. Aber bei genauerem Hinsehen mag man vielleicht Zweifel bekommen, ob wirklich von einer Schule gesprochen werden kann. Wir werden diesen Beitrag dazu nutzen, die einzelnen konzeptionellen Eckpunkte des Schulenbegriffs (Lehrer/Gründer, Leitideen, Schüler, Lehre, Forschung, Publikationen und Zeitschrift) in den nachfolgenden 3 Abschnitten in knapper Form etwas näher zu betrachten. Wir können die Eckpunkte dabei nicht entlang einer historisch linearen Erzählung erfassen, sondern müssen bei der Betrachtung gewissermaßen unterschiedliche Aspekte der historischen Entwicklung jeweils hervorheben.

3.1 Charismatischer Stifter der Leitideen: René König

Die entscheidende Wende der Kölner Nachkriegssoziologie setzt 1949 mit dem Ruf von René König auf den Lehrstuhl für Soziologie ein.Footnote 7 Scheuch (2001, S. 144) spricht im Rückblick von einer regelrechten „Aufbruchsstimmung“ der Kölner Soziologie der 1950er-Jahre, die durch König eingeläutet wurde. 1949 befindet sich König noch in Zürich, wohin er 1937 ins Exil getrieben wurde. In der Züricher Zeit erweitert König, der mit einer literatursoziologischen Arbeit Anfang der 1930er-Jahre promoviert hatte (vgl. Moebius 2016), seinen breiten Horizont an Interessen und Wissen, habilitiert dort mit einer Schrift über Durkheim (vgl. Albrecht 2002) und publiziert zahlreich – zu erwähnen sind etwa Machiavelli. Zur Krisenanalyse einer Zeitenwende (1941), Sizilien (1943), Materialien zur Soziologie der Familie (1946) und die programmatische Schrift Soziologie heute (1949), eine kritische, „soziologisch-gegenwartswissenschaftliche“ Auseinandersetzung mit den „endgeschichtlichen Visionen“ und der These des Verschwindens der Mittelklasse von Marx (König 1949, S. 37). König verfasst über 360 Artikel über die Soziologie für das Schweizer Lexikon. Jahre später werden diese den Grundstock für Königs berühmten Kanonisierungsversuch des Fachs durch das 1958 erschienene Fischer-Lexikon liefern.Footnote 8 Für die Lehre in Köln spielen zudem die bereits in Zürich gehaltenen und verschriftlichten Vorlesungen eine zentrale Rolle; sie geben eine zentrale Basis für die spätere Lehre in Köln ab (vgl. Moebius 2015b; König im Druck; Moebius und Griesbacher im Druck). Die empirische Sozialforschung, für die König und die „Kölner Schule“ gemeinhin assoziiert werden, kommt in der Zürcher Zeit nur am Rande vor, die Zürcher Vorlesungen widmen sich hingegen insbesondere soziologiehistorischen, allgemeinsoziologischen bis hin zu soziale Probleme behandelnden Themen.

König ist durch seine Lehre und Publikationen für das Ordinariat in Köln bestens gerüstet: In der Züricher Zeit hat er ein eigenes Konzept von Soziologie entwickelt, dargelegt in Soziologie heute, verfügt über eine große Lehrerfahrung, hat bereits eine Schar von Schülern, eine Schriftenreihe und hat sich unter anderem ein breites Wissen über die Allgemeine Soziologie, Familien‑, Gemeinde- und Industriesoziologie sowie Soziologiegeschichte angeeignet. In den 1950er-Jahren führt er diese ungeheure Produktivität fort.Footnote 9 König (1987, S. 14) versucht nun, „die amerikanischen Forschungstechniken bekannt zu machen, aber nicht so sehr um der Theorie willen, sondern ausschließlich aus didaktischen Gründen, um die Lehre dieser Probleme zu erleichtern“.Footnote 10

Internationalisierung stellt ein wichtiges Element der Wirkung Königs in Köln dar. Dafür sind bereits die Jahre zwischen 1949 und 1953 von Bedeutung: Ein ehemaliger Freund aus dem Verlag „Die Runde“, Arvid Brodersen, Acting Head des Social Science Department bei der UNESCO, fragt ihn, ob er bei der Begründung einer internationalen Soziologiegesellschaft beteiligt sein möchte (König 1984, S. 159 ff.). So wird König einer der Mitbegründer der ISA (International Sociological Association, gegründet 1949), in den 1960er-Jahren ihr Präsident (1962–1966). Die internationalen Kontakte kann König 1952/53 während seiner ersten, von der Rockefeller Foundation finanzierten USA-Reise weiter ausbauen (vgl. König 1984, S. 198 ff. u. S. 279 ff.) Dabei kommt er auch unmittelbar mit der US-amerikanischen Sozialforschung in Berührung, mit der er sich bereits im Rahmen seiner Vorlesung „Einführung in die amerikanische Soziologie“ Anfang der 1940er-Jahre befasst hatte. Später folgen etliche Gastprofessuren in den USA, wobei König des Öfteren mit dem Gedanken spielt, die Bundesrepublik zu verlassen und in den USA zu bleiben, denn stets begleitet ihn die Wahrnehmung, als „Heimkehrer“Footnote 11 nicht willkommen zu sein und seine schmerzvollen Erfahrungen der Emigration nicht gewürdigt und anerkannt zu wissen. Auch die restaurativen und antiintellektuellen Tendenzen der frühen Bundesrepublik und die Zeichen der Kontinuität zum NS-Regime befördern den dann in späteren Jahren immer deutlicher zutage tretenden Pessimismus und Skeptizismus (vgl. König 1984, S. 185 u. S. 189 ff.; von Alemann 2000, S. 335). Der Grund, dennoch in Deutschland zu bleiben, sei der Wunsch gewesen, „die neue Generation im demokratischen Sinne zu erziehen“, so König (1989, S. 121). Dazu gehört auch für ihn, seine „Schüler“ zu Forschungsaufenthalten im Ausland zu ermuntern, was letztendlich zu einer verstärkten Professionalisierung der empirischen Orientierung der Kölner Soziologie führte.

Die Kölner Professur läuft zu Beginn hingegen beschwerlich an. Nicht nur, dass König noch bis Anfang der 1950er-Jahre zwischen Zürich und Köln hin und her pendelt. Am Institut lässt Leopold von Wiese nur schwer von seinen Ämtern los (vgl. König 2000, S. 68 ff.), ja ist sogar bestrebt, die Kölner Zeitschrift nicht an König, sondern an Horkheimer und Adorno zu übergeben. Dadurch nimmt die Beziehung zu von Wiese Schaden. König ist weiterhin gewillt, in Zürich zu bleiben und hofft auf eine mögliche, in Aussicht gestellte Berufung nach Frankfurt. Als diese und damit verbunden auch die Verhandlungsoption mit Zürich scheitert, da die Züricher die Berufungsangelegenheit als Lüge auffassen (vgl. Zürcher 1995, S. 270 ff.), fällt 1953 endgültig die Entscheidung und König zieht mit der Familie nach Köln – von ihm als eine Art zweite Emigration empfunden (vgl. König 1989, S. 126; Lepsius 2006, S. 427).

König ist bestrebt, die Soziologie nicht nur von der kritischen Theorie der Frankfurter Schule, sondern auch von Schelskys (1959, S. 95 ff.) „transzendentaler Theorie der Gesellschaft“ abzugrenzen und versucht, in Köln eine Soziologie als dezidiert empirisch orientierte Wissenschaft aufzubauen und zu vermitteln, die er ganz in der Tradition Auguste Comtes und der Durkheim-Schule (und auch gegen „rechte“ Tendenzen gewandt) kritisch-reformerisch als aufklärerisches Mittel für eine demokratische Gestaltung der Gesellschaft betrachtet. Dabei wendet er sich auch gegen die eigene, in der Zwischenkriegszeit vertretene geisteswissenschaftlich-hermeneutische Orientierung, gegen „Denk- und Argumentationsmuster“, die er als wesentlich für den Erfolg des Nationalsozialismus ansah (Klein 2014, S. 571; Wehler 2006, S. 47 f.). Lepsius (2017, S. 81) beschreibt Königs Position als diejenige eines „Promotor einer Soziologie als empirischer Einzelwissenschaft mit betonter Frontstellung gegen Sozialphilosophien rechts- oder linkshegelianischer Provenienz“.

Es lassen sich 5 Eckpunkte des König’schen Programms ausmachen, die nach Clemens Albrecht alle in einer „älteren Kontinuitätslinie“ stehen, das heißt, bereits Ende der 1920er- und 1930er-Jahre entwickelt wurden, sodass die 1950er-Jahre „kein Neuansatz, sondern ein Wiederauflegen der 1920er- und 1930er-Jahre“ darstellen, „freilich in einer historisch-politischen Lage, die die Anerkennungschancen des ganzen Programms potenziert hatte“ (Albrecht 2013, S. 389). Die Eckpunkte seiner Soziologie sind die „struktur-funktionalistische Ethnologie“, „französische Theorie“, „amerikanische Sozialforschung“, „moralistische Gegenwartswissenschaft“ (Albrecht 2013, S. 387), hinzu kommt die breite Tradition der deutschen Soziologie der Zwischenkriegszeit.Footnote 12 Von Königs „Programm“ ist es besonders die empirische Sozialforschung, mit der König und die Kölner Soziologie in den Auseinandersetzungen mit den anderen soziologischen Denkschulen und in der Folgezeit (meist ausschließlich) assoziiert werden. Nach Erwin Scheuch (2001, S. 144) gilt König in den 1950er-Jahren „als der große Übermittler einer empirischen Sozialforschung auch quantitativer Art – obgleich er mit Statistik für seine eigenen Arbeiten nicht viel anfangen konnte“. Dabei spielt immer die Durkheim-Schule und insbesondere die US-amerikanische Soziologie und empirische Sozialforschung eine zentrale Rolle, die er zu Beginn der 1950er-Jahre auch in seinen Seminaren – u. a. neben der Familiensoziologie, der Soziologiegeschichte oder der Wirtschaftssoziologie – lehrt.

Ganz in der Tradition der Durkheim-Schule verbindet König empirische Sozialforschung mit der Hinwendung zur Analyse konkreter gesellschaftlicher Problemlagen. Seine erste Kölner Vorlesung handelt dementsprechend 1949/50 von den „Gegenwartsproblemen der Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg“. Die zur Analyse der Probleme eingesetzten Forschungstechniken seien dabei sekundär und sollten von der Sache her entschieden werden (König 1998a, S. 147). Alles andere bezeichnet er als „Fliegenbeinzählerei“, „Forschungstechnokratismus“ oder „Klempnermeisterei“ (König 1988, S. 156) und einen tendenziellen gefährlichen Wirklichkeitsverlust der Soziologie. Königs Impuls, die empirische Sozialforschung insbesondere quantitativer Art so vehement in den Mittelpunkt seiner Bestrebungen im Aufbau der bundesrepublikanischen Nachkriegssoziologie zu stellen, obwohl er selbst diese Methoden nicht anwendet, stammt „aus dem Willen zur Veränderung, der sich aus gehäuften existenziellen Unklarheiten, welche die Orientierung immer mehr belasten, entwickelt“ (König 1998a, S. 145). In seinen Augen bedürften die Deutschen in erster Linie wieder eines Wirklichkeitsbezugs. Um diesen herzustellen, fokussiert sich König auf die Vermittlung und Institutionalisierung der empirischen Sozialforschung sowie deren konsequente Anwendung auf die sich weiter ausdifferenzierenden und verändernden gesellschaftlichen Problemlagen (Familie, Gemeinde/Stadt-Verhältnis, soziale Mobilität, Jugend, Industrie etc.). Sozialforschung avanciert für ihn zur zentralen Methode der Problemanalyse und der reeducation der Deutschen. Steht hinsichtlich der bundesrepublikanischen Gesellschaft hierbei der kritische Wille zur „aktiven Umformung der gegebenen Verhältnisse“ (König 1998a, S. 144) im Vordergrund, so ist zum anderen die quantitative Sozialforschung im Hinblick auf die sich seit den 1950er-Jahren verschärfenden Positionskämpfe um Deutungs- und Repräsentationsmacht im soziologischen Feld auch ein probates Kampfmittel gegen Adorno und Schelsky (vgl. König 1998a, S. 141 ff.).Footnote 13

3.2 Institutionalisierungsprozesse: Institut, Zeitschrift und Publikationen

Grundlegungen für den Institutionalisierungsprozess der „Kölner Schule“ finden wir bereits vor Königs Ankunft in Köln. Am 4. Dezember 1947 wurde das 1919 geschaffene „Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften“ in Köln (vgl. von Alemann 1981, S. 349; Gorges 1986, S. 97 ff.; Kaesler 1997, S. 235; Schad 1972, S. 49 ff.), das im Zuge des Nationalsozialismus am 31. März 1934 geschlossen worden war (vgl. Klingemann 1988, S. 79 ff.; Pinn und Nebelung 1990, S. 189), auf Betreiben von Leopold von Wiese und Christian Eckert als „Forschungsinstitut für Sozial- und Verwaltungswissenschaften“ wieder neu eröffnet.Footnote 14 Wie bereits bei der früheren Einrichtung in der Zwischenkriegszeit (vgl. von Wiese 1957, S. 52; von Alemann 1981, S. 349 f.; Gorges 1986, S. 100 ff.) untergliederte sich auch das Institut der Nachkriegszeit in 3 Bereiche, in eine soziologische (Leopold von Wiese), eine sozialpolitische (Gerhard Weisser) und eine sozialrechtliche (Hans-Carl Nipperdey) Abteilung. Die durch von Wiese ins Leben gerufenen Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaften wurden 1948 als Kölner Zeitschrift für Soziologie. Neue Folge der Vierteljahrshefte für Soziologie neu herausgegeben (vgl. Dreier 2017; Moebius 2017b).Footnote 15

René König konnte hier anknüpfen, setzte aber andere Schwerpunkte, auch weil er die formale Soziologie von von Wiese sowie dessen Zurückhaltung in der Aufklärung über das NS-Regime äußerst kritisch betrachtete. König trug unter anderem zur Professionalisierung des Fachs in Köln dadurch bei, indem er Abteilungen zur Meinungs‑, Konsum- und Verkehrsforschung begründete (vgl. von Alemann 1999, S. 84). Nach diesen Gründungen hielt er sich, wie von Alemann berichtet (von Alemann 1999) aus diesen Abteilungen weitgehend heraus. Damit ist bereits angedeutet, dass die „Kölner Schule“ trotz der zentralen Rolle der Gründungsfigur keine „König-Schule“ darstellt (siehe auch die späteren Ausführungen zur teilweise nur partiellen Weiterführung der kognitiven Leitideen). Daneben wurde die Neuausrichtung und Institutionalisierung der Kölner Soziologie auch durch Königs internationale Ausrichtung gestärkt (siehe dazu die Ausführungen in Abschn. Charismatischer Stifter der Leitideen: René König). Neben seinen Institutionalisierungs- und Professionalisierungsleistungen versuchte König im Sinne eines „aktiven und realistischen Humanismus“ (König 1973, S. 11) und eines „public intellectual“, die Soziologie zu „popularisieren“ (König 1973, S. 9) und sie durch Vorträge, Radiobeiträge oder Zeitungsartikel publizistisch in die Öffentlichkeit zu bringen (vgl. Klein 2006, S. 406 ff.). Das diente in seinen Augen sowohl der Information, der Orientierung als auch der Aufklärung der Gesellschaft.Footnote 16

3.2.1 Zeitschrift: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

1955 übernahm König von Leopold von Wiese die Herausgabe der Kölner Zeitschrift für Soziologie und benannte sie um in Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS).Footnote 17 Zusätzlich führte König noch die Sonderhefte und Schwerpunkthefte der KZfSS ein, die teils neue Themengebiete erschlossen oder wiederbelebten, teils soziologisch auf drängende gesellschaftliche Problemlagen einzugehen und sie aufzuklären versuchten.Footnote 18 Neben der Publikationsmöglichkeit in der Zeitschrift dienten auch die Sonderhefte den Jüngeren, die sie oft mit herausgeben durften, der korporativen Identitätssicherung der Kölner Soziologie. Natürlich wirkte die Zeitschrift auch als gate keeper, wobei sich König aber weitgehend dem wissenschaftlichen Ethos der Offenheit für andere Perspektiven verpflichtet fühlte.Footnote 19 Wie etwa die Sonderhefte zeigen, existierte dort eine breite Palette an Themen. Auch wenn König und seine Mitherausgeber sicherlich darauf geachtet haben, dass die Themen auch immer empirisch gesättigt abgehandelt wurden, so könnte man dennoch einwerfen, dass die von Schule, Sprache, Sozialgeschichte bis hin zu Ethnologie reichende thematische Vielfalt der Sonderhefte keine alleinige Reduzierung der Kölner Soziologie auf einen Kern namens „empirische Sozialforschung“ erlaube. Zwar stieg mit König als alleinigem Herausgeber von 1955 bis 1975 „der Anteil empirischer Arbeiten“ um ein 3faches an (Krekel-Eiben 1990, S. 152; vgl. auch Lüschen 1979), aber verglichen mit anderen Zeitschriften relativierte sich das ein wenig; im Vergleich zur 1949 erstmals erscheinenden Sozialen Welt und der ab 1972 gegründeten Zeitschrift für Soziologie hat die KZfSS maximal gesehen nicht so viele empirische Beiträge veröffentlicht wie jene (vgl. Krekel-Eiben 1990, S. 152).

Insofern könnte man mit Blick auf die Zeitschrift und auf die Frage nach einer „Kölner Schule“ bis hier festhalten: Es lässt sich, wenn überhaupt, ein anderer Kern der Kölner Nachkriegssoziologie als allein die empirische Sozialforschung ausmachen: Eine von Königs breitem Programm, interdisziplinärem Wissen und Interesse ausgehende, empirisch gesättigte, problemzentrierte Ausdifferenzierung und damit Entprovinzialisierung und Professionalisierung der bundesrepublikanischen Soziologie als Krisenwissenschaft, die sich in der Bildung von Bindestrichsoziologien, der Setzung soziologischer Forschungsstandards sowie durch zahlreiche Lehrstuhlbesetzungen von Königs Schülern so konsolidiert hat, dass das Modell der empirisch fundierten Soziologie mit Theorien mittlerer Reichweite zum selbstverständlichen, paradigmatischen oder mainstreamartigen Modell der Soziologie hierzulande schlechthin entwickelte (vgl. Sahner 1992, S. 256) – wobei der anfänglich sozialaufklärerische und gesellschaftskritische Impetus von König mitunter dabei oft auf der Strecke blieb. Die empirische Sozialforschung fällt bei dieser Auffassung einer „Kölner Schule“ nicht heraus, sie ist durchaus ein Kennzeichen der Schule, das nachträglich im Kampf um Repräsentationsmacht der konkurrierenden Schulen als ihr „branding“ ge- oder missbraucht wurde, sie ist aber unserer Definition nach nicht das wesentliche Kriterium der von König initiierten „Schule“.

Wie die Vorbemerkung zur ersten von ihm herausgegebenen Ausgabe der KZfSS zeigt, hatte König bereits 1955 ein recht klares Bild davon, welche Themen und gesellschaftlichen Problembereiche (auch noch) in Zukunft Relevanz beanspruchen, er nennt etwa neben Gemeindesoziologie die Gruppensoziologie, Industriesoziologie, soziale Schichtung und Mobilität, Weltgesellschaft, politische Soziologie, Entwicklungssoziologie etc. (vgl. König 1998b, S. 106 f.). Die von ihm forcierte problemzentrierte Ausdifferenzierung, die sich später in der Bildung Spezieller Soziologien institutionell bemerkbar machen wird, ist, so unsere These, darum auch weniger als ein zufälliges Ausfransen, sondern vielmehr als der bewusst vertretene, wesentliche Kernbestandteil der von König auf den Weg gebrachten Soziologie in Köln, der „Kölner Schule“, anzusehen.

3.2.2 Publikationen: Fischer-Lexikon, Handbuch der empirischen Sozialforschung

Zu einer Schule gehören neben einem charismatischen Lehrer und einer Zeitschrift, wie oben erwähnt, auch markante identifikatorische Publikationen. Im Falle der „Kölner Schule“ werden sie zum einen von König direkt verfasst und zum anderen zentral von ihm angestoßen. Sie legen gemeinsam mit den Instituten und institutionellen Verflechtungen, der Lehre, der Zeitschrift und der Anbindung von Schülern das Fundament der Kölner Soziologietradition.

Die ersten zentralen Anstöße in Richtung der weiteren Professionalisierung der Nachkriegssoziologie anhand der Implementierung und Institutionalisierung der empirischen Sozialforschung gibt König bereits 1952 mit der Herausgabe von Praktische Sozialforschung. Das Interview. Formen – Technik – Auswertung, dem ersten zentralen deutschsprachigen Methodenwerk dieser Zeit; der von dem Lazarsfeld-Mitarbeiter Max Ralis, der 1953 bei König promovierte,Footnote 20 initiierte (vgl. Ute Scheuch 2008, S. 111) SammelbandFootnote 21 propagiert das Interview als den „Königsweg“ der Sozialforschung und stellt eine deutsche Variante des Programms „der Empirical Social Research [dar], das in den 1930er- und 40er-Jahren durch Paul Lazarsfeld, Robert K. Merton und ihre MitarbeiterInnen an der Columbia University entwickelt wurde und in den USA rasch Verbreitung fand. … [Z]um Großteil handelt es sich um Auszüge aus Lehrunterlagen des von Lazarsfeld und Merton geleiteten Bureau of Applied Social Research (BASR). … Die Einleitung Königs zeigt eine große Nähe zur Forschungshaltung der Columbia Tradition, fokussiert aber deutlicher als jene auf Hypothesenprüfung“ (Ploder 2017, S. 737).

Auszüge aus der Vorlesung zur amerikanischen Soziologie aus dem Wintersemester 1943/44 in Zürich unterstützen diese Einschätzung: „Ohne soziologische Forschung ist nämlich Statistik a priori unfruchtbar – dies die auch für Europa bedeutsame Grundeinsicht der amerikanischen Soziologie. Die Statistik ist nur eine Methode … zur Einsicht in kleinere und größere soziale Zusammenhänge, aber die quantifizierende Methode wird erst dann auf Erfolg rechnen können, wenn sie sich auf eine vorgängige qualitative Analyse dieser Erscheinungen stützen kann.“ (König im Druck).

1957 erscheint eine 2. Auflage. Bei der 1. Auflage werden Wilhelm Brepohl, Max Ralis und der von Wiese-Schüler Karl G. Specht als Mitherausgeber genannt, bei der 2. Auflage sind es die König-Schüler Dietrich Rüschemeyer und Erwin Scheuch. 1956 erscheint unter Mitherausgabe von Peter Heintz und Erwin Scheuch Praktische Sozialforschung II. Beobachtung und Experiment,Footnote 22 in deren Einleitung König, was oftmals übersehen wird, die Untrennbarkeit von qualitativer und quantitativer Sozialforschung betont. Dass die Schüler mit auf dem Titelblatt stehen, wie König dies veranlasste, war damals eher unüblich und bezeugt seine Förderungsbereitschaft junger Wissenschaftler.

1958 publiziert König das in viele Sprachen übersetzte Soziologie-Lexikon im Fischer-Verlag, das mit über 400.000 Exemplaren zu einem der meistverkauften wissenschaftlichen Fachbücher avancierte und zur Popularisierung der Kölner Soziologie wesentlich beitrug. An dem Lexikon, das von den erwähnten Zürcher Vorarbeiten profitiert, sind neben König auch zahlreiche „Schüler“ und Kollegen beteiligt: Erwin Scheuch, Dietrich Rüschemeyer, M. Rainer Lepsius, Karl Martin Bolte, Alphons Silbermann, Emilio Willems, Rolf Ziegler sowie in späteren Neuausgaben auch Prodosh Aich, Klaus Roghmann, Paul Drewe, Dieter Fröhlich, Hans-Joachim Hummell, Maria Mayser, Karl-Dieter Opp, Horst Schmelzer, Günter Albrecht, Gerd Christiansaen, Manfred Güllner, Wolfgang Kaupen, Michael Klein sowie Franz-Josef Stendenbach (vgl. König 1967, S. 7). Dabei schont König seine Schüler nicht. In deren Augen hat er die Tendenz, sie „als Assistenten sehr zu belasten. Damit ist nicht gemeint, dass er seine Mitarbeiter für eigene Zwecke arbeiten ließ – wie das in deutschen Universitäten beim Ordinarienprinzip weit verbreitet war –, gemeint ist hier die Vielzahl der Projekte für das Institut, die König einfielen oder ihm von einem weltweiten Bekanntenkreis nahegebracht wurden“ (Scheuch 1996, S. 214).

Eine weitere Publikation, die zur Typisierung und Konstruktion einer „Kölner Schule“ beigetragen hat, ist das von Heinz MausFootnote 23 initiierte, seit 1962 erscheinende, mehrbändige Handbuch der empirischen SozialforschungFootnote 24. Das 15-bändige Handbuch (15, wenn man Bd. 3a und 3b als eigenständige Bände zählt) enthält nicht nur für die westdeutsche empirische Sozialforschung wegweisende Beiträge, sondern ist selbst ein Zeichen einer verstärkt beginnenden, professionalisierten Ausdifferenzierung des Fachs. Neben Geschichte, Wissenschaftstheorie, Methoden, Techniken und Forschungsansätzen behandeln die Bände Themen wie Soziale Schichtung und Mobilität, Jugend, Familie, Alter, Beruf, Industrie, sozialer Wandel, Organisation, Militär, Großstadt, Gemeinde, Massenkommunikation, Freizeit, Konsum, Wahlverhalten, Vorurteile, Kriminalität, Sprache, Künste, Religion und Medizin. Wie bereits beim Lexikon sind – neben renommierten Sozialwissenschaftlern aus dem In- und Ausland – ebenfalls zahlreiche (teilweise dann auch ehemalige) Kölner an diesem Großprojekt beteiligt, u. a. Erwin Scheuch, Helmut Zehnpfennig, Peter Heintz, Alphons Silbermann, Rolf Ziegler, Hansjürgen Daheim und Fritz Sack.

König ist sich vollkommen klar darüber, dass er mit den Bänden des Handbuchs zu dem, was wir den Kern der „Kölner Schule“ bezeichnen (problemzentrierte, empirisch orientierte Ausdifferenzierung und damit Professionalisierung der westdeutschen Nachkriegssoziologie) wesentlich beiträgt. Dies geschieht nicht unreflektiert und im vollen Bewusstsein der Historizität des jeweiligen Gegenstands. Neben den Vorteilen einer solch spezialisierenden Ausdifferenzierung sieht er auch ganz deutlich die negativen Tendenzen und Gefahren einer Spezialisierung. So schreibt er im Vorwort (König 1976, S. VII–XIV) der 2. Auflage des 5. Bands (Soziale Schichtung und Mobilität), dass das Handbuch gerade die ungewöhnlich große Differenzierung der Forschungsgebiete aufzeige und es zwar wichtig sei, dass zu bestimmten Zeiten gewisse Themen im Vordergrund stünden; die Bildung von „Bindestrich-Soziologien“ tendiere jedoch gleichermaßen zu der Gefahr, an der historischen Wandelbarkeit der Gesellschaft vorbei zu gehen,Footnote 25 ganz zu schweigen, dass dadurch – so Königs an die Kritische Theorie erinnernde Auffassung – der „gesellschaftliche Gesamtzusammenhang“ aus dem Blick gerate. Deswegen plädiert er zwar für eine Spezialisierung, ohne jedoch ihren wesentlich pragmatischen Charakter aus den Augen zu verlieren:

So sollte man sich vor einer allzu weitgehenden Institutionalisierung solcher Spezialdisziplinen hüten und sie als das sehen, was sie sind: eine nützliche Konstellation von Konzepten, Methoden und Forschungstechniken zur Bearbeitung einer existentiell aufdringlichen Problematik, die man aber bereit sein muß, über Bord zu werfen, so wie neue existentielle Herausforderungen spürbar werden. Auch das verweist neuerlich auf den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang, den man nicht „aufteilen“ oder „zerlegen“ kann, sondern durch den man jeweils nur bestimmte situationsbedingte Schnitte legen kann, auf deren Oberfläche bestimmte Probleme sichtbar werden. Damit allein ist schon gesagt, daß es sich immer nur um Provisorien handeln kann, die für ein oder zwei Generationen erleuchtend sind, dann aber ihre kognitive und wissenschaftliche Funktionalität verlieren. (König 1976, S. XIII)Footnote 26

Wie in der KZfSS, zeigt sich auch in den Publikationen der Kern der problemzentrierten Ausdifferenzierung und das Setzen von Forschungsstandards der von König angeregten Kölner Soziologie. Mit der KZfSS, den Sonderheften, der seit 1966 begonnenen Reihe Kölner Beiträge zur empirischen Sozialforschung und angewandten SoziologieFootnote 27, dem Soziologie-Lexikon und dem mehrbändigen Handbuch der empirischen Sozialforschung verfügen die Kölner über zentrale Eckpfeiler zur Absicherung, Institutionalisierung und Popularisierung ihrer soziologischen Positionen im Feld, die den Analysen Heinz Sahners zufolge bis Mitte/Ende der 1960er-Jahre durchaus eine homogene und das gesamte Feld prägende „Schule“ der Kölner Soziologie erkennen lassen.Footnote 28

Die Handbücher, Sonderhefte und das Lexikon sind nicht nur in der Forschung brauch- und anwendbar, sondern auch für die Lehre und verweisen auf Königs „systematische Verbindung von Forschung und Lehre“ (Klein 2014, S. 559).

Entsprechend der Wissenschaftspolitik des Landes Nordrhein-Westfalen wurde das „Forschungsinstitut für Soziologie“ großzügig mit „Mittelbaustellen“ (Assistenten) ausgestattet. Dies ermöglichte ihm [gemeint ist René König], die Verbindung von Lehre mit der Forschung nicht aus zufällig eingeworbenen Drittmittelprojekten herzustellen, sondern im bei Paul. F. Lazarsfeld entlehnten Geiste als „Institution“ zu kreieren. Schon zu Beginn der 1950er-Jahre sah er die Funktion der Forschungsinstitute für Soziologie in der Entwicklung und Vermittlung von Soziologie und dies wurde in der Tat konstitutiv für seine Art der Begründung der Soziologie „aus dem Geiste der Empirie“ im Deutschland der Nachkriegszeit. (Klein 2014, S. 559 f.)Footnote 29

3.3 Bindung weiterer soziologischer Akteure

Während die Publikationen deutlich auf die Wirksamkeit der „Kölner Schule“ in der wissenschaftlichen Fachöffentlichkeit hindeuten, geht etwa Neidhardt davon aus, dass König hinsichtlich der allgemeinen Öffentlichkeit relativ wenig wirksam war (da waren Schelsky und Adorno in seinen Augen erfolgreicher), dafür war aber bei ihm die „kleine Öffentlichkeit des Hörsaals“ relevanter (Neidhardt 2006, S. 135). Der Hörsaal erscheint bei König tatsächlich als zentrales Wirkungsfeld, wenn wir uns mit der Frage der Bindung weiterer soziologischer Akteure befassen. Im Nachfolgenden skizzieren wir auf der einen Seite sein Verständnis von Lehre und gehen auf der anderen Seite auf die Wahrnehmung der Wirkung Königs als Lehrender bei seinen Schülern ein.

3.3.1 Lehre bei René König

René König betonte das dialogische Lehren, die intensive Vorbereitung der Lehre und die Lehre dann aber in freier Rede ohne Manuskript. Lässt sich aus diesem Anspruch allein die Wirkung Königs als Vortragender verstehen? Unseres Erachtens nicht. Seine Persönlichkeit, die sich als Vortragender entfaltete, ihn bei manchen Zuhörern gar als „Zauberer“ oder „Meister“ erscheinen ließen, ist vielschichtiger. Es gibt zahlreiche schriftlich vorliegende Erinnerungen von ehemaligen Studenten Königs, über die sich ein vielseitigeres Bild der Wirkung Königs als „Vortragspersönlichkeit“ nachzeichnen lässt.

Rolf Ziegler sieht dabei vor allem Parallelen zu Émile Durkheim. König beschrieb Durkheims Lehre folgendermaßen: „Äußerlich trat diese schon hervor in der Art seines Vortrags: leidenschaftlich erregt floß der Strom seiner Rede, die trotz sorgfältiger (schriftlicher) Vorbereitung fast immer schöpferischer Improvisation entsprang. … Sein leidenschaftliches Gefühl steht ganz und gar im Dienste der Sache. So allein konnte er dem strengsten wissenschaftlichen Vortrag den Nachdruck seherischer Prophetie verleihen, die schon aus seinem Angesicht … zu seinen Schülern sprach. … Allerdings suchte er … die Erziehung Gleichgesinnter nicht zu erreichen durch billige Kathederprophetie, sondern einzig durch die Übermittlung einer methodischen Forschungsweise.“ (König 1978, S. 118). Nach Ziegler könnten diese Worte aber auch König selbst gegolten haben (zit. nach Ziegler 1998, S. 27 f.). König hatte eine große Leidenschaft für die Lehre (vgl. Klein 2014, S. 554).

Diese Leidenschaft übertrug sich. Im Überblick gesehen, waren alle seine Studenten – sofern sie sich schriftlich zu ihm geäußert haben – von René Königs Lehrfähigkeiten tief beeindruckt, insbesondere von seiner dadurch zum Ausdruck kommenden charismatischen Persönlichkeit (vgl. Atteslander 1992; Büschges 1992; Lepsius 1992; Scheuch 1992, 1998; Sack 2010; Daheim 1998; Zahn 1992; Ziegler 1992; Benninghaus und Stehr 1992; Heintz, nach Hoffmann-Nowotny 1992). Einige überzeugte König als moralische Persönlichkeit (Benninghaus und Stehr 1992), als Gegenpol zur historischen Last des Nationalsozialismus, was natürlich die jungen Studenten in Köln ab 1949 betraf, oder bereits in einzelnen Vorträgen in München und Köln davor. Andere waren begeistert von seinem enzyklopädischen Wissen (vgl. Lüschen 1992), seinen analytischen und didaktischen Fähigkeiten, Theorietraditionen, wie jene des Marxismus oder der französischen Soziologie, verständlich zu machen (vgl. Rüschemeyer 1996; Ziegler 1992). Andere waren von einem wichtigen Aspekt seines Programms für die Soziologie überzeugt: nämlich die Ausrichtung als empirische Wissenschaft, die entsprechend über ein ordentliches methodisches Handwerkszeug zu verfügen hatte. Wie er seine Studenten und Assistenten, und zwar bereits in Zürich, zu empirischen Projekten trieb, das machte die Soziologie für jene als empirische Wissenschaft bedeutsam, ja gab mit König dann von Köln aus den zentralen Antrieb zu einer dann doch dominanten empirischen Ausrichtung (man denke dabei an die Forschungsabteilungen, die Methodenlehrbücher und die Kölner Zeitschrift).

Neben seiner offenen Persönlichkeit, die so gar nicht dem zeitgenössischen Bild des Universitätsprofessors entsprach, spielten 1. seine Art Soziologie vorzutragen, 2. seine Betonung der empirischen Sozialforschung und 3. seine Neigung zum Moralisten die zentralen Rollen für die Begeisterung der Studierenden. Diese 3 Momente kommen auch sukzessive in seiner Biografie hervor. In der Züricher Zeit war es wohl vor allem die erste Eigenschaft und seine Offenheit, die seine „Jünger“ anlockte. Aber auch die Anregung zu empirischer Sozialforschung begann zu dieser Zeit. Der Moralist trat hingegen stärker in Köln hervor und entfaltete sich dort angesichts der restaurativen Adenauer-Zeit. Er beeindruckte die deutschen Studenten mit klaren Wertüberzeugungen und konnte, dank seiner Biografie, seine moralischen Positionen glaubhaft einnehmen und vertreten. Doch nachhaltig etablierte er sich in Köln doch am meisten mit der Betonung und Forcierung der empirischen Sozialforschung, die insbesondere mit internationalem Blick vorangetrieben wird: „Wohl alle jüngeren Soziologen, die in Köln studierten, sind durch ihn ‚internationalisiert‘ worden.“ (Lepsius 1979, S. 36).

Die Empirie lehrten jedoch vor allem seine Schüler. König hingegen ging es in der Lehre nicht um eine permanente Verfeinerung der Methoden, sondern ebenfalls insbesondere um eine problemzentrierte Sicht auf gesellschaftliche Phänomene und eine dafür notwendig interdisziplinäre Sichtweise. Scheuch (2001, S. 149): „Die Vorlesungen von René König zogen viele Studenten aus anderen Fächern an und bewog nicht wenige, zur Soziologie als Studienfach zu wechseln. Für diesen Erfolg war sein Eklektizismus mitverantwortlich. Die Vorlesungen verwoben ineinander Sozialgeschichte, Ethnologie, Sozialpsychologie und auch noch Soziologie im engeren Sinn.“

3.3.2 Schüler

Wie der knappe Blick auf die Publikationen gezeigt hat, fördert König bereits zu Beginn seiner Professur in Köln die jüngeren Mitarbeiter, indem er sie in die dann breit rezipierten Veröffentlichungen mit einbezieht. Auch die Schülerschaft Königs weist eine thematische Breite auf, die zunächst einmal nicht unmittelbar dafür spricht, die Kölner Soziologie allein nur mit empirischer Sozialforschung zu identifizieren oder mit „Positivismus“ gleichzusetzen, auch wenn dies im Distinktionskampf im soziologischen Feld der 1960er- und 1970er-Jahre en vogue war. Die alleinige Identifizierung der Kölner Soziologie mit empirischer Sozialforschung mag vor dem Hintergrund dieser Kämpfe im soziologischen Feld plausibel erscheinen, insbesondere wenn man die insbesondere von Erwin K. Scheuch forcierte angewandte und empirische Soziologie als einzigen Maßstab nimmt. Dann wäre vielleicht Scheuch der eigentliche Begründer der „Kölner Schule empirischer Ausrichtung“. Diese Meinung kann man vertreten, aber aus unserer Perspektive beginnt die Kölner Nachkriegssoziologie und „Kölner Schule“ mit König, weil dieser dort in der universitären Soziologie erst die zentralen Weichen hin zur Stärkung und Institutionalisierung der Soziologie, eben auch der empirischen Soziologie gestellt hat. So konnte auch Scheuch erst in Köln durch König und dessen forcierte problemzentrierte, empirische Ausrichtung reüssieren.

König förderte Scheuchs Lehrmöglichkeit und ließ ihn Kurse in empirischer Sozialforschung abhalten. Ebenso vermittelte er ihm Auftritte im Rundfunk (Ute Scheuch 2008, S. 111 u. 121). 1953 bot ihm König eine Assistentenstelle an. 1956 promovierte Scheuch schließlich bei König und dem Statistiker Jakob Breuer über das Auswahlverfahren in der Sozialforschung. Ihre Anwendung bei Repräsentativ-Befragungen. Neben Scheuch gehörten zum Doktorandenseminar Anfang der 1950er-Jahre Höfer, Krapp, Büschges, Schneider, Scheele, Schmitz, Sieben und Rüschemeyer (vgl. Ute Scheuch 2008, S. 143). Scheuch profitierte nach eigenen Angaben sehr von Königs zahlreichen internationalen Beziehungen. Eine Stipendienvergabe der Rockefeller Foundation ermöglichte Scheuch 1959 einen längeren Aufenthalt in den USA, „to study methodological aspects of survey methods in the social sciences with particular emphasis on the problems of scaling“, wie es in der Rockefeller-Akte heißt.Footnote 30 Nach Köln zurückgekehrt und in den Methoden der quantitativen Sozialforschung bestens ausgebildet, gründete Scheuch 1960 zusammen mit Günter Schmölders das „Zentralarchiv für empirische Sozialforschung“.Footnote 31 Ende 1961 wurde er mit einer Arbeit über „Skalierungsverfahren als Instrument der Sozialforschung“ in Soziologie habilitiert. Zuvor erhielt er im gleichen Jahr den Ruf nach Harvard, um dort für 3 Jahre als Dozent für Sozialpsychologie am Department for Social Relations zu lehren. Mit maßgeblicher Unterstützung durch König wurde Scheuch 1964 zunächst als Extraordinarius nach Köln berufen. Einen weiteren Ruf nach Berlin nutzte Scheuch in den Verhandlungen in Köln zur Umwandlung des Extraordinariats in ein Ordinariat für besondere Soziologie (Scheuch 1998, S. 248 ff.; Ute Scheuch 2008, S. 394). 1965 gründete er das Institut für international vergleichende Sozialforschung – ab 1968 in Institut für vergleichende Sozialforschung umbenannt – (1975 unter Scheuch und der neuen Lehrstuhlinhaberin Renate Mayntz dann Institut für angewandte Sozialforschung).Footnote 32

Von König initiiert war es insbesondere Scheuch, der die Kollegen und die Doktoranden in die Praxis empirischer Sozialforschung einführte (vgl. Atteslander 2008, S. 426) und die Professionalisierung der empirischen Sozialforschung in Deutschland durchführte.Footnote 33 Man kann deshalb sagen, die „Kölner Schule“ baute unter Federführung von Scheuch ihr Element der empirischen Sozialforschung weiter aus und professionalisierte dieses zunehmend, sodass die Kölner Soziologie mit ihrem Kern der problem- und empiriezentrierten Ausdifferenzierung nicht nur Stichwortgeber zahlreicher empirisch ausgerichteter Bindestrichsoziologien wurde, sondern die empirischen Forschungsmethoden nun selbst zu einer Art Speziellen Soziologie avancierten. So gründete Scheuch schließlich eine eigene Methodensektion in der DGS. Diesen Prozess erachtete König zunehmend für problematisch, weil er die Gefahr des Wirklichkeitsverlusts eines „Forschungstechnokratismus“ und selbstbezüglichen Methodisierens witterte. Rolf Ziegler erinnert sich an diese Kritik Königs und bekräftigt nochmal, dass es diesem nicht in erster Linie um die Methoden ging, sondern um empirisch unterfüttertes Problembewusstsein, das auch im Blick auf die Schüler für unterschiedliche Sichtweisen und Theorieorientierungen weitgehend offen war (sofern sich diese nicht im geschichtsphilosophischen oder individualistisch-reduktionistischen Bereich befanden):

René König hat sich immer gegen das plumpe Stereotyp gewandt, die „Kölner Schule“ sei der von ihm betriebene Import der amerikanischen Sozialforschung, die letzten Endes zu nichts anderem führe als theorieloser Fliegenbeinzählerei, spitzfindiger Methodenakrobatik und forschungstechnischem Leerlauf. Wo er solche Tendenzen spürte, hat er sie selbst schonungslos gegeißelt und verspottet. … Die Warnung an die „Jünglinge“, richtige Soziologie zu machen und wirkliche Probleme zu behandeln, war auch für jeden von uns unüberhörbar. Im Übrigen waren auch unter Königs jüngeren Mitarbeitern der 1960er-Jahre durchaus verschiedene inhaltliche Positionen vertreten: z. B. die „strengen“ Parsonianer Heidrun und Wolfgang Kaupen, der während seines Aufenthaltes an der University of Chicago zum Symbolischen Interaktionismus „konvertierte“ Fritz Sack oder die „Reduktionisten“ Hans-Joachim Hummell und Karl-Dieter Opp. (Ziegler 2010, S. 56).

Verbindet man mit der „Kölner Schule“, wie wir das vorschlagen, eine Professionalisierung und Institutionalisierung der Soziologie im Sinne der vorangetriebenen problemzentrierten Ausdifferenzierung, so spiegelt sich das auch in den von König betreuten Dissertationen wider, die von einer enormen Vielfalt und Offenheit der Themen geprägt sind, die von ethnologischen, literatursoziologischen bis hin zu industriesoziologischen oder Wahlanalysen reichen und die auf Königs großen Bildungshorizont und die Bandbreite seiner Interessens- und Wissensgebiete verweist. Die im Anhang dieses Beitrags angefügte Liste der bei König angefertigten Dissertationen weist dabei eine so beträchtliche Zahl an Doktoranden auf, sodass hier nicht auf alle eingegangen werden kann.Footnote 34 Ein knapper Blick auf Doktoranden und ihre Themen kann jedoch die problemzentrierte und ausdifferenzierte soziologische Ausrichtung der Anfangszeit dessen, was man „Kölner Schule“ nennen könnte, beleuchten. So finden sich Dissertationen aus den Bereichen der Ethno‑, Religions‑, Kunst- und Freizeitsoziologie bis hin zur Institutionen- und Rollentheorie. Die meisten sind empirisch orientiert, aber nicht nur. Manche behandeln ebenso Theorierichtungen oder Ideengeschichte wie etwa Dietrisch Rüschemeyers Arbeit über die Wissenssoziologie und dessen spätere Theorievermittlung ParsonsFootnote 35, Michael Oppitz’ berühmt gewordene Studie über Lévi-Strauss, Jacob Taubes’ Abendländische Eschatologie, Josef Guglers Dissertation über die französische Soziologie, Alfred Bellebaums Studie über Tönnies oder Wilfried Gerhards Arbeit über Ernst Troeltsch zeigen.

Peter Heintz, einer von Königs ersten Schülern, verfasste beispielsweise 1951 eine Monographie über Anarchismus und Gegenwart. 1957 war Heintz Mitherausgeber des 2. Sonderhefts der KZfSS zu Soziologie der Jugendkriminalität. Seine Vorlesungen behandelten Kulturanthropologie, Kriminalsoziologie, Technik, Sozialpsychologie, Vorurteilsforschung und Entwicklungssoziologie. Im Gegensatz zu Schülern wie Scheuch oder Peter Atteslander widmete er sich nicht dezidiert der empirischen Sozialforschung, etwas schematisch könnte man sagen, er repräsentierte eine der vielen anderen Seiten von Königs Soziologie, die vor dem Hintergrund der immer sichtbareren Forcierung der empirischen Sozialforschung in den Kölner Jahren oft in den Hintergrund gerieten. Aber natürlich soll das auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die empirischen Forschungsarbeiten wesentlich zum Kern der problemzentrierten Ausdifferenzierung gehören. So promovierten nicht nur Scheuch, sondern auch Schüler wie Günter Büschges, Walter Scheele oder Gerhard Kunz über Methodenfragen.

In den Anfangsjahren spielten relevante Themen der Nachkriegsgesellschaft wie Familie, Urbanisierung, Veränderung der Gemeinden, Industrieentwicklung, Betriebs- und Organisationssoziologie, soziale Schichtung sowie das durch das „Wirtschaftswunder“ steigende Konsum- und Freizeitverhalten eine zentrale Rolle in den Forschungsarbeiten.

Königs Aversion gegen die „muffige und bigotte Atmosphäre des Adenauer-Regimes“ (König 1984, S. 179 u. 185) schlug sich auch auf seine Schüler nieder oder wurde von diesen geteilt. Dies trifft allerdings nach Burkart Lutz (2000, S. 39) für einen großen Teil der soziologischen Nachkriegskohorte allgemein zu, deren Wunsch es gewesen sei, sich „aktiv und kritisch mit dieser dumpfen, stickigen, rückwärtsgewandten Atmosphäre der Adenauerschen Bundesrepublik in den fünfziger Jahren auseinanderzusetzen …“. Wobei die Schulen sich auf ganz unterschiedliche Weise damit auseinander- und Akzente setzen. Kölner Studierenden der 1950er- und 1960er-Jahre war nach Hans-Joachim Hummell (1998, S. 311) „die Konzeption einer Soziologie als positiver Einzelwissenschaft – manchmal seitens der Zuhörer mit einer gewissen Emphase übersteigert zu einer ‚Soziologie jenseits von Metaphysik und Werturteilen‘ – ein willkommenes ‚rationalistisches Gegengift‘ zu gewissen restaurativen Tendenzen der Adenauer-Ära, die ideengeschichtlich als Ausfluß einer ‚deutschen Ideologie‘ bildungshumanistischer Provenienz mit idealistisch-geisteswissenschaftlicher Unterlagerung wahrgenommen wurden … .“

Dabei ist das Verhältnis zu den Schülern nicht immer harmonisch, womit die Soziologie in Köln prinzipiell auch ein weiteres schulentypisches Merkmal aufweist (siehe Tiryakian 1981, S. 43). Auch zwischen den Professoren kriselte es. Ende der 1960er-Jahre kam es zu „erheblichen Mißstimmungen zwischen Scheuch und König“ (Ute Scheuch 2008, S. 392), die sich dann aufgrund der unterschiedlichen Bewertung der Studierendenproteste 1968 weiter zuspitzten. Die empirische Soziologie wurde immer mehr mit Scheuch, der ihre Institutionalisierung und Professionalisierung auch in der Kölner Soziologielehre wesentlich vorangetrieben hatte, identifiziert; sie geriet nun in den Schulenkämpfen und im Zuge der Politisierung der Studierenden immer mehr in die Defensive und wurde immer weniger als „angewandte Aufklärung“ (Dahrendorf 1963) und wissenschaftliche Begleitung des bundesrepublikanischen Demokratisierungsprozesses angesehen, sondern vielmehr als Bewahrerin des status quo.Footnote 36 Auch mit Peter Heintz kam es zum Zerwürfnis. Und Karl-Dieter Opp (2010, S. 82 f.) berichtete, wie er Königs Unmut auf sich gezogen habe, aufgrund eines Aufsatzes von Hummell und ihm über „Die Reduzierbarkeit von Soziologie auf Psychologie“, eine Position, die König strikt ablehnte und wegen der Opp schließlich aus dem Schülerkreis „verbannt“ wurde.

Die Konzentration auf die problem- und empiriezentrierte Ausdifferenzierung der Soziologie führte schließlich dazu, dass zentrale Ausrichtungen Königs auf der Strecke blieben (vgl. Albrecht 2006, S. 583) und er zugunsten seiner politisch-aufklärerisch und reeducation-Haltung zu einem gewissen Anteil auch gegen seine eigene akademische Herkunft arbeitete.Footnote 37 Die kulturanthropologische Ausrichtung im Ausgang von Thurnwald und den durkheimiens erfuhr (auch in Heintz’ Entwicklungssoziologie) kaum eine systematische Aufnahme; die soziologische Perspektive der Durkheim-Schule wurde ebenfalls von den Schülern Königs nicht weiter systematisch verfolgt; vielmehr scheinen sich im Laufe der Zeit immer mehr ein an Max Weber orientierter methodologischer Individualismus geschmeidiger mit der Ausrichtung einer amerikanisch geprägten empirischen Sozialforschung in Einklang zu bringen als die französische Durkheim-Schule.Footnote 38 Und was die moralische Gegenwartsdiagnose Königs anging: sie bekam insbesondere in der Person Scheuchs eine konservative Wendung, die dann nach 1968 oftmals die gesamte Wahrnehmung der „Kölner Schule“ als konservative, unkritische oder positivistische Empirieproduzentin leitete und zu Recht zu der von Johanns Weiß (1992) aufgestellten Frage Anlass gab: „Gehört René König zur ,Kölner Schule‘?“

4 Fazit

Wenn unter „Kölner Schule“ nur bloße Empirieproduktion und Methodenverfeinerung gefasst wird, dann gehörte König nicht zu dieser Schule. Wenn man aber von einer „Kölner Schule“ im Ausgang von René König und seinen Institutionalisierungsbemühungen sprechen mag, so erscheint uns als deren zentraler Kern eine an gesellschaftlichen Problemen ausgerichtete, empirisch orientierte Ausdifferenzierung und Professionalisierung der bundesrepublikanischen Soziologie – eine Ausrichtung, die sich heute als die vorherrschende normal sociological science durchgesetzt und „veralltäglicht“ (Tiryakian 1981, S. 42) hat. Heinz Sahner beschrieb das einmal in seinen „Anmerkungen zur ‚Kölner Schule‘“ so, dass die Wirkung Königs und der ,Kölner Schule‘ darin liege, „daß eine theoretisch und empirisch fundierte Soziologie weitgehend zur Selbstverständlichkeit geworden ist“ (Sahner 1992, S. 256). Insofern folgen wir in unserer Charakterisierung oder „Konstruktion“ einer von König ausgehenden „Kölner Schule“ einem Hinweis von Matthias BösFootnote 39, dass die „Kölner Schule“ sich „zu Tode gesiegt“ habe, da sie „das in der amerikanischen Soziologie und in der ISA sich langsam etablierende Bild der Soziologie als eine in unterschiedliche Bindestrichsoziologien aufgeteilte Wissenschaft mit empirisch begründeten Theorien mittlerer Reichweite in den einzelnen Teilgebieten vertrat und somit zum Mainstream wurde.“ In diesem Sinne kann die in der Einleitung erwähnte Diversität nicht mehr als Gegenargument für das Vorliegen einer „Kölner Schule“ verwendet werden, sondern vielmehr als deren Kern identifiziert werden. Atteslanders oben erwähnter Befund, dass zwar ein übereinstimmendes Vorverständnis von Gesellschaft und den Methoden bestanden habe, spricht zudem viel mehr für als gegen das Vorliegen einer Schule. Auch die Brüche zwischen König und seinen Schülern, die sich in den 1960er-Jahren abzeichneten, sind schulentypisch. Zwar gingen einige Elemente der von König propagierten Soziologie verloren, doch kam es auch zu einer Popularisierung und Veralltäglichung jener Soziologie, die König und dessen Schüler maßgeblich vertreten hatten. In dieser Hinsicht – so können wir resümieren – gibt es kaum einen Aspekt des soziologiegeschichtlichen Schulenbegriffs, der sich nicht in der Geschichte der Soziologie in Köln nachweisen lässt – auch wenn diese „Kölner Schule“ als Schulzusammenhang nur bis zu einem bestimmten Zeitraum bestand (spätestens bis Anfang der 1970er-Jahre).

König ging nicht nach Köln mit der handlungsleitenden Absicht der Bildung einer Schule. Ziel war vielmehr die Konstituierung einer Soziologie, „die nichts als Soziologie ist, nämlich die wissenschaftlich-systematische Behandlung der allgemeinen Ordnungen des Gesellschaftslebens, ihrer Bewegungs- und Entwicklungsgesetze, ihrer Beziehungen zur natürlichen Umwelt, zur Kultur im Allgemeinen und zu den Einzelgebieten des Lebens und schließlich zur sozial-kulturellen Person des Menschen“ (König 1967, S. 8). Dieses mit empirischer Sozialforschung und mit der Vermittlung internationaler Soziologie unterfütterte Programm richtete er auf unterschiedliche gesellschaftliche Phänomenbereiche aus und baute es durch Lehre, Publikationen und die von ihm geförderten „Schüler“ sukzessive aus, die dann ihrerseits vielfach auf Soziologieprofessuren berufen wurden und diese Art von Soziologie weiter etablierten. Dadurch, dass diese Art von Soziologie sich unmittelbarer, empirischer und ausdifferenzierter an den gesellschaftlichen Problemen abarbeitete als etwa eine kulturpessimistische, die „Totalität“ verdinglichender Vergesellschaftung kritisierende Frankfurter Schule, sowie durch die methodische Grundausbildung taten sich die Universitäten mit Berufungen von Kölnern leichter. Das bedeutet nicht, dass die Kölner unkritisch waren, im Gegenteil. König, Scheuch und andere mischten sich durchaus ein und verstanden sich als Aufklärer, aber immer vor dem Hintergrund empirisch gewonnener Einsichten in die gesellschaftliche Realität. Die Kölner, so könnte man pointierter sagen, wirkten mehr in das Fach, während andere Schulen, wie etwa die Frankfurter oder Schelsky (vgl. Moebius 2017a), eher in die Politik oder ins Feuilleton ausstrahlten (vgl. Albrecht et al. 1999). Und so bestimmte die „erreichte Professionalisierung die konkrete Gestalt der Soziologie auch während der Jahre der neomarxistisch beeinflussten Studentenbewegung an den meisten Universitäten. Der Neomarxismus scheiterte – so kann man sagen – an den Methoden der empirischen Sozialforschung. Der Zwang zur empirischen Konkretion brach auf Dauer Ideologien, wie es Königs Vorstellungen entsprach“ (Lepsius 2006, S. 428).

König förderte die Verbreitung professioneller soziologischer Kriterien und die Ausdifferenzierung, aber er sah sie, wie bereits erwähnt, nie als Selbstzweck, sondern als je nach gesellschaftlicher Problementwicklung notwendigen Spezialisierungsbedarf. Angesichts des sozialen Wandels habe die Soziologie offen zu sein und genau zu prüfen, dass sich die Institutionalisierungen von Spezialdisziplinen nicht verkrusten und ihren Wirklichkeitsbezug verlieren. Auch sah er eine andere Gefahr, der von ihm in Gang gesetzten Prozesse, die Oliver König und Michael Klein folgendermaßen beschreiben: „Daß mit dieser Ausdifferenzierung in Teil-Soziologien die Einheitlichkeit des Faches immer mehr schwand, erfüllte ihn allerdings auch mit Unwohlsein, da er mit dieser Entwicklung nicht in erster Linie eine Verfeinerung und Präzisierung soziologischer Theoriebildung, sondern weit eher einen neuen fachspezifischen Provinzialismus heraufziehen sah. Er wollte verbinden und nicht trennen.“ (Klein und König 1998, S. 12.). Und so erging es ihm und der „Kölner Schule“ wie in Goethes Zauberlehrling. Die Geister, die er rief, wurde er nicht mehr los. Der Prozess der Teilung war nicht mehr zu stoppen. Er gewann durch den Ausbau des Hochschulwesens und der Soziologie eine solche Eigendynamik, dass die Schule keine Schule mehr blieb und „Köln“ nun überall in der Republik und im anderen deutschsprachigen Raum anzutreffen war. Die Einheitlichkeit des Fachs schwand, damit auch ein klar umrissener Blick auf die Ursprungskonstellation dieser Entwicklung. Vielleicht liegt darin, wie Klein schreibt, auch das Vergessen begründet (vgl. Klein 2014, S. 552), dem der Initiator dieses Prozesses immer mehr anheimfiel.