Zusammenfassung
Entrepreneurial Marketing (EM) ist ein dynamisch wachsendes Forschungsfeld, das zunächst als heterogen erscheint. Da eine solche Heterogenität die Orientierung innerhalb des Forschungsfeldes erschwert, hat sich dieser Beitrag zum Ziel gesetzt, die EM-Literatur zu inventarisieren und damit zentrale Diskussionslinien der EM-Forschung herauszuarbeiten.
Auf Basis einer umfassenden Literaturanalyse wird zunächst die Entwicklungsgeschichte der EM-Forschung nachgezeichnet, und es werden Schlüsselautoren und Schlüsselzeitschriften identifiziert. Mittels einer Zitationsanalyse von 199 EM-Beiträgen mit insgesamt 6.195 Referenzen und einer anschließenden Expertenevaluation wurden vier Hauptdiskussionslinien der EM-Forschung identifiziert: 1) theoretische Grundlagen, 2) Entrepreneurship/Marketing-Schnittstelle, 3) Gründungs- und KMU-Marketing, und 4) EM im Sinne eines unternehmerischen Marketing. Diese vier Themenbereiche und die jeweilige Grundlagenliteratur bilden einen Rahmen für die Weiterentwicklung der EM-Forschung.
Abstract
Entrepreneurial Marketing (EM) is a research field that grows dynamically and that seems to be heterogeneous. Heterogeneity of a research field exacerbates the orientation in and the advancement of the field. Therefore, this article strives to inventarize the EM-literature and thereby to identify key discussion lines of EM research.
Based on a comprehensive literature analysis, we first outline the history of EM research, and identify core authors and core journal Based on a citation analysis of 199 EM papers with a total of 6,222 references and an ensuing expert evaluation, we identify four key discussion lines: (1) theoretical foundations, (2) entrepreneurship-marketing interface, (3) new venture- and SME-marketing, and (4) EM in the sense of innovative, proactive and risk-oriented marketing. These four discussion lines and the respective literature constitute a framework for the advancement of EM research.
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1 Einleitung
Das noch vergleichsweise junge Forschungsfeld „Entrepreneurial Marketing“ (EM), in einer aktuellen Definition beschrieben als „…a spirit, an orientation as well as a process of pursuing opportunities and launching and growing ventures that create perceived customer value through relationships, especially by employing innovativeness, creativity, selling, market immersion, networking or flexibility“ (Hills et al. 2010, S. 6), weist eine dynamische Entwicklung auf. Seit der ersten Konferenz zu EM im Jahre 1986 (s. Tab. 1) hat sich das Thema in der betriebswirtschaftlichen Forschung etabliert, wie aktuelle Sonderhefte der Fachzeitschriften International Journal of Entrepreneurship & Innovation Management, Journal of Marketing: Theory & Practice, Journal of Small Business & Entrepreneurship, Journal of Small Business Management und Zeitschrift für Betriebswirtschaft sowie eigenständige Tracks auf internationalen betriebswirtschaftlichen Konferenzen wie der RENT 2009 oder der EURAM 2010 zeigen. Auch in der deutschsprachigen Entrepreneurshipforschung wird EM als eines der Themen gesehen, die zukünftig den höchsten Bedeutungszuwachs erlangen werden (Harms und Grichnik 2007).
EM legitimiert sich aus drei Gründen: Erstens lassen sich die in der Marketingliteratur dargestellten Konzepte nur bedingt auf junge sowie kleine Unternehmen anwenden (Eggers 2009). Marketinginstrumente, die für Großunternehmen entwickelt werden, sind in der Mehrzahl der Fälle zu komplex für kleine und junge Unternehmen, so dass sie auf diese Zielgruppe speziell zugeschnitten werden müssen. Eine Anpassung des Marketing an die besonderen Charakteristika kleiner und junger Unternehmen leistet wiederum einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Entrepreneurship-Disziplin. Zweitens basiert EM auf Eigenschaften wie Flexibilität, Innovativität und Proaktivität (Eggers 2007). Hierbei handelt es sich um Eigenschaften, die sich wiederum auch für Großunternehmen als relevant erweisen können, so dass EM zunehmend auch als Erfolgsfaktor für große und etablierte Unternehmen interpretiert wird (Chaston 2000). Drittens befindet sich die Marketing-Disziplin selbst derzeit im Umbruch. So sprechen Vargo und Lusch (2004) von einer an Bedeutung gewinnenden „service-dominant logic“, einer zunehmenden Service- bzw. Dienstleistungsorientierung im Marketing. Diese beinhaltet direkteren Kundenkontakt und geht einher mit den oben genannten EM-Eigenschaften. So kann vermutet werden, dass EM einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Marketing-Disziplin insgesamt leisten kann.
Das Forschungsfeld des EM ist allerdings bis dato als weitgehend unstrukturiert und fragmentiert zu charakterisieren. Dies mag an dem zuvor beschriebenen schnellen Wachstum des Themenfeldes liegen, möglicherweise aber auch am Schnittstellencharakter der Disziplin. So lassen sich bereits in den Ursprungsdisziplinen Marketing und Entrepreneurship eine große Zahl von Konzeptualisierungen der jeweiligen Disziplin finden (Cunningham und Lischeron 1991; Grönroos 2006). Daher verwundert es kaum, wenn sich auch für die Schnittstelle dieser Disziplinen eine große Zahl an unterschiedlichen Definitionen findet (Kraus et al. 2010).
Eine derartige Heterogenität erschwert die Strukturierung des Forschungsfeldes und damit die Identifikation von Hauptdiskussionslinien, welche für die Perzeption und die Weiterentwicklung der EM-Forschung eine Orientierung sein könnten. Bereits Ende der 1980er Jahre schreiben Low und MacMillan (1988) in Bezug auf die Entrepreneurshipforschung: „As a body of literature develops, it is useful to stop occasionally, take inventory for the work that has been done, and identify new directions and challenges for the future.“ (139). Wenn man das rapide Wachstum der EM-Forschung in Betracht zieht, erscheint ein solches „Inventarisieren“ inzwischen mehr als zuvor notwendig. Aus diesem Befund resultiert das Ziel des vorliegenden Beitrages, den aktuellen Stand der Forschung zum Themengebiet EM umfassend und strukturiert abzubilden und daraus ableitend Ausblicke auf mögliche zukünftige Entwicklungen der EM-Forschung herauszuarbeiten. Zu diesem Zweck wird ein dreistufiges Vorgehen angewendet. Zunächst stellen wir die noch immer vergleichsweise junge Entwicklung des EM aus historischer Perspektive dar. Als zweiter Schritt wird eine umfassende Zitationsanalyse auf Basis von 199 Beiträgen mit insgesamt 6.195 verwendeten Referenzen als wesentliche Erweiterung und Aktualisierung der auf Basis von 45 Beiträgen durch Eggers et al. (2009)Footnote 1 vorgenommenen Zitationsanalyse zum Thema durchgeführt, deren Ergebnisse im dritten Schritt zur Unterstützung durch eine zweistufige Expertenbefragung evaluiert und um Hinweise auf zukünftige Entwicklungslinien ergänzt werden.
2 Entwicklung und Beschreibung der Entrepreneurial Marketing-Forschung
Als Ausgangsbasis für die folgenden Analysen, d. h. die Darstellung der historischen Entwicklung der EM-Forschung, die bibliographische Darstellung und die Zitationsanalyse, dient eine umfassende Literaturanalyse zur EM-Forschung, die Mitte/Ende Dezember 2010 durchgeführt wurde. Dazu wurden vor allem die Datenbanken EBSCO/Business Source Premier, ABI Inform/ProQuest und WISO-Net sowie Google Scholar herangezogen. Die Auswahl der zu analysierenden Artikel fand anhand der Begriffe „Entrepreneur*“ sowie „Marketing“ in Titel statt. Dabei konnten 54 Beiträge aus begutachteten Fachzeitschriften identifiziert werden. Darüber hinaus wurden sämtliche Publikationen aus den „Research at the Marketing/Entrepreneurship Interface“-Sammelbänden und die Beiträge des EM-Sammelbandes von Freiling und Kollmann (2008b) berücksichtigt. Insgesamt konnten so 199 Beiträge als der Schnittemenge von Entrepreneurship und Marketing zugehörig identifiziert werden. So kann davon ausgegangen werden, einer Vollerhebung aller direkt zuordenbarer deutsch- und englischsprachiger Artikel zum EM recht nahe gekommen zu sein.
2.1 Historische Entwickung der Entrepreneurial Marketing-Forschung
Aus den identifizierten EM-Beiträgen geht zunächst hervor, dass eine Verzahnung von Entrepreneurship und Marketing von Seiten der Praxis erstmalig Mitte der 1970er Jahre thematisiert wurde (Lee 1976). Von der betriebswirtschaftlichen Forschung wurde EM allerdings erst knapp zehn Jahre später aufgegriffen. Als Beginn der EM-Forschung gilt ein Beitrag von Hills et al. (1983). Dieser Beitrag war auch der Auslöser für die 1986 ins Leben gerufene „Research at the Marketing and Entrepreneurship Interface“-Konferenz an der University of Illinois at Chicago (UIC). Diese Konferenz wird seitdem jährlich zunächst in den USA, seit 1992 auch abwechselnd in Europa (im Jahr 2011 an der Montpellier Business School, Frankreich) durchgeführt. Die Gründung dieser Konferenzserie kann als Auslöser einer dynamischen Entwicklung des Forschungsfeldes betrachtet werden (vgl. Abb. 1). Dessen Entwicklung ist gekennzeichnet durch eine steigende Anzahl und steigende Qualität an wissenschaftlichen Publikationen zum Thema sowie in jüngster Zeit auch verstärkt durch eine breitere geographische und institutionelle Verankerung des Forschungsfeldes.
Ein Kennzeichen der Entwicklung der EM-Forschung ist das Wachstum der Anzahl an themenspezifischen Publikationen. Abbildung 1 zeigt die quantitative Entwicklung der klar als EM im Titel benannten Publikationen in akademischen Fachzeitschriften im Zeitverlauf, wobei die Ausreißer nach oben vor allem durch die in der Einleitung genannten Sonderhefte erklärt werden können. Neben der quantitativen Zunahme an EM-Publikationen lässt sich zudem ein Qualitätsanstieg erkennen. Während zwischen 1987 und 1999 ein Großteil der EM-Literatur von Konferenzbeiträgen dominiert wurde, verschoben sich die Anteile zwischen 2000 und 2010 hin zu einer größeren Anzahl an doppelblind begutachteten Zeitschriftenartikeln, denen aufgrund des Begutachtungsprozesses eine höhere Qualität zugesprochen werden kann (Voeth et al. 2006). Mittlerweile finden sich EM-Beiträge auch in etablierten, hoch gerankten Marketing- sowie Managementzeitschriften wie z. B. Journal of Marketing (VHB-„A+“; Handelsblatt-Punkte: 1,0) oder Journal of Business Venturing (VHB-„A“; Handelsblatt-Punkte: 0,7), was ein weiterer Ausweis der Legimitierung des Forschungsfeldes ist.
Die institutionelle Verankerung von EM in der betriebswirtschaftlichen Forschung zeigt sich beispielsweise an der Gründung der American Academy of Marketing (AMA)-Task Force zu EM im Jahre 1989. Ein weiteres Beispiel ist die Verankerung von EM in den Curricula vieler Universitäten und Business Schools, was auch durch eine steigende Zahl an Lehrbuchpublikationen (Lodish et al. 2001; Bjerke und Hultman 2002; Schindehutte et al. 2009) illustriert wird. Nicht nur institutionell, sondern auch räumlich etabliert sich die EM-Forschung. So gewinnt das Thema in jüngster Zeit auch im deutschsprachigen Raum an Präsenz. Dies ist insbesondere den Beiträgen von Gruber (2004, 2005) und Eggers (2009), dem Sammelband von Freiling und Kollmann (2008b) und der Forschergruppe um Rößl und Kraus (Rößl et al. 2007, 2009; Kraus et al. 2008) zuzuschreiben. Tabelle 1 zeigt überblicksartig einzelne Meilensteine in der Entwicklung der Legitimierung von EM.
2.2 Beiträge der EM-Forschung: Zeitschriften, Autoren und Zitationen
Die historische Entwicklung des EM lässt sich zudem an dem Einfluss von Zeitschriften, Autoren und Publikationen zeigen. Mit 54 der 199 identifizierten EM-Beiträge ist etwa ein Viertel in doppelblind begutachteten Fachzeitschriften erschienen. EM-Beiträge finden sich in 38 unterschiedlichen Zeitschriften – darunter 14 Zeitschriften, die eher dem Bereich Marketing, und 12 Zeitschriften, die eher dem Bereich Entrepreneurship zugeordnet werden können (Rest: Management-Zeitschriften und andere). Was die Gesamtanzahl an veröffentlichten Arbeiten innerhalb dieser Zeitschriften angeht, zeigt sich, dass EM-Beiträge ungefähr in gleichem Ausmaß in Entrepreneurship- wie auch in Marketingzeitschriften veröffentlicht werden, darunter auch einige hoch gerankte wie z. B. Entrepreneurship Theory & Practice (VHB-„A“; Handelsblatt-Punkte: 0,5) und Journal of Small Business Management (VHB-„B“; Handelsblatt-Punkte: 0,4). Obwohl Beiträge zu EM in einer Vielzahl von Zeitschriften publiziert wurden, gibt es relative wenige Zeitschriften, in denen mehr als ein Beitrag zum Thema erschienen ist. Diese Zeitschriften sind, geordnet nach der Häufigkeit der Veröffentlichung von EM-Beiträgen, in Abb. 2 aufgeführt.
Die 199 analysierten Beiträge wurden von insgesamt 251 Autoren verfasst. Unter den Autoren dominieren Teach vom Georgia Institute of Technology mit 14 und Schwartz von der Eastern Washington University mit elf EM-Publikationen (vgl. Tab. 2). 53 Beiträge wurden von einem einzelnen Autor publiziert. Die zehn Autoren mit der höchsten Publikationszahl (3,9 % der Autoren) sind an 71 Beiträgen (36 %) beteiligt. Dies illustriert Lotka’s (1926) Gesetz, nach dem ein großer Teil der Forschungsproduktivität, beispielsweise gemessen an publizierten Forschungsergebnissen und Zitationen von anderen Autoren, auf nur eine geringe Zahl an Verfassern entfällt, auch für die EM-Forschung. Betrachtet man den Standort der Institution, an welcher der Autor zum Zeitpunkt der Erstellung des Beitrags tätig war, zeigt sich zwar ein deutlicher US-amerikanischer Einfluss auf die EM-Forschung, allerdings finden sich hier vermehrt auch Autoren aus Europa, was als weiterer Beleg für die räumliche Etablierung der EM-Forschung angesehen werden kann.
Die folgende Analyse befasst sich mit den Publikationen mit den meisten Zitationen innerhalb der EM-Forschung (Tab. 3). Im Vorgriff auf die Zitationsanalyse (Kap. 3) wurden zu diesem Zweck sämtliche in den 199 EM-Beiträgen aufgeführten 6.195 Quellen ausgezählt. Diese Quellen wurden zwischen 1934 und 2002 veröffentlicht, und werden nach der absoluten Anzahl erhaltener Zitationen abgebildet. Zwölf der 21 meist zitierten Quellen sind als Zeitschriftenartikel erschienen, acht als Monographien, und eine in Form eines Sammelbandbeitrag Von den Zeitschriftenbeiträgen wurden sechs Artikel in Fachzeitschriften publiziert, welche sich dem Bereich Marketing zuordnen lassen, während drei Zeitschriftenartikel dem Bereich Management und drei dem Bereich Entrepreneurship zugerechnet werden können.
Die Publikationen mit den meisten Zitationen stammen von Kohli und Jaworski (1990), Morris und Paul (1987) und Narver und Slater (1990). Erst- sowie letztgenannte Publikation behandeln die Marktorientierung von Unternehmen, während der mittlere Artikel die Beziehung zwischen Entrepreneurship und Marketing in etablierten Unternehmen analysiert. Auf Platz 4 folgt mit der Monographie von Drucker (1985) ein ausgewiesenes Grundlagenwerk aus dem Bereich Entrepreneurship.
Aufbauend auf den meist zitierten Autoren und Publikationen stellt sich nun die Frage nach deren Einflüssen innerhalb der EM-Forschung. Ein angemessenes Instrument stellt in diesem Zusammenhang die Zitationsanalyse dar.
3 Methodik
3.1 Zitationsnetzwerke in der Entrepreneurial Marketing-Forschung
Der Frage nach der Struktur eines Forschungsfeldes kann man sich über eine inhaltliche und eine soziologische Perspektive nähern. Der inhaltlichen Perspektive nach lassen sich Strukturen über die Ähnlichkeit beziehungsweise die Differenzen hinsichtlich bearbeiteter Fragestellungen (Themen), den zur Beantwortung dieser Fragen zugrunde liegenden Konzepten (Theorien) und den dabei angewendeten Verfahren (Methoden) identifizieren (Kollmann und Kuckertz 2006). Grégoire et al. (2006) sprechen in diesem Zusammenhang von „conceptual and empirical anchors“ (339) eines Forschungsfeldes. Der soziologischen Perspektive nach lässt sich die Struktur über eine Analyse der sozialen Beziehungen der in einem Forschungsfeld arbeitenden Personen (sog. „invisible colleges“; Crane 1969) aufdecken.
Nach de Solla (1965) verbreiten sich Forschungsergebnisse über ein Netzwerk von veröffentlichten Beiträgen. Die Beziehungen zwischen diesen Beiträgen schaffen die Basis für die Strukturierung eines Forschungsfeldes. Die Grundlage für diese Strukturierung legen dabei – in Analogie zu Lotka’s (1926) Gesetz (Kap. 2.2) – häufig zitierte Werke: diese Autoren haben einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung eines Forschungsfeldes. So stellen Aldrich und Baker (1997) fest: „The field will be shaped by those who produce research that interests and attracts others to build on their work.“ (398).
Die Identifikation derartiger einflussreicher Arbeiten ist eine der typischen Anwendungen der Bibliometrie (Diodato 1994; Havemann 2009). White und McCain (1989) bezeichnen die Bibliometrie als „the quantitative study of literatures as they are reflected in bibliographies“ (119). In der Betriebswirtschaftslehre wird die Bibliometrie seit den 1980er Jahren, ausgehend vom englischsprachigen Wissenschaftsraum, nach und nach auch in der deutschsprachigen betriebswirtschaftlichen Forschung verwendet (z. B. Roth und Gmür 2004; Voeth et al. 2006).
Alleine die Identifikation der am häufigsten zitierten Autoren sagt noch nicht viel aus über den Kontext, in dem sie zitiert worden sind und damit über die inhaltliche Struktur eines Forschungsfeldes. Um diese zu identifizieren, ist es notwendig, auch die Autoren einzubeziehen, die auf Kernautoren verwiesen haben. Dieser Gedanke basiert auf der Vorstellung, dass sich die Forschung als „Gespräch“ zwischen wissenschaftlichen Autoren (Huff 1999) verstehen lässt, die mittels der gemeinsamen Konversation Wissen akkumulieren und zum inkrementellen Fortschritt der Disziplin im Rahmen der „normal science“ (Kuhn 1962) beitragen.
Innerhalb der Bibliometrie ist die Zitationsanalyse eine der wesentlichen Untersuchungsmethoden (Moed 2005). Die Zitationsanalyse ist eine quantitativ ausgerichtete bibliographische Methode zur Analyse der Strukturen eines Forschungsfeldes (Schäffer et al. 2006). Mittels Zitationsanalyse werden Zitate auf den Zusammenhang zwischen der zitierenden und der zitierten Arbeit hin analysiert. So können Hinweise auf den Einfluss der betrachteten Publikation auf andere Autoren und ihrer Arbeiten gewonnen werden (Ding et al. 2000). Im Allgemeinen gilt eine wissenschaftliche Arbeit als einflussreich, wenn sie von anderen Autoren oft zitiert wird. Die Summe der Zitate wird also als quantitatives Qualitätsmaß („Impact“) für die Wichtigkeit der Arbeit angesehen, denn es wird angenommen, dass eine oft zitierte Arbeit wichtige Erkenntnisse vermittelt (in diesem Zusammenhang stehen auch die häufig zitierten „Impact Factors“ des Social Science Citation Index, der in jüngster Zeit vielfach zur Bewertung der Forschungsleistung herangezogen wird; siehe z. B. Svensson 2010). So wird davon ausgegangen, dass eine Publikation, die wiederholt von verschiedenen Autoren zitiert wird, einen zentralen Beitrag für die jeweilige Forschungsdisziplin leistet (Klingemann 1988; Yue und Wilson 2004). Die Zitationsanalyse wird daher als geeignete Methode angesehen, die Einflüsse abzubilden, welche eine Disziplin über einen bestimmten Zeitraum geprägt haben (Guidry et al. 2004). In der Entrepreneurshipforschung wurde die Zitationsanalyse bislang für Autorennetzwerke (Grönroos 2006), Konferenzproceedings der Babson College Frontiers of Entrepreneurship Research (Grégoire et al. 2006) und scholarly communities zur Identifizierung der wesentlichen Themengebiete (Schildt et al. 2006) angewendet.
Einzelne Arbeiten lassen sich entweder nach ihrem Inhalt bzw. Titel oder nach Autoren zu Gruppen (Clustern) zusammenfassen. Bei einer solchen Clusteranalyse werden Cluster oder Verbindungen zwischen Clustern aufgebaut. Mittels dieser Analysemethode können die Struktur einzelner Forschungsfelder und deren einflussreichste Arbeiten identifiziert werden. Die so identifizierten Cluster müssen anschließend inhaltlich interpretiert werden, um die Hauptdiskussionslinien eines Forschungsfeldes zu identifizieren. Diese Interpretation kann sowohl unter Rückgriff auf deren inhaltliche Gemeinsamkeiten und deren Verwendungszusammenhang als auch auf Basis einer Expertendiskussion durchgeführt werden. Im vorliegenden Beitrag findet die Clusterbenennung inhaltlich anhand der Titel der Beiträge statt, die Darstellung im Zitationsnetzwerk erfolgt anhand der Nennung von Autor(en) und Jahr.
In diesem Beitrag verwenden wir ein dreistufiges Vorgehen, bestehend aus 1) Identifikation der Quellen, 2) Erstellung des Zitationsnetzwerks und 3) Diskussion des Zitationsnetzwerk Der erste Schritt, die Auswahl der Quellen, wurde bereits im zweiten Kapitel thematisiert. Im zweiten Schritt wurden die von den identifizierten Beiträgen verwendeten Quellen erfasst. Mittels der Analysesoftware Touchgraph wurde quantitativ ermittelt, in welcher Häufigkeit jeder einzelne der zitierten Autoren in den analysierten Artikeln herangezogen wurde.
3.2 Expertenevaluation
In einem dritten Schritt wurden die Ergebnisse der Clusterbildung des Zitationsnetzwerks inhaltlich interpretiert. So wurden die im zweiten Schritt identifizierten Cluster zur Unterstützung im Januar 2010 auf dem „Entrepreneurial Marketing Summit“ in Charleston, South Carolina (USA) in einer Expertendiskussion mit den Professoren Carson (University of Ulster, Nordirland), Giglierano (San Jose State University, USA), Hansen (College of Charleston, USA), Hultman (Örebro University, Schweden), Miles (Georgia Southern University, USA) und Schwartz (Eastern Washington University, USA) ausführlich öffentlich diskutiert.
An die Teilnehmer der Expertendiskussion sowie an das Publikum wurde im Anschluss per E-Mail ein Link zu einer anonymen Online-Eingabeseite versendet, auf der diese ihre Einschätzung zum vorgestellten Zitationsnetzwerk als auch zu verschiedenen Themengebieten der EM-Forschung abgeben konnten. Im Online-Fragebogen wurden den Befragten während des Workshops diskutierte Schlüsselkonzepte und -begriffe des EM präsentiert und sie darum gebeten, diese zu kommentieren. Der Fragebogen enthielt offene Fragen, um den Teilnehmern ein Maximum an Flexibilität zu gewähren. Diese zielten neben der inhaltlichen Interpretation des Zitationsnetzwerks auf die Diskussion diverser für das EM entscheidender Konzepte. Bei den Konzepten handelte es sich um den traditionellen Marketingansatz, die Schnittstelle zwischen Marketing und Entrepreneurship, den Kontext des EM, die Charakteristika von Entrepreneurial und Market Orientation, Marktgelegenheiten/Opportunities, Netzwerke, die Eigenschaften des Entrepreneurs, den Gegenstand des kleinen Unternehmens, Unsicherheit. Im Anschluss wurden die Teilnehmer gebeten, weitere noch nicht aufgeführte Konzepte und Begriffe anzugeben und diese ebenfalls zu kommentieren. Es wurde besonderer Wert darauf gelegt, im Sinne einer qualitativen Erhebungsmethodik die Antworten so offen wie möglich zu gestalten. Abschließend bestand die Möglichkeit, weitere Ideen und Kommentare abzugeben. Durch die Anonymität der Eingabemöglichkeit wurde versucht, Beeinflussungen der Befragten, die aus der direkten Interaktion mit anderen Experten entstehen könnten, weitgehend auszuschließen.
Der Online-Fragebogen wurde mit Hilfe der Software Qualtrics erstellt sowie verschickt. Insgesamt erhielten wir 33 vollständig ausgefüllte Fragebögen zurück, was einem Großteil der an der Diskussion teilnehmenden Experten sowie der Zuhörer entspricht. Die Antworten auf die im Fragebogen gestellten offenen Fragen wurden sodann im Rahmen einer qualitativen Forschungsmethodik ausgewertet. Dies erschien aufgrund der Komplexität des Untersuchungsfeldes angemessen (Punch und Punch 2005). Die Auswertung der Fragebögen erfolgte anhand der qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 2008). Hier wurden die Antworten mit Codes versehen, also die Textteile in Antwortkategorien sortiert. Das dadurch entstandene Codesystem war sodann geeignet, die inhaltliche Struktur des Textes wiederzugeben. Inhaltliche Interpretationen wurden final auf Basis dieses Codesystems vorgenommen (Gläser und Laudel 2006).
Die aus der qualitativen Inhaltsanalyse generierten Ergebnisse, welche einen unmittelbaren Bezug auf das in diesem Artikel diskutierte Forschungsproblem vorweisen, fließen sowohl in Kap. 4 („Ergebnisse“) als auch in Form von Expertenzitaten in Kap. 5.3 („Implikationen“) ein.
4 Ergebnisse
Aus der Zitationsanalyse ergibt sich ein Netzwerk aus den einflussreichsten Autoren bzw. Publikationen (s. Abb. 3). Um die Komplexität der Abbildung des Zitationsnetzwerks zu reduzieren und übersichtlich zu gestalten, wurde die Mindestanzahl der Zitationen, die eine Ausgangsquelle aufweisen muss, um in die Abbildung aufgenommen zu werden, auf zwölf festgelegt. Demnach finden nur 105 der 199 Ausgangsbeiträge auch Eingang in die Zitationsgrafik, da nur diese mit den meistzitierten Publikationen in Verbindung stehenFootnote 2. Die von diesen Quellen ausgehenden Pfeile markieren die darin verwendeten Zitationen, die mit einem Kreis versehenen Publikationen die zitierten Werke. Die Größe des Kreises ist abhängig von der Anzahl der Zitationen.
Diejenigen Autoren, deren Kästchen von keinem Kreis umschlossen werden, symbolisieren die zuvor aufgelisteten Autoren bzw. Publikationen, welche für die Zitationsanalyse herangezogen wurden. Die Pfeile, ausgehend von diesen Autoren, markieren die in ihren Werken verwendeten Zitationen respektive Quellen. All jene Autoren bzw. die dahinter stehenden Publikationen, die mit einem Kreis versehen sind, stellen die zitierten Werke dar. Je öfter ein Autor und dessen Veröffentlichung in der Gesamtheit der analysierten Artikel herangezogen wurde, desto größer der Kreis, von dem diese letztendlich, wie in Abb. 3 ersichtlich, eingeschlossen sind. Demzufolge kann aus der Grafik entnommen werden, dass insgesamt 21 Autoren(teams) einen besonders großen Einfluss auf die EM-Forschung haben (vgl. auch Tab. 3).
Die am häufigsten zitierten Publikationen wurden analog der Vorgehensweise von Eggers et al. (2009) inhaltlich zu Clustern zusammengefasst. Dabei konnten die damals auf Basis von 45 Ausgangsbeiträgen identifizierten Inhaltscluster auch unter Einbeziehung einer mit nunmehr 199 Ausgangsbeiträgen mehr als vervierfachten Datenbasis bestätigt werden, auch wenn die innerhalb der einzelnen Cluster enthaltenen Werke aufgrund der nun unterschiedlichen Referenzlisten leicht variierten. Die Cluster wurden von uns wie folgt eingeteilt und benannt:
Cluster 1: Theoretische Grundlagen der Entrepreneurship- und Marketingforschung:
Dieses Cluster bedient Grundlagen in Entrepreneurship und Marketing. In den von diesen Autoren veröffentlichten Werken liegt der Fokus auf Themen zu Entrepreneurship und Entrepreneurshiporientierung (Miller 1983; Covin und Slevin 1991; Kirzner 1973; Schumpeter 1934; Drucker 1985), Marketingorientierung (Kohli und Jaworski 1990; Narver und Slater 1990; Zeithaml und Zeithaml 1984) und Arbeiten zu (Wettbewerbs-)Strategien (Porter 1980; Hamel und Prahalad 1994). Der Grundlagencharakter dieses Clusters ergibt sich auch daraus, dass die hier genannten Schlüsselautoren bzw. die jeweiligen Publikationen nicht nur Einfluss auf das EM haben, sondern ebenfalls eine wesentliche Rolle in den zugrunde liegenden Mutterdisziplinen spielen. Aufgrund der dominierenden Anzahl an Zitationen werden die beiden zentralen Positionen in diesem Cluster durch die Entrepreneurship-Grundlagenwerke von Kirzner (1973) sowie Schumpeter (1934) eingenommen.
Die Expertenevaluation auf dem EM Summit in Charleston ergab, dass die Beiträge aus Cluster 1 zwar nicht als Subdisziplin des EM gesehen werden können, aber eine Vielzahl an wertvollen Hinweisen hinsichtlich einer theoretischen Fundierung des Forschungsfeldes liefern. So hatten und haben die Konzepte der Entrepreneurship- und Marketingorientierung nicht nur Einfluss auf die weitere Ausgestaltung der Entrepreneurship- und Marketingdisziplin, sondern können nach neueren Erkenntnissen in Kombination auch dazu beitragen, das Konzept des EM greifbarer und verständlicher zu machen.
Cluster 2: Entrepreneurship/Marketing-Schnittstelle:
In Cluster 2, welchem die Werke von Morris und Paul (1987), Hills und LaForge (1992), Miles und Arnold (1991), Bjerke und Hultman (2002), Murray (1981), Hills (1987) sowie Morris et al. (2002) zuzuordnen sind, geht es primär um die Erforschung der Schnittstelle zwischen Marketing und Entrepreneurship, d. h. um die Aufdeckung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den beiden Disziplinen. Die zentrale Position des Clusters nimmt der Beitrag von Hills und LaForge (1992) ein. Die beiden Autoren, die als Initiatoren der Schnittstellenforschung gelten, fassen in ihrem Beitrag bisherige Ergebnisse zusammen und geben einen Ausblick auf zukünftige, relevante Forschungsprojekte im Rahmen des EM.
Die Expertenevaluation auf dem EM Summit in Charleston bestätigte die Ansicht, dass Cluster 2 als Schnittstellencluster zu interpretieren ist. Die in diesem Cluster enthaltenen Arbeiten beschäftigten sich im Laufe der Zeit mit der Aufdeckung von Gemeinsamkeiten zwischen Marketing und Entrepreneurship. Konzepte, die sowohl der Marketing- als auch der Entrepreneurship-Disziplin gemein sind und somit Bindeglieder zwischen diesen darstellen, sind insbesondere die Entdeckung und Nutzung von Marktgelegenheiten (Hills und LaForge 1992; Hills 1994; Morris und Lewis 1995; Duus 1997), die Innovationsorientierung beider Disziplinen sowie Maßnahmen zur Reduktion von aus innovativem, proaktivem, und risikoorientiertem Handeln resultierender Unsicherheit. Dem fügen Morris und Lewis (1995) die Beobachtung hinzu, dass sowohl Marketing als auch Entrepreneurship wertschöpfende Prozesse sind.
Zudem wurde auf dem EM Summit thematisiert, dass eine Kombination aus Marketing und Entrepreneurship zu neuartigen Ergebnissen führt, die über eine bloße Kombination beider Disziplinen hinausgeht. Die Aufdeckung neuartiger Phänomene an der Schnittstelle beider Disziplinen kann möglicherweise durch die Weiterentwicklung der theoretischen Bausteine (Cluster 1) vorangetrieben werden. Konkrete Ergebnisse zu diesem Themenbereich liegen allerdings noch nicht vor. Es kann jedoch beobachtet werden, dass zumindest ein Teil der EM-Forschung motiviert ist, der Aufdeckung neuartiger Phänomene an der Schnittstelle zwischen Marketing und Entrepreneurship (Carson 1985) in Zukunft besonderen Stellenwert beizumessen.
Cluster 3: Gründungs- und KMU-Marketing:
Cluster 3 besteht aus den Werken der Autoren Carson (1985), Hills (1994) und Storey (1985). Während sich Carson (1985) und Storey (1985) mit Marketingmöglichkeiten in kleinen Unternehmen beschäftigen, fokussiert Hills (1994) auf das Marketing in Gründungsunternehmen. Cluster 3 bearbeitet also die Anpassung des Marketingkonzeptes auf die besonderen Eigenschaften von KMU und Gründungsunternehmen.
Die Expertenevaluation auf dem EM Summit in Charleston bestätigte das Vorhandensein eines solchen Themenschwerpunktes. Unter dieser Perspektive bezeichnet EM diejenigen Marketingaktivitäten, die von Gründungsunternehmen oder KMU lanciert werden (Bjerke und Hultman 2002; Freiling und Kollmann 2008a). Somit geht es in den Beiträgen, die sich auf dieses Themencluster beziehen, darum, Erkenntnisse der Marketingforschung an die besonderen Eigenschaften von Gründungsunternehmen beziehungsweise KMU anzupassen. So lässt sich nach Gruber (2004) konstatieren, dass zwar die allgemein gängigen Marketingkonzepte auch auf Gründungs- und/oder Kleinunternehmen anwendbar sind, wiederum zahlreiche Fragestellungen, was deren Marketingaktivitäten an sich betrifft, jedoch nur unzureichend beantwortet werden. Dies betrifft beispielsweise entsprechende Preissetzungsverfahren genauso wie Fragen der Markierung und der Anwendung von Low-Cost-Marketinginstrumenten wie z. B. Guerilla Marketing und Viral Marketing.
Hinzu kommt, dass sich Gründungs- sowie Kleinunternehmen bezüglich ihrer Spezifika von etablierten Unternehmen in wesentlichen Aspekten, die in der klassischen Marketinglehre nicht betrachtet werden, unterscheiden (Eggers 2009). Als kennzeichnend für das Marketing dieser Unternehmen wird die unternehmerische Komponente beurteilt, die darauf abzielt, entstehende Möglichkeiten wahrzunehmen und neue Geschäftsmöglichkeiten zu identifizieren und zu nutzen. Dem stehen allerdings diverse Barrieren gegenüber. So verfügen KMU über typische Eigenschaften, die deren Marketingaktivitäten behindern. Zu nennen wären hier ein Mangel an Ressourcen finanzieller und materieller Natur, eine besondere Anfälligkeit für Umweltrisiken und bei jungen Unternehmen eine generelle Unbekanntheit des Leistungsangebotes (Hills 1984).
Nach Hills und LaForge (1992) steigt die Wahrscheinlichkeit des Unternehmenserfolges mit steigender Professionalität des Marketing. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass die Marketingkompetenz junger Unternehmen für Venture Capital-Geber als signifikantes Investitionskriterium gesehen wird (Cooper und Bruno 1977; Lodish et al. 2001; Franke et al. 2004). Auch geben empirische Untersuchungen Hinweis darauf, dass sich die Überlebenswahrscheinlichkeit junger Unternehmen mit steigendem Professionalisierungsgrad des Marketing erhöht (Hills 1984; Eggers 2006; Brettel et al. 2009). Somit ergeben sich die Disziplinen des Gründungsmarketing (Eggers 2006) und des KMU-Marketing (Rößl 2005). Innovation und Wachstumsorientierung können, müssen aber nicht Unternehmensziele gemäß dieser Sichtweise sein. Dieser Umstand brachte die Definition eines EM im engeren Sinne hervor, welche Innovation und Wachstumsorientierung explizit einbezieht. Die Beiträge des Clusters 3 befassen sich vornehmlich damit, wie die Besonderheiten von Gründungsunternehmen und KMU auch in der Marketingdisziplin berücksichtigt werden können. Damit lässt sich dieser Cluster auch als „Marketing im Entrepreneurship“ beziehungsweise als EM im weiteren Sinne verstehen.
5 Zusammenfassung und Fazit
5.1 Entrepreneurial Marketing als strukturiertes Forschungsfeld?
In diesem Beitrag wurden die Entwicklung, die zentralen Beiträge, Autoren und Zeitschriften sowie die aktuellen Diskussionslinien der EM-Forschung dargestellt. Es zeigt sich, dass die EM-Forschung nicht nur eine steigende Anzahl von Publikationen aufweist, sondern auch, dass sich diese Disziplin institutionell legitimiert und geographisch ausbreitet. Es wurde vermutet, dass ein derartiges Wachstum einer Disziplin zu einem heterogenen Forschungsfeld führt, was den Austausch von Forschern untereinander und die Orientierung insbesondere von jungen Forschern erschwert. Daher schien eine Strukturierung der EM-Forschung auf Basis einer Zitationsanalyse mit anschließender Fokusgruppendiskussion sowie anonymer Beurteilung von Mitgliedern der Fachcommunity ein geeigneter Weg, erste Orientierung in der Disziplin zu geben.
Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass sich die EM-Forschung zunächst auf drei Themenbereiche fokussiert: 1) theoretische Grundlagen, 2) Entrepreneurship/Marketing-Schnittstelle, und 3) Gründungs- und KMU-Marketing. Damit konnten wir die sich aus der Zitationsanalyse durch Eggers et al. (2009) ergebenden Themencluster durch eine wesentliche Erweiterung und Aktualisierung der Datenbasis bestätigen und darüber hinaus durch die zum Zwecke der Unterstützung für den vorliegenden Beitrag durchgeführte Expertenevaluation sowie die darauf folgende anonyme Befragung die Validität der in der Zitationsanalyse identifizierten Forschungslinien erhöhen, so dass diese drei Bereiche jeweils als Forschungscommunity innerhalb der EM-Forschung gelten können.
In der Expertendiskussion wurde weiterhin thematisiert, dass es noch einen vierten Themenbereich gäbe, der sich auf unternehmerische Eigenschaften in der Marketing-Funktion bezieht und daher als „Entrepreneurship im Marketing“ bezeichnet werden kann. Innerhalb dieses Ansatzes wird davon ausgegangen, dass bei der Definition von EM als Gründungsmarketing der innovativ-unternehmerische Aspekt nur in geringem Maße zum Ausdruck kommt. Aus diesem Grund stehen Unternehmensalter und -größe beim EM verstanden als unternehmerisch-innovatives Marketing nicht im Vordergrund, sondern einzig die innovativ-unternehmerische („entrepreneurial“) Ausrichtung der Marketingaktivitäten auf innovative, risikobereite, ungeplante, proaktive und nicht-lineare Weise (Morris et al. 2002; Eggers 2009). Die Notwendigkeit dieser Ausrichtung wird mit den sich permanent ändernden Gegebenheiten im Unternehmensumfeld begründet, die eine innovativ-unternehmerische Unternehmensausrichtung als essentiell betrachtet (Hills et al. 2008). Hills und Hultman (2006) konstatieren: „Entrepreneurs are often successful in marketing in unconventional ways.“ (107). Zu solchen unkonventionellen Marketingansätzen zählen insbesondere jene, die unter nur vergleichsweise geringem Mitteleinsatz möglichst große Wirkung und Reichweite erzielen, wie z. B. Guerilla Marketing, Viral Marketing oder Buzz Marketing (z. B. Rößl et al. 2009). Dass sich dieser Themenbereich in der Zitationsanalyse nicht zeigt, liegt vor allem darin, dass diese Beiträge auf eine neuere, recht spezialisierte Literatur zurückgreifen, und daher (noch) nicht die Mindestanzahl an Zitaten erreichen konnten.
Die Diskussion eines weiteren Themenbereiches von EM-Experten zeigt, dass die EM-Forschung zwar auf der einen Seite durchaus doch bereits als strukturiert angesehen werden kann, es auf der anderen Seite aber auch interessante Entwicklungsmöglichkeiten und Forschungslücken gibt, die sich mit den bestehenden Orientierungen nicht füllen lassen.
5.2 Limitationen
Zunächst ist anzumerken, dass die Aussagekraft einer bibliographischen Analyse von der Vollständigkeit der Literaturauswahl abhängt. Die Auswahl unserer Suchkriterien ist vor dem Hintergrund der größtmöglichen Sorgfalt getroffen worden. Dennoch kann eine Vollständigkeit nur angestrebt, aber kaum jemals erreicht werden. So sind Beiträge, die aktuell zur Begutachtung bei Zeitschriften vorliegen, Beiträge, die sich zwar mit Themen innerhalb des EM-Forschungsfeldes beschäftigen, dies aber nicht klar in Titel oder Abstract wiedergeben oder auch Beiträge auf anderen, weniger thematisch fokussierten Konferenzen, nicht berücksichtigt worden.
Bei der Interpretation der Ergebnisse der Zitationsanalyse ist zu beachten, dass eine Zitationsanalyse stets retrospektiver Natur ist, und daher Keimzellen von aktuellen und sich in Zukunft entwickelnden Forschungslinien noch nicht abzubilden vermag. So konnte der in der Expertenrunde thematisierte Themenbereich „Entrepreneurship im Marketing“ mittels der Zitationsanalyse nicht identifiziert werden. Bislang liegen zu wenige Ergebnisse vor, die ein ausreichendes Alter aufweisen, um für aktuelle Arbeiten in diesem Bereich als Grundlagenliteratur zu dienen. So werden zwar in der EM-Forschung derzeit z. B. „virale“ Kommunikationsinstrumente thematisiert (Dobele et al. 2005; Koppelmann und Groeger 2009; Esch et al. 2009), was aus heutiger, subjektiver Sicht eine potentielle Keimzelle eines neuen thematischen Clusters sein kann. Ob sich dies in Zukunft und durch eine objektive Zitationsanalyse bestätigt zu einem hinreichend großen Themenfeld entwickeln wird, ist jedoch eine offene Frage.
Weiterhin liefert eine Zitationsanalyse zwar ein objektives Netzwerk von Zitationen, jedoch werden die Zitationscluster letztlich inhaltlich und damit subjektiv interpretiert. Dieses Problem ist in diesem Beitrag jedoch als relativ gering anzusehen, da nicht nur die Autoren unabhängig voneinander, sondern auch noch die Experten und die Teilnehmer des EM Summits eine sehr hohe Übereinstimmung bei der Interpretation der Clusterlösung aufwiesen. Dennoch könnte ein Zitationsnetzwerk von „Zitierkartellen“ bzw. „strategischem Zitieren“ beeinflusst werden.
5.3 Implikationen
Wie die Zitationsanalyse zeigt, besteht ein Großteil der EM-Literatur aus Beiträgen, die entweder Gemeinsamkeiten zwischen Marketing und Entrepreneurship analysieren (Cluster 2) oder Erkenntnisse aus der Marketingforschung auf KMU und Gründungsunternehmen übertragen (Cluster 3). Folgerichtig werden Artikel der letzteren Kategorie mehrheitlich in Entrepreneurship-Zeitschriften publiziert (Hansen und Eggers 2010). Allerdings scheint es, dass insbesondere dem Ruf nach der Entwicklung eines unternehmerisch-innovativen Marketing – insbesondere innerhalb der Marketingforschung – bislang nicht oder in nicht ausreichendem Maße nachgekommen worden ist. „Marketing in Entrepreneurship“ ist wesentlich stärker verbreitet als „Entrepreneurship in Marketing“. Darüber hinaus existiert eine allgemein als Fundament akzeptierte „Theorie des EM“ bislang (noch) nicht. Allerdings unterstreicht die Existenz des Clusters 1, welches auf Arbeiten zur Entrepreneurshiporientierung, Marketingorientierung und weitere Wettbewerbsstrategien verweist, das Bedürfnis nach eben dieser (allgemein akzeptierten) „Theorie des EM“.
Innerhalb der Online- Expertenbefragung hat sich darüber hinaus herausgestellt, dass es für die zukünftige EM-Forschung eine besondere Herausforderung sein wird, EM als „strategische Orientierung“ zu operationalisieren, also messbar zu machen: „The strategic orientation of a firm has become a reference frame. A clearer focus on strategic orientations is needed including how a strategic orientation contributes to entrepreneurial performance“ [Expertenzitate]. Eine strategische Orientierung ist ein kulturelles Konstrukt, das die Strategien eines gesamten Unternehmens nachhaltig beeinflusst und so zur Schaffung eines Wettbewerbsvorteils dienen kann (Harms 2004). Eine vollständige Legitimierung der Disziplin kann letztlich nur gelingen, wenn es möglich ist, empirisch darzulegen, dass EM für bestimmte Unternehmen größeren Erfolg verspricht als z. B. der herkömmliche Marketingansatz. Im Rahmen der Ausarbeitung eines eigenständigen EM-Konstrukts für die empirische Forschung bieten Forschungsarbeiten zu den Konstrukten Entrepreneurial Orientation (Covin und Slevin 1991; Lumpkin und Dess 1996), Market Orientation (Narver und Slater 1990; Kohli et al. 1993) und Customer Orientation (Deshpande et al. 1993) sowie eine Kombination aus diesen (Atuahene-Gima und Ko 2001; Matsuno et al. 2002) einen ersten Anhaltspunkt (siehe auch Cluster 1). Ein Experte kommentierte diese Zusammenhänge im Rahmen der Online-Befragung mit „We need to rethink this and our measures“ [Expertenzitat]. Ein auf eine solche Operationalisierung aufbauender Forschungszweig wäre die Analyse eines direkten oder moderierten Erfolgseinflusses von EM. So ist beispielsweise anzunehmen, dass die Erfolgswirkung von EM auch von der Verfügbarkeit unternehmensinterner und -externer Ressourcen beeinflusst wird. So konnte bereits gezeigt werden, dass der Erfolgseinfluss von „unternehmerischem Marketing“ besonders stark ist, wenn das Unternehmen nur über geringe finanzielle Ressourcen verfügt (Schulte und Eggers 2010).
Die anonyme Online-Expertenbefragung von Marketing- und Entrepreneurship-Forschern ergab zudem, dass das traditionelle (4P-)Marketing zukünftig nur noch „little relevance“ aufweisen würde und zudem ein „losing drive“ zu beobachten sei [Expertenzitate]. Die Schnittstelle der beiden Disziplinen wird noch als vergleichsweise schwach erforscht wahrgenommen („Research at the interface seems weak at the present, and needs to be much stronger“ bzw. „This is the frame of reference and still encompasses the startup situation and the situation of entrepreneurial behavior within established organizations“ [Expertenzitate]). Das EM als Forschungsfeld selbst allerdings wird als „very important“ und mit einem „value image“ versehen wahrgenommen [Expertenzitate]. Es hätte sich bereits zu einem „reference frame“ entwickelt, und „applying different contexts will help us understand its generalizability“ [Expertenzitate].
Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass die EM-Forschung im Begriff ist, sich zur eigenständig wahrgenommenen Forschungsdisziplin zu entwickeln. Immer mehr Forscher aus verschiedenen Ursprungsdisziplinen beschäftigen sich mit Themen innerhalb des Forschungsfeldes EM, wobei die Wahrnehmung in Forschung und Lehre deutlich steigt. Der vorliegende Beitrag trägt somit durch die längst überfällige Strukturierung des Feldes zu dessen (Weiter-)Entwicklung bei.
Notes
Innerhalb des genannten Beitrags wurde die Methode der bibliometrischen Zitationsanalyse erstmalig auf die EM-Forschung angewendet, jedoch auf einer wesentlich geringeren Datenbasis und lediglich zur Visualisierung des damaligen Standes der Forschung als nachrangiger inhaltlicher Bestandteil des Artikel In der vorliegenden Arbeit liegt der wesentliche Fokus auf der bibliometrischen Zitationsanalyse und den sich daraus ergebenden Hauptdiskussionslinien der EM-Forschung, welche zudem durch eine zweistufige Expertenevaluation untermauert wird.
Eine tabellarische Übersicht über die 105 in der Zitationsgrafik aufgeführten Ausgangsbeiträge befindet sich im Anhang zu diesem Artikel.
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Kraus, S., Eggers, F., Harms, R. et al. Diskussionslinien der Entrepreneurial Marketing-Forschung: Ergebnisse einer Zitationsanalyse. Z Betriebswirtsch 81 (Suppl 6), 27–58 (2011). https://doi.org/10.1007/s11573-011-0509-0
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