1 Einleitung

Mit steigendem Nutzungsdruck und Herausforderungen durch Klimawandel und Biodiversitätsverlust steigt neben den Anforderungen an die Funktionen von Renaturierungsprojekten auch die Notwendigkeit zuverlässiger Planungen. In Renaturierungsprojekten, die zur Einhaltung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) vermehrt umgesetzt werden, spielt die Auenvegetation und deren Sukzession von der Pionierbesiedelung bis zum Auwald eine immer größere Rolle. Die Auenvegetation ist über die Beeinflussung morphodynamischer Prozesse ein wesentlicher Bestandteil bei der Erhaltung oder Wiederherstellung natürlicher Flussmorphologien und ganzer Flusslandschaften (Egger et al. 2023; Formann et al. 2013). Besonders angesichts der durch den Klimawandel in Europa steigenden Spitzenabflüsse (Blöschl et al. 2020) bekommt auch die Vegetation des Vorlands über die fließende Retention von Hochwasserabflusswellen eine wichtige Bedeutung (Habersack et al. 2010, 2015). Angesichts steigender Wassertemperaturen (Niedrist 2023) steigt auch die Bedeutung der Vegetation für die Beschattung der Wasserflächen. Aufgrund der Position der Vegetation im oder in der Nähe des Fließgewässers interagiert sie mehr oder weniger häufig mit der Strömung und dem Sedimenttransport. Die Vegetation beeinflusst durch Strömungswiderstände direkt oder durch hervorgerufene Anlandungen indirekt die Wasserspiegelhöhen, den Abfluss von Hochwasserwellen und morphodynamische Prozesse, und ist somit auch für gesellschaftspolitische Themen wie den Hochwasserschutz von Bedeutung.

Bisher wurde die von der Vegetation verursachte Rauigkeit in der hydrodynamisch-numerischen Modellierung anhand konstanter Werte berücksichtigt (e.g. Chow 1959; Barnes 1967; Arcement and Schneider 1989). Flexible Vegetation passt ihre Form dem Strömungsangriff an, und verändert damit auch den auf die Strömung ausgeübten Widerstand. Bisher wurde die Verformung flexibler Vegetation in der Strömung auf der Grundlage von Parametern modelliert, die empirisch aus Laborstudien abgeleitet wurden (z. B. Järvelä 2004; Kouwen und Fathi-Moghadam 2000; Oplatka 1998; Schoneboom und Aberle 2009; Wilson et al. 2010). So wurde z. B. der „Vogelexponent“ eingeführt, um die Potenz des quadratischen Widerstandsgesetzes zu reduzieren und eine erhöhte Verformung mit zunehmender Strömungsgeschwindigkeit zu berücksichtigen. Darüber hinaus vereinfachten die meisten Studien die Pflanzengeometrien, die oft durch gleichmäßig verteilte Zylinder dargestellt werden (verfügbare Modelle zusammengestellt von Vargas-Luna et al. 2015). Ein Ziel dieser Arbeit war es, die mechanischen Eigenschaften und die Geometrie einer Anlage vollständig zu berücksichtigen und gleichzeitig ein neues Verformungsmodell aufzustellen, das weniger auf empirisch abgeleitete Daten angewiesen ist, dafür aber eine verstärkte Parametrisierung der mechanischen Eigenschaften der Pflanze und eine detaillierte Bewertung der Pflanzengeometrie vorsieht (Klösch et al. 2018; Waygand et al. 2017). Messungen der Interaktion zwischen flexibler Vegetation und der Strömung, die bei Verwendung echter Vegetation den Maßstab 1:1 erfordern, sollen eine Datenbasis zur Überprüfung des Modells liefern.

2 Mechanisch basiertes Pflanzenverformungsmodell

Blamauer et al. (2011) entwickelten ein einfaches mechanikbasiertes Pflanzenverformungsmodell auf der Grundlage von Van De Wiel (2003), das die von Freeman et al. (2000) gewonnenen Biegedaten berücksichtigte, und integrierten es in das zweidimensionale hydrodynamisch-numerische Modell Rsim-2D (Tritthart 2005), um die Grundlage für ein Modell der Vegetationssukzession unter verschiedenen Szenarien der Auswirkungen des Klimawandels zu schaffen (Politti et al. 2014). Die Verfügbarkeit des Freispiegeldurchflusses von bis zu 10 m3/s beim Wasserbaulabor in Wien am Brigittenauer Sporn/Nussdorf ermöglichte die Messung der auf die Pflanzen wirkenden Widerstandskraft und die Untersuchung ihrer Verformung (Klösch et al. 2018) als Grundlage für die Validierung eines mechanisch basierten Pflanzenverformungsmodells, das die grundlegenden mechanischen Parameter (einschließlich Elastizitätsmodul und Schubmodul; Klösch et al. 2018; Waygand et al. 2017) berücksichtigte.

Im Zuge dieser Entwicklungen drängte sich schlussendlich die Verwendung der Finite-Elemente-Methode (FEM) auf (Waygand 2020). Diese Methode erlaubt eine detailgetreue Nachbildung der Geometrie anhand kurzer, miteinander kraftschlüssig verbundener gerader Ast- und Stammelemente. Dadurch konnten die an den Versuchspflanzen und im Feld aufgenommenen Geometrien in derselben Detailtreue nachgebildet werden wie sie gemessen wurden.

Im Fall der Nachbildung einer Pflanze mit der FEM repräsentieren „Elemente“ kurze Stamm- oder Aststücke, die an deren Endpunkten („Knotenpunkte“) mit den nächstgelegenen Elementen kraftschlüssig verbunden sind. In jedem Knoten sind Verschiebungen in die Richtungen der drei Achsen, und Verdrehungen um die drei Achsen möglich. Die Kräfte, die auf diese Knoten aufgebracht werden, ergeben sich durch die Strömungskraft auf die Länge der Elemente, wo die Komponenten normal auf das Element und parallel zum Element berechnet werden. Die Verformung der Pflanze errechnet sich dann mit dem linearen Gleichungssystem des Weggrößenverfahrens anhand einer Steifigkeitsmatrix, die den Elastizitätsmodul und den Schubmodul zur Beschreibung der Festigkeiten berücksichtigt.

Den im Vergleich zum eigentlichen Anwendungsbereich der FEM mit linearem Gleichungssystem relativ großen Verformungen musste mit einer Iterationsschleife Rechnung getragen werden. Mit der Verformung ändert sich nämlich die Anströmung und die daraus resultierende Strömungskraft, da (a) die Elemente anders ausgerichtet werden und sich andere Strömungskräfte auf die einzelnen Elemente ergeben, und (b) die Elemente nach einer Verformung in andere Wassertiefen gelangen, wo andere Fließgeschwindigkeiten vorherrschen können (z. B. bei der Definition einer logarithmischen Fließgeschwindigkeitsverteilung). Die Iteration endet, wenn die Kräfte, welche auf ein Wiederaufrichten der Pflanze abzielen, mit dem Strömungsangriff im Gleichgewicht stehen.

3 Diskretisierung der Pflanzengeometrie

Fotogrammetrische Methoden erlauben eine detaillierte Aufnahme der Wuchsform repräsentativer Pflanzen im Labor wie auch im Feld (Abb. 1), sodass diese als Eingangsdaten für das Pflanzenverformungsmodell verwendet werden konnten. Die Geometrien der Stamm- und Astachsen aus der Fotogrammmetrie wurden mit manuellen Messungen der Stamm- und Astdicken ergänzt.

Abb. 1
figure 1

a Farbige Markierung der Äste einer Grau-Erle (Alnus incana) zur erleichterten Identifizierung der Äste in der fotogrammetrischen Auswertung sowie Vermessung von Targets zur Orientierung im übergeordneten Koordinatensystem und für ein korrektes Größenverhältnis, b anhand der Software Photomodeler erhaltene, dreidimensionale Pflanzenstruktur und Geländeoberfläche

4 Parametrisierung der Festigkeit der Pflanzenteile

Zur Berücksichtigung der Festigkeit gegenüber Biegung wurde der Elastizitätsmodul, und zur Beschreibung der Festigkeit gegenüber Torsion der Schubmodul gemessen. Abb. 2a zeigt beispielhaft Ergebnisse von Biegemessungen an Ästen der Korbweide (Salix viminalis), wonach der Elastizitätsmodul mit dem Astdurchmesser zunimmt. Mit einem eigens gebauten Apparat wurden auch Messungen des Schubmoduls durchgeführt; auch dieser zeigt eine Abhängigkeit vom Astdurchmesser (Abb. 2b).

Abb. 2
figure 2

Ermittelte Beziehung zwischen a Astdurchmesser und Elastizitätsmodul (beinhaltet Daten aus Klösch et al. 2018) und b Astdurchmesser und Schubmodul für die untersuchten Korbweiden (Salix viminalis)

5 Parametrisierung zur Belaubung

Die Belaubung kann im Modell berücksichtigt werden, indem den belaubten Ästen erhöhte Werte für die Strömungswiderstandskoeffizienten cf und cw zugewiesen wurden. Da die Pflanzen aufgrund der besseren Lichtbedingungen vermehrt in den äußeren Pflanzenteilen die Blätter austreiben lassen, sind die Äste nicht entlang der gesamten Länge belaubt. Hier fehlte es an einem Werkzeug, mit welchem die Belaubung naturgetreu an unterschiedlichen Pflanzengeometrien nachgebildet werden kann, ohne für jedes Szenario einer Pflanzengeometrie eine individuelle Messung machen zu müssen. Zwischen den Astdicken an der Astbasis und den Astdicken beim Ansatz der Belaubung konnte ein diesbezüglich sehr hilfreicher Zusammenhang gefunden werden, der gut durch eine lineare Funktion beschrieben werden kann (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Gefundener Zusammenhang zwischen dem Astdurchmesser an der Astbasis und dem Astdurchmesser, ab welchem die Äste belaubt, sind für untersuchte Silberweiden (Salix alba)

6 Messungen zur Kalibrierung und Validierung

Einzelne Pflanzen wurden in eine Kraftaufnehmerbox eingesetzt, die über einen Horizontalschlitten die auf die Pflanze wirkende Strömungskraft auf eine Wägezelle überträgt. Unter Strömungsbelastung (Abb. 4) wird diese somit messbar.

Abb. 4
figure 4

a In die Kraftaufnehmerbox eingebaute Korbweide (Salix viminalis), b Messung der Strömungskraft bei Anströmung

Durch Einstellen eines stationären Durchflusses konnten im Gerinne punktweise mit einem Acoustic Doppler Velocimeter die Fließgeschwindigkeiten in einem kreisförmigen Pflanzenverband gemessen werden (Abb. 5), bevor die Daten in den Messquerschnitten und im Längenschnitt interpoliert wurden und ein umfassendes Bild des Einflusses der Vegetation auf die Fließgeschwindigkeitsverteilung lieferten (Abb. 6).

Abb. 5
figure 5

Kreisförmig angeordneter Verband mit Silberweiden (Salix alba) im Forschungsgerinne des BOKU-Wasserbaulabors

Abb. 6
figure 6

Beispiel einer mit ADV (Acoustic Doppler Velocimeter) gemessenen Fließgeschwindigkeitsverteilung in zwei Querprofilen und einem Längsprofil (Salix alba, belaubt, Durchfluss 4,2 m3 s−1, Wassertiefe 1 m), dargestellt in zwei Ansichten (Busch 2023)

Bei Durchströmung dieses Pflanzenverbands beginnt die vertikale Fließgeschwindigkeitsverteilung in Richtung flussab zunehmend von einer logarithmischen Verteilung abzuweichen. Dies entspricht Erkenntnissen in der Literatur (z. B. Baptist et al. 2007). Im vorgestellten Pflanzenverformungsmodell bleibt die vertikale Fließgeschwindigkeitsverteilung aber unbeeinflusst von den Widerständen der Pflanze auf die Strömung. Weitere Modellentwicklungen könnten sich der Interaktion zwischen den Strömungswiderständen und der vertikalen Fließgeschwindigkeitsverteilung widmen.

7 Modellanwendung

Im Pflanzenverformungsmodell wurde eine freistehende Pflanze einer Strömung mit logarithmischer Fließgeschwindigkeitsverteilung ausgesetzt. Die im Forschungsgerinne des BOKU-Wasserbaulabors gemessenen Verformungen dienten zur Kalibrierung und Überprüfung des Modells. Der angepasste Widerstandsbeiwert cw (1,2) lag in dem in der Literatur angenommenen Bereich, während der angepasste Elastizitätsmodul unter dem zuvor gemessenen Wert, aber dennoch in einem plausiblen Bereich lag (Faktor 0,2) (Waygand 2020). Da die Ergebnisse aus einer begrenzten Anzahl von Messungen abgeleitet wurden, sollte das Modell durch weitere Messungen überprüft werden, die größere Datensätze liefern würden. Die Modellanwendung auf eine ca. 2 m hohe Korbweide (Salix viminalis) zeigt starke Verformungen (Abb. 7). In den Iterationen zeigte sich jedoch der Bedarf, weitere Entwicklungen vorzunehmen.

Abb. 7
figure 7

Eine freistehende Pflanze der Art Salix viminalis, die in Modellszenarien bei einer gleichbleibenden tiefengemittelten Fließgeschwindigkeit von 1 m s−1 mit logarithmischer Fließgeschwindigkeitsverteilung unterschiedlichen Wassertiefen h ausgesetzt ist (grüne Pflanzengeometrie: Ausgangszustand, schwarz: Verformungszustand)

8 Verwendung in der hydrodynamisch-numerischen Modellierung

Die Strömungskraft, die auf einen einzelnen Baum wirkt, kann über die folgende Formel in den dimensionslosen Rauigkeitskoeffizienten f von Darcy umgerechnet werden:

$$f=8\frac{F}{s_{x}s_{y}\rho u^{2}}$$

Wobei F die auf die Pflanze wirkende Strömungskraft, sx der Pflanzenabstand in x‑Richtung und sy der Abstand in y‑Richtung, ρ die Dichte des Wassers und u die Fließgeschwindigkeit ist.

In den hydrodynamisch-numerischen Modellen wird jedoch meistens auf den dimensionsbehafteten Strickler-Koeffizienten kst zurückgegriffen, der über die folgende Formel aus dem Darcy-Koeffizienten berechnet wird:

$$k_{\mathrm{st}}=R^{-\frac{1}{6}}\sqrt{\frac{8g}{f}}$$

Wobei R der hydraulische Radius, der mit der Wassertiefe h gleichgesetzt wird, und g die Erdbeschleunigung ist.

Anhand dieser Methodik können die Ergebnisse des detaillierten Pflanzenverformungsmodells in die Modellierung der Hydrodynamik eingehen.

9 Schlussfolgerungen und Ausblick

Im Gegensatz zu den verfügbaren Berechnungsmethoden bietet die im entwickelten Pflanzenverformungsmodell durchgeführte Diskretisierung der Wuchsform und die mechanische Abbildung den Vorteil, dass neben physikalischen Messgrößen wie dem Elastizitätsmodul und dem Schubmodul nur zwei empirisch zu ermittelnde Parameter (die Fließwiderstandsbeiwerte cw und cf) eingehen. Einmal erstellt, kann die Modellpflanze dann mit beliebigen Fließgeschwindigkeitsverteilungen und Wassertiefen beaufschlagt werden. Die resultierende Gesamtwiderstandskraft lässt sich für die Berücksichtigung in der hydrodynamisch-numerischen Modellierung in einen hydraulischen Rauigkeitsbeiwert umrechnen. Wird das Pflanzenmodell in die Knoten eines hydrodynamisch-numerischen Modells eingebaut, können in jedem Zeitschritt das gesamte Strömungsfeld und die dynamische Rauigkeit in den einzelnen Rechenknoten aneinander angepasst werden. Die Laboruntersuchungen im Maßstab 1:1 sind dabei für die Modellkalibrierung und -überprüfung, aber auch für die Erfassung eventuell noch nicht berücksichtigter Erscheinungen essenziell.

So zeigte sich im Labor eine deutliche Veränderung der vertikalen Fließgeschwindigkeitsverteilung im Pflanzenverband. Weiterentwicklungen könnten eine Anpassung der Fließgeschwindigkeitsverteilung adressieren, die iterativ auf die in den verschiedenen Höhen von der Pflanze ausgeübten Strömungswiderstände reagiert. Detaillierte Messungen wären notwendig, um zusätzlich den Effekt von Turbulenzen auf die Fließgeschwindigkeitsverteilung zu erfassen. Eine hydraulische Untersuchung an einzelnen Ästen mit und ohne Belaubung wäre notwendig, um die Strömungswiderstandskoeffizienten zu erfassen. Schlussendlich bedarf es eines hydrodynamisch-numerischen Modells, das eine Schnittstelle für den Einbau eines solchen Modells bietet, sodass eine Berücksichtigung in den Modellierungen der Praxis Eingang finden kann.