1 Einleitung

Die Frage gravitativer Gefahrenpotentiale im TagbauFootnote 1, insbesondere im Bereich der Tagbauböschungen, und wie damit umgegangen werden soll, ist in jüngerer Vergangenheit ein zentrales Thema in der österreichischen Bergbau- und Steinbruchindustrie geworden. Eng damit verbunden sind auch Überlegungen bzw. Bestrebungen, gebirgsmechanische Fragestellungen im Festgesteinstagbau auf der Grundlage des Eurocode 7 (EC 7) zu lösen. Unterschiedliche Auffassungen und Lösungsansätze werden vertreten. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass viele Auffassungsunterschiede betreffend der anzuwendenden Lösungsansätze auf die unterschiedlichen Betrachtungsstandpunkte zurück zu führen sind: einerseits die analytisch-numerisch geprägte Vorgehensweise im Ingenieurbau, andererseits die im Bergbau über viele Jahre entwickelte und erprobte erfahrungsbezogene semi-empirische Herangehensweise. In diesem Beitrag wird versucht, auf die Gründe für die unterschiedlichen Lösungsansätze und die damit verbundenen Auswirkungen näher einzugehen. Ziel ist dabei, die Grenzen und Möglichkeiten der verschiedenen Vorgehensweisen aufzuzeigen. Zu diesem Zwecke werden zunächst die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede von Böschungen und Böschungssystemen im Ingenieurbau und bei der Gewinnung mineralischer Rohstoffe betrachtet. Darauf aufbauend werden dann die Grenzen und Möglichkeiten der analytisch-numerischen und der semi-empirischen Verfahren untersucht und deren Anwendungsbereiche diskutiert.

Obwohl es sich bei den gravitativen Gefahren, d. h. dem Steinfall, Felssturz und Böschungsversagen, um gebirgsmechanische Problemstellungen handelt, wird das Thema in diesem Beitrag nicht ausschließlich technisch, sondern in einem breiteren Rahmen betrachtet, da die Konsequenzen sowohl die Sicherheit von Personen, Geräten und sonstiger Infrastruktur im Böschungsbereich betreffen als auch darüber hinaus weitreichende umweltrelevante, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben können. Andere gravitative Gefahren wie der Murenabgang und die im alpinen Bereich weit verbreiteten Lawinen werden an dieser Stelle nicht diskutiert. Eine detaillierte Behandlung von Verfahren zur Beurteilung der gravitativen Gefahrenpotentiale fällt ebenfalls außerhalb des Rahmens dieses Beitrags. Aus gegebenem Grund wird auf die Problematik der Interpretation der bei Böschungsbeurteilungen angewandten Beurteilungskriterien, wie z. B. Standsicherheitsfaktor, näher eingegangen. Abschließend wird dargelegt, dass der Einsatz von Risikomanagementsystemen im Tagbau einen bedeutenden Beitrag zur Minimierung des gravitativen Gefährdungspotentials im Böschungsbereich leisten kann.

2 Gravitative Gefahren im Festgesteinstagebau

Bei den gravitativen Naturgefahren wird zwischen Lawinen, Hochwasser und Überschwemmungen, Murgängen, Rutschungen, Felssturz und Steinschlag unterschieden. Im Falle der gravitativen Gefahren im Bereich der Tagbauböschungen stehen die Rutschungen sowie Steinfall und Felssturz im Vordergrund der Betrachtung. Rutschungen sind die Folge eines großräumigen Böschungsversagen, welches oberflächennah oder tiefgründig sein kann. Die räumliche Erstreckung der Rutschungen kann lokal d. h. auf einen Teilbereich einer Etage begrenzt sein, regional sein, d. h. einen größeren Bereich einer Etage oder mehrere miteinander verbundene Bereiche benachbarter Etagen umfassen, oder global sein, d. h. eine gesamte Tagbauböschung betreffen.

Die Ursache von Steinfall im Böschungsbereich von Tagbauen kann einerseits das Herausgleiten von einzelnen Felskeilen aus der Böschung, welche durch die Verschneidung natürlicher Trennflächen mit der Böschung oder durch Unterschneidung böschungsparalleler Schichtpakete entstanden sind, andererseits das Abstürzen von losen Felsbrocken von höher gelegenen Arbeitsetagen als Folge operativer Tätigkeiten sein. Das Versagen von mehreren interagierenden Teilkörpern, welche ein komplexes tiefergreifendes Versagensmuster darstellen, das nicht mit einfacher Keilstatik erfasst werden kann, ist als eine weitere Ursache von Steinfall zu sehen. Felsstürze im Tagbau können auch durch lokales oder regionales Böschungsversagen im oberen Bereich von Tagbauböschungen verursacht werden. Ein wichtiger Aspekt der Steinfall- und Felssturzgefahr im Böschungsbereich von Tagbauen ist, dass der davon betroffene Bereich räumlich auf die in der Falllinie darunter liegenden Tagbaubereiche und auf Bereiche in deren unmittelbarer Nähe begrenzt ist. Der betroffene Bereich kann somit gut abgeschätzt werden.

3 Allgemeine Bemerkungen zur Mineralrohstoffindustrie

Mineralische Rohstoffe sind ein wesentlicher Bestandteil der Urproduktion und stellen somit die Grundlage für die Erzeugung von metallischen und nicht metallischen Werkstoffen, die chemische Industrie, die Nahrungsmittelindustrie, die Bauindustrie, die Energieindustrie sowie für die Erstellung der für eine funktionierende Industriegesellschaft benötigten und unverzichtbaren Infrastruktur dar. Der Pro-Kopf-Verbrauch an mineralischen Rohstoffen wächst mit dem Entwicklungsgrad der Gesellschaft und beträgt in hochentwickelten Ländern mehr als 15 t pro Kopf und Jahr, wobei der größte Massenanteil in den Bereich der Baurohstoffe fällt. Diese werden vorwiegend in Tagbauen, Steinbrüchen sowie Sand- und Kiesgruben gewonnen. In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass die Gewinnung mineralischer Rohstoffe vor allem dazu dient, die Bedürfnisse der modernen Industriegesellschaft zu decken. Dies gilt insbesondere für die Baurohstoffe. Obwohl die Bedeutung des Recycling von Baurohstoffen zunimmt, wird es immer einen signifikanten Bedarf an primärer Rohstoffförderung geben. Da der massenbezogene Wert der Baurohstoffe relativ gering ist folgt, dass diese nur über verhältnismäßig geringe Entfernungen transportiert werden können. Dies wiederum bedeutet, dass die Rohstoffgewinnung flächendeckend, in vielen oft auch sehr kleinen Betrieben, erfolgt. Dies wird durch die regionale Geologie begünstigt (Abb. 1 GBA-Baurohstoffvorkommen).

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Vorkommen von Baurohstoffen in Österreich [1]

In Österreich erfolgt die Gewinnung der Baurohstoffe nahezu ausschließlich an der Tagesoberfläche in Tagbauen, Steinbrüchen sowie Sand- und Kiesgruben. Die Begriffe Tagbau und Steinbruch beziehen sich dabei auf den Abbau von Festgesteinen (Fels) während der Begriff Sand- und Kiesgewinnung den Abbau von Lockergesteinen betrifft. Der Begriff Tagbau bezieht sich vorwiegend, jedoch nicht ausschließlich, auf den Abbau von bergfreien mineralischen Rohstoffen, d. h. Erzen und Kohle sowie auf Großbetriebe aus dem Bereich der festen Baurohstoffe. Der Begriff Steinbruch bezieht sich vorwiegend auf kleine bis mittlere Betriebe, die feste Baurohstoffe abbauen. Aus bergtechnischer Sicht, wenn von der Betriebsgröße und der damit häufig verbundenen Gerätegröße abgesehen wird, sind Tagbaue und Steinbrüche als gleich zu betrachten. Deshalb wird in weiterer Folge nur der Begriff Tagbau verwendet. Aus zeitlichen Gründen beschränkt sich die Diskussion der gravitativen Gefahrenpotentiale nur auf den Abbau von Festgesteinen. Dies beruht einerseits auf den unterschiedlichen Löseverfahren, wobei im Festgesteinsbergbau das Lösen des Gebirges vorwiegend durch Sprengarbeit und im Lockergesteinsbergbau vorwiegend durch mechanische oder hydraulische Verfahren erfolgt, und andererseits auf dem unterschiedlichen Materialverhalten von Fest- und Lockergesteinen und den damit verbundenen unterschiedlichen Versagensmechanismen.

In Österreich wurden nach einer Erhebung der Arbeitsinspektion im Jahr 2014 etwa 110 Mio. Tonnen Baurohstoffe in mehr als 1100 aktiven Tagbaubetrieben, davon etwa 2/3 Sand- und Kiesgruben und 1/3 Festgesteinstagbau/Steinbrüche gewonnen. Die Kleinstruktur der Tagbauindustrie in Österreich geht aus der durchschnittlichen Zahl der Beschäftigen je Betriebstätte hervor. Diese beträgt weniger als fünf im Falle der Lockergesteinsbetriebe und etwas mehr als acht im Falle der Festgesteinstagbaue [2]. Auf die Bedeutung der kleineren Betriebe für die Vorgehensweise bei der Beurteilung der gravitativen Gefahrenpotentiale im Böschungsbereich wird an geeigneter Stelle noch eingegangen.

Die Gewinnung mineralischer Rohstoffe und aller damit verbundenen Genehmigungen und Gewinnungstätigkeiten werden im Mineralrohstoffgesetz (MinroG, BGBl. I Nr. 38/1999) geregelt [3]. Von Bedeutung ist dabei, dass der Gesetzgeber zwischen unterschiedlichen Gruppen mineralischer Rohstoffe unterscheidet, nämlich bergfreien, bundeseigenen und grundeigenen mineralische Rohstoffen. Für die Bergbaubetriebe auf bergfreie und bundeseigene mineralische Rohstoffe sowie für die untertägige Gewinnung grundeigener mineralischer Rohstoffe und für Fälle, in denen sich die Bergbautätigkeiten über zwei oder mehrere Bundesländer erstrecken oder wenn eine wechselseitige Beeinflussung der unter- und obertägigen Gewinnung nicht ausgeschlossen werden kann, ist der für den Bergbau zuständige Bundesminister die Behörde erster Instanz. Im Falle grundeigener mineralischer Rohstoffe mit besonderen Qualitätskriterien ist der für den Bergbau zuständige Minister ebenfalls die erste Instanz. Für die obertägige Gewinnung grundeigener mineralischer Rohstoffe mit Ausnahme der bereits genannten Sonderregelungen ist die Behörde erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde (bzw. im Falle einer Bergbautätigkeit auf zwei oder mehr politischen Bezirken der Landeshauptmann). Die Aufgaben der Behörden sind:

  1. 1.

    das Bergbauberechtigungswesen,

  2. 2.

    die Genehmigung von Betriebsplänen

  3. 3.

    die Bewilligung von Bergbauanlagen,

  4. 4.

    die Überwachung der betrieblichen Tätigkeiten, zu diesem Zwecke sind die Betriebsstätten mindestens einmal im Jahr zu besichtigen

  5. 5.

    der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Personen, ausgenommen von Arbeitnehmern, und der Schutz von fremden Sachen,

  6. 6.

    der Umweltschutz,

  7. 7.

    der Lagerstättenschutz,

  8. 8.

    der Oberflächenschutz,

  9. 9.

    die Sicherung der Oberflächennutzung nach Beendigung der Bergbautätigkeiten und

  10. 10.

    die bergbauliche Ausbildung.

Für die bergtechnischen Aspekte des Festgesteinstagbaus sind vor allem die Bestimmungen der Allgemeine Bergpolizeiverordnung (ABPV, BGBL. III Nr. 114/1959), die Tagbauarbeitenverordnung (TAV, BGBl. II Nr. 416/2010), die Bohrarbeitenverordnung (BohrarbV, BGBl. Nr. 140/2005) und die Sprengarbeitenverordnung (SprengV, BGBl. II Nr. 358/2004) von Bedeutung.

Der Schutz der ArbeitnehmerInnen wird durch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG, BGBl. Nr. 450/1994) geregelt und durch die Arbeitsinspektion wahrgenommen. Das MinroG enthält jedoch detaillierte Vorschriften über die beim Bergbau durchzuführenden Maßnahmen. Soweit die Tagebauarbeiten und insbesondere die Arbeiten im Böschungsbereich betroffen sind, enthält die vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz im Jahr 2010 herausgegebene „Tagbauarbeitenverordnung (TAV)“ zahlreiche Regelungen für das Arbeiten im gravitativen Gefahrenbereich [4].

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Betrieben auf grundeigene und auf bergfreie mineralische Rohstoffe besteht darin, dass im Falle der meisten grundeigenen Rohstoffe vom Gesetzgeber her nur ein Anfangs- und ein Abschlussbetriebsplan gefordert wird, während im Falle von besonderen grundeigenen und von bergfreien Rohstoffen auch zwischenzeitliche Gewinnungsbetriebspläne vorgesehen sind. Die Zeitabstände hängen von den lokalen Gegebenheiten ab, betragen aber längstens fünf Jahre. Von Bedeutung ist, dass im Falle der Betriebe, die in den Verantwortungsbereich des/der für den Bergbau zuständigen Ministers/Ministerin fallen, die Einhaltung der berggesetzlichen Vorgaben durch eine Fachbehörde (Montanbehörde) erfolgt, während im Falle der meisten der im Tagebau gewonnenen grundeigenen mineralischen Rohstoffe, mit Ausnahme der oben angeführten Sonderregelungen, die Genehmigung und Überwachung in erster Instanz durch die Gebietsverwaltungsbehörde, d. h. eine allgemeine Verwaltungsbehörde und, wo erforderlich, unter Beiziehung von Sachverständigen erfolgt. In allen Fällen ist die Einhaltung der Vorschriften betreffend die Sicherheit der Arbeitnehmer Aufgabe der Fachbeamten des Arbeitsinspektorates.

4 Begriffsbestimmungen

Bevor auf die Diskussion der Böschungen und Böschungssysteme aus der Sicht des Umgangs mit den gravitativen Gefahren im Tagbau eingegangen werden kann, ist es erforderlich einige Begriffe zu klären.

  • Tagbau: Teil einer Arbeitsstätte oder auswärtigen Arbeitsstelle, in dem mineralische Rohstoffe obertage gewonnen werden,

  • Tagbauzuschnitt: räumliche Anordnung aller Etagen und Böschungen in einem Tagebau

  • Tagbauzuschnittsparameter: Parameter, die die Gestaltung (geometrische Ausrichtung) eines Tagebaues bestimmen, wie die Breite von Etagen, Orientierung, Neigung und Höhe von Tagbauböschungen, Längs- und Quergefälle von Etagen sowie Auffahrts- und Verbindungsrampen

  • Etagen: horizontale bis schwach geneigte Flächenelemente

  • Arbeitsetagen: Etagen, auf denen die aktuellen Tagbauarbeiten, wie Bohren, Sprengen, Beräumen der Arbeitsböschungen, Laden, Fördern, stattfinden und sich Arbeitsplätze oder Verkehrswege befinden

  • Tagbauböschungen: künstlich geschaffene zusammenhängende, horizontale, geneigte oder senkrecht stehende Flächenelemente, die bei der Gewinnung entstehen oder durch ein Verkippen oder ein Verhalden gebildet werden. Tagbauböschungen bestehen im Allgemeinen aus mehreren zusammenhängenden Etagen, von denen jedoch zu jedem Zeitpunkt nur auf einigen Tagbauarbeiten durchgeführt werden (Arbeitsetagen). Über einen längeren Zeitraum bewegt sich die gesamte Tagbaubauböschung in das anstehende Gebirge. Im Falle größerer Tagbaubetriebe besteht der Tagbau aus mehreren Tagbauböschungen. Für die Beurteilung der Stabilität eines Tagebaus ist die Stabilität der Tagbauböschungen entscheidend und nicht die einzelner Etagenböschungen.

  • Etagenböschung-Etagenwand künstlich geschaffenes geneigtes oder senkrecht stehendes Flächenelement zwischen zwei benachbarten übereinander liegenden Etagen

  • Böschungssystem: ein aus mehreren räumlich zusammenhängenden Tagbauböschungen gebildetes System mit den dazugehörigen Etagen,

  • Tagbauendböschung: Gesamtböschung am Ende der Tagbautätigkeiten

  • Generalneigung der Tagbauböschung: Gesamtneigung eines aus mehreren Etagen und Etagenböschungen bestehenden Böschungssystems,

  • Tagbauspezifische Gefahrenbereiche: jene Bereiche eines Tagbaubetriebes, insbesondere auf Arbeitsetagen, in denen Gefahren, wie Absturz, Herabfallen von Gestein, Verschüttet werden oder Ertrinken, bestehen.

  • Planung: Bei der Tagbauplanung sind verschiedene Phasen zu unterscheiden. Die Unterscheidung erfolgt auf der Grundlage des Wissenstandes.

  • Anfangsplanung: Dient unter anderem der ersten Festlegung des Tagbauendstandes auf der Grundlage begrenzter Informationen betreffend die Lagerstätte (Form, Größe, Qualitätsverteilung, Strukturgeologie, Gebirgseigenschaften).

  • Zwischenplanung: Adaptierung der Anfangsplanung auf der Grundlage der Betriebserfahrungen und des erhöhten Wissenstandes. Die Zwischenplanung berücksichtigt sicherheitliche Gesichtspunkte wie Orientierung der Etagenböschungen und Trennflächengefüge, Qualitätsverteilungen und logistische Gesichtspunkte.

  • Endplanung: Mit der Annäherung an die voraussichtliche Schließung stehen sicherheitliche, umweltrelevante und juristische Gesichtspunkte im Zentrum der Planung. Das Endergebnis dieser Planungsphase ist der Abschlussbetriebsplan

5 Allgemeine Betrachtungen zur Frage der Rohstoffgewinnung im Tagbau

5.1 Planungs- und Betriebsstadium

Ziel der Gewinnung mineralischer Rohstoffe im Tagbau ist der sichere, umweltschonende und möglichst vollständige Abbau des Rohstoffvorkommens. Dazu sind im Allgemeinen folgende Schritte erforderlich, wobei im Rahmen dieses Beitrags nur auf jene Punkte näher eingegangen wird, die aus der Sicht der gravitativen Gefahren von Bedeutung sind:

  1. 1.

    Erkundung des Vorkommens (Größe, Form, räumliche Lage und Qualitätsverteilung im Vorkommen), Erfassung der geologischen und insbesondere strukturgeologischen Rahmenbedingungen und der Topographie.

  2. 2.

    Auf der Grundlage der Ergebnisse von Pkt. 1 Beurteilung der Bauwürdigkeit des Vorkommens und Erstellung eines Abbaukonzeptes, i.e. Festlegung der Betriebsgröße und der Lebensdauer, der geplanten Betriebsweise und der voraussichtlichen Tagbauendböschung sowie der voraussichtlichen Abraummengen und der dafür erforderlichen Verhaldungsräume und eines Nachnutzungskonzeptes für den Tagbaubereich. Eine Besonderheit der Konzeptphase ist, dass viele Informationen zu diesem Zeitpunkt noch unvollständig sind und oft erst in der Betriebsphase verfügbar werden. Dies gilt insbesondere für die Qualitätseigenschaften des Vorkommens und die geologischen und strukturgeologischen Eigenschaften und Daten.

  3. 3.

    Im Falle eines in sich schlüssigen Projektkonzeptes kann mit der detaillierten Planung des Tagbaus begonnen werden. Infolge der informationsbedingten Unsicherheiten ist besondere Aufmerksamkeit auf die Flexibilität des Betriebskonzeptes und auf den darauf aufgebauten Betriebsplan zu legen. Dies gilt insbesondere für den Tagbauzuschnitt während der Abbauphase.

  4. 4.

    Gegen den Hintergrund der im Rahmen der Betriebsphase gemachten Erfahrungen und der neuen Informationen, vor allem jene betreffend die regionalen Unterschiede bzw. Änderungen des Gebirgsgefüges und der Gebirgseigenschaften, ist der Tagbauzuschnitt regelmäßig zu beurteilen und den geänderten Gegebenheiten bestmöglich anzupassen. Weiterhin sollte bereits frühzeitig die geplante Tagbauendböschung beurteilt und falls erforderlich neu geplant werden. Im Falle der größeren Tagbaubetriebe bietet sich das in regelmäßigen Zeitabschnitten vorgesehene Gewinnungsbetriebsplanverfahren an, diese Planänderungen durchzuführen. Im Falle der kleineren Betriebe ist diese Adaptierung nicht strukturell vorgesehen und liegt allein im Ermessen der Betriebe.

  5. 5.

    In der Endphase eines Tagbaus geht es vornehmlich um die Gewährleistung einer standsicheren Endböschung und um Fragen der Renaturierung und Rekultivierung sowie der Behandlung der in den Tagbaubereich zu- und von dort abfließenden Wässer.

5.2 Operative Aspekte

Im Festgesteinstagbau bestehen die Betriebsabläufe im Allgemeinen aus dem Hereingewinnen des Festgebirges durch Bohren und Sprengen, dem Laden und dem Abtransport des Hauwerks. Die kleinste operative Einheit ist die Arbeitsetage. Diese besteht aus der oberen Etage wo die Bohr- und Sprengarbeit stattfindet, der darunter befindlichen Etagenwand und der unteren Etage, wo das Laden und das Abfördern des Hauwerks erfolgt. Mehrere Etagen bilden die Tagbauböschung und mehrere Tagbauböschungen bilden den gesamten Tagbau.

Bei einer Etagensprengung wird ein bestimmter Abschnitt einer Etage, üblicherweise mit einer Länge von 40 bis 80 m, hereingewonnen. In diesem Abschnitt wandert die Etagenböschung um den Betrag der Vorgabe, typisch 3 bis 4 m, in Richtung des anstehenden Gebirges. Dieser Vorgang ist derselbe für Gewinnungssprengungen und Abraumsprengungen. Das Besondere im Tagbau ist, dass im Laufe seiner Lebensdauer das im Tagbaubereich ursprünglich vorhandene Gebirge in einer Vielzahl von derartigen Sprengungen in Schritten von 3 bis 4 m Breite abgetragen wird. Bei jedem dieser Schritte wird dabei eine neue Etagenböschung geschaffen. In einem Tagbaubetrieb, in dem 1 Mio. m3 anstehendes Gebirge abgebaut werden, sind dafür im Falle von 50 m langen Etagenabschnitten bei einer Etagenhöhe von 12 m und einer Vorgabe von 3 m über den Betriebszeitraum betrachtet 555 Sprengungen erforderlich. Bei jeder einzelnen Sprengung wird dabei eine neue Etagenböschung von 50 m Länge und 12 m Höhe geschaffen. Auf den österreichischen Festgesteinsbergbau umgerechnet, bei dem jährlich etwa 40 Mio. Tonnen Festgestein durch Sprengarbeit aus dem Gebirgsverband gelöst werden, bedeutet dies bei Etagenabschnittslängen von 30 bis 100 m und 10 m Böschungshöhe und einer Vorgabe von 3,5 m bei einer Festgesteinsdichte von 2,7 t/m3 etwa 4200 bis 14.000 Sprengungen pro Jahr. Nach jeder dieser Sprengungen müssen die neugeschaffenen Etagenböschungen aus der Sicht des gravitativen Gefahrenpotentials beurteilt werden. Dieses Beispiel illustriert das Ausmaß der Böschungsproblematik im Festgesteinstagbau und untermauert die Notwendigkeit einer zuverlässigen und praktischen Vorgehensweise bei der Beurteilung der gravitativen Gefahren im Bereich der Tagbauböschungen.

6 Vergleich der Tagbauböschungen mit den sonstigen Böschungen

Ziel dieses Vergleiches ist es, die Unterschiede zwischen Böschungen im Festgesteinstagbau und sonstigen Böschungen aufzuzeigen (Tab. 1). Unter sonstigen Böschungen werden in diesem Zusammenhang künstlich aufgeschüttete Böschungen, Böschungen entlang von Eisenbahnlinien, Bundesstraßen und Autobahnen sowie Böschungen im Siedlungsbereich und Böschungen im Zusammenhang mit Wasserkraftwerken verstanden.

TABELLE 1 Allgemeine Unterschiede zwischen Tagbauböschungen und anderen Böschungen

Der wesentliche Unterschied zwischen Tagbauböschungen und sonstigen Böschungen ist die klare Eigentümer- bzw. Betreiberstruktur und die durchgehende Verantwortung des Eigentümers/Betreibers für alle Aspekte der Tagbauböschungen sowie die Durchführung der Arbeiten durch orts- und fachkundiges Personal mit langer Erfahrung. Im Gegensatz dazu besteht bei den sonstigen Böschungen im Allgemeinen eine Trennung der Verantwortung für die Durchführung der verschiedenen Arbeiten bei der Planung, Herstellung, Überwachung und Erhaltung von Böschungen. Daraus ergeben sich deutliche Unterschiede in der Vorgehensweise zwischen Tagbau- und sonstigen Böschungen. Diese können sich in weiterer Folge auch auf der Vorgehensweise beim Umgang mit gravitativen Gefahren auswirken. Ein wesentlicher Unterschied besteht auch darin, dass im Falle von Tagbauböschungen nahezu ausschließlich betriebseigenes Personal im gravitativen Gefahrenbereich tätig ist, während bei den sonstigen Böschungen überwiegend die Öffentlichkeit von den Gefahren betroffen ist.

Die wesentlichen fachspezifischen Unterschiede zwischen Tagbauböschungen und sonstigen Böschungen werden in Tab. 2 verglichen.

TABELLE 2 Vergleich der Funktionen von Tagbauböschungen und sonstigen Böschungen

Die wesentlichen Unterschiede zwischen Tagbauböschungen und sonstigen Böschungen sind:

  • Mit Ausnahme der Tagbauendböschung sind alle Tagbauböschungen temporäre Böschungen mit Lebenszeiten von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten. Im Gegensatz dazu sind die sonstigen Böschungen im Regelfall stationäre Böschungen mit einer sehr langen Lebensdauer.

  • Die Tagbauböschungen befinden sich im Bergbaugelände und sind mit Ausnahme der Tagbauendböschung für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die sonstigen Böschungen befinden sich im Nahbereich öffentlicher Aktivitäten, wie z. B. Verkehrswegen, Siedlungsgebieten, etc.

  • Bei den Arbeitsböschungen ist die Steinfallgefahr unmittelbar nach der Sprengung am größten, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem sich keine Personen im steinfallgefährdeten Bereich befinden. Während der Zeit der übrigen Tagbautätigkeiten befinden in den aktiven Arbeitsböschungen in eventuell steinfallgefährdeten Bereichen ausschließlich betriebskundige Personen. Der Großteil dieser Personen befindet sich in mobilen und semi-mobilen Tagebaugeräten. Soweit die Tagebauböschungen entlang der Förderwege betroffen sind, befindet sich das Betriebspersonal nur für sehr kurze Zeiträume in steinfallgefährdeten Bereichen. Im Gegensatz dazu ist bei den sonstigen Böschungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer die Möglichkeit der Anwesenheit von öffentlichen Personen gegeben. Im Falle der Böschungen entlang von Verkehrswegen ist die Situation vergleichbar mit jener im Tagebau beim Förderbetrieb. Ein wesentlicher Faktor bei der Beurteilung der Steinfallgefährdung ist dabei die Benutzerfrequenz des jeweiligen Verkehrsweges. Im Falle von Böschungen zum Schutz von Siedlungsbereichen ist die Situation anders zu beurteilen, da in diesen Fällen die Anwesenheitsdauer im Gefährdungsbereich wesentlich höher sein kann.

  • Es liegt in der Natur des Festgesteinstagbaus, dass eine Flexibilität der Böschungsgestaltung bei den Arbeitsböschungen besteht, d. h. dass die Orientierung der Arbeitsetagen und deren Wände den strukturgeologischen Gegebenheiten angepasst werden kann, um das Entstehen und Herausgleiten von Felskeilen an natürlichen Trennflächen zumindest teilweise zu vermeiden.

  • Im Falle der stationären sonstigen Böschungen ist die Anpassungsfähigkeit an die strukturgeologischen und topographischen Gegebenheiten begrenzt. Infolge der stationären Natur der sonstigen Böschungen ist es jedoch möglich, wesentlich aufwändigere Sicherungsmaßnahmen zu treffen, um die mangelnde Gestaltungsfähigkeit beim Böschungszuschnitt zu kompensieren.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zumindest, was die häufigsten Böschungen im Tagbau betrifft, d. h. die Arbeitsetagen und die zwischen den vertikal benachbarten Arbeitsetagen gebildeten Etagenwände, und den sonstigen Böschungen bedeutende Unterschiede bestehen, die aus der Sicht des Festgesteinstagebaus und gegen den Hintergrund vieljähriger Erfahrungen beim Umgang mit den gravitativen Gefahren im Tagbaubetrieb Berücksichtigung finden sollten.

7 Böschungen im Tagbau

7.1 Zur Hierarchie der Tagbauböschungen

Wie bereits erwähnt, ist die Arbeitsetage die kleinste operative Einheit in einem Tagbau. Die Breite der Arbeitsetagen wird durch die Größe der eingesetzten Tagebaugeräte, die gemäß TAV vom Betrieb zu ermittelnden Sicherheitsabstände am Fuß der darüber liegenden Etagenböschung und an der Kante mit darunter liegenden Etagenböschung sowie durch die Generalneigung der Tagbauböschung bestimmt. Im steilen Gelände stellen diese unterschiedlichen Forderungen eine wesentliche Herausforderung für Tagbaubetreiber und Aufsichtsbehörde dar und sind oft nur durch Ausnahmeregelungen beherrschbar. Die Länge einzelner Etagen wird durch die horizontale Erstreckung des Tagbaus und durch den Tagbauzuschnitt bestimmt und kann wenige Meter bis mehrere hundert Meter betragen. Die Höhe der Etagenböschungen wird durch die geologischen und strukturgeologischen Gegebenheiten im Böschungsbereich sowie durch die Reichweite der zur Beräumung der Etagenböschung eingesetzten Geräte bestimmt. Die täglichen Veränderungen in einem Tagebau finden auf den Arbeitsetagen statt. In größeren Tagebauen können mehrere Arbeitsetagen gleichzeitig in Verhieb stehen.

7.2 Vorgehensweise bei der Gestaltung der Böschungssysteme im Festgesteinstagbau

Die übliche Vorgehensweise beim Festgesteinstagbau ist, dass auf der Grundlage der zum Planungszeitpunkt vorhandenen Informationen der Endzustand des Tagbaus geplant wird. Neben sicherheitlichen und bergtechnischen Überlegungen steht dabei auch die Maximierung des Wertstoffausbringens des Rohstoffvorkommens im Vordergrund der Überlegungen, d. h. der Lagerstättenschutz, welcher ebenfalls als Schutzziel im MinroG definiert ist [3] Zusätzlich zu den durch die Geometrie und Größe des Rohstoffvorkommens und durch die Topographie des Tagbaubereichs definierten Planungsparametern sind auch noch die mechanischen Eigenschaften des Gebirges und die strukturgeologischen Daten einzubeziehen, um den Endzustand des Tagbaus planen und insbesondere die Generalneigung der Endböschung festlegen zu können. Aus dem Tagbauendstand und der Ausgangssituation ergibt sich das über den Betriebszeitraum abzubauende Gebirgsvolumen und entsprechend der Dimension der einzelnen Arbeitsetagensprengungen die Zahl der mit jeder Sprengung geschaffenen neuen Arbeitsböschungen. Mit Ausnahme der Tagbauendböschung handelt es sich bei allen anderen im Betriebszeitraum geschaffenen Böschungen um temporäre Böschungen.

Nachdem die Zielvorgaben des Tagbaus festgelegt sind, kann die detailliertere Abbauplanung durchgeführt werden. Ziel dieser soll es sein, die aus der Sicht der Gebirgsstruktur, d. h. unter Berücksichtigung des vorliegenden Trennflächengefüges, günstigste Orientierung der Arbeitsetagen zu bestimmen, d. h. jene Orientierung der Etagenböschung mit der geringsten Wahrscheinlichkeit eines strukturbedingten Böschungsversagens durch Keilbildung oder Abgleiten größerer Gebirgsbereiche entlang diskreter Gleitflächen oder Scherzonen geringer Festigkeit festzulegen. Zur Minimierung der gravitativen Gefahren im Tagbau ist dies einer der wichtigsten Planungsschritte. Mit zunehmendem Informationsstand kann die Orientierung der Arbeitsböschungen dem jeweils anstehenden Trennflächengefüge angepasst werden. Die vorgeschlagene Vorgehensweise wird durch den Umstand begünstigt, dass während der Abbauphase im Allgemeinen ausreichende Flexibilität besteht, um Böschungsorientierungen der Gebirgsstruktur anzupassen. Häufig sind nur geringfügige Änderungen der Richtung der Etagenböschungen erforderlich, um die gewünschten Nutzeffekte zu erzielen. Abb. 2 illustriert Möglichkeiten der Anpassung der Böschungsgeometrie an das Trennflächengefüge.

Abb. 2
figure 2

Schematische Darstellung der Entwicklung eines Tagbaus in einer Hanglage. a Ausgangslage: Topographie, Lagerstätte, Tagbauendböschung, b Wandabbau, c Plateau oder Flächenabbau, d gemischter Abbau: obere Etagen im Flächenabbau, untere Etagen im Wandabbau

Im Falle größerer Tagbaubetriebe können diese in einzelne Bereiche, d. h. in einzelne Böschungssysteme unterteilt werden. Abb. 2 zeigt in schematischer Weise, wie der Gebirgsbereich zwischen der Tagesoberfläche und dem Tagbauendzustand abgebaut werden kann.

8 Im Festgesteinstagbau übliche Vorgehensweise zur Minimierung der gravitativen Gefahren

8.1 Gefahr-Gefährdung

Unter dem Begriff Gefahr versteht man die einer Sache, Handlung oder einem Vorgang innewohnende Eigenschaft oder Fähigkeit, potenziell einen Schaden anzurichten. Dieser Schaden kann gesundheitlicher, physischer, ökologischer, materieller oder finanzieller Natur sein. Im Falle der gravitativen Gefahren im Festgesteinstagbau kann die Gefahr das Versagen einer Böschung, eines Teils einer Böschung oder das Herausgleiten bzw. das Abstürzen eines Felskeils sein. Im Falle von Böschungsversagen können der gesamte Tagbaubetrieb, einzelne Böschungssysteme oder einzelne Etagen bzw. Teilbereiche von Etagen betroffen sein. Abstürzende Felskeile können zu Personenschäden führen oder Maschinen oder Geräte beschädigen bzw. Betriebsabläufe, wie z. B. die Förderung im Tagebau, behindern. Das Schadensausmaß kann im Falle von Personenschäden das gesamte Spektrum von tödlich, schweren Verletzungen, Verlust von Gliedmaßen oder Knochenbrüchen umfassen. Die negativen Auswirkungen von Böschungsversagen hängen sehr stark vom Versagensumfang ab. Regionales Böschungsversagen kann zu langen Betriebsstillständen führen, wenn dadurch kritische Betriebsbereiche, wie z. B. Hauptförderwege, betroffen sind. Die negativen Auswirkungen von lokalem Böschungsversagen hängen sehr stark von den Betriebsgegebenheiten ab und können in Betrieben mit ausreichend großen Abbaubereichen unter Umständen vernachlässigbar sein, während in Betrieben mit schwierig zugänglichen Abbaubereichen die Produktion stark beeinträchtigt werden kann. Im Gegensatz zum Steinfall, der häufig ohne große Vorwarnung auftreten kann, zeigt sich Böschungsversagen häufig schon lange vor dem Versagenszeitpunkt durch Rissbildungen auf den Etagen, Zunahme von lokalen Steinfallereignissen, Sackungen auf den Etagen, etc. an.

Risiko wird als ein Maß für die Höhe einer Gefährdung verstanden und wird durch das Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung (Schadensschwere) definiert. Dabei ist es nicht klar, ob das Ereignis tatsächlich stattfinden wird und wie hoch die Auswirkungen (Schadensschwere) sein werden. Die Auswirkungen können Personenschäden, Umweltschäden, wirtschaftliche Schäden und sonstige Schäden sein. Beim Arbeitnehmerschutz bezieht sich der Schadensumfang rein auf Personenschäden [2].

Der Begriff Gefährdung enthält jedoch keine Aussage über das eventuelle Schadensausmaß, wobei im Falle von Personenschäden immer das gesamte Schadensspektrum zu berücksichtigen ist. Im Kontext des Arbeitnehmerschutzes versteht man unter dem Begriff Gefährdung, wenn Arbeitnehmer räumlich und zeitlich in Kontakt mit einer bestehenden Gefahr kommen können, d. h. der örtlich und zeitliche Wirkungsbereich einer Gefahr überschneidet sich mit dem örtlichen und zeitlichen Wirkungsbereich von Arbeitnehmern [2]. Dabei sind die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Schadens und die Wahrscheinlichkeit, dass zum Schadenszeitpunkt eine Person im weiteren Sinn oder ein Arbeitnehmer im engeren Sinn im Schadensbereich anwesend ist, gemeinsam zu beurteilen. Dieser Aspekt erfordert eine detailliertere Betrachtung, da es hier bedeutende Unterschiede zwischen den Arbeitsböschungen im Tagbau und sonstigen Böschungen gibt. Im Falle der Arbeitsböschungen im Tagbau ist die räumliche und zeitliche Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Steinfall und lokalem Böschungsversagen eng mit der Etagensprengung verbunden. Zum Zeitpunkt der Sprengung befinden sich jedoch keine Personen und Bergbaugeräte in der näheren Umgebung der Sprengstelle. Dies wiederum bedeutet, dass zum Zeitpunkt der größten Gefährdung keine Personen im Gefahrenbereich anwesend sind. Im Falle der sonstigen Böschungen ist nach deren erfolgter Herstellung im Allgemeinen weder der Zeitpunkt der größten Gefährdung räumlich und vor allem zeitlich definiert, noch kann gewährleistet werden, dass zum Schadenszeitpunkt keine Personen oder Sachen im Schadensbereich sind. Dieser Umstand ist bei der Beurteilung des Umgangs mit der Behandlung des gravitativen Schadenspotentials im Festgesteinstagbau zu berücksichtigen. Mit Ausnahme der Fördertätigkeiten finden im Allgemeinen die bergbaulichen Tätigkeiten im Tagbau nur in den wenigen aktiven Böschungsbereichen statt. Diese fallen einerseits unter die Aufsicht fachkundiger Personen und andererseits sind die dort beschäftigten Arbeitnehmer erfahren im Erkennen gravitativer Gefahren sowie mit den örtlichen Verhältnissen vertraut. Darüber hinaus werden die Arbeitnehmer im Rahmen der jährlichen Arbeitsplatzevaluierungen hinsichtlich des Umganges mit gravitativen Gefahren im Böschungsbereich unterwiesen. Im Falle der Förderwege werden diese nur intermittierend von großen Fördergeräten befahren. In Anbetracht der kurzen Wirkungsdauer von Steinfallereignissen und der Bewegung der mobilen Fördergeräte ist die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit eines mobilen Fördergerätes zum Steinfallzeitpunkt im Steinfallbereich als sehr gering zu beurteilen. Zudem ist auf Grund der Größe und der besonderen Sicherheitsausstattung der mobilen Fördergeräte auch im Falle eines örtlichen und zeitlichen Zusammentreffens von Gefahr und Gerät die Wahrscheinlichkeit eines Personenschadens gering. Im Gegensatz dazu ist die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit von Arbeitnehmern, die mit stationären Tätigkeiten wie Laden, Bohren und den vorbereitenden Tätigkeiten bei der Sprengarbeit befasst sind, zum Zeitpunkt eines Steinfallereignisses im Bereich aktiver Arbeitsetagen als gegeben anzusehen. Daher sind besondere Maßnahmen zu treffen, um das Auftreten von Steinfallereignissen im Bereich der Arbeitsetagen zu vermeiden bzw. jedenfalls das Schadenausmaß zu minimieren. Dies erfolgt im Rahmen des Arbeitsplatzfreigabeprozesses.

Die Diskussion der Überschneidung des räumlichen und zeitlichen Wirkungsbereichs einer Gefahr mit dem räumlichen und zeitlichen Wirkungsbereich von Arbeitnehmern wurde bewusst auf die Steinfallgefahr beschränkt, da Steinfälle ohne erkennbare Warnungssignale auftreten können. Im Gegensatz dazu ist der Bewegungsablauf beim Böschungsversagen in der überwiegenden Zahl der Fälle frühzeitig erkennbar, d. h. Arbeitnehmer und Bergbaugeräte können rechtzeitig aus dem definierten Gefahrenbereich entfernt werden. Demnach stellt Böschungsversagen im Regelfall keine Gefährdung der Arbeitnehmer dar, sofern entsprechende Überwachungssysteme vorhanden sind, die das frühzeitige Erkennen eines sich entwickelnden Böschungsversagens ermöglichen.

8.2 Strategien zur Minimierung des gravitativen Gefährdungspotentials im Festgesteinstagbau

8.2.1 Vermeiden bzw. Minimieren der gravitativen Gefahren durch Planung

Der erste und wichtigste Schritt zur Minimierung der gravitativen Gefahren im Tagbau ist die Planung. Diese beginnt mit der Festlegung der Tagbauendböschung und des Tagbauzuschnitts. Im Falle größerer Tagbaubetriebe und bei komplexen geologischen und topographischen Rahmenbedingungen wird diese Planung entweder von konzerninternen Fachkräften oder in Fällen, wo betriebs- oder konzerninterne Fachleute nicht vorhanden sind, von Ingenieurbüros durchgeführt. Auf der Grundlage derartiger Planungen wird der Anfangsgewinnungsbetriebsplan erstellt und zur Genehmigung durch die zuständigen Behörden eingereicht. Grundüberlegung ist dabei, den Tagbauzuschnitt so zu wählen, dass die Böschungssysteme den im Tagbaugebiet vorhandenen geologischen Strukturen wie Trennflächengefüge, Störungszonen, Schicht- und Bankungsflächen derart angepasst sind, dass Böschungsversagen als Folge ungünstiger Verschneidungen der geologischen Strukturen mit den Tagebauböschungen weitgehend vermieden und damit das Keilbildungspotential möglichst klein gehalten werden kann. Im Falle größerer Festgesteinstagbaue wird es häufig erforderlich sein, die ursprünglichen Planungen gegen den Hintergrund des im Laufe der Zeit zunehmenden Wissensstands der strukturgeologischen Situation im Tagbau zu überprüfen und, wo erforderlich, anzupassen. Während der Endzustand des Tagbaus durch die lokalen geologischen Verhältnisse, die Lagerstätte und die topographische Situation weitgehend vorgegeben ist, gibt es viele Freiheitsgrade betreffend die Art und Weise, wie sich der Tagbau beginnend mit der Ausgangssituation bis zur Endsituation entwickelt. Es ist gerade die operative Phase, die aus der Sicht der gravitativen Gefahren besonders wichtig ist, da in dieser die überwiegende Zahl der Böschungen entstehen und das größte Gefährdungspotential durch Steinfall und Böschungsversagen besteht. Ein Schwachpunkt der Gesetzgebung im Bergbau ist, dass Arbeitnehmerschutz und Bergbauplanung getrennt betrachtet werden. Dies widerspricht der alten bergmännischen Weisheit die besagt, dass die Sicherheit im Bergbau mit der Sicherheit der Baue beginnt. Während im Falle des Abbaus bestimmter Rohstoffe Tagbaubetriebe vom Gesetzgeber Betriebsplangenehmigungsverfahren in periodischen Zeitabschnitten vorgesehen sind, existiert diese planmäßige Evaluierung der betrieblichen Gegebenheiten beim Vorliegen der meisten Rohstoffe nicht. Im Falle sehr kleiner Festgesteinstagebaue und einfachen geologischen und topographischen Verhältnissen ist die Notwendigkeit einer detaillierten Tagbauplanung nicht immer erforderlich.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Falle der größeren Böschungssysteme im Festgesteinstagebau eine ingenieursmäßige Herangehensweise an die Planung und Auslegung der Tagbauböschungen, d. h. die Berücksichtigung der strukturgeologischen, topographischen Gegebenheiten und deren Auswirkung auf die Stabilität der Tagbauböschungen sowie der technischen, logistischen und organisatorischen Rahmenbedingungen, das gravitative Gefahrenpotential minimieren kann. Dies gilt insbesondere für das regionale Versagen von Böschungssystemen, aber auch für die Steinfallgefahr. Infolge der komplexen und oft kleinräumigen geologischen Verhältnisse im alpinen Bereich und infolge des zum Planungszeitpunkt begrenzten Informationsstandes der tatsächlichen Gebirgsverhältnisse können lokale Böschungsversagensfälle und Steinfälle nicht vollständig ausgeschlossen werden. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens der genannten Gefahren kann jedoch deutlich verringert werden.

8.2.2 Vorgehensweise bei Arbeitsetagen und Arbeitsböschungen.

Die kleinste in sich geschlossene Einheit in einem Festgesteinstagebau ist die Arbeitsetage. Diese besteht aus der Etage, auf der das gesprengte Hauwerk liegt und mit Hilfe von Ladegeräten auf das Fördermittel aufgegeben wird. Letzteres ist im Festgesteinstagebau in der Mehrzahl der Fälle ein SLKW. Die Ladearbeit wird entweder durch einen Radlader oder einen Hydraulikbagger verrichtet. Auf der oberhalb der Lade- und Förderetage gelegenen Etage werden die Bohrarbeiten für das Hereinsprengen des zwischen den beiden Etagen liegenden Gebirges durchgeführt. Abb. 3 zeigt die Situation auf einer Arbeitsetage und den dazugehörenden Arbeitsböschungen sowie die in der TAV definierten Gefahrenbereiche nach [2].

Abb. 3
figure 3

Gefahrenbereichskonzept für die Arbeitsetage nach [4]

Die Festlegung der Dimensionen der verschiedenen Gefahrenbereiche und die Vorgehensweise bei der Bestimmung der Größe der Gefahrenbereiche sind Gegenstand heftiger Diskussion zwischen der Tagbauindustrie und den Vertretern des Arbeitsinspektorates, die in zunehmendem Maße auf die Beurteilung nach dem „Terra Firma“ Konzept bestehen, welches auf der Anwendung von Steinfallversuchen oder Steinfallsimulationen und von numerischen Standsicherheitsuntersuchungen der Böschungen beruht [2]. Da die dafür erforderliche Expertise in kleineren Tagbaubetrieben meist nicht vorhanden ist, muss diese Beurteilung an Ingenieurbüros vergeben werden. Aus der Sicht der Industrie werden die besonderen Rahmenbedingungen, unter denen die Arbeiten im Bereich der Tagbauböschungen durchgeführt werden, bei diesem Konzept nicht ausreichend berücksichtig und gewürdigt.

Die Arbeiten auf der Arbeitsetage werden von fachkundigen Personen geplant und überwacht. Die technischen, organisatorischen und personenbezogenen Maßnahmen in Zusammenhang mit den Tätigkeiten auf der Arbeitsetage sind in der TAV vorgegeben. Die Qualifikationskriterien für die fachkundige Person (Betriebsleiter und Betriebsaufseher) sowie deren Nachweis sind im MinroG festgelegt. Zum Sprengzeitpunkt befinden sich keine Personen in der Nähe der Sprengstelle und die Tagbaugeräte befinden sich in sicherer Entfernung von der Sprengstelle. Nach der aus sicherer Entfernung gezündeten Sprengung und nach Einhaltung des gesetzlich festgelegten Zeitintervalls wird die Sprengstelle von der fachkundigen Person besichtigt und das Sprengergebnis beurteilt. Neben der visuellen Beurteilung der Korngrößenverteilung des Hauwerks wird der Zustand der durch die Sprengung geschaffenen neuen Etagenböschung aus der Sicht des gravitativen Gefahrenpotentials besonders beurteilt. Hier geht es insbesondere darum, festzustellen, ob es in der Etagenböschung absturz- und steinfallgefährdete Bereiche oder Abschnitte gibt, oder ob sich an der Böschungskante absturzgefährdete Felskeile gebildet haben. Nach dieser visuellen Erstbeurteilung wird die weitere Vorgehensweise festgelegt. Diese besteht zunächst einmal aus der Entfernung absturzgefährdeter Felskeile aus der Böschung und von der Böschungskante. Diese Arbeiten werden mit Hilfe der auf der Arbeitsböschung vorhandenen Bergbaugeräte durchgeführt, wobei sich das Gerät und damit auch das Bedienungspersonal in sicherer Entfernung vom absturzgefährdeten Böschungsbereich befindet. Entscheidend ist dabei, dass die Höhe der Arbeitsetagenböschung so festgelegt wird, dass die gefährdeten Bereiche in der Etagenböschung vom Tagbaugerät, z. B. Tieflöffelbagger oder Radlader, erreicht werden können, wobei es durchaus üblich ist, dass die Tagbaugeräte auf dem Hauwerk stehen. Nach Beendigung der Sicherheits- und Beräumungsmaßnahmen wird die Arbeitsetage für weitere Arbeiten von der fachkundigen Person freigegeben. Die Beurteilung erfolgt auf Grundlage der meist jahrelangen Erfahrung der fachkundigen Person und deren Kenntnis der lokalen strukturgeologischen Verhältnisse und des Böschungsverhaltens, wobei die visuelle Beurteilung im Vordergrund steht. Neben der Beurteilung des Keilbildungspotentials in der Etagenböschung ist Teil der Routinebeurteilung nach der Sprengung auch das Begehen darüber- und darunterliegenden Arbeitsetagen mit dem Ziel, etwaige Risse auf den Etagen frühzeitig zu erkennen. Das Auftreten derartiger Risse kann ein frühzeitig erkennbares Zeichen für die Entwicklung eines Böschungsversagen sein. Das räumliche Ausmaß eines derartigen Versagens kann aus der räumlichen Verteilung und aus dem Einfallen und der Einfallsrichtung der Risse beurteilt werden. Während die Beurteilung der Steinfallgefährdung im Böschungsbereich üblicherweise durch die fachkundige Person allein erfolgt, ist diese dazu angehalten, das Auftreten von Rissen in zusammenhängenden Böschungsbereichen der Betriebsleitung zu melden, da die Interpretation und Beurteilung dieser Risse außerhalb des Erfahrungsschatzes des fachkundigen Tagebaupersonals liegen kann. Die durch das MinroG, die TAV, die SprengV, etc. vorgegebene klare Struktur der verantwortlichen Personen (Betriebsleiter, Betriebsaufseher, Markscheider, fachkundige Personen, Sprengbefugter, etc.) und deren Ausbildung, Kenntnisse und Anerkennung durch die Behörde ist gut geregelt und trägt wesentlich zur Sicherheit im Tagbau bei.

Die hier beschriebene Vorgehensweise bei der Beurteilung der gravitativen Gefahren im Bereich der Arbeitsböschungen hat sich gut bewährt. Wesentliche Vorteile sind, dass die Beurteilung unmittelbar nach der Schaffung eines neuen Böschungsabschnittes erfolgen kann, d. h. zeitnah ist. Dieser Umstand ist von kritischer Bedeutung, wenn die an anderer Stelle erwähnte große Zahl von Böschungssprengungen berücksichtigt wird.

Ein Aspekt der Tagbautätigkeit, der sich auf die Steinfallgefahr insbesondere im Bereich Arbeitsböschungen auswirkt, ist die Sprengarbeit. Diese kann die Gefährdung durch Steinfall in zweierlei Weise beeinflussen. Zum einen hat die Qualität der Sprengarbeit einen großen Einfluss auf den Zustand der Arbeitsböschung nach der Sprengung. Ausschlaggebend ist dabei die Bohrgenauigkeit, d. h. die Richtung und Länge der Sprengbohrlöcher, das Einhalten des Bohrrasters (Vorgabe und Seitenabstand), die dem Gebirge und Bohrraster angepasste Sprengstoffmenge je Zündzeitstufe und das Zündintervall zwischen den einzelnen Sprengbohrlöchern. Strikte Qualitätskontrolle bei der Sprengarbeit wirkt sich nicht nur positiv auf die Produktivität aus, sondern auch auf den Zustand der Etagenböschung und dort wiederum vor allem die Steinfallgefahr. Insbesondere im Bereich der Tagbauendböschung kommt der Sprengarbeit eine besondere Bedeutung zu, da diese Böschung über lange Zeiträume standfest sein muss und häufig auch die Böschung mit der größten Generalneigung im Tagbau ist. Aus diesem Grunde kommen bei der Herstellung der Tagbauendböschung häufig Sonderverfahren wie Pre- und Post-splitting zur Anwendung.

Der zweite Aspekt der Sprengarbeit, der einen wichtigen Einfluss auf die Steinfallgefährdung im Böschungsbereich hat, sind die bei der Sprengung entstehenden Gebirgserschütterungen. Diese führen dazu, dass Felskeile in den Böschungen, die sich nahe dem Grenzgleichgewicht befinden, durch die Sprengerschütterungen zu einem Zeitpunkt aus dem Gebirgsverband gelöst werden, an dem keine Personen im Sprengbereich anwesend sind. Die Sprengerschütterungen und die damit im Zusammenhang stehende Schwinggeschwindigkeit des Untergrundes nehmen mit der Sprengstoffmenge je Zündzeitstufe zu und mit der Entfernung vom Sprengort ab. Dieser Zusammenhang wird durch die „skalierte Entfernung“ beschrieben und kann auf einfache Weise für jeden Festgesteinstagebau ermittelt werden, Abb. 4 und 5. Eine wichtige Beobachtung ist dabei, dass die Auswirkung der Sprengerschütterung mit der Entfernung rasch abnimmt. Die mit jeder Sprengung verbundenen Erschütterungen stellen eine indirekte Beräumung der Arbeitsböschung dar und leisten dadurch einen wichtigen Beitrag zur Verringerung der Steinfallgefahr im Bereich der Arbeitsböschung. Sie können als ein Ersatz für die im Zusammenhang mit Felsböschungen in bewohnten Bereichen und entlang von Bahn- und Straßentrassen in Gebirgsgegenden oft erforderlichen „Felsputzer“ betrachtet werden. In größeren Entfernungen vom Sprengort ist der Einfluss der Sprengerschütterungen auf Steinfallgefährdung entlang der Förderwege vernachlässigbar.

Abb. 4
figure 4

Mit dem gebirgsschonenden Vorspaltverfahren hergestellte Abbauböschungen im Bereich der Etagen, Bankungsfläche und zugleich Qualitätsgrenze im Einfallen

Abb. 5
figure 5

Zusammenhang zwischen skalierter Entfernung und Schwinggeschwindigkeit des Untergrundes

Auch das Abstürzen von Hauwerk über die Etage hat eine derartige „reinigende“ Wirkung (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Zusammenhang zwischen der Lademenge pro Zündzeitstufe und der Schwinggeschwindigkeit der Tagbauböschung in Abhängigkeit von der Entfernung von der Sprengstelle

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass weder aus den Unfalldatenbanken der Montanbehörde, des Arbeitsinspektorates noch der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) Steinfall als kritische Unfallursache hervorgeht und dementsprechend ausgewiesen ist. Berücksichtigt man die vielen Arbeitsetagensprengungen im österreichischen Festgesteinstagbau, dann kann der Schluss gezogen werden, dass die derzeit angewandte Methode des Umgangs mit der Steinfallgefährdung in Festgesteinstagbauböschungen den Anforderungen des Arbeitsschutzes gerecht wird.

9 Verfahren zur Beurteilung der gravitativen Gefahren im Festgesteinstagbau

9.1 Vorbemerkungen

Wesentliche Faktoren beim Umgang mit gravitativen Gefahren im Festgesteinstagebau sind das Erkennen und die Beurteilung der Gefahr. Die damit verbundenen Fragen und Gesichtspunkte werden für das Versagen von Böschungen und die Steinfallgefahr getrennt behandelt. Die Gründe dafür sind einerseits die Unterschiede der Natur dieser Versagensmechanismen, die unterschiedlichen Größenbereiche, Unterschiede der Beurteilungsmethoden und damit verbunden der fachliche Hintergrund der Beurteiler sowie der für die Beurteilung zur Verfügung stehende Zeitraum.

9.2 Grundsätzliche Vorgehensweise bei der Beurteilung gravitativer Gefahren im Festgesteinstagbau

Ausgangspunkt der Methodik der Beurteilung gravitativer Gefahren im Festgesteinstagebau ist die Anwesenheit von fachkundigen Personen im Tagbau, d. h. Betriebsleiter, Betriebsaufseher, fachkundige Personen in der TAV. Diese ist in den für den Tagbaubetrieb relevanten Gesetzen bzw. Verordnungen festgelegt. Die Beurteilung erfolgt auf der Grundlage einer Matrix bestehend aus der Datenerfassung, der Datenauswertung und der Analyse.

9.2.1 Datenerfassung

Die Datenerfassung umfasst in Richtung zunehmender Detailinformation das gesamte Spektrum von Literaturrecherche, visueller Erfassung des Zustands vor Ort und im Böschungsbereich, Messungen und Beobachtungen an der Oberfläche wie Trennflächen (Einfallsrichtung und Einfallswinkel), Auftreten von Rissen, Beobachten von Felsspionen, Nivellements, Punktbewegungen und mehr. Im Falle von sehr hohen und komplexen Tagbauböschungen kann es erforderlich werden, den Mess- und Beobachtungsbereich von der Tagesoberfläche in die Tiefe zu erweitern, d. h. Kernbohrlöcher, Extensometermessungen und Bohrlochneigungs- sowie Wasserstandsmessungen.

Im täglichen Betrieb konzentriert sich die Datenerfassung auf visuelle Beobachtungen durch das Aufsichtspersonal und die Facharbeiter. Mit zunehmender Komplexität der Problemstellungen verlagert sich die Datenerfassung und in weiterer Folge auch die Datenauswertung und Analyse vom Betrieb zu Fachunternehmungen.

9.2.2 Datenauswertung

Die Datenauswertung bewegt sich von Methoden geringer Intensität und Komplexität in Richtung sehr aufwendiger Verfahren und Methoden. Das im Normalbetrieb wichtigste und aussagekräftigste Verfahren der Datenauswertung ist die vergleichende Auswertung durch das Betriebspersonal, z. B. der Vergleich des Bergmanns an der Bohrmaschine vor Ort, der den Zustand des Gebirges von heute mit dem Zustand von gestern vergleicht, oder der Vergleich des Zustands der Arbeitsböschung von heute mit dem Zustand der Böschung von gestern durch den fachkundigen Betriebsaufseher. Zeigen diese Vergleiche ungewöhnliche Veränderungen an, dann können diese untersucht und die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden.

9.3 Beurteilung von Böschungsversagen

Versagen kann ganz allgemein als das Nichterfüllen von Zielvorgaben und entsprechenden Anforderungen verstanden werden [5]. Im Falle von Tagbauböschungen können die Zielvorgaben und Anforderungen wie folgt zusammengefasst werden, Tab. 3.

TABELLE 3 Zielvorgaben für und Anforderungen an Tagbauböschungen

Unter Böschungsversagen versteht man eine ungeplante und nicht vorgesehene Massenbewegung in einer Tagbauböschung, die derart ist, dass die Böschung den vorgegebenen Zweck (die Zielvorgabe) nicht mehr erfüllen kann. Dies kann die Folge des Überschreitens der Gebirgsfestigkeit im Böschungsbereich sein oder durch Massenbewegung entlang vorgegebener Strukturen im Gebirge verursacht sein, wie eine oder mehrere Trennflächen, Schichtflächen, Störungszonen und mehr. Die Größe der Massenbewegung kann lokal, regional oder überregional sein. In Einzelfällen kann die Massenbewegung über das Betriebsgelände hinausgehen. Lokales Böschungsversagen kann kleinere Teilbereiche einer Etage oder Etagenböschung umfassen oder lokal begrenzt sein, wie beim Herausgleiten einzelner Felskeile aus der Etagenböschung. Letzteres Versagen wird in weiterer Folge unter der Versagenskategorie Steinfall behandelt.

Eine Besonderheit des Böschungsversagens im Festgesteinstagebau ist, dass der Versagensprozess in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht plötzlich auftritt, sondern sich langsam entwickelt und dann beschleunigt. In Fällen, wo keine Beobachtungen vorhanden sind, kann der Versagensprozess als ein plötzliches unvorhergesehenes Ereignis angesehen werden, ist es jedoch meist nicht.

Anzeichen für die Entwicklung von Böschungsversagen sind das Auftreten von Rissen auf den Etagen. Die Form der Risse hängt von der Natur des Versagensmechanismus ab. Im Falle von Böschungsversagen entlang von Diskontinuitäten im Gebirgsverband entstehen die Risse durch Bewegungen an den Diskontinuitäten. Sie können Trennrisse oder Verschiebungen darstellen. Im Falle von Versagen durch Überschreiten der Gebirgsfestigkeit entstehen die Risse in der Übergangszone zwischen dem Versagensbereich und dem anstehenden Gebirge. Meist treten in dieser Zone Scharen von mehr oder weniger parallelen Rissen auf, die die Etage unter einem Winkel von 30 bis 45° queren. Da der Versagensprozess meist in der Ausbildung einer schalenförmigen Versagensfläche abläuft, sollte eine zweite Risszone auf der Etage zu beobachten ein. Der Abstand der beiden Risszonen und die Orientierung der Risse gibt Auskunft über die voraussichtliche Größe des Versagensbereiches. Bei einem Auftreten derartiger Risse sollten auch die darüber und darunter liegenden Etagen näher untersucht werden. Andere erste Anzeichen von Böschungsversagen sind Abstufungen und Trennrisse in der Geländeoberfläche oberhalb des Tagebaus. Auch diese Bereiche sollten in regelmäßigen Abständen beobachtet werden. Beim Auftreten von Anzeichen von ersten Versagenserscheinungen sollten systematische Beobachtungsprogramme eingerichtet werden. Diese können aus dem Setzten von Felsspionen, der Einrichtung von Nivellierlinien oder von fest mit dem Untergrund verankerten Messstationen bestehen. Ausgehend von den Ergebnissen der in regelmäßigen zeitlichen Abständen durchgeführten Beobachtungen können weitere detaillierte Untersuchungen durchgeführt werden.

Mit Hilfe dieser Beobachtungen kann der Versagensmechanismus bestimmt und können Strategien zum Umgang mit dem sich abzeichnenden Böschungsversagen entwickelt werden.

In der überwiegenden Zahl der Versagensfälle von Tagebauböschungen läuft der Versagensprozess verhältnismäßig langsam an und kann frühzeitig erkannt werden. Er stellt daher keine reelle Gefährdung für die Arbeitnehmer und die Bergbaugeräte dar, da entsprechende Vorkehrungen getroffen werden können, um Arbeitnehmer und Bergbaugeräte rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich zu entfernen. Der Gefährdungsbereich selbst kann mit großer Genauigkeit aus der Tagbaugeometrie und der Topographie bestimmt werden. Aus dem jüngeren österreichischen Festgesteinstagebau sind eine Reihe von Fällen bekannt, wo Böschungsabschnitte kontrolliert versagt haben. Im internationalen Großtagebau ist lokales und regionales Böschungsversagen Teil des normalen Betriebsgeschehens [6].

Die Beurteilung der Gefahr eines Böschungsversagens basiert in der überwiegenden Zahl der Fälle auf der Annahme eines bestimmten Versagensmechanismus. Dies erfordert im Vorfeld der Untersuchung eine detaillierte geotechnische Untersuchung. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchung werden die relevanten geotechnischen Parameter und das am besten geeignete Analyseverfahren festgelegt. Diese Vorgehensweise erfordert eine entsprechende Fachkompetenz und Erfahrung, die vor allem im Bereich kleinerer Tagebaue betriebsintern oft nicht vorhanden sind. Die Betriebe werden daher auf externe Unterstützung angewiesen sein, d. h. Ingenieur- und technische Büros und Universitätsinstitute. Derartige Untersuchungen und Beurteilungen sind zeit- und kostenaufwändig jedoch oft unverzichtbar und unvermeidbar.

9.4 Beurteilung der Steinfallgefahr

Das Herausgleiten von Felskeilen aus Etagenböschungen und aus dem Bereich der Verschneidung von Etagenböschung mit der Etage selbst (Etagenkante) ist Teil des normalen Betriebsgeschehens und erfordert entsprechende sicherheitliche und organisatorische Maßnahmen, um Arbeitnehmer und Bergbaugerät vor durch Steinfall verursachten Schäden zu schützen. Die besondere Gefahr von Steinfall besteht darin, dass im Gegensatz zum Böschungsversagen Steinfall im Allgemeinen plötzlich und ohne Vorwarnung auftritt. Die wirkungsvollste Maßnahme zur Verringerung dieser Gefährdung ist die Verringerung der Zahl der Arbeitnehmer und der Zeit, die diese im Gefahrenbereich verbringen sowie die Begrenzung der Zahl der Felskeile, die sich lösen können, durch technische und organisatorische Maßnahmen. Der erste Schritt bei der Beurteilung der Steinfallgefahr im Festgesteinstagebau soll bereits im Planungsstadium des Tagebaus erfolgen, d. h. durch die Berücksichtigung des Trennflächengefüges bei der Festlegung der Orientierung der Tagebauböschungen. Dadurch soll das Keilbildungspotential an der Quelle verringert werden. Alle weiteren Schritte beziehen sich, wie in Abschn. 8.2.2 dargelegt, auf das Erkennen absturzgefährdeter Felskeile und deren Beseitigung durch geeignete technische Maßnahmen. Eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der Steinfallgefahr im Bereich der Arbeitsböschungen spielt dabei die fachkundige Person. Diese beurteilt das Steinfallgefährdungspotential nach der Sprengung der Arbeitsböschung, legt im Rahmen des Arbeitsplatzfreigabeprozesses die Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr fest und entscheidet über Verrichtung von Arbeiten im steinfallgefährdeten Bereich. Die Beurteilung der Steinfallgefahr im Bereich der Arbeitsböschung durch die fachkundige Person erfolgt auf der Grundlage der Kenntnis der strukturgeologischen Verhältnisse im Gefährdungsbereich, jahrelanger Erfahrungen im Umgang mit der Steinfallgefahr im Böschungsbereich und entsprechender Ausbildung im Erkennen von und Beurteilen des Verhaltens von absturzgefährdeten Felskeilen. Fachkundige Personen müssen die entsprechende Ausbildung nachweisen und werden von der Behörde als solche anerkannt. In Situationen, die außerhalb des Erfahrungsbereichs der fachkundigen Person liegen, hat diese den verantwortlichen Tagbauleiter zu informieren, der über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden hat.

Diese Vorgehensweise bei der Beurteilung der Steinfallgefährdung in Arbeitsböschungen von Festgesteinstagebauen hat sich in der Praxis gut bewährt. Die Beurteilung erfolgt zeitnah durch fachkundiges Tagebaupersonal mit einer genau definierten Verantwortung.

10 Zur Frage der Beurteilung der Standsicherheit von Tagbauböschungen und der Anwendung des Eurocode 7 (EC7) für Festgesteinsböschungen

Über viele Jahre wurden verhältnismäßig einfach zu bedienende Verfahren zur Beurteilung der Stabilität von Böschungen mit gutem Erfolg eingesetzt. Insbesondere im Falle einfacher Böschungssituationen haben sich diese Verfahren bewährt [7].

In vermehrtem Umfang werden nunmehr Forderungen gestellt, die Standsicherheit von Festgesteinstagebauböschungen mit Hilfe von Standsicherheitswerten (Sicherheitsfaktoren) zu beurteilen. Die dazu zur Verfügung stehenden Werkzeuge sind sowohl analytische als auch numerische Simulationsverfahren, die auf unterschiedlichen Vorstellungen des Verhaltens des Gebirges im Festgesteinstagebau aufbauen, siehe Tab. 4.

TABELLE 4 Zusammenstellung numerischer Verfahren die breite Anwendung in der Gebirgsmechanik finden

Aus der Vielzahl der numerischen Simulationsprogramme ist das für eine bestimmte Böschungssituation bestgeeignete Programm auszuwählen, wobei die erste Entscheidung die Frage betrifft, ob das Gebirge als Kontinuum oder als Diskontinuum zu betrachten ist. Entscheidend ist dabei auch die Frage des zu erwartenden Versagensmechanismus, da dieser die Versagenskriterien bestimmt. Die nächste Frage betrifft die Quantifizierung der mechanischen Gebirgseigenschaften und die Methode zur Bestimmung dieser Eigenschaften. Die Abb. 7 und 8 zeigen die damit verbundene Problematik auf, insbesondere im Falle von stark zerklüftetem Gebirge. Die Situation wird noch komplexer, wenn der Einfluss der Diskontinuitäten, d. h. der Trennflächen und ihrer Eigenschaften, auf das Böschungsversagen berücksichtigt werden soll, da viele der dafür erforderlichen Material- und Systemparameter nicht bekannt sind und Prüfverfahren zu deren Bestimmung eventuell noch nicht vorhanden sind. Ebenso schwerwiegend sind örtlichen Variationen geomechanischen Eigenschaften des Gebirges im Böschungsbereich. Dies gilt insbesondere für Böschungen im alpinen Bereich mit der dort vorherrschenden und ausgeprägten Kleintektonik.

Abb. 7
figure 7

Zusammenhang zwischen den Kennwerten RMR, GSI und Q und der normalisierten Gebirgsdruckfestigkeit [8]. (σci einaxiale Druckfestigkeit des Gesteins (compressive strength of intact rock) in MPa, σcm einaxiale Druckfestigkeit des Gebirges (compressive strength of rock mass) in MPa). [9,10,11,12,13,14,15,16]

Abb. 8
figure 8

Zusammenhang von Deformationsmodul des Gebirge und dem Gebirgskennwerten RMR und Q. [17,18,19]

Weiterhin können auch im Bereich der Lastannahmen große Unsicherheiten bestehen. Dies betrifft insbesondere den primären Spannungszustand im Gebirge und die hydraulischen Verhältnisse im Böschungsbereich sowie die Auswirkungen extremer Niederschlagsereignisse. Daraus folgt, dass sowohl der Gesamtwiderstand (R) der Böschungsstruktur als auch die auf und in der Böschung wirksamen Einwirkungen (E) mit großen Unsicherheiten behaftet sind. Infolge der nicht exakt fassbaren Parameter ist die Quantifizierung der Standsicherheit von Felsböschungen mit großen Unsicherheiten behaftet. Letztlich hat der Quotient von Gesamtwiderstand (R) und Gesamtbelastung (E), der gemeinhin als Standsicherheitswert bezeichnet wird, keine verlässliche Aussagekraft mehr.

Der in Bodenmechanik übliche Standsicherheitswert von 1,3 hat für Felsböschungen keine Relevanz. Der Grund dafür sind die fundamentalen Unterschiede von Böden und Festgebirge. Böden sind im Allgemeinen homogen und kontinuierlich und können infolge der Homogenität und kleinen Korngrößen im Labormaßstab realistisch geprüft und quantifiziert werden, d. h. die Unsicherheiten bei der Bestimmung der Widerstände sind relativ gering. In gleicher Weise können auch die Belastungen, in der Vielzahl der Fälle handelt es sich um Fundamente und Gründungen, verhältnismäßig zuverlässig bestimmt werden. Den Unsicherheiten in der Beurteilung der Widerstände (R) und der Belastungen (E) wird durch den Sicherheitswert 1,3, d. h. die Widerstände sind 30 % größer als die Belastung, Rechnung getragen. Im Falle von Gebirgsstrukturen stellt sich die Situation anders dar, da das Gebirge im Allgemeinen kein kontinuierliches homogenes Medium ist, sondern durch Trennscharen, Bankungsflächen sowie Störungs- und Scherzonen in Teilkörper zerlegt ist, d. h. diskontinuierlich und sich in seinem Verhalten und seinen Eigenschaften nicht mehr isotrop sondern anisotrop und zudem auch lokal sehr inhomogen darstellt. Darüber hinaus sind die für eine repräsentative Beurteilung der mechanischen Eigenschaften und des Verhaltens des Gebirges Prüfkörper von einer Größe erforderlich, die nicht unter idealen Laborbedingungen untersucht werden können. Daraus folgt, dass die mechanischen Gebirgseigenschaften nur über den Umweg von sogenannten Gebirgsklassifikationsverfahren und der Prüfung der Festigkeit der gebirgsbildenden Gesteine auf semi-empirische Weise bestimmt werden können. Damit verbunden sind zahlreiche Unsicherheiten. Diese betreffen sowohl die Quantifizierung des Gebirges mit Hilfe von Gebirgsklassifikationsverfahren als auch die Bestimmung der mechanischen Eigenschaften auf der Basis eines Gebirgskennwertes und semi-empirischer Materialgesetze. Die Zusammenhänge zwischen dem Gebirgskennwert, der Gebirgsfestigkeit und dem Verformungsmodul sind in den Abb. 7 und 8 dargestellt. Die wesentlichsten Ergebnisse sind einmal der dramatische Abfall der mechanischen Eigenschaften des Gebirges mit zunehmendem Zerlegungsgrad, dieser ist aus der Abnahme des Wertes der Gebirgskennzahl ersichtlich, und zum anderen die großen Streuung der normalisierten normierten mechanischen Eigenschaften des Gebirges entsprechend den verschiedenen Prognoseverfahren. Im Falle einer Gebirgskennzahl von 50 % streuen die normalisierten Gebirgsfestigkeiten zwischen 0,03 und 0,20 der Gesteinsfestigkeit und der normalisierte Verformungsmodul zwischen 0,05 und 0,15 des Gesteinsmoduls. Daneben ist auch die Bestimmung der Gebirgskennzahl mit Unsicherheiten behaftet. Gegen diesen Hintergrund muss die Frage gestellt werden, welches Vertrauen man in ein Beurteilungsverfahren haben kann, welches den Quotienten von zwei mit zahlreichen Unsicherheiten behafteten Parametern als Beurteilungskriterium hat. Der sogenannte Sicherheitsfaktor ohne Angabe der Versagenswahrscheinlichkeit bei einem bestimmten Wert des Sicherheitsfaktors ist wertlos und irreführend. Rückrechnungen von stabilen und instabilen Böschungen könnten wertvolle Aufschlüsse geben. Bislang sind dem Autor wenige Fallstudien bekannt, in denen Tagebauböschungen, die versagt haben, mit Hilfe unterschiedlicher numerischer Verfahren im Detail untersucht worden sind. Bevor mit dem Sicherheitsfaktorkonzept weitere Verunsicherung geschaffen wird, erscheint es angebracht, eine Reihe von bestehenden Böschungen mit Hilfe unterschiedlicher Verfahren der numerischen Simulation und der Bestimmung der mechanischen Gebirgsparameter zu untersuchen und die dabei erhaltenen Ergebnisse zu vergleichen.

Im Jahr 2010 wurde der Eurocode für Geotechnische Bemessung, EN-1997-1: 2004 [20], auch als EC 7 bekannt, als Basis für Geotechnische Bemessung innerhalb der EU eingeführt und damit auch ein bedeutendes globales Referenzwerk für die Geotechnischen Bemessung geschaffen. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits einige EU-Staaten, darunter auch Österreich, den EC 7 in der Form einer technischen Norm umgesetzt, ÖNORM EN 1997‑1,2. Die ÖNORM B1997-1‑5 [21] behandelt die Gesamtsicherheit von Böschungen, Hängen und Geländesprüngen. Die Anwendung dieser Norm ist zwar nicht bindend, doch wird sie im Falle eines Versagens voraussichtlich als Stand der Technik zu betrachten sein.

Infolge der globalen Bedeutung des EC 7 für die Geotechnik und insbesondere für den Felsbau beschäftigt sich seit einigen Jahren eine Kommission der Internationalen Gesellschaft für Gebirgsmechanik (ISRM) mit grundlegenden Fragen der Anwendung des EC 7 auf Felsbauwerke [22, 23]. Der EC 7 beruht auf dem Konzept des Grenz-Zustands (Limit State Design), das besagt, dass die Einwirkungen (E) auf das Felsbauwerk kleiner sein sollen als die Widerstände (R). Dies soll für alle möglichen Grenzzustände der Struktur gelten. Dementsprechend unterscheidet man auch zwischen dem Gesamtwiderstand der Felsstruktur und Teilwiderständen. Die Anwendung dieses Grundkonzeptes hängt eng mit der Variabilität der der Eigenschaften des Materials oder der Materialien ab, aus denen die Struktur besteht. Im klassischen Ingenieurwesen wie Maschinenbau oder im Hochbau ist die Variabilität der Eigenschaften innerhalb einer Materialgruppe gering, dies gilt mit Einschränkungen auch für Böden. Im Felsbau ist diese Voraussetzung im Allgemeinen nicht gegeben, dies hängt eng mit der diskontinuierlichen Natur des Gebirges zusammen, welches aus Gesteinsformationen mit oft sehr unterschiedlichem Entstehungshintergrund (sedimentär, magmatisch, metasomatisch) gebildet wird, und aufgrund der unterschiedlichen Entstehungsmechanismen natürliche Trennflächen aufweist, wie z. B. Bankungsflächen bei Sedimentgesteinen, Kühlungsrisse bei magmatischen Gesteinen, Basaltsäulen oder ausgeprägte Trennrisse in Doleritformationen, oder anisotropes Verhalten zeigt wie Schiefergesteine und Gneis. Trennflächen können auch durch jüngere tektonische Ereignisse entstehen, wie dies vor allem im alpinen Bereich der Fall ist. Diese Trennflächen führen nicht nur zu einem hohen Zerlegungsgrad des Gebirges und einer deutlichen Verringerung der mechanischen Eigenschaften des Gebirges sondern auch zu einer Richtungsabhängigkeit der Gebirgseigenschaften. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Festgebirge grundsätzlich von Böden und Lockergestein und vor allem von den klassischen im Ingenieurbau verwendeten Materialien wie Stahl und Beton. Viele dieser Faktoren sind zum Planungszeitpunkt entweder nicht oder nur unzureichend bekannt. Dies bewirkt eine große Unsicherheit sowohl bei der Bestimmung der Einwirkungen (E) auf eine Gebirgsstruktur wie auch bei der Quantifizierung des Widerstandes (R) der Struktur gegen diese Einwirkungen. Die Grundlage der Anwendung des EC 7 ist der sogenannte Grenzzustand (limit state) der besagt, dass R = E ist. Da im Falle des Festgebirges mit all den genannten Einflussfaktoren auf das mechanische Verhalten des Gebirges und der Gebirgsstrukturen weder der Widerstand (R) noch die Einwirkung (E) zuverlässig und mit ausreichender Genauigkeit bestimmt werden können, folgt, dass auch die Bestimmung des Grenzzustands (limit state) mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Das wiederum bedeutet, dass das Grundkonzept der Anwendung des EC 7 im Falle von Strukturen im Festgebirge hinterfragt werden muss. Im Rahmen der im Jahr 2014 in Vigo in Spanien abgehaltenen Eurock 2014 Gebirgsmechanik-Konferenz beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe mit Fragen der Eignung des Eurocode 7 für die Lösung von gebirgsmechanischen Problemstellungen im festen Gebirge. Eine Reihe von Problembereichen wurde identifiziert, wobei insbesondere die Frage der Unsicherheiten bei der Bestimmung der verschiedenen gebirgsmechanischen Parameter im Vordergrund stand, da diese nicht mit den üblichen Wahrscheinlichkeitsfunktionen gelöst werden kann. Soweit erhoben werden konnte, ist diese Frage bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zufriedenstellend gelöst. Ein weiterer grundsätzlicher Fragenkomplex betrifft die Forderung, dass neben der Gesamtsicherheit der Struktur auch alle partiellen Grenzzustände im sicheren Bereich liegen müssen. Auf die Tagbauböschungen angewendet würde dies bedeuten, dass im Sinne des EC 7 bei Teilversagen einer Etage die gesamte Tagbauböschung die Erfordernisse des EC 7 nicht mehr erfüllt, obwohl die lokalen und globalen Erfahrungen zeigen, dass Teilversagen von Böschungsabschnitten die Gesamtsicherheit der Tagbauböschung nicht automatisch in Frage stellen muss, sondern bei entsprechenden Maßnahmen problemlos beherrscht werden kann. Ähnliche Fragestellungen betreffen im Übrigen auch viele andere gebirgsmechanische Situationen, stellvertretend für einige dieser wird auf die Ausbildung einer kontrollierten Bruchzone um untertägige Hohlraumbauten verwiesen. Diese auf Beobachtungen basierenden Vorgehensweise beim Tunnelbau (observational approach) ist die Grundlage der sehr erfolgreichen Neuen Österreichischen Tunnelbau Methode (NATM) und findet weltweit Anwendung.

Die bereits erwähnte ISRM Kommission, die sich mit der Anwendung des EC 7 im Felsbau beschäftigt, hat eine Reihe grundlegender Fragenbereiche identifiziert, die erst gelöst werden müssen, bevor an eine allgemeine Anwendung des EC 7 im Felsbau gedacht werden kann. Diese betreffen:

  • Die uneingeschränkte Anwendung des Grenzzustand-Konzepts und im Besonderen die Frage der partiellen Grenzzustände sowie die Frage lokalen Versagens von strukturellen Teilbereichen.

  • Die diskontinuierliche und häufig auch anisotrope Natur des Festgebirges und damit eng verbunden die quantitative Beschreibung des Gebirges und der Gebirgseigenschaften (Gebirgscharakterisierung-Gebirgsklassifikation und mechanische Gebirgseigenschaften).

  • Die Bestimmung und Quantifizierung der Trennflächeneigenschaften.

  • Der Umgang mit den Unsicherheiten und unvollständigen Informationen zum Planungszeitpunkt.

  • Die Berücksichtigung von erfolgreich angewandten Verfahren im EC 7 wie beobachtungsbasierende Beurteilungsweisen.

  • Die Berücksichtigung semi-empirischer Methoden bei der Planung und Dimensionierung von Festgebirgsstrukturen.

Die Kommission empfiehlt, dass die hier angeführten und andere hier nicht näher genannte Schwierigkeiten bei der Anwendung des EC 7 im Festgebirge untersucht und zufriedenstellend gelöst werden, bevor der EC 7 uneingeschränkt angewendet wird.

Soweit die Festgesteinstagbauböschungen betroffen sind, bietet sich die im EC 7 erwähnte beobachtungsbasierte Methode zur Beurteilung von Böschungen an (Observational method). Diese Methode eignet sich insbesondere für Situationen, wo die Datenlage komplex ist, die geologischen Verhältnisse wenig bekannt sind, oder sich sehr rasch ändern können. In einer indirekten Weise kommt die Beobachtungsmethode in der Österreichischen Tagbauindustrie bereits heute zur Anwendung, siehe Abschn. 8. Was fehlt, ist die Formalisierung dieser Vorgehensweise entsprechend den Vorgaben des EC 7 [24].

11 Schlussfolgerungen

Aus der Sicht der Tagbauindustrie ist die Beurteilung und der Umgang mit den gravitativen Gefahren im Bereich der Tagbauböschungen, wie er derzeit von Seiten des Arbeitsinspektorates propagiert wird, den Verhältnissen im Tagbaubetrieb nicht angepasst, berücksichtig nicht die Rolle und Verantwortung der im Tagbau tätigen fachkundigen Personen, erhöht die Bürokratie und ist unter Berücksichtigung der Zahl der jährlich geschaffenen und zu beurteilenden neuen Böschungen ohne enormen personellen und finanziellen Aufwand sowohl auf Seiten der Betriebe als auch der Aufsichtsbehörde nicht umsetzbar. Darüber hinaus geben die erhobenen Unfallstatistiken keine Hinweise auf ein bestehendes oder zunehmendes Sicherheitsproblem sondern zeigen, dass der bisherige Umgang mit den gravitativen Problemen im Bereich der Tagbauböschungen, der auf den Grundprinzipien des Risikomanagements aufbaut, erfolgreich ist. Eine Formalisierung der bisher erfolgreichen Tagbaupraxis entsprechend den Grundlagen der im EC 7 für derartige Fälle vorgesehenen Beobachtungsmethode könnte ein für alle Seiten befriedigender Weg sein. Mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich zurzeit ein Arbeitskreis des „Bergmännischen Verbandes Österreichs“ (BVÖ) in enger Zusammenarbeit mit einschlägigen Instituten der Montanuniversität und mit den befassten Behörden.