Epilepsien im Alter wurden im Lauf der Zeit mit vielen unterschiedlichen Namen belegt, von denen hier Epilepsia senilis, Epilepsia tarda/Epilepsia tardiva, Epilepsie des höheren Lebensalters/Epilepsie im höheren Lebensalter, geriatrische Epilepsie, Greisenepilepsie, senile Epilepsie, Spätepilepsie und tardierte Epilepsie genannt seien.

In einem seiner ersten epileptologischen Artikel hat einer der Autoren (G. K.) zusammen mit Roland Besser vor mehr als 40 Jahren alle Epilepsien mit einer Erstmanifestation ab dem 20. Lebensjahr als Spätepilepsien bezeichnet [1]. Heute kann man darüber sicher lächeln, aber damals war dies keineswegs ungewöhnlich [2, 3].

Epilepsien mit Beginn in der zweiten Lebenshälfte wurden lange als selten angesehen

Epilepsien mit Beginn in der zweiten Lebenshälfte oder gar im höheren Lebensalter wurden lange als selten angesehen. Der Schweizer Arzt, frühe Epileptologe und Volksgesundheitsschriftsteller Samuel Auguste David Tissot schrieb in seinem klassischen Epilepsiebuch von 1771, er habe in der Literatur nur die Beschreibung von Morgagni, eines 68-jährigen Mannes gefunden, der in diesem Alter erstmals epileptische Anfälle bekommen habe, und er selbst habe auch nur einen Patienten gehabt, der nach dem 60. Lebensjahr davon befallen wurde [4].

Sir William Richard Gowers (1845–1915), einer der „Väter“ der britischen Epileptologie, stellte 100 Jahre später in seinem epochalen Buch von 1881 „Epilepsy and Other Chronic Convulsive Diseases: Their Causes, Symptoms & Treatment“ (Abb. 1 [5]) spät beginnende Epilepsien als sehr selten dar, und auch 200 Jahre nach Tissot war ein Beginn im höheren Lebensalter in dem Epilepsielehrbuch von Dieter Janz (1920–2016) von 1969 beispielsweise bei den „Grand-mal-Epilepsien“ zahlenmäßig eher vernachlässigbar (Abb. 2 [6]). Der Anteil von Altersepilepsien unter den Spätepilepsien lag nach damaligen Schätzungen nur zwischen 1,5 % [7] und 10 % [8].

Abb. 1
figure 1

Anteil von 1450 beginnenden Fällen pro Jahrzehnt [5]

Abb. 2
figure 2

Erkrankungsalter von 4121 Fällen reiner und kombinierter Grand mal-Epilepsien verschiedener Ätiologie [6]

Allerdings war der Sprachgebrauch lange Zeit uneinheitlich, und als Voraussetzung für die Diagnose einer Altersepilepsie wurden beispielsweise auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Grenzen von 25 Jahren [9,10,11], 40 Jahren [12], 45 Jahren [13, 14] oder 50 Jahren [15,16,17] genannt.

Heute werden als Epilepsien des höheren Lebensalters Epilepsien mit Beginn jenseits des 60. [18, 19] oder 65. Lebensjahres [20] bezeichnet. Die schon früher aufgetretenen, im Alter weiterbestehenden Epilepsien wurden in Abgrenzung dazu auch als gealterte Epilepsien [18] bezeichnet. Die häufigste Ätiologie der Epilepsien des höheren Lebensalters ist vaskulär, und dabei spielen Schlaganfälle mit Post-stroke-Epilepsien eine führende Rolle [21,22,23,24,25] und wurden auch in dieser Zeitschrift wiederholt thematisiert, u. a. 2014 mit einem von Hermann Stefan herausgegebenen Schwerpunktheft [26].

Dieses Schwerpunktheft widmet sich klinischen und diagnostischen Besonderheiten der Epilepsien im höheren Lebensalter und geht hierbei neben epidemiologischen und ätiologischen Themen speziell auf Besonderheiten beispielsweise hinsichtlich der Semiologie epileptischer Anfälle, des EEG (Elektroenzephalographie), der Pharmakotherapie sowie relevanter Komorbiditäten in dieser Patientengruppe ein. Wir bedanken uns bei den Autorinnen und Autoren der Beiträge dieses Schwerpunktheftes und hoffen, damit zur besseren Versorgung dieser nicht nur aufgrund des ansteigenden Durchschnittsalters der Bevölkerung, sondern auch aufgrund einer massiven Zunahme der Inzidenz von 50/100.000 auf über 200/100.000 seit 1970 [27] am stärksten wachsenden Patientengruppe in der Epileptologie beitragen zu können.

Günter Krämer, Zürich

Felix von Podewils, Greifswald