Während in Europa stumpfe Abdominalverletzungen mit einem Anteil von ca. 90% ganz im Vordergrund stehen, findet sich in Amerika ein umgekehrtes Verhältnis zugunsten penetrierender Schuss- und Stichverletzungen mit einer Häufigkeit zwischen 50 und 90%. Ihre Behandlung ist teilweise sehr aufwändig und der Verlauf oft komplikationsreich.

Zur Komplikationsvermeidung beigetragen haben Algorithmen, die auch dazu führen sollen, möglichst wenig Verletzungen oder Begleitverletzungen zu übersehen—oft ja Ausgangspunkt fataler Verläufe (es sei nur an die verspätet erkannte Peritonitis erinnert—ein Problem, das immer noch nicht 100%ig gelöst ist).

Ein solcher Algorithmus soll hier vorgestellt werden—und zwar für das penetrierende Bauchtrauma, veröffentlicht von Hofmann et al. [4] aus Murnau, also einer deutschen Arbeitsgruppe (Abb. 1). Es handelt sich um ein relativ klares Schema, das einleuchtend erscheint.

Abb. 1
figure 1

Entscheidungsalgorithmus beim penetrierenden Bauchtrauma

In Abb. 2 ist ein 45-jähriger Patient mit einer Schussverletzung dargestellt: Ein- und Ausschüsse am rechten Oberschenkel, in der rechten Leiste, im linken Unterbauch und im rechten Gesäß.

Abb. 2
figure 2

Schussverletzung mit abdomineller Beteiligung

Es erfolgte eine Dünndarmresektion mit End-zu-End-Anastomose und eine Sigmaresektion als Hartmann-Op. mit endständigem Anus praeter (Abb. 3). Die Kontinuität konnte letztlich erst nach 3 Monaten wiederhergestellt werden.

Abb. 3
figure 3

Darmdurchschuss (Patient von Abb. 2)

Es wird klar, dass sich solche Schussverletzungen nicht durch den in Abb. 1 vorgestellten Algorithmus abbilden lassen. Deshalb hat man besonders in den USA nach anderen Kriterien bzw. Algorithmen gesucht, die praktikabler sind. Auf ein solches Prinzip—das der „damage control“—wird noch eingegangen.

Stumpfes Bauchtrauma

Ursachen

Weitaus häufiger als penetrierende Bauchverletzungen sind jedoch bei uns stumpfe Bauchtraumen. Zwar sind sie in isolierter Form selten und machen nur unter 5% der Gesamtzahl aus. Doch kombiniert mit anderen Verletzungen, oft im Rahmen eines Polytraumas, kommt bei 20–40% aller Polytraumatisierten nach dem DGU-Unfallregister auch ein stumpfes Bauchtrauma vor. Die Ursachen des stumpfen Bauchtraumas sind

  • Verkehrsunfall,

  • Arbeitsunfall,

  • Freizeitunfall,

  • Schlägerei/Misshandlung,

wobei Verkehrs- und Arbeitsunfall heute in Deutschland mit etwa 80% bei Erwachsenen im Vordergrund stehen.

Die beiden Hauptmechanismen zur Entstehung eines stumpfen Bauchtraumas sind: direkte Gewalteinwirkung und Dezeleration.

Dabei führen direkte Gewalteinwirkungen häufiger zu Rupturen der parenchymatösen Organe (Abb. 4), während Dezelerationstraumen eher zu Verletzungen an den Organaufhängungen führen (Abb. 5).

Abb. 4
figure 4

Milzverletzung

Abb. 5
figure 5

Mesenteriumverletzung

Bei Mesenterialeinrissen besteht dann die Gefahr der Inkarzeration von Darmschlingen mit Entstehung eines mechanischen Ileus und Ausbildung einer Durchwanderungsperitonitis.

Komplikationsträchtige Verletzungen

Sterblichkeit und Komplikationsrate steigen deutlich an bei:

  • Ruptur parenchymatöser Organe oder der Aufhängebänder,

  • Blutung in die freie Bauchhöhle,

  • Hohlorganruptur und

  • Mitbeteiligung des Zwerchfells.

Häufig letale Komplikationen

Besonders gefürchtet sind

  • die Verblutung,

  • die Peritonitis und

  • die Urosepsis,

weil sie letztlich verantwortlich für die letalen Ausgänge sind.

Um diese Komplikationen möglichst zu vermeiden, kommt es entscheidend darauf an, einerseits das Gesamtverletzungsausmaß und andererseits die bedrohlichsten Einzelverletzungen möglichst rasch zu erfassen.

Insofern kommt zunächst einer rationellen Diagnostik eine besondere Bedeutung zu.

Diagnostik

Erste Erfassung der Lage

Davis et al. [1, 2] haben nachgewiesen, dass Fehler oder Versäumnisse am Beginn zu einer erheblichen Zunahme der Sterblichkeit und Komplikationsrate führen. Eine Anamneseerhebung ist meist über Dritte nötig, z. B. beteiligte Personen, Notarzt, Sanitäter. Dabei sind 2 Dinge von besonderem Interesse:

  1. 1.

    Unfallhergang und Unfallmechanismus, um auf direkte Gewalteinwirkung oder Dezeleration schließen zu können, und

  2. 2.

    Schmerzangabe des Patienten.

Eine differenzierte klinische Untersuchung ist auf einen wachen und kooperativen Patienten angewiesen—eine Voraussetzung, die oft nicht gegeben ist durch Begleitverletzungen, Intubation, Polytrauma, Bewusstseinsstörung, Schmerzmittel- und Sedativagabe.

  Trotzdem könne einige Dinge sehr schnell erfasst werden:

  • Beurteilung

    • von Hautfarbe und Schleimhautdurchblutung,

    • von Prellmarken, Schürfungen und Hämatomen,

    • des Abdomens,

    • der Atmung,

  • grobe Stabilitätskontrolle von

    • Beckenring,

    • Wirbelsäule,

    • Steißbein (rektal digitale Untersuchung und nicht mehrere Röntgenaufnahmen!),

  • Suche nach

    • Hämaturie oder

    • Blutaustritt aus anderen Körperöffnungen,

denn sie können richtungsweisend sein.

  Nach der ersten klinischen Untersuchung sollten zumindest 2 Fragen beantwortet werden können:

  1. 1.

    Liegt ein Schockzustand vor?

  2. 2.

    Liegt eine respiratorische Insuffizienz vor?

Eine 3. Frage—die nach Vorliegen einer Peritonitis—lässt sich leider nicht immer sofort beantworten.

Basisdiagnostik

Bei den paraklinischen Untersuchungen unterscheiden wir zwischen Basisdiagnostik und erweiterter Diagnostik. Zur Basisdiagnostik zählten wir bisher die Sonographie, Laboruntersuchungen und Nativröntgenuntersuchungen.

Bei der notfallmäßigen Ultraschalluntersuchung—zumal mit kleinen transportablen Geräten (Abb. 6)—sind einige Organläsionen schwer oder nicht erkennbar.

Abb. 6
figure 6

Mobiles Sonographiegerät

Allerdings: zur Beurteilung einer massiven Blutung stellt die Sonographie eine einfache und sichere Methode dar, die ohne Zeitverzug und auch schon während des Transportes durchgeführt werden kann.

Auf Laboruntersuchungen (Tabelle 1) wird nicht näher eingegangen—sie sind bezogen auf das Abdomen wenig spezifisch.

Tabelle 1 Routine-Laboruntersuchungsdaten beim Bauchtrauma

Auch auf die Nativröntgenuntersuchungen (Tabelle 2), die so bisher Standard waren oder auch noch sind, wird nicht weiter eingegangen, da sie weitestgehend durch eine CT-Untersuchung ersetzt werden können.

Tabelle 2 Nativröntgenuntersuchungen beim Bauchtrauma

Erweiterte Diagnostik

Zur erweiterten Diagnostik (Tabelle 3) zählten wir bisher auch das CT. Neue Multislice-CT-Geräte sind so schnell geworden, dass diese Untersuchung in die Basisdiagnostik aufrückt und als sog. „Traumaspirale“ sogar Nativröntgenuntersuchungen überflüssig macht. Die CT-Untersuchung eignet sich besonders gut zum Nachweis von Organläsionen und freier Flüssigkeit, wobei die Dichtemessung noch zur Differenzierung beitragen kann.

Tabelle 3 Paraklinische Untersuchungen: erweiterte Diagnostik beim Bauchtrauma

Kontrastmittelröntgenaufnahmen

Hier greifen wir fast nur noch auf die retrograde Darstellung bei Verdacht auf Harnröhren- und Blasenverletzungen zurück.

Invasive Verfahren

Hier nun ein Wort zur Laparoskopie: Wir sind beim Polytrauma im Gegensatz zum isolierten Bauchtrauma sehr zurückhaltend, weil wir bei einer möglichen Zwerchfellverletzung die Gefahr von Spannungspneumothorax und Luftembolie sehen, zumal diese Patienten ohnehin respiratorisch belastet sind.

Priorität der Maßnahmen

Ziel all dieser diagnostischen Maßnahmen ist, die mögliche Op.-Indikation zum richtigen Zeitpunkt zu stellen. Deshalb muss je nach Verlauf auch die Diagnostik abgebrochen und operiert werden können. Erste Priorität haben dabei:

  • die Blutstillung der Massenblutungen nach innen und außen und

  • die Druckentlastung von Hirn, Herzbeutel und Pleurahöhlen.

Zweite Priorität haben dann:

  • allgemeine chirurgische Blutstillung,

  • Versorgung verletzter Hohlorgane,

  • Débridement und Nekrektomie,

  • Dekompression (Kompartimente) und

  • Erreichen der Intensivpflegefähigkeit.

Soweit die Darstellung allgemeiner Gesichtspunkte. Es folgt die Beschreibung des ganz konkreten praktischen Vorgehens an den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken Bergmannstrost mit unseren Algorithmen zur Komplikationsvermeidung.

Algorithmen zur Komplikationsvermeidung

Finden wir bei einem Patienten viel freie Flüssigkeit in der Bauchhöhle (>500 ml) bei instabiler Hämodynamik so laparotomieren wir sofort. Ist das nicht der Fall, erweitern wir die Diagnostik, gehen in die Verlaufskontrolle und laparotomieren nur dann, wenn:

  • der Patient instabil wird,

  • sonographisch die Flüssigkeit im Abdomen zunimmt oder

  • bei peritonitischen Zeichen.

Es gibt viele andere Algorithmen, beispielhaft werden 2 vorgestellt:

Der 1. Algorithmus (Abb. 7) ist vom Aufbau her ähnlich wie der Algorithmus für das penetrierende Bauchtrauma und von der gleichen Arbeitsgruppe veröffentlicht worden. Er ist aus unsrer Sicht lediglich geeignet für die Perakutphase, nämlich: Schock—Sonographie—viel freie Flüssigkeit—Laparotomie. Für alle anderen Situationen gibt es keine erweiterte Diagnostik, lediglich bei wenig freier Flüssigkeit noch die Laparoskopie, und gerade die halten wir für problematisch. Für eine Computertomographie gab es hier noch keine Indikation.

Abb. 7
figure 7

Entscheidungsalgorithmus beim stumpfen Bauchtrauma

Der 2. Algorithmus (Abb. 8) ist aus der BG-Klinik in Berlin von Herrn Ekkernkamp [3] und entspricht weitgehend unserem Vorgehen, wenn wir unter Übergabe eine kurze Fremdanamnese verstehen, bei massiv freier Flüssigkeit nur bei Kreislaufinstabilität sofort operativ versorgen, sonst aber doch dem Spiral-CT den Vorrang geben und statt körperlicher Untersuchung manchmal auch nur ein gezielter „klinischer Blick“ reichen muss.

Abb. 8
figure 8

Entscheidungsalgorithmus beim Bauchtrauma

Dieser zeitliche Aspekt wird noch dadurch unterstrichen, dass die Prognose Polytraumatisierter mit Abdominaltrauma schlechter ist als ohne Abdominaltrauma. In Tabelle 4 ist dargestellt, dass insbesondere Unterschiede in der Schwere (ISS) bestehen, bei der Häufigkeit des Organversagens und v. a. bei der Frühletalität.

Tabelle 4 Verlaufsdaten der Patienten mit und ohne Abdominaltrauma

Definitive Versorgung

Eine definitive Versorgung erfolgt deshalb bei uns nur beim kreislaufstabilen Patienten. Dabei haben wir folgende Ziele:

  1. 1.

    Blutungskontrolle:

    Diese hat höchste Priorität und erfolgt der klinischen Situation angepasst. Von Naht über Tamponade bis zur Organexstirpation kommt hier eine ganze Palette von Maßnahmen infrage.

  2. 2.

    Kontaminationskontrolle:

    Reinigung des Abdomens von Blut, Hämatom, Galle und evtl. Darminhalt, radikales Débridement von zerstörtem Gewebe, ausreichende Drainage, evtl. Einplanen einer Relaparotomie (Etappenlavage).

  3. 3.

    Reparation von parenchymatösen Organläsionen:

    Die Erhaltung des Organs streben wir allerdings nur an, wenn der Patient dadurch nicht gefährdet wird.

  4. 4.

    Verschluss von Hohlorganrupturen.

  5. 5.

    Sicherung der Darmpassage entweder durch Wiederherstellung der Kontinuität oder Ableitung. Dies erfolgt einzeitig durch Naht bzw. Anastomose oder mehrzeitig, indem zunächst ein Stoma angelegt wird.

Prinzip der „damage control“

Beim instabilen Patienten gehen wir im Rahmen der sog. „damage control“ anders vor. Das Prinzip der „damage control“ hat Rotondo [6] in den USA maßgeblich mit entwickelt—ursprünglich allerdings für die penetrierenden Bauchtraumen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist die ansteigende Komplikationsrate und auch Letalität mit zunehmender Op.-Dauer (Tabelle 5). Wie in Tabelle 5 dargestellt, bestehen in den ersten beiden Gruppen nur marginale Unterschiede, aber in Gruppe 3 verdoppelt sich die Letalität in etwa!

Tabelle 5 Bedeutung der primären Op.-Dauer. Sammelstudie der AG Polytrauma der DGU [5]

Unser Vorgehen beim instabilen Patienten:

  1. 1.

    Blutungskontrolle:

    Sie hat auch hier natürlich höchste Priorität und entspricht dem Vorgehen wie bei definitiver Versorgung. Unterschiede bestehen in den folgenden Punkten:

  2. 2.

    Verschluss von Hohlorganläsionen:

    Beim instabilen Patienten ohne Passagewiederherstellung und auch ohne Ableitung!

  3. 3.

    Dekontamination durch Lavage.

  4. 4.

    „Packing“ des Abdomens.

  5. 5.

    Provisorischer Wundverschluss durch Reißverschluss, Everett-Naht oder, wie in Abb. 9, mit Folie.

    Abb. 9
    figure 9

    Provisorischer Bauchdeckenverschluss durch Folie

  6. 6.

    Stabilisierung auf der Intensivtherapie-Station (Abb. 10).

    Abb. 10
    figure 10

    Provisorischer Bauchdeckenverschluss

  7. 7.

    Definitive Versorgung im Rahmen einer geplanten Relaparotomie nach 6–12 h bzw. nach Verlauf und Stabilisierung (Abb. 11).

    Abb. 11
    figure 11

    Definitiver Bauchdeckenverschluss

Ergebnisse

Was ist nun mit diesem Konzept zu erreichen? Wir haben von März 1996 bis Dezember 2002 am Bergmannstrost 507 Patienten behandelt.

Begleitverletzungen

Häufigste Begleitverletzungen waren:

Extremitäten:

71%,

Thorax:

63%,

Schädel:

61%,

Wirbelsäule:

34%,

Becken:

25%.

Operationspflichtige Bauchorgane

Die operationspflichtigen Verletzungen im Bauchraum betrafen am häufigsten folgende Organe:

Milz:

38%,

Leber:

28%,

Aufhängebänder:

17%,

Nieren/Harnblase/Urethra:

17%,

Zwerchfell:

9%,

Magen/Darm:

9%,

Pankreas :

4%,

abdominelles Kompartmentsyndrom:

5%.

Unsere Letalitätsrate liegt bei 10,8% (55 von 507 Patienten).

Todesursachen

Die häufigsten Todesursachen waren:

  • malignes Hirnödem,

  • Blutungsschock,

  • Multiorganversagen,

  • Lungenembolie,

  • Sepsis.

Kompetenzstreit?

Wer soll nun das Bauchtrauma versorgen? Dazu hat es in letzter Zeit auch in der Literatur verschiedene Kontroversen gegeben, oft mit folgendem Fazit:

Versorgen soll, wer es am besten kann—also der Viszeralchirurg. Dies gilt unserer Ansicht nach prinzipiell nur für die isolierte Bauchverletzung. Im Rahmen eines Polytraumas müssen aber noch andere Prinzipien und Prioritäten berücksichtigt werden, so dass hier durchaus der Unfallchirurg unter bestimmten Voraussetzungen versorgen könnte, so wie wir es am Bergmannstrost handhaben.

Fazit für die Praxis

Durch ihren schematisierten Ablauf können Algorithmen zur Komplikationsvermeidung beitragen. Als schnelle und genaue diagnostische Maßnahmen sollten Sonographie und Computertomographie durchgeführt werden. Ihre Ergebnisse haben Einfluss auf Op.-Indikation und Op.-Zeitpunkt.Beim Bauchtrauma findet die definitive Versorgung statt, wenn der Patient kreislaufstabil ist, andernfalls gilt das Prinzip der „damage control“. Das Bauchtrauma ereignet sich häufig im Rahmen eines Polytraumas. Dann sollte je nach Gewichtung der Verletzungen entschieden werden, ob die Versorgung durch den Viszeral- oder den Unfallchirurgen geschieht.