Dislokationen des Akromioklavikulargelenks (ACG) durch direkten Sturz auf die Schulter sind häufige Verletzungen, die Grundlage der Therapieempfehlung ist die Klassifikation nach Rockwood. In der Literatur besteht Einigkeit, bei geringer Ausprägung der Instabilität (Grad I–II) eine konservative und bei ausgeprägter Instabilität ab Grad IV eine operative Therapie durchzuführen. Schwierigkeiten bereiten die Verletzungen vom Typ III, die eine individuelle Entscheidung anhand spezieller Kriterien erfordern. Im nachfolgenden Beitrag soll eine aktuelle Übersicht über die ACG-Verletzungen und deren Therapie gegeben werden.

Anatomie, Biomechanik

Das ACG sorgt in einem komplexen Zusammenspiel mit den anderen Gelenken des Schultergürtels für den problemlosen Einsatz des Arms im Raum. Die laterale Klavikula ist dabei mit dem Akromion über eine Gelenkkapsel, deren kraniale Verstärkung auch als akromioklavikulares Ligament bezeichnet wird, verbunden. Biomechanische Untersuchungen ergaben, dass das Gelenk hierdurch sowie zusätzlich durch die Deltotrapezoidfaszie v. a. in horizontaler Richtung stabilisiert wird [17]. Eine weitere Verbindung besteht zwischen dem Processus coracoideus und der Unterseite der lateralen Klavikula, es werden der laterale Anteil des Lig. coracoclaviculare, als Lig. trapezoideum bezeichnet, und der mediale Anteil, das Lig. conoideum, unterschieden. Dieses Band dient als Aufhängung des Arms am Schultergürtel und sorgt für vertikale Stabilität.

Ursache

ACG-Verletzungen entstehen durch einen direkten Sturz auf die Schulter. Es sind hauptsächlich junge Erwachsene betroffen, v. a. im Rahmen von Sport- und Freizeitunfällen [9]. Fahrradstürze stehen vermutlich in Deutschland an erster Stelle, aber auch beim Skifahren und bei Kontaktsportarten, wie Fußball, kommt es häufig zu dieser Verletzung.

Diagnostik

Klinik

Insbesondere die ausgeprägte Dislokation ist eine Blickdiagnose (Abb. 1). Die Patienten haben meist bereits selbst eine Vorwölbung bemerkt und geben lokal umschriebene Schmerzen an. Der Arm wird in Schonhaltung am Körper gehalten, und die Schulterfunktion ist schmerzbedingt eingeschränkt. Inspektorisch sollte auch im Hinblick auf eine mögliche Schnittführung auf begleitende Schürfwunden geachtet werden.

Bei der palpatorischen Untersuchung bestätigt sich bereits ab Grad I ein lokaler Druckschmerz am ACG. Die vertikale Instabilität wird mit dem typischen Klaviertastenphänomen geprüft, wobei Druck von kranial auf die laterale Klavikula ausgeübt oder besser der Arm am Ellenbogen angehoben wird, wodurch das Gelenk reponiert werden kann. Die horizontale Instabilität lässt sich durch Translation der Klavikula in Relation zum Akromion im Seitenvergleich überprüfen. Außerdem werden bei Horizontaladduktion des Arms durch Kompression des Gelenks Schmerzen verspürt, bei Grad IV und V findet sich dabei auch ein deutlich sichtbares Überstehen der lateralen Klavikula nach dorsal, kranial und lateral über das Akromion (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Klinisches Bild eines Hochstands der lateralen Klavikula bei Akromioklavikulargelenksprengung Typ Rockwood V links

Abb. 2
figure 2

Horizontale Akromioklavikulargelenkinstabilität rechts mit Überstand nach dorsal bei Adduktion

Bildgebung

An bildgebender Diagnostik kommen zunächst Röntgenaufnahmen des Schultergelenks in 2 Ebenen zum Einsatz. Dabei können Frakturen ausgeschlossen werden, die axiale Schulteraufnahme zeigt evtl. bereits eine statische dorsale Translation der Klavikula (bei Grad IV). Anschließend werden Aufnahmen des ACG unter axialer Belastung des Arms mit etwa 5 kg ohne muskuläre Gegenspannung im Seitenvergleich angefertigt. Hierdurch kann die Ausprägung der vertikalen Instabilität beurteilt werden, als Hochstand der lateralen Klavikula im Vergleich zum Akromion oder als Relation der Abstände zwischen Processus coracoideus und Klavikula von gesunder und verletzter Seite (Abb. 3). Vor allem bei chronischen ACG-Instabilitäten kann zusätzlich die Alexander-Aufnahme zur Darstellung der dynamischen horizontalen Dislokation unter Horizontaladduktion durchgeführt werden [2].

Mit der Magnetresonanztomographie (MRT) können zwar die beteiligten verletzten Bänder dargestellt werden, eine therapeutische Konsequenz ergibt sich jedoch dadurch nicht, allerdings kann auch das selten mitverletzte Glenohumeralgelenk beurteilt werden [10].

Mit einer Computertomographie (CT), ebenfalls als statische Untersuchung im Liegen durchgeführt, ist es ebenfalls nicht möglich, die dynamische Instabilität aufzuzeigen. Sie ist nur in Ausnahmefällen bei begleitenden Frakturen erforderlich.

Abb. 3
figure 3

Panoramaaufnahme im Seitenvergleich mit Belastung und Hochstand der lateralen Klavikula Typ Rockwood III links

Klassifikation

Abb. 4
figure 4

Rockwood-Klassifikation

Als Klassifikation setzte sich die ursprünglich von Tossy et al. [15] publizierte und in den 1980er Jahren von Rockwood u. Madsen [11] erweiterte Einteilung durch. Sie unterscheidet die Grade I–VI, mit zunehmender Beteiligung der stabilisierenden Strukturen des Gelenks (Abb. 4):

  • Beim Grad I liegt noch eine regelrechte Gelenkstellung mit lediglich Zerrung oder Teilruptur der AC-Bänder vor.

  • Bei Grad II findet sich eine geringe Dislokation mit Hochstand der Klavikula um bis zu 25 %.

  • Grad III beinhaltet eine Ruptur der AC- und zusätzlich der korakoklavikularen (CC) Bänder mit Hochstand bis 100 %.

  • Grad IV ist durch eine vermehrte dorsale Translation bei teilweise verletzter Faszie charakterisiert.

  • Verletzungen vom Typ Rockwood V zeigen eine ausgeprägte vertikale und horizontale Instabilität mit massivem Hochstand (bis 300 %).

  • Die Verletzung vom Typ VI mit Dislokation der Klavikula unter den Processus coracoideus hinter die kurze Bizepssehne ist eine absolute Rarität und kommt in der Literatur nur in Einzelfallbeschreibungen vor [6].

Therapie

Wahl

Als Grundlage für die Entscheidung, ob konservativ oder operativ behandelt werden sollte, dient in erster Linie die Rockwood-Klassifikation. Des Weiteren können das Ausmaß der klinischen Beschwerden bzw. deren Verlauf in den ersten 1 bis 2 Wochen, die berufliche und sportliche Schulterbelastung und nicht zuletzt der Wunsch bzw. die Einschätzung der Patienten bezüglich verbleibender Fehlstellung oder Operationsrisiken eine therapeutische Richtung vorgeben.

Eine konservative Therapie wird übereinstimmend in der Literatur für Rockwood-I- und -II-Verletzungen empfohlen [4]. Die Datenlage bezüglich der Typ-III-Verletzungen ist nach wie vor unklar. In den meisten Studien wurde über ähnliche Ergebnisse bei konservativer und operativer Therapie mit höheren Komplikationsraten nach operativer Versorgung [3, 5] sowie längerer Rekonvaleszenz und längerer Dauer der Arbeitsunfähigkeit [13] berichtet. Bei Grad-III-Verletzungen muss zwischen Verletzungen mit geringer und mit ausgeprägter Horizontalinstabilität differenziert werden. Eine klinisch ausgeprägte Horizontalinstabilität ist prognostisch ungünstig und indiziert die operative Therapie [18].

Konservative Therapie

Sie beinhaltet eine schmerzabhängige Ruhigstellung in der Schulterschlinge für etwa 3 bis 7 Tage, ein Rucksackverband ist für AC-Verletzungen nicht geeignet. Die Schulter kann im schmerzarmen Bereich mobilisiert werden, bei stark schmerzhafter Funktionseinschränkung wird begleitend Physiotherapie verordnet. Für 4 bis 6 Wochen sollten größere Zug- und Stützbelastungen vermieden werden, eine längere Sportpause ist jedoch nicht erforderlich. In den allermeisten Fällen wird hierdurch eine folgenlosen Ausheilung erzielt.

Selten kommt es auch bei geringen Ausprägungsgraden zu chronischen, belastungsabhängigen Beschwerden im Anschluss an die Verletzung, prognostische Faktoren hierfür sind jedoch nicht bekannt. Beim Grad II kann die Subluxation durch noch vorhandenen, aber inkongruenten Kontakt der Gelenkpartner zu höheren Raten an posttraumatischer Arthrose führen als bei Grad III–V [8]. Bei Verletzungen vom Grad III sollte in die Überlegungen mit einbezogen werden, dass bei Entwicklung einer chronischen, schmerzhaften Instabilität aufwendige Operationsverfahren mit nicht unerheblicher Morbidität erforderlich sind und die sekundäre Versorgung schlechtere Ergebnisse zeigt als die Primärversorgung [3, 16].

Auch wenn der evidenzbasierte Nachweis hierfür bisher fehlt, ist bei Ausübung eines schulterbelastenden Berufs oder Sports unserer Meinung nach eine operative Therapie beim Grad III zu empfehlen. Ein in der Praxis durchaus geeignetes Vorgehen ist außerdem, beim Vorliegen einer Rockwood-III-Verletzung eine kurzfristige klinische Kontrolle etwa 1 Woche nach der Verletzung zu planen. Liegt dann weiterhin eine stark schmerzhafte Funktionseinschränkung vor, entscheiden wir uns für eine operative Stabilisierung, bei bereits deutlich rückläufigen Schmerzen und wieder freier Beweglichkeit kann die konservative Therapie weitergeführt werden. Die Entscheidung muss jedoch innerhalb kurzer Zeit getroffen werden, da sich die besten Resultate bei frühzeitiger Versorgung erzielen lassen, das Zeitfenster liegt hier bei etwa 10 bis 12 Tagen [4, 12].

Operative Möglichkeiten

Bei kaum einer anderen Verletzung existieren ähnlich viele unterschiedliche Versorgungsmöglichkeiten wie bei den ACG-Sprengungen, in der Literatur sind etwa 50 (!) verschiedene Techniken beschrieben [8]. Klassische Stabilisierungen werden mit transfixierenden Kirschner-Drähten mit oder ohne Cerclage durchgeführt, mit Hakenplatten und Bosworth-Schrauben. Um möglichst der funktionellen Anatomie zu folgen und die verletzten Strukturen wiederherzustellen, wurden minimalinvasive Verfahren mit Faden-Button-Technik zur Unterstützung der rupturierten CC-Bänder entwickelt. Die neuesten Entwicklungen zielen darauf ab, diese Augmentation auch arthroskopisch durchzuführen. Alle diese Techniken haben aber auch ihre spezifischen Vor- und Nachteile, ein Verfahren, dass sich aufgrund eindeutig besserer Ergebnisse durchgesetzt hätte, gibt es bisher nicht. Exemplarisch seien im Folgenden einige der Operationen beschrieben.

Die Osteosynthese mit 1 oder 2 Kirschner-Drähten ist einfach und kostengünstig durchzuführen, ein großer Vorteil besteht darin, dass die Entfernung des Osteosynthesematerials nach etwa 8 Wochen in Lokalanästhesie erfolgen kann, ohne das inzwischen verheilte Gelenk nochmals zu eröffnen. Allerdings sind die Drähte mit einem hohen Risiko für ein Auswandern nach lateral und für einen Materialbruch verbunden. Aufgrund der geringen Stabilität ist postoperativ auch nur eine eingeschränkte Mobilisierung möglich.

Die offene Reposition mit anschließender Osteosynthese mittels Hakenplatte hingegen liefert sehr stabile Repositionsergebnisse, die eine rasche, funktionelle Nachbehandlung ermöglichen (Abb. 5). Bei diesem Verfahren muss jedoch die Platte nach etwa 3 Monaten entfernt werden, wobei es nochmals zu einer Eröffnung der Faszie und des ACG kommt.

Gemeinsam ist den offenen Verfahren das relativ hohe Risiko für Wundheilungsstörungen und Infektionen.

Abb. 5
figure 5

Mit Hakenplatte stabilisiertes Akromioklavikulargelenk

Arthroskopische Techniken wie die Stabilisierung mit TightRope© (Arthrex, Karlsfeld/München) sind technisch anspruchsvoll. Von Vorteil ist die Möglichkeit, auch glenohumerale Begleitverletzungen erkennen und behandeln zu können. Auf der anderen Seite wird ein Gelenk mit einbezogen, das primär nicht beteiligt ist, dies beinhaltet das zusätzliche Risiko z. B. einer postoperativen Kapsulitis, insbesondere auch in Verbindung mit der erforderlichen langen Ruhigstellung von 6 Wochen. Dafür entfällt der Zweiteingriff zur Implantatentfernung. Auch hier existieren jedoch verfahrensspezifische Risiken wie Plättcheneinbruch in den Knochen, Fadenriss, Fehlplatzierung oder Korakoidfraktur.

Auch aktuellste Studien zeigen bisher keine eindeutigen Vorteile der arthroskopischen Technik im Vergleich z. B. mit den Hakenplatten [7] mit vergleichbaren Ergebnissen und Restinstabilitätsraten für beide Verfahren.

Chronische Akromioklavikulargelenkinstabilität

Bei symptomatischer chronischer ACG-Instabilität kann sich die Indikation zur operativen Versorgung ergeben. Ohne Bandplastik ist jedoch ein stabiles Resultat nicht möglich, beste Ergebnisse zeigen hier die Verwendung von Grazilis- oder Semitendinosustransplantaten. Dabei sollten nicht nur die CC-Bänder, sondern auch das AC-Band rekonstruiert werden [1]. Zum Schutz der Bandplastik ist eine zusätzliche Augmentation mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial, z. B. mit einem TightRope© und/oder einer temporärer Transfixation, z. B. mit einem Kirschner-Draht, erforderlich (Abb. 6). Aufgrund der nicht unerheblichen Morbidität und der im Vergleich zu den primären Stabilisierungen schlechteren Ergebnisse empfehlen wir jedoch eine strenge Indikationsstellung für diesen Eingriff [14].

Abb. 6
figure 6

Stabilisierung einer chronischen ACG-Instabilität, schematisch eingezeichnet Verlauf des Sehnentransplantats, fixiert über 2 Buttons, temporäre Transfixation des ACG mit Kirschner-Draht

Fazit für die Praxis

  • Bei ACG-Verletzungen ist eine sorgfältige klinische und radiologische Diagnostik erforderlich.

  • Die Einteilung erfolgt anhand der Klassifikation von Rockwood.

  • Typ-I- und -II-Verletzungen werden konservativ behandelt, Typ-IV- und -V-Verletzungen operativ.

  • Die Datenlage zu den Rockwood-III-Verletzungen ist weiterhin unklar, hier muss individuell über die durchzuführende Therapie entschieden werden.

  • Rockwod-III-Verletzungen mit ausgeprägter Horizontalinstabilität sollten operativ behandelt werden.

  • Ein eindeutig überlegenes Operationsverfahren ist bisher nicht belegt, wir favorisieren aktuell die Hakenplatte, da sie als einfaches Verfahren mit sofortiger Belastbarkeit zuverlässig gute Ergebnisse liefert und im Vergleich nicht schlechter als andere Techniken abschneidet.

  • Wünschenswert wären in Zukunft weitere Indikatoren, die helfen, sekundäre Stabilisierungen zu vermeiden.

  • Sekundäre Bandplastiken sollten nur bei inakzeptablen Beschwerden durchgeführt werden, und dann nur mit Augmentation mit einem autologen Sehnentransplantat.