Hinführung zum Thema

In einer Zeit, in der die Zahl an gesundheitsbezogenen Informationen stetig wächst und zugleich die Durchmischung von glaubwürdigen und unzuverlässigen, falschen Informationen weiter steigt, gewinnt Gesundheitskompetenz zunehmend an Bedeutung. Durch die Digitalisierung bestehen dabei besondere Herausforderungen [15]. Denn durch diese Entwicklung ist jede/r gefordert, in einer undurchschaubaren Informationslandschaft gesuchte Informationen ausfindig zu machen, sie zu verstehen und zu dekodieren, um deren Aussagekraft und Glaubwürdigkeit einzuschätzen, dahinterstehende Interessen zu erkennen und einzuordnen und sie für das Gesundheitsverhalten zu nutzen.

Hintergrund und Fragestellung

Die Fähigkeit relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, wird als „Gesundheitskompetenz“ bezeichnet [19]. Die digitale Gesundheitskompetenz (DGK) ist Teil der allgemeinen Gesundheitskompetenz (AGK) und bezeichnet speziell die Fähigkeit, mit Gesundheitsinformationen in digitaler Form und auch mit digitalen gesundheitsbezogenen Informationsangeboten (Web-Seiten, Social-Media-Angebote, Plattformen oder Apps etc.) umgehen zu können [5, 8].

Die dazu bislang vorliegenden wenigen Untersuchungen zeigen, dass etwa 60 % der Bevölkerung in Deutschland über eine geringe AGK verfügen. Dieser Anteil ist bei der DGK mit etwa 75 % deutlich größer [13, 16]. Zugleich korreliert die DGK mit der Nutzung digitaler gesundheitsbezogener Informationsangebote: Eine geringere Nutzung digitaler Informationsangebote geht mit einer geringeren DGK einher [16]. Die Untersuchungen zeigen zudem, dass auch die DGK sich stark nach sozialen Merkmalen unterscheidet. Vor allem eine niedrige Bildung, ein höheres Alter sowie ein niedriger Sozialstatus sind mit einer geringen DGK verbunden [13, 16].

Angenommen wurde zunächst, dass auch eine Migrationserfahrung (ME) mit geringer DGK assoziiert ist, denn erste Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass die AGK von Menschen mit ME geringer ausfällt als von Menschen ohne ME [10, 11, 14]. Eine 7 Jahre später durchgeführte Untersuchung deutete an, dass sich sowohl die AGK als auch die DGK von Menschen mit ME nur wenig vom Bevölkerungsdurchschnitt unterscheidet [13, 16]. Allerdings war dieses Ergebnis aufgrund der geringen Fallzahl in vertiefenden Auswertungen nicht statistisch signifikant. Notwendig ist daher eine detailliertere Betrachtung.

Hier setzt der vorliegende Artikel an. Seine Intention ist es, eine vergleichende Untersuchung der DGK von Menschen ohne und mit ME vorzunehmen und dabei nach elterlicher und eigener ME zu differenzieren. Einbezogen werden dabei Menschen mit Einwanderungsgeschichte aus der Türkei und Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Methodik

Studiendesign und Stichprobe

Die verwendeten Daten stammen aus 2 Studien, die konzeptionell und methodisch eng miteinander verknüpft und direkt vergleichbar sind [3, 13]. Herangezogen wird zum einen die aufgrund der COVID-19-Pandemie („coronavirus disease 2019“) durchgeführte Zusatzuntersuchung zum zweiten Health Literacy Survey Germany (HLS-GER 2), in der im Spätsommer 2020 deutschlandweit volljährige Menschen der Allgemeinbevölkerung persönlich auf Deutsch befragt wurden (n = 532; [13]). Aus diesem Datensatz werden ausschließlich Personen ohne eigene oder elterliche ME für die Vergleichsanalysen verwendet (n = 445). Als Zweites werden die Daten der Studie zur Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland (HLS-MIG) genutzt, in der deutschlandweit volljährige Personen persönlich befragt wurden, die selbst oder von denen mindestens ein Elternteil die türkische Staatsbürgerschaft bzw. die Staatsbürgerschaft eines Landes der ehemaligen Sowjetunion hat oder hatte [3]. Die Interviews erfolgten ebenfalls im Spätsommer 2020 und konnten je nach Präferenz der Befragten auf Deutsch, Russisch oder Türkisch durchgeführt werden. Insgesamt liegen Daten von 770 Personen mit eigener ME und 257 Personen mit elterlicher ME vor. Weitere Informationen zu den Studien sind an anderer Stelle publiziert [3, 13].

Variablenbeschreibung

DGK und Nutzung digitaler gesundheitsbezogener Informationsangebote

Die vorliegende Analyse basiert auf einem im European Health Literacy Population Survey 2019–2021 (HLS19; [7]) entwickelten Instrument zur Erhebung der DGK [8]. Mit dem Instrument HLS19-DIGI werden anhand von acht Fragen die selbsteingeschätzten Schwierigkeiten beim Finden, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von digitaler Gesundheitsinformation ermittelt. Daraus wird ein Skalenwert berechnet, der den Anteil der mit „einfach“ oder „sehr einfach“ beantworteten Fragen wiedergibt, wenn mindestens für 6 Fragen gültige Werte vorliegen. Dieser ergibt Werte von 0–100. Ein hoher Wert steht für eine hohe DGK.

Zudem wird die Häufigkeit der Nutzung digitaler gesundheitsbezogener Informationsangebote mit fünf Fragen erfasst. Die Antwortmöglichkeiten zur Nutzung wurden in ‚häufig‘ (täglich oder mindestens einmal in der Woche), ‚selten‘ (seltener als einmal in der Woche) und ‚nie‘ zusammengefasst. Aufgrund der geringen Besetzung der Kategorie „häufig“ bei der Frage zur digitalen Interaktion, wurde diese mit der Option „selten“ zusammengefasst.

Bei den HLS-GER 2-Daten liegen für einen relativ hohen Anteil der Befragten keine gültigen Werte für die DGK vor (6,8 %), bei der Teilstichprobe des HLS-MIG sind es 2,2 %. Dies betrifft v. a. Befragte, die 65 Jahre und älter sind oder die nie Webseiten zum Thema Gesundheit nutzen. Es ist anzunehmen, dass diese Befragten eine geringere DGK haben [16]. Um einer Verzerrung der Ergebnisse entgegenzuwirken, wurden fehlende Werte des HLS19-DIGI mit dem Wert für „(sehr) schwierig“ und der Skalenwert mit 0 ersetzt, wenn Befragte ab 65 Jahren mindestens die Hälfte der Fragen des nicht beantwortet haben und nie gesundheitsbezogene Internetseiten nutzen (n = 25). Die übrigen Fälle mit fehlenden Werten wurden aus der Analyse ausgeschlossen.

Demografische und sozioökonomische Variablen

Als demografische Merkmale werden, neben der ME (eigene und elterliche), das Geschlecht und das Alter (gruppiert in 18–29, 30–45, 46–64, 65–75 und ab 76 Jahre) einbezogen. Das Bildungsniveau wird mit der International Standard Classification of Education (ISCED)-11-Skala erfasst, wodurch im Ausland erworbene Schul- und Berufsabschlüsse mit deutschen vergleichbar sind, dabei gilt: Level 0–2 = niedrig, 3–4 = mittel, 5–8 = hoch [22]. Der Sozialstatus wurde anhand einer 10-stufigen Leiter eingeschätzt: Stufen 1–4 = niedrig, 5–7 = mittel, 8–10 = hoch [9]. Die gesundheitsbezogene finanzielle Deprivation (FD) wird über die Schwierigkeit des Bezahlens von Medikamenten geschätzt [7]. Dazu wurde auf einer vierstufigen Antwortskala von „sehr schwierig“ bis „sehr einfach“ geantwortet, dabei gilt: sehr einfach = keine FD, einfach = mögliche FD, schwierig oder sehr schwierig = mittlere bis starke FD.

Analysemethoden

Zunächst werden jeweils in den drei Teilgruppen – ohne, mit eigener und elterlicher ME – a) die Skalenmittelwerte der DGK sowie b) die Ergebnisse der Einzelfragen des HLS19-DIGI und c) zur Nutzungshäufigkeit digitaler gesundheitsbezogener Informationsangebote dargestellt. Des Weiteren wird die DKG jeweils d) nach demografischen und sozioökonomischen Merkmalen sowie e) nach Nutzungshäufigkeit der Informationsangebote deskriptiv dargestellt. In multivariaten linearen Regressionsanalysen werden zudem die adjustierten Zusammenhänge untersucht.

Ergebnisse

Stichprobe

Die Tab. 1 zeigt die Verteilung der Stichprobenmerkmale in den drei Teilgruppen. Bei fast allen Merkmalen sind deutliche Unterschiede zwischen den Teilgruppen erkennbar. In der Gruppe ohne ME sind weitaus mehr Befragte über 65 Jahre alt (31 %) als in der Gruppe mit eigener ME (18 %) und elterlicher ME (0 %). In letzterer sind fast zwei Drittel unter 30 Jahre alt – mehr als in den anderen Gruppen (10–15 %). Auch die sozioökonomischen Merkmale sind unterschiedlich verteilt.

Tab. 1 Stichprobenmerkmale

Digitale Gesundheitskompetenz

Befragte ohne ME weisen die geringste DGK auf (Skalenmittelwert [MW]: 45,3), dicht gefolgt von Befragten mit eigener ME (MW: 47,2; Unterschied p > 0,05). Befragte mit elterlicher ME verfügen über eine deutlich höhere DGK (MW: 62,1; p < 0,05).

Zur Vertiefung des Vergleichs werden nachfolgend die am schwierigsten eingeschätzten Aufgaben betrachtet (s. Abb. 1). In Einklang mit den geringeren DGK-Werten bei Befragten mit elterlicher ME ist der Anteil der Antwort „(sehr) schwierig“ bei ihnen durchgängig niedriger als bei den Befragten ohne oder mit eigener ME. Die Rangfolge nach Schwierigkeitsgrad der einzelnen Informationsaufgaben ist jedoch in allen Gruppen ähnlich. Zwei Fragen wurden von besonders vielen Befragten als „(sehr) schwierig“ beurteilt, nämlich, ob hinter den Informationen kommerzielle Interessen stehen (67–80 %) und ob sie vertrauenswürdig sind (66–78 %).

Abb. 1
figure 1

Einzelfragen HLS19-DIGI, Antwort „(sehr) schwierig“

Betrachtet man die Unterschiede zwischen den Gruppen ist auffällig, dass die größten Differenzen dabei bestehen, passende Worte beim Finden von Informationen zu verwenden (20 % elterliche ME vs. 36 % kein ME bzw. 41 % eigene ME; p < 0,05), Informationen zu verstehen (27 % vs. 44 % bzw. 40 %; p < 0,05), Informationen auf unterschiedlichen Webseiten zu prüfen (19 % vs. 37 % bzw. 42 %; p < 0,05) und Informationen zur Lösung eines gesundheitlichen Problems zu nutzen (41 % vs. 58 % bzw. 55 %; p < 0,05). Die durchschnittlichen Anteile als (sehr) schwierig erlebter Aufgaben von Befragten ohne oder mit eigener ME unterscheiden sich kaum, was ebenfalls ihren mittleren Skalenwerten entspricht.

Um Unterschiede bei der Sozial- und Altersstruktur der Gruppen zu berücksichtigen, wird die DGK nachfolgend in demographischen und sozioökonomischen Teilgruppen verglichen (s. Abb. 2). Beachtenswert ist, dass Befragte mit eigener ME in einigen Teilgruppen eine höhere DGK aufweisen als Befragte ohne ME. So haben eingewanderte Frauen (MW: 49,2 vs. 44,5; p < 0,05), Personen mit mittlerem Bildungsniveau (MW: 49,2 vs. 44,5; p < 0,05) oder Sozialstatus (MW: 49,8 vs. 44,2; p < 0,05) und möglicher finanzieller Deprivation (MW: 51,3 vs. 40,1; p < 0,05) eine höhere DGK und demnach weniger Schwierigkeiten im Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen als die entsprechenden Personengruppen ohne ME. Zudem zeigt sich, dass Befragte mit elterlicher ME auch in fast allen Teilgruppen eine höhere DGK aufweisen als die entsprechenden Vergleichsgruppen bei Befragten ohne ME oder mit eigener ME. Lediglich bei Befragten bis 29 Jahre und Befragten mit hohem Sozialstatus sind keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen mehr sichtbar.

Abb. 2
figure 2

DGK-Mittelwerte (digitale Gesundheitskompetenz) mit 95 %-Konfidenzintervallen

Die Regressionsanalysen zeigen nach Kontrolle der oben genannten Merkmale folgendes Bild (Tab. 2): Im Vergleich zu Befragten ohne ME weisen Befragte mit elterlicher ME weiterhin eine höhere DGK auf: Sie beträgt im Mittel rund 6 Punkte mehr, d. h. der höhere Wert kommt nicht nur durch eine günstigere Sozialstruktur dieser Gruppe hinsichtlich der betrachteten Merkmale zustande. Personen mit eigener ME haben auch adjustiert im Durchschnitt keinen substantiell andere DGK-Wert als Personen ohne ME (B = 2,183; p = 0,266). Die Effektstärke der anderen Variablen im Modell ist allerdings deutlich größer. Beispielsweise ist die DGK besonders bei Älteren deutlich geringer als bei den Jüngeren, wie auch schon deskriptiv zu sehen war (s. Abb. 2). Personen zwischen 65 und 75 Jahren hätten adjustiert einen um > 30 Punkte und Personen ab 76 Jahren sogar einen um 35 Punkte geringeren DGK-Wert als 18- bis 29-Jährige. Bei niedrigem Bildungsniveau, niedrigem Sozialstatus und mittlerer bis starker finanzieller Deprivation ist der Wert immerhin noch um 10–13 Punkte niedriger als bei Personen mit hohem Bildungsniveau oder Sozialstatus und ohne finanzielle Deprivation. Aus der deskriptiven Analyse (Abb. 2) ist jedoch ersichtlich, dass bei Befragten mit elterlicher ME die Werte in den soziodemografischen und -ökonomischen Teilgruppen sehr nah beieinander liegen.

Tab. 2 Regressionsergebnisse Skala DGK (0–100, digitale Gesundheitskompetenz)

Nutzung von digitalen gesundheitsbezogenen Informationsangeboten

Die Informationsangebote werden von den betrachteten Gruppen in unterschiedlichem Ausmaß genutzt. Befragte ohne ME nutzen gesundheitsbezogene Internetseiten, soziale Medien, digitale Geräte und Apps seltener als Befragte mit eigener oder elterlicher ME. Beispielsweise werden Internetseiten von 18 % der Befragten ohne ME, 27 % mit eigener und von 29 % mit elterlicher ME häufig genutzt. Soziale Medien werden wiederum häufig von 16 % der Befragten mit eigener ME, 19 % mit elterlicher ME und nur von 8 % der Befragten ohne ME genutzt. Bei Apps hingegen ist der Anteil häufiger Nutzung bei Befragten mit elterlicher ME mit über einem Drittel (35 %) weitaus höher als bei jenen ohne ME (17 %) bzw. mit eigener ME (22 %). Alle Zahlen sind in Abb. 3 und Tab. 1 im Online-Anhang zu finden.

Abb. 3
figure 3

Nutzung digitaler gesundheitsbezogener Informationsangebote

Schaut man auf den Zusammenhang der DGK mit der Nutzungshäufigkeit digitaler Informationsangebote, zeigt sich, dass eine geringe Nutzung durchgängig mit einer geringeren DGK assoziiert ist (Abb. 4 und Tab. 1 im Online-Anhang). Dieser negative Zusammenhang ist bei Internetseiten am deutlichsten, gefolgt von sozialen Medien, digitalen Geräten und digitalem Austausch mit Gesundheitsdienstleistenden und am geringsten bei Apps. Bei allen Informationsangeboten ist der Zusammenhang mit der DGK bei Befragten ohne bzw. mit eigener ME deutlicher ausgeprägt ist als bei Befragten mit elterlicher ME (auch adjustiert, s. Tab. 2 im Online-Anhang).

Abb. 4
figure 4

DGK-Mittelwerte (digitale Gesundheitskompetenz) und 95 %-Konfidenzintervalle nach Nutzungshäufigkeit digitaler gesundheitsbezogener Informationsangebote

Wenn die Kategorien der Nutzungshäufigkeiten der Informationsangebote jeweils als zusätzliche Variablen in das in Tab. 2 dargestellte Regressionsmodell hinzugefügt werden, ändern sich die Koeffizienten für die Gruppen mit eigener und elterlicher ME im Vergleich zur Gruppe ohne ME kaum (s. Tab. 3 im Online-Anhang). Das bedeutet, dass die Werte der DGK auch unabhängig von den Nutzungsprofilen bei den Befragten ohne ME geringer sind als bei Befragten mit eigener ME und bei Befragten mit elterlicher ME.

Diskussion

Erstmals erfolgte mit der vorgelegten Analyse ein detaillierter Vergleich der DGK von Menschen ohne und mit ME, wobei nach elterlicher und eigener ME differenziert wurde. Als zentrales Ergebnis zeigt sie, dass Menschen mit elterlicher ME über eine deutlich bessere DGK verfügen als Befragte mit eigener ME und – wie bemerkenswert ist – auch ohne ME. Auffällig ist auch, dass sich die DGK von Befragten ohne und mit eigener ME nur partiell unterscheidet. Dies revidiert und differenziert zugleich das Bild älterer Erhebungen, die noch eine geringere AGK oder DGK bei Menschen mit ME zeigten [4, 18, 23]. Das Ergebnis untermauert damit die Hinweise neuerer Erhebungen, die auf der Basis geringerer Fallzahlen nur andeuten konnten, dass Menschen mit ME nicht per sé vulnerabel für geringe Gesundheitskompetenz sind [4, 6, 13, 16, 17]. Die vorliegende Analyse geht jedoch darüber hinaus: Sie zeigt zudem, dass Personen mit elterlicher ME – zumindest aus der Türkei und Ländern der ehemaligen Sowjetunion – sogar einen (deutlichen) Vorteil bei der DGK aufweisen und sich dies nicht durch Sozialstrukturunterschiede erklärt. Freilich sind Analysen mit weiteren Migrationsgruppen nötig, um dieses Ergebnis zu validieren bzw. zu einer differenzierten Betrachtung zu gelangen.

Insgesamt gesehen ist die DGK aber eher gering ausgeprägt, geringer als die AGK. Sie unterliegt zudem ebenfalls einem sozialen Gradienten, denn unabhängig von der ME weisen vor allem Ältere, aber auch Menschen mit niedrigem Bildungsniveau oder Sozialstatus und mittlerer bis starker finanzieller Deprivation eine geringere DGK auf; dies bestätigt (inter)nationale Befunde [7, 12, 23, 24]. Bei der Förderung der DGK sind diese Gruppen besonders zu beachten.

Besonders viele Befragte beurteilen – ähnlich wie in anderen Studien [3, 7, 13, 17] – als „(sehr) schwierig“ einzuschätzen, ob hinter den Informationen kommerzielle Interessen stehen und ob sie vertrauenswürdig sind. Die konkreten Herausforderungen im Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen sind also in allen Teilgruppen sehr ähnlich, wohingegen die Ausprägung der Schwierigkeiten jeweils leicht variiert. Dies verdeutlicht erneut, wie dringend Maßnahmen sind, die die Beurteilung von Informationen erleichtern. Dies sollte bei der Interventionsentwicklung besondere Aufmerksamkeit finden.

Beachtenswert ist mit Blick auf den Aspekt Migrationserfahrung, dass in einigen Teilgruppen auch Befragte mit eigener ME eine höhere DGK aufweisen als Befragte ohne ME. So haben beispielsweise eingewanderte Frauen eine bessere DGK als eingewanderte Männer und Frauen ohne ME. Dies bestätigt die Bedeutung der Frauen mit ME als (digitale) Informationsmanagerinnern und auch Sprachmittlerinnen [1] und unterstreicht den Differenzierungsbedarf in der Forschung und bei der Interventionsentwicklung.

Interessant ist andererseits aber auch, dass bei Befragten bis 29 Jahre und Befragten mit hohem Sozialstatus – also Gruppen mit besserer DGK – keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den drei Gruppen nach ME sichtbar sind. Auch dies unterstreicht das Erfordernis, bei Untersuchungen von Bevölkerungsgruppen zu differenzieren, denn nur so kann auch gezeigt werden, für welche Teilgruppen eine ME eben kein relevantes Unterscheidungskriterium ist.

In den Blick genommen wurde auch das Nutzungsverhalten digitaler gesundheitsbezogener Informationsangebote. Dabei hat sich gezeigt, dass digitale gesundheitsbezogene Informationsangebote von Menschen mit ME häufiger genutzt werden – am deutlichsten ist der Abstand zu Menschen ohne ME bei Internetseiten, sozialen Medien und Apps. Die höchsten Nutzungszahlen bestehen bei Menschen mit elterlicher ME, was erwartbar war, da sie mehrheitlich einer jüngeren, digital affinen Generation angehören. Erstaunlicher ist die höhere Nutzung bei Personen mit eigener ME im Vergleich zu Personen ohne ME, da beide Gruppen eine ähnliche Altersstruktur aufweisen. Dass Personen mit eigener ME digital affiner sind, ist durchaus plausibel, denn digitale Medien ermöglichen den Erhalt und Zugang von Kontakten und Informationen aus dem Herkunftsland bzw. in der Erstsprache. Bei Digitalisierungsbemühungen sollte das „digitale Potenzial“ von Menschen mit ME stärker berücksichtigt werden [2].

Die Studie zeigt zudem, dass die DGK und die Nutzungshäufigkeit digitaler Angebote bei allen erfragten Medienarten eng verknüpft sind. Dass dies auch unabhängig von Alter und sozioökonomischer Lage zutrifft, lässt auf einen Übungseffekt schließen. Durch häufigere bzw. intensivere Nutzungserfahrung können Schwierigkeiten bei der Verarbeitung der digitalen Gesundheitsinformationen verringert werden. Auch dass Menschen mit elterlicher ME eine deutlich bessere DGK aufweisen als Menschen ohne bzw. mit eigener ME ist bei Annahme der Übungshypothese – höhere DGK durch stärkere Nutzung der digitalen Informationsangebote – durchaus plausibel. Allerdings scheint nicht die reine Nutzungshäufigkeit die bessere DGK von Menschen mit elterlicher ME zu erklären. Denn auch nach Hinzunahme der Nutzungshäufigkeit bleibt die im Mittel höhere DGK bei Personen mit elterlicher ME bestehen. Eine andere mögliche Erklärung für die bessere DGK dieser Gruppe könnte in ihrer Rolle als (Gesundheits‑)Informationsmanager in der Familie liegen [1]. Der damit verbundene zusätzliche Umgang mit Gesundheitsinformationen für Dritte, könnte für einen Kompetenzgewinn sorgen.

Insgesamt verfügen Personen mit ME – und insbesondere mit elterlicher ME – über Ressourcen, die in der Forschung und auch bei der Interventionsentwicklung bislang zu wenig Berücksichtigung finden und künftig stärker beachtet werden sollten.

Limitationen

Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass die Stichproben nicht für alle themenrelevanten Aspekte der jeweiligen Grundgesamtheit repräsentativ sind und die Messung der DGK auf Selbsteinschätzungen mit den bekannten und bereits reflektierten Vor- und Nachteilen basiert [21]. Des Weiteren wurden fehlende Daten zur DGK bei 25 Befragten im Rahmen dieser Analyse mit einer einfachen statistischen Imputation ersetzt.

Bei den Stichproben mit ME handelt es sich um Personen, die selbst oder von denen mindestens ein Elternteil die türkische Staatsbürgerschaft bzw. die Staatsbürgerschaft eines Landes der ehemaligen Sowjetunion hat oder hatte. Zwar stellen sie nur eine Auswahl der schon allein nach Herkunftsregion äußerst heterogenen Bevölkerung mit ME dar, die Konzentration auf zwei der in Deutschland größten, etabliert Migrationsgruppen [20] ermöglicht jedoch vertiefende Analysen. Ob die Ergebnisse auch auf andere Migrationsgruppen, wie geflüchtete oder neuzugewanderte Gruppen übertragbar sind, bedarf weiterer Studien.

Fazit für die Praxis

  • Die digitale Gesundheitskompetenz ist insgesamt bei allen Gruppen gering. Deshalb sind dringend mehr Anstrengungen zur Interventionsentwicklung erforderlich, sonst stößt die digitale Transformation in Deutschland auch künftig weiter an Grenzen.

  • Die Studie hat gezeigt, wie wichtig es ist, Menschen mit Migrationserfahrung differenziert zu betrachten – sowohl in der Forschung wie auch bei der Interventionsentwicklung, denn Teilgruppen haben unterschiedliche Ressourcen und sind vor unterschiedliche Herausforderungen gestellt.

  • Interventionen sollten deshalb zielgruppenspezifisch zugeschnitten sein, um der Heterogenität der Bevölkerung mit und ohne Migrationserfahrung (ME), also auch den unterschiedlichen lebensweltlichen und kulturellen Bedingungen, gerecht zu werden. Dabei bedürfen vulnerable Gruppen, wie ältere und sozioökonomisch benachteiligte Personen spezieller Aufmerksamkeit, um bestehende Ungleichheiten nicht weiter zu zementieren.

  • Zu beachten ist generell, dass Interventionen nicht allein auf Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenz zielen, sondern die Verbesserung struktureller Gegebenheiten einbeziehen.

  • Um die digitale Gesundheitskompetenz zu verbessern, ist außerdem wichtig die Nutzung digitaler Informationsangebote zu intensivieren und zu vereinfachen