Hintergrund und Fragestellung

Zielgruppen in der Kinderunfallprävention

Kinder haben ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Schäden durch Verkehrsunfälle, Ertrinken, Vergiftungen, Verbrennungen und ähnliches [31]. Bis zu 50 % dieser Unfälle sind [29] durch Veränderungen ihrer Umwelt und das Verhalten der Kinder und ihrer Betreuungspersonen vermeidbar. Der Prävention von Kinderunfällen wird dementsprechend von verschiedenen Gesundheitsorganisationen eine hohe Priorität eingeräumt [5, 6, 33]. Dabei sind Eltern, Großeltern, Erziehungs- und Gesundheitspersonal wichtige Kontaktpersonen für die vielfältigen Kommunikationsmaßnahmen in der Kinderunfallprävention [10, 27]. Dies gilt insbesondere für Kinder im Alter von bis zu 7 Jahren, da die Betreuungspersonen dafür verantwortlich sind, für sie eine sichere Umwelt einzurichten, die Kinder zu beaufsichtigen, ihnen sicheres Verhalten beizubringen und im Notfall entsprechende Maßnahmen zu ergreifen [8, 21, 28]. Für die Kinderunfallprävention stellen diese Akteure daher die eigentlichen Zielgruppen bzw. Dialoggruppen für Kommunikationsmaßnahmen zur Kinderunfallprävention dar.

Multiplikatorenansatz

Beide Zielgruppen (Eltern und professionelles Betreuungspersonal) lassen sich allerdings mit Präventionsinformationen mitunter nur schwer erreichen. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von einem Mangel an Zugang (z. B. keine lokalen Angebote) über zu wenig Verständnis (z. B. keine Muttersprachler*innen) bis hin zu geringer Akzeptanz der Informationen (z. B. Ablehnung von wahrgenommener Bevormundung; [25]). Hier bietet der Multiplikatorenansatz [4] eine wichtige Möglichkeit, um existierende Kommunikationsbarrieren (wie Motivation, Sprache etc.) zu überwinden und jene Betreuungspersonen, die schwer erreichbar sind, dennoch zu erreichen [25].Footnote 1

Dafür werden zentrale Vermittler*innen in die Kommunikationsmaßnahmen eingebunden. In der deutschsprachigen Präventionsliteratur findet man dieses Konzept unter der Bezeichnung Multiplikatorenansatz. In der englischsprachigen Literatur sind Begriffe wie „opinion leaders“ [30], „knowledge broker“ [7] oder „change agents“ [3] gebräuchlich. In der kommunikationswissenschaftlichen Literatur werden entsprechende mehrschrittige Kommunikationsflüsse vor dem Hintergrund der Diffusionstheorie [15] und dem Zwei-Stufen- bzw. Mehrstufenmodell, dem sog. „two-“ oder „multi-step flow“ [9], analysiert. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass Multiplikatoren die Botschaft eines Absenders nicht nur weitergeben [4] und Meinungsführer*innen nicht nur Meinungen vermitteln, sondern die Kommunikationsrollen in ihrer Funktion deutlich darüber hinaus gehen, indem sie vulnerable Zielpersonen identifizieren, relevante Informationen auswählen und diese personengerecht aufbereiten [12].

Zusätzlich vermitteln sie „gesundheitsförderliche Fachinformationen, Strategien und Kompetenzen“ und „haben eine wichtige Transferfunktion, indem sie die Reichweite von Wissen und Erfahrungen erhöhen, Maßnahmen in der Praxis etablieren und die Nachhaltigkeit von Veränderungen unterstützen“ [4]. Als „Schlüsselpersonen“ haben sie einen „guten Zugang zur Zielgruppe, erhöhen die Glaubwürdigkeit von Botschaften und können als Vorbild wirken“ [16]. Somit steht ihre Funktion im Kommunikationsprozess im Mittelpunkt unserer Betrachtung.

Multiplikatoren im Rahmen von Präventionsmaßnahmen können sowohl „Professionelle“ (z. B. Erziehungspersonal, Gesundheitsberufe) als auch „Peers“ (z. B. andere Eltern) sein [4]. In unserem Anwendungsbeispiel, Kinderunfallprävention, können somit sowohl das professionelle (pädagogische oder medizinische) Betreuungspersonal als auch die Eltern eine Doppelrolle als Betreuende der Kinder und Multiplikatoren an andere betreuende Personen einnehmen. Aufgrund dieses direkten Kommunikationsweges mit der Zielgruppe bezeichnen wir sie als Multiplikatoren erster Ordnung, während wir Personen und Institutionen, die nicht direkt an der Betreuung beteiligt sind, hier als Intermediäre oder Multiplikatoren zweiter Ordnung bezeichnen. Wir nehmen mit dieser Differenzierung Bezug auf Konzepte wie die Systemtheorie, wo der Beobachter erster Ordnung direkt am Geschehen beteiligt ist, während der Beobachter zweiter Ordnung nur indirekt daran beteiligt ist, indem er den direkt Beteiligten beobachtet (Abb. 1). Analog wird auch im „two-step flow“ zwischen direktem (d. h. einstufigem) und indirektem (d. h. zweistufigen) Kommunikationsweg unterschieden. In unserem Anwendungsbeispiel, Kinderunfallprävention, kann die Kommunikationsrolle der Intermediäre durch die interpersonale Kommunikation mit den Betreuungspersonen im Rahmen von Veranstaltungen oder durch mediale Produkte (z. B. Elternbriefe von Bundesbehörden, Krankenkassenzeitschriften) erfolgen.

Abb. 1
figure 1

Zielgruppen und Intermediäre in der Kinderunfallprävention. (Eigene Darstellung)

Ein Multiplikatorenkonzept ist als ein wesentliches Qualitätskriterium für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung in den Arbeitshilfen für Präventionsprojekte des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit aufgeführt [17]. Dementsprechend ist der Ansatz in der Praxis zwar anerkannt, allerdings existiert wenig Forschung dazu, wie Multiplikatoren im Rahmen einer Kampagnenentwicklung genau (1) identifiziert und (2) erreicht werden können und (3) welche Perspektiven sie auf die Zielgruppen haben.

Für die (1) Identifikation relevanter Multiplikatoren bietet sich entsprechend der Vorgehensweise in der Meinungsführer- und Diffusionsforschung zunächst die Abfrage relevanter Informationsquellen der Zielgruppe an. Bislang liegen allerdings überwiegend Studien zum Informationsverhalten von Müttern und nur wenige zu dem von Vätern und professionellen Betreuungspersonen vor [22]. Diese Studien zeigen, dass für Mütter von kleinen Kindern insbesondere Gesundheitsberufe wie Kinderärzt*innen und Hebammen wichtige Informationsquellen sind [19, 20]. In einem systematischen Review zu kommunikativen Interventionen der Kinderunfallprävention [2] zeigte sich, dass Kinderärzt*innen, geschulte Gesundheitsausbilder*innen („trained health educators“), Klinikpersonal, Geburtshelfer*innen sowie Familie und Freunde effektiv zur Wissensförderung und Verhaltensänderung in der Kinderunfallprävention beitragen können. In der Praxis (u. a. in einem Schwerpunktheft zu Kinderunfallprävention der Zeitschrift Prävention für Gesundheitsförderung, 38 [4], 2015) zeigt sich darüber hinaus, dass zudem zahlreiche Verbände und Institutionen als Intermediäre agieren. Häufig kennen die Zielgruppen diese Institutionen aber gar nicht namentlich bzw. werden diese gerade in quantitativen Erhebungen auch nicht einzeln erhoben. Die Entwicklung eines Multiplikatorenkonzepts für die Kinderunfallprävention sollte daher zum einen auch die Intermediäre für andere Familienangehörige sowie für das professionelle Betreuungspersonal identifizieren und zum anderen neben Einzelpersonen auch Institutionen und deren Kommunikation berücksichtigen.

Zur (2) Ansprache von Multiplikatoren findet sich zwar vereinzelt Forschung, die ermittelt, mit welchen Botschaftsstrategien diese adressiert werden können, oder Schulungsprogramme für Multiplikatoren evaluiert [32]; es mangelt aber an Forschung dazu, welche Kommunikationskanäle sie nutzen und welche Anlässe es für sie gibt, sich zu informieren. Die bereits erwähnte systematische Übersicht von kommunikativen Interventionen in der Kinderunfallprävention [2] konnte nur 4 (von 67) Studien identifizieren, die explizit einen Multiplikatorenansatz verwendeten. Hier wurden bspw. Großeltern [11] oder Pflegekräfte [23] als Multiplikatoren adressiert. Eine neuere Studie zum Zugang zu schwer erreichbaren Familien hat beide Perspektiven (die der Eltern und der Fachkräfte) gemeinsam betrachtet [18] und dabei festgestellt, dass die Eltern v. a. durch Multiplikatoren auf die Angebote aufmerksam werden. Allerdings beschränken sich hier die Multiplikatoren auf die Gesundheitsberufe und die Schulen. Zudem wünschen sich Fachkräfte eine bessere Vernetzung der Multiplikatoren untereinander [18].

Noch weniger Forschung findet sich zur (3) Perspektive der Multiplikatoren auf die Zielgruppe. Eine Studie zur Prävention von Internetsucht mit einer Multiplikatorenbefragung [13] hat zwar die Sicht der Multiplikatoren auf das Projekt und ihren Erfolg bei den Zielgruppen erfragt, allerdings bleibt unklar, welche Zielgruppen und Anlässe sie für relevant halten. Wie oben dargestellt, bedarf es aber für den effektiven Einsatz von Multiplikatoren nicht nur die Perspektive der Zielgruppe, sondern Informationen über das Kommunikationsverhalten und die Perspektive der Multiplikatoren, um ein effektives Multiplikatorenkonzept zu entwickeln.

Forschungsfragen

Angesichts der dargestellten Forschungslücken widmet sich die vorliegende Studie daher folgenden Forschungsfragen (FF): Zur Identifikation relevanter Multiplikatoren (erster und zweiter Ordnung) als sog. interpersonale Informationsquellen (im Gegensatz zu medialen Informationsquellen) fragen wir:

  • FF 1: Welche interpersonalen Informationsquellen nennen die Betreuungspersonen?

  • FF 2: Was sind für die Betreuungspersonen Anlässe, sich über Kinderunfallprävention zu informieren?

Auf Basis der Beantwortung der ersten beiden Forschungsfragen werden relevante formelle Intermediäre (d. h. Vertreter von Institutionen als Multiplikatoren zweiter Ordnung) ausgewählt und befragt, um deren Perspektive in die Analyse einzuschließen. Um zu ermitteln, wie Intermediäre gut erreicht werden können, analysieren wir ihr Informationsverhalten mit den folgenden Fragen:

  • FF 3: Welche interpersonalen Informationsquellen nennen die Intermediäre?

  • FF 4: Was sind für die Intermediäre Anlässe, sich über Kinderunfallprävention zu informieren?

Um schließlich auch die Perspektive der Intermediäre auf die Zielgruppe (hier die Betreuungspersonen) einzuschließen, fragen wir:

  • FF 5: An wen geben Intermediäre ihre Informationen weiter? Was sind für sie die relevanten Zielgruppen?

  • FF 6: Welche Anlässe gibt es aus Sicht der Intermediäre, um Betreuungspersonen über das Thema Kinderunfälle zu informieren?

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurden im Dezember 2020 insgesamt 42 Betreuungspersonen, d. h. Eltern (n = 25, davon 11 weiblich und 14 männlich) und professionelles medizinisches und pädagogisches Betreuungspersonal (n = 17, davon 13 weiblich und 4 männlich) sowie im Mai/Juni 2021 15 Intermediäre (davon 12 weiblich und 3 männlich) leitfadengestützt interviewt. Auf Basis der Ergebnisse zu Informationsquellen der Betreuungspersonen (Tab. 1) wurden relevante Intermediäre ausgewählt, also Personen, die aufgrund ihrer Kommunikationsrolle als Multiplikatoren zweiter Ordnung agieren. Und zwar sowohl Intermediäre, die sich primär an Eltern (z. B. Sozialarbeiter*innen, Anbieter*innen von Erste-Hilfe-Kursen) als auch jene, die sich an das professionelle Betreuungspersonal richten (Vertreter*innen von Verbänden für Hebammen und Erzieher*innen; Anbieter von Fortbildungsangeboten; Unfallversicherer für den Bildungsbereich). Die Erhebungen fanden im Rahmen eines größeren Projekts statt, in dem weitere Studien durchgeführt wurden [1].

Tab. 1 Informationsquellen von Betreuungspersonen

Es fanden insgesamt 8 Online-Fokusgruppeninterviews statt (davon 4 mit Eltern und jeweils 2 mit dem Betreuungspersonal und den Intermediären). Zudem wurden bei den Intermediären vier Einzelinterviews ergänzt, um terminliche Engpässe der Teilnehmenden zu überwinden. Der Leitfaden sowie ein ergänzender Kurzfragebogen enthielten größtenteils offene Fragen zu den zentralen interpersonalen Informationsquellen sowie -anlässen zum Thema Kinderunfallprävention (beide sind jeweils im Zusatzmaterial online verfügbar). Um zu verstehen, welche Informationswege mit welchen Modi des Informationshandelns verbunden sind, haben wir sowohl nach Quellen für die aktive Suche („seeking“) als auch des eher beiläufigen Erfassens („scanning“) gefragt und uns dann für die Suche auch die spezifischen Anlässe erläutern lassen.

Aufgrund der pandemiebedingten Kontakteinschränkungen und der besseren digitalen Erreichbarkeit der Zielgruppen wurden die Interviews online via BigBlueButton durchgeführt.

Die Angaben aus der Vorbefragung und die Interviewtranskripte wurden mithilfe des Programms MAXQDA (VERBI Software. Consult. Sozialforschung GmbH, Berlin, Deutschland, Version 2020) kategoriengeleitet ausgewertet. Die Interviews wurden durch eine Koautorin des Beitrags moderiert, wobei sie durch einen externen Dienstleister in der technischen Umsetzung unterstützt wurde. Als Gesprächsstimulus dienten die aggregierten Daten zu Informationsquellen und -anlässen aus dem vorgelagerten Kurzfragebogen. Die Transkription der Interviews war inhaltlich-semantisch. Die qualitative Inhaltsanalyse erfolgte nach Kuckartz. Die deduktiven Hauptkategorien (Anlässe und Quellen) wurden durch induktive Subkategorien ergänzt. Mögliche Subkategorien wurden im ersten Materialdurchgang gesammelt und anschließend zu einem trennscharfen und erschöpfenden Kategoriensystem zusammengefasst. Sodann wurde das Material mit dem finalen Kategoriensystem erneut kodiert. Alle Auswertungsschritte erfolgten durch mehrere Personen und wurden diskursiv im Autorinnenteam validiert. Das Autorinnenteam setzt sich zu gleichen Teilen aus Personen mit eigenen und ohne eigene Kinder zusammen.

Ergebnisse

Betreuungspersonen (Eltern und professionelles Betreuungspersonal)

Mit Bezug zur FF 1 zeigt sich, dass häufiger formelle als informelle Quellen als Multiplikatoren erster und zweiter Ordnung genannt und diese auch stärker ausdifferenziert werden; neben dem medizinischen Personal umfassen diese auch zahlreiche weitere Multiplikatoren zweiter Ordnung wie Verbände und Kursanbieter. Deutlich wird auch, dass es im Mulitplikatorenkonzept wichtig ist, zwischen medizinischem und pädagogischem Personal zu unterscheiden: Während das pädagogische Personal eher pädagogische Institutionen als Intermediäre anführt, nennt das medizinische Personal eher Gesundheitsinstitutionen als Intermediäre. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich Eltern und professionelles Betreuungspersonal dahingehend unterscheiden, dass erstere informelle Quellen (d. h. Multiplikatoren auf Peer-Ebene) häufiger nennen und auch Versicherungen und Anbieter von Erste-Hilfe-Kursen aufführen, während das Personal eigene Berufsverbände sowie Sicherheitsbeauftragte als Intermediäre nennt. Viele Multiplikatoren konnten von den Teilnehmenden allerdings nicht konkret bezeichnet werden, sondern werden nur ganz allgemein als staatliche Institutionen oder Kursanbieter erinnert.

Auch bei den Anlässen der aktiven Informationssuche (FF 2) zeigen sich wesentliche Unterschiede zwischen den Eltern und dem professionellen Betreuungspersonal (Tab. 2).

Tab. 2 Anlässe der Informationssuche

Intermediäre

Die von den Intermediären (d. h. den Multiplikatoren zweiter Ordnung) genannten Informationsquellen sind in Tab. 3 dargestellt (FF 3). In Abgrenzung zu medialen Quellen betrachten wir hier nur interpersonale bzw. institutionelle Quellen. Der Kontakt selbst (z. B. zur Krankenkasse) muss dabei nicht notwendigerweise interpersonal erfolgen, sondern findet auch über Rundbriefe, Mitgliederzeitschriften usw. statt.

Tab. 3 Informationsquellen von Intermediären

Als Anlässe zur eigenen Informationssuche (FF 4) geben die Intermediäre die Vorbereitung/Aktualisierung von Informationsangeboten, Impulse aus dem Netzwerk, wahrgenommene Wissensdefizite und (neue) Unfallrisiken/-ereignisse an.

Die Zielgruppen, die die Intermediäre als relevant nennen (FF 5), schließen meist die Eltern und das pädagogische Personal ein. Dagegen werden andere Personengruppen und Institutionen seltener genannt (Tab. 4). Spezifisch nach vulnerablen und schwer erreichbaren Zielgruppen gefragt, die besonders adressiert werden sollten, nennen die Intermediäre: Alleinerziehende, junge Eltern, Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status, Personen ohne Deutschkenntnisse bzw. mit Migrationshintergrund sowie solche mit wenig Interesse am Thema.

Tab. 4 Von Intermediären adressierte Zielgruppen

Anlässe für die Weitergabe von Informationen (FF 6) sind bei den Intermediären strukturell verankerte Kommunikationsanlässe [19] wie Newsletter, Veranstaltungen, Kurse, Weiterbildungen, Arbeitsgremien, Kongresse, Beratungsgespräche und Hausbesuche, bestimmte Zeitpunkte ([13]; z. B. Jubiläen, Aktionstage, saisonale Angebote, Geburt und frühe Hilfen) und weitere Impulse [10], darunter Anfragen, Unfallereignisse und neue Erkenntnisse.

Diskussion

Ziel dieser Studie war es, am Beispiel der Kinderunfallprävention, die Multiplikatoren für die Entwicklung von Kommunikationsmaßnahmen multiperspektivisch zu untersuchen. Hierfür wurde das Multiplikatorenkonzept [4] insofern erweitert, dass ergänzend zu den Multiplikatoren erster Ordnung (hier die Betreuungspersonen, d. h. Eltern, pädagogisches und medizinisches Betreuungspersonal) die Multiplikatoren zweiter Ordnung (sog. Intermediäre) eingeführt wurden. Ein aktueller Beitrag zur Netzwerkarbeit in Schulen [14] macht deutlich, dass die von uns vorgestellten Differenzierungen auch in anderen Lebenswelten eine hohe Relevanz haben.

Implikationen für den Multiplikatorenansatz in Kommunikationskonzepten

Zusammenfassend hat sich gezeigt, dass sich die Perspektiven der verschiedenen Dialog- und Multiplikatorengruppen auf genutzte Informationsquellen und Anlässe zur Informationssuche und -weitergabe deutlich unterscheiden. Die Ergebnisse verdeutlichen damit, dass es für ein fundiertes Multiplikatorenkonzept [4] notwendig ist, die einzelnen Gruppen im „multi-step flow“ [9] zu differenzieren, damit auch gruppenspezifische Kommunikationsmaßnahmen entwickelt werden können. Zudem zeigen die zahlreichen Einzelnennungen der Personen, dass eine detaillierte und offene Erfassung hilfreich sein kann, um das Netz der Multiplikatoren (auf bisher unberücksichtigte Institutionen) zu erweitern. Insbesondere scheint es wichtig, die Perspektive der Intermediäre auf die wünschenswerte Zielgruppe zu erheben, da diese die Ansatzpunkte für notwendige Kommunikationsmaßnahmen dezidierter aufzeigt. Zusätzlich wäre hierbei zu differenzieren, welche Multiplikatoren für welche Kommunikationsbarrieren (bzw. deren Überwindung) der „schwer erreichbaren Zielgruppen“ besonders geeignet erscheinen. Je nach Grund spielen hierbei vermutlich sehr unterschiedliche Multiplikatoren eine zentrale Rolle. Ergänzend dazu gilt es natürlich auch, die medialen Informationsquellen des Netzwerkes der Multiplikatoren nicht aus dem Blick zu verlieren (auch wenn wir dies für den vorliegenden Beitrag weitgehend ausgeklammert haben).

In Ergänzung zu den Multiplikatoren (und der Frage nach deren Quellen) stellt sich auch die Frage nach dem Inhalt des Austausches im „multi-step flow“. Bisherige Studien beschreiben diesen häufig nur vage und differenzieren nicht klar zwischen Informations‑, Unterstützungs- und Meinungsflows [12]. Die Weitergabe bzw. der Austausch von sozialer Unterstützung als weiterer Inhalt von Flows wurden somit bisher kaum berücksichtigt, obwohl sich die Interaktionen als Informations- und Meinungsflows zur Informations- und Entscheidungsunterstützung im Sinne der Theorien der sozialen Unterstützung deuten lassen [24]. Dies könnte in der weiteren Forschung Berücksichtigung finden.

Limitationen

Als Limitation lässt sich die (pandemiebedingte) Erhebungsform der Online-Fokusgruppen nennen, die v. a. bei den Eltern die Auskunftsbereitschaft teilweise zu verringern schien. Gleichzeitig ist diese aber auch ein Vorteil (s. dazu im Detail [1]), da v. a. das professionelle Betreuungspersonal und die Intermediäre (deutschlandweit) so besser erreichbar waren als durch eine Präsenzerhebung. Letztlich sind aber bestimmte Betreuungspersonen (die bspw. nicht über einen Internetzugang oder ausreichend Deutschkenntnisse verfügen) nicht im Sample enthalten. Für die weitere Forschung empfehlen wir zudem ergänzend die Perspektive der Betreuungspersonen auf die anderen Betreuungspersonen (z. B. um Eltern-Peers als Multiplikatoren einzusetzen) noch vertiefter zu erheben. Die Konzepte des „knowledge brokerage“ [7] und des „cultural brokers“ bieten hier sinnvolle Ansatzpunkte, um die Informationsweitergabe sowohl in Communities als auch zwischen unterschiedlichen Professionen wie der Medizin und der Pädagogik zur Kinderunfallprävention zu stärken.

Fazit für die Praxis

  • Zusammengefasst sollten evidenzbasierte Multiplikatorenkonzepte in der Prävention multiperspektivisch und differenziert sein, damit sie die Bandbreite möglicher Multiplikatoren erfassen und die Kommunikation mit der Zielgruppe effektiv unterstützen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Kommunikation allein nicht ausreicht. Es ist auch nötig, die strukturellen Rahmenbedingungen (Finanzierung von Schulungen, Informationsmaterialien u. ä.) zu optimieren.

  • Aus der Tatsache, dass sich nur an „staatliche Institutionen oder Kursanbieter“ erinnert wurde, lassen sich verschiedene Implikationen ableiten. Zum einen zeigt sich daran die Quellenvergesslichkeit der Menschen, zum anderen der Wunsch nach verlässlichen/vertrauenswürdigen (d. h. nicht-kommerziellen) Quellen. Die Implikation für die Kommunikationsarbeit ist es, den nicht-kommerziellen Hintergrund von Informationsangeboten zu verdeutlichen, aber gleichzeitig nicht zu erwarten, dass Menschen diese konkret benennen oder auffinden können.