1 Einleitung

Einsatzgehärtete Wellen zeichnen sich durch eine inhomogene Randschichtcharakteristik aus. Bedingt durch das eingestellte Kohlenstoffprofil unterscheiden sich Oberfläche und Kernbereich nach der Wärmebehandlung maßgeblich in der Gefügezusammensetzung. Die gezielt herbeigeführte Heterogenität in Tiefenrichtung bedingt neben den resultierenden Härte- und Eigenspannungsgradienten auch das lokale Materialverhalten von einsatzgehärteten Wellen. Zur Beschreibung des Materialverhaltens eines Werkstoffes wird in der Theorie das Verhältnis von Schub- und Zug-Druck-Wechselfestigkeit τWσW herangezogen. Da dieser Kennwert experimentell nicht direkt bestimmbar, jedoch für die realistische Berechnung eines äquivalenten Beanspruchungswerts von Bedeutung ist, ergibt sich hier Untersuchungsbedarf. Zudem widersprechen sich die derzeit in der Praxis verwendeten Rechenvorschriften zur Dauerfestigkeitsberechnung von einsatzgehärteten Wellen in der Annahme des Verhaltens der Randschicht. Während der Berechnungsgang der DIN 743 [3] an die Annahme einer duktilen Randschicht geknüpft ist, wird laut Doppelnachweis in Abschn. 5.5 der FKM-Richtlinie [14] sowohl für die Oberfläche als auch den Übergangsbereich sprödes Verhalten vorausgesetzt. Die Richtigkeit dieser Annahmen ist anhand von Versuchsdaten zu untersuchen. Außerdem sind mittels weiterentwickelten Vergleichsspannungshypothesen, die das Werkstoffverhalten explizit berücksichtigen, Wechselfestigkeitsverhältnisse im Übergangsbereich vom ideal sprödem zum ideal duktilen Grenzfall auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen.

2 Methodik

Eine Gegenüberstellung verschiedener Vergleichsspannungshypothesen kann nur im Rahmen einer vollständigen Nachrechnung von Versuchsdaten im Sinne eines Festigkeitsnachweises gelingen. Die Bewertung der untersuchten Hypothesen erfolgt basierend auf der im Nachweis bestimmten ertragbaren und der vorhandenen Vergleichsspannungsamplitude an der Oberfläche. Da es sich um die Nachrechnung eines realen Versuchs handelt, wird im Idealfall eine Sicherheit von \(S_{D}=1\) und somit die Übereinstimmung der beiden Kennwerte erwartet. In Abb. 1 wird das Vorgehen bei der Nachrechnung der Versuchsdaten verdeutlicht.

Abb. 1
figure 1

Vorgehensweise bei der Nachrechnung der Versuchsdaten

Da die Nachrechnung an der freien Oberfläche erfolgt, wird ein ebener Spannungszustand, bestehend aus Axialspannung σz, Tangential- σφ und Schubspannung τ, betrachtet. Der örtliche elastizitätstheoretische Spannungszustand wird aufgeteilt in den Spannungsamplitudentensor σaET und den Mittelspannungstensor σmET, welche an verschiedenen Stellen des Konzeptes berücksichtigt werden. Die Wahl der Vergleichsspannungshypothese ist demnach sowohl für die Beanspruchung von Bedeutung, als auch für zu erwartende Beanspruchbarkeit. Aufgrund der gezielt eingebrachten Axial- und Tangentialeigenspannungen liegt bei einsatzgehärteten Wellen auch bei rein wechselnder Belastung ein Mittelspannungszustand im Kerbgrund vor, der als grundlastfreie Mittelspannung in die Berechnung der Vergleichsmittelspannung σmvET eingeht.

2.1 Berücksichtigte Versuchsdaten

Die Untersuchung erfolgt auf Grundlage von Versuchsdaten aus der Literatur zur Dauerfestigkeit einsatzgehärteter Wellen. In der Recherche wurden die experimentellen Ergebnisse von 47 Treppenstufenversuchsreihen aus sechs Forschungsprojekten extrahiert. Tab. 1 gibt einen Überblick über die recherchierten Versuchsdaten für einsatzgehärtete Wellen.

Tab. 1 Überblick Versuchsdaten Dauerfestigkeit einsatzgehärteter Wellen

Aus den Projektdokumentationen wurden die für den Nachweis erforderlichen Eingabedaten entnommen. Es wurden lediglich Versuchsreihen berücksichtigt, bei denen das Versagen von der Bauteiloberfläche ausging. Neben den Geometrieparametern und Versuchsergebnissen der Treppenstufenreihen (\(P_{\textit{\"U}}=50\,{\%}\)) sind vor allem die Informationen zum Randschichtzustand von Interesse. Die Vickershärte an der Oberfläche liegt als Messwert HHV für alle Projekte vor. Erfolgte keine Messung der gemittelten Rautiefe RZ im Kerbgrund, wurde die Zeichnungsangabe verwendet. Die Randschichteigenspannungen liegen je nach Projekt entweder für die Axialrichtung oder differenziert in Axial- und Tangentialspannungen vor. Im Sinne eines zweiachsigen Nachweises an der Oberfläche wurden die teilweise nicht gemessenen Tangentialeigenspannungen entsprechend Abschn. 5.5 der FKM-Richtlinie aus den Axialeigenspannungen abgeschätzt: \(\sigma _{\mathrm{ES}{,}\varphi }=0,72\cdot \sigma _{\mathrm{ES}{,}z}\) [14].

2.2 Untersuchte Vergleichsspannungshypothesen

In der vorliegenden Studie werden Festigkeitseinflüsse des Einsatzhärtens auf die Schwingfestigkeit von gekerbten und ungekerbten Bauteilen bei einachsiger Belastung untersucht (Tab. 1). Trotz der einachsigen Beanspruchung treten aufgrund der Querdehnungsbehinderung mehrachsig proportionale Spannungszustände an der Oberfläche aber auch im Volumen auf. Die Sekundärspannungen sind dabei abhängig von der Querkontraktionszahl und der Formzahl und bilden zusammen mit den Primärkomponenten den mehrachsigen Spannungszustand im Kerbgrund σaET.

Bei der Festigkeitsbewertung eines mehrachsigen Zustandes werden die Spannungskomponenten üblicherweise zu einem Skalar zusammengefasst und mit einem einachsigen Materialkennwert verglichen. Im Falle der klassischen Festigkeitshypothesen wurden für quasistatische bzw. zügige Belastungen Hypothesen entwickelt und hergeleitet, die in Bezug auf die plastische Versagensgrenze validiert wurden. Für proportionale Spannungszustände, wie sie hier vorliegen, konnte auch für deren Anwendung auf die Schwingfestigkeit eine gute Korrelation festgestellt werden. Vertreter dieser Hypothesen sind die Normalspannungshypothese (NH) [5], die Gestaltänderungsenergiehypothese (GEH) [13], und die Schubspannungshypothese (SH) [17]. Nachfolgend sind die Formeln zur Berechnung der Vergleichsspannungen aus den Hauptspannungen gegeben.

$$\sigma _{v{,}\mathrm{NH}}=\sigma _{1}$$
(1)
$$\sigma _{v{,}\mathrm{GEH}}=\sqrt{1/2\left[\left(\sigma _{1}-\sigma _{2}\right)^{2}+\left(\sigma _{2}-\sigma _{3}\right)^{2}+\left(\sigma _{3}-\sigma _{1}\right)^{2}\right]}$$
(2)
$$\sigma _{v{,}\mathrm{SH}}=\max \left(\left| \sigma _{1}-\sigma _{2}\right| ;\left| \sigma _{2}-\sigma _{3}\right| ;\left| \sigma _{3}-\sigma _{1}\right| \right)$$
(3)

Wie in den Gleichungen zu sehen ist, wird die zyklische Materialeigenschaft des Wechselfestigkeitsverhältnisses τwσw, das die Duktilität bzw. Sprödigkeit des Materials repräsentiert, nicht explizit berücksichtigt. Es zeigt sich jedoch in der Praxis, dass die klassischen Hypothesen für bestimmte Materialzustände geeignet sind. So werden GEH und SH eher für duktile Werkstoffe und die NH eher für spröde Werkstoffe verwendet [14]. In Abb. 2 werden zur Visualisierung der Hypothesen die jeweils zugrundeliegenden Versagensgrenzlinien für den ebenen Hauptspannungszustand an der Bauteiloberfläche dargestellt.

Abb. 2
figure 2

Versagensgrenzlinien von NH (a), SH (b) und GEH (c) im ebenen Hauptspannungszustand

Bei Normalbeanspruchungen im ebenen Spannungszustand fallen die Grenzlinien für NH und SH zusammen. Deutliche Unterschiede fallen im zweiten und vierten Quadranten auf, die bei Schubbeanspruchung von Interesse sind. Anhand der unterschiedlichen zugrundeliegenden Wechselfestigkeitsverhältnisse lässt sich die Abgrenzung der NH (\(\tau _{w}/\sigma _{w}=1\)) von SH (\(\tau _{w}/\sigma _{w}=1/2\)) und GEH (\(\tau _{w}/\sigma _{w}=1/\sqrt{3}\)) nachvollziehen.

Da Werkstoffe in der Realität ein von den zuvor genannten Werten verschiedenes Wechselfestigkeitsverhältnis aufweisen, wurden Vergleichsspannungshypothesen entwickelt, die diesen Kennwert explizit berücksichtigen. Mischhypothesen, die zwei klassische Ansätze kombinieren, stammen von El-Magd (NH und SH) [4] und Lüpfert (NH und GEH) [8], wobei letzterer im örtlichen Nachweis der FKM-Richtlinie Verwendung findet. Ein vom Werkstoffverhalten abhängiger Hilfsparameter bestimmt jeweils die Wichtung der beiden kombinierten Hypothesen.

Weitergehende Vergleichsspannungskonzepte, wie die Modifizierte-Mohr-Mises-Hypothese (MMMH) [9] und die Spannungsintensitätshypothese (SIH) [7] erlauben es zusätzlich, auch nichtproportionale Spannungszustände, sowie Beanspruchungs-Zeit-Verläufe in eine einachsige Äquivalentbeanspruchung umzurechnen. Da die in den untersuchten Versuchsdaten auftretenden Beanspruchungsverläufe proportional und zeitlich konstant sind, liefern SIH und ihre Weiterentwicklungen identische Ergebnisse wie die invarianten-basierte MMMH und werden hier daher nicht weiter behandelt. In Tab. 2 sind die Formeln zur Berechnung der Mischhypothesen, sowie deren Hilfsparameter gegeben.

Tab. 2 Berechnungsformeln und Hilfsparameter der Mischhypothesen

Die MMMH wird in ihrer Form für synchrone Spannungsverläufe verwendet und entspricht für \(\mathrm{k}=\sqrt{3}\) der GEH. In Abb. 3 werden die Versagensgrenzlinien der vorgestellten Mischhypothesen visualisiert.

Abb. 3
figure 3

Versagensgrenzlinien der Mischhypothesen nach El-Magd (a) und Lüpfert (b) sowie der MMMH (c) im ebenen Hauptspannungszustand

2.3 Verwendete Berechnungsansätze

Neben der Vergleichsspannungshypothese sind auch Ansätze für die in Abb. 1 aufgeführten Einflüsse zu wählen. Nachfolgend werden die jeweils verwendeten Konzepte insbesondere für einsatzgehärtete Randschichten vorgestellt.

Werkstoff-Wechselfestigkeit der Randschicht

Für die Abschätzung der Wechselfestigkeit beziehen sich viele existierende Ansätze auf die lokale Härte [6, 10, 14, 19, 20]. In dieser Untersuchung kommt der Vorschlag von Velten zum Einsatz, welcher eigens für einsatzgehärtete Proben entwickelt wurde und auf der Vickershärte HHV basiert.

$$\begin{aligned} \sigma _{W}&=1,27\,MPa\cdot H_{\mathrm{HV}}+72\,MPa&\text{f{\"u}r}\quad & H_{\mathrm{HV}}\leq 500\\ \sigma _{W}&=707\,MPa &\text{f{\"u}r}\quad & H_{\mathrm{HV}}> 500 \end{aligned}$$
(7)

Statistische Stützwirkung

Die Abschätzung des statistischen Größeneinflusses erfolgt auf Grundlage der hochbeanspruchten Probenoberfläche Ast unter Verwendung der Referenzoberfläche Aref,st und des Weibull-Exponenten k entsprechend der FKM-Richtlinie [14].

$$n_{\mathrm{st}}=\left(\frac{A_{\mathrm{ref}{,}\mathrm{st}}}{A_{\mathrm{st}}}\right)^{1/k}\quad\mathrm{mit}\,A_{\mathrm{ref}{,}\mathrm{st}}=500\,\mathrm{mm}^{2}\,\mathrm{und}\,\:k=30$$
(8)

Die hochbeanspruchte Probenoberfläche Ast wird je nach Probenform und Belastungsart mit Hilfe der Abschätzungsgleichungen der FKM-Richtlinie bestimmt [14].

Rauheitseinfluss

Der festigkeitsmindernde Rauheitseinfluss geht nach DIN 743 Teil 2 [3] in die Nachrechnung ein. Der Einflussfaktor der Oberflächenrauheit K für Zug-Druck und Biegung ergibt sich aus der gemessenen mittleren Rautiefe RZ im Kerbgrund und der Zugfestigkeit der Randschicht, welche aus der Härte abgeschätzt wird: \(R_{m{,}\mathrm{RS}}=3,3\cdot H_{\mathrm{HV}}\). Der Einflussfaktor K für Torsion wird aus K anhand des Wechselfestigkeitsverhältnisses abgeleitet.

$$K_{\mathrm{F}\upsigma }=1-0,22\cdot \lg \left(\frac{R_{Z}}{\upmu \mathrm{m}}\right)\cdot \left[\lg \left(\frac{R_{m{,}\mathrm{RS}}}{20\frac{\mathrm{N}}{\mathrm{m}m^{2}}}\right)-1\right]$$
(9)
$$K_{\mathrm{F}\uptau }=\frac{\tau _{W}}{\sigma _{W}}\cdot K_{\mathrm{F}\upsigma }+\left(1-\frac{\tau _{W}}{\sigma _{W}}\right)$$
(10)

Mittelspannungseinfluss

Der Mittelspannungszustand wird in der Nachrechnung auf der Seite der Beanspruchbarkeit berücksichtigt und setzt sich aus Lastmittel- und Eigenspannungen zusammen: \(\boldsymbol{\sigma }_{\mathrm{mET}}=\boldsymbol{\sigma }_{\mathrm{mL}}+\boldsymbol{\sigma }_{\mathrm{mES}}\). Der Eigenspannungszustand σmES an der Oberfläche geht als lastunabhängiger, ebener Normalspannungszustand in die Berechnung ein. Diese Betrachtung ist für Makro-Eigenspannungen (I. Art) zulässig. Aus den in einzelnen Versuchsreihen untersuchten Lastmittelspannungen errechnet sich mittels der Kerbformzahlen der ebene Lastmittelspannungszustand σmL an der Oberfläche. Die Umrechnung in die elastizitätstheoretische Vergleichsmittelspannung σmvET erfolgt unter Verwendung derselben Hypothese wie für die elastizitätstheoretische Vergleichsspannungsamplitude σavET.

Die Mittelspannungsempfindlichkeit liegt für Versuchsreihen mit Lastmittelspannung bereits vor. Wurden keine Lastmittelspannungen untersucht, wird eine Empfindlichkeit der Randschicht gegenüber Normalmittelspannungen von \(\Psi _{\sigma }=0,5\) entsprechend Abschn. 5.5 der FKM-Richtlinie angenommen [14]. Die Umrechnung auf die Empfindlichkeit gegenüber Schubmittelspannungen erfolgt mittels des Wechselfestigkeitsverhältnisses:\(\Psi _{\tau }=\frac{\tau _{W}}{\sigma _{W}}\cdot \Psi _{\sigma }\). Für Versuchsreihen in denen Schubmittelspannungen experimentell untersucht wurden, ergibt sich umgekehrt die Empfindlichkeit gegenüber Normalspannungen zu \(\Psi _{\sigma }=\frac{\sigma _{W}}{\tau _{W}}\cdot \Psi _{\tau }\).

Die Berechnung der dauerhaft ertragbaren Vergleichsspannungsamplitude im Kerbgrund σADK erfolgt entsprechend des Vorschlages der FVA-Richtlinie Dauerfestigkeitsberechnung von Wellen [18], welcher eine Kombination von lastabhängigen (z. B. Versuch bei einem Spannungsverhältnis \(R=0\)) und lastunabhängigen Mittelspannungen (z. B. Eigenspannungen) erlaubt.

Verformungsmechanische Stützwirkung

Für die verformungsmechanische Stützwirkung einsatzgehärteter Bauteile kommt der Ansatz nach Petersen [12] zum Einsatz, der u. a. im Abschn. 5.5 der FKM-Richtlinie Anwendung findet [6, 14, 19]. Die Stützwirkung ergibt sich aus der gemessenen Härte HHV und dem nach FKM-Richtlinie abgeschätzten bezogenen Spannungsgefälle G an der Oberfläche.

$$n_{\mathrm{vm}}=1+\frac{40}{H_{\mathrm{HV}}}\cdot \sqrt{G\cdot \mathrm{mm}}$$
(11)

Mit der verformungsmechanischen Stützwirkung erfolgt die Umrechnung der elastizitätstheoretischen Spannungsamplitude σvaET in die lokale Kerbspannungsamplitude: \(\sigma _{\mathrm{vaK}}=\sigma _{\text{vaET}}/n_{\mathrm{vm}}\).

3 Auswertung

Zur Gegenüberstellung der untersuchten Hypothesen wird für jede Versuchsreihe die berechnete lokale Kerbspannungsamplitude σvaK mit der abgeschätzten dauerhaft ertragbaren Vergleichsspannungsamplitude im Kerbgrund σADK verglichen. Da das Wechselfestigkeitsverhältnis bei der Verwendung klassischer Hypothesen bereits implizit vorausgesetzt wird, können diese der ersten Abschätzung des anzunehmenden Werkstoffverhaltens dienen.

Klassische Hypothesen

Zur Visualisierung der Treffsicherheit werden die Berechnungsergebnisse der klassischen Hypothesen für σvaK und σADK je Versuchsreihe in Abb. 4 gegeneinander aufgetragen. Bei idealer Übereinstimmung von vorhandener und ertragbarer Vergleichsspannungsamplitude liegt der Versuchspunkt auf der Winkelhalbierenden, die einer Sicherheit von \(S_{D}=\sigma _{\mathrm{ADK}}/\sigma _{\mathrm{vaK}}=1\) entspricht. Da es sich um eine Versuchsnachrechnung handelt, bedeutet eine berechnete Sicherheit von \(S_{D}> 1\) (Versuchspunkt unter der Winkelhalbierenden) eine Überschätzung des Versuchsergebnisses und ist daher als unsicher zu bewerten. Um die Treffsicherheit der angewendeten Hypothesen zu beurteilen, werden die rechnerischen Sicherheiten gemittelt und deren Mittelwert sowie Variationskoeffizient unter Annahme einer Normalverteilung in der Legende in Klammern (\(m_{{S_{D}}}| v_{{S_{D}}}\)) angegeben.

Abb. 4
figure 4

Berechnungsergebnisse der klassischen Hypothesen für alle Versuchsreihen

Der Mittelwert der Sicherheiten nach NH liegt über 1 und somit im Gegensatz zu SH und GEH knapp auf der unsicheren Seite. Eine genauere Aussage, welche weniger vom Nachweiskonzept selbst beeinflusst wird, kann auf Grundlage der Streuung der aufgetragenen Versuchspunkte um deren Mittelwert erfolgen. Es fällt eine deutliche Verringerung des Variationskoeffizienten bei Verwendung von GEH und SH auf, wenn alle recherchierten Versuchsergebnisse betrachtet werden. Die deutlich unter der Winkelhalbierenden liegenden Ergebnispunkte stellen größtenteils Versuchsreihen mit Schubspannungszustand im Kerbgrund dar. Die NH unterschätzt für diese Versuchsreihen die Vergleichsspannung, da die Hauptnormalspannung der vorliegenden Schubspannung entspricht. Werden die Versuchsreihen mit Schubbeanspruchung aus der Berechnung ausgeschlossen, sinkt der Variationskoeffizient für die Ergebnisse der NH deutlich, wie Abb. 5 zeigt.

Abb. 5
figure 5

Berechnungsergebnisse der klassischen Hypothesen unter Berücksichtigung von Versuchsreihen mit Normalspannungszustand im Kerbgrund

Es ist somit festzustellen, dass sich die treffsichere Anwendbarkeit der NH auf Normalspannungszustände im Kerbgrund beschränkt, während mittels der GEH und SH auch Schubspannungszustände bei ähnlichen Variationskoeffizienten erfasst werden können. Bezüglich des Mittelwertes der errechneten Sicherheiten ist die GEH als treffsicher und dennoch konservativ zu bewerten.

Mischhypothesen

Für einen Vergleich der Mischhypothesen ist das Wechselfestigkeitsverhältnis zu wählen, welches sich üblicherweise aus dem bestimmenden Werkstoffverhalten des untersuchten Werkstoffs ergibt. Diese Studie soll Erkenntnisse über das anzunehmende Verhalten liefern und untersucht die Treffsicherheit daher für verschiedene Wechselfestigkeitsverhältnisse. Für die Randschicht wird zunächst ein Wert im Übergangsbereich von idealen sprödem zu ideal duktilem Werkstoffverhalten angenommen. In Abb. 6 werden die Ergebnisse aller Versuchsreihen unter Verwendung des Wechselfestigkeitsverhältnisses \(\tau _{W}/\sigma _{W}=1/1,5\) dargestellt.

Abb. 6
figure 6

Berechnungsergebnisse der Mischhypothesen mit \(\tau _{W}/\sigma _{W}=1/1,5\) für alle Versuchsreihen

Bei Betrachtung der Mittelwerte und Variationskoeffizienten für die mit den Mischhypothesen berechneten Sicherheiten lassen sich keine grundlegenden Unterschiede feststellen. Im Vergleich zu den zuvor betrachteten Hypothesen wird für die Vergleichsspannungshypothese nach Lüpfert eine geringere Streuung bei weiterhin konservativem Mittelwert berechnet. Ein Mischkonzept basierend auf NH und GEH unter Annahme eines eher duktilen Materialverhaltens scheint sich demnach auf Grundlage der Datenbasis auch für einsatzgehärtete Randschichten zu eignen. In Tab. 3 sind umfänglichere Ergebnisse für verschiedene Wechselfestigkeitsverhältnisse differenziert für Normal- und Schubspannungszustände zusammengestellt. Die Ergebnisse mit den jeweils geringsten Variationskoeffizienten bei gleichzeitig konservativem Mittelwert werden hervorgehoben.

Tab. 3 Mittelwerte und Variationskoeffizienten der errechneten Sicherheit SD für alle untersuchten Hypothesen bei angenommenen Wechselfestigkeitsverhältnissen

Bei differenzierter Auswertung der vorliegenden Versuchsdaten ist die geringere Streuung der NH für Normalspannungszustände im Kerbgrund auch im Vergleich mit den Mischhypothesen festzustellen. Die Konzepte nach El-Magd und Lüpfert weisen unter Annahme zunehmend spröderem Verhaltens eine steigende Treffsicherheit bei Normalspannungszuständen im Kerbgrund auf. Für Schubspannungszustände ist eine Verringerung des Sicherheitsmittelwertes der Mischhypothesen bei zunehmend duktiler angenommenem Verhalten zu beobachten. Für \(\tau _{W}/\sigma _{W}=1/\sqrt{3}\) entsprechen die Ergebnisse nach Lüpfert und MMMH der GEH, mit der die Sicherheit konservativ und mit einer geringen Streuung abgeschätzt wird. Bei Berücksichtigung aller Versuchsdaten ergeben sich die Mittelwerte und Standardabweichungen der errechneten Sicherheit SD für die Mischhypothesen in Abb. 7.

Abb. 7
figure 7

Mittelwerte und Standardabweichungen der errechneten Sicherheit SD für die Mischhypothesen bei verschiedenen Wechselfestigkeitsverhältnissen

Für die Grenzfälle, in denen die Mischhypothesen einer der klassischen Hypothesen entsprechen ist diese im entsprechenden Balken vermerkt. Für das Wechselfestigkeitsverhältnis von \(\tau _{W}/\sigma _{W}=1/2\) ist die Hypothese nach Lüpfert nicht definiert, weshalb der betreffende Balken entfällt. In Tab. 4 sind die dem Diagramm zugrundeliegenden Zahlenwerte aufgeführt.

Tab. 4 Mittelwerte und Standardabweichungen der errechneten Sicherheit SD für die Mischhypothesen bei verschiedenen Wechselfestigkeitsverhältnissen

4 Zusammenfassung

In der Studie wird auf Grundlage von Literaturdaten sechs Vergleichsspannungshypothesen auf ihre Eignung für einsatzgehärtete Randschichten untersucht. Neben den klassischen Hypothesen werden auch differenzierte Konzepte betrachtet, welche das Verhältnis der Zug-Druck- zur Schubwechselfestigkeit explizit einbeziehen. Der untersuchte Datensatz von 47 Versuchsreihen umfasst neben den ermittelten Dauerfestigkeiten auch die spezifischen Eigenschaften der wärmbehandelten Oberfläche, wie z. B. die Härte und die Eigenspannungen. Die Bewertung der Festigkeitshypothesen erfolgt im Rahmen des vorgestellten Berechnungskonzeptes, das die Einflüsse des Einsatzhärtens auf die Tragfähigkeit mittels existierender Ansätze berücksichtigt.

Die Auswertung zeigt, dass die Normalspannungshypothese lediglich für normalspannungsdominierte Beanspruchungszustände die Sicherheit mit einem konservativen Mittelwert und geringer Streuung abschätzt. Werden alle Versuchsreihen einbezogen, so ist die Verwendung der NH mit einer leichten Überschätzung der Sicherheit bei deutlich erhöhter Streuung verbunden. Die Abweichungen sind mit der Unterschätzung der Schubspannungskomponenten bei Annahme eines ideal spröden Werkstoffverhaltens zu erklären. Die Ergebnisse der Gestaltänderungsenergiehypothese und Schubspannungshypothese zeigen hingegen eine konservative Abschätzung mit einer Unterschätzung der Sicherheit von maximal zehn Prozent bei deutlich verringerten Variationskoeffizienten.

Die Bewertung der Mischhypothesen erfolgt unter Variation des Wechselfestigkeitsverhältnisses. Die betrachteten Hypothesen nach El-Magd, Lüpfert und Mertens liefern grundsätzlich ähnliche Ergebnisse. Die Streuungen der berechneten Sicherheiten sind für ein Wechselfestigkeitsverhältnis von \(\tau _{W}/\sigma _{W}=1/1{,}5\) minimal und steigen sowohl in Richtung ideal sprödem (\(\tau _{W}/\sigma _{W}=1\)) als auch ideal duktilem Verhalten (\(\tau _{W}/\sigma _{W}=1/2)\) an. Anhand der Ergebnisse kann gefolgert werden, dass das allgemein angenommene Wechselfestigkeitsverhältnis für harte Randschichten von \(\tau _{W}/\sigma _{W}=1\) zunächst eine treffende Abschätzung der Sicherheit erlaubt. Für Schubspannungszustände im Kerbgrund geht die Annahme von sprödem Verhalten jedoch mit einer deutlichen Überschätzung der Sicherheit einher. Da nur acht der 47 Versuchsreihen schubspannungsbehaftet sind, haben diese jedoch eine geringere Wichtung in der statistischen Auswertung. Es liegt demnach nahe, dass ein ausgewogener Datensatz die Treffsicherheit der NH weiter schwächen würde.

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen den Bedarf an weiteren Studien, welche eine experimentelle Grundlage für die Abschätzung des für gehärtete Bauteile zutreffenden Materialverhaltens schaffen. Dazu zählt vorrangig die Bestimmung der Wechselfestigkeitskennwerte für sowohl Schub- als auch Normalbeanspruchung.