1 Einleitung

Landschaftsformen, wie Täler und Auen, werden durch die Sedimenttransportdynamiken der Flüsse geprägt. Durch natürliche, wie zum Beispiel Seen, oder anthropogen verursachte Hindernisse in den Fließgewässern wird der Feststoffhaushalt beeinflusst (z. B. Gregory 2006; Frings et al. 2014; Cox et al. 2021; Maaß et al. 2021). Landnutzungsänderungen führen genauso zu Änderungen im Feststoffhaushalt (Kang and Kanniah 2022). Die Errichtung von Querbauwerken (z. B. Rückhaltesperren, Wehranlagen) beeinflusst das Sedimentkontinuum und das Transportvermögen (Marchi et al. 2019). Eine veränderte Transportkapazität verursacht Sohlhöhenänderungen und kann begründet werden durch Geschieberückhalte, eine Veränderung der Sohlbreite, eine Unterbindung der Seitenerosion und eine daraus resultierende Gefälleerhöhung wie zum Beispiel anhand von Regulierungen, eine Abflussbeschleunigung durch den Wegfall von Überflutungsflächen, Sedimententnahmen sowie teilweise eine rückschreitende Erosion infolge durchgeführter Sohlabsenkungen flussab (BMLUF und ÖWAV 2011). Eine Darstellung des Ist-Zustands ist auf jeden Fall erforderlich, bevor Maßnahmen umgesetzt werden können, die eine nachhaltige Verbesserung des Feststoffhaushalts und der Flussmorphologie ergeben (Habersack 2009). Für die Erhebung des Ist-Zustands ist es notwendig, Grundlagendaten wie Korngrößenanalysen, Feststoffeintrag/-austrag (potenzielle Geschiebeeinstöße der Zubringer, Sedimententnahmen/-zugaben etc.) und Sohlenentwicklungen zu erheben, und es sollten auch Naturmessungen des Feststofftransports durchgeführt werden. Naturmessungen von Geschiebetransportprozessen sind schwer durchzuführen, weshalb zurzeit nur wenige Messdaten hinsichtlich des Geschiebetransports vorliegen. Die Mechanismen des Geschiebetransports sind Gegenstand aktueller Forschung, um die bestehenden Wissenslücken hinsichtlich ihrer Vorhersagbarkeit zu schließen. Deshalb werden vom IWA/BOKU derzeit sieben Geschiebemessstationen betrieben, bei denen kontinuierliche Geschiebedaten erhoben werden (Habersack et al. 2017). Insbesondere in kleinen Einzugsgebieten ist bei gleichem Abfluss eine große Streuung der gemessenen Geschiebetransportraten zu beobachten und verdeutlicht die Sensitivität solcher Einzugsgebiete gegenüber dem Geschiebeeintrag flussauf (Turowski and Rickenmann 2009; Kreisler et al. 2017; Liedermann et al. 2019). Feststoffbilanzierungen durch Transportformeln und -modelle dienen ebenfalls als Grundlage für die Umsetzung von nachhaltigen Maßnahmen. Um diese Formeln und Modelle validieren und kalibrieren zu können, sind wiederum Messungen in der Natur vonnöten. Forschungsprojekte über den Sedimenthaushalt von Fließgewässern werden in unterschiedlicher zeitlicher und räumlicher Dimension weltweit durchgeführt (z. B. Habersack and Laronne 2002; Rickenmann and McArdell 2007; Turowski et al. 2011; Marineau 2012; Rickenmann et al. 2012; Mao et al. 2014; Wyss et al. 2016; Aigner et al. 2017; Geay et al. 2017; Habersack et al. 2017; Heckmann et al. 2017; Kreisler et al. 2017; Hauer et al. 2018; Liedermann et al. 2018, 2019; Comiti et al. 2019; Frings et al. 2019; Bakker et al. 2020; Coviello et al. 2022; Rindler et al. 2023).

Das Ziel dieses Forschungsprojekts war die Erhebung von Grundlagendaten, um in weiterer Folge ein Feststoffmanagementkonzept an der Gail entwickeln zu können. Es werden Analysen zu Korngrößenveränderungen über den Längsverlauf, Geschiebetransportprozessen, Sohlhöhenänderungen und anthropogenen Einflüssen durchgeführt. Durch ein Feststoffmanagementkonzept soll ein resilienter Fluss entwickelt werden, der sich in einem dynamischen Gleichgewicht von Sedimentüberschüssen und -defiziten befindet. Für solch ein Gleichgewicht sind die zentralen Fragen: „Wie viel, in welcher Korngröße und wo benötigt der Fluss Sedimente?“ und „Welche Breite, welches Sohlgefälle, welche Linienführung und welche Sicherungsmaßnahmen sind auszuführen?“ Für die Identifizierung sowie zeitliche und örtliche Zuordnung von Feststoffproblematiken sind Grundlagendatenerhebungen erforderlich, um das Verständnis der Feststofftransportprozesse zu erweitern und diese auch quantitativ zu erfassen. Die Methoden und das zukünftige Managementkonzept sollen in weiterer Folge an anderen Fließgewässern anwendbar sein.

2 Projektgebiet

Das Projektgebiet liegt im Süden Österreichs im Gailtal in Kärnten. Prägend für das Gebiet ist die geradlinige Form, wodurch das Tal zu einer der auffälligsten Längsfurchen der Ostalpen zählt. Die Gail entspringt in Osttirol am Kartitscher Sattel auf 1525 m ü. A., ist 122 km lang, entwässert ein Gebiet von rund 1400 km2 und mündet bei Villach in die Drau. Abb. 1 zeigt eine Übersicht der Lage des Gailtals und der fünf Abschnitte der Gail.

Abb. 1
figure 1

Übersichtskarte von Kärnten und Osttirol mit den fünf Abschnitten der Gail (Tiroler Gail, Lesachtaler Gail, Obere Gail, Mittlere Gail und Untere Gail). (Quelle: BMLFUW 2007, überarbeitet)

Durch die zeitliche Niederschlagsverteilung zählt das Einzugsgebiet der Gail zu den niederschlagreichsten Gebieten in Österreich. Denn durch den Einfluss des mediterranen Klimas gibt es im Niederschlag und in der Wasserführung ein Maximum in den Monaten Juni und Juli sowie im Oktober und November, wobei letzteres ausgeprägter ist und regelmäßig zu größeren Hochwässern führt (Amt der Kärntner Landesregierung 2001). Die jüngsten Hochwässer in den Jahren 2014 (HQ12), 2018 (bis zu HQ115) und 2020 (HQ11) fanden jeweils in den Herbstmonaten statt.

3 Methoden

Das Ziel ist die Erstellung der Grundlagen für ein Feststoffmanagementkonzept. Für ein aktives Feststoffmanagement werden Grundlagendaten benötigt, die mithilfe einer Feststoffbilanz erhoben werden. Dafür werden die Einträge aus den Wildbächen und eine Abschätzung der Rückhalte der Bauwerke, Geschiebefrachten durch direkte Geschiebemessungen, Sohlhöhenänderungen und Korngrößenanalysen sowie Sedimententnahmen und -zugaben ermittelt.

3.1 Korngrößenanalysen

Das wesentlichste Merkmal zur Charakterisierung von Geschiebe ist der Korndurchmesser. Aus einem Korngemisch lässt sich mittels Siebanalyse die Korngrößenverteilung bestimmen, die als Grundlage für die Berechnung und Modellierung des Feststofftransports dient.

2018 und 2019 wurden volumetrische Großproben der Deck- und Unterschicht an zehn Standorten mithilfe eines Baggers entnommen und gesiebt (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Übersicht der Probenentnahmestellen der volumetrischen Geschiebeproben von Flusskilometer 3 (Stelle 10) bis Flusskilometer 73,1 (Stelle 1). (Quelle Gewässernetz: Land Kärnten, überarbeitet)

Durch Kieswerk- und Siebturmsiebungen (für Sedimente kleiner 10 mm) wurden die Korngrößenverteilungen ermittelt und mit den früheren Auswertungen der Jahre 1992 und 1994 (Zottl und Erber 1996) verglichen. Die Korngrößenverteilungen der Zubringer wurden mit der Software Basegrain (Detert und Weitbrecht 2013) photogranulometrisch ermittelt und mittels Linienzahlanalysen nach Fehr (1987) validiert (IB Kapeller 2021).

3.2 Kubatur- und Sohlhöhenänderung

Für eine Analyse der morphologischen Entwicklung wurde eine Ursache-Wirkungs-Analyse unter Verwendung vorhandener historischer Daten (inkl. Randbedingungen wie beispielsweise Bergsturz) sowie Aufzeichnungen der Flussregulierungen und Rückbaumaßnahmen durchgeführt. Hinsichtlich der Hydromorphologie wurden die Änderungen der Flusssohle bis zum Jahr 2018 analysiert. Grundlage hierfür waren die Querprofilvermessungen, welche von der Landesregierung Kärnten, Abteilung Wasserwirtschaft zu Verfügung gestellt wurden. Die Berechnung der Sohlhöhen- bzw. Volumenänderungen erfolgte mittels profilbasierter Methode. Grundlage waren Querprofilvermessungen, welche zu unterschiedlichen Zeitpunkten in denselben Querprofilen durchgeführt wurden. Die Vermessungspunkte in jedem Profil wurden zur besseren Vergleichbarkeit und Vereinfachung der Berechnung auf das jeweilige Querprofil projiziert. Für zwei zeitlich aufeinanderfolgende Aufnahmen wurde anschließend die Änderung der vertikalen Querschnittfläche in den Profilen infolge Anlandung oder Erosion berechnet.

Ausgehend von der Annahme, dass die Flächenänderungen in den jeweiligen Profilen auch repräsentativ sind für den Flussabschnitt dazwischen, wurde in weiterer Folge die Volumenänderung berechnet. Diese errechnet sich für den jeweiligen Bereich zwischen zwei Profilen aus dem Mittelwert der vertikalen Differenzflächen multipliziert mit der Distanz zwischen den betrachteten Profilen. Für die Berechnung wurde eine gleiche gemeinsame Breite über alle Jahre herangezogen. Die profilweise Interpolation bietet die Möglichkeit einer volumenmäßigen Betrachtung in Einzelelementen, wodurch Volumenänderungen für verschiedene Abschnitte und Zeiträume berechnet werden können. Durch anschließendes Aufsummieren der Einzelelemente wird eine kumulierte Änderung des Sedimentvolumens ermittelt.

3.3 Sedimenttransportanalysen

Für die Beurteilung einer Sedimentproblematik sind detaillierte Grundlagendaten zum Feststofftransport essenziell. Der Geschiebetransport wird mit direkten Geschiebemessungen (z. B. Habersack et al. 2001; Kreisler et al. 2014; Liedermann et al. 2019) mit einem LHS (Large Helley-Smith, Abb. 3c)-Geschiebesammler (Helley and Smith 1971) an zwei Standorten (Abb. 3a, b) in den Jahren 2019 und 2020 ermittelt, um den Geschiebeinput bzw. -output zu erfassen. Aus den Aufzeichnungen in den Archiven der Kärntner Landesregierung geht hervor, dass bei Messstation 1 ab 1955 bereits Geschiebemessungen mit dem Fänger „Enns fein“ durchgeführt und aufgrund von fehlendem Geschiebetrieb 1959 eingestellt wurden.

Abb. 3
figure 3

Übersicht der Geschiebemessstation 1 an der Oberen Gail (a), der Geschiebemessstation 2 an der Mittleren Gail (b) mit jeweils Blick flussab und der LHS-Geschiebesammler im Messeinsatz (c)

Die Geschiebeproben der Jahre 2019 und 2020 werden nach der Messung mittels Siebanalyse ausgewertet und geben Aufschluss über die Textur und die Geschiebemengen. Die Erfassung der Korngrößen ist durch die Größe des Einlaufbereichs, die Maschenweite des Sammelnetzes und die hydrologischen Bedingungen (Messen im Hochwasserfall nicht möglich) begrenzt. Mit einer Geschiebetransport-Durchfluss-Beziehung wird eine Geschiebeganglinie aus dem Durchfluss berechnet, die nach Aufsummierung die Geschiebefrachten liefert (z. B. Gray et al. 2010; Bunte et al. 2012; Rickenmann et al. 2012; Habersack et al. 2017). Der Geschiebeeintrag der 28 maßgebenden Zubringer wurde nach Rickenmann (1990, 2001) ermittelt (IB Kapeller 2021).

3.4 Anthropogene Einflüsse

Anthropogene Eingriffe in den Feststoffhaushalt führen zu einer zunehmenden Beeinflussung des Flusssystems. Eine Unterbrechung des Längskontinuums kann langfristig negative Auswirkungen, wie beispielsweise Sohleintiefungen, flussab zur Folge haben (Habersack et al. 2013). Für ein langzeitliches Feststoffmanagementkonzept wurden den anthropogenen Einflüssen – wie ein im Jahr 1907 errichteter Geschiebeablagerungsplatz (GAP, Abb. 4), Sedimententnahmen bis 2011, Flussaufweitungen, Profilsertüchtigungen und die Errichtung einer Sohlrampe im Jahr 2009 – die Änderungen der Flusssohle und der Korngrößen gegenübergestellt.

Abb. 4
figure 4

Geschiebeablagerungsplatz (GAP) der Gail von Flusskilometer 70,8–72,5 mit Blick flussauf (a) und flussab (b)

4 Ergebnisse und Diskussion

4.1 Korngrößenanalysen

Mit der volumetrischen Probenahme 2018 wurden 41 t und 2019 15 t Gail-Sedimente gesiebt. In Abb. 5 werden die charakteristischen Korngrößen der Oberen, Mittleren und Unteren Gail der Untersuchungen der Jahre 1992/94, 2018 und 2019 gegenübergestellt. Durch den Vergleich der Korngrößen der 1990er-Jahre (in Blau) mit 2018 (in Orange) sind eine Vergröberung im Oberlauf und Verfeinerungstendenzen bis zum Geländeknick im Bereich der Unteren Gail erkennbar. Das deutet darauf hin, dass die Gail den d90 nicht flussab transportieren konnte und dass z. B. ein Zubringer im Mittellauf feines Material einträgt. Genauso können aber auch die Feinanteile im Oberlauf ausgewaschen worden sein. Im Jahr 2019 wurden 5 Standorte beprobt (in Grün), um den Einfluss des Hochwasserereignisses 2018 auf die Korngrößenverteilung zu ermitteln. Im Bereich der Oberen und Mittleren Gail ist zwischen 2018 und 2019 eine Verfeinerung des Sohlmaterials deutlich erkennbar. Der d50 im Oberlauf nähert sich dem Zustand in den 1990er-Jahren, was einerseits auf die Sohlrampe, die 2009 erbaut und 2018 durch das Hochwasser zerstört wurde, und andererseits auf das Aufreißen der Deckschicht und Freiwerden von Feinmaterial der Unterschicht zurückzuführen ist.

Abb. 5
figure 5

Gegenüberstellung der charakteristischen Korngrößen d50 (strichlierte Linien) und d90 (punktierte Linien) der 1990er-Jahre (hell- und dunkelblau), von 2018 (gelb und orange) und von 2019 (hell- und dunkelgrün) mit dem Sohlgefälle (grau strichlierte Linie) der Gail

4.2 Kubatur- und Sohlhöhenänderung

Die Sohlentwicklung der Gail wurde bereits ab den 1930er-Jahren durch Niederwasseraufnahmen dokumentiert. Laut Zottl und Erber (1996) sind in der Sohle der Oberen Gail bis auf einen natürlichen Störeinfluss durch die Mündung eines Zubringers und anthropogen bedingte Störungen im Untersuchungszeitraum von 1978 bis 1994 nur geringe Sohländerungen ersichtlich. Die Untersuchungen der Sohlhöhen der Mittleren Gail im Zeitraum von 1926 bis 1992 zeigen in ferner Vergangenheit einen Wechsel von Erosionen und Anlandungen sowie Trends, die durch die anthropogenen Eingriffe an der Gail und den Zubringern beeinflusst war, wohingegen die Sohle der Mittleren Gail bis 1992 als relativ stabil bezeichnet wurde (Zottl und Erber 1993).

Abb. 6 zeigt die in Richtung flussab aufsummierten Kubaturen der profilbasierten Auswertung und gibt einen Überblick über Anlandungen (ansteigende Kurve) und Erosionen (abfallende Kurve) in den Epochen 1992–2011, 2011–2016, 2016–2018 und 1992–2018 von Flusskilometer 72,5–20,4. Die Kubaturänderungen von 1992–2011 (schwarz strichlierte Linie) zeigen im Oberlauf bedingt durch Sedimententnahmen eindeutige Erosionsbereiche, einen folgenden Bereich mit Erosionen und Anlandungen im Wechselspiel und ab ca. Flusskilometer 46 resultieren durch ein abnehmendes Gefälle bis Flusskilometer 20,4 Anlandungen. Die anschließende Epoche von 2011–2016 (grau strichlierte Linie) zeigt ein komplett konträres Bild, das hauptsächlich mit dem Einstellen der Sedimententnahmen im Jahr 2011 und dem Hochwasser 2014 begründet werden kann. Im Vergleich zur vorangegangenen Epoche sind durch das Ende der Sedimententnahmen im Oberlauf bis Flusskilometer 71 Anlandungen zu beobachten. Einem anschließenden Erosionsbereich folgen überwiegend Anlandungen bis Flusskilometer 32, und weiter flussab bis Flusskilometer 20,4 zeigen sich fast ausschließlich Profile mit Erosionen. Die Kubaturänderungen von 2016–2018 (graue Linie) nach dem Hochwasserereignis im Jahr 2018 zeigen, bis auf vereinzelte Flussabschnitte, klare Anlandungsbereiche. Vor allem im Oberlauf wurden diese durch die zerstörte Sohlrampe und die Materialumlagerungen durch das Hochwasser verursacht. Die aufsummierte Kubatur von 1992 und 2018 (schwarze Linie) zeigt einen vergleichbaren Verlauf wie die der Epoche 1992–2011, der Sedimentaustrag fällt aber – durch das Einstellen der Sedimententnahmen sowie der Hochwässer 2014 und 2018 und der daraus resultierenden Materialumlagerungen und punktuellen Maßnahmen – wesentlich geringer aus.

Abb. 6
figure 6

Summenbilanz von Flusskilometer 72,5–20,4 der Zeitepochen 1992–2011 (schwarz strichlierte Linie), 2011–2016 (grau strichlierte Linie), 2016–2018 (graue Linie) und 1992–2018 (schwarze Linie)

Um mehr als zwei Profilaufnahmen und eine langfristige Entwicklung der Flusssohle besser darstellen zu können, wurden die mittleren Sohlentwicklungen eines jeden Profils der Jahre 1992, 2011, 2016 und 2018 gegenübergestellt. Die mittleren Sohlhöhen der Einzelprofile der vier Jahre werden in den Abb. 7 und 8 gezeigt. In Abb. 7 sind Beispiele für die Zuordnung der Profile dargestellt. Anhand dieser Zuordnung wurden die Einzelprofile in Abb. 8 in Anlandungsprofile (grün), Anlandungsprofile mit Eintiefungstendenzen seit 2016 bzw. 2018 (grün mit orangem Pfeil nach unten), Eintiefungsprofile mit Anlandungstendenzen seit 2016 bzw. 2018 (orange mit grünem Pfeil nach oben) sowie in Eintiefungsprofile (orange) und in Profile, die im Wechsel von Anlandung und Eintiefung stehen (gelb), eingeteilt. Mit dieser Einteilung wird eine essenzielle Datengrundlage für ein langfristiges Geschiebemanagementkonzept geschaffen.

Abb. 7
figure 7

Betrachtung der Einzelprofile und deren mittlerer Sohlhöhen in den Jahren 1992, 2011, 2016 und 2018 eines Profils mit Eintiefung (a), Anlandung (b) und eines ausgeglichenen Profils (c) sowie eines Profils mit Anlandung und Eintiefungstendenzen seit 2018 (d), Eintiefung und Anlandungstendenzen seit 2016 (e) und Eintiefung mit Anlandungstendenzen seit 2018

Abb. 8
figure 8

Betrachtung der Einzelprofile und deren mittlerer Sohlhöhen in den Jahren 1992, 2011, 2016 und 2018 von Flusskilometer 72,5–20,4 hinsichtlich Tendenzen einer Eintiefung (orange), Anlandung (grün) oder Anlandung/Eintiefung (gelb)

4.3 Sedimenttransportanalysen

Um die Variabilität des Geschiebetransports zu beurteilen, wurde der Geschiebetransport in den Jahren 2019 und 2020 an zwei Standorten mit einem LHS-Geschiebesammler mit einer Netzmaschenweite von 1 mm bestimmt. Die Profilbreite bei Messstation 1 (Flusskilometer 57,3) beträgt 36 m und das Gefälle 2,1 ‰. Messstation 2 (Flusskilometer 34,7) hat ein Gefälle von 1,1 ‰ mit einer Profilbreite von 14 m. An Messstation 1 wurden acht direkte Geschiebemessungen mit einem höchsten gemessenen Abfluss von 94 m3 s−1 und einer charakteristischen Korngröße dm = 20 mm durchgeführt. Bei Messstation 2 wurden sechs Geschiebemessungen durchgeführt. Der höchste gemessene Abfluss während einer Messperiode betrug 153 m3 s−1 mit einer charakteristischen Korngröße dm = 12 mm. Der Berechnungsansatz einer Geschiebetransport-Durchfluss-Beziehung wurde gewählt, um die jährlichen Geschiebefrachten von 1994 bis 2020 zu ermitteln. Dadurch ergeben sich die Geschiebefrachten mit 31.500 m3 a−1 für Messstation 1 und für die zweite Messstation 21.100 m3 a−1. Die mittlere jährliche Geschiebefracht bei Messstation 1 ist somit höher als flussab bei Messstation 2, was durch ein flacheres Gefälle bei Messstation 2 und daraus resultierenden Anlandungen begründet wird. Die Geschiebefrachten basieren auf Geschiebemessungen nach den Hochwässern 2018 und 2019, wodurch Sedimente eingebracht und umgelagert wurden. Dadurch kann von einer ausreichenden Geschiebeverfügbarkeit gesprochen werden, was die Geschiebefrachten vor dem Messbeginn im Jahr 2019 überschätzen könnte.

4.4 Geschiebebilanz und Definition feststoffbezogener Flussabschnitte

In Abb. 9 werden die bilanzierten Sedimenteinträge und -austräge in drei Abschnitten dargestellt. Zusammengefasst werden die Ergebnisse der Sedimententnahmen, der Sohlentwicklung, der Geschiebeeinträge durch die Zubringer (IB Kapeller 2021) und der Sedimenteinträge der Ufer bedingt durch das Hochwasserereignis 2018 (Habersack et al. 2020) sowie die Ergebnisse der Geschiebefrachten der beiden Messstationen. Negative Werte stellen einen Sedimentaustrag und positive Werte einen Sedimenteintrag im jeweiligen Abschnitt dar.

Abb. 9
figure 9

Zusammenführung der Ergebnisse in einer Geschiebebilanz mit den Geschiebefrachten an den Messstationen, dem Geschiebeeintrag der Zubringer (IB Kapeller 2021), den Sedimententnahmen bis 2011, den Sohlentwicklungen 1992–2018 und mit dem Sedimenteintrag der Ufer durch das Hochwasser 2018 (Habersack et al. 2020)

Auf Basis der Geschiebebilanz in Abb. 9 wird die Gail momentan in sieben unterschiedliche feststoffbezogene Abschnitte (A1–A7) unterteilt (Abb. 10). Einflussfaktoren für den Sohlzustand, die Flussmorphologie, die Habitate und den Hochwasserschutz bilden das Sohlgefälle, die Sedimententnahmen, die Gerinnebreite sowie der Sedimenteintrag durch die Zubringer (graue, horizontale Balken in Abb. 10).

Abb. 10
figure 10

Feststoffbezogene Abschnitte (A1–A7 in grauen, horizontalen Balken) der Gail mit Kubaturänderungen zwischen 1992 und 2018 (in grauen, vertikalen Balken) und definierte Bereiche mit Eintiefung (rot), Eintiefung und Anlandungstendenz seit 2016/2018 (orange) und Anlandung (grün) auf Basis der Betrachtung der Einzelprofile und deren mittleren Sohlhöhenänderung

Der erste Abschnitt wird als ein durch Sohlgefälle, Sedimententnahmen, Breite und Zubringer beeinflusster Abschnitt definiert. Die Sedimententnahmen verursachten im Bereich des Geschiebeablagerungsplatzes (GAP) und flussab Eintiefungen. Die Entnahmen wurden mit dem Jahr 2011 eingestellt. Flussauf des GAP kam es zu rückschreitenden Erosionen, denen seit 2009 mit der Errichtung einer Sohlrampe entgegengewirkt wird. Das Gefälle und der zu geringe Geschiebeeintrag der Zubringer tragen zu den Eintiefungen bei. Die Abschnitte zwei, fünf und sieben werden durch die Einflussfaktoren Gefälle, Breite und Zubringer bestimmt. Teilweise sind die mittleren jährlichen Zubringerfrachten im Vergleich zu den restlichen Abschnitten mehr als doppelt so hoch oder ein Gefällewechsel führt dazu, dass streckenweise das Sohlmaterial erodiert und die Zubringer es nicht schaffen, einen Ausgleich dafür zu liefern. Mit einer verbesserten Linienführung mit angepasstem Gefälle und adaptierten Gerinnebreiten können diese ausgeglichen werden. Der dritte Abschnitt wird durch Eintiefungen dominiert, die durch Zubringer und die vorherrschende Breite beeinflusst sind. Der maßgebende Zubringer in diesem Abschnitt trägt dazu wesentlich bei, da Sedimententnahmen durchgeführt werden, die laut IB Kapeller (2021) die mittlere jährliche Geschiebefracht des Baches überschreiten. Das Längsgefälle und die Gerinnebreite stellen den maßgebenden Einflussfaktor für den vierten und sechsten Abschnitt dar. Ab Flusskilometer 52 führt die Gefälleveränderung zu Anlandungen und durch die Ergebnisse der Geschiebemessungen und die Sohlentwicklungen wird eine geringere Transportkapazität erkennbar.

Diese sieben Abschnitte bilden die Entwicklungen der Gail in der Vergangenheit ab. Für zukünftige Maßnahmen sind ein weiterführendes Geschiebemonitoring an der Gail, deren Zubringer und des Stauraums am wiedererrichteten und neu konstruierten Wetzmann-Wehr sowie erneute Profilaufnahmen entlang der gesamten Gail notwendig. Die Planungsarbeiten des übergeordneten Projekts „GE-RM Gail“ (Gewässerentwicklung und Risikomanagementkonzept des Gailfluss) stehen kurz vor dem Abschluss und das darin enthaltene Maßnahmenprogramm sieht die Ausarbeitung eines Feststoffmanagementkonzepts zur Entwicklung einer resilienten Gail vor.

5 Ausblick und Möglichkeiten für resilientere Flüsse

Resilienz von Fließgewässern bedeutet ein selbststeuerndes Flusssystem. Dafür soll ein Feststoffmanagementkonzept entwickelt werden, damit die darin inkludierten Maßnahmen mit Feststoffdefiziten und -überschüssen umgehen können und ein dynamisches Gleichgewicht erreicht wird.

Für ein ausgeglichenes Flusssystem sind Sedimentpufferzonen, in denen die Remobilisierung von Feststoffen gewährleistet ist und gleichzeitig das Hochwasserrisiko minimiert wird, unabdingbar. Eine Gewährleistung von Sedimentremobilisierung kann durch innovative Steuerelemente geschaffen werden. Ein selbststeuerndes System reduziert Instandhaltungskosten, da die Maßnahmen den Feststoffhaushalt bei verschiedenen hydraulischen Bedingungen, wie z. B. Hochwasser oder Niederwasser, eigenständig regeln. Dabei kommt der Sohlbreite, den Ufersicherungen und dem Raum für eigendynamische Entwicklungen große Bedeutung zu. Dazu ist eine passende Linienführung und ein adäquates Sohlgefälle in Wechselwirkung mit den Sohlbreiten die Voraussetzung. Auf Basis von Maßnahmenentwicklungen und numerischen Simulationen und/oder Modellversuchen sollen durch eine Optimierung der Flussbreite und Anpassung der Linienführung/des Sohlgefälles Anlandungen und Erosionen im Gleichgewicht gehalten und auch der laterale Sedimenttransport gefördert werden. In Bereichen, in denen ein Management des Flusssystems erforderlich ist, können kontrollierte Sedimententnahmen oder aktive Sedimentzugaben umgesetzt werden. Die Gesamtentwicklung soll in lang- und kurzzeitlichen Perioden mit Sohlaufnahmen beobachtet werden, um die Zielerreichung der Maßnahmen zu dokumentieren und negative Auswirkungen auf die Flusssohle zu verhindern. Für ein resilientes Flusssystem ist die Einbeziehung der Sedimentrückhalte und die Durchgängigkeit der Querbauwerke ein weiterer wichtiger Aspekt. In Bereichen mit Geschiebedefiziten kann die Geschiebeverfügbarkeit mittels Durchgängigkeit von Querbauwerken der Zubringer gefördert werden. Mit ökologischen Strukturen, wie Altarmanbindungen, kann auch das Ökosystem gestärkt werden.

Für ein langfristig sinnvolles Feststoffmanagementkonzept ist ein fortlaufendes, langzeitliches Feststoffmonitoring sowie die Zusammenarbeit von Wasserbau, Wildbach- und Lawinenverbauung, Kraftwerkssektor sowie Ökologie unerlässlich.