1 Einleitung

Menschliche Aktivitäten haben weltweit tiefgreifende Auswirkungen auf große Flüsse (Vörösmarty et al. 2013) und wirken vielfältig als Stressoren auf diese Flusssysteme. Dazu zählen unter anderem deutliche Veränderungen der Abflüsse und der Flussmorphologie (Poff und Matthews 2013), der Sedimentdynamik (Syvitski et al. 2009) und der Nährstoffflüsse (Seitzinger et al. 2006), die sich auf die Biodiversität auswirken und die Beziehung zwischen Flüssen und ihren angrenzenden Landschaftselementen verändern (Habersack et al. 2016). Diese Veränderungen sind nicht nur an den Orten der Eingriffe sichtbar, sondern können über mehrere räumliche und zeitliche Ebenen hinweg miteinander verknüpft sein, wie z. B. die Auswirkungen von Flussregulierungsmaßnahmen des 19. Jahrhunderts, die sich noch immer auf die langfristige geomorphologische Entwicklung von Flussauen auswirken (Hohensinner et al. 2014). In Flüssen gehören Aktivitäten im Zusammenhang mit hydromorphologischen Veränderungen (z. B. Barrieren, Uferregulierungen) (Pokhrel et al. 2018) sowie physikalische und chemische Belastungen zu den dominierenden Auswirkungen menschlicher Aktivitäten in ganz Europa (Borgwardt et al. 2019). Solche Aktivitäten sowie der Klimawandel (Stagl und Hattermann 2016) führen weltweit zu einem massiven Rückgang der Biodiversität (Vörösmarty et al. 2010).

In Österreich sind die hydromorphologischen Veränderungen das kritischste Thema für das Flussmanagement (BMLFUW 2017). Eine Kombination aus Landnutzungsänderungen und Flussbaumaßnahmen hat in den vergangenen Jahrzehnten weitreichende hydromorphologische Veränderungen verursacht, darunter den Verlust der lateralen Konnektivität (d. h. zwischen dem Fluss und seiner Aue; Tockner et al. 2010), der longitudinalen Kontinuität (d. h. die Fragmentierung des Flusskorridors, einschließlich der Konnektivität mit Nebenflüssen) und der vertikalen Konnektivität, vor allem in aufgestauten Abschnitten (Ward 1989; Nilsson et al. 2005). Entlang der österreichischen Donau gibt es nur noch zwei frei fließende Abschnitte, und ein Großteil der Auen ging bereits verloren. Die stärkste Verringerung der Auenfläche, bis zu 90 %, ist in der oberen Donauregion zu verzeichnen (Hein et al. 2016; Tockner et al. 2009). Die zentralen hydromorphologischen Belastungen, die für die österreichische Donau identifiziert wurden, sind veränderter Sedimenttransport, Aufstau. und Flussregulierung. Hinzu kommt die Ausbreitung gebietsfremder Arten, die sich auf die Artenvielfalt auswirken (Hein et al. 2018; Habersack et al. 2016).

Ökologische Konnektivität ist eine entscheidende Eigenschaft von Flusslandschaften (Ward 1998), weshalb bei der Bewertung von Renaturierungsmaßnahmen die Effekte auf die Konnektivität auf verschiedenen räumlichen (von lokal bis regional) sowie (relevanten) zeitlichen Skalen berücksichtigt werden müssen (Buijse et al. 2002; Palmer et al. 2005). In der Donau beispielsweise ist es dringend nötig, das Zusammenspiel zwischen langfristigen Veränderungen, laufenden menschlichen Eingriffen und komplexen biologischen Feedbackmechanismen, einschließlich veränderter Stressreaktionen und gebietsfremder Arten, in wirksame Managementpläne einzubeziehen. Gleichzeitig müssen mehrere rechtliche Rahmenwerke wie die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die EU-Hochwasserrichtlinie und die EU-Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH) berücksichtigt werden (Hein et al. 2018). Diese Faktoren erfordern es, die ökologischen Auswirkungen einer Vielzahl von Veränderungen der Lebensräume und des abiotischen Wirkungsgefüges besser zu verstehen, insbesondere da Flüsse bereits erheblich verändert wurden und weiterhin zunehmend genutzt werden. Als eine Reaktion darauf und um die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich Gewässerschutz zu erfüllen, werden Renaturierungsmaßnahmen zur Verbesserung der ökologischen Bedingungen durchgeführt.

Um das Zusammenspiel zwischen aquatischer Ökologie, menschlichen Eingriffen und gesellschaftlichen Bedürfnissen auf verschiedenen räumlichen und zeitlichen Skalen zu untersuchen – insbesondere in einem komplexen, stark veränderten System wie der Donau – müssen verschiedene Konzepte integriert, neue gezielte Managementansätze formuliert und existierende Managementmaßnahmen analysiert werden. Jüngste Ergebnisse des AquaCross-Projekts (http://aquacross.eu) zeigen, wie sich die Wechselwirkungen zwischen menschlichen Aktivitäten, Belastungen und verschiedenen aquatischen Ökosystemkomponenten auf die aquatische Biodiversität und die Bereitstellung von Ökosystemleistungen auswirken (Lago et al. 2019). Dies unterstreicht, dass ökologische und gesellschaftlich orientierte Theorien gemeinsam integriert werden müssen, um verbesserte Managementrahmenwerke zu schaffen (Truchy et al. 2015). Eine zentrale ökologisch orientierte Theorie ist jene zu den Meta-Ökosystemen. Der Meta-Ökosystem-Ansatz umfasst Meta-Gemeinschaftsaspekte und Nahrungsnetzstrukturen; er beschreibt, wie räumliche Flüsse von Energie, Ressourcen (abiotischer und biotischer Ressourcentransport), Organismen (Ausbreitung, Lebenszyklus-Migrationen und Bewegungen) und Umweltbedingungen (abiotische Umwelt) zwischen und innerhalb verschiedener räumlicher Einheiten das Funktionieren von Ökosystemen, die Zusammensetzung von Artengemeinschaften und die Biodiversität auf verschiedenen räumlichen Skalen bestimmen, wobei auch die zeitliche Dynamik berücksichtigt wird (Gounand et al. 2018a). Mit der Verknüpfung von gesellschaftlichen Aspekten, menschlichen Eingriffen und der Meta-Ökosystemtheorie lässt sich ein besseres Verständnis von Funktionsweisen des Ökosystems und von Ökosystemveränderungen erzielen. (Renaud et al. 2018; Gounand et al. 12,13,a, b) Wir bauen auf diesen Ideen auf, indem wir ein Meta-Ökosystem-Rahmenwerk mit hydromorphologischen Komponenten (die auch wesentliche menschliche Eingriffe umfassen) kombinieren und diese mit ausgewählten Ökosystemleistungen als wesentliche Verbindung zur menschlichen Gesellschaft integrieren (Abb. 1). Ein solcher Meta-Ökosystem-Ansatz für Flüsse wird die derzeitigen Bewertungsansätze durch eine stärker prozessorientierte Perspektive ergänzen.

Abb. 1
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Konzeptioneller Aufbau des Projekts: Das Schema beschreibt den Aufbau des Projekts und die Verbindungen zwischen den zu untersuchenden Hauptthemen. Das Meta-Ökosystem-Rahmenwerk, bestehend aus Hydromorphologie, biotischen Interaktionen, Stoffflüssen, Ökosystemleistungen und Ausbreitung von Metagemeinschaften, fließt abschließend in einen Meta-Ökosystemansatz in der Praxis (violetter Pfeil) ein

1.1 Christian Doppler Labor MERI

Das im Oktober 2021 gestartete Christian Doppler Labor für Dynamik von Meta-Ökosystemen in regulierten Flusslandschaften (MERI) wird in den nächsten sieben Jahren gemeinsam mit den Unternehmenspartnern viadonau (österreichische Wasserstraßen-Gesellschaft mbH), Verbund Hydro Power GmbH und Österreichische Bundesforste AG (ÖBF) zusammenarbeiten. MERI hat zum Ziel, den Meta-Ökosystem-Ansatz anzuwenden und in die Praxis zu transferieren (Abb. 1), um die aktuellen ökologischen Bedingungen auf Ebene des ökologischen Flussnetzwerks Donau zu analysieren, die Effekte von bereits durchgeführten Renaturierungsmaßnahmen zu untersuchen und zukünftige Szenarien von Veränderungen und Maßnahmen zur bestmöglichen Abschwächung von ökologisch nachteiligen Veränderungen vorherzusagen. Das CD-Labor MERI besteht aus vier wissenschaftlichen Arbeitspaketen, die sich mit den folgenden übergeordneten Forschungsfragen befassen:

  • Wie verändern sich die Qualität, die Konfiguration und die Konnektivitäts-Beziehungen von verschiedenen Flussabschnitten mit unterschiedlichen hydromorphologischen Merkmalen in unterschiedlichen zeitlichen Schritten (historisch, nach Flussregulierung, teilweise Restaurierung), und wie hat sich das Meta-Ökosystem und seine Artenvielfalt dadurch verändert?

  • Wie beeinflussen Veränderungen der hydromorphologischen Merkmale ökologische Muster, Prozesse und Skalenbeziehungen (Meta-Ökosystem-Ansatz)?

  • Wie haben Biodiversität (z. B. die Flussfische) und Ökosystemfunktionen auf diese vergangenen Veränderungen reagiert, und wie haben Renaturierungsmaßnahmen diese Reaktionen bisher verändert/beeinflusst?

  • Wie kann ein besseres Wissen über skalenabhängige Muster und Prozesse Managemententscheidungen für eine nachhaltige Nutzung und die Bereitstellung von Ökosystemleistungen verbessern?

In drei Phasen werden im CD-Labor MERI zunächst die Grundlagen des Meta-Ökosystems der österreichischen Donau mit bestehenden Daten erstellt und die Veränderungen auf Organismengemeinschaften und Ökosystemleistungen sowie auch die Wirkung von Managementmaßnahmen untersucht (Phase 1). Parallel dazu starten mit der Phase 2 umfangreiche Untersuchungen der Fischwanderung, der Nahrungsnetze in ausgewählten Flussabschnitten und der genetischen Struktur ausgewählter Fischarten sowie der Ökosystemleistungen mit einem Schwerpunkt auf der Freizeitfischerei und der Erholungsnutzung in ausgewählten Flussabschnitten. In Phase 3 werden Vorhersagemodelle eingesetzt, um Vorschläge für effiziente Managementmaßnahmen zu entwickeln.

2 Untersuchungsgebiet

In MERI betrachten wir die gesamte österreichische Donau zusammen mit den Unterläufen ihrer Zubringerflüsse als ein großes Meta-Ökosystem, das verschiedene Ökosysteme enthält (Abb. 2). Als Teil der Oberen Donau hat die österreichische Donau den höchsten Grad an Fragmentierung und Kanalisierung erfahren (Tockner et al. 2009). Nach der ersten systematischen Flussregulierung im 19. Jahrhundert wurde die österreichische Donau seit den 1950er-Jahren durch den Bau einer Kette von zehn Laufwasserkraftwerken schrittweise und zunehmend fragmentiert. Im Zuge des Ausbaus der Wasserkraftwerke wurden entlang der Staue Rückstaudämme errichtet, die den Fluss zunehmend von den Auensystemen entkoppelten. Aufgrund dieser Entwicklungen existieren elf durch Staustufen getrennte Flussabschnitte, die als eigenständige Ökosysteme zu sehen sind (Abb. 2). Insgesamt weisen diese elf Flussabschnitte ähnliche Merkmale auf: Sie zeichnen sich durch eine kurze Stauwurzel mit noch höheren Fließgeschwindigkeiten aus, die dann in einen langen gestauten Abschnitt mit abnehmenden Fließgeschwindigkeiten übergeht. Nur zwei längere frei fließende Abschnitte entsprechen nicht diesem Muster (Abb. 2): (8) die Wachau (rund 30 km lang) und (11) der Donauabschnitt östlich von Wien (rund 50 km lang). Dies sind die einzigen Flussabschnitte der österreichischen Donau, die einen naturnahen Fließcharakter aufweisen. In der Wachau schränkt die enge Talsohle morphologische Lebensraumentwicklungen wie die Bildung von Inseln, Seitenarmen und Schotterbänken natürlich ein. Im Gegensatz dazu befindet sich der frei fließende Abschnitt östlich von Wien in einem Überschwemmungsgebiet, in dem die Donau vor der systematischen Regulierung einen verzweigten Flusslauf aufwies (Hohensinner et al. 2013). Um negative Auswirkungen verschiedener Nutzungen und hydromorphologischer Veränderungen zu reduzieren, wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche lokale Renaturierungsmaßnahmen geplant und umgesetzt (Grüner et al. 2022). Zu den wichtigsten Maßnahmentypen zählen Uferrückbau in ein flaches Kiesufer mit natürlichem Wasser-Land-Übergang (z. B. Bereiche in der Wachau), Entfernung der Ufersicherung für eine freie morphologische Entwicklung des Ufers (z. B. „LIFE Natur Uferrückbau Thurnhaufen“), Uferstrukturierung mittels Insel-Nebenarm-System (z. B. Insel-Nebenarm-System Zizacker), Schaffung durchströmter Nebenarme (z. B. „Ottensheimer Marktau“), Schaffung kleiner durchströmter Nebenarme (z. B. „LIFE Wachau“ und „LIFE+ Flusslebensraum Mostviertel – Wachau“), Wiederanbindung von Altarmsystemen (z. B. „Gewässervernetzung Maria Ellend – Regelsbrunn“), Schaffung von Umgehungsbächen als Fischwanderhilfe (z. B. bei Kraftwerk Freudenau linksufrig auf der Wiener Donauinsel), Schaffung von dynamischen Umgehungsarmen als Fischwanderhilfe (z. B. Gießgang Greifenstein), Wiederherstellung einseitig angebundener Altarme (z. B. Altarm bei Aggsbach), Wiederherstellung von Mündungsbereichen und Zubringerstrecken (z. B. „LIFE Natur Lebensraum Huchen“, „LIFE+ Traisen“), Schaffung isolierter Kleingewässer („LIFE Hang- und Schluchtwälder im Oberen Donautal und Aschachtal“), Uferstrukturierungen im zentralen Stauraum (z. B. Feinsediment-Biotope bei Aschach), aber auch Kombinationen von unterschiedlichen Maßnahmentypen, wie z. B. im „Pilotprojekt Bad Deutsch-Altenburg“. Mehr als 50 Projekte mit unterschiedlichen Maßnahmentypen und deren Kombinationen wurden mittlerweile an der österreichischen Donau umgesetzt (Grüner et al. 2022) und zeigen ökologische Verbesserungen in den revitalisierten Bereichen und eine lokale positive Wirkungen auf die Fischfauna (Jungwirth et al. 2014; Schmutz et al. 2014; Ramler und Keckeis 2019). Durch die Erhöhungen des Habitatangebots zeigt sich eine rasche Verbesserung der Reproduktion, jedoch kann man eine bestandsrelevante Verbesserung in den fischökologischen Studien noch nicht erkennen. Zusätzlich wirken Einflüsse wie Wellenschlag und Neozoen zum Teil massiv weiter. Daher ist ein wesentliches Ziel von „MERI“ die Evaluierung der Maßnahmentypen auf Konnektivität, Habitatverfügbarkeit und ÖSL, und deren kumulativer und langfristiger Effekt, um Restaurationspotenziale nachhaltiger nutzen zu können und viele aktuell weiterhin bestehende Defizite zu beheben.

Abb. 2
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Karte des Meta-Ökosystems Österreichische Donau und ihrer Hauptzuflüsse mit den elf definierten Ökosystemen. Die kleine Karte zeigt die Lage des Meta-Ökosystems in Mitteleuropa

3 Methodischer Zugang in MERI

3.1 Erstellung des Meta-Ökosystem Rahmenkonzeptes

Traditionell konzentrieren sich Restaurierungsmaßnahmen, Monitoring aber auch Prognosemodelle meist auf die lokale Ebene, d. h. auf die Bedeutung lokaler Lebensraumbedingungen und deren Wiederherstellung für Arten und Vielfalt. Da die Fragmentierung des Flussnetzwerks bzw. Auennetzwerks eine große Bedrohung für das Biodiversitätsmanagement darstellen, kann jedoch eine Praxis, die sich ausschließlich auf den lokalen Lebensraumaspekt konzentriert, die erwarteten ökologischen Ergebnisse verfehlen. Ein Ziel in den ersten Jahren des Projekts ist daher die Einbeziehung der regionalen Komponente, d. h. der Einfluss von Ausbreitung und Migration von Organismen und der räumlichen Ressourcen- und Energieflüsse im gesamten Flussnetz. Ein wichtiges Ziel ist dabei die Landschaftskonnektivität bzw. Fragmentierung von Lebensräumen in der Flusslandschaft zu unterschiedlichen Zeitschnitten (19. Jhdt. bis heute) darzustellen, welche für die Ausbreitung und Migration und somit Verbreitung und Erhaltung von Populationen und Lebensgemeinschaften essenziell war und ist (Erős et al. 2012; Erős und Lowe 2019; Heino et al. 2017). Dabei liegt der Fokus einerseits auf longitudinaler Konnektivität, der Fragmentierung im Längsverlauf der Donau und der Nebenflüsse durch Barrieren wie Wasserkraftwerke. Hier wird beispielsweise der „dendritic connectivity index“ angewendet und adaptiert. Dieser Index wurde entwickelt, um das Ausmaß der Fragmentierung durch Barrieren im zeitlichen Verlauf zu quantifizieren bzw. um vorhandene Barrieren bezüglich ihrer Bedeutung für wandernde Fischarten zu priorisieren (Cote et al. 2009). Andererseits liegt der Fokus auf der lateralen Konnektivität, der Verbindung des Hauptstroms mit der Au und somit der Isolation und Fragmentierung von Augewässern bedingt durch die weitreichenden Regulierungsmaßnahmen entlang der Donau und ihrer Nebengewässer. Indikatoren dafür sind Zentralitätsmaße wie „betweenness centrality“ oder „closeness centrality“, die im Projekt für Fluss-Auen-Systeme angewendet und weiterentwickelt werden (Erős et al. 2012).

Eine wichtige Herausforderung ist dabei die Komplexität und Dynamik des Systems. Die meisten verwendeten Methoden beruhen auf einer statischen Landschaftsbeschreibung (Uroy et al. 2021). In Flusslandschaften ist jedoch die saisonale und hydrologische Dynamik ein wichtiger Faktor für Veränderungen der Konnektivität zwischen den Habitaten (Bishop-Taylor et al. 2018). Daher sind zeitabhängige Kalkulationen von Konnektivitätsindizes erforderlich, um die Dynamik des Systems vollständig zu erfassen. In MERI wird der Ansatz getestet, dass Konnektivitätsparameter für jeden Zustand des Systems separat berechnet werden und synthetische Indikatoren entwickelt werden, um die Konnektivitätsaspekte darzustellen (Cid et al. 2020).

Weiters können verschiedene Organismengruppen unterschiedlich auf Konnektivitäts- und Habitatverlust reagieren. Daher werden in MERI unterschiedlichste trophische Ebenen (von Algen und Bakterien bis hin zu Fischen und Wasservögeln) und deren Interaktionen analysiert. So können beispielsweise Räuber-Beute-Interaktionen bei der Bestimmung von Mustern in der Verteilung von Räubern in aquatischen Systemen ebenso wichtig sein wie die Umweltbedingungen. Um solche Interaktionen besser zu verstehen, werden wir quantitative Interaktionsnetzwerke verwenden, um die Interaktionen zwischen den Gilden und die trophischen Netzwerke im Meta-Ökosystem der Donau zu analysieren (z. B. Mori und Saitoh 2014).

3.2 Zeitliche Entwicklung des Meta-Ökosystems

Darüber hinaus ignorieren viele Studien die zeitliche Entwicklung der Interaktionen zwischen sozialen Aspekten und ökologischen Prozessen und Auswirkungen von menschlichen Veränderungen (Nicholson et al. 2009). Diese Wechselwirkungen erfolgen mitunter aber über lange Zeiträume und die Berücksichtigung der zeitlichen Dynamik ist daher wesentlich, um Flüsse als sozial-ökologische Systeme verstehen zu können (Rounsevell et al. 2012; DeBoer et al. 2019). MERI analysiert die zeitliche Entwicklung von Konnektivität und Habitatbedingungen, Indikatorarten (Fokus auf Fisch- und FFH-Arten) sowie Ökosystemleistungen im Meta-Ökosystem. Die Analysen der zeitlichen Entwicklungen beginnen mit dem Jahr 1812 und spiegeln den dynamischen Referenzzustand vor den systematischen Regulierungsarbeiten an der Donau wider. Die Untersuchung der biotischen Elemente wird sich auf Fischgemeinschaften konzentrieren, da für diese Organismengruppe historische Daten verfügbar sind (z. B. Haidvogl et al. 2014; Friedrich 2013) und eine Vergleichbarkeit mit anderen Studien gegeben ist (DeBoer et al. 2019). Bei der Untersuchung der Ökosystemleistungen werden wir uns auf die Entwicklung und Veränderung wichtiger kultureller Ökosystemleistungen konzentrieren, darunter Freizeitaktivitäten, Naturerlebnisse und Angeln (Hughes 2014; Cooke et al. 2015) sowie auf regulierende Leistungen wie Nährstoff- und Wasserrückhaltevermögen. Wir werden Veränderungen im Zustand des Ökosystems (die in erster Linie durch Fischdaten und Ökosystemleistungen angezeigt werden) mit Veränderungen der Konnektivität und der Lebensraumbedingungen verknüpfen, die durch hydromorphologische Veränderungen (z. B. Flussregulierungsarbeiten, Bau von Wasserkraftwerken, Renaturierung), Managementeingriffe (z. B. Schifffahrt, Betrieb von Wasserkraftwerken, Wasserqualität) und gesetzliche Vorschriften (z. B. Fischereivorschriften, Naturschutz, Raumplanung, Schutzgebiete) verursacht werden.

3.3 Verbreitungsanalyse und räumliche Analyse von Indikatororganismen, Prozessen und deren Interaktionen

Fischgemeinschaften und ihre Wanderungsmuster sind ideale Indikatoren für die Analyse der longitudinalen Konnektivität zwischen den Flussabschnitten (inkl. Nebenflüsse), aber auch für die laterale Konnektivität zwischen dem Hauptarm der Donau und den Auengewässern. Auf der Ebene der unterschiedlichen Flussabschnitte (Abb. 2) werden wir bewerten, ob die Längsfragmentierung die genetischen Unterschiede dominanter rheophiler Donau-Arten (z. B. Nase, Chondrostoma nasus) signifikant erhöht hat. Die Individuen dieser wandernden Arten werden in verschiedenen Bereichen der elf Flussabschnitte (Abb. 2) sowie in ausgewählten Nebenflüssen beprobt, wobei mindestens 50 Individuen pro Art und Standort erfasst werden. Die Analyse der genetischen Struktur der ausgewählten Teilpopulationen wird durch die Entwicklung von Mikrosatellitenmarkern und deren Implementierung in einen Multiplex-PCR-Ansatz auf Basis von Illumina-Sequenzierungstechniken (Tibihika et al. 2019) durchgeführt. Diese Ergebnisse werden dann mit einem informationstheoretischen Ansatz verknüpft, um verschiedene konzeptionelle Ausbreitungsmodelle in Verbindung mit Barrieren, verschiedene Modelle der Isolation durch Entfernung und die kombinierten Auswirkungen von Barrieren, Wasserstraßenentfernung, Flächengröße, Zubringer und Verteilung der Populationen innerhalb und zwischen den Wasserläufen auf die genetische Differenzierung der Fischart zu vergleichen (vgl. Meeuwig et al. 2010).

Darüber hinaus werden wir die Abundanz und das Wanderverhalten der aktuellen Fischgemeinschaften in ausgewählten Flussabschnitten untersuchen. Schließlich werden wir die Fischgemeinschaften in den Augebieten untersuchen und Veränderungen in Abhängigkeit von der Jahreszeit und der Abflussdynamik bewerten. Wir werden eine Kombination aus traditionellen Beprobungsstrategien (vorwiegend Elektrobefischung vom Boot aus; Schmutz et al. 2001; Haunschmid et al. 2010) mit einem Fang-Wiederfang-Ansatz (Robson und Regier 1964; Ricker 1975; Radinger et al. 2019) verbinden. Fische mit geeigneter Größe (> 150 mm) werden mit passiven integrierten Transpondern (PIT-Tags) markiert (intramuskulär). Es ist geplant, etwa 20.000 Fische zu markieren, was eine repräsentative Stichprobe auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Bestandsschätzungen darstellt. Die markierten Fische können später bei den folgenden Fangtätigkeiten wieder gefangen oder von fest installierten Antennen‑/Empfängerstationen erfasst werden. Diese fest installierten Antennen werden in einem Nebenfluss der Donau (Traisen) und zusätzlich in den Fischaufstiegsanlagen über die gesamte Kanalbreite montiert, um damit potenzielle Wanderwege innerhalb und zwischen den ausgewählten Flussabschnitten abzudecken. Zusätzliche Antennen werden in einzelnen Zuflüssen und ausgewählten Seitenarmen für begrenzte Zeiträume (z. B. während der Laichzeit) aufgestellt. Dadurch können wichtige Habitate für Adultfische, Reproduktion (Laichgeschehen), Larven und Jungfische ermittelt werden (Abb. 3). Die Überwachung der Wanderrouten in Verbindung mit intensiven Elektrofischereierhebungen über vier Jahre kann zuverlässige Ergebnisse hinsichtlich der Artenzusammensetzung, der Biomasse (dominierende Arten) und der Altersstruktur der Fischgemeinschaft liefern und wertvolle Informationen über die Lebensraumpräferenzen und die Wanderungsdynamik innerhalb und zwischen verschiedenen Ökosystemen und Lebensräumen liefern.

Abb. 3
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Grundschema der saisonalen und täglichen Migrationsmuster von Flussfischen und deren unterschiedlichen Habitatnutzungen. (a Adultfischhabitat, J Jungfischbereiche, L Larvenstadienhabitat, R Reproduktionshabitate Linien kennzeichnen saisonale, tägliche und fakultative Wanderungen (LIFE+ Projekt NAS Schallemmersdorf (21.03.2014), © Markus Haslinger, extremfotos.com))

Zur Erstellung von Nahrungsnetzen (Zusammenhänge der Nahrungsbeziehungen zwischen den Organismen) werden wir eine breit angelegte Feldkampagne mit Probenahmen auf Flussabschnitt- und Habitat-Ebene durchführen, um die stabilen Isotopensignaturen (C und N) relevanter Lebensgemeinschaften (z. B. Algen, Zooplankton, benthische Wirbellose) zu analysieren und mit DNA-Metabarcoding zu kombinieren, um die Größe und Komplexität des Nahrungsnetzes in Kombination mit der Länge der Nahrungskette und den Ressourcenflüssen zu bestimmen (Pace et al. 1999; Layman et al. 2007). Weiters werden wir uns auf die Mesohabitat-Ebene konzentrieren, um das frühe, kritische Lebensstadium von Jungfischen in den Uferhabitaten der Donau zu untersuchen, die besonders anfällig für vielfältige Belastungen sind, einschließlich Wellenschlag und veränderter Nahrungsverfügbarkeit und -zusammensetzung. Daher werden wir In-situ-Experimente durchführen, um die Effizienz der Uferrenaturierung zur Schaffung geeigneter Lebensräume für Jungfische zu bewerten.

3.4 Meta-Ökosystem-Management-Ansatz – sozio-ökologische Perspektive

Umfangreiche menschliche Eingriffe und Nutzungen haben Flusslandschaften erheblich verändert und gleichzeitig regulierende und erhaltende sowie versorgende Ökosystemleistungen beeinträchtigt (Cardinale et al. 2012; Teixeira et al. 2019). Obwohl kulturelle Ökosystemleistungen zunehmend genauer untersucht werden, sind sie noch selten in das Ökosystemleistungs-Konzept für Flüsse integriert (Daniel et al. 2012; Plieninger et al. 2013).

Für das Management von Flusslandschaften ist es nach wie vor eine zentrale Herausforderung, eine intakte biophysikalische Umwelt zu erhalten und wiederherzustellen und gleichzeitig die Bedürfnisse von Interessengruppen zu erfüllen, die auf die bereitgestellten Leistungen angewiesen sind (z. B. Ormerod 2014). Dementsprechend müssen bei der Integration der Interessen verschiedener Stakeholder-Gruppen im Meta-Ökosystem der Donau Synergien und Kompromisse zwischen verschiedenen Management- und Renaturierungsmaßnahmen und den damit verbundenen Funktionen und Dienstleistungen berücksichtigt werden. Im Projekt MERI liegt der Fokus zum einen auf Regulierungs- und Erhaltungsleistungen, die Ökosysteme aufgrund ihrer Kapazität speziell für die österreichische Donau bereitstellen. Zum anderen werden kulturelle Leistungen von Ökosystemen untersucht, wobei hier die Erholungsnutzung und Fischerei im Vordergrund stehen. Dafür wird die Verfügbarkeit und Qualität von Ökosystemleistungen analysiert und es wird z. B. bewertet, wie verschiedene individuelle Freizeitnutzer die Eigenschaften der verschiedenen Flussabschnitte entlang der Donau wahrnehmen. Im Hinblick auf die Fischerei liegt der Schwerpunkt auf dem Freizeitangeln. Heute hat die Freizeitfischerei die kommerzielle Fischerei abgelöst. Sie ist für die modernen Gesellschaften der nördlichen Hemisphäre aber nach wie vor von großer gesellschaftlicher Relevanz (z. B. Unfer und Pinter 2018; Arlinghaus 2004). In dieser Hinsicht hat die gesellschaftliche Entwicklung den Wert und die Verteilung von fischbezogenen Ökosystemleistungen erhöht. Früher garantierten intakte Flusslandschaften insgesamt hohe Fischerträge, und der Fischbesatz beschränkte sich auf wenige (meist geschlossene) Gewässer in der Aue. Heutzutage wird dagegen in zunehmend degradierten Flusslandschaften versucht, eine immer größere Zahl von Freizeitanglern mit Fischbesatz zu befriedigen (d. h. kompensatorischer Fischbesatz im Sinne von Laikre 1999 und Welcomme und Bartley 1998). So werden wir die Bedürfnisse und Erwartungen der Angler in Bezug auf Bewirtschaftungsmaßnahmen (Wiederherstellung von Lebensräumen, Fischbesatz und Angelvorschriften) sowie ihre Wahrnehmung der Nachhaltigkeit im Fischereimanagement untersuchen. Darüber hinaus werden wir die Folgen der verschiedenen Angelpraktiken für die Ökosysteme analysieren.

4 Erwartete Ergebnisse und Ausblick

Zahlreiche menschliche Eingriffe an und im Umland von Flüssen haben dazu geführt, dass ökologische Prozesse und menschliche Aktivitäten eng miteinander verwoben sind – eine Verbindung, die als sozio-ökologisches System bezeichnet wird (Hein et al. 2021). Die menschlichen Eingriffe führten zu dramatischen Verlusten von Flusslebensräumen und damit zu einer funktionalen Degradierung von Flusslandschaften. Gleichzeitig werden die von Flusslandschaften erbrachten Ökosystemleistungen (ÖSL) weithin geschätzt (z. B. Sanon et al. 2012; Schindler et al. 2014), was zu einer Vielzahl an Renaturierungsprojekten mit unterschiedlichen Maßnahmentypen führte (Jungwirth et al. 2014), die das Ziel verfolgten, die Biodiversität und Ökosystemprozesse sowie in letzter Zeit auch vermehrt die Verfügbarkeit von ÖSL zu verbessern. (Hein et al. 2018). Um eine solide Grundlage für Entscheidungsprozesse zu schaffen, ist es notwendig, die Ökosystemfunktionen und ihre Dynamik, den Austausch von Organismen, Stoffen und Ressourcen und die damit verbundenen Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Flussnetzwerken gemeinsam zu analysieren. Das daraus entstandene Verständnis, wie der Mensch den Ökosystemwandel antreibt – auch unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Ökosystemen auf größeren Skalen (Gounand et al. 2018b; Renaud et al. 2018) – kann in neue Managementansätze übersetzt werden. Daher wird ein solcher Forschungsansatz eine vielversprechende Grundlage für die Entscheidung über optimale und nachhaltige Ökosystemmanagement- und Restausrationsstrategien liefern (Vermaat et al. 2016).

Traditionell konzentrieren sich Renaturierungsprojekte und deren Monitoring auf kleinräumige Abschnitte und fokussieren dementsprechend auf die lokale Ebene, d. h. auf die Bedeutung lokaler Lebensräume und deren Wiederherstellung. Da die Fragmentierung des Längsverlaufs von Flüssen, d. h. der Verlust der Vernetzung durch Barrieren wie Wasserkraftwerke, und die laterale Fragmentierung des Flusssystems, z. B. durch Hochwasserschutzdämme oder Uferbefestigungen, ihre Wirkung in Summe über große räumliche Einheiten entfalten (z. B. die gesamte österreichische Donau und ihre Zubringer) und eine Bedrohung für die Biodiversität darstellen, könnte eine Management- und Restaurations-Praxis, die sich ausschließlich auf den lokalen Lebensraumaspekt konzentriert, die erwarteten ökologischen Ergebnisse verfehlen. Das Ziel des CD-Labors MERI ist es daher, ein Programm der effektivsten Maßnahmen für das Meta-Ökosystem Donau zu entwickeln und zu testen, das die erforderliche Multifunktionalität unterstützt, d. h. mehrere Arten, mehrere Funktionen (Biodiversität, Wasserkraft, Schiffsverkehr) und mehrere Ökosystemleistungen integriert. Durch die Einbeziehung von trophischen Interaktionen (May 1972), Konnektivität und Wanderverhalten von Arten (Williams et al. 2006; VanderVorste et al. 2016) wird eine solche Analyse es uns ermöglichen, Managementstrategien zu entwickeln, die die Stabilität (d. h. Widerstandsfähigkeit und Resilienz) des Meta-Ökosystems und seiner Teilräume (Flussabschnitte der Donau, Zubringer, Auensysteme) unter Berücksichtigung lokaler Lebensraumqualitäten und Konnektivitätsaspekte sowie langfristiger Trends unterstützt. Im Zuge von MERI werden daher Prognosemodelle zur Vorhersage der Auswirkungen von verschiedenen Managementmaßnahmen und zur Berücksichtigung zukünftiger Klimawandelauswirkungen entwickelt werden. Weiters werden künftige Bewirtschaftungsalternativen und Klimawandelszenarien verwendet, um potenzielle Entwicklungspfade für das Meta-Ökosystem zu analysieren. Mithilfe multikriterieller Analyseinstrumente werden wir in der Lage sein, optimierte Bewirtschaftungsmaßnahmen vorzuschlagen, die eine Betrachtung der verschiedenen Ziele ermöglichen können, einschließlich der biologischen Vielfalt und der Ökosystemfunktionen, der gesetzlichen Anforderungen an den Naturschutz und den Gewässerzustand (z. B. EU-Habitatrichtlinie, EU-Wasserrahmenrichtlinie), der Freizeitnutzung und anderer ÖSL sowie der Schifffahrt und der Wasserkraft. Diese Ziele im Rahmen des CD-Labors MERI werden mittels wissenschaftlicher Kooperationen national und international und in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmenspartnern erreicht.