Seit 2023 ist ein langwirksamer monoklonaler RSV(Respiratory Syncytial Virus)-Antikörper (Nirsevimab) in der EU zugelassen. Mit der Gabe dieses RSV-Antikörpers ist eine 75–80 %ige Effektivität zur Reduktion schwerer RSV-Infektionen mit oder ohne Hospitalisierung möglich. Ein Expertinnenkreis der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) befasste sich mit der Thematik und gibt folgende Stellungnahme und Empfehlung ab:

Grundlage sind 1. die Daten zur RSV-Epidemiologie der letzten Jahre und die Erkenntnisse der letzten beiden RSV-Saisonen mit einem Ansturm der RSV-Fälle in den Kinderklinik-Ambulanzen und im stationären Bereich unter besonderer Berücksichtigung der gut dokumentierten Situation in Graz, 2. die in der medizinischen Literatur gut dokumentierten pulmonologischen Folgen der ersten schweren RSV-Infektion mit Post-RSV-Wheezing und klarer Abgrenzung vom klassischen kindlichen Asthma und 3. die Studiendaten zu Nirsevimab, dem langwirksamen monoklonalen Antikörper mit Einmalgabe pro Saison, sowie 4. die derzeit vorliegenden Daten zur mütterlichen RSV-Impfung in der Schwangerschaft zur Prävention schwerer RSV-Infektionen des Säuglings.

Die bisherigen österreichischen Empfehlungen zu den Risikopopulationen sind in Tab. 1 zusammengefasst [1].

Tab. 1 Risikokinder für eine schwer verlaufende RSV-Infektion, entsprechend der bisherigen österreichischen Empfehlungen für eine medikamentöse Prophylaxe. (Nach [1])

Ziel war es, eine medizinische Empfehlung zu erarbeiten. Die Kosten der entsprechenden Maßnahmen (für Eltern oder die öffentliche Hand) wurden diskutiert, sind aber nicht Inhalt dieser Stellungnahme.

Es herrschte Konsens unter den Autorinnen, dass alle Kinder in Österreich, nicht nur Risikokinder, von den neuen Präventionsmöglichkeiten einer schweren RSV-Infektion profitieren sollen.

Auf Basis epidemiologischer Studien wurde bislang in Industrienationen davon ausgegangen, dass etwa 1–2 % aller reif geborenen Säuglinge im ersten Lebensjahr aufgrund einer schweren RSV-Infektion hospitalisiert werden müssen [2]. In einer rezenten Studie zur weltweiten Erkrankungslast durch RSV wurde eine Metaanalyse mit Einschluss von 47 Studien und 17 Datenbögen mit Vergleichsgruppen von reifen Kindern sowie Frühgeborenenkohorten aus individuellen Datenbanken publiziert [3]. Die Studienautoren gehen für das Jahr 2019 von 1.650.000 akuten RSV-bedingten unteren Atemwegsinfektionen (RSV-LRTI), 533.000 RSV-assoziierten Krankenhauseinweisungen und 3050 „in-hospital“ RSV-assoziierten Todesfällen aus. Die Hospitalisierungsraten sehr unreifer Frühgeborener waren über verschiedene Altersgruppen hinweg 1,7- bis 3,9-fach höher mit immer noch doppelt so hohen Raten im Vergleich zu Reifgeborenen im 2. Lebensjahr [3]. Eine signifikante RSV-bezogene Mortalität besteht vor allem in Entwicklungsländern und ist in Industrieländern wie Österreich in der Regel auf Kinder mit Grunderkrankungen limitiert [4].

Palivizumab, der bislang einzige monoklonale Antikörper zur RSV-Prophylaxe, muss einmal monatlich für maximal fünf Monate über die RSV-Saison gegeben werden und ist nur für Risikokinder zugelassen [5, 6].

Die ersten beiden Studien zur Effektivität von Nirsevimab (Phase II/III und III – MelodyStudie), einem langwirksamen monoklonalen Antikörper, führten 2022 zur Zulassung durch die FDA und kurz darauf auch durch die EMA, nachdem eine Effizienz zur Reduktion RSV-bedingter Hospitalisierungen von 75–80 % nach einmaliger Gabe gezeigt worden war [7, 8]. Im Vergleich mit Palivizumab bewies Nirsevimab Vorteile hinsichtlich Compliance (Einmalinjektion vs. fünf monatliche Injektionen), weiter waren die Nebenwirkungen sehr gering [9] und es konnten in der nachfolgenden RSV-Saison keine antikörperabhängige Verstärkung der Infektion [10] oder schwerere Krankheitsverläufe [11] nachgewiesen werden. Dennoch sind die Effizienzdaten zur Anwendung bei Hochrisikokindern derzeit sehr limitiert [12]. In der Melody-Studie waren nur gesunde Reifgeborene und gesunde Frühgeborene ab 35 Schwangerschaftswochen inkludiert [4]. Die Medley-Studie mit Risikokindern (hämodynamisch signifikante kongenitale Herzfehler und kleine Frühgeborene mit oder ohne bronchopulmonale Dysplasie) hatte eine geringe Fallzahl, konnte aber ein zufriedenstellendes Sicherheitsprofil bei diesen Kindern nachweisen, jedoch waren in der Publikation keine Effizienzdaten inkludiert [9].

In Österreich wurde vom Nationalen Impfgremium 2023 eine erste Empfehlung abgegeben und Nirsevimab als erster monoklonaler Antikörper überhaupt in den österreichischen Impfplan aufgenommen. Die vor Kurzem publizierte Harmonie-Studie [13] hatte eine Studienpopulation von 8058 Kindern, wovon 4037 Nirsevimab erhielten. Elf Kinder in der Nirsevimab-Gruppe und 60 in der „Standard-care“-Gruppe hatten einen RSV-LRTI (0,3 % vs. 1,5 %) entsprechend einer Effizienz von 83,2 %. Bei sehr schweren RSV-LRTI lag das Verhältnis bei 0,1 % vs. 0,5 %, entsprechend einer Effizienz von 75,7 %. Bei RSV-Hospitalisierungen zeigte sich in Frankreich eine relative Risikoreduktion von 89,6 %, in Deutschland waren es 74,2 % und in Großbritannien 83,4 % [13]. Eine amerikanische Studie konnte zeigen, dass rund die Hälfte der mit RSV-LRTI und RSV-Hospitalisierungen verbundenen Kosten eingespart werden können [14]. In der ARNI-Studie (in statu publicandi) konnten in der Steiermark Kosten durch RSV-bedingte Hospitalisierungen von etwa 3,5 Mio. Euro pro RSV-Saison ermittelt werden, etwa das 10-fache wäre für Österreich anzunehmen.

Fast zeitgleich mit der Zulassung des neuen langwirksamen monoklonalen Antikörpers wurde ein neuer RSV-Prefusion-F-Protein basierter Impfstoff für Schwangere zur Prävention der schweren RSV-Infektion von Neugeborenen und Säuglingen von der European Medicines Agency zugelassen (Abrysvo©) [15, 16]. Die Datenlage zum Nebenwirkungsprofil dieses Impfstoffes ist erst an einer geringen Studienpopulation getestet worden [15]. Eine Phase-III-Studie mit einem ähnlichen RSV-Prefusion-F-Protein basierten Impfstoff musste zuletzt aufgrund einer erhöhten Rate an Frühgeburtlichkeit in der Verumgruppe vorzeitig beendet werden [17]. Derzeit ist unklar, ob Abrysvo© effektiver ist als die passive Immunisierung von Neugeborenen und Säuglingen, da es noch keine Vergleichsstudien zu Nirsevimab gibt.

Fazit

Die Vorteile von Nirsevimab gegenüber Palivizumab aufgrund der nur einmaligen Gabe für die gesamte RSV-Saison sind evident und gut dokumentiert. Limitationen für die Verwendung von Nirsevimab sind noch nicht ausreichende Daten bei Hochrisikokindern. Nirsevimab hat das Potenzial, den „burden of disease“ durch RSV-Infektionen in Österreich maßgeblich zu reduzieren. Es wäre damit möglich, nicht nur Hochrisikokinder, sondern alle Kinder in der 1. RSV-Saison vor zum Teil schweren Krankheitsverläufen und dem Risiko einer RSV-bedingten Hospitalisierung zu schützen und damit die Krankheitslast für die betroffenen Kinder und deren Eltern signifikant zu senken. Darüber hinaus könnte die Belastung für Kinderarztpraxen, Notfallambulanzen und die stationären Bereiche der Kinderkliniken und Kinderabteilungen während der RSV-Saison deutlich reduziert werden.

Daher empfiehlt die ÖGKJ eine RSV-Prophylaxe wie in Tab. 2 angeführt.

Tab. 2 Empfohlenes Vorgehen zur Nirsevimab-Prophylaxe in Österreich