1 Archäologisches Fundgebiet

1.1 Der Michlhallberg

Nordwestlich von Altaussee liegt der 1717 m hohe Kalkstock des Sandling, der das größte Salzvorkommen Österreichs überdeckt. Das ergiebige Hauptsalzlager an der Ostseite des Berges im Bereich der heutigen Salzwelten Altaussee wurde nachweislich schon seit dem Hochmittelalter beschürft. Die ältesten Bergbauaktivitäten dürften jedoch an der Südseite des Sandlings zu suchen sein, dort wo die Römer im verkehrstechnischen Abseits und in Ungunstlage auf rund 1000 m Seehöhe eine Siedlung errichteten. Diese liegt im Hangbereich unmittelbar östlich der oberösterreichisch-steirischen Grenze bzw. des heutigen Michlhallbachs (Sandlingbach). Benannt wurde die römische Siedlung nach dem dortigen Flurnamen Michlhallberg, der auf die mittelalterliche Salzgewinnung verweist [1,2,3,4].

1.2 Forschungen 1997–1999

Die römische Siedlung Michlhallberg wurde in den Jahren 1997 bis 1999 durch das Institut für Klassische Archäologie der Universität Innsbruck unter der Leitung von Gerald Grabherr systematisch erforscht [5, 6]. Bei den Grabungen wurde festgestellt, dass durch Massenbewegungen die Siedlungsschichten teilweise talabwärts verlagert wurden. Dies erklärt möglicherweise auch, warum vor Ort keine aussagekräftigen baulichen Strukturen aus der Römerzeit mehr festgestellt werden konnten. Durch Grabungen und Prospektionen sind aber immerhin rund 1600 Kleinfunde aus Keramik, Glas, Metall, Stein und Holz geborgen worden, darunter Münzen, Fibeln, Gürtelbestandteile, Werkzeuge sowie Ess‑, Koch- und Vorratsgeschirr, die nahelegen, dass die Siedlung vom Ende des 2. bis in das späte 4. Jh. n. Chr. bestand. Diverse Militaria im Fundmaterial lassen zudem die Anwesenheit von Militär oder von staatlichen Beamten in der Siedlung am Michlhallberg vermuten, die hier Schutz und Verwaltung sicherstellen sollten. Ihre Präsenz wurde mit einem vermuteten Salzabbau vor Ort begründet, für den jedoch keine konkreten Bergbauspuren, sondern nur der Fund eines einzelnen Doppelspitzschlägels sprachen, also eines schweren Werkzeugs zur Steinbearbeitung [7].

1.3 Forschungen 2011–2022

In den Jahren 2011 bis 2013 und 2021/22 wurden die Geländeforschungen im Umfeld der römischen Siedlung am Michlhallberg durch die Archäologische Arbeitsgemeinschaft Salzkammergut bzw. den lokalen Verein HEFOSA, das Bundesdenkmalamt und das Universalmuseum Joanneum in Graz wieder aufgenommen und erbrachten rund 300 weitere Metallfunde, darunter auch 20 vollständig erhaltene Doppelspitzschlägel und diverse Fragmente von Spitzen, die als Einzelfunde bzw. als Teil eines Werkzeugdepots im Umfeld des in den 1990er-Jahren untersuchten Hauptsiedlungsbereich bzw. der dazugehörigen Straßentrasse entdeckt wurden (Abb. 1, [8]). Sie scheinen die Interpretation des Fundortes als römische Bergbausiedlung weiter zu stützen. Zudem konnte in diesem Areal auch ein verbrochenes Stollenmundloch mit vorgelagerter Halde untersucht werden, das jedoch nicht der Römerzeit, sondern dem frühneuzeitlichen Salzbergbau, um die Mitte des 16. Jahrhunderts zuzuordnen ist. Aufgrund der Instabilität des geologischen Untergrundes – bestehend aus Kalkschollen, die auf einem duktilen Haselgebirge ruhen – und daraus resultierender Massenbewegungen scheint es unwahrscheinlich, dass in Zukunft am Michlhallberg noch zeitlich weiter zurückreichende, oberflächennahe Bergbauspuren, wie z. B. aus der Römerzeit, entdeckt werden können.

Abb. 1
figure 1

Auswahl einiger gut erhaltener Doppelspitzschlägel vom Michlhallberg. (Foto: D. Modl)

2 Der Doppelspitzschlägel

2.1 Einsatzbereich und Anwendung

Der Doppelspitzschlägel ist eine alte Gezäheform, die auch unter den Namen Zweispitz, Flügeleisen oder Doppelkeilhaue bekannt ist. Mit ihm wurden mittelfeste Weichgesteine, wie z. B. Sandstein, Kalkstein und Marmor gebrochen, flächig zugerichtet oder mit Ausnehmungen versehen (Keilloch, Schrämgraben) [9,10,11]. Der Doppelspitzschlägel ist auch aus dem Kontext der Salzbergwerke und Salinen im 19. und 20. Jahrhundert bekannt, wo er zum Brechen von Steinen, zur Zurichtung von Mauerquadern, beim Schrämen und Schlitzen im Steinsalz und teilweise auch beim Ablösen der Salzkruste vom Boden der Sudpfannen genutzt wurde (Abb. 2, [12, 13]).

Abb. 2
figure 2

Drei historische Doppelspitzschlägel („Zwoaspitz“) aus der Saline Aussee (mit der Draufsicht und dem Querschnitt), vermutlich 19./20. Jahrhundert; Sammlung „Steirisches Salz“ in Schloss Trautenfels, Universalmuseum Joanneum: a Inv.-Nr. 11.323; b Inv.-Nr. 14.684, c Inv.-Nr. 11.270. (Foto/Grafik: D. Modl)

Dieses vielfältig einsetzbare Werkzeug wurde zweihändig geführt und hatte dabei – je nach Verwendung – Stiellängen von ungefähr 40 bis 80 cm. Die Stiele waren meist aus Buchen und Eschenholz gefertigt. Durch die zweifache Spitze war dieses Schlagwerkzeug nicht nur besser ausbalanciert als einseitige Gezähe, sondern besaß auch eine höhere Standzeit, da nach Abarbeitung der einen Spitze, die Arbeit mit der zweiten unmittelbar fortgesetzt werden konnte.

2.2 Beschreibung und Erhaltung

Die am Michlhallberg gefundenen Doppelspitzschlägel besitzen einen langgestreckten Körper mit einer deutlichen Schwellung im Bereich des Stielauges bzw. Schaftlochs. Beidseitig des Stielauges verlaufen zwei annähernd symmetrische Schenkel mit hochrechteckigem Querschnitt, die in kurze, stabile Spitze auslaufen. Der Doppelspitzschlägel erscheint im Querschnitt plankonvex mit einer flachgewölbten Oberseite und einer relativ ebenen Unterseite. Die Länge und das Gewicht der bislang untersuchten Stücke schwankt zwischen 36,8 bis 24,9 cm und 2,6 bis 1,2 kg (Abb. 3). Auch die Maße des ovalen und in einigen Fällen komplett mit Limonit verkrusteten Stielauges kann erheblich variieren, wenn man die größte und kleinste Lochung miteinander vergleicht, die bei 4,1 × 3,1 cm bzw. 2,9 × 1,9 cm liegen. Je nach Durchmesser des Stielauges beträgt die größte Breite der Doppelspitzschlägel zwischen 4,8 und 6,3 cm.

Abb. 3
figure 3

Zeichnerische Gegenüberstellung der Doppelspitzschlägel DS1–21 mit der Draufsicht und dem Querschnitt (der Pfeil markiert den untersuchten Doppelspitzschlägel DS19). (Grafik: M. Windholz-Konrad/D. Modl)

Der größte Teil der am Michlhallberg geborgenen Doppelspitzschlägel wirkt auf den ersten Blick einsatzbereit und kaum abgenützt, wie ihre intakten Spitzen zeigen. Einige Exemplare weisen jedoch deutliche Schäden auf, wie ein aufgerissenes Stielauge bzw. Schafthaus, einen gebrochenen Schenkel oder deformierte oder fehlende Spitzen (Abb. 4). Bei einigen Doppelspitzschlägeln liegt das Schaftloch zudem nicht mittig, was vermutlich damit zusammenhängt, dass abgearbeitete oder abgebrochene Spitzen kontinuierlich, aber ungleichmäßig nachgeschmiedet wurden. In diesem Kontext sind vielleicht auch die kleineren Doppelspitzschlägel zu sehen, deren Länge – außer dies war arbeitstechnisch gewollt – durch das wiederholte Nachspitzen schrumpfte.

Abb. 4
figure 4

Gegenüberstellung von drei beschädigten Spitzen: a Verbogene Spitze (DS18); b Deformierte Spitze (DS8), c Abgebrochene Spitze (DS8). (Foto: D. Modl)

2.3 Datierung und Vergleiche

Da am Michlhallberg ein neuzeitlicher Salzbergbau belegt ist, wurde zu Beginn der aktuellen Forschungen die Datierung der dort gefundenen Doppelspitzschlägel in die Römerzeit noch einmal kritisch hinterfragt und Vergleichsuntersuchungen angestellt. Vier Charakteristika unterscheidet die Exemplare vom Michlhallberg von den meisten ihrer neuzeitlichen Gegenstücke [14, 15]: Sie erscheinen insgesamt weniger gedrungen und verfügen über eine stärkere Schwellung im Bereich des Schaftlochs, sie besitzen durchgehend ein ovales Auge und sie weisen keine mit einer Formpunze eingeschlagenen Schmiedemarken auf.

Innerhalb der bekannten römischen Gezähe bilden die Doppelspitzschlägel vom Michlhallberg entsprechend ihres charakteristischen Aussehens einen eigenen Typ, zu dem bislang nur wenige Vergleichsbeispiele existieren. Werkzeuge aus der Bergbauregion Río Tinto in der spanischen Provinz Huelva [16, 17], aus dem Bereich der römischen Moselbrücke in Trier [18], aus den Tuffgruben der Pellenz in der Osteifel [19], aus dem römischen Kastell Saalburg bei Bad Homburg [20], vom Moosberg bei Murnau am Nordrand der bayerischen Alpen [21] oder aus dem für seine antike Salzmine bekannten Turda in der rumänischen Region Siebenbürgen [22] ähneln in manchen Charakteristika den Exemplaren von Michlhallberg. Den Vergleichsstücken ist gemein, dass sie oft aus keinen gesicherten, römerzeitlichen Fundzusammenhängen stammen. Auffällig ist auch, dass sie an den genannten Fundorten nur in ein oder zwei Ausführungen erscheinen. Aus der archäologischen Fundregion um den Michlhallberg sind dagegen 21 fast vollständige Exemplare bekannt, die durch ein weiteres Fundstück von der spätrömischen Höhensiedlung auf der Knallwand in Ramsau am Dachstein [23], ungefähr 23 km südlich vom Michlhallberg, ergänzt werden. Nach derzeitigem Kenntnisstand wird ein römerzeitliches Alter für die Doppelspitzschlägel vom Michlhallberg angenommen.

3 Metallkundliche Untersuchungen

3.1 Ausgangslage

In Österreich sind römische Bergbauwerkzeuge bislang erst selten werkstoffkundlich untersucht worden. Hierzu zählen zwei Gezähetypen aus Kärnten, einerseits ein massiver Doppelspitzschlägel mit achteckig facettierten Kopf aus dem römerzeitlichen Marmorsteinbruchrevier Spitzelofen [24, 25] und ein länglicher Tüllenlappenpickel von der Fundstelle Altbergbau 1 vom Hüttenberger Erzberg [26]. Durch die Gefügeuntersuchungen eines Doppelspitzschlägels und einer abgebrochenen Spitze vom Michlhallberg erwarteten sich die Autor*innen weitere Erkenntnisse zum Fertigungsprozess von Gezähen und zur Stahlverarbeitung während der Römerzeit.

3.2 Probenauswahl

Aus dem umfangreichen Konvolut an Doppelspitzschlägeln und ihren Bruchstücken vom Michlhallberg wurden zwei Stücke für metallkundliche Untersuchungen ausgewählt und dementsprechend präpariert.

Beim ersten Objekt handelte es sich um den vollständig erhaltenen Doppelspitzschlägel mit der Fundnummer 5WM2013 bzw. der Bearbeitungsnummer DS19 (Abb. 5). Mit einer Länge von 26,4 cm, einer Breite von 4,8 cm, einer Höhe von 4,1 cm und einem Gewicht von 1382 g gehörte er zu den kleinsten bekannten Exemplaren dieses Gezähetyps. Der Doppelspitzschlägel besitzt ein ovales Auge bzw. Schaftloch mit Maßen von 3,5 × 2,0 cm. Die gesamte Oberfläche des Doppelspitzschlägels ist stark korrodiert und mit Rost überzogen.

Abb. 5
figure 5

Orthoansichten des Doppelspitzschlägels DS19 mit vier Querschnitten. (3D-Modell: Archaeogon/P. Bayer; Grafik: D. Modl)

Bei dem zweiten Objekt handelt es sich um die abgebrochene Spitze eines Doppelspitzschlägels mit der Fundnummer 12MP078 (Abb. 6). Sie ist 6,1 cm lang, 2,9 cm breit und besitzt ein Gewicht von 80 g. Charakteristisch für die langpyramidale Spitze mit rechteckigem Querschnitt ist eine an der Bruchfläche abstehende Lamelle. Auch die Oberfläche dieses Objekts war stark mit Korrosion überzogen, die bei einer vorangegangenen Restaurierung teilweise mittels Sandstrahlgerät abgetragen wurde.

Abb. 6
figure 6

Einzelspitze: Seitenansicht, Unterseite und Querschnitt. (Grafik: M. Windholz-Konrad/D. Modl)

3.3 Probenpräparation

Der Doppelspitzschlägel wurde mittels einer Bandsäge zuerst halbiert, worauf eine der Hälften der Länge nach geteilt wurde. Die weitere Zerteilung dieses Segments erfolgte mittels einer metallographischen Labortrennmaschine. Die Entnahmestellen der verschiedenen Proben bzw. Untersuchungsbereiche wurden in einer perspektivischen Ansicht des Segments verzeichnet (Abb. 7). Die abgebrochene Spitze konnte dagegen direkt mit der Labortrennmaschine zerteilt werden.

Abb. 7
figure 7

Entnahmestellen von Proben für die metallographische Präparation. (Grafik: J. Preslmayr/D. Modl)

Die Teilstücke wurden in Epoxidharz kalteingebettet und danach mittels Schleifen und Polieren präpariert. Die polierten Proben wurden sowohl ungeätzt als auch nach einer Ätzung mit 3 %iger Nital- bzw. Klemm1-Lösung im Lichtmikroskop (LOM) untersucht. Um die vorliegenden Stahlgefüge besser beurteilen zu können, wurden Mikrohärtemessungen nach Vickers HV 0,1 durchgeführt.

4 Gefüge des Doppelspitzschlägels

Im Doppelspitzschlägel findet man, aufgrund sehr ausgeprägter C‑Gradienten, nahezu alle gängigen Stahlgefüge sowie auch Abschreckgefüge. Die Beschreibung beginnt bei der Spitze mit den Bereichen A, B und C, setzt sich fort mit den Bereichen D und E am mittleren Schenkel und endet am Auge des Doppelspitzschlägels mit den Bereichen F und G (Abb. 7).

4.1 Bereich A: Spitze, vorderer Abschnitt, Längsschnitt (Abb. 8)

An den zusammengesetzten Überblicksbildern der Abb. 8a, b erkennt man deutlich die Korrosion und die Schlackeneinschlüsse. Nach dem Ätzen mit Nital (Abb. 8b, c) lassen sich weiße sowie unterschiedlich braun gefärbte Bereiche unterscheiden. Ein derartiges Ätzverhalten deutet auf Gefügeveränderungen durch eine Wärmebehandlung hin. In den Detailbildern Abb. 8d, e sind Martensit und Restaustenit zu sehen, wobei in Abb. 8e neben dem dunklen, kubischen Martensit auch weißer, tetragonaler Martensit auftritt. Während Abb. 8f einen Überblick gibt, handelt es sich bei Abb. 8g, h um entsprechende Detailbilder. Sie zeigen überwiegend Perlit, etwas Ferrit (weiß) und Zwischenstufe (Bainit). In Abb. 8h ist zusätzlich Restaustenit und Martensitbildung zu beobachten.

Abb. 8
figure 8

Bereich A: a Poliert; bh Nital Ätzung

4.2 Bereich B: Spitze, Querschnitt (Abb. 9)

Die unterschiedlich angeätzten Gefüge zeigen in der Überblicksaufnahme einen Kohlenstoffgradienten an (Abb. 9a). Die helleren bunten Zonen enthalten weniger Kohlenstoff und die dunkelblauen etwas mehr. Einige Stellen wurden vom Ätzmittel nicht angegriffen und hier befinden sich Höfe, in deren Zentrum Schlackeneinschlüsse erkennbar sind. Die Detailbilder Abb. 9b, c zeigen ferritisch-perlitische Gefüge, wobei der Ferrit überwiegend polygonal beziehungsweise säulenartig vorliegt, und dazwischen befindet sich Perlit. Die dunkelblauen Bereiche bestehen überwiegend aus Perlit (Abb. 9d).

Abb. 9
figure 9

Bereich B, Klemm 1 Ätzung: a Übersichtsaufnahme; bd Detailaufnahmen

4.3 Bereich C: Spitze, hinterer Abschnitt, Längsschnitt (Abb. 10)

Schon in der mit Nital geätzten Überblicksaufnahme sind sowohl ein Kohlenstoffgradient als auch Schlackeneinschlüsse beziehungsweise Lunker deutlich erkennbar (Abb. 10a). In diesem Bereich findet man sowohl übereutektoide, eutektoide und untereutektoide Strukturen. Die Aufnahmen mit übereutektoiden Stahl (Abb. 10b–e) zeigen Perlit, Zwischenstufe und ein typisches Zementitnetzwerk. Ein beinahe gänzlich eutektoides Stahlgefüge mit nur sehr wenig Ferrit ist in den Abb. 10f, g dargestellt. Gefüge mit untereutektoidem Kohlenstoffgehalt enthalten Widmannstättschen Ferrit, Zwischenstufe und Perlit (Abb. 10h, i).

Abb. 10
figure 10

Bereich C, Nital Ätzung: a Übersichtsaufnahme; bi unterschiedliche Gefüge

4.4 Bereich D/E: Schenkel, Längsschnitt (Abb. 11a–f)

Auch der Schenkel des Doppelspitzschlägels ist durch Inhomogenität im Kohlenstoffgehalt geprägt, wobei die Bereiche D und E idente Gefüge zeigten. Bei den Aufnahmen in Abb. 11a, b, e handelt es sich um Überblicksbilder, die Aufnahmen in Abb. 11c, d, f zeigen Detailbilder nach einer Ätzung mit Klemm 1. Auch hier sind sehr unterschiedliche Strukturen wie Ferrit (säulenartig, Widmannstättisch, selten polygonal), Perlit (grob, fein) und möglicherweise Zwischenstufe zu finden.

Abb. 11
figure 11

Bereich D (af), Bereich F (gl), Klemm 1 Ätzung

4.5 Bereich F: Auge, mittlerer Schaftlochbereich, Querschnitt (Abb. 11g–l)

Der Bereich um das Auge des Doppelspitzschlägels enthält weniger Kohlenstoff. In den Bildern Abb. 11g–i ist polygonaler Ferrit bei unterschiedlichen Vergrößerungen dargestellt. Eine andere Stelle in diesem Bereich lässt neben polygonalem auch säulenartigen Ferrit erkennen (Abb. 11l). Zusätzlich treten sowohl weißer Korngrenzenzementit (Abb. 11k) als auch Perlit zwischen dem säulenartigen Ferrit (Abb. 11l) auf.

4.6 Bereich G: Auge, Querschnitt (Abb. 12)

Nach einer Nitalätzung ist die inhomogene Kohlenstoffverteilung im zusammengesetzten Überblicksbild deutlich erkennbar (Abb. 12a). Die dunkleren Bereiche zeigen eine schlierenförmige Anordnung, die bei der Herstellung des Auges des Doppelspitzschlägels durch Lochung entstanden sein könnte. Detailliertere Aufnahmen in unterschiedlichen Vergrößerungen sind in Abb. 12b–i dargestellt. Einerseits liegen sehr homogene ferritisch-perlitische Gefüge vor, die sich im Kohlenstoffgehalt unterscheiden. So enthält der Bereich in Abb. 12b, c ca. 0,3 Gew.% C und jener in Abb. 12d, e etwa 0,1 Gew.% C. Andererseits findet man Stellen, die einen deutlich unterschiedlichen C‑Gehalt aufweisen und damit einhergehend tritt eine Gefügeveränderung auf. In Abb. 12f, g sind ferritisch-perlitische Regionen zu sehen, die etwa 0,3 Gew.% C (heller) bzw. 0,45 Gew.% C (dunkler) enthalten. Aufnahmen in noch höherer Vergrößerung belegen, dass neben Perlit nicht nur Korngrenzenferrit und Widmannstättscher Ferrit sondern auch Zwischenstufe entstand (Abb. 12h, i).

Abb. 12
figure 12

Bereich G, Nital Ätzung: a Übersichtsaufnahme; bi Unterschiedliche Gefüge

4.7 Mikrohärtemessungen

Um die vorliegenden Stahlgefüge besser zuordnen zu können, wurden Mikrohärtemessungen nach Vickers HV0,1 in den Bereichen A–G durchgeführt. Ferritische Gefüge mit geringem Zementitgehalt haben Härten um 130 HV0,1 und mit zunehmenden Kohlenstoffgehalt steigt auch die Härte auf etwa 260 HV0,1. Eutektoide perlitische Gefüge (0,8 Gew.% Kohlenstoff) haben Härtewerte bis maximal 280 HV0,1. Bei der Zwischenstufe wurden Werte von 330 bis 400 HV0,1 gemessen und in den martensitischen Bereichen 460 bis 870 HV0,1. Die höchsten Härtewerte sind auf weißen Martensit zurückzuführen.

5 Gefüge der abgebrochenen Spitze

Die von ein Doppelspitzschlägel stammende Spitze wurde an zwei Stellen, der eigentlichen Spitze und der abstehenden Lamelle, eingehender untersucht.

5.1 Vorderer Bereich der Spitze (Abb. 13)

Die Aufnahmen der polierten Proben in Abb. 13a–c zeigen sehr klar sowohl Schlackeneinschlüsse als auch eine ausgeprägte Korrosion, wobei verschiedene Grautöne zu erkennen sind, die auf unterschiedliche Korrosionsprodukte hinweisen (diverse Oxide und Hydroxide). Nach dem Ätzen ist ein Härtegefüge erkennbar (Abb. 13d–f). Es handelt sich um Martensit, der auch etwas Restaustenit enthalten könnte, sowie den dunkel erscheinenden Abschrecktroostit. Abschrecktroostit ist ein äußerst feiner Perlit, dessen Lamellenstruktur auch im Rasterelektronenmikroskop (REM) nur schwer aufgelöst werden kann [27].

Abb. 13
figure 13

Vorderer Bereich der Einzelspitze: (abc) poliert, (def) Nital geätzt, Martensit und Abschrecktroostit

5.2 Abstehende Lamelle (Abb. 14)

Bei der abstehenden Lamelle können zwei Bereich unterschieden werden. Einerseits die eigentliche Lamelle (Abb. 14a, b) und andererseits eine Schweißnaht mit Teilen des eigentlichen Spitzenmaterials (Abb. 14c, d).

Abb. 14
figure 14

Abstehende Lamelle: ab Spitze der Lamelle; cd Schweißnaht; ac Poliert; bd Nital geätzt

Bei der Lamelle sind ausgeprägte Korrosionsschichten erkennbar, die zum Teil tief ins Innere des Querschliffs eindrangen (Abb. 14a, b). An der feuerverschweißten Stelle liegen Korrosionsprodukte vor, wobei nicht unterschieden werden kann, ob diese während des Schmiedens durch Verzunderung oder später durch Korrosion entstanden sind (Abb. 14c, d). Auf beiden Seiten der Schweißnaht sind Schlackeneinschlüsse zu sehen.

Der innere, metallische Teil der Lamelle hat einen übereutektoiden Kohlenstoffgehalt, was an dem primär ausgeschiedenen Zementit zu erkennen ist, der sowohl netzartig als auch langnadelig angeordnet ist (Abb. 15a–d). Dazwischen befinden sich Sorbit und Zwischenstufe. Die Korrosionsschicht (Abb. 15e) zeigt eine schichtförmige, lamellenartige Struktur, welche durch unregelmäßige Korrosion mit dazwischenliegenden Pausen erklärt werden kann. Sowohl im LOM (Abb. 15f) als auch im REM (Abb. 15g) ist erkennbar, dass der helle Zementit in der Korrosionsschicht nicht korrodiert ist. Abb. 15h zeigt hingegen ein weißes Netzwerk aus Ferrit und Ferritnadeln, die leichter korrodieren (dunkelgrau). Dies verdeutlicht wiederum, dass in diesen Teilen sehr unterschiedliche Kohlenstoffgehalte vorliegen und bevorzugt die Gefüge Perlit und Zwischenstufe korrodieren.

Abb. 15
figure 15

Spitze: ah Gefüge Lamelle; i Schweißnaht; jl Grundmaterial Spitze; ad, ji Nital geätzt, efi poliert, gh REM

Abb. 15i zeigt die stark oxidierte Schweißnaht, wobei auch ein Riss in der Oxidschicht zu sehen ist. Der Grundwerkstoff der Spitze besteht aus annähernd eutektoidem Stahl mit wenig Ferrit (Abb. 15j, k). An einzelnen Stellen ist der Stahl untereutektoid mit überwiegend Ferrit und Widmannstättschem Ferrit, dazwischen sind Perlit bzw. Sorbit eingelagert (Abb. 15l). Der Sorbit, wie auch der in der Spitze nachgewiesene Abschrecktroostit, könnte auf eine schnelle Abkühlung des Metalls hinweisen.

6 Auswertung der Untersuchungsergebnisse

6.1 Herstellung

Das Eisen für die Doppelspitzschlägel vom Michlhallberg wurde im Rennofen hergestellt. Das Rennfeuereisen enthält neben unterschiedlichen Kohlenstoffkonzentrationen auch Schlackeneinschlüsse und Oxide. Obwohl die Schlackenreste beim Ausheizen und Schmieden reduziert wurden, waren diese bei den aktuellen Untersuchungen noch deutlich nachweisbar. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass die bis zu 2,6 kg schweren Doppelspitzschlägel nicht aus qualitativ hochwertigen Halbzeugen (Barren, Stangen), sondern aus noch nicht stark aus- bzw. umgeschmiedeten Eisenluppen gefertigt worden waren. Erfolgte das Homogenisieren und Feuerverschweißen der Luppen unzureichend, bestand die Gefahr, dass bei Beanspruchung die verbundenen Teile und Lagen wieder aufgingen. Entsprechend ihrem Kohlenstoffgehalt können die Luppen als Stahl bezeichnet werden [28, 29].

Nachdem der Eisenrohling auf die Form des Doppelspitzschlägels gebracht worden war, wurde er mittig mit einem meißelartigen Werkzeug gespalten und das Stielauge mit einem dornähnlichen Arbeitsgerät von beiden Seiten geweitet. Danach wurden die beiden Spitzen ausgearbeitet und gehärtet [30, 31]. Nach einer langsamen Erwärmung des gesamten Werkstücks wurde der Bereich der Spitzen auf eine Temperatur um die 800 °C gebracht. Unter dieser Temperatur verwandelte sich das Ferrit-Zementit-Gemisch in Austenit, in dem der Kohlenstoff gelöst ist. Durch das unmittelbar darauf folgende schnelle Abschrecken der glühenden Spitzen in Wasser erfolgte eine Härtung. Je nach Abkühlgeschwindigkeit entstanden Martensit und andere Härtegefüge.

Erfolgte die Härtung nicht korrekt, dann konnten Spannungsrisse oder Versprödungen im Material die Folge sein [32]. Die härtebedingte Sprödigkeit hätte durch nachträgliches Anlassen bei 200 bis 350 °C beseitigt werden können. Das an der Spitze des Doppelspitzschlägels nachgewiesene „Mischgefüge“ aus Martensit und Restaustenit könnte für eine schlechte oder gar nicht erfolgte Temperung nach dem Abschrecken sprechen.

Nach der Fertigstellung des Schlägelkopfes wurde dieser mit einem Stiel versehen, der vermutlich um die 60 cm lang gewesen sein dürfte. Das ovale Schaftloch sorgte für einen festen Sitz des Stiels. Ein von Wolfgang Scheiblechner nachgeschmiedeter und mit einem Stiel aus Eschenholz versehener Doppelspitzschlägel rekonstruiert das vermutliche Aussehen der Gezähe vom Michlhallberg (Abb. 16).

Abb. 16
figure 16

Originaler Doppelspitzschlägel (DS1) mit der nachgeschmiedeten und geschäfteten Rekonstruktion. (Foto: D. Modl)

6.2 Reparatur

Über die genaue Anwendung der Doppelspitzschlägel am Michlhallberg kann nur spekuliert werden. Möglicherweise dienten sie zum Brechen von Kalkstein, der als grober Geröllschutt das Salzlager überdeckte, oder dem wesentlich weicheren Haselgebirge bzw. Steinsalz. Wie die Mikrohärtemessungen ergaben, wäre der untersuchte Doppelspitzschlägel bestens für den Abbau dieser weichen bis mittelfesten Gesteine geeignet gewesen. Wie Schäden an den Doppelspitzschlägeln und zahlreiche Einzelspitzen mit einer durchschnittlichen Länge von 4 cm im Fundgut zeigen, waren die Gezähe trotzdem erheblichen Belastungen und starken Verschleiß ausgesetzt, der regelmäßige Reparaturen bzw. ein neuerliches Ausschmieden der stumpf geschlagenen Spitzen notwendig machte. Die oben beschriebenen Härtefehler können somit auch bei der nachträglichen Instandsetzung der Doppelspitzschlägel erfolgt sein.

Die Bruchflächen der meisten Spitzenfragmente erscheinen – soweit diese Beobachtung nach starker Korrosion und Restaurierung heute noch sicher möglich ist – relativ glatt zu verlaufen, was für einen Sprödbruch sprechen würde. Nur selten sind unregelmäßig ausgeprägte Bruchflächen zu beobachten, die eher mit einem Verformungsbruch in Verbindung zu bringen sind (Abb. 4). Das Vorkommen der zahlreichen Einzelspitzen am Michlhallberg hat – wohl unter dem Eindruck der frühneuzeitlichen Bergeisen mit ihren angeschweißten Stahlspitzen [33, 34] – zur Theorie geführt, dass diese extra angefertigt wurden um als „Ersatzspitzen“ an die gebrochenen Stümpfe der Doppelspitzschlägel angeschmiedet zu werden [35].

Um darüber Klarheit zu erlangen, wurde neben einem vollständigen Doppelspitzschlägel auch eine ausgewählte Einzelspitze untersucht. Tatsächlich konnte hier eine stark oxidierte Schweißnaht festgestellt werden, die diese Annahme zu stützen scheint, doch ist es möglich, dass diese, wie auch die abstehende Lamelle, noch mit der ursprünglichen Herstellung in Zusammenhang steht. Die Einzelspitze macht nicht den Eindruck einer gezielt hergestellten „Ersatzspitze“, vielmehr dürfte es sich um eine abgebrochene Spitze handeln. Dies zeigt der zunächst gerade verlaufende Bruch, der sich dann entlang einer vermutlich unvollkommenen Schweißnaht weiter ausbreitete, wodurch die Lamelle entstand. Falls mit dem vorliegenden Bruchstück tatsächlich eine Feuerverschweißung versucht wurde, dann hat die Spitze zumindest nicht der Belastung standgehalten, denn sie brach neuerlich ab.

Die Herstellung von „Ersatzspitzen“ und deren nachträgliche Feuerverschweißung erscheint aus heutiger Sicht ineffizient, zeitraubend und auch nicht ohne Risiko. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass die kleine Spitze durch die hohe Schweißtemperatur ein grobkörniges Gefüge erhielt oder an den Randzonen entkohlte. Ein niedriger Kohlenstoffgehalt hätte die spätere Härtung verhindert. Aus diesem Grund dürfte man neue Spitzen – so lange wie möglich – aus den abgearbeiteten oder gebrochenen Stümpfen ausgeschmiedet haben, wie die unterschiedliche Schenkellänge (Abstand Spitze-Auge) der Doppelspitzschlägel sowie relativ kleine Exemplare im Fundgut vermuten lassen. Für eine genauere Beurteilung der Sachlage scheint es jedoch notwendig weitere Doppelspitzschlägel und Einzelspitzen vom Michlhallberg zu untersuchen.

7 Zusammenfassung

Ein eiserner Doppelspitzschlägel und eine einzelne Spitze aus dem Umfeld der römischen Siedlung Michlhallberg (Steiermark, Österreich) wurde werkstoffkundlich untersucht, um Informationen über ihren Aufbau und die vorliegenden Gefüge zu erhalten. Beide Objekte sind im Kontext mit einem möglichen römerzeitlichen Salzabbau an der Südseite des Sandling zu sehen.

Die Kohlenstoffverteilung im Doppelspitzschlägel ist sehr inhomogen und variiert zwischen 0,1 und 0,8 Gew.% C. Dementsprechend werden auch die typischen Stahlgefüge, polygonaler Ferrit, Widmannstättscher Ferrit und Perlit beobachtet. Zusätzlich wurden noch die Härtegefüge Zwischenstufe und Martensit beobachtet. Die diversen Kohlenstoffgradienten könnten einerseits aus der Eisenherstellung im Rennfeuer stammen oder durch Aufkohlung beziehungsweise Entkohlung während des Schmiedes entstanden sein. Die Ergebnisse zeigen auch, dass die Spitzen des Doppelspitzschlägels bei relativ hohen Temperaturen (> 728 °C) geschmiedet und danach im Wasserbad abgeschreckt wurden.

Die untersuchte Einzelspitze besteht ebenfalls aus einem Härtegefüge, wobei neben Martensit auch Abschrecktroostit beobachtet wurde. Eine durch Feuerschweißen erzeugte Schweißnaht lässt vermuten, dass die Spitze möglicherweise zur Reparatur eines verschlissenen Doppelspitzschlägels verwendet wurde.