Die Einführung von verordnungsfähigen digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) soll insbesondere Patient*innen in der Primärversorgung zugutekommen. Bislang fehlen Untersuchungen, die Haltung und Erfahrungswerte von Hausärzt*innen in Bezug auf DiGA beleuchten Eine Interviewstudie unter Allgemeinmediziner*innen mit Anwendungserfahrung zeigt, dass diese große Chancen von DiGA wahrnehmen und verbreitet positive Versorgungseffekte beobachten. Benannt werden allerdings auch verschiedene Voraussetzungen, damit sich DiGA breitflächig im hausärztlichen Setting etablieren können.

Als Teil einer umfassenden Digitalstrategie hat der deutsche Gesetzgeber mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) vom 19. Dezember 2019 die Möglichkeit geschaffen, DiGA in die Regelversorgung zu integrieren [7]. Seitdem besteht für Ärzt*innen die Möglichkeit, gesetzlich versicherten Patient*innen DiGA auf Rezept zu verordnen. Als erstattungsfähige mobile Apps sollen DiGA bei der effektiveren Erkennung von Erkrankungen helfen, Therapien begleiten und/oder zur Prävention beitragen [5, 21]. Ähnlich wie Gesundheits-Apps werden DiGA v. a. mit dem Potenzial in Verbindung gebracht, Empowerment, Motivation und Compliance zu stärken, zur Aufklärung beizutragen und gesundheitsförderliches Verhalten einzuüben [1, 5, 21, 22, 30].

Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit ist die Aufnahme einer Anwendung in das DiGA-Verzeichnis, welches durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt wird [8]. Hierzu müssen DiGA-Hersteller einen Antrag auf Zulassung stellen und in einem systematischen Evaluationsverfahren verschiedene Anforderungen erfüllen (u. a. CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt, Standards zu Datenschutz und Informationssicherheit, Qualität medizinischer Inhalte, Nutzerfreundlichkeit und Robustheit der Anwendung sowie Patient*innensicherheit). Nutzen und Mehrwert der Anwendung (Versorgungseffekt) müssen ausreichend belegt werden [5, 6, 22]. Bei Erfüllung aller Beurteilungskriterien ist eine Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis und ergo eine Verordnung möglich. Sollten zunächst lediglich die allgemeinen Anforderungen erfüllt sein, besteht die Option auf vorübergehende Aufnahme über das sog. „Fast-track-Verfahren“. Hier hat der Hersteller im Zuge einer einjährigen Erprobungsphase Zeit, einen Nachweis über die positiven Versorgungseffekte vorzulegen [5, 21]. Dabei können Versorgungseffekte in unterschiedlichen Kategorien belegt werden (z. B. Rückgang von Schmerzen und/oder größeres Wissen bzw. besserer Umgang in Bezug auf eine Erkrankung). DiGA sollten so ausgelegt sein, dass diese von Patient*innen allein oder gemeinsam mit Ärzt*innen verwendet werden können [5, 22].

Inzwischen liegen zu immer mehr Krankheitsbildern positiv evaluierte Programme vor. Von den 35 DiGA, die aktuell gelistet sind, ist das Gebiet der Lifestyle-assoziierten Anwendungen stark vertreten. Studien konnten nachweisen, dass Gesundheits-Apps positive Effekte bei Erkrankungen wie Adipositas oder Diabetes mellitus Typ 2 haben können, indem Symptome dokumentiert und eine alltagsregulierende Veränderung des Patient*innenenverhaltens (z. B. Ernährung, Bewegung) induziert wird [1, 12, 15,16,17].

Für die erfolgreiche Etablierung von DiGA im Gesundheitswesen nehmen Hausärzt*innen eine Schlüsselstellung ein [20, 23]. So ist vorstellbar, dass Hausärzt*innen DiGA gezielt zur Gesundheitsförderung oder zum Krankheitsmanagement einsetzen, den Anwendungsprozess begleiten und von Patient*innen regelmäßig Vitaldaten erhalten [1, 4, 5, 17, 21, 26]. Erhebungen haben gezeigt, dass gerade niedergelassene Ärzt*innen zwar Einsatzpotenziale von Gesundheits-Apps ausmachen, bislang allerdings zurückhaltend waren, solche in der Versorgung zu nutzen [3, 10, 20, 32]. Ursachen hierfür scheinen in einer Unsicherheit hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Sicherheit (Datenschutz, Praxisreife, Eignung für bestimmte Patient*innenklientele, Rechtssicherheit bei ärztlich induziertem App-Einsatz) sowie der Implementierung in den Praxisalltag zu liegen [27, 31, 32].

Erkenntnisinteresse

Bislang fehlen belastbare Untersuchungen, die für den hausärztlichen Bereich Erfahrungswerte in der Anwendung von DiGA beleuchten. Vor dem Hintergrund der im Jahr 2020 erfolgten Etablierung solcher mHealth-Tools ermittelt die vorliegende Studie eine Zwischenbilanz aus allgemeinärztlicher Perspektive. Dabei erfolgt eine Fokussierung speziell auf solche Hausärzt*innen, die DiGA verschrieben und im Versorgungsgeschehen eingesetzt haben. Im Zentrum der Untersuchung steht neben der Ermittlung von Grundhaltungen (Einstellungen, Einsatzpotenziale) v. a. die Frage, wie sich bisherige Erfahrungen und Beobachtungen (Versorgungseffekte) im Hinblick auf die Integration von DiGA in die Patient*innenversorgung darstellen und inwiefern Hausärzt*innen in DiGA gegenüber der Anwendung klassischer Gesundheits-Apps einen Mehrwert ausmachen. Aus den Ergebnissen sollen Rückschlüsse gezogen werden, unter welchen Voraussetzungen die Potenziale von DiGA für die (primär)ärztliche Versorgung nutzbar gemacht werden können.

Methodik

Studiendesign und Erhebungsinstrument

Um das skizzierte Forschungsdesiderat zu adressieren zu gewinnen, wurde ein explorativer Ansatz verfolgt, der mithilfe qualitativer halbstandardisierter Interviews realisiert wurde. Die Konzeption des Befragungsleitfadens (s. Anhang) erfolgte unter Rückgriff auf mehrere quantitative und qualitative Vorstudien der Autoren, die sich unter verschiedenen Fokussen mit den Einsatzmöglichkeiten von Gesundheits-Apps im Haus- und Facharztsetting befasst haben [31,32,33], sowie einer Literaturrecherche (u. a. [1, 3, 4, 10,11,12,13, 17, 22, 27, 30]). Es besteht aus 32 Fragen mit vier inhaltlichen Schwerpunkten:

  • Verbreitung der Nutzung von mHealth unter Patient*innen,

  • Kenntnisnahme von und Einstellungen in Bezug auf DiGA,

  • Verschreibungspraxis und Erfahrungen mit Einsatz in der Versorgung,

  • Bilanzierung, weitere Entwicklung und Durchsetzung von DiGA.

Rekrutierung und Sample

Bei der vorliegenden Studie wurde zwecks thematischer Exploration ein „convenience sample“ erstellt. Über 12 regionale Ärzt*innennetzwerke in Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen, die einen Schwerpunkt im Bereich Digitalisierung haben, wurde von den Autoren ein Aufruf gestartet (schriftlich-postalisches Anschreiben), dass eine Studie die Standpunkte und Eindrücke von Hausärzt*innen einholen möchte, die Erfahrung in der Anwendung von DiGA gesammelt haben. Bei den angesprochenen Netzwerken handelte es sich um ambulante Ärzt*innen, die eine themenbezogene Kommunikation und regelmäßigen Erfahrungsaustausch (insbesondere über Qualitätszirkel) pflegen. Um fachlich im Bereich Praxis und Digitalisierung auf dem aktuellen Stand zu bleiben und z. B. digitale Hilfsmittel leitlinienkonform ins Praxisgeschehen einzubinden, erfolgt eine regelmäßige Weiterbildung, bei der die Ärzt*innen kooperieren und sich gegenseitig informieren.

An die Ärzt*innennetzwerke herangetreten wurde in der Regel über die Internetpräsenz des jeweiligen Netzwerks. Es wurde Kontakt mit den für das Netzwerk als Koordinationszentrum fungierenden Praxen aufgenommen. Zurückgemeldet haben sich 38 Hausärzt*innen, mit denen letztlich auch die Interviews geführt wurden (keine „incentives“).

Alle 38 Interviews wurden im Wechsel von den Autoren im Zeitraum zwischen März und Juni 2022 auf via Face-to-face-Interview (n = 21) oder auf telefonischem Weg (n = 17) durchgeführt (Dauer: 40 bis 75 min). Die Gespräche wurden mithilfe eines Digitalrekorders aufgezeichnet. Im Vorfeld erhielten sämtliche Interviewten eine Aufklärung über das Gesprächsthema sowie eine schriftliche Einverständniserklärung, die von allen teilnehmenden Ärzt*innen ausgefüllt wurde. Die Transkription erfolgte durch den Erstautor.

Die theoretische Sättigung wurde nach 30 Interviews erreicht. Wie Tab. 1 zeigt, konnte ein durchmischtes Sample gewonnen werden.

Tab. 1 Soziodemographische Beschreibung des Samples (n = 38)

Auswertung

In Folge der Transkription wurde die Auswertung auf Grundlage der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring [25] vom Erstautor mithilfe der Software MAXQDA durchgeführt. Als Vorbereitung wurden die verschriftlichten Gespräche im Rahmen einer Zusammenfassung auf wesentliche Inhalte reduziert, um das Grundmaterial überblicken zu können. Im Anschluss wurde der Text je nach Bedeutung und Aussagekraft in einzelnen Sätzen oder Absätzen extrahiert, in dem zuvor die Analyseeinheiten bestimmt wurden (Sinnbereich, Interviewcode, Originaltext, Paraphrase, Generalisierung). Ehe die Kategorienbildung erfolgte, wurden die bedeutungstragenden Grundaussagen herausgearbeitet, anschließend weiter abstrahiert und zusammengefasst. Das erstellte Kategoriensystem orientierte sich an den im Leitfaden gesetzten Schwerpunkten und wurde mit Fortgang der Auswertung wiederholt geprüft und ggf. modifiziert. Im Mittelpunkt stand dabei, die geschilderten Sichtweisen und Erfahrungen in Bezug auf DiGA logisch zu kategorisieren.

Ergebnisse

Verbreitung der Nutzung von mHealth

Die meisten Gesprächspartner*innen gehen davon aus, dass bis zu einem Fünftel ihrer Patientenschaft mHealth-Anwendungen wie Gesundheits-Apps wenigstens gelegentlich verwendet, wobei die Gruppen der Nutzer*innen inzwischen „bunt gemischt“ seien und „man nicht mehr sagen kann, dass es sich nur um jüngere oder besonders digitalinteressierte Leute handelt“ (I-13w).

Bezogen auf ein mögliches Gesamtpotenzial von Patient*innen, die grundsätzlich interessiert und bereit wären, mHealth-Tools zu nutzen, geht das Gros Interviewten mit Blick auf ihre eigene Praxisklientel von einem Potenzial bis zu einem Drittel aus. DiGA werden von einer deutlichen Mehrheit als „großer Schritt nach vorne bewertet […], damit mehr Patienten für digitale Unterstützungsformen in der Versorgung gewonnen werden“ können (I-22m).

„Ich glaube, dass wir in einer Übergangsphase sind, in der wir die Weichen so stellen müssen, dass Ärzte und Patienten ein Grundvertrauen in den Sinn und Zweck solcher Programme bekommen. Wenn uns das gelingt, dann könnte die App-Anwendung bald viel selbstverständlicher werden.“ (I-30m)

Einstellungen in Bezug auf DiGA

Aufgrund des digitalen Schwerpunkts, der die Ärzt*innennetzwerke der Befragten auszeichnet, sind nahezu alle Personen im Sample frühzeitig über die Einführung von DiGA informiert gewesen. Teilweise erfolgte seitens der Ärzt*innennetzwerke direkt nach Verabschiedung des DVG die Bereitstellung von Informationsunterlagen, was die Interviewten als „enorm hilfreich“ (I-2m) beschreiben, da von „vorneherein eine Form der Begleitung und Konsultation da war“ (I-14m).

Aufgrund der guten Informationsvoraussetzung durch die Netzwerkaktivität bekunden die Interviewten in großer Mehrheit, „von Anfang an die klaren Assets dieser neuen Sorte von Gesundheits-Apps“ wahrgenommen zu haben (I-37w). Etwa die Hälfte des Samples weist darauf hin, dass trotz einer prinzipiellen Aufgeschlossenheit gegenüber DiGA, die von Beginn an gegeben war, man „aus diversen Gründen“ in der Vergangenheit „nicht immer positive Erfahrungen mit herkömmlichen Gesundheits-Apps“ gemacht habe (I-26m).

„Von daher hatte ich schon die Erwartungshaltung, dass DiGAs eine veritable Verbesserung der unbefriedigenden App-Situation bieten. Denn normale Gesundheits-Apps nutzen, das bedeutet: keine Kontrolle über den Datenschutz, oftmals wenig Usability, Fehlmessungen, unklare Rechtslage und, und, und …“ (I-28m)

Die DiGA werden als grundsätzlich verlässliche Programme erachtet, die von ärztlicher Seite Patient*innen „ohne Unsicherheit oder Bedenken nahe gelegt und verschrieben“ werden können (I-19w). Ähnliches gilt für Fragen der Rechtssicherheit, wobei hier eine Reihe von Interviewten noch Rückfragen und „gewisse Restzweifel“ (I-22m) artikulieren, gerade mit Blick auf Risiken von fehlerhaften Datenerhebungen und Haftungsfragen. Dennoch existiert ein „Grundvertrauen“, weil „hinter DiGAs schon ein Gesetzeswerk steht, das deutlich erhöhte Anforderungen an die inhaltliche Qualität stellt, aber eben auch einen Rahmen für die Anwendung in der Praxis aufspannt“ (I-19w).

Rund die Hälfte der Interviewten geht davon aus, dass DiGA bei richtiger Anwendung einer sehr großen oder eher großen Beitrag zur Gesundheitsvorsorge und/oder Genesung leisten können; die andere Hälfte sieht einen Beitrag, betrachtet diesen jedoch als eher geringer und in einem rein begleitenden Kontext (I-26m). Im Verhältnis zu normalen Gesundheits-Apps werden die Bedeutung und der Stellenwert von DiGA im Versorgungsgeschehen merklich höher taxiert. Die Befragten führen dies maßgeblich auf das Evaluationsverfahren des BfArM zurück, was „ein Grundlevel an Sicherheit und Zuverlässigkeit einzieht“ (I-19w).

„Es ist doch so: DiGA sind Medizinprodukte. Das ist schon mal eine andere Kategorie, die anzeigt, dass Prüfungskriterien viel höher liegen, aber eben auch die Fokussierung auf die Einbindung ins Krankheitsmanagement im Vordergrund steht.“ (I-28m)

Der wahrgenommene Nutzen von DiGA variiert nach Anwendungsfeld. Nahezu sämtliche Interviewte halten es für sinnvoll, wenn diese bei der Selbstkontrolle von Risikofaktoren (Gewicht, Blutdruck, Blutzucker etc.), Lebensstiländerungen (z. B. Ernährung, Rauchentwöhnung, Bewältigung psychischer Problematiken), präventiven Maßnahmen sowie dem Medikamentenmanagement helfen. Eine unmittelbare Unterstützung beim Monitoring und der Therapie chronischer Erkrankungen befürworten 2 von 3 Befragten.

Die wichtigsten Vorteile einer DiGA-Nutzung im Praxiskontext bestehen nach Auffassung der Befragten allem voran in einer Motivations- und Compliancesteigerung (Tab. 2). Auch die Dimension einer Stärkung des Empowerments und der Gesundheitskompetenz sowie der Erreichung neuer Gruppen von Patient*innen wird als bedeutsam eingeschätzt.

„Unterschätzen Sie nicht, was es bedeutet, ein verstärktes Gefühl der Kontrolle über die eigene Gesundheiterhaltung oder Rekonvaleszenz zu haben.“ (I-32m)

Tab. 2 Chancen und Risiken von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA)

Ein Teil der Ärzt*innen macht auch auf potenzielle Effektivitäts- und Effizienzvorteile für die Arzt-Patient-Vernetzung aufmerksam, etwa indem via DiGA Vitaldaten gemessen und (idealerweise durch Einbindung in die Praxissoftware) an die Praxis übertragen werden können. Aus Sicht mehrerer Befragter geht damit einher, dass Krankheiten oder Krankheitsrisiken zielgerichteter und individueller behandelt werden können.

Als Risiken von DiGA benennt ein Teil der Befragten trotz Prüfung durch das BfArM Sorgen vor mangelnder (Daten)sicherheit, z. B. aufgrund vorhandener Datenlecks. Auch stehen einigen Befragten „gerade bei komplexen Programmen, deren Bedienung nicht immer intuitiv ist“ (I-17m), unerwünschte Effekte wie Fehlmessungen aufgrund einer zu geringen Eignung für bestimmte Patient*innengruppen vor Augen. So könnten fehlerhafte Gesundheitsdaten gesammelt werden oder im Extremfall Therapien fehlschlagen. Zudem könne eine negative Folge des unbedachten DiGA-Einsatzes darin bestehen, dass gesundheitsängstliche Patient*innen verunsichert würden. Beispielsweise könne eine bestimmte Benutzerlogik dazu führen, dass bei Patient*innen Fehldeutungen oder eine verkürzte Fixierung auf bestimmte Parameter nahe gelegt werden.

„Ich glaube, bei der Frage nach Chancen und Risiken ist entscheidend, dass Sie immer versuchen, passgenaue Lösungen zu finden. Welches Programm ist welchem Patienten zumutbar? Diese qualifizierte Einschätzung kann nur ein Arzt treffen. Dies muss vor dem Hintergrund eines belastbaren Wissens und transparent recherchierbarer Informationen geschehen.“ (I-23w)

Verschreibungspraxis und Erfahrungen mit DiGA-Einsatz

Die Interviewten geben verschiedene Ursachenkomplexe an, warum es für sie initial interessant und lohnenswert erschien, DiGA einzusetzen. Benannt werden vorhandene Versorgungsdefizite, etwa mit Blick auf Compliance-sensitive Therapiebegleitung oder nachhaltige Lebensstilveränderungen im Sinne einer (Sekundär)prävention. Auch Empfehlungen von Kolleg*innen und Neugier an der Erprobung digitaler Tools spielten eine Rolle. Erneut wird vielfach auf die gute Vorinformation durch die Ärzt*innennetzwerke hingewiesen.

Etwas mehr als die Hälfte der Interviewten geben an, dass sie Patient*innen vor der Einführung von DiGA die Anwendung bestimmter Gesundheits-Apps nahe gelegt haben, sodass gewisse, allerdings oftmals unsystematische Erfahrungen mit digitalen Anwendungen vorhanden waren.

„Das war eher in Einzelfällen. […] Oder man setzte, weil es sich ergab, auf etwas auf, das der Patient bereits genutzt hat.“ (I-33w)

Im Fall von DiGA hat sich die Bereitschaft zur Empfehlung und Anwendung nach Schilderung vieler Befragter positiv verändert. Rund zwei Drittel geben an, dass es – „wenn auch bislang auf begrenztem Niveau“ (I-19w) – eine Regelmäßigkeit in der Nutzungspraxis von mHealth gebe. Dies wird substanziell mit einem Zugewinn an Vertrauen und Zuverlässigkeit aufgrund des DVG begründet.

„Wo es sich anbietet, gehe ich durchaus proaktiv auf Patienten zu und spreche die Möglichkeit einer Unterstützung mit DiGAs an.“ (I-15w)

Bezogen auf konkrete Anwendungsbereiche fand eine DiGA-Verordnung hauptsächlich in den Bereichen Prävention und Selbstkontrolle, Lifestyle und Bewegungsförderung statt. Vermehrt genannt werden Anwendungen zur Lebensstiländerung bei Diabetes mellitus Typ 2 und starkem Übergewicht sowie zur Bewegungsprävention, zum Umgang mit depressiven Episoden, Schlafstörungen und Tinnitusleiden.

Damit eine DiGA für eine Empfehlung bzw. Verordnung in Frage kommt, ist den Befragten besonders wichtig ist, dass das Programm übersichtlich bzw. leicht verständlich und einfach anwendbar ist. Die DiGA soll personenbezogene Daten bestmöglich schützen, Möglichkeiten der Individualisierbarkeit bieten sowie Patient*innen im Alltag auf spielerischem Weg zu mehr Gesundheitsbewusstsein motivieren (z. B. über Gamification-Elemente). Ein erheblicher Teil des Samples betont als weitere Voraussetzung, dass Ärzt*innen zu dem entsprechenden Programm seriöse, belastbare Informationsquellen vorliegen müssen. Einige Befragte nennen eine dauerhafte Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis als zwingende Voraussetzung für eine Verordnung.

Nach ihrer grundsätzlichen Erfahrung gefragt, geben nahezu alle Ärzt*innen an, die verordneten Anwendungen hätten sich insgesamt als nützlich erwiesen. Positive Effekte in Bezug auf Gesundheitsvorsorge und/oder Genesung wurden verbreitet beobachtet. Diese betreffen insbesondere Aspekte wie verbesserte Compliance und das Selbstmanagement bei chronischen Erkrankungen, die Steigerung der Mobilität oder eine feststellbare Gewichtsreduktion (Tab. 3). Mit Blick auf beobachtete Mehrwerte fällt das Urteil für DiGA in den Anwendungsbereichen Prävention und Selbstkontrolle, gesundheitsorientier Lifestyle und Bewegungsförderung am besten aus. Negative Effekte werden von sieben Interviewten berichtet; diese beziehen sich auf eine zu komplizierte, die Patient*innen überfordernde Gestaltung in der Anwendung oder die negative Beeinflussung gesundheitsängstlicher Patient*innen.

Tab. 3 Beobachtete positive Effekte bei DiGA-Einsatz (digitale Gesundheitsanwendungen)

Bilanzierung, weitere Entwicklung und Durchsetzung von DiGA

Um DiGA für die Anwendung im (haus-)ärztlichen Versorgungsgeschehen zugänglicher und damit attraktiver zu machen, umreißen die Ärzt*innen mit Nutzungserfahrung im Zuge einer offenen Frage unterschiedliche Schwerpunkte (Tab. 4). Trotz einer vergleichsweise hohen Zufriedenheit mit verwendeten DiGA wird Nachsteuerungspotenzial bei der Nutzerführung und „usability“ sowie beim Ausbau von Interaktivität und Gamification-Elementen gesehen. Zahlreichen Ärzt*innen fehlt es an zuverlässigen und fundierten Informationsmöglichkeiten über DiGA. Das DiGA-Verzeichnis wird oftmals kritisch gesehen, da es nicht detailliert genug und mitunter zu nah an den Herstellerangaben abgefasst sei. Teilweise wird dies auch mit einer grundsätzlichen Kritik an der Berechtigung des „Fast-track-Verfahrens“ verbunden. Als mögliche Informationsplattform mit einem DiGA-Schwerpunkt schlagen verschiedene Befragte das Nationale Gesundheitsportal (www.gesund.bund.de) vor, ggf. mit einer Sektion speziell für Ärzt*innen.

Tab. 4 Ansätze zur erleichterten Einbindung von digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) ins Versorgungsgeschehen

Um die hausärztliche Versorgung insgesamt stärker für eine Nutzung von DiGA zu öffnen, plädieren die Befragten für ein flächendeckendes Weiterbildungsangebot für Ärzt*innen. Viele Befragte berichten, dass innerhalb ihres Netzwerks eine umfassende Aufklärung zum DiGA-Einsatz erfolgt sei. Problematisch sei, dass viele Hausärzt*innen in Deutschland über das gesetzliche Rahmenwerk des DVG kaum oder überhaupt keine Kenntnis hätten.

„Ich glaube, die Akzeptanz und Bereitschaft, DiGA zuzulassen, steht und fällt mit einer ausreichenden Informationslage, natürlich auch mit Know-how im Umgang mit solchen Programmen. […] Aber es ist nicht zu unterschätzen: Wenn Du hier keine Ausgangsbasis hast und gar nicht weißt, was so eine DiGA ausmacht, dann wird es schwierig.“ (I-9m)

Wichtig ist den Befragten, dass DiGA aufgrund ihrer Benutzerlogik nicht dazu führen, dass Fehldeutungen bei Patient*innen oder eine verkürzte Fixierung auf bestimmte Parameter nahe gelegt werden. Viele Hausärzt*innen äußern den Wunsch, dass die Krankenkassen mit Blick auf den DiGA-Einsatz stärker beratend und unterstützend an Patient*innen herantreten. Schon heute können bei entsprechender Indikation DiGA z. T. ohne explizite ärztliche Verordnung über die Krankenkasse bezogen werden [9].

Diskussion

Zusammenfassung und Befunde anderer Studien

Vorangegangene Studien haben gezeigt, dass niedergelassene und Allgemeinärzt*innen Gesundheits-Apps mit positiven Potenzialen in Verbindung bringen, allerdings aufgrund von beträchtlichen Bedenken bei Sicherheitsfragen, Zuverlässigkeit und Anwendungsfreundlichkeit bislang kaum bereit waren, mHealth-Tools in die Patient*innenversorgung einzubinden [3, 27, 31]. Hinzu kommt ein hohes Maß an Unsicherheit, aus einem großen, dynamischen App-Markt passende Anwendungen für Patient*innen auszuwählen. Das DVG folgt dem Bestreben, mithilfe klarer Qualitätsstandards die Grundlagen für eine Implementierung digitaler Gesundheitsanwendungen in die Versorgung zu schaffen [7, 21].

Die Ergebnisse der Interviews belegen in Gegenüberstellung mit früheren Erhebungen, dass das Image und die Akzeptanz von DiGA unter den in dieser Studie befragten Hausärzt*innen merklich positiver ausfällt als im Fall gewöhnlicher Gesundheits-Apps [27, 31,32,33]. Aufgrund der notwendigen Prüfung für die Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis und des rechtlichen Rahmenwerks zeigen die Befragten insgesamt größeres Vertrauen, dass es sich bei DiGA um seriöse, vergleichsweise sichere und potenziell wirksame Programme handelt – ein Befund, den auch eine Barmer-Umfrage andeutet [2].

Ähnlich wie im Fall von qualitativ hochwertigen Gesundheits-Apps werden DiGA v. a. bei der Unterstützung von Prävention, Selbstkontrolle und Veränderungen des Lebensstils als besonders sinnvoll erachtet. Analog gilt dies für praktische Erfahrungen mit DiGA: Die Interviewten berichten überwiegend von klar positiven Versorgungseffekten, die beobachtet wurden.

Trotz der prinzipiell positiven Beurteilung von DiGA und deren Nutzungsmöglichkeiten ist die Bereitschaft, digitale Gesundheitsanwendungen breitflächig und konsequent für die Patient*innenversorgung aufzugreifen, unter Hausärzt*innen insgesamt aktuell noch begrenzt [4, 10, 26, 31]. Zum einen führen mangelnde Vorerfahrungen mit mHealth-Programmen dazu, dass sich die meisten Befragten derzeit nicht zutrauen, Patient*innen kompetent an DiGA heranzuführen und die Anwendung zu begleiten [18, 28].

Zum anderen fehlen belastbare Informationsquellen, sodass die interviewten Allgemeinmediziner*innen einen ausgeprägten Bedarf nach neutralen Recherchequellen mit einem Schwerpunkt auf Gesundheits-Apps artikulieren. Das DiGA-Verzeichnis wird für die qualifizierte Übersicht und Auswahl geeigneter Anwendungen als verbesserungsbedürftig bewertet. Mehrere vorangegangene Untersuchungen haben aufgezeigt, dass Hausärzt*innen die Transparenz und Verlässlichkeit von derzeit zur Verfügung stehenden Informationsquellen als nicht ausreichend für eine Patient*innenunterstützung mit DiGA bzw. Gesundheits-Apps erachten [2, 3, 10, 20, 31,32,33]. Als mögliche Informationsplattform mit einem solchen Schwerpunkt schlagen verschiedene Befragte das Nationale Gesundheitsportal vor. Fachgesellschaften und deren Organe könnten mithilfe eigener Informationsangebote unterstützen und Versorgungsergebnisse von DiGA diskutieren. Die vorliegende Studie zeigt ferner, dass gerade Ärzt*innennetzwerke eine wichtige Rolle für Information und Austausch zu mHealth-Themen spielen können.

Ungeachtet möglicher Anwendungspotenziale von DiGA artikulierten die Interviewten Kritik in Bezug auf fehlende Wirksamkeitsnachweise („fast track“) und zu Haftungsfragen, insbesondere bei diagnostischen bzw. therapeutischen DiGA. Ein spezifisches Problem liegt aus Sicht nicht weniger Interviewter im DiGA-Fast-track begründet. Falls für eine DiGA noch keine Nachweise für positive Versorgungseffekte vorliegen, aber sonstige Anforderungen erfüllt sind, ist eine vorläufige Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis möglich. Ohne dass also ein Versorgungseffekt nachgewiesen wurde, sind ab diesem Zeitpunkt Krankenkassen zur Kostenerstattung verpflichtet. In seinem Gutachten zur Digitalisierung des Gesundheitswesens macht der Sachverständigenrat [29] darauf aufmerksam, dass insbesondere die sorgsame Evaluation von Wirksamkeit und Nutzen einer DiGA im Zentrum des Prüfverfahrens stehen sollte. Eine Herausforderung stellen jedoch die kurzen Entwicklungszyklen von DiGA im Vergleich mit den langen Zeiträumen etablierter Studiendesigns dar. Es kommt demnach darauf an, den Nutzenbewertungs- und Erstattungsprozess so zu gestalten, dass möglichst sichere Apps mit hoher Qualität und einem belegten Nutzen in die Versorgung gelangen, gleichzeitig jedoch für Anbieter ein Anreiz besteht, in die Entwicklung solcher Anwendungen zu investieren.

Ferner wünschen sich die Befragten ein breites Angebot an CME-zertifizierten, professionellen Fort- und Weiterbildungen, die Hausärzt*innen die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen einer Integration von DiGA ins Versorgungsgeschehen näher bringen [13, 14]. Aus Sicht der Befragten wäre zudem von großer Bedeutung, dass Krankenkassen Patient*innen in Bezug auf eine DiGA-Nutzung konsequent und proaktiv beraten und Ärzt*innen diese Aufgabe nicht allein überlassen bleibt.

Mit Blick auf eine weitere Optimierung heben Ärzt*innen mit DiGA-Erfahrung auf die Stärkung von motivationsförderlicher Anwenderfreundlichkeit ab, sodass eine unkomplizierte Bedienbarkeit auch für nicht-digitalaffine oder kognitiv eingeschränkte Patient*innen gewährleistet ist [11, 19]. Krisam und Preis [24] raten bei der (Weiter)entwicklung von DiGA explizit zu einem Ausbau des spielerischen Potenzials: Werde das Element der Motivationssteigerung vermehrt ins Zentrum gerückt (z. B. durch die Integration von spielerischen Elementen [„gamification“] und intuitive Nutzbarkeit [„user experience“]), könnten die angestrebten Verhaltensänderungen erfolgreich initiiert und langfristig besser aufrechterhalten werden.

Stärken und Schwächen

Die Interviewstudie war durch quantitative und qualitative Vorstudien abgestützt und daher dicht entlang der hausärztlichen Perspektive abgefasst. Da sich das Sample aus digital-interessierten, in spezifischen Ärzt*innennetzwerken organisierten Hausärzt*innen zusammensetzt und es sich zudem um ein „convenience sample“ handelt, muss dieser Selektionsbias bei allen Interpretationen beachtet werden. Eine pauschalisierende Verallgemeinerung auf die Gesamtheit hausärztlicher Versorger*innen verbietet sich. Ferner ist kritisch zu reflektieren, dass ein Teil des Samples telefonisch und nicht per Face-to-face-Interview befragt wurde.

Schlussfolgerungen

Hausärzt*innen mit Anwendungserfahrung bewerten DiGA im Hinblick auf ihr Versorgungspotenzial positiv und bewerten solche Anwendungen im Vergleich zu gewöhnlichen Gesundheits-Apps als sicherer und zuverlässiger. Vielfach wird von positiven Versorgungseffekten aufgrund der DiGA-Intervention berichtet. Damit bieten sich günstige Voraussetzungen für eine Implementierung in der Primärversorgung.

Um DiGA flächendeckend in der hausärztlichen Praxis zu verankern, kommt es darauf an, Allgemeinmediziner*innen über die Grundlagen des DVG zu informieren und Bedenken bzw. Wünsche gezielt zu adressieren, um die Akzeptanz hausärztlicher Versorger*innen mittel- und langfristig zu erhöhen. Zentral erscheinen flächendeckende Schulungen, die über Rahmenbedingungen, Nutzen und Limitationen des DiGA-Einsatzes aufklären und Strategien aufzeigen, wie sich digitale Tools systematisch einbinden lassen. Auch besteht Bedarf nach einer orientierungsstiftenden Instanz, die einen Überblick eröffnet, welche DiGA für welches Anwendungsgebiet sinnvoll ist und was beim Einsatz zu beachten ist.

Fazit für die Praxis

  • Für Hausärzt*innen können digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) effektive Instrumente darstellen, um Patient*innen in ihrer Eigenverantwortlichkeit, Compliance und Motivation, sich gesundheitsbewusst zu verhalten, zu bestärken und die Prävention besser zu verankern. Auch der Einsatz lebensstiländernder und therapeutischer DiGA ist denkbar.

  • Hausärzt*innen mit DiGA-Erfahrung nehmen große Chancen solcher Anwendungen wahr, v. a. mit Blick auf Präventions- und lebensstilunterstützende Funktionen. Wo DiGA bislang im Praxiskontext eingesetzt wurden, fallen verbreitet positive Versorgungseffekte auf.

  • Ungeachtet ihrer Potenziale artikulierten die Interviewten Kritik in Bezug auf fehlende Wirksamkeitsnachweise (DiGA-Fast-track) und zu Haftungsfragen, insbesondere bei diagnostischen bzw. therapeutischen DiGA.

  • Damit die allgemeinmedizinische Versorgung stärker von DiGA profitieren kann, bedarf es geeigneter Voraussetzungen. Hierzu zählt eine umfassende Information und Weiterbildung von Hausärzt*innen in Bezug auf Rahmenbedingungen, Nutzen und Limitationen des DiGA-Einsatzes sowie seriöse Informations- und Überblicksmöglichkeiten. Auch die „usability“ von DiGA lässt sich weiter stärken.