Einleitung

Die Schizophrenie ist eine schwere psychiatrische Störung, die in charakteristischer Weise in ihrem Verlauf [1, 2] mit Positivsymptomen [3, 4], Negativsymptomen [4,5,6,7,8] und kognitiven Beeinträchtigungen [9,10,11] einhergeht. Die schizophrene Symptomatik hat erhebliche Auswirkungen auf das Suizidrisiko und die Mortalität [12], die Arbeitsfähigkeit [13, 14] und die Lebensqualität [15] der betroffenen Personen. Durch die Fortschritte in der Pharmakologie seit den 1950er-Jahren bis heute ist es möglich geworden, die Erkrankung in wesentlicher Weise günstig zu beeinflussen: Antipsychotika können vor allem die Positivsymptome [16, 17] sowie die Agitation in der akuten Psychose [18, 19] deutlich verbessern.

In den letzten Jahren hat das Thema der kognitiven Beeinträchtigung bei Schizophrenie (Cognitive impairment associated with schizophrenia [CIAS]) zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ziel dieses Artikels ist es, einen Überblick über die neuesten Entwicklungen im Bereich der Diagnostik und Therapie zu geben.

CIAS: Definition – Dimensionen der Kognition – Verlauf

Menschen, die diagnostisch die Kriterien für eine Schizophrenie erfüllen, zeigen im Verlauf ihrer Erkrankung unterschiedliche und wechselnde Symptome aus mehreren Symptomgruppen; das DSM‑5 [1] nennt unter anderem Positivsymptome (wie Wahnideen und Halluzinationen), Negativsymptome (wie Affektstarre, sozialer Rückzug), affektive Symptome (wie Dysphorie und Depression) und kognitive Störungen. Alle diese Symptomgruppen tragen zur Beeinträchtigung der psychosozialen Funktionsfähigkeit bei.

Die Verfügbarkeit therapeutischer Strategien hat die Behandlungsziele in den letzten Jahrzehnten wesentlich beeinflusst [20]: Standen mit der Entwicklung der Antipsychotika ab den 1950er-Jahren zunächst Agitation, Fremd- und Selbstgefährdung, Positivsymptome sowie psychotische Rückfälle im Vordergrund, so rücken mit der Entwicklung von Antipsychotika der zweiten Generation seit den 1990er-Jahren zunehmend die Reduktion unerwünschter Arzneimittelwirkungen – insbesondere extrapyramidal-motorischer Symptome – [21, 22], die Vermeidung sekundärer Negativsymptome sowie die Aspekte der kognitiven Beeinträchtigung, des funktionellen Ergebnisses und der Lebensqualität in den Vordergrund. Nicht zuletzt lassen die Entwicklungen in Forschung und Praxis hoffen, dass Schizophreniekranke im Sinne einer Präzisionsmedizin von zielgerichteten, personalisierten Therapien profitieren können [23].

Bezüglich der CIAS stellt das DSM‑5 [1] fest: „Kognitive Defizite sind bei Schizophrenie häufig und stark mit Beeinträchtigungen der beruflichen und sonstigen Funktionsfähigkeit verbunden“. Als Domänen der Kognition werden unter anderem genannt: deklaratives Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis, Sprach- und Exekutivfunktionen, Verarbeitung von Sinneseindrücken, Aufmerksamkeit und soziale Kognitionen (die Fähigkeit, Intentionen anderer zu erkennen). Eine Besonderheit der CIAS ist laut DSM‑5, dass sie auch während der symptomatischen Remission bestehen bleiben.

Eine CIAS kann sich früh im Krankheitsverlauf manifestieren

Eine CIAS kann sich früh im Krankheitsverlauf manifestieren [24], bereits vor den ersten typischen Symptomen einer beginnenden Schizophrenie [25] und in der – noch unspezifischen – Ultra-high-risk-Phase [26, 27]. Mit zunehmendem Alter kann die Kognition sowohl bei Schizophrenen als auch bei anderen Menschen durch körperliche Faktoren (u. a. Rauchen, Hyperglykämie, Übergewicht) beeinträchtigt werden.

Kognitive Beeinträchtigungen können zwar in der Schizophrenie besonders stark ausgeprägt sein, sie sind aber nicht pathognomonisch. Kognitive Störungen in unterschiedlichen Domänen können bei vielen psychiatrischen Störungen auftreten [28]: so bei der depressiven Störung [29], der bipolaren Störung [30], bei Autismus und der Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung, der Zwangsstörung [31], Angststörungen [32], der posttraumatischen Belastungsstörung und den organischen Störungen wie Alzheimer- und Parkinson-Erkrankung. Bei all diesen Störungen kann die kognitive Dysfunktion zu jeweils deutlichen Beeinträchtigungen des funktionellen Ergebnisses führen.

In einer großen Studie, in der Schizophrene mit Bipolaren verglichen wurden [33], zeigte sich, dass die soziale und die non-soziale Kognition in beiden Gruppen beeinträchtigt war und dass Schizophrene generell schwerer betroffen waren; auffällig war, dass die Bipolaren in der sozialen Kognition verhältnismäßig gut abschnitten, während die Schizophrenen besonders schwere Defizite aufwiesen, etwa in den Bereichen „Erkennen von Gesichtsausdrücken“ (z-Score −2,0) und „Sarkasmus“ (z-Score −2,5). Dies deutet darauf hin, dass gezielte Maßnahmen wie die Diagnostik und Therapie des Erkennens von Gesichtsausdrücken bedeutsam sein können [34, 35].

Fasst man die Daten zu CIAS zusammen, kann man feststellen, dass die folgenden 7 kognitiven Domänen bei Schizophrenen besonders betroffen sein können [36]: logisches Denken und Problemlösen, Verarbeitungsgeschwindigkeit, visuelles Lernen und Gedächtnis, verbales Lernen und Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit und Vigilanz sowie soziale Kognition.

CIAS und funktionelles Ergebnis

CIAS hat einen sehr hohen Anteil an der Einschränkung der Funktionalität im Alltag [37] und beeinflusst verschiedene Bereiche wie unabhängige Lebensführung, tägliche Aktivitäten, soziales Funktionieren, Arbeit [13, 14], Therapieadhärenz [38] und Beziehungen.

Die CIAS ist in dieser Beeinflussung des funktionellen Ergebnisses in spezifischer Weise mit anderen Faktoren, insbesondere den Negativsymptomen und den depressiven Symptomen, verknüpft [39]. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, insbesondere die Negativsymptome adäquat – entsprechend ihrer aktuellen Definition – zu erfassen [40, 41], um ihre Auswirkungen von denen der CIAS unterscheiden zu können. Dies ist insbesondere deshalb von praktischer Bedeutung, da Negativsymptome pharmakologisch beeinflusst werden können (und vergleichbare Daten für CIAS – noch – nicht vorliegen): In einer randomisierten Doppelblindstudie wurden Personen, die seit mindestens 2 Jahren an einer Schizophrenie erkrankt waren und eine überwiegende Negativsymptomatik aufwiesen, mit Cariprazin vs. Risperidon behandelt. Beide Substanzen verbesserten die Negativsymptomatik nach 26 Wochen signifikant. Die Verbesserung unter Cariprazin war signifikant stärker als unter Risperidon (p = 0,0022, Effektstärke 0,31) ([42], siehe auch:[43] und [44]).

Eine aktuelle Darstellung von Negativsymptomen und sozialer Kognition als Mediatoren der Beziehung zwischen Neurokognition und funktionellem Outcome bei Schizophrenie findet sich bei Giordano et al. [45]: Die Ergebnisse der multizentrischen Studie deuten darauf hin, dass die Wege zu funktionellem Outcome spezifisch für verschiedene Funktionsbereiche des realen Lebens sind und dass Negativsymptome und soziale Kognition die Auswirkungen neurokognitiver Defizite auf verschiedene Funktionsbereiche vermitteln. Die Ergebnisse legen außerdem nahe, dass sowohl motivationale Defizite als auch die soziale Kognition durch psychosoziale Interventionen adressiert werden sollten, um die funktionellen Auswirkungen der neurokognitiven Rehabilitation zu verbessern.

Diagnostik der CIAS

Bei der Diagnostik der CIAS ist zu unterscheiden zwischen der umfassenden Darstellung der CIAS mit allen Domänen einschließlich einer differenzierten Erfassung der sozialen Kognition (wie sie etwa für Forschungszwecke notwendig sein kann) und dem raschen Erfassen und Screenen der CIAS im Alltag (sowohl im ambulanten wie im stationären Setting).

Für die umfassende Darstellung der CIAS (siehe auch [10]) wird die MATRICS Consensus Cognitive Battery (MCCB; MATRICS steht für Measurement and Treatment Research to Improve Cognition in Schizophrenia) verwendet [36, 46,47,48].Die MCCB umfasst die Domänen Aufmerksamkeit, Informationsverarbeitung, kognitive Flexibilität/Problemlösefähigkeit, verbales Lernen und Gedächtnis, visuelles Lernen und Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis sowie soziale Kognitionen.

Für das standardisierte Erfassen und die Dokumentation psychopathologischer Befunde kann das AMDP(Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie)-System verwendet werden [49, 50]. Mittels AMDP können die Items Auffassungsstörungen, Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen und Gedächtnisstörungen erfasst werden.

Für die spezifische Erfassung kognitiver Defizite bei Schizophrenie wurde das Brief Assessment of Cognition in Schizophrenia (BACS) entwickelt [51]. Dieses Instrument liegt in deutscher Übersetzung und Validierung vor [52].

Die Kognition kann rasch und zuverlässig erfasst werden

Ein Erfassungsinstrument für kognitive Störungen, das unabhängig von der diagnostischen Einordnung der Testperson angewendet werden kann und etwa 15 min in der Anwendung in Anspruch nimmt, ist der Screen for Cognitive Impairment in Psychiatry (SCIP) [53]. Der Test wurde in deutscher Sprache (SCIP-G) validiert [54] und untersucht verbales Lernen, das Arbeitsgedächtnis, verbales Lernen – verzögert, verbale Wortflüssigkeit sowie die Informationsverarbeitung. Eine Dimensionalitätsanalyse des SCIP‑G führten Sachs et al. durch [55]. Eine zweifaktorielle Lösung, bei der die Untertests „verbales Lernen“, „Arbeitsgedächtnis“, „verbales Lernen – verzögert“ auf den ersten Faktor geladen wurden, während die Untertests „verbale Wortflüssigkeit“ und „Informationsverarbeitung“ auf den zweiten Faktor geladen wurden, ergab eine gute Modellanpassung (χ2 = 6,7, df = 3, p = 0,08, χ2/df = 2,2).

In einer Untersuchung an Patient:innen einer psychiatrischen Abteilung der regionalen Akutversorgung [56] konnte gezeigt werden, dass der SCIP‑G in der Erfassung kognitiver Dysfunktionen praktikabel ist; sowohl bei Schizophrenen als auch bei Bipolaren und Depressiven zeigten sich Defizite im Vergleich zu den Normwerten, die sich im Verlauf durch die Behandlung (einschließlich kognitiver Remediation) besserten.

Pharmakotherapie der CIAS

In der Therapie der CIAS sollten pharmakologische und nichtpharmakologische Elemente kombiniert werden.

Wichtig erscheint die Wahl eines Antipsychotikums, das keine unerwünschten Arzneiwirkungen vermittelt. Im Verlauf ist es von Bedeutung, Rückfälle und Absetzeffekte zu vermeiden [57]. Add-on-Strategien mit unterschiedlichem pharmakologischen Profil wurden in den letzten Jahren intensiv untersucht, eine klinische Zulassung für die Pharmakotherapie der CIAS konnte bisher nicht erreicht werden.

Eine Metaanalyse randomisierter klinischer Studien untersuchte die Wirkung von Antipsychotika der zweiten Generation auf die Kognition bei Schizophrenie [58]: Die Studie konnte einige Tendenzen in den analysierten Daten erkennen, zeigte aber kein Medikament mit einem einheitlichen positiven kognitiven Profil.

In der bereits beschriebenen Studie zu Cariprazin vs. Risperidon bei Negativsymptomen wurden kognitive Symptome post hoc analysiert [59]: In Woche 26 waren die Unterschiede in der mittleren Veränderung gegenüber dem Ausgangswert statistisch signifikant zugunsten von Cariprazin im Vergleich zu Risperidon, gemessen mit der Meltzer Cognitive Subskala (−3,13 vs. −2,60; p = 0,028). Gezielte Untersuchungen zur Beeinflussung der CIAS durch moderne Antipsychotika sind wünschenswert [60].

Neben der Auswahl eines bezüglich CIAS günstigen Antipsychotikums wäre es wünschenswert, CIAS gezielt medikamentös zu beeinflussen. Als kognitive „Enhancer“ wurden Substanzen mit unterschiedlichem Wirkprofil untersucht: Neben dem D1-Rezeptor im präfrontalen Kortex erscheinen u. a. das glutamaterge System (ionotrope Rezeptoren: AMPA, Kainat, NMDA; metabotrope Rezeptoren: mGluR1‑8; Glycin-Reuptake) und das acetylcholinerge System (u. a. alpha-7-Nikotin-Rezeptor) besonders vielversprechend [61, 62].

Iclepertin ist ein selektiver Inhibitor des Glycintransporters 1(GlyT1). Eine Phase-II-Studie hat gezeigt, dass Iclepertin bei Schizophrenen sicher ist und die Kognition in Dosierungen von 10 und 25 mg verbessert. Derzeit laufen Phase-III-Studien, um diese ersten positiven Sicherheits- und Wirksamkeitsergebnisse mit der 10-mg-Dosis zu bestätigen [63].

Nichtpharmakologische Therapie der CIAS

Neurobiologische Effekte der kognitiven Remediation [64] lassen sich bereits in einem sehr frühen Stadium der Schizophrenie nachweisen [65], was für ein frühzeitiges Angebot der kognitiven Remediation sprechen kann [66].

Kognitive Remediation ist wirksam

Die klinische Wirksamkeit der kognitiven Remediation wurde metaanalytisch untersucht und zeigt moderate Effekte auf die Kognition und das funktionelle Ergebnis [67,68,69]. Der Leitfaden der European Psychiatric Association (EPA) zur Behandlung von CIAS [11] empfiehlt die Durchführung kognitiver Remediation, bei Defiziten der sozialen Kognition auch ein spezifisches Training der sozialen Kognition; Maßnahmen zur kognitiven Verbesserung sollten von geschulten Therapeut:innen angeboten und in ein psychosoziales Rehabilitationsprogramm integriert werden.

Fazit für die Praxis

  • Kognitive Beeinträchtigungen bei Schizophrenie wirken sich auf fast alle Lebensbereiche aus und sind ein Ziel für weitere Forschung.

  • Die Kognition kann in der klinischen Praxis mit gut untersuchten Instrumenten rasch und zuverlässig erfasst werden.

  • In der Therapie der kognitiven Beeinträchtigung in Zusammenhang mit Schizophrenie (CIAS) sollten pharmakologische und nichtpharmakologische Elemente routinemäßig kombiniert werden.

  • Kognitive Remediation kann die Kognition und die Funktionsfähigkeit verbessern.

  • Neue Strategien und Mechanismen zur Behandlung von CIAS sind wünschenswert.