Hintergrund und Fragestellung

Chronisch entzündliche Erkrankungen wie Psoriasis, Psoriasisarthritis (PsA), rheumatoide Arthritis (RA), Spondylitis ankylosans, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn und Kollagenosen gehören zu den häufigsten sog. „immune-mediated inflammatory diseases“ (IMID), d. h. immunvermittelten Systemerkrankungen mit komplexer, multifaktorieller Ätiologie, die im Zusammenhang mit einer dysregulierten Immunantwort häufig zu Endorganschäden führen [16]. Diese Krankheitsentitäten unterscheiden sich zwar untereinander v. a. durch die primär betroffenen Organe (z. B. Haut, Gelenke, Darm), weisen aber immunologische, ätiologische und klinische Gemeinsamkeiten auf und betreffen häufig mehrere Organsysteme [5, 26, 27]. Epidemiologisch spiegeln sich diese gemeinsamen pathophysiologischen Mechanismen in einem erhöhten Risiko für die Entwicklung weiterer IMID wider [5, 7, 8, 16, 18, 23]. In einer retrospektiven Kohortenstudie auf der Basis von US-amerikanischen Krankenkassendaten zeigte sich bei Vorliegen einer IMID ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer weiteren IMID mit Hazard Ratios von 7,5 bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), 16,8 bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) und 62,2 bei Patienten mit Psoriasisarthritis (PsA) [5].

Aufgrund der Überschneidungen hinsichtlich immunologischer und klinischer Charakteristika wird für Patienten mit mehreren IMID zur optimalen Einordnung und Therapiesteuerung ein interdisziplinäres Management empfohlen, u. a. durch eine enge Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen wie Dermatologen, Rheumatologen und Gastroenterologen (im Allgemeinen und neuerdings speziell in Entzündungsboards) in Kooperation mit Allgemeinmedizinern [14, 17]. Disziplinübergreifende Ansätze zur Untersuchung der Epidemiologie und Versorgungssituation sind für dieses breite Krankheitsspektrum in der Literatur bisher jedoch kaum vorhanden und eine ganzheitliche Betrachtung der IMID ist selten. So konzentrieren sich bisherige Studien in Deutschland primär auf einzelne Krankheitsentitäten hinsichtlich Epidemiologie [2, 20,21,22, 28, 30] und Versorgungssituation [11, 12, 29].

Ziel der Arbeit

Ziel der vorliegenden Studie war es daher, die epidemiologischen Aspekte häufiger IMID der Entzündungsmedizin und deren disziplinübergreifende Versorgungssituation in Deutschland anhand von Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu untersuchen und Rückschlüsse auf den interdisziplinären Versorgungsbedarf ziehen zu können.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Datenbasis und Studiendesign

Die Studie basiert auf der Datenbank des Instituts für angewandte Gesundheitsforschung Berlin (InGef), welche aggregierte, anonymisierte GKV-Längsschnittdaten von rund 60 Krankenkassen und rund 8 Mio. Versicherten in Deutschland umfasst, u. a. auch zu stationären Diagnose- und Leistungsdaten sowie Diagnosen (deutsche Version der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in der 10. Revision [ICD-10-GM]). Diese retrospektive Querschnittanalyse erfolgte dabei auf Basis einer für die deutsche Bevölkerung hinsichtlich Alter und Geschlecht repräsentativen Stichprobe von rund 4 Mio. Versicherten [6] im Kalenderjahr 2018 als Beobachtungszeitraum.

Identifikation der Studienpopulation und Bestimmung der Prävalenz

Die Studienpopulation umfasste prävalente Patienten mit mindestens 2 gesicherten ambulanten IMID-Diagnosen in 2 Quartalen (M2Q) oder mit mindestens einer stationären Haupt- oder Nebendiagnose im Studienjahr, wobei Versicherte im Beobachtungszeitraum durchgehend oder bis zum Tod versichert sein mussten. Die 7 von Experten verschiedener Entzündungszentren (Dermatologie, Gastroenterologie und Rheumatologie) in Zusammenarbeit mit InGef und IGES ausgewählten IMID-Entitäten waren: Psoriasis (L40.- ohne L40.5), PsA (L40.5 oder M07.-), RA (M05.- oder M06.-), Spondylitis ankylosans (M45.- und M46.-), Colitis ulcerosa (K51.-), Morbus Crohn (K50.-) und Kollagenosen. Die Gruppe der Kollagenosen umfasste systemischen Lupus erythematodes (M32.-), systemische Sklerose (M34.-), Dermatomyositis/Polymyositis (M33.-) und andere Erkrankungen mit systemischer Beteiligung des Bindegewebes (z. B. M35.- ohne M35.3) (Tabelle S1). Die definierten Krankheitsentitäten wurden sowohl einzeln als auch als aggregierte Gesamtgruppe analysiert, und es wurden 12-Monats-Prävalenzen ermittelt.

Für jede prävalente Patientenpopulation (d. h. jede IMID) wurde eine Referenzpopulation durch ein direktes 1:1-Matching ausgewählt: Jede Referenzpopulation umfasste 1 übereinstimmendes Individuum für jede Person der jeweiligen prävalenten Patientenpopulation. Diese „Zwillinge“ wurden nach dem Zufallsprinzip aus der Datenbank ausgewählt, mit Ausnahme der folgenden Bedingungen: gleiches Alter, gleiches Geschlecht, keine Diagnose für die jeweilige IMID. Darüber hinaus mussten die Personen aus den Referenzpopulationen im Kalenderjahr 2018 durchgehend versichert sein.

IMID-Kombinationen

Innerhalb der Studienpopulation wurden Kombinationen (Dokumentation mehrerer IMID pro Kalenderjahr [M2Q]) ermittelt, wobei dies als Dokumentation einer weiteren IMID-Diagnose innerhalb des Studienzeitraums nach oben genannten Kriterien definiert wurde.

Hospitalisierungen und (Fach‑)Arztkontakte

Für die Studienpopulation sowie für die einzelnen IMID-Entitäten wurden die absolute und relative Häufigkeit der Inanspruchnahme von stationären und ambulanten Versorgungsleistungen erfasst. Ebenso wurde die mittlere Anzahl der Arztkontakte pro Patient ermittelt und jeweils mit einer korrespondierenden alters- und geschlechtsadjustierten Referenzpopulation ohne IMID verglichen. Berücksichtigt wurden vollstationäre, teilstationäre und vorstationäre Aufenthalte sowie ambulante Arztkontakte in den Fachdisziplinen Allgemeinmedizin, Dermatologie, Rheumatologie und Gastroenterologie.

Ergebnisse

Im Kalenderjahr 2018 betrug die Anzahl der gesetzlich Versicherten in der zugrunde liegenden Stichprobe 4.197.268. Davon waren 3.988.695 durchgehend oder bis zum Tod versichert; 188.440 Patienten wiesen mindestens eine der betrachteten IMID-Diagnosen auf (4,7 %) (Abb. 1). Patienten mit IMID waren zu 57,6 % weiblich und im Durchschnitt 60,8 (± 17,0) Jahre alt. Die Mehrheit der Patienten war zwischen 51 und 80 Jahren alt mit einem Altersgipfel zwischen 61 und 70 Jahren (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Schritte der Patientenselektion

Abb. 2
figure 2

Alters- und Geschlechtsverteilung von prävalenten Patienten mit chronisch entzündlichen Erkrankungen (IMID)

12-Monats-Prävalenz für IMID im Jahr 2018

Die 12-Monats-Prävalenz für alle 7 IMID lag bei 4724 Patientinnen und Patienten pro 100.000 Versicherte (95 %-Konfidenzintervall (CI): 4704–4745) und war bei Frauen höher als bei Männern (5369 vs. 4063 pro 100.000). Innerhalb der einzelnen Krankheitsentitäten war die Prävalenz für Psoriasis mit 1848 pro 100.000 (95 %-CI: 1835–1862) am höchsten, gefolgt von rheumatoider Arthritis (1376 pro 100.000, 95 %-CI: 1365–1387), Kollagenosen (785 pro 100.000, 95 %-CI: 777–794), Colitis ulcerosa (421 pro 100.000, 95 %-CI: 415–427), Morbus Crohn (362 pro 100.000, 95 %-CI: 357–368), Spondylitis ankylosans (296 pro 100.000, 95 %-CI: 291–301) und PsA (288 pro 100.000, 95 %-CI: 283–293) (Abb. 3). Die Prävalenzen der einzelnen IMID, stratifiziert nach Altersgruppen und Geschlecht, sind zudem in den Tabellen S2–S9 dargestellt.

Abb. 3
figure 3

12-Monats-Prävalenz der einzelnen IMID, stratifiziert nach Geschlecht

Auftreten von IMID-Kombinationen im Jahr 2018

Für die betrachteten Entitäten betrug die Häufigkeit mindestens einer weiteren IMID im Untersuchungszeitraum in aufsteigender Reihenfolge bei Psoriasis 16,9 %, RA 20,1 %, Kollagenosen 17,3 %, Colitis ulcerosa 19,3 %, Morbus Crohn 21,6 %, Spondylitis ankylosans 27,5 % und PsA 82,9 % (wobei hiervon 68,2 % Psoriasis hatten, was in der Regel an die Diagnose gebunden ist) der Patienten (Tab. 1). Die häufigsten zusätzlichen IMID waren bei Patienten mit Psoriasis eine PsA (10,6 %), bei RA eine Psoriasis (7,9 %), bei Kollagenosen eine RA (11,5 %), bei Colitis ulcerosa ein Morbus Crohn (10,1 %), bei Morbus Crohn eine Colitis ulcerosa (11,7 %), bei Spondylitis ankylosans eine RA (15,5 %) und bei PsA eine Psoriasis (68,2 %). Patienten aus dem Spondyloarthritis-Komplex, mit Spondylitis ankylosans und PsA, wiesen CED am häufigsten als zusätzliche IMID-Diagnosen auf: Colitis ulcerosa bei 2,2 und 2,6 %; Morbus Crohn bei 2,9 und 3,1 %.

Tab. 1 Kombiniertes Auftreten von IMID

Häufigkeit von Hospitalisierungen

Mit einem Anteil von 28,6 % mussten IMID-Patienten rund 1,5-mal häufiger mindestens 1‑mal stationär behandelt werden als 19,5 % der Vergleichspopulation (Tab. 2). Je nach Krankheitsentität variierte der Anteil mit Hospitalisierung, wobei dieser bei Patienten mit RA (34,7 %) am höchsten war, gefolgt von Morbus Crohn (32,3 %), Kollagenosen (31,0 %), PsA (29,0 %), Colitis ulcerosa (28,5 %) und Spondylitis ankylosans (28,0 %) und Psoriasis (24,4 %).

Tab. 2 Hospitalisierungen prävalenter Patienten mit IMID pro Krankheitsentität und jeweiliger Referenzpopulation

Die durchschnittliche Anzahl der Hospitalisierungen pro Patient mit IMID betrug 1,9 (± 2,5) und unterschied sich kaum von der Referenzpopulation mit 2,1 (± 4,7). Innerhalb der einzelnen Krankheitsentitäten lag auch die durchschnittliche Anzahl der Hospitalisierungen am höchsten bei RA-Patienten mit 2,0 (± 3,4) bis hin zur niedrigsten Anzahl bei Spondylitis ankylosans, PsA und Psoriasis mit 1,8 (± 1,5) (Tab. 2).

Häufigkeit von Facharztkontakten

Unabhängig von der Krankheitsentität und der Facharztdisziplin nahm ein höherer Anteil der Patienten mit IMID ambulante Facharztbehandlungen in Anspruch als in der jeweiligen Referenzpopulation (Tab. 3). Bei 98,0 % der Patienten mit IMID und 90,0 % der Patienten in der Referenzpopulation wurde im Beobachtungszeitraum mindestens ein Besuch beim Allgemeinmediziner dokumentiert; 54,5 % der Patienten mit IMID waren mindestens 1‑mal in ambulanter fachärztlicher Behandlung bei einem Dermatologen, Rheumatologen oder Gastroenterologen im Vergleich zu 25,4 % in der Referenzpopulation.

Tab. 3 Inanspruchnahme von ambulanten Facharztdisziplinen durch prävalente Patienten mit IMID und der jeweiligen Referenzpopulation

Patienten mit PsA, Spondylitis ankylosans und RA waren ≥ 1-mal im Referenzjahr in ambulanter Behandlung bei Rheumatologen (42,9 %, 30,1 % bzw. 39,0 %), Dermatologen (44,2 %, 29,4 % bzw. 28,4 %) und Gastroenterologen (9,7 %, 9,3 % bzw. 8,2 %). Ein ähnlicher Anteil an Gesamtfacharztkontakten war bei Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zu verzeichnen: Gastroenterologe (34,8 und 32,7 %), Dermatologen (29,9 und 29,0 %) und Rheumatologen (5,4 und 5,0 %). Bei Patienten mit Kollagenosen und Psoriasis war jeweils die Dermatologie die von den Patienten am häufigsten aufgesuchte ambulante Fachdisziplin (35,1 und 51,1 %), gefolgt von Rheumatologie (16,6 und 9,1 %) und Gastroenterologie (9,6 und 7,2 %).

Die durchschnittliche Anzahl der beobachteten ambulanten Arztkontakte war bei Patienten mit IMID in allen Krankheitsentitäten höher als in der jeweiligen Vergleichspopulation (Tab. 3).

Diskussion

Bisherige Untersuchungen zur Epidemiologie und Versorgungssituation konzentrierten sich zumeist auf einzelne Entzündungserkrankungen [2, 20,21,22, 28, 30]. Aufgrund gemeinsamer pathophysiologischer Mechanismen können jedoch mehrere Organe von Entzündungsprozessen betroffen sein [5]. Eine multiple Organbeteiligung, z. B. bei Überlappung von Erkrankungen oder gleichzeitigem Vorliegen mehrerer IMID, kann das diagnostische und therapeutische Versorgungsmanagement der betroffenen Patienten komplexer gestalten. In dieser Studie wurden daher Prävalenzen, demografische Aspekte, Kombinationen von IMID und die Inanspruchnahme ambulanter/stationärer Versorgungsleistungen analysiert, um Hinweise auf den Versorgungsbedarf zu erhalten.

Die in dieser Studie ermittelten Prävalenzen sind im Wesentlichen mit den in der Literatur berichteten vergleichbar. Die in dieser Studie ermittelte Prävalenz für die PsA von 0,29 % liegt im unteren Bereich der für Deutschland publizierten Prävalenzen von 0,2–1,4 % [10], jedoch vollständig im Bereich der in Metaanalysen weltweit berichteten Prävalenzen von 0,1–1 % [24]. Die von uns berechnete Prävalenz für die RA von 1,85 % liegt zwar leicht über den in Deutschland berichteten Prävalenzen von 0,6–1,4 %, allerdings wurde eine vergleichbare Prävalenz von 1,85 % in der NAKO-Gesundheitsstudie berichtet [2]. Unsere ermittelte Prävalenz für Spondylitis ankylosans von 0,3 % liegt dagegen etwas unterhalb der für Deutschland geschätzten Prävalenz von ~0,5 % [10], jedoch innerhalb der weltweit publizierten Prävalenzen von 0,1–1,4 % [15]. Die von uns bestimmten Prävalenzen von 0,36 % für Morbus Crohn und 0,42 % für Colitis ulcerosa stimmen mit den bisher publizierten, methodisch ähnlich ermittelten, Prävalenzen von jeweils 0,32 % bzw. 0,41 % überein [21]. Die Prävalenz für Psoriasis liegt mit 1,9 % etwas unter den Prävalenzen deutscher Daten von 2,0–2,8 % [20].

Unterschiede der hier ermittelten Prävalenzen im Vergleich zu publizierten Daten können v. a. durch unterschiedliche Methodik (z. B. Punkt-, 1‑Jahres- oder Lebenszeitprävalenz; ggf. zusätzliche Kriterien wie spezifische Medikation [3]) und verschiedene Datengrundlagen (Beobachtungsstudien, Register, regionale Erhebungen vs. Krankenkassendaten) erklärt werden.

Insgesamt müssen für den Teil der Prävalenzen wie auch für die folgenden Abschnitte die Limitationen von Abrechnungsdaten klar formuliert werden, insbesondere dass es sich nicht um klinisch validierte Diagnosen handelt. Abrechnungsdiagnosen können fehlerhaft kodiert, bei Diagnoseänderung nicht korrigiert oder unkritisch übernommen worden sein. Sie sind aber auch für epidemiologische Fragestellungen überaus wertvoll, da sie den Vorteil haben, bevölkerungsbezogene Analysen zu ermöglichen und nahezu alle Personen, weitgehend unabhängig von Alter, Geschlecht, sozioökonomischem Status und fachärztlichen Kontakten, einbeziehen [2].

Im Vergleich zur Referenzpopulation wiesen Patienten mit IMID einen höheren Anteil an Hospitalisierungen sowie Inanspruchnahmen von allgemeinmedizinischen Vorstellungen auf, was auf eine höhere Morbidität in der Studienpopulation hindeutet [9]. Dies steht im Einklang mit epidemiologischen Studien, die bei Patienten mit IMID im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine erhöhte Komorbidität wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Osteoporose oder Depressionen gezeigt haben [25, 31]. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Anzahl der allgemeinmedizinischen Vorstellungen in unserer Studie etwas überschätzt wird, da ein gewisser Anteil der Patienten (insbesondere bei Beginn oder Umstellung einer Basistherapie) Laborkontrollen beim Allgemeinmediziner durchführen lässt; zudem führt das Fehlen einer IMID-Diagnose in der Referenzpopulation per se zu weniger Arztkontakten, insbesondere mit Fachärzten. Verglichen mit den entsprechenden Referenzpopulationen wiesen Patienten mit IMID zudem mehr Kontakte zu den in die Analyse einbezogenen ambulanten Fachdisziplinen (Dermatologie, Rheumatologie und Gastroenterologie) auf. Dies war aufgrund der notwendigen regelmäßigen Vorstellung beim Facharzt der primären IMID erwartbar. Interessant war jedoch, dass bei den einzelnen Entitäten häufig andere bzw. mehrere Fachdisziplinen in Anspruch genommen wurden. Bei CED erfolgten zu einem beträchtlichen Anteil auch Vorstellungen bei weiteren Disziplinen, z. B. bei 29 % in der Dermatologie und bei ~5 % in der Rheumatologie. Die Rate an Dermatologievorstellungen bei Patienten mit CED ist beispielsweise durchaus plausibel, da nicht nur extraintestinale Manifestationen (Pyoderma gangraenosum, Erythema nodosum), weitere IMIDs (Psoriasis, Psoriasisarthritis, Acne inversa, Cheilitis granulomatosa), sondern durch die notwendigen höheren Medikamentendosen mehr Hautinfektionen (H. zoster, Virusexantheme, Condylomata accuminata, Impetigo) oder Medikamentennebenwirkungen (Steroidakne, Neurodermitis, Psoriasis) auftreten können [19]. Bei den entzündlich rheumatischen Erkrankungen und Psoriasis ergab sich ein ähnliches Bild mit vermehrten Arztbesuchen der jeweils anderen Fachrichtungen. Selbstverständlich kann die Inanspruchnahme der jeweils anderen Fachdisziplinen potenziell auch andere Ursachen haben, denen nicht notwendigerweise eine entzündliche Organmanifestation zugrunde liegen muss. Des Weiteren kann nicht ausgeschlossen werden, dass Codierungen falsch gesetzt oder Diagnosen verkannt werden. Es bleibt aber die Tatsache bestehen, dass Patienten physisch bei einem Facharzt der jeweils anderen Fachdisziplin vorstellig wurden und somit mehr Versorgungsstruktur in Anspruch genommen haben als die Vergleichspopulation. Gerade in dieser Konstellation scheint eine enge Vernetzung der Fachrichtungen aus Patienten- und Arztsicht sowie aus Gründen der Kosteneffektivität (z. B. Vermeidung von Mehrfachuntersuchungen) erstrebenswert. Somit deuten die Ergebnisse zumindest teilweise auf einen multidisziplinären Versorgungsbedarf hin.

Bei der Gesamtbetrachtung der Mehrfachdiagnosen fiel der erwartungsgemäß hohe Anteil der Patienten mit PsA auf, die an einer weiteren IMID litten, was aber im Wesentlichen auf den hohen Anteil an Psoriasis zurückzuführen war, die in der Regel mit der PsA-Diagnose als Haut- und/oder Nagelmanifestation vorhanden ist. Da bei 85–90 % der Patienten mit PsA eine Psoriasis vorausgeht bzw. gleichzeitig auftritt [18], war eine hohe Kombinationsrate dieser beiden Entitäten zu erwarten. In selteneren Fällen kann die Psoriasis auch erst nach dem Beginn der Arthritis auftreten oder die Psoriasis sehr mild ausgeprägt sein bzw. nur die Nägel betreffen, was die Abgrenzung z. B. zur seronegativen RA erschweren kann [24]. Bei über einem Viertel der Patienten mit PsA wurde zusätzlich eine RA-Diagnose dokumentiert. Da die Psoriasis jedoch eher selten mit einer rheumatoider Arthritis assoziiert ist [24], handelt es sich hierbei am ehesten um Fehldiagnosen, verkannte PsA-Diagnosen oder mangelnde Kodierqualität. Auch bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa wurde eine beachtliche Überschneidung beobachtet. Hier ist das gemeinsame Auftreten der Diagnosen am ehesten auf die diagnostischen Unsicherheiten in der Einordnung und Unterscheidung des Krankheitsbildes bei häufig ähnlichen Symptomen zurückzuführen.

Diese Studie weist Limitationen, aber auch Stärken auf. Aufgrund des Querschnittdesigns waren Analysen zu Krankheitsverläufen und kausalen Zusammenhängen, wie z. B. der Einfluss des Schweregrades einer primären IMID auf die Entwicklungsrate weiterer IMID, nicht möglich. Die zugrunde liegende Datenbasis enthielt keine Informationen zum Schweregrad der Erkrankung oder der Frage, ob Facharztkontakte tatsächlich zur Behandlung der betrachteten IMID erfolgten. Eine Stärke der vorliegenden Arbeit ist die repräsentative Datenbasis. Real-World-Daten haben allgemein den Vorteil, das Versorgungsgeschehen authentisch abbilden und in der Regel nicht durch systematische Designschwachpunkte verzerrt sind, die bei randomisiert kontrollierten Studien (RCT) durch restriktive Ein- und Ausschlusskriterien vorkommen können [1, 4, 13]. Die InGef-Datenbank enthält Abrechnungsdaten verschiedener gesetzlicher Krankenkassen, hauptsächlich Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen. Es ist bekannt, dass sowohl die soziodemografischen Informationen als auch die Informationen zur Morbidität zwischen den verschiedenen Arten von GKV-Unternehmen variieren. Wenn diese Unterschiede zwischen den Krankenkassen mit den in dieser Studie untersuchten Indikatoren korrelieren und diese Faktoren in der Analysestichprobe systematisch verzerrt würden (z. B. Überrepräsentation von Personen mit höherem sozioökonomischem Status), könnte dies zu verzerrten Schätzungen führen. Rezente Publikationen weisen jedoch auf eine hohe externe Validität der InGef-Datenbank in Bezug auf Morbidität, Mortalität und Medikamenteneinnahme hin [6].

Die vorliegende Studie bietet trotz der genannten Limitationen bezüglich der Methodik und daraus resultierender Notwendigkeit der vorsichtigen Interpretation eine disziplinübergreifende Betrachtung von Epidemiologie und Versorgungssituation von IMID in Deutschland unter Verwendung von aktuellen Real-World-Daten.

Die Studienergebnisse deuten auf eine hohe Morbidität und einen erhöhten multidisziplinären Versorgungsbedarf der betroffenen Patienten hin. Um irreversible Organschäden bei IMID zu vermeiden, sind eine frühzeitige Diagnosestellung sowie eine optimale Therapiesteuerung mit bedarfsgerechter interdisziplinärer Koordination von zentraler Bedeutung. Dies könnte zukünftig verstärkt in interdisziplinären Entzündungsboards bzw. Entzündungszentren als ergänzende Versorgungsstruktur erfolgen, deren Sinnhaftigkeit teilweise auch durch unsere Daten gestützt wird. Um weitere Erkenntnisse über den Krankheits- und Therapieverlauf bei Patienten mit IMID für das deutsche Versorgungssetting zu gewinnen, sind jedoch weitere Studien auf der Basis von Längsschnittanalysen erforderlich.