Als vor mehr als 15 Jahren eine neue Richtlinie zur Behandlung des Bauchaortenaneurysmas durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erlassen wurde, war den Interessierten und Beteiligten bereits klar, dass hierdurch nicht ausschließlich die Verbesserung der Behandlungsqualität erreicht werden sollte, sondern auch eine Zentralisierung und Lenkung von Patientenströmen mit weitreichenden Implikationen für die gefäßchirurgische Weiterbildung eingeleitet wurde [1]. Schon damals sprach man von einer „erheblichen Steigerung der interventionellen Expertise“ [1]. Und das, obwohl im Jahr 2008 die Rate an endovaskulären Behandlungen mittels Stentprothesen (EVAR) noch moderate 40 % betrug [2]. Heute sieht die Versorgungsrealität ganz anders aus. Etwa 70 bis 80 % aller elektiven Behandlungen von Bauchaortenaneurysmen werden mit zunehmender Tendenz endovaskulär durchgeführt [3,4,5]. Dieser rasante Wandel der Versorgungsrealität und die Verbreitung endovaskulärer Techniken und Medizinproduktinnovationen in der Behandlung abdomineller Aortenaneurysmen haben auch zu einer niedrigeren Krankenhaussterblichkeit geführt. Und heutzutage findet die Implantation von Stentprothesen bei der Behandlung des Bauchaortenaneurysmas überwiegend perkutan statt [6].

Die Implantation von Stentprothesen erfolgt heute bei einem Bauchaortenaneurysma überwiegend perkutan

Das alles hat direkte und indirekte Auswirkungen auf die postoperativen Komplikationen, die vor 15 Jahren noch deutlich häufiger mit einem periduralen Schmerzkatheter assoziierte und Operations-assoziierte Blutungen sowie klemmbedingte kardiale und respiratorische Komplikationen mit längeren Nachbeatmungszeiten einschlossen.

Bereits 2008 zeichnete sich allerdings auch ab, dass die Prävalenz dieser Erkrankung nach einem jahrelangen Plateau im freien Fall war [7]. Neben den überraschenden Daten aus populationsbasierten Screeningprogrammen in Schweden [8] stehen nun auch erstmals repräsentative Daten aus Deutschland zur Verfügung, die eine Gesamtprävalenz des Bauchaortenaneurysmas bei im Median 63-jährigen Männern von nur noch 1,2 % belegen [9]. In den Veröffentlichungen und Kongressvorträgen aus jener Zeit wurden dagegen noch Prävalenzen aus historischen Screeningstudien von 4 bis 8 % beschrieben. Die über viele Jahre kontrovers diskutierten Erwägungen zur Einführung eines Ultraschallscreenings, die letztlich 2017 in einer weiteren Richtlinie des G‑BA mündeten, implizieren die nachvollziehbaren Bestrebungen, diese kleiner werdende Risikopopulation systematisch zu identifizieren und einer evidenzbasierten Abklärung und Behandlung zuzuführen. In letzter Instanz sollte hierdurch die Gesamtsterblichkeit gesenkt werden, obwohl die niedrigen Prävalenzen heutzutage eine sehr viel höhere Anzahl an Screeninguntersuchungen erfordern, um ein behandlungsbedürftiges Aneurysma zu erkennen.

Die Komplexität und zahlreichen Partialinteressen zu dem Thema der Leistungszentrierung zeigen sich auch darin, dass bis heute kein Konsens zu Mindestmengen gefunden wurde. Die Leitlinien der Society for Vascular Surgery (SVS) in den USA empfehlen demnach eine verfahrensspezifische Mindestmenge von 10 offen-chirurgischen Rohr- oder Y‑Prothesen bzw. 10 EVARs [10], während die European Society for Vascular Surgery (ESVS) eine verfahrensunabhängige Mindestmenge von 20 Eingriffen jedweder Art empfiehlt [11]. Starke Level-I-Empfehlungen auf dem Boden hochwertiger vergleichender Evidenz existieren allerdings nicht. In einer aktuellen Analyse mit Registerdaten der Vascular Quality Initiative (VQI) wurden diese beiden unterschiedlichen Mindestmengen für das offen-chirurgische Verfahren (10 offen-chirurgische Prozeduren vs. 20 Prozeduren jeder Art) in den USA eingehender untersucht. In der Analyse von insgesamt 8761 Operationen an 193 Zentren in den USA (die mediane Fallzahl pro Jahr lag bei nur 7) betrug der absolute Sterblichkeitsunterschied zwischen den High-Volume- vs. Low-Volume-Zentren nur 0,3 % ohne statistisch signifikante Unterschiede [12]. Die mittlerweile flächendeckend verfügbare und unermüdlich analysierte empirische Datenbasis aus großen internationalen Registern belegt eindeutig und übereinstimmend, dass eine statistisch signifikante Assoziation zwischen dem Fallvolumen und kurzfristigen Behandlungsergebnis ausschließlich bei offen-chirurgischem Aortenersatz, nicht aber bei EVAR nachgewiesen werden konnte [5]. Einen ähnlichen Trend konnte man übrigens auch in Sekundärdatenanalysen zur deutschlandweiten Notfallversorgung der Aortenruptur nachweisen. Demnach war in Propensity Score gematchten Vergleichen eine höhere Krankenhaussterblichkeit am Wochenende vs. Werktagen nur in der Subgruppe der offen-chirurgischen Eingriffe erkennbar, während es bei EVAR keine statistisch signifikanten Unterschiede gab und das Ergebnis vergleichbar war [13].

Neben den Empfehlungen der Expertenkommission zur Krankenhausreform, in der das Bauchaortenaneurysma als eigene Leistungsgruppe eingeführt wurde [14], führt aktuell eine weitere Thematik die Fachdiskussionen an und illustriert, wie wichtig eine gut vernetzte und starke wissenschaftliche Fachgesellschaft für unser Fach ist.

Die Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung für die stationäre Versorgung bei der Indikation Bauchaortenaneurysma (QBAA-RL) beinhaltet neben zahlreichen sinnvollen Vorgaben zur Sicherung der Struktur- und Prozessqualität auch Vorgaben zur Qualifikation von Pflegepersonen auf der Intensivstation der Einrichtung.

Demnach müssen 50 % der Mitarbeiter:innen des Pflegedienstes und in jeder Schicht mindestens eine Pflegeperson eine Fachweiterbildung im Bereich Intensivpflege und Anästhesie gemäß der Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) absolviert haben. Diese Quote erscheint auf den ersten Blick außergewöhnlich hoch, insbesondere da beispielsweise in der Richtlinie zu minimalinvasiven Herzklappeninterventionen nur 25 % fachweitergebildete Pflegepersonen gefordert wurden. Bei der entsprechenden Richtlinie für Perinatalzentren werden 40 % der Vollzeitequivalente der neonatologischen Intensivstationen (Level‑1 Zentren) gefordert. Auch auf den zweiten Blick wird nicht offensichtlich, aufgrund welcher Evidenzbasis diese Mindestquote bei der Erstellung der Richtlinie im Jahr 2008 festgelegt wurde.

Die umfangreiche Suche nach entsprechender Literatur, insbesondere mit Bezug auf die Behandlung des Bauchaortenaneurysmas, blieb bisher ergebnislos.

In einer nicht repräsentativen Umfrage unter Mitgliedern des VASCUNET Komitee der ESVS und des International Consortium of Vascular Registries (ICVR), die im Juli 2023 durchgeführt wurde, ergab sich ein bestätigendes Lagebild: Entsprechende Evidenz oder verbindliche nationale Vorgaben bei der Behandlung des Bauchaortenaneurysmas existierten nach Meinung der Expert:innen nicht. Allerdings verwiesen die Befragten in der Schweiz, England und Neuseeland auf übergeordnete Regelwerke für Intensivstationen, die auch in den aktuellen Diskussionen der G‑BA-Richtlinie und den Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) aus dem Jahr 2022 zitiert wurden [15]. Gemäß den Empfehlungen der DIVI sollen demnach in allen drei Stufen der intensivmedizinischen Versorgung in Deutschland (Basis, erweitert, umfassend) mindestens 30 % der Pflegepersonen entsprechend weitergebildet sein. In den Einrichtungen mit erweiterter sowie umfassender Intensivmedizin sollen zudem Förderprogramme eingeführt werden, um perspektivisch eine Quote in Höhe von mindestens 50 % zu erreichen. Begründet wird diese Forderung mit dem nachvollziehbaren Argument, dass „spezielle intensivmedizinische Qualifikationen“ erforderlich seien. Die Autor:innen der Empfehlungen führen dabei allerdings auch an, dass die Höhe der Quote wissenschaftlich nicht eindeutig bestimmbar und dass eine höhere Fachweiterbildungsquote für die Krankenhäuser „aktuell nicht zeitnah umsetzbar“ sei [15].

Auch bei einer genaueren Lektüre des Hintergrundtextes erscheint diese starke und generelle Empfehlung der DIVI auf Basis einer Expertenmeinung ohne spezifische empirische Datenbasis generiert worden zu sein. Die Autor:innen verweisen dabei lediglich auf ein internationales Konsensusdokument aus dem Jahr 2011 zu strukturellen und organisatorischen Anforderungen für Intensivstationen [16], in dem die Forderung nach entsprechend formal geschulten Pflegepersonen auf Intensivstationen zur Sicherstellung der Mindestkompetenzen mit zwei Originalartikeln belegt wird. In einem dieser beiden zitierten Artikel wurden demnach fast 700 Pflegepersonen auf 34 Intensivstationen in den USA befragt, um die Unterschiede bei der Wahrnehmung der Arbeitsumgebung in unterschiedlichen Arten von Intensivstationen zu untersuchen. Die Autor:innen schlussfolgerten, dass intensivstationäre Strukturen den Pflegeprozess und zwischenmenschliche Verbindungen förderten, was zu einer höheren Zufriedenheit bei den Pflegepersonen führen würde [17]. In der zweiten Umfragestudie mit knapp 300 Pflegepersonen auf 17 Intensivstationen in Wisconsin, USA, wurden Leistungshindernisse im Arbeitsalltag untersucht. Zu den meistgenannten Problemen zählten demnach Geräusche und Hektik am Arbeitsplatz sowie familiärer Stress [18]. Konkrete bzw. spezifische Hinweise für Fachweiterbildungsquoten finden sich nicht.

Die aktuellen Strukturempfehlungen der DIVI erwähnen außerdem die Regelwerke in der Schweiz, England und Neuseeland, in denen allgemeine Vorgaben für Intensivstationen gelten. In der Schweiz wurden bereits im Jahr 2015 Richtlinien für die Zertifizierung von Intensivstationen erlassen, die 2022 zuletzt überarbeitet wurden. Demnach soll mindestens ein Drittel der dort tätigen Pflegepersonen über einen abgeschlossenen Nachdiplomstudiengang höhere Fachschule „Experte in Intensivpflege NDS HF“ oder eine gleichwertige Ausbildung verfügen. Die Anerkennung der Gleichwertigkeit erfolgt dort durch die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) [19]. In England wurden durch die Leitlinien der Intensive Care Society entsprechende Vorgaben für die kritischen Level 2 und 3 der Intensivmedizin eingeführt. Auf der Grundlage von Expertenmeinungen wurde neben dem international überwiegend einheitlichen Pflegeschlüssel (1:1 bei Level 3, 1:2 bei Level 2) eine Mindestquote von 50 % an ausgebildeten Pflegepersonen mit einer akademischen Weiterbildung „Critical Care Nursing“ empfohlen [20]. In Neuseeland hat der Pflegeverband Standards empfohlen, wonach mindestens 50 % der Pflegepersonen ausgebildete „Critical Care Nurses“ sein müssen. Für den Fall, dass diese Mindestquote in Intensivstationen nicht erreicht werde, fordert der Pflegeverband zusätzliche personelle Ressourcen [21].

Ob die in diesen Ländern etablierten und generell für die fachübergreifende Intensivmedizin geltenden Mindestquoten auf die Situation in Deutschland übertragbar sind, lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. Die Verfügbarkeit und der Einsatz von Personal, Zertifizierungen, Aus- und Weiterbildungssysteme und die Akzeptanz von durch Fachgesellschaften organisierten Fortbildungen sind international unterschiedlich. Interessanterweise beträgt die Anzahl der Intensivstationen in Deutschland etwa 1300, während in der Schweiz nur ca. 70 Spitäler intensivstationäre Leistungen melden und in England etwa 300 Stationen bzw. Intensivnetzwerke entsprechende Leistungen vorhalten. Bei einem populationsbasierten Vergleich der Intensivbettenanzahl pro 100.000 Einwohner liegt Deutschland mit ca. 34 Betten deutlich über dem Durchschnitt der OECD-Länder, während die Schweiz (12 Betten), England (11 Betten) und Neuseeland (4 Betten) darunter liegen [22].

Fasst man nun alle vorliegenden Erwägungsgründe und Argumente kritisch zusammen, wurde bereits 2008 auf Basis einer Expertenmeinung und dabei eher arbiträr eine vergleichsweise hohe Mindestquote in die Richtlinie eingeführt, die auch heute unter Fachleuten für Intensivmedizin als „nicht zeitnah umsetzbar“ gilt. Gleichzeitig gibt es allerdings keine einzige auf empirischen Daten basierende Studie, die den Vorteil höherer Fachweiterbildungsquoten bei der Behandlung von Aortenerkrankungen belegen würde. Verfügbare Erfahrungen bzw. Regularien aus anderen Ländern gelten dort unspezifisch und generell für alle intensivmedizinischen Leistungsbereiche, wobei deren Gesundheitssysteme im Vergleich zu Deutschland deutlich zentralisierter organisiert sind und die Zahl der Intensivbetten pro 100.000 Einwohner unter dem OECD-Durchschnitt liegt.

Die im Vergleich zu 2008 veränderte Versorgungsrealität beim infrarenalen Aortenaneurysma mit einer überwiegend perkutan interventionell behandelten Patientenpopulation unterstreicht, wie dringend notwendig ein wissenschaftlich fundierter Diskurs ist. Dabei ist eine unterschiedliche Betrachtung der offen-chirurgisch vs. endovaskulär behandelten Patient:innen, wie bereits bei der Fallvolumen-Outcome-Diskussion, wieder von Bedeutung: Nur etwa 60 % der mittels EVAR behandelten Patient:innen im Qualitätssicherungsregister des Deutschen Instituts für Gefäßmedizinische Gesundheitsforschung (DIGG) der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) werden postinterventionell überhaupt auf eine Intensiv- oder Überwachungsstation verlegt. Mehr noch: Dass eine perkutane arterielle Punktion im Rahmen einer Gefäßintervention in der Beurteilung des Gesetzgebers heutzutage kein unumstößlicher Grund mehr für eine stationäre Behandlung ist, zeigt sich ganz aktuell bei den Diskussionen um eine stärkere Ambulantisierung von Krankenhausleistungen.

Mit dem Qualitätssicherungsregister zur Versorgung des Bauchaortenaneurysmas beim DIGG hält die DGG eine wertvolle Datenquelle bereit, die in der aktuellen Diskussion hilfreich sein kann [23].

Wichtig ist jetzt der fachgesellschaftsübergreifende Dialog unter Einbeziehung aller Perspektiven und Argumente. Dabei sollte die Ergebnisqualität der Behandlung und damit das Wohl unserer Patient:innen im Mittelpunkt stehen. Es gilt, einen vernünftigen und realistisch umsetzbaren Konsens zu finden. Im nächsten Schritt, also wenn die klinische Effektivität durch Evaluation der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit einer ausreichenden Maßnahme festgestellt worden ist, steht nach dem Sozialgesetzbuch (SGB V) auch eine Wirtschaftlichkeitsberücksichtigung an. Diese Beurteilung der ökonomischen Effizienz ist, wenn überhaupt möglich, allerdings hochkomplex. Wenn dieser Aspekt allerdings in einem der modernsten, innovativsten und teuersten Gesundheitssysteme der Welt nicht berücksichtigt wird: Wo sonst?