Präambel

Im Rahmen eines Arbeitskreistreffens in Graz am 27. November 2018 (industrieunabhängig auf Einladung von Resch B und Berger A) von Experten, die sich seit Jahren mit dem Thema der Respiratory-Syncytial-Virus(RSV)-Prophylaxe mit Palivizumab beschäftigen, wurde das Thema in Form von Kurzreferaten von allen Seiten beleuchtet und im Detail diskutiert. Eine schriftliche Zusammenfassung wurde von allen Teilnehmer begutachtet und approbiert, anschließend erfolgte die Manuskripterstellung und nach Begutachtung und Genehmigung durch alle thematisch betroffenen Arbeitsgruppen der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ; Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin, Infektiologie, Pneumologie, Kardiologie, Neuropädiatrie und Immunologie) die finale Publikation.

Nach 10 Jahren „Österreichische Empfehlungen zur RSV-Prophylaxe mit Palivizumab“ [1] und nach der Veröffentlichung der Empfehlungen der American Academy of Pediatrics (AAP; [2]) mit umfangreichen Einschränkungen der Empfehlungen, und denen der deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin [3] war es an der Zeit, diese Empfehlungen kritisch zu beleuchten und ob ihrer Aktualität zu überprüfen. Auch zwischenzeitliche neue österreichische Studien zur RSV-Infektion waren für ein Update ausschlaggebend [4,5,6,7,8,9,10].

Waren in den Empfehlungen der AAP 2009 [11] noch alle Kinder unter 29 Wochen im 1. Lebensjahr, Kinder mit bronchopulmonaler Dysplasie (BPD) und mit hämodynamisch signifikanten angeborenen Herzfehlern (CHD) bis zum 2. Geburtstag, Frühgeborene (FG) 28–31 Wochen (und jünger als 6 Monate), und FG 32–35 Wochen mit Risikofaktoren inkludiert (5 Injektionen über die RSV-Saison, maximal 3 bei FG 32–35 Schwangerschaftswoche[SSW]), so wurden diese in den Empfehlungen 2014 [2] drastisch reduziert. In dieser rezenten Überarbeitung empfiehlt die AAP Palivizumab nur mehr für FG 28 Wochen und jünger sowie Kinder mit BPD (unter 32 Wochen) und Kinder mit CHD; und dies hauptsächlich für das 1. Lebensjahr [2].

Die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AMWF) unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie geben zu den Indikationen auch eine Risikostratifizierung mit hohem, mittlerem und niedrigem bzw. geringem Risiko an [3]. Sie empfehlen Palivizumab für Kinder mit mittelschwerer und schwerer BPD (Therapie der BPD bis mindestens 3 Monate vor Saisonbeginn) und einem Alter bis 24 Monate (hohes Risiko), bei FG mit einem Gestationsalter von ≤28 + 6 SSW im Alter von ≤6 Monaten zu Beginn der RSV-Saison (mittleres Risiko), und bei FG mit einem Gestationsalter von 29 + 0 bis 34 + 6 SSW im Alter von ≤6 Monaten zu Beginn der RSV-Saison mit mindestens 2 der folgenden Risikofaktoren:

  • Entlassung aus der neonatologischen Primärversorgung direkt vor oder während der RSV-Saison,

  • Kinderkrippenbesuch oder Geschwister in externer Kinderbetreuung,

  • schwere neurologische Grunderkrankung (mittleres Risiko).

Kinder mit hämodynamisch relevanter CHD im Alter von <6 Lebensmonaten zu Beginn der RSV-Saison haben ein hohes Risiko, diejenigen zwischen 6 und 12 Monaten ein mittleres Risiko. Patienten mit syndromalen oder neurologischen Grunderkrankungen, die durch zusätzliche Risikofaktoren wie eine chronische Lungenerkrankung, einen Herzfehler, einen schweren Immundefekt oder eine Frühgeburtlichkeit beeinträchtigt sind, sollten eine RSV-Prophylaxe mit Palivizumab erhalten (mittleres Risiko). Bei Kindern mit schwerer Immunsuppression oder schweren angeborenen Immundefekten kann eine RSV-Prophylaxe mit Palivizumab erwogen werden.

Da sowohl die österreichischen wie auch die deutschen Empfehlungen Risikofaktoren zur individuellen Empfehlung bei Kindern mit 29–35 Wochen eingeführt hatten, waren schon 2009 deutliche Abweichungen von den AAP-Empfehlungen [1, 11] zu beobachten. In einem rezenten internationalen Expertengremium wurde ein Konsensusstatement verfasst, das einen auf intensiver Literaturrecherche basierenden konträren Empfehlungsstand gegenüber den AAP-Empfehlungen 2014 darlegt und eine in die Tiefe gehende Darstellung der Nachteile für vulnerable Frühgeborene und weitere Risikogruppen beinhaltet [12]. Somit zeigen sich in den internationalen Empfehlungen gravierende Unterschiede. Hauptkritikpunkte, die zu diesen restriktiven Empfehlungen geführt haben, sind die mit Palivizumab assoziierten Kosten und der fehlende Beweis (nur eine Studie zeigt eine erhöhte Mortalitätsrate bei FG 33–35 Wochen) einer Mortalitätsreduktion durch Palivizumab [13]. Tatsache ist aber auch, dass es keine kausale Therapie für RSV-Infektionen gibt und Palivizumab bald 60 Jahre nach den ersten Impfstudien das einzige Medikament zur Verhinderung einer schweren Infektion mit Hospitalisierung ist. Prinzipiell gilt, dass Palivizumab für alle FG ≤35 SSW, Frühgeborene mit BPD und Kinder mit hämodynamisch signifikanter CHD [7, 23] über die 1. RSV-Saison in Form von fünf monatlichen Injektionen in einer Dosierung von 15 mg/kg Körpergewicht zugelassen ist. Die derzeit zur Verfügung stehende Präparation ist Synagis liquid zu 50 oder 100 mg in Durchstichfläschchen [14]. Die österreichische Expertenrunde befand ganz allgemein, dass Palivizumab auf die Hochrisikokinder mit besonderem Risiko für Hospitalisierung und eventuelle Intensivstationseinweisung und mögliche invasive oder nichtinvasive Beatmung zu beschränken sei.

Eigene Daten zeigen, dass die Rate an RSV-Hospitalisierungen bei FG 28 SSW und jünger mit 4,9 % (BPD 4,6 %) immer noch relativ hoch ist [4] und dass der RSV-Risikoscore bei den FG 29–32 SSW bei insgesamt niedrigen RSV-Hospitalisierungsraten effektiv das Risiko von 5,9 auf 3,1 % reduziert [5]. Auch die pharmaökonomischen Nachweise der Kosteneffektivität wurden mit österreichischen Daten belegt, wobei auch die Gruppe der 33–35 SSW Kinder inkludiert war [6]. Dementsprechend einigte man sich in der Expertendiskussion, den Score sowohl bei den FG 29–32 SSW als auch 33–35 SSW beizubehalten. Es wurde auch festgehalten, dass andere publizierte Scores keine höhere Treffsicherheit bei FG 33–35 SSW aufweisen [15,16,17,18,19].

Insgesamt wurde Konsens für eine Prophylaxe limitiert auf die 1. RSV-Saison gefunden. Eine Prophylaxe in der 2. Saison soll nur Einzelfällen mit schwerer therapiebedürftiger BPD gegeben werden.

Eine Zusammenfassung der neuen adaptierten, österreichischen Empfehlungen ist in Tab. 1 dargestellt; der Zusatz „NEU“ ist auf Änderungen gegenüber den Empfehlungen von 2008 bezogen. Die Tab. 2a, b zeigen die Risikoscores für FG 29–35 Wochen. Wesentliche Änderungen sind der fast komplette Wegfall einer 2. Saison für alle Indikationsgruppen, der einheitliche Prophylaxebeginn gegen Ende November, die einheitlichen Injektionsabstände und der Wegfall einer 6. Injektion. Die Risikoscores hatten schon zuvor die beiden Gruppen der FG 29–32 SSW und 33–35 SSW auf ein Hochrisikokollektiv reduziert.

Tab. 1 Zusammenfassung der Empfehlungen zur RSV-Prophylaxe mit Palivizumab
Tab. 2 Risikoscores für Frühgeborene 29–35 Schwangerschaftswochen (SSW)

Patienten mit hämodynamisch signifikanter CHD, zyanotischem Vitium und pulmonalem Hypertonus sollen in der 1. Saison eine Prophylaxe erhalten. Kinder, die während der RSV-Saison korrigierend operiert wurden, sollten für den Rest der RSV-Saison, zumindest aber 3 Monate postoperativ weiter immunisiert werden. Eine Immunisierung nach Operation an der Herz-Lungen-Maschine (HLM) ist unmittelbar danach zu initiieren (Abfall der neutralisierenden Antikörperspiegel durch die HLM unter den Cut-off-Wert von 40 µg/mL). Eine 2. Saison soll im Einzelfall Kindern vorbehalten sein, die als hämodynamisch instabil zu bezeichnen sind. Die Indikationsstellung erfolgt durch den Kinderkardiologen [25, 26].

Säuglinge mit Down-Syndrom sollen eine RSV-Prophylaxe in ihrer 1. Saison erhalten [20,21,22].

Pneumologische Indikationen (auf Basis Expertenmeinung) inkludieren trotz divergenter Studienlage zystische Fibrose, primäre ziliäre Dyskinesie, angeborene Zwerchfellhernie und interstitielle Lungenerkrankungen in der 1. Saison. Die Indikationsstellung erfolgt durch den Kinderpneumologen.

Kinder mit Immundefekt (schwere primäre oder sekundäre Immundefekte, wie z. B. SCID oder AIDS) und schwerer Immunsuppression (Transplantationen in frühester Kindheit, Myelosuppression), wie auch in Zukunft Neugeborene mit positivem Immundefekt-Screening schon vor Stellung der definitiven Diagnose bzw. bis zu deren Ausschluss sollen eine Prophylaxe in der 1. Saison erhalten (Expertenmeinung).

Patienten mit neuromuskulärer Erkrankung sollen eine Prophylaxe über die 1. Saison nach Indikationsstellung durch den Neuropädiater erhalten (Expertenmeinung).

Laut Daten des Zentrums für Virologie der Medizinischen Universität Wien betrug die RSV-Saisondauer der letzten Jahre 16–20 Wochen. Dies limitiert die Palivizumab-Injektionen auf maximal 5 Dosen. Auch die Empfehlung, mit den Injektionen Mitte bis Ende November des Jahres mit der RSV-Prophylaxe zu beginnen, basiert auf diesen rezenten, nicht publizierten Surveillance-Daten und entspricht langjährigen Beobachtungen [6]. Eine einmal begonnene Prophylaxe soll auch bei Durchbruchsinfektion trotz des geringen Wiederholungsrisikos (<0,5 %) fortgesetzt werden [23]. In der Diskussion wurde festgehalten, dass dies nur wenige Kinder betrifft und das Risiko einer weiteren Infektion sehr gering, aber potenziell möglich ist und deshalb eine Weiterführung der Prophylaxe sinnvoll erscheint.

Compliance [14] mit den Palivizumab-Injektionen ist ein wichtiges Thema im Rahmen der allgemeinen Aufklärung über RSV-Prophylaxe mit adäquater Dosierung und Injektionsintervallen von 28–30 Tagen (Vereinheitlichung). Auch die Aufklärung über sonstige Schutzmaßnahmen ist von großer Relevanz (Händedesinfektion, Wissen über die Übertragung von RSV etc.; [14]).

Rauchen ist als Risikofaktor und aggravierender Faktor für Bronchiolitis anerkannt [24] und ist demnach ein nicht zu vernachlässigender Faktor im Risikoscore.