Bei verschiedenen chronischen Erkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus oder Asthma bronchiale, werden schon länger schriftliche Handlungsanweisungen eingesetzt, die Patienten und Angehörigen einen Plan zum Vorgehen im Falle einer Verschlechterung an die Hand geben. Durch die Möglichkeit des eigenen Handelns wird die Selbsteffizienz der Patienten erhöht, was sich nachweislich positiv auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität auswirkt [1].

Epilepsien sind Erkrankungen, die in besonderem Maß mit einer Unberechenbarkeit einhergehen. Gerade hier kann sich die Möglichkeit eines verbesserten „Selbstmanagements“ positiv auf die Lebensqualität der Patienten auswirken. Sowohl das Institute of Medicine als auch das UK-National Institute for Health and Care Excellence (UK-NICE) betonen in ihren Berichten die Relevanz von Maßnahmen (z. B. Schulungen), die zu einem verbesserten Selbstmanagement von Menschen mit Epilepsie führen können. In den NICE Guidelines wird sogar konkret die Empfehlung ausgesprochen, dass allen Patienten mit Epilepsie durch ihren Behandler ein Handlungsplan für den Umgang mit bestimmten Situationen ihrer Erkrankung erstellt werden sollte [2, 3]. Neben den Vorteilen für Patienten und Angehörige könnte die effiziente Nutzung von individuellen Handlungsanweisungen in Notfallsituationen positive gesundheitsökonomische Effekte haben [4].

Im angloamerikanischen Raum wurden in den letzten Jahren von verschiedenen Organisationen standardisierte, individualisierbare Pläne, sog. „seizure action plans“ (SAP), entwickelt. Der Plan der Epilepsy Foundation wurde für verschiedene Gruppen validiert und ist insgesamt der am weitesten verbreitete und am besten untersuchte SAP [5, 6]. Durch den Einsatz von SAP wird die Sicherheit im Umgang mit Anfällen erhöht, insbesondere bei Patienten mit eher niedriger Anfallsfrequenz. In 2 randomisierten Studien zeigte sich zwar kein Unterschied in der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems durch den Einsatz eines SAP, dies war sehr wahrscheinlich aber methodisch bedingt [6, 7].

Im deutschsprachigen Raum wurden schriftliche Handlungsanweisungen bislang v. a. für Schulen und Kindergärten eingesetzt und von diesen auch gefordert [8]. Bei Erwachsenen mit Epilepsie sind SAP bislang weniger verbreitet [9]. Zudem werden aktuell v. a. Pläne verwendet, die von einzelnen Zentren für den eigenen Einsatz erstellt wurden. Ein standardisierter, individualisierbarer Plan, ähnlich dem Beispiel der Epilepsy Foundation existiert für den deutschsprachigen Raum bislang nicht.

Ein Seizure-action-Plan sollte standardisiert, übersichtlich, benutzerfreundlich und individualisierbar sein und klare Schritt-für-Schritt-Handlungsanweisungen enthalten [10].

Inhaltlich sollten folgende Punkte abgedeckt werden:

  1. 1.

    Erkennen der unterschiedlichen Anfallstypen des Patienten – insbesondere solcher, die eine Intervention erfordern,

  2. 2.

    Informationen zum Einsatz einer anfallsunterbrechenden Medikation,

  3. 3.

    Informationen zu Situationen, welche die Verständigung des Rettungsdienstes erfordern.

Zudem sind klare zeitliche Angaben für die einzelnen Schritte erforderlich, die die übliche Dauer der Anfälle, die Zeit bis zum Wirkungseintritt, eingesetzte Medikamente und den Kenntnisstand der Betreuenden in Betracht ziehen.

Grundsätzlich sollten SAP zur medizinischen Versorgung jedes Patienten mit Epilepsie erwogen werden. Bei bestimmten Patientengruppen bzw. in bestimmten Situationen sind SAP aber in besonderem Maß nützlich:

  • bei Patienten mit komplexen, pharmakorefraktären Epilepsien, die mit verschiedenen Anfallstypen und einem erhöhten Risiko für Status epilepticus einhergehen (z. B. Dravet-Syndrom oder Lennox-Gastaut-Syndrom [11, 12]),

  • bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für Anfallsserien oder -cluster,

  • bei Patienten in einer Fremdbetreuung (z. B. in Schulen, Kindergärten, Werkstätten),

  • bei der Neudiagnose einer Epilepsie,

  • bei Patienten, deren Medikation reduziert oder abgesetzt werden soll [9].

In Ländern mit zentralisierten Gesundheitsinformationssystemen bietet sich die Integration der SAP in zentrale Systeme an. In Deutschland stellt die dezentrale Nutzung einer Vielzahl von unterschiedlichen Krankenhausinformationssystemen eine Hürde in der Implementierung eines standardisierten Plans dar. Damit SAP die Versorgung von Patienten mit Epilepsie verbessern können, müssen sie bei der Erstausstellung mit Patienten und/oder Angehörigen besprochen und in regelmäßigen Abständen auf eventuelle Änderungen überprüft werden [13].

Ziel der vorliegenden Arbeit war die Entwicklung zweier zielgruppenspezifischer Vorlagen für Handlungspläne, die einerseits eine möglichst einfache und klare Struktur und andererseits eine leichte Bearbeitbarkeit (als PDF [Portable Document Format] oder später integriert in digitale Dokumentationssysteme) haben sollten. Nach einer Diskussion und Bewertung durch die Fachgesellschaften, aber auch durch Vertreter aus Selbsthilfe und öffentlichen Einrichtungen (wie z. B. Schulen, Vereine) könnten diese Handlungspläne als Industrie-unabhängige, allgemein und einheitlich eingesetzte Vorlagen Anwendung finden.

Handlungsplan epileptischer Anfall für Laien (HEAL)

Der Laienplan adressiert Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz oder Sportverein sowie bislang im Umgang mit der Erkrankung unerfahrene Eltern. Dieser Plan enthält vereinfachte Anweisungen für den Umgang mit einem akuten epileptischen Anfall (Abb. 1). Ziel ist es, auf einen Blick eine Übersicht zu schaffen, in dem zum einen allgemeine Empfehlungen zum Verhalten bei einem Anfall ersichtlich sind und zum anderen eine konkrete Anweisung für Maßnahmen beim individuellen Patienten erfolgt. Es gibt deshalb einen ersten Teil mit allgemeinen Verhaltensregeln. Der zweite Teil listet 3 Anfallstypen auf, die einen akuten Handlungsbedarf erfordern können. Diese werden ebenfalls grafisch vereinfacht dargestellt. Zur besseren Verständlichkeit wird der konvulsive Anfall noch zusätzlich als „Krampfanfall“ bezeichnet, da dies immer noch ein gängiger Begriff in der deutschen Umgangssprache ist. Darunter folgt die Handlungsanweisung in Bezug auf die 3 Anfallstypen. Möglich ist dabei, dass man auch verschriftlicht, dass kein anfallsunterbrechendes Medikament (AUM) gegeben werden muss. Auf der anderen Seite gibt es auch Patienten, bei denen der Übergang in einen Status epilepticus bekannt bzw. wahrscheinlich ist (z. B. Dravet-Syndrom), sodass mit der AUM nicht abgewartet werden sollte. Im letzten Teil erfolgt die Anweisung zur Benachrichtigung des Rettungsdienstes. Die Möglichkeit, im Zweifel oder bei Unsicherheit immer den Notdienst zu alarmieren, bleibt dabei unangetastet.

Abb. 1
figure 1

HEAL – Handlungsplan epileptischer Anfall für Laien

Handlungsplan epileptischer Anfall für Therapeuten (HEAT)

Im Gegensatz zu HEAL geht es im zweiten Handlungsplan HEAT darum, Anweisungen zu formulieren für Personen, die erfahren im Umgang mit Epilepsiepatienten bzw. mit AUM sind. Dies können neben erfahrenen Eltern Betreuungspersonen von Menschen mit schwer therapierefraktären Epilepsien sein, z. B. Lennox-Gastaut-Syndrom, Dravet-Syndrom, aber auch Angestellte in Betreuungseinrichtungen. Da von einem Basiswissen ausgegangen werden kann, wurde auf eine grafische Darstellung z. B. der Anfallstypen verzichtet. Weiter werden verschiedene Optionen zur erweiterten Gabe von AUM – auch als intravenöse Verabreichung – gegeben, und v. a. wird eine zweite Stufe der Anfallsunterbrechung definiert (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

HEAT – Handlungsplan epileptischer Anfall für Therapeuten

Abb. 2
figure 3

(Fortsetzung)

Diskussion

Das Verhalten von Betreuungspersonen im Falle eines akuten Anfalls ist entscheidend für die Zahl der Rettungseinsätze, damit verbundener Klinikeinweisungen und letztendlich der uneingeschränkten Teilhabe von Epilepsiepatienten am alltäglichen Leben. Durch eine frühe medikamentöse Behandlung kann ein Status epilepticus häufig verhindert werden [14].

Nach dem Vorbild der angloamerikanischen „seizure action plans“ entstanden 2 Handlungspläne für den deutschsprachigen Raum. Die Rationale war es, standardisierte, allgemein verwendbare und verständliche Pläne zu erarbeiten, die leicht ausfüllbar sind und deshalb breite Anwendung finden können. Die Motivation ist hierbei, dass eine Vorlage angeboten wird, die die individuelle Erstellung eines Plans für jeden Epilepsiepatienten in der überwiegenden Anzahl der Fälle ersetzen kann. Dabei wurde bewusst auf den Terminus „Notfallplan“ verzichtet, um auch die Alltäglichkeit von epileptischen Anfällen bei Kindern und Erwachsenen mit Epilepsie zu verdeutlichen und Vorbehalte (z. B. in Schulen) abzubauen. In Anlehnung an den Begriff „anfallssuppressive Medikation – ASM“ möchten wir an dieser Stelle den Begriff des „anfallsunterbrechenden Medikaments – AUM“ etablieren, um den missverständlichen Begriff „Notfallmedikament“ zukünftig zu vermeiden [15].

Die erstellten Handlungspläne sollen einfach ausfüllbar und leicht verständlich sein. Dies wird zum Teil über Piktogramme, zum anderen über wenige Auswahlmöglichkeiten im Ankreuzverfahren erzielt. Aus diesem Grund wurde auch bewusst auf die Auflistung aller in der auf Basis der durch die ILAE (International League Against Epilepsy) vorgeschlagenen Klassifikation und Terminologie abgrenzbaren Anfallstypen verzichtet. Die Auflistung nur solcher Anfallstypen, die eine akute Handlung erforderlich machen, erlaubt einen übersichtlichen, benutzerfreundlichen Plan. Wenn sich das Vorgehen für bestimmte Anfallsformen nicht unterscheidet, dann können sie nach Ansicht der Autoren durchaus zur Vereinfachung der Pläne zusammengefasst werden. Im Wesentlichen sind dies generalisierte konvulsive Anfälle (tonisch, tonisch-klonisch) sowie prolongierte bewusst oder nicht bewusst erlebte Anfälle.

Da die Adressaten für Handlungspläne beim epileptischen Anfall unterschiedliche Kenntnisse über die Erkrankung haben und auf verschiedenem Wissenstand im Umgang mit ASM stehen, wurden 2 unterschiedliche Handlungspläne erarbeitet. Der oder die Behandelnde kann auswählen, welcher Plan ausgearbeitet und ausgehändigt werden soll. Möglich ist bedarfsweise auch die Ausgabe von beiden Plänen für unterschiedliche Betreuungssituationen bei demselben Patienten. Die Vorlagen für die Handlungspläne sollten für die überwiegende Mehrheit der klinischen Konstellationen ausreichend sein. Darüber hinaus wird es Einzelfälle mit einer sehr komplexen Anwendung von AUM geben, z. B. bei Epilepsien mit Clusterneigung bei PCDH19 (Protocadherin-19), die noch stärker individualisierte Schemata erfordern.

Limitationen

HEAT und HEAL haben keinen standardisierten Evaluierungsprozess durchlaufen. Sie wurden von den Autor*innen, also Ärzt*innen, im Team erarbeitet und durch nichtärztliche Therapeut*innen unsystematisch kommentiert und überarbeitet, also nicht im Sinne eines mehrstufigen Delphi-Prozesses. Ziel der Arbeit war es, ein Konzept darzustellen und bereits anwendbare Vorlagen für Handlungspläne bei epileptischen Anfällen zur Verfügung zu stellen. Dabei erfolgte zu diesem Zeitpunkt noch keine Validierung der Bögen durch unabhängige Personen, z. B. auch solche ohne jede Erfahrung im Umgang mit epileptischen Anfällen.

Ausblick

Die Motivation ist es, mit HEAL und HEAT allgemein anwendbare, einfache und standardisierte Pläne zum Handeln bei epileptischen Anfällen anzubieten. Die Vorschläge für die Pläne werden nun den Expertengremien der Fachgesellschaften von DGfE (Deutsche Gesellschaft für Epileptologie), GNP (Gesellschaft für Neuropädiatrie) und DGN (Deutsche Gesellschaft für Neurologie) vorgelegt, juristisch geprüft und können auch gerne für eine Verwendung in Österreich und der Schweiz angepasst werden. Danach können die Pläne z. B. als PDF-Download über die Fachgesellschaften den Behandelnden zugänglich gemacht werden.

Wünschenswert wäre es, einen Konsens auch mit Vertretern von Patienteninteressen und Selbsthilfegruppen sowie Verantwortlichen öffentlicher Einrichtungen wie Schulen und Vereinen zu erreichen, sodass entsprechende Handlungspläne als generelle Vorlage eingesetzt werden und damit zur Vereinheitlichung beitragen könnten. Dies könnte bis hin zu einer Integration in die digitale Dokumentation einschließlich Informationen auf der digitalen Gesundheitskarte, aber auch in EDV-Systemen von Praxen und Krankenhäusern führen.

Fazit für die Praxis

  • Der akute Anfall kann die Teilhabe am aktiven Alltagsleben beeinträchtigen.

  • Die Reaktion auf akute Anfälle hängt von der Erfahrung des Helfenden ab.

  • Handlungspläne bieten die Möglichkeit, auf akute epileptische Anfälle angemessen zu reagieren und so die Teilhabe der Patienten zu sichern.

  • Mit den Handlungsplänen HEAL (Handlungsplan epileptischer Anfall für Laien) und HEAT (Handlungsplan epileptischer Anfall für Therapeuten) können Anweisungen sowohl für Laien als auch für therapeutisch erfahrene Personen individuell erstellt werden.