Zusammenfassung
Dieser Artikel soll einen Überblick über die Möglichkeiten navigierter Operationsverfahren bei der Versorgung von Beckenring- und Azetabulumfrakturen anhand unserer experimentellen und klinischen Erfahrungen geben. Initial wurden zunächst verschiedene Navigationsverfahren zur Verschraubung des Sakroiliakalgelenks (SI) im Vergleich zur konventionellen Technik an Spenderleichen (80 Schrauben) untersucht. Danach wurde die 2D-fluoroskopische Navigation in der Klinik (35 Schrauben) mit der konventionellen Technik (n=23) verglichen und retrospektiv alle SI-Schrauben aus einem 7-Jahres-Intervall (n=139) analysiert. An Azetabula wurde experimentell die 3D-fluoroskopisch navigierte supraazetabuläre Verschraubung am Leichenpräparat (10 Schrauben) durchgeführt und mit klinischen Fallbeispielen verglichen. In der Zusammenschau lässt sich für die navigierte SI-Fugen-Verschraubung eine signifikante Eingriffsverlängerung gegenüber der konventionellen Technik konstatieren. Allerdings wurde die intraoperative Durchleuchtungszeit um 50% reduziert. Weiterhin wies die konventionelle Verschraubung gegenüber der Navigation eine etwa 4-mal höhere Fehlplatzierungsrate auf, die bei Operateuren mit großer Vorerfahrung signifikant niedriger war. Am Azetabulum ist die Nutzung der Navigation im 2D-Modus hilfreich, der Einsatz der Navigation im 3D-Modus ist mit einer hohen Lernkurve verbunden. Zusammenfassend stellen wir fest, dass die navigierte SI-Fugen-Verschraubung weitgehend etabliert ist. In der Azetabulumchirurgie wird die Anwendung der Navigation dagegen (vorerst) auf wenige Einzelfälle beschränkt bleiben.
Abstract
This article presents an overview of the possibilities of navigated procedures in pelvic ring and acetabular fractures from our experimental and clinical experiences. First of all, various navigated procedures for sacroiliac (SI) screw fixation were assessed in cadaveric studies (n=80 screws) and compared with the conventional technique. Subsequently, clinical comparison was made of the 2D fluoroscopic navigated procedure (n=35) and the conventional technique (n=23) and by a retrospective survey all SI screw fixations from a 7-year period conducted in our hospital (n=139) were analyzed. Experimental studies in human cadaveric models (n=10 screws) for supra-acetabular percutaneous screw placement (parallel to the quadrilateral surface) via 3D-fluoroscopic navigated procedure were performed and compared with clinical case studies. Conclusion: we found a significant prolongation of the procedural time for navigated inserted iliosacral screws in comparison to those that were inserted by the conventional technique. In contrast, intraoperative fluoroscopic exposure time was decreased by approximately 50% by using the navigated technique. Furthermore, the failure rate in screw positioning was around four times higher using the conventional technique versus the navigated procedure. The failure rate increased significantly according to the practical experience of the surgeon. For acetabular surgery the 2D-fluoroscopic based navigation is a helpful tool, whereas the 3D-fluoroscopic navigation procedure reveals a high learning curve. While navigated iliosacral screw fixation is well-established, the use of navigation in acetabular surgery will remain limited, for the time being, to individual cases.
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Im Bereich der Beckenchirurgie beschränkt sich die Anwendung der Navigation derzeit im Wesentlichen auf die Fugenverschraubung des Sakroiliakalgelenks (SI) sowie die supraazetabuläre Zugschraubenosteosynthese. Für beide Indikationen liegen erste Erfahrungsberichte vor [3]. Der vorliegende Beitrag soll einen aktuellen Überblick über die Möglichkeiten der Navigation bei der Versorgung von Beckenring- und Azetabulumfrakturen anhand eigener experimenteller und klinischer Erfahrungen geben.
Material und Methode
SI-Fugenverschraubung
Zunächst wurden in einem experimentellen Ansatz an 20 Spenderleichen 80 Schrauben bilateral perkutan in Rückenlage eingebracht. Die Verschraubungen erfolgten in konventioneller Technik oder mithilfe der 2D- und 3D-fluoroskopischen sowie der computertomographischen Navigation (CT-Navigation). Anschließend wurde zunächst die 2D-fluoroskopische Navigation zur perkutanen Verschraubung von nicht oder nur gering dislozierten Frakturen des hinteren Beckenrings in Rückenlage (35 Schrauben) klinisch eingesetzt und mit konventionell versorgten Patienten (23 Schrauben) verglichen. Außerdem wurden retrospektiv alle SI-Schrauben analysiert, die innerhalb der letzten 7 Jahre in unserer Klinik eingebracht worden waren (n=139).
Supraazetabuläre Schraubenimplantation
Experimentell wurden perkutan 3D-fluoroskopisch navigiert 10 Schrauben an 5 Spenderleichen in Rückenlage eingebracht. Klinisch wurde bislang bei 2 Patienten 2D-fluoroskopisch unterstützt eine supraazetabuläre Zugschraubenosteosynthese vorgenommen. Alle navigierten SI-Verschraubungen erfolgten mit dem Navigationssystem der Fa. Stryker und mit dem Siremobil Iso-C3D der Fa. Siemens Medical Solutions als 3D-Bildwandler.
Die experimentellen Versuche zur supraazetabulären Verschraubung wurden mit dem VectorVision® fluoro 3D (Fa. BrainLAB) als Navigationssystem und dem ARCADIS Orbic (Fa. Siemens Medical Solutions) als 3D-Bildwandler durchgeführt. Für den klinischen Einsatz wurde wiederum das System von Stryker verwendet. Als Schraubenimplantat wurden kanülierte 7,3-mm-Spongiosaschrauben verwendet (Fa. Clinical House).
Ergebnisse
SI-Fugenverschraubung
Experimentelle Daten
Hier zeigte sich eine signifikante Eingriffsverlängerung durch alle Verfahren der Navigation, wobei die CT-Navigation aufgrund der aufwendigen Matchingprozedur diesbezüglich besonders schlecht abschnitt (Tab. 1). Umgekehrt senkten alle navigierten Verfahren die intraoperative Durchleuchtungszeit drastisch. Beide 3D-navigierten Verfahren reduzierten außerdem die Fehlplatzierungsrate deutlich.
Klinische Daten
Die experimentellen Daten wurden im klinischen Studienarm hinsichtlich Eingriffsdauer (36,2±12,5 navigiert vs. 25,4±8,2 min konventionell, p=0,01) und Bildverstärkerzeit (BV-Zeit, 0,9±0,3 navigiert vs. 1,8±0,8 min konventionell) bestätigt. Bezüglich der Fehlplatzierungsrate ergaben sich Vorteile zugunsten der Navigation (8%, n=3/35, navigiert vs. 17%, n=4/23, konventionell, p>0,05).
Der Einsatz der Navigation hat sich im klinischen Alltag nach unseren Erfahrungen insbesondere zur perkutanen Beckenringstabilisierung in der Schwerverletztenversorgung bewährt (Abb. 1).
In der Analyse aller SI-Schrauben der vergangenen 7 Jahre fand sich eine Gesamtfehlplatzierungsrate von 7% (n=10/139). Hier war die konventionelle Technik im Vergleich zur 2D-fluoroskopischen Navigation mit einer 4-fach höheren Fehlplatzierungsrate behaftet (14%, n=7/47, konventionell vs. 3%, n=3/92, navigiert, p=0,05).
Bei der Bewertung der Einflussgröße „chirurgische Erfahrung“ wurden 2 Gruppen gebildet (Gruppe 1: persönliche Erfahrung n=1–12 implantierte Schrauben, n=5 Operateure; Gruppe 2: n=104 Schrauben, n=1 Operateur). Eine signifikant höhere Fehlplatzierungsrate fand sich in Gruppe 1 (n=7/35 vs. n=3/104 Gruppe 2, p<0,01).
Als weitere Risikofaktoren für eine Fehlplatzierung wurden identifiziert:
-
Implantation von 2 Schrauben in S1 (bei n=5/10 fehlplatzierten Schrauben),
-
unzureichende Einstellung und Interpretation der seitlichen Bildwandlerprojektion (n=3/10) sowie
-
Vorliegen einer grob dislozierten Verletzung (n=2/10).
Zur Vermeidung einer Fehlplatzierung wird im eigenen Vorgehen alternativ zur Implantation von 2 Schrauben in S1 die Möglichkeit der navigierten Verschraubung von S1 und zusätzlich S2 genutzt (Abb. 2).
Supraazetabuläre Schraubenimplantation
Experimentelle Daten
Experimentell wurden perkutan in Rückenlage 10 Schrauben 3D-fluoroskopisch navigiert an 5 Spenderleichen eingebracht. Die Praktikabilität der hierfür genutzten Großgeräte konnte als hoch eingeschätzt werden. Allerdings bereitete die Orientierung anhand der in den 3 Bildebenen dargestellten Bohrerausrichtung zumindest anfangs erhebliche Mühe (Abb. 3). Ebenso wie bei der 3D-fluoroskopisch navigierten SI-Verschraubung wurden hinsichtlich der Bildauflösung deutliche Unterschiede im Vergleich zur Computertomographie offenkundig (Abb. 3).
Die Schraubenlage konnte intraoperativ im 3D-Scan mittels Bildverstärker sicher beurteilt werden, gegenüber der CT ergaben sich diesbezüglich keine Diskrepanzen. In der abschließenden CT-Kontrolle konnte in keinem Fall eine intraartikuläre Schraubenfehllage festgestellt werden. Ähnlich wie bei der SI-Verschraubung war auch die Durchführung der supraazetabulären Schraubenplatzierung von der persönlichen Erfahrung des Operateurs abhängig (Tab. 2).
Klinische Daten
In der klinischen Anwendung konnte die Navigation bislang erfolgreich im 2D-Modus für diese Indikation genutzt werden (Abb. 4).
Diskussion
Die Navigation steht seit wenigen Jahren zur Anwendung bei der iliosakralen und supraazetabulären Schraubenplatzierung am Becken zur Verfügung [4]. Im Rahmen unserer eigenen experimentellen Vorversuche wurden eindeutige Vorteile zugunsten der C-Arm-gestützten Verfahren hinsichtlich Praktikabilität und Zeitaufwand offenkundig, sodass die CT-Navigation heute im eigenen klinischen Vorgehen praktisch bedeutungslos ist.
Allerdings kann die relativ hohe Fehlplatzierungsrate der konventionellen SI-Verschraubung, die nach Auswertung der Literatur im niedrigen zweistelligen Bereich zu erwarten ist [1], nur mit einem dreidimensional operierenden Bildverstärkersystem zuverlässig reduziert werden. Ein weiterer Vorteil bei dessen Verwendung ergibt sich dahingehend, dass die Implantatplatzierung noch intraoperativ kontrolliert und ggf. revidiert werden kann. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liefern die verfügbaren 3D-Bildverstärker insbesondere im Bereich des Achsenskeletts allerdings noch keine der Computertomographie vergleichbar gute Bildauflösung [5]. Zu beachten sind bei ihrem Einsatz außerdem der begrenzte Bildausschnitt (Würfel mit einer Kantenlänge von etwa 13 cm) und die Erfordernis vollständig röntgendurchlässiger Operationstische, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.
Beide im Rahmen unserer Versuche eingesetzten Navigationssysteme haben sich für die SI-Verschraubung am Becken bestens bewährt. Die Geräte beider Anbieter fungieren als kabellose Systeme, wobei sich Unterschiede im Wesentlichen bezüglich der Funktionsweise der Tracker ergeben. Diese senden bei dem Navigationssystem der Fa. Stryker ihre Positionssignale aktiv an die Kamera des Systems, was für jeden Eingriff die Verwendung neuer, steriler Batterien erfordert. Beim VectorVision® fluoro 3D (Fa. BrainLAB) werden die Lichtsignale von der Kamera emittiert und passiv von den Referenzierungskügelchen der Tracker, die ebenfalls als Verbrauchsmaterial für jeden Eingriff neu beschafft werden müssen, an die Kamera zurück reflektiert.
Hinsichtlich Aktionsradius und Steuerbarkeit des Kameraarms schneidet nach unseren Erfahrungen das System der Fa. Stryker etwas besser ab, während das Gerät der Fa. BrainLAB etwas praktikabler bei der Anbindung des 3D-Bildwandlers und der Kalibrierung der Instrumente zu sein scheint.
Unabhängig vom verwendeten System bleibt zu berücksichtigen, dass die chirurgische Navigation als rein passives System fungiert, welches dem Anwender weder Therapievorschläge noch konkrete Anweisungen unterbreitet, sondern lediglich die Position navigierter Instrumente auf der Röntgendarstellung des Patienten anzeigt [2]. Somit verbleibt die Kontrolle zu jeder Zeit in den Händen des Chirurgen, der in der Lage sein muss, den Eingriff ggf. auch ohne Navigation selbstständig durchzuführen.
Zwar kann mit Hilfe der Navigation die Fehlplatzierungsrate bei der SI-Verschraubung gesenkt werden. Allerdings kommt nach Auswertung unserer Daten den individuellen Fertigkeiten und Erfahrungen des Operateurs bei der Durchführung dieser relativ komplexen Eingriffsart eine mindestens ebenso wichtige Bedeutung zu, die maßgeblich über die Präzision der iliosakralen Schraubenplatzierung entscheidet.
Weniger überzeugend erscheint die Datenlage für die Anwendung der Navigation im Bereich der Azetabulumchirurgie. In der Klinik ist die Nutzung des fluoroskopischen Verfahrens im 2D-Modus möglich und erleichtert nach unseren Erfahrungen die intraoperative Orientierung. Die Navigation mit einem 3D-Bildverstärker lässt im experimentellen Ansatz dagegen keine wesentlichen Vorteile erkennen. Da der Verlauf der supraazetabulären Schraube die angezeigten Bildebenen kreuzt und nicht parallel zu diesen verläuft, d. h. nicht über einen größeren Streckenabschnitt dargestellt wird, bereitet die intraoperative Orientierung im 3D-Modus auch dem geübten Operateur erhebliche Mühe. Insgesamt wird die Navigation nach unserer Einschätzung für diese Indikation eher Ausnahmefällen vorbehalten bleiben.
Fazit für die Praxis
Die Nutzung C-Arm-gestützter Navigationsverfahren für die Beckenchirurgie lässt nach Auswertung unserer Daten einen großen Nutzen erkennen, wobei die Überlegenheit der Navigation gegenüber der konventionellen Technik anhand evidenzbasierter Kriterien bislang nur für die SI-Verschraubung als gesichert gelten kann. Eine erfolgreiche Nutzung ist allerdings in hohem Maß von der persönlichen chirurgischen Erfahrung des Operateurs abhängig.
Einzukalkulieren ist ferner ein erheblicher personeller, finanzieller und zeitlicher Mehraufwand, der aktuell durch die Erlöse des DRG-Systems in keiner Weise adäquat abgebildet wird.
Perspektivisch ist die Möglichkeit des röntgenfreien Verfolgens (Tracking) einzelner Fragmente bzw. der Beckenringreposition wünschenswert.
Literatur
Briem D, Linhart W, Bock T et al. (2006) Computerassistierte Verschraubung des hinteren Beckenrings. Systematischer Vergleich verschiedener Navigationsverfahren am Kadaverpräparat. Unfallchirurg 109: 640–646
Langlotz F, Nolte L (2004) Technical approaches to computer-assisted orthopedic surgery. Eur J Trauma 30: 1–11
Matta JM, Saucedo T (1989) Internal fixation of pelvic ring fractures. Clin Orthop 242: 83–97
Stöckle U, König B, Dahne M et al. (2002) Navigationsverfahren in der Becken- und Azetabulumchirurgie. Klinische Erfahrungen, Indikationen und Grenzen. Unfallchirurg 105: 886–892
Wieners G, Pech M, Beck A et al. (2005) Vergleich von Strahlenexposition und Bildqualität eines Siremobil-IsoC3D mit einem 16-Zeilen-Spiral-CT bei Diagnostik und Intervention am humanen Becken. Rofo 177: 258–264
Danksagung
Die Autoren danken den Firmen Stryker, Siemens Medical Solution, Maquet und Brainlab sowie den Kollegen des Instituts für Anatomie (Prof. Schumacher) und der Kliniken für Radiologie (Prof. Adam) und ZMK (Prof. Schmelzle), ohne deren freundliche Kooperation die experimentellen Ansätze nicht hätten realisiert werden können.
Interessenkonflikt
Die korrespondierenden Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Die Autoren PD Dr. D. Briem und Dr. L. Grossterlinden haben gleichen Anteil an der Entstehung der Arbeit und teilen sich die Erstautorenschaft.
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Briem, D., Großterlinden, L., Lehmann, W. et al. Navigierte Operationsverfahren bei Beckenring- und Azetabulumfrakturen. Trauma Berufskrankh 11 (Suppl 1), 38–43 (2009). https://doi.org/10.1007/s10039-008-1410-0
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DOI: https://doi.org/10.1007/s10039-008-1410-0