Die Indikation zur Operation bei der Humeruskopffraktur des Erwachsenen und die korrespondierende Implantatwahl beruhen auf zahlreichen Parametern, wie dem biologischen Alter und der Mobilität und Aktivität des Patienten, der Knochenqualität, der Zahl der Frakturhauptelemente und der Dislokation und Instabilität des jeweiligen Frakturtyps [18]. Eine gewisse Einigkeit nach Analyse der Literatur besteht lediglich hinsichtlich der Indikation zur konservativen Therapie bei der gering dislozierten und stabilen Fraktur [8, 18, 20]—in der Regel mit gutem funktionellem Endergebnis—und der Versorgung der dislozierten oder luxierten Head-split- oder 4-Part-Fraktur des älteren Patienten mittels primärer Hemialloarthroplastik [5, 17, 18, 20].

Ansonsten existiert eine breite Palette von konkurrierenden operativen Techniken zur Therapie der dislozierten 3-Part- und 4-Part-Fraktur [1, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 13, 14, 15, 16,18, 20, 21, 23, 24, 25]. Großvolumige Implantate, die nach herkömmlicher offener Technik mit Freilegung der Frakturelemente appliziert wurden, zeigten häufig enttäuschende Resultate wegen zahlreicher Komplikationen vom Impingement bis zur Implantatlockerung sowie aufgrund einer hohen Kopfnekroserate [15, 16, 17, 18].

Minimal-invasive Techniken wie die perkutane Schraubenosteosynthese oder die Zuggurtungstechniken, die konsequent die Perfusion des Humeruskopfes schonen, lieferten regelhaft nur bei jüngeren Patienten mit guter Knochensubstanz sehr gute Resultate [9, 15, 16, 17], enttäuschten jedoch beim älteren Verletzten mit manifester Osteoporose [25].

Moderne antegrade winkelstabile Verriegelungsmarknagelungstechniken, die ebenfalls mittels minimal-invasiver Techniken implantiert werden können und zahlreiche Nachteile der „historischen“ retrograden unverriegelten Bündelnageltechniken [21, 22, 23] vermeiden können, bieten sich hier als Alternative [12, 13, 20] gleichermaßen wie „konkurrierende“ Verfahren der winkelstabilen Platten-/Fixateur-interne-Systeme an [1, 11].

Im Folgenden soll von unseren kurz- bis mittelfristigen Erfahrungen mit einem winkel- und gleitstabilen Nagelsystem (Targon PH) bei der Versorgung der Humeruskopffrakturen und der Kombinationsverletzungen von Humeruskopf und -schaft berichtet werden.

Nagelkonzept

Die Codman-Klassifikation der Hauptfragmente der Humeruskopffraktur umfasst 4 Fragmente. Häufig jedoch ist das große Tuberculum-majus-Fragment in 2 unabhängige Elemente gespalten, das kraniolaterale Fragment mit dem Ansatz der Supraspinatussehne und das dorsolaterale Fragment mit dem Ansatz der Infraspinatussehne (Abb. 1). Unterschiedliche Zugkräfte wirken auf die Tuberkulafragmente und das Schaftfragment mit der Tendenz zur Frakturdislokation unter Muskelzug.

Abb. 1
figure 1

Das Konzept der 5 Hauptfragmente bei der Humeruskopffraktur weicht von der klassischen Einteilung nach Codman mit 4 Schlüsselfragmenten ab und differenziert 2 potenzielle Fragmente des Tuberculum majus: das kraniolaterale und das dorsolaterale Fragment. Das Arrangement der nicht seitensymmetrischen Lage der winkel- und gleitstabilen Fixationsschrauben trägt der Lage der Hauptfragmente Rechnung. Das residuale Spiel der Fixationsschrauben im Gewinde tragenden Nagel beträgt ca. 1,5°

Nageldesign

Im Gegensatz zu proximal gekrümmten Nageldesigns, die den Eintrittspunkt an der Grenze zwischen Kopf- und Tuberculum-majus-Fragment determinieren, besitzt der Targon-Nagel ein gerades Nageldesign im Sinne eines zentralen Kraftträgers, der den Eintrittspunkt auf den Apex des Kalottenfragments festlegt und so eine additive Fixation im Eingangsloch der Kalotte mit ihrem regelhaft stabilen subchondralen Knochen bietet. Die diastatische Fixation der oftmals in sich mehrfach geborstenen Tuberkulafragmente hat die anatomiegerechte Reposition und Retention der Frakturelemente zum Ziel, nicht die Erzeugung von Kompression zwischen den Frakturkomponenten [20].

Fixationsschrauben

Die Zentralachse oder 0°-Linie der 2 lateral gerichteten Fixationsschrauben orientiert sich an der Position des kraniolateralen Tuberculum majus. Die beiden weiteren Fixationsschrauben sind hierzu um 70° (Fixationsschraube zur Transfixation des Tuberculum minus) bzw. 50° versetzt (dorsolateraler Anteil des Tuberculum majus), sodass ein seitenspezifisches dreidimensionales Konstrukt der proximalen Verankerung resultiert und eine jeweilige Rechts- und Linksversion des Implantats erforderlich macht.

Die Verriegelungslöcher des Nagels tragen ebenfalls ein Gewinde und ermöglichen so einen winkel- und gleitstabilen Sitz der Fixationsschrauben mit einem residualen Spiel von 1,5°. Das Design des Schraubenkopfes minimiert das Risiko eines postoperativen Impingements und erlaubt eine additive Fixation von Zuggurtungsnähten am Schraubenkopf bei stark destruierten Tuberkula und konkomitanter Osteoporose (Abb. 1).

Die Humeruskopffixationsschrauben werden ebenso wie die beiden relativ proximal zum Schaftfragment gelegenen Transfixationschraubenpositionen über ein am proximalen Nagelende aufgesetztes Zielgerät belegt. Die Langnagelversion weist eine proximale und distale Option zur Schraubentransfixation auf, wobei die distalen Schraubenpositionen in „Freihand-Technik“ zu besetzen sind.

Indikation

Trotz Berichten über die limitierte Intraobserverreliabilität [19] bevorzugen wir im klinischen Gebrauch die weit verbreitete Neer-Klassifikation (Abb. 2). Bei undislozierten Frakturen und isolierten Frakturen, die nur das Tuberculum majus oder minus betreffen, wurde grundsätzlich nicht die Indikation zum Nagel gestellt. Bei Head-split-Frakturen wurde prinzipiell analog vorgegangen, wobei allerdings in Ausnahmesituationen mit undislozierter Head-split-Komponente mit guter Knochenqualität und nach vorgängiger additiver Zugschraubenosteosynthese die Implantation eines Targon PH vorgenommen wurde.

Abb. 2
figure 2

Die Haupt-Indikationen des Targon-PH-Nagels sind die Neer-III-Fraktur (oben), die Neer-IV/3-Fraktur (Mitte) und die Neer-V/3-Fraktur; die Neer-IV/V/4-Fraktur ist eine relative Indikation (unten) ebenso wie die 3- und 4-Part-Luxationsfrakturen

Als ideale Indikationen für den proximalen Humerusnagel wurden die Neer-Frakturtypen II, IV/3 und V/3 erachtet. Relative Indikationen bildeten ferner die Frakturtypen Neer IV/V 4 und IV/3 und VI/4. Bei Frakturausdehnung in den proximalen Schaftbereich, bei Kombinationsverletzungen aus Humeruskopf- und -schaftfrakturen wurde grundsätzlich die Langnagelversion verwendet.

In Abhängigkeit vom Frakturtyp und dem Dislokationsgrad eignen sich sowohl die Standardnagelversion (150 mm Länge) als auch die Langnagelversion für eine minimal-invasive Implantationstechnik.

Op.-Technik und Nachbehandlung

Lagerung und Zugang

Die Besonderheiten der Op.-Technik sollen im Folgenden an einem klinischen Beispiel einer dislozierten Neer IV/3-Fraktur demonstriert werden (Abb. 3a–j). Der Patient wird in Beach-chair-Position gelagert und der Unterarm auf einer Standardarmstütze frei gelagert, sodass sowohl die True-a.p.- als auch die y-view- bzw. die axilläre Standardröntgenprojektion mit dem BV durchführbar sind (Abb. 3b). Dies muss unbedingt vor der sterilen Abdeckung verifiziert, ansonsten die Lagerung optimiert werden.

Abb. 3
figure 3

a Radiologisches Fallbeispiel einer dislozierten Neer-IV/3- (bzw. AO11-B2.3-)Fraktur zur Veranschaulichung der Op.-Technik. b Der anästhesierte Patient liegt in der Beach-chair-Position. Die Standardebenen der intraoperativen Bildwandleruntersuchung (True-a.-p. (rechts oben), y-view oder axial (rechts unten) sollten unbedingt vor der Abdeckung zur Op. getestet und überprüft werden. c Lokalisation des Nageleintrittspunktes am Apex der Humeruskalotte nach limitiertem Delta-split-Zugang und Längsspalten der Supraspinatussehne. Das Kalottenfragment wird hierzu mit einer Joystick-Technik (Schanzschraube, alternativ: K-Draht, Steinmann-Pin oder kleines Elevatorium/Raspatorium) reponiert. d Anschließend wird die Kalotte mit der Motor getriebenen Hohlfräse eröffnet und der entsprechende Knorpel-Knochenzylinder entfernt. e Die korrekte Platzierung des Nagels wird bei der Insertion auch mit dem Bildwandler überprüft. Ein korrekter Insertionspunkt am Apex der Kalotte macht das Auffädeln des Schaftfragments einfach und führt zu einer Anatomie gerechten Ausrichtung der beiden Hauptfragmente zueinander. f Die Kontrolle der Einbringtiefe des Nagels erfolgt mittels einer Messlehre und BV-gestützt. Die Ausrichtung des Nagels/Zielbügels zu den anatomischen Strukturen macht eine Läsion der langen Bizepssehne unwahrscheinlich. g Die korrekte Längenwahl der Fixationsschrauben (4 mm kürzer als die mit dem Längenmessgerät ermittelte Bohrwegslänge) hilft Protrusionen der Schraubenspitzen (s. 2. Schraube von oben) mit sekundären Destruktionen des Glenoids zu vermeiden. h Die Transfixationslöcher am proximalen Schaft werden über das Zielgerät nach Ankörnen der Kortikalis mit dem Zentrierbohrer (1–2 mm) und Aufbohren mit dem Spiralbohrer mit den Verriegelungsschrauben belegt. i Die Rotatorenmanschette und die darüber liegenden Weichteile werden schichtweise verschlossen; die Dimension des Zugangs lässt sich bei geeigneten Frakturtypen entsprechend klein halten. j Postoperatives Röntgenresultat

Ein Delta-split-Zugang wird am anterolateralen Akromionrand angelegt, wobei die Inzisionslänge und Exposition vom Ausmaß der intraoperativen Reposition abhängen. Im günstigsten Fall genügt hier eine Schnittlänge von 2–3 cm. Nach Längsspaltung der klavipektoralen Faszie und Spaltung der subakromialen Bursa wird das Kopfkalottenfragment, ggf. unter Zuhilfenahme eines Instrumentes zur Manipulation (z. B. Steinmann-Nagel, Schanzschraube, Elevatorium im Sinne der Joystick-Technik), reponiert und die Supraspinatussehne in Faserlängsrichtung nach Palpation und Identifikation des Sulcus bicipitalis längs gespalten (Haltenähte, Abb. 3c).

Bestimmung des Eintrittspunkts

Bei dislozierten 4-Part-Frakturen ist oftmals die Reposition und temporäre Transfixation mittels K-Drähten unumgänglich. Nun wird unter optischer, manueller (Sulcus bicipitalis) und BV-Kontrolle in 2 Ebenen der Apex der Kopfkalotte als Eintrittspunkt für den Tellerführungsspieß bestimmt. Die definitive Position des Kalottenfragments wird hierdurch festgelegt. Nach Einbringen des Führungsspießes wird mit der motorgetriebenen Hohlfräse (Durchmesser 10,5 mm) der Eintrittspunkt des Nagels komplettiert (Abb. 3d).

Selbst beim osteoporotischen Knochen weist dieser Fräszylinder regelhaft im subchondralen Bereich spongiösen Knochen hoher Festigkeit auf (Abb. 3d). Dementsprechend wird der Nagel nach Montage des Zielaufsatzes und Einführen in das Kalottenfragment nur knapp unter die Oberfläche (2–4 mm) versenkt, um sich diese stabile Knochenschicht als „5. Verankerungsposition“ (neben den maximalen 4 Fixationsschrauben) nutzbar zu machen. Im Übrigen führt die Nagelgeometrie bei korrekt gewähltem Nageleintrittspunkt zu einer ebenfalls korrekten Ausrichtung der Stellung des Schaftfragments (Abb. 3e).

Ausrichtung des Zielbügels

Dann erfolgt die korrekte Ausrichtung des Zielbügels zum Humeruskopf (optische und manuelle Kontrolle), um eine Läsion der langen Bizepssehne durch die anteriore Fixationsschraube zu verhindern (Abb. 3f). Abhängig von Frakturtyp, Instabilität und Knochenqualität werden mindestens 2 bis maximal 4 Fixationsschrauben über den Zielbügel eingebracht, wobei die Eingangskortikalis mit dem 4,5-mm-Zentrierbohrer eröffnet, der Bohrkanal mit dem 3,5-mm-Bohrer angelegt wird.

Schraubenlänge

Die Länge der Fixationsschrauben kann mit dem Längenmessgerät bestimmt und mit dem BV überprüft werden (Letzteres ist bei den beiden schräg verlaufenden Fixationsschrauben schwierig).

Grundsätzlich sollten 4 mm von der gemessenen Länge subtrahiert werden, um eine mediale Schraubenprotrusion mit Schädigung des Glenohumeralgelenks zu vermeiden (Abb. 3g). Der Schraubenkopf sollte mit der lateralen Kortikalis abschließen, um ein subakromiales Impingement zu vermeiden. Die Transfixationsschrauben, die die Verriegelung in der proximalen Schaftregion bewirken, werden beim Standardnagel ebenfalls über das Zielgerät eingebracht (Abb. 3h).

Wundverschluss

Die Knochenqualität entscheidet darüber, ob 1 oder 2 Transfixationsschrauben für die Rotationsstabilität erforderlich sind. Nach abschließender BV-Dokumentation von Reposition und Implantatlage in den Standardprojektionen folgt der schichtweise Weichteilverschluss (Abb. 3i, j).

Langnagelversion

Bei Verwendung der Langnagelversion erfolgt die distale Verriegelung in Freihandtechnik oder mit Hilfe des strahlendurchlässigen Winkelgetriebes, wobei ein 3–4 cm langer offener anterolateraler Zugang zum Schutz der neurovaskulärem Strukturen in jedem Fall einer Technik mit Stichinzisionen vorzuziehen ist (Abb. 4, 5).

Abb. 4
figure 4

Bei Verwendung der Langnagelversion bietet ein 4 cm langer anterolateraler Zugang mit Einstellung des Op.-Gebiets zwischen Langenbeck- und Hohmann-Haken die sicherste Gewähr, eine Läsion des variablen Verlaufs des N. radialis bei der distalen Verriegelung zu vermeiden

Abb. 5
figure 5

Eine ideale Indikation für die Langnagelversion bilden bifokale Frakturen; hier liegt bei einer 74-jährigen Patientin eine Kombination einer Humeruskopffraktur Neer IV/3 und einer Schaftfraktur (AO 12-A 1.1) vor

Aktive und assistierte Schulterbewegungen sollten so früh wie möglich, in der Regel ab dem 2. bzw. 3. postoperativen Tag begonnen werden, um intraartikuläre und subakromiale Adhäsionen zu vermeiden. Einfache selbst assistierte Übungen des Patienten über dem Galgen des Klinikbetts unter Führung des unverletzten Armes können hier einen wesentlichen Beitrag leisten.

Ergebnisse

Constant-Score-Werte

Aus einem Kollektiv von 221 Patienten, die zwischen dem 1. Juli 2000 und dem 1. November 2002 an den beiden Kliniken in Rostock und Nürnberg operativ mit dem Targon-Nagel versorgt worden waren, wurde jene Patientengruppe herausgegriffen, die im Rahmen einer prospektiven Beobachtung vollständig nach 3, 6 und 12 Monaten radiologisch und klinisch, u. a. unter Verwendung des Constant-Scores [2], dokumentiert worden war. Zur Darstellung gelangt im Folgenden auch jeweils der Constant-Score der unverletzten Seite, der in Würdigung vorbestehender degenerativer Veränderungen bei einem hohen Durchschnittsalter der Patienten (68,8±14,1 Jahre) zwischen 90 und 100 lag (Abb. 6).

Abb. 7
figure 6

Das 12-Monats-Ergebnis zeigt eine knöcherne Heilung in anatomiegerechter Stellung und unveränderter Implantatlage sowie eine exzellente seitengleiche Beweglichkeit im Schultergelenk

Auf eine altersadaptierte Korrektur der Constant-Score-Werte wurde explizit verzichtet. Die Werte des Constant-Scores stiegen typischerweise vom 3. zum 6. postoperativen Monat deutlich an, auch bis zum Abschluss des 1. postoperativen Jahres waren funktionelle Fortschritte zu verzeichnen (vgl. auch Abb. 5, 7). Betrachtet man die jeweiligen Parameter des Constant-Scores, so wird deutlich, dass dies nicht allein auf eine Reduktion der Schmerzen zurückzuführen ist, sondern dass sämtliche Einzelparameter eine ähnlich geartete Funktionsverbesserung erkennen lassen (Abb. 8).

Abb. 6
figure 7

Das klinische Resultat dargestellt am Verlauf des Constant-Scores der verletzten und der intakten Schulter 3, 6 und 12 Monate nach operativer Versorgung mit dem Targon-PH-Nagel bei 50 Patienten aus Nürnberg und Rostock mit vollständiger Dokumentation

Abb. 8
figure 8

Sämtliche Parameter des Constant-Scores erfahren eine gleichsinnige Verbesserung 6 Monate und 1 Jahr nach Op.

Komplikationen

Betrachtet man jene Patienten, die eine mittlere Nachbeobachtungszeit von 8,7 Monaten postoperativ aufwiesen (n=115), waren dennoch bei jedem 2. Patienten Komplikationen—die allerdings nicht zwangsläufig zur operativen Revision führten—zu verzeichnen. Dies betraf vorwiegend Probleme mit dem spontanen Rückdrehen der Fixationsschrauben aus dem Kopfkalottenfragment, dem sog. „backing-out“ (23%, Abb. 9), im Rahmen der Rehabilitationsphase mit sekundärer Impingementproblematik und nur selten mit Redislokation der Tuberkula (4%). In der überwiegenden Zahl der Fälle (96%) konnte die isolierte Entfernung der betroffenen Schraube in Lokalanästhesie hier effektiv Abhilfe schaffen.

Abb. 9
figure 9

Häufigste Komplikation: spontanes Rückdrehen der Fixationsschrauben während der Mobilisations- und Heilungsphase (bis zu 23%). Dieses Problem lässt sich einmal durch eine additive Nahtfixation der Tuberkula mittels nichtresorbierbarer Naht (insbesondere bei Trümmerfrakturen der Tuberkula) nach dem „Tau-über-Poller-Prinzip“ reduzieren, zum anderen steht nun eine Schraubenbremse im Nagel zur Verfügung, die dieser Komplikation im Wesentlichen vorbeugt

Selten hingegen waren Interventionen wegen der ansonsten typischen Komplikationen nach Humeruskopffraktur wie der kompletten Humeruskopfnekrose (4%) oder einer Pseudarthrose (3%) oder eines Infekts (3%) erforderlich. Partielle Kopfnekrosen (4%) wurden allenfalls wegen eines relativen Schraubenüberstands symptomatisch, der wiederum durch Entfernung der jeweiligen Schraube „behandelt“ werden konnte. Vollständige Implantatentfernungen wegen Kollaps der Montage oder vollständiger Kopfnekrose mit der Notwendigkeit zur sekundären Hemiprothesenimplantation waren nur in 3% erforderlich.

Patienten mit manifesten postoperativen Komplikationen erreichten erwartungsgemäß nach einem Jahr ein schlechteres funktionelles Resultat—gemessen am Constant-Score—als jene Patienten mit unproblematischem Verlauf (65,8 Punkte, entsprechend 73,4%, versus 78,8 Punkte, entsprechend 92% der kontralateralen Seite).

Diskussion

Stabilität

Berichte über gute Resultate nach rigider Stabilisation von dislozierten Humeruskopffrakturen über einen limitierten Zugang selbst beim Patienten mit manifester Osteoporose legen die Vermutung nahe, dass eine sicher stabile Retention der Frakturkomponenten mit entsprechender mechanischer Ruhe in der Frakturzone als Basis für eine ungestörte Revaskularisation die Voraussetzung für eine erfolgreiche Frakturheilung darstellt [7, 20].

Winkelstabile Implantate wie der Targon-Nagel vertrauen nicht auf interfragmentäre Fragmentkompression, sondern auf eine erhöhte inhärente Stabilität des Implantat-Knochen-Verbundes bis zur gesicherten knöchernen Ausheilung bei reduziertem Risiko der sekundären Fragmentdislokation [20].

Die Ergebnisse der vorgelegten prospektiven Studie an 50 Patienten mit komplett dokumentierten Follow-up zu allen 3 Zeitpunkten (3, 6 und 12 Monate postoperativ) sind durchaus mit den in der Literatur angegebenen Resultaten nach minimal-invasiver Osteosynthese bei ausgewählten Patienten, meist jungen Patienten mit guter Knochensubstanz, vergleichbar; bei Letzteren wurden Werte des Constant-Scores zwischen 60 und 81 Punkten mitgeteilt [9, 15, 16, 17, 24, 25]. Grundsätzlich ist es zudem denkbar, dass selbst jenseits der 12-Monats-Grenze funktionelle Verbesserungen eintreten können [7].

Komplikationsrate

Kritisch zu betrachten ist zweifelsohne die hohe Rate von Komplikationen im postoperativen Verlauf. Dennoch zeigte die nähere Analyse der Komplikationen, dass die Mehrzahl von nachrangiger Bedeutung ist, wie etwa das spontane Rückdrehen der Fixationsschrauben, das durch selektive Entfernung der entsprechenden Schrauben in Lokalanästhesie leicht beherrschbar ist.

Die mittlerweile verfügbaren technischen Modifikationen (PEEK-Schraubenbremse im Nagelverriegelungsloch) und die Option, die Tuberkula mit additiven Cerclagen in der „Tau-über-Poller-Technik“ um die Schraubenköpfe zu sichern, verringern zudem das Risiko der Schraubendislokation erheblich.

Die ausgesprochen niedrige Rate manifester Pseudarthrosen (3%) bestätigt ferner, dass das Thema „postoperative Instabilität“ keine wesentliche Rolle spielt. Auch die geringe Rate im postoperativen Verlauf manifester partieller oder vollständiger Humeruskopfnekrosen (<8%) belegt, dass mit dem Targon-Nagel eine weichteilschonende und die Zirkulation des Humeruskopfes erhaltende Op.-Technik applizierbar ist.

Dennoch zeigen die Zahlen auch, dass Patienten mit kompliziertem postoperativem Verlauf mit schlechteren Constant-Score-Werten abschneiden. Diese Resultate liegen aber nicht schlechter als jene Werte, die nach einem vergleichbaren Zeitraum nach 4-Part-Frakturen mit regelrechtem Heilverlauf [3] oder nach primärer Hemialloarthroplastik mitgeteilt wurden [17].

Intraoperative Therapieentscheidung

Dementsprechend verzichten wir auf ein präoperatives CT der Schulter [16] und treffen im Zweifelsfall die Entscheidung Nagel versus primäre Hemiprothese intraoperativ. Letztere kann technisch auch gut über den superoanterioren Delta-split-Zugang implantiert werden. Lässt der intraoperative Situs erwarten, dass eine Osteosynthese biomechanisch reliabel durchführbar ist, bevorzugen wir den Targon-Nagel gegenüber der Hemiprothese (kleinerer Eingriff, Vermeidung der prothesentypischen Komplikationen).

Die akzeptable Rate sekundärer kompletter Dislokationen mit der Notwendigkeit zur operativen Reintervention belegt die Gültigkeit dieses Vorgehens. Zudem konnten wir bislang außer der Arthrofibrose, die nicht zwangsläufig für den antegraden Zugang spezifisch ist, keine eindeutigen spezifischen Nachteile des Zugangs mit Spalten der Supraspinatussehne in Längsrichtung feststellen, wie sie von anderen Autoren vermutet werden [1].

Übungsbehandlung

Entscheidend für das definitive funktionelle Resultat ist sicherlich die frühzeitige aufgenommene und konsequent fortgeführte aktive selbst assistierte und physiotherapeutisch unterstützte Übungsbehandlung [20]. Bei inkonstant ausgeführter oder gar ausbleibender Beübung droht die Arthrofibrose mit entsprechend schlechten funktionellen Ergebnissen.

Fazit

Zusammengefasst erlaubt die Stabilisation von Humeruskopffrakturen oder von bifokalen Frakturen von Humeruskopf- und -schaft mit einem antegraden winkel- und gleitstabilen Verriegelungsnagel die Umsetzung des minimal-invasiven Prinzips und bietet die erforderliche Primärstabilität zum Einsatz eines früh-funktionellen Nachbehandlungskonzepts. Das operative Vorgehen ist relativ einfach, wenn auch postoperative Komplikationen häufig festzustellen sind. Es kann vermutet werden, dass die mittlerweile umgesetzten technischen Modifikationen der Fixation der Tuberkula und der Schraubenbremse zu einer Reduktion der beschriebenen Probleme führt.