Der Bregmatest (BT) als Werkzeug zur Prüfung der allgemeinen sensomotorischen Fähigkeiten im Stand und dessen aktiver Korrektur wird zur Behandlungsplanung und Wichtung krankengymnastischer Therapien angewandt. Bisher war nicht klar, ob die hinlänglich bekannten Körperwahrnehmungsstörungen bei chronischen Schmerzpatienten ebenfalls mit diesem Test detektiert werden können [3]. Diese Untersuchung soll klären, wie häufig Pathologien bei Bewegungsausführung in unterschiedlichen Untersuchungsgruppen auftreten. Dabei wurden Gesunde, Patienten, die keine Schmerzstörung im Sinne der ICD-10 F45.41 als Diagnose führen, und Patienten, die diese Diagnose tragen, untersucht.

Hintergrund und Fragestellung

Der Bregmatest gilt als Test zur Abschätzung der allgemeinen sensomotorischen Fähigkeiten im Stehen und hat sich als reliables Instrument für die tägliche Routinearbeit als tauglich erwiesen [4]. Dabei wird das Bregma mechanisch mittels Fingerkratzen fazilitiert. Das Bregma ist der Punkt der Verbindung zwischen Pfeilnaht und Kranznaht und Residuum der großen Fontanelle. Der Untersuchte wird nun gebeten, den vormals fazilitierten Punkt Richtung Decke zu führen. Dabei sollen die Füße den Boden nicht verlassen. Als physiologisch gelten Bewegungen, mit exakt vertikal nach oben geführtem Bregma. Als pathologisch gelten Bewegungen, bei denen der Kopf nach hinten oder vorn bewegt wird und damit das Bregma nicht optimal in die Vertikale gelangen kann [3]. Bei beiden Varianten kommen Parakinesen als beiläufige, aber nicht notwendige Bewegungsanteile hinzu. In der folgenden Aufstellung sind die Bregmatestwerte aufgeführt. Folge der Bregmavertikalisierung sind eine aktive Haltungskorrektur der Schwerkraft entgegen und konsekutiv die Abflachung der Wirbelsäulenschwünge, wenn diese vorhanden waren. In Abb. 1 sind schematisch die physiologischen Haltungskorrekturen dargestellt. Tab. 1 zeigt die Graduierung in Abstufungen nach der definierten Einteilung des Bregmatests.

Abb. 1
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Physiologische Bewegungen beim Bregmatest

Tab. 1 Bregmatestgraduierungen

Es ist anzunehmen, dass Störungen motorischer Stereotype, auch in der gesunden Bevölkerung weit verbreitet sind. Neben erkrankten zeigen auch gesunde Menschen Haltungs- und Bewegungsstörungen [9, 17, 19]. Für Schmerzpatienten sind, zumindest bei ausgewählten Erkrankungsentitäten, Körperwahrnehmungsstörungen beschrieben [5]. Dabei stellen Körperwahrnehmungsschulungen, Visualisierungen und kognitive Techniken in der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie etablierte Methoden zur Beeinflussung solcher Funktionsdefizite dar [15].

In die Kategorie der Körperwahrnehmungs- und Koordinationstests gehört auch der Bregmatest. Es stellt sich die Frage, ob es Unterschiede in der Prävalenz pathologischer Bregmatests zwischen chronischen Schmerzpatienten im Vergleich zu Patienten ohne diagnostiziertes chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und funktionellen Störungen sowie Gesunden gibt.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Im Rahmen dieser Querschnittsstudie wurden nach Zustimmung zur Studienteilnahme Probanden und Patienten untersucht.

Initial wurde die Punktprävalenz bei einer Stichprobe im Umfang von n = 218 geprüft. Die Patientenpopulation wurde in eine Gruppe von Menschen mit der Diagnose „Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“ (ICD-10 F45.41), eine Gruppe Patienten ohne diese Diagnose sowie Gesunde aufgeteilt. Die Diagnose F45.41 wurde in der eigenen Einrichtung durch erfahrene KollegInnen in Teamarbeit gestellt. Unter anderem wurde der Deutsche Schmerzfragebogen als Assessment genutzt. Das Team bestand aus Ärzten aus dem Bereich der Anästhesiologie und der physikalischen und rehabilitativen Medizin sowie erfahrenen Psychologen mit Fortbildung in psychologischer Schmerztherapie.

In einem zweiten Teil der Untersuchungen konnten n = 60 chronische Schmerzpatienten, die im Rahmen einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie behandelt wurden, im Verlauf beobachtet werden. Die tagesklinische Behandlung dauerte standardisiert 4 Wochen. An 20 Behandlungstagen wurden gemäß üblichen Empfehlungen der Schmerzgesellschaften neben bewegungstherapeutischen Konzepten auch kognitiv-behaviorale Ansätze einschließlich Entspannungstherapien und edukativer Inhalte angewendet [18]. Dabei wurde ein standardisiertes Rahmenprogramm in der Gruppe mit individualisierten Inhalten und relativ wenigen Einzelgesprächen und -therapien durchgeführt.

Eine grafische Aufarbeitung des Studienablaufs zeigen Abb. 2 und 3.

Abb. 2
figure 2

Ad-hoc-Stichprobe T0, n = 218

Abb. 3
figure 3

Zeitlicher Studienablauf T1–T2, n = 60

Ergebnisse

Deutliche Unterschiede pathologischer Bregmatests in der Ad-hoc-Stichprobe

Zwischen den 3 untersuchten Gruppen gab es deutliche Unterschiede. Betrachtet man die Bregmatestwerte von 1.x, also 1.0, 1.1, 1.2 und 1.3, als physiologisch bzw. physiologisch mit kompensatorischen Bewegungsmustern und 2.x in Analogie zu 1.x als pathologisch, dann fällt eine deutliche Häufung pathologischer Bregmatestgrade bei den chronischen Schmerzpatienten auf.

Patienten mit chronischem Schmerzsyndrom zeigen deutlich häufiger auffällige Bregmatests als die anderen untersuchten Gruppen

Einen signifikanten Unterschied zwischen der Gruppe der Patienten, die nicht an einem chronischen Schmerzsyndrom leiden, und den gesunden Probanden zeigte sich nicht. Ca. jeder siebte Patient bzw. Proband vertikalisiert sein Bregma gemäß der Technikbeschreibung nach Aufforderung nicht korrekt. Bei Patienten mit der Diagnose F45.41 traten bei über 50 % der untersuchten Patienten Pathologien in der Bewegungsausführung im Rahmen des Bregmatests auf.

Im zweiten Teil der Arbeit, bei dem ausschließlich Patienten mit der Diagnose F45.41 im Verlauf einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie beobachtet wurden, zeigte sich in Bezug auf den Bregmatest ein deutlicher „benefit“. Zum Untersuchungszeitpunkt T1 waren ebenfalls über 50 % der untersuchten Personen sensomotorisch nicht ausreichend kompetent, um den Bregmatest physiologisch auszuführen. Nach Abschluss unseres Therapieprogramms zeigten sich dagegen lediglich noch ca. 30 % auffällig.

Eine grafische Aufarbeitung der Daten kann Abb. 4 und 5 entnommen werden.

Abb. 4
figure 4

Verteilung der Bregmatestergebnisse nach Studienpopulationen

Abb. 5
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Detaillierte Aufstellung der Bregmatestergebnisse der Schmerzpatienten (n = 60) im Verlauf

Weiterhin konnten wir nachweisen, dass in der Verlaufsbeobachtung initial lediglich nicht ganz ein Drittel der Patienten und zum Zeitpunkt T2 nunmehr 50 % aller Untersuchten einen fehlerfreien Bregmatest ausführen konnten. Der bei Weitem größte Anteil dieser nun sensomotorisch optimierten Patienten rekrutierte sich aus der 1.x-Gruppe. Trotz der Tatsache, dass die absolute Anzahl an fehlerhaft ausgeführten Bregmatests sank, konnten wir keine signifikante Veränderung der maximal pathologisch ausgeführten Variante [2, 3] feststellen.

Im Rahmen einer IMST lassen sich sensomotorische Defizite mindern

Sowohl die Veränderungen korrekt bzw. inkorrekt ausgeführter Bregmatests von Zeitpunkt T1 zu T2 als auch die Gesamtveränderungen zwischen T1 und T2 erwiesen sich als signifikant. Die Veränderung der Werte wird in Abb. 6 und 7 dargestellt.

Abb. 6
figure 6

Veränderung der Gesamtheit der Bregmatestausführungen der Schmerzpatienten

Abb. 7
figure 7

Detaillierte Darstellung der Bregmatestveränderungen der Schmerzpatienten

Bei der detaillierten Analyse der Veränderungen von T1 zu T2 konnten 27 Patienten detektiert werden, die sich beim Bregmatest verbessern konnten. Eine Verbesserung des Bregmatestwerts von 2.x hin zu 1.x zeigte sich bei 13 Studienteilnehmern, eine Verschlechterung der Werte bei 8 Patienten. Dabei kam es in einem Fall zu einer Veränderung von einem Test 1.0 zu einem Test 2.0 im Rahmen der Verlaufsbeobachtung.

Diskussion

Die erhobenen Daten zeigen, dass der Bregmatest bei Patienten, die unter der Diagnose F45.41 leiden, deutlich häufiger pathologisch ausfällt, als bei den als Kontrollgruppen untersuchten Studienpopulationen. Wie bereits 2012 von Bißwanger-Heim dargestellt wurde, sind Körperwahrnehmungsstörungen bei Menschen mit chronischer Schmerzstörung häufiger anzutreffen [5]. Im vorliegenden Fall ist die sensomotorische Ansteuerungsfähigkeit ohne adäquate Therapie bei mehr als 50 % der Patienten nachzuweisen. Erstaunlich ist, dass sowohl Gesunde als auch Patienten mit verschiedenen Diagnosen hinsichtlich des Bewegungssystems mit degenerativer Genese keine unterschiedliche Häufung auffälliger Bregmatests zeigen.

Es ließ sich herausarbeiten, dass die übliche Prävalenz pathologischer Bregmatestwerte unter 15 % liegt.

Jeder siebte Nichtschmerzpatient hat einen pathologischen Bregmatest

Die Autorengruppen um Lauche et al. und Levenig et al. stützen unsere Ansicht [11, 12]. Zech und Hübscher sprechen davon, dass sensomotorische Schwierigkeiten das Risiko für chronische Schmerzzustände, aber vor allem auch Traumata erhöhen [24].

Die gleichen Autoren berichten gemeinsam mit anderen Kollegen, dass im Rahmen einer Übersichtsarbeit Hinweise gefunden wurden, dass sensomotorisches Training die posturale und neuromuskuläre Fähigkeit verbessern und effektivieren kann [25]. Somit ist nicht abschließend geklärt, ob Menschen mit sensomotorisch defizitären Situationen häufiger dazu neigen, chronische myofasziale Schmerzzustände erleiden zu müssen, oder ob dieses Defizit durch Hemmung der Lebensqualität und der allgemeinen Mobilität gefördert oder gar ausgelöst wird. Aus der täglichen Arbeit mit Patienten und den Erfahrungen der Autoren scheinen beide Kausalzusammenhänge möglich. Unterstützt würde dieses Modell der gegenseitigen Einflussnahme sensomotorischer Defizite und chronischer Schmerzzustände durch die Erkenntnisse, dass bei diesen Patienten unimodale Ansätze, die entweder auf seelisches Schmerzerleben oder körperliche Funktionsfähigkeit abzielen, häufig nicht zum Erfolg führen, wie gedacht. Dies unterstreicht die Wichtigkeit interdisziplinärer multimodaler Therapieansätze, wie sie heute üblich sind [18]. Arnold et al. bestätigen in ihrer 2014 veröffentlichten Arbeit, dass multimodale Therapieansätze in jeden Fall auch zur „Förderung einer positiven Körperwahrnehmung“ eingesetzt werden müssen und geeignet seien [2].

Diese (interprofessionellen) Denkmodelle setzen sich zunehmend auch in anderen, rehabilitativen, Behandlungsansätzen durch [8, 14, 20, 23].

Noeker et al. beziehen die Verbesserung der Körperwahrnehmungen zwar nur auf die Entspannungsverfahren, dennoch kann postuliert werden, dass Menschen, die in der Lage sind, Entspannungsverfahren auch körperlicher Art (bspw. progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen) anzuwenden, durchaus eine positive Körperwahrnehmung besitzen müssen [16]. Somit könnte es zutreffen, dass eine positive Körperwahrnehmung funktionelle Beschwerden minimieren oder gar vermeiden kann und womöglich die Voraussetzung dafür ist, aktive Entspannungsverfahren gewinnbringend einsetzen zu können. Da Entspannungsverfahren im Rahmen der IMST einen hohen Stellenwert besitzen, wäre es möglich, dass in unserem Setting die Körperwahrnehmung durchaus auch durch diese Art der Therapie verbessert werden konnte.

Auffällige Bregmatests sind nicht gleichbedeutend mit klinisch relevanter Pathologie

Es stellt sich die Frage, warum Menschen, die sich für gesund halten, sowie Patienten, die nicht unter einem chronischen Schmerzsyndrom nach Definition der ICD-10 F45.41 leiden, dennoch in fast 15 % der Fälle pathologische Bewegungsausführungen zeigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Funktionspathologien, Kompensationsmuster und sogar Bewegungseinschränkungen häufig für die Betroffenen asymptomatisch bleiben oder gar als „normal“ wahrgenommen werden [1, 13, 21, 22].

Durch unsere Lebensweise werden Bewegungsmuster und -weisen einer Sozialisation unterworfen, auf die die Evolution nicht „vorbereitet“ ist. Nicht nur Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind mittlerweile beschrieben [10], sondern auch Modelle, wodurch durch regelmäßiges Üben und Trainieren „neue“, ggf. besondere sensomotorische Fähigkeiten erworben werden können [6].

Oft ist es sogar so, dass funktionelle Störungen (segmentale Dysfunktionen) gar als kompensatorisches Muster notwendig scheinen. Häufig zeigt sich, dass diese in der klinischen Untersuchung auffälligen Befunde zwar erhoben werden können, aber hinsichtlich ihrer klinischen Relevanz gewichtet werden müssen [7]. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist dies bei pathologischer Ausführung des Bregmatests auch so. Man könnte gar sagen, dass jeder siebte Untersuchte reflektorisch sensomotorisch inkompetent wurde durch Bewegungsmangel und den als Zivilisation bekannten und allseits anerkannten Lebensstil und dies unter den genannten Bedingungen nunmehr „physiologisiert“ wird. Aus unserer Sicht kann man aus einem pathologischen Bregmatestbewegungsmuster keinen Krankheitswert ableiten. Allerdings ist zu prüfen, inwieweit pathologische Bregmatests als Prodrome für die Ausbildung eines chronifizierten Schmerzsyndroms angesehen werden können. Dabei wäre selbstverständlich der pathologische Bregmatest nur ein Ausdruck körperlicher und sensomotorischer Unzulänglichkeiten.

Der Bregmatest ist ein rein subjektiv auszuwertender klinischer Test. In der Arbeit von Best et al. erwies sich dieser Test als ausreichend reliabel [4]. Dennoch besteht Restunsicherheit in der Interpretation der ausgeführten Bewegungen. Es ist also durchaus vorstellbar, dass die nachgewiesenen Verbesserungen, aber auch die Verschlechterungen durchaus durch Fehlinterpretationen verzerrt sein könnten. Dies trifft v. a. auf die einmalig aufgetretene Änderung des Testergebnisses von Grad 1.0 hin zu Grad 2.0 zu.

Schlussfolgerung

Aus den oben aufgeführten Daten lässt sich schlussfolgern, dass ein pathologischer Bregmatest allein keinen Krankheitswert hat. Wenn hinzu aber chronisch rezidivierende Schmerzen und/oder deutlich hervortretende Funktionsstörungen kommen, könnte dies ein Hinweis auf die Entwicklung hin zu einem chronischen Schmerzsyndrom sein.

Diesbezüglich lässt sich allgemein empfehlen, die sensomotorische Kompetenz aller Menschen zu optimieren. Was wiederum zur Empfehlung von allgemeiner Bewegung, auch Sport, und Schulung bzw. Training des Bewegungssystems in allen nicht maximalen Facetten führt.

Wir können auch schlussfolgern, dass ein interprofessionelles multimodales Setting im Rahmen einer tagesklinischen Behandlung dazu führen kann, sensomotorische Defizite zu vermindern, selbst wenn dieses nur 4 Wochen dauert. Es ist anzunehmen, dass regelmäßige Bewegung, wie oben bereits benannt, eine dauerhafte Verbesserung sensomotorischer Kompetenz bedeuten kann.

Fazit für die Praxis

Aus Sicht der Autoren zeigt der Bregmatest sensomotorische Auffälligkeiten beim Stehen an. Die übliche Punktprävalenz liegt bei unter 15 %. Patienten mit einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren zeigten mit über 50 % eine deutliche Häufung pathologischer Bewegungsmuster im Bregmatest. Patienten mit anderen Diagnosen waren gleich häufig von pathologischen Bewegungen betroffen wie Gesunde. Die körperzentrierten Therapieprinzipien innerhalb einer IMST sind geeignet, die sensomotorische Ansprechbarkeit, die im Rahmen des Bregmatests geprüft wird, zu bessern. Aus Sicht der Autoren ist der Bregmatest als schnell und einfach durchführbarer Screeningtest zur Verlaufsbeobachtung auch innerhalb von kurzen Intervallen geeignet, Veränderungen in der Körperwahrnehmung und -ansteuerung von chronischen Schmerzpatienten abzubilden. Es gilt zu prüfen, ob eine Häufung von pathologischen Bregmamustern auch bei anderen Krankheitsentitäten auftritt.