Die Entwöhnung von der Beatmung beschreibt die graduelle Übertragung der Atemarbeit vom Respirator auf den Patienten. Von erfolgreicher Entwöhnung spricht man, wenn ein Patient über 48 Stunden ohne Atemhilfe und ohne Zeichen der respiratorischen Erschöpfung atmet. Erfolgreiche Entwöhnung ist per se nicht an die Entfernung des künstlichen Atemweges gekoppelt, d. h. auch Patienten mit einer liegenden Trachealkanüle sind als entwöhnt zu betrachten, wenn sie die genannten Kriterien erfüllen.

Die Entwöhnung ist ein kritischer Teil der Beatmungstherapie und nimmt bis zur Hälfte der gesamten Beatmungszeit ein [1]. Eine zeitgerechte Entwöhnung ist für den Patienten entscheidend, da eine Re-Intubation nach verfrühter Extubation mit einem erhöhten Pneumonierisiko und einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit einhergeht. [2, 3, 4]. Auf der anderen Seite erhöht jedoch auch eine unnötig verzögerte Entwöhnung die Morbidität und Mortalität [5, 6, 7].

Entwöhnung von der Beatmung

Allgemeines Vorgehen und Einteilung

Ärzte neigen dazu, die Entwöhnbarkeit von Patienten zu unterschätzen und zu spät zu erkennen [8, 9]. Daher sollte die Entwöhnung schon sehr früh im Verlauf einer Beatmung in Betracht gezogen und dann strukturiert nach einem klaren Schema durchgeführt werden (Abb. 1, [10]). Wenn Ursache und Ausmaß der respiratorischen Insuffizienz gebessert sind, sollte die Entwöhnbarkeit systematisch evaluiert werden. Ob die Durchführung eines Spontanatemversuchs sinnvoll ist, wird anhand bestimmter „Ready-to-wean“-Kriterien beurteilt (Tab. 1). Die einzelnen Tests zur Objektivierung dieser Kriterien sind als Entscheidungshilfen zu verstehen und müssen nicht alle routinemäßig überprüft werden.

Abb. 1
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Schrittweise Entwöhnung von der Beatmung. Die Berücksichtigung der Vortest-Wahrscheinlichkeit („Ready-to-wean“-Kriterien) und die sequenzielle Verwendung eines Screeningtests und eines Bestätigungstests erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer frühen und erfolgreichen Entwöhnung mit niedriger Re-Intubationsrate. RSBI“Rapid shallow breathing index”: Atemfrequenz (Atemzüge / min) / Tidalvolumen (l)

Tab. 1 „Ready-to-wean“-Kriterien. (Mod. nach [10, 19, 20])

Wenn die „Ready-to-wean“-Kriterien erfüllt werden, erfolgt ein kurzer Spontanatemversuch als Screeningtest auf Entwöhnbarkeit: Der Spontanatemversuch wird klassischerweise unter O2-Insufflation über ein T-Stück über 2 Minuten durchgeführt. Alternativ wird häufig CPAP [„continuous positive airway pressure“ mit einem positiven endexspiratorischen Druck (PEEP) von 5 mbar)] mit oder ohne automatischer Tubuskompensation oder auch mit einer geringen inspiratorischen Druckunterstützung von 5–8 mbar („pressure support ventilation“) verwendet [11]. Das Verhältnis Atemfrequenz (Atemzüge pro Minute) / Tidalvolumen (l) = „rapid shallow breathing index“ (RSBI) am Ende dieser kurzen Spontanatemphase ist ein guter Prädiktor der Entwöhnbarkeit und entscheidet über das weitere Vorgehen [12].

  • Bei einem RSBI >100 besteht eine äußerst niedrige Wahrscheinlichkeit von Entwöhnbarkeit und der Patient wird weiter assistiert beatmet.

  • Bei einem RSBI <100 besteht hingegen eine höhere Wahrscheinlichkeit von Entwöhnbarkeit, sodass der Spontanatemversuch im Sinne eines Bestätigungstests auf 30 Minuten verlängert wird.

Während dieses bestätigenden Spontanatemversuchs wird auf objektive und subjektive Zeichen der respiratorischen und hämodynamischen Instabilität geachtet (Tab. 2).

Wenn der Spontanatemversuch über 30 Minuten positiv verläuft, kann der Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich extubiert werden.

Tab. 2 Kriterien eines fehlgeschlagenen (negativen) Spontanatemversuchs. (Mod. nach [10, 20])

Wenn hingegen Zeichen der respiratorischen, hämodynamischen oder zerebralen Instabilität auftreten, so wird der Spontanatemversuch mit einem negativen Ergebnis abgebrochen, und der Patient wird weiter assistiert beatmet. Bis zum nächsten Spontanatemversuch (üblicherweise am Folgetag) sollte die Atempumpe ausreichend entlastet werden, jedoch nicht vollständig ruhen [13]. Sedierung und kontrollierte Beatmung sind in diesem Zusammenhang vermutlich kontraproduktiv. Wenn bereits einer oder mehrere vorangegangene Spontanatemversuche negativ ausgefallen sind, so muss ein weiterer Spontanatemversuch über 2 Stunden (und nicht nur 30 Minuten) positiv verlaufen, bevor der Patient extubiert werden kann.

Anhand der Anzahl der für eine erfolgreiche Entwöhnung erforderlichen Spontanatemversuche und anhand der Anzahl der dafür benötigten Tage wird die Entwöhnung in einfach, erschwert und prolongiert eingeteilt (Abb. 2, [10]). Die Mehrzahl der Patienten hat eine einfache oder erschwerte Entwöhnung und eine niedrige Mortalität [14].

Abb. 2
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Kategorisierung der Entwöhnung vom Respirator. SBT „spontaneous breathing trial“, Spontanatemversuch. Einfache Entwöhnung: Erfolgreiche Extubation nach dem 1. SBT. Erschwerte Entwöhnung: 1. SBT verläuft negativ, aber erfolgreiche Extubation innerhalb von 7 Tagen beim 2. oder 3. SBT. Prolongierte Entwöhnung: Mehr als 3 SBTs verlaufen negativ oder die Entwöhnung benötigt insgesamt mehr als 7 Tage

Patienten mit chronischen Lungenkrankheiten, die während des Spontanatemversuchs eine Hyperkapnie mit paCO2 >45 mmHg entwickeln, profitieren nachweislich von einer prophylaktischen nichtinvasiven Beatmung unmittelbar nach der Extubation [15, 16]. Ähnliches gilt für Patienten mit Herzinsuffizienz [17]. Voraussetzungen für eine erfolgreiche nichtinvasive Beatmung sind ein hämodynamisch stabiler und kooperativer Patient sowie ausreichende Expertise des Personals mit der nichtinvasiven Beatmung. Wenn Patienten nach der Extubation weiterhin eine nichtinvasive Atemhilfe benötigen spricht man von „Weaning-in-progress“ [10]. Wenn die Atmung innerhalb von 48 Stunden nach Extubation stabil geblieben ist, spricht man von einer erfolgreichen Extubation und einer erfolgreichen Entwöhnung [9, 18].

Nach der Extubation muss der Patient weiter hinsichtlich Zeichen der respiratorischen Erschöpfung monitiert werden (Tab. 2). Eine manifeste Erschöpfung der Atempumpe ist in jedem Fall zu vermeiden, da deren Erholung Stunden bis Tage benötigt. Vielmehr sollte bei den ersten Anzeichen der respiratorischen Erschöpfung eine neuerliche Atemhilfe etabliert werden. Dies impliziert jedoch nicht automatisch eine Re-Intubation, sondern sollte primär mit nichtinvasiver Beatmung gewährleistet werden.

Prolongierte Entwöhnung

Häufigkeit und Prognose

Bei etwa 15% aller entwöhnungsfähigen Patienten, kommt es zu einer prolongierten Respiratorentwöhnung [10, 14]. Diese Patienten haben eine gesteigerte kurz- und mittelfristige Mortalität [14] und benötigen bis zu der Hälfte der finanziellen Ressourcen einer Intensivstation [21]. Nach einem halben Jahr sind etwa zwei Drittel dieser Patienten erfolgreich entwöhnt und nach einem Jahr sind zwei Drittel noch am Leben [22]. Patienten mit einer zugrundeliegenden chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit (COPD) haben eine schlechtere Prognose als Patienten, die postoperativ oder nach einem akuten Lungenversagen (ARDS) prolongiert entwöhnt wurden [23, 24]. Bei drei Viertel der im Rahmen von prolongierter Beatmung verstorbenen Patienten wurde eine Therapiebegrenzung oder ein Therapieabbruch durchgeführt [22].

Ursachen

Bereits bei jenen Patienten, die eine erschwerte Entwöhnbarkeit zeigen, spätestens aber bei Patienten mit prolongierter Entwöhnung, ist eine systematische Suche nach der oder den Ursachen erforderlich. Es empfiehlt sich eine systematische Beurteilung der einzelnen physiologischen Systeme unter Berücksichtigung der Vorerkrankungen, der aktuellen klinischen Befunde und zusätzlicher bildgebender und funktioneller Diagnostik (Tab. 3).

Tab. 3 Ursachen, Mechanismen, Diagnose und Management der prolongierten Respiratorentwöhnung

Respiratorische Limitation

Als Folge der pathologischen Atemmechanik (erhöhter Flusswiderstand und/oder erhöhter elastischer Widerstand der Lunge bzw. des Thorax) bei verschiedenen akuten und chronischen Lungenkrankheiten ist die durch die Atempumpe (reguläre und akzessorische Atemmuskulatur) aufzubringende Last deutlich erhöht. Gleichzeitig ist oftmals die Kapazität der Atempumpe durch verschiedene Formen von Myopathie eingeschränkt. Es resultiert eine insuffiziente Atempumpleistung, was sich klinisch mit Tachypnoe, Dyspnoe, Einsatz der Atemhilfsmuskeln und mit einer Hechelatmung („rapid shallow breathing“) bemerkbar macht.

Die maximale Kraft der Atempumpe kann brauchbar abgeschätzt werden, indem der Druck am Atemweg während forcierter Inspiration gegen den verschlossenen Atemweg (Müller-Manöver) gemessen wird. Für eine detaillierte Vermessung der Belastung der Atempumpe ist ein Ösophagus- und/oder Magenballonkatheter erforderlich.

Die Kräftigung der Atemmuskulatur beschleunigt die Entwöhnung

Die therapeutische Strategie bei insuffizienter Atempumpe umfasst einerseits die Reduktion der atemmechanischen Last (Bronchospasmolyse, Sekretabsaugung, Pleuraergusspunktion u. a.) und – sofern die Kraft der Atempumpe reduziert ist – ein Atemmuskeltraining [25, 26]. Eine Steigerung der Kraft der Atemmuskulatur unter der Rehabilitation geht mit einer erfolgreichen Entwöhnung einher [27]. Die Atempumpe kann mittels intermittierender kurzer Spontanatemphasen und/oder mit Atmung gegen einen dosierten Widerstand trainiert werden [26]. Das optimale Trainingsschema für diese Patienten ist bislang nicht bekannt. Zwischen den Trainingsphasen ist in jedem Fall eine ausreichende Entlastung der Atempumpe mittels assistierter Beatmung erforderlich.

Sekretretention bei Hustenschwäche ist ein weiterer häufiger Grund für verzögerte Respiratorentwöhnung. Ein Hustenspitzenstoß <35 l/min ist mit prolongierter Entwöhnung assoziiert [28]. Entsprechende atemphysiotherapeutische Techniken zur Sekretmobilisierung und Sekretelimination sollen in solchen Fällen früh eingesetzt werden.

Beatmungsform und -muster

Während prolongierter Respiratorentwöhnung wird zwischen den Spontanatemphasen in der Mehrzahl der Fälle mit „pressure support ventilation“ (oder „assisted spontaneous breathing“, ASB) beatmet. Hier ist auf eine adäquate inspiratorische Druckunterstützung und die Vermeidung von Patienten-Respirator-Dyssynchronien (u. a. Triggerversagen, Autotriggering, verfrühtes oder verzögertes Cycling) zu achten. Bei starker Dyssynchronie stehen als alternative Beatmungsformen „proportional assist ventilation“ (besonders bei Cycling-Dyssynchronien) und NAVA („neurally-adjusted ventilatory assist“) zur Verfügung. Bei „pressure support“ hat sich ein Flowtrigger von 2–5 l/min und ein inspiratorischer Flow von etwa 60 l/min bewährt.

Ein zu geringer inspiratorischer Flow erhöht die Atemarbeit des Patienten, ein zu hoher Flow kann zu Tachypnoe mit Überblähung führen. Patienten mit COPD oder Asthma mit Airtrapping und intrinsischem PEEP (PEEPi) sollten mit einem externen PEEP von 80% des PEEPi beatmet werden. Bei spontanatmenden oder assistiert beatmeten Patienten kann der PEEPi nur mittels Ösophagusballonkatheter gemessen werden. Alternativ kann der optimale externe PEEP eruiert werden, indem der externe PEEP schrittweise gesteigert wird, bis die Anzahl der Einatembemühungen mit Triggerversagen minimiert ist.

Kardiale Limitationen

Bei einer Vielzahl von älteren Patienten besteht schon vor der kritischen Krankheit eine koronare Herzkrankheit und/oder andere myokardiale oder valvuläre Probleme. Bei Umstellung auf Spontanatmung muss es obligatorisch zu einem Anstieg des Herzzeitvolumens und somit des myokardialen O2-Verbrauchs kommen, um den gesteigerten metabolischen Bedürfnissen der Atemmuskulatur gerecht zu werden. Gleichzeitig führt jedoch die Absenkung des intrathorakalen Drucks während der Spontanatmung zu einer Erhöhung der linksventrikulären Vor- und Nachlast, sowie zur Erhöhung der rechtsventrikulären Vorlast. Wenngleich die rechtsventrikuläre Nachlast bei Spontanatmung normalerweise sinkt, kann sie bei COPD und Asthma wegen der dynamischen Überblähung zunehmen. Patienten mit COPD zeigen während den Spontanatemversuchen in der Entwöhnung häufig neben dem pulmonalen Grundproblem eine zusätzliche kardiale Dysfunktion, welche auf die infolge der stark negativen Intrathorakaldrücke besonders starke Erhöhung der myokardialen Arbeitslast zurückzuführen ist [29].

Als Folge der insgesamt gesteigerten kardialen Last kann während der Entwöhnung eine latente Herzinsuffizienz manifest werden.

Dies kann sich als Lungenödem, aber auch als Blutdruckabfall und/oder Anstieg des Laktats äußern. Eine Abnahme der gemischt-venösen oder zentral-venösen Sättigung während eines Spontanatemversuchs, sowie der Anstieg des BNP („brain natriuretic peptide“) sind Hinweise für ein drohendes kardiales Versagen [30, 31, 32]. Steigende linksventrikuläre Füllungsdrücke als Ausdruck einer sich entwickelnden Herzinsuffizienz während eines Spontanatemversuchs können echokardiographisch erfasst werden [33]. Ein Anstieg des zentralen Venendrucks während eines Spontanatemversuchs ist möglicherweise ebenfalls Ausdruck einer sich entwickelnden Herzinsuffizienz. Wenn ein Spontanatemversuch wegen eines kardiogenen Lungenödems scheitert, lässt sich anhand des Anstiegs des Gesamtproteins im Plasma eine Hämokonzentration nachweisen. Ein Anstieg des Gesamtproteins im Plasma >9% am Ende des gescheiterten Spontanatemversuches im Vergleich zu unmittelbar vor dem Spontanatemversuch ist hochspezifisch für ein weaninginduziertes kardiogenes Lungenödem, während ein Anstieg <3% das Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließt [34].

Die therapeutische Strategie bei weaninginduzierter Herzinsuffizienz umfasst positiv inotrope Medikation, sowie eine Reduktion der Vorlast mittels Entwässerung. Es ist auch empfehlenswert, diese Patienten unmittelbar nach einer gelungenen Extubation nichtinvasiv mittels CPAP weiter zu unterstützen und so die myokardiale Arbeitslast zu reduzieren. Durch eine Dauerinfusion von Nitroglycerin (40–600 μg/min) kann neben der Vorlastsenkung auch die bei Spontanatemversuchen regelhaft auftretende systemische arterielle Hypertonie verhindert und somit die Nachlast vermindert werden [35].

Im Rahmen des unter Spontanatmung gesteigerten myokardialen O2-Verbrauches kann eine prä-existente koronare Herzkrankheit mit einem akuten Koronarsyndrom wirksam werden [36]. Gelegentlich können diese Patienten erst nach einer koronaren Revaskularisation erfolgreich entwöhnt werden.

Neuromuskuläre Limitationen

Eine erfolgreiche Entwöhnung von der Beatmung erfordert einen intakten Atemantrieb mit gesicherter neuraler Übertragung in die Atemmuskulatur, die ausreichende Kraft und Ausdauer besitzen muss. Störungen auf jeder Ebene dieser Kette können zu prolongierter Entwöhnung führen.

Zentrale Atemdepression

Abgesehen von primären zerebralen Pathologien wie Blutungen und Insulte sind inadäquat dosierte Sedativa eine häufige Ursache von Atemdepression. Auch die metabolische Alkalose mit Alkalämie vermindert den Atemantrieb [37]. Der Atemantrieb kann anhand des P0,1 (Atemwegsokklusionsdruck innerhalb von 100 ms) abgeschätzt werden. Ein P0,1 <1 mbar spricht für einen reduzierten Atemantrieb, ein P0,1 >6 mbar entspricht dagegen einem pathologisch gesteigerten Atemantrieb wie bei drohender Erschöpfung der Atempumpe [38]. Die Therapie einer derartigen Störung sollte möglichst kausal sein. Eine metabolische Alkalose mit Alkalämie sollte kausal und ggf. mit einer einmaligen Gabe von 500 mg Azetazolamid behandelt werden[39]. Ansonsten haben Medikamente, die den Atemantrieb direkt steigern, keine Bedeutung in der Entwöhnung.

Muskuläre Schwäche bei kritischer Krankheit

Während und nach kritischer Krankheit kommt es regelhaft zu ausgeprägter Schwäche der quergestreiften Muskulatur („ICU-aquired weakness“). Neben der Inaktivitätshypotrophie in Folge von Langzeitsedierung und kontrollierter Beatmung spielen spezifische neuromuskuläre Abnormitäten bei kritischer Krankheit (CINMA, „critical-illness neuromuscular abnormalities“) eine Rolle.

CINMA beschreibt eine Gruppe peripherer neuromuskulärer Dysfunktionen, die nach kritischer Krankheit auftreten und üblicherweise sowohl Nerven und Muskeln betreffen. Bei komplexer Ätiopathogenese sind die bekannten Risikofaktoren

  • Sepsis,

  • Mehrorganversagen,

  • Kortikosteroidtherapie und

  • Hyperglykämie [40].

Typischerweise ist die proximale Extremitätenmuskulatur bilateral betroffen, die Sensorik ist oft unbeeinträchtigt. CINMA betrifft oft auch die Atemmuskulatur, was den Zusammenhang zwischen CINMA mit prolongierter Respiratorentwöhnung und Bedarf an Tracheotomie erklärt [41, 42].

Die Diagnose von CINMA ist schwierig: Die Wahrscheinlichkeit kann klinisch anhand von Scores abgeschätzt werden, eine definitive Diagnose erfordert eine neurophysiologische Abklärung und ggf. histologische Sicherung. Die neuromuskulären Funktionen kehren in der Regel nach Wochen bis Monaten wieder zurück, eine wirksame Therapie gibt es bislang nicht.

Die Dekonditionierung (Trainingsmangel) des Intensivpatienten kann mittels physikalischer Trainingstherapie behandelt werden. Dadurch verbessern sich Muskelkraft und funktioneller Status und die Beatmungsdauer wird verkürzt [43].

Beatmungsassoziierte Zwerchfelldysfunktion

Experimentelle Daten legen nahe, dass kontrollierte Beatmung die Kraft des Zwerchfells reduziert. Der Mechanismus dürfte am ehesten eine Inaktivitätshypotrophie sein, wenngleich auch oxydativer Stress und andere Mechanismen eine Rolle spielen [44].

Ob eine beatmungsassoziierte Zwerchfelldysfunktion (VIDD, „ventilator-induced diaphragm dysfunction“) eine prolongierte Respiratorentwöhnung verursachen kann, ist unklar [45]. Eine sichere Diagnose der VIDD und auch die Abgrenzung zu CINMA sind in der Praxis oft schwierig. Präventive Ansätze sind assistierte Atemmodi mit permissiver spontaner Zwerchfellaktivität, N.-phrenicus-Stimulation und Antioxidanzien [44].

Neuropsychiatrische Limitationen

Delir

Das Delir ist Ausdruck einer akuten und reversiblen zerebralen Dysfunktion und eine häufige Komplikation bei kritischer Krankheit. Es verlängert die Beatmungsdauer und ist mit erhöhter Sterblichkeit verbunden [46, 47, 48]. Die Diagnose gelingt mithilfe einer standardisierten klinischen Untersuchung [49]. Neben den wichtigen nichtpharmakologischen Maßnahmen werden v. a. Neuroleptika eingesetzt.

Angst, Depression und Schlafstörungen

Dies sind sehr häufige Probleme von Patienten mit prolongierter Entwöhnung. Das Vorhandensein von depressiven Symptomen konnte als unabhängiger Risikofaktor für das Versterben von Patienten mit prolongierter Entwöhnung ermittelt werden [50]. Wenngleich ein direkter Zusammenhang mit dem Erfolg der Entwöhnung bislang nicht gezeigt wurde, können Panikattacken während der Spontanatemphasen im Einzelfall ein systematisches Training der Atempumpe und der peripheren Muskulatur unmöglich machen. Entscheidend ist die Vermeidung dieser Probleme u. a. durch ein oberflächliches Sedierungsregime [51] sowie schonende pharmakologische und nichtpharmakologische anxiolytische und antidepressive Therapien. Mit Biofeedbacktechniken kann Angst erfolgreich behandelt und die Entwöhnungsdauer verkürzt werden [52].

Metabolische und endokrine Störungen

Wenngleich klare Daten fehlen, ist es nahe liegend, dass schwere Elektrolytstörungen die Entwöhnbarkeit behindern können. Dies trifft v. a. auf Hypo- und Hypernatriämie und die damit verbundenen zerebralen Dysfunktionen zu. Störungen des Kalium-, Magnesium- und Phosphathaushalts wirken sich ungünstig auf neuromuskuläre Funktionen aus und sollten im Rahmen von prolongierter Entwöhnung behoben werden. Eine manifeste Hypothyreose oder ein Hypoaldosteronismus können die Entwöhnung ebenfalls verhindern.

Ernährung

Adipositas führt nicht zu einer erschwerten Entwöhnung vom Respirator [53]. Ob Katabolismus und Malnutrition explizite Risikofaktoren für prolongierte Entwöhnung darstellen, ist nicht bekannt. Es erscheint jedoch sinnvoll und wird von Daten aus nichtkontrollierten Studien nahegelegt, während der äußerst energieaufwändigen Phase der Entwöhnung eine entsprechend hohe Kalorienzufuhr sicherzustellen [54].

Anämie

Bei kritisch kranken COPD-Patienten führt die Korrektur einer Anämie zu einer Reduktion der Atemarbeit [55]. Ob eine liberale Transfusionspolitik mit Aufrechterhalten von Hb-Werten >10 g/dl eine prolongierte Entwöhnung entscheidend verkürzen kann, ist nicht klar. Zumindest konnte die Gesamtbeatmungsdauer eines allgemein kritisch kranken Kollektivs durch eine derartige Intervention nicht verkürzt werden [56].

Prävention

Entscheidende Strategien zur Vermeidung prolongierter Entwöhnung sind

  • der zurückhaltende Umgang mit Langzeitsedierung,

  • die Durchführung von Sedierungspausen und

  • rechtzeitige Spontanatemversuche.

Durch derartige Interventionen können die Beatmungsdauer verkürzt und die Mortalität gesenkt werden [20, 57]. Das Zulassen von residualer Spontanatemaktivität kann möglicherweise der Inaktivitätshypotrophie des Zwerchfells während kontrollierter Beatmung vorbeugen.

Risikopatienten für lange Beatmungsdauer und prolongierte Entwöhnung früh zu identifizieren, ist im Einzelfall nicht verlässlich möglich. Generell gilt jedoch, dass eine schwere akute Erkrankung vor dem Hintergrund einer vorbestehenden Lungenkrankheit bei Vorliegen von Muskelschwäche mit hoher Wahrscheinlichkeit zu prolongierter Entwöhnung führen wird [58].

Patientenmanagement

Reversible Ursachen für prolongierte Entwöhnung müssen erfasst und nach Möglichkeit behandelt werden. Entscheidend ist hier, bereits früh anhand einer systematischen Diagnostik spezifische Probleme auszuschließen bzw. nachzuweisen (Tab. 3).

Die frühe und aggressive Rehabilitation auf der Intensivstation ist vermutlich die einzige Intervention, die der Schwäche der Extremitätenmuskulatur entgegenwirken kann. Das Training der Atemmuskulatur kann mittels intermittierender Spontanatemphasen oder mittels Atmung gegen einen dosierten Flusswiderstand durchgeführt werden.

Durch eine Tracheotomie werden Kommunikation, Nahrungsaufnahme und Bronchialtoilette üblicherweise positiv beeinflusst.

In der Praxis werden daher viele Patienten mit prolongierter Beatmung über eine Tracheotomie entwöhnt. Wenngleich eine frühe Tracheotomie zu einer kürzeren Beatmungsdauer führt, wird die Mortalität nicht positiv beeinflusst [59]. Da im Einzelfall die Notwendigkeit und der Vorteil einer Tracheotomie nicht verlässlich prognostiziert werden kann, kann die routinemäßige Frühtracheotomie nicht empfohlen werden.

Spezialisierte Entwöhnungseinrichtungen können im Verbund mit einem Akutspital („step-down unit“) oder als Entwöhnungszentrum („single standing weaning center“) eingerichtet werden. Der Transfer von Patienten mit prolongierter Entwöhnung in eine derartige Einrichtung sollte nach Möglichkeit früh erfolgen, nicht zuletzt um die Intensivbettenkapazitäten zu schonen und die Kosten zu reduzieren [60, 61]. Telemedizinisch gestützte Überwachung kann in Zukunft möglicherweise die Entwöhnung stabiler Patienten in anderen Versorgungseinrichtungen oder sogar zuhause ermöglichen [62].

Vor dem Hintergrund ihrer eingeschränkten Prognose und der teilweise beträchtlich reduzierten Lebensqualität ist es bei Patienten mit prolongierter Entwöhnung entscheidend, von Beginn an neben der angestrebten Entwöhnung auch eine palliative Strategie zu verfolgen. Die aktive Auseinandersetzung mit den ethischen Herausforderungen, die sich im Zuge der Behandlung dieser schwerkranken Patienten ergeben, kann die Qualität von Entscheidungen über Therapiebegrenzung und Therapiebeendigung positiv beeinflussen [63, 64].

Fazit für die Praxis

  • Da potenziell entwöhnbare Patienten oft übersehen werden, sollte die Entwöhnung schon früh in Betracht gezogen und nach einem klaren Schema strukturiert durchgeführt werden.

  • „Ready-to-wean“-Kriterien sind u. a.: Ursache für die Beatmung gebessert, stabile Hämodynamik, stabiler Gasaustausch unter geringem Beatmungsaufwand, kräftiger Hustenstoß.

  • Ein kurzer Spontanatemversuch (SBT) dient als Screeningtest auf Entwöhnbarkeit. Bei einem RSBI <100 nach 2 min wird der SBT verlängert: Ist der Patient nach 30–120 min respiratorisch, hämodynamisch und zerebral stabil, kann und soll extubiert werden.

  • Patienten mit prolongierter Entwöhnung haben eine deutlich erhöhte Mortalität. Wenn ein SBT negativ ausfällt, sollte daher gezielt nach den dafür verantwortlichen Faktoren gesucht werden.

  • Ist die Entwöhnung aus respiratorischen Gründen limitiert, sollte die Atemarbeit minimiert und eine schwache Atemmuskulatur trainiert werden.

  • Die Senkung von Vor- und Nachlast sowie ggf. positiv-inotrope Therapie und ggf. koronare Revaskularisierung sind Optionen, wenn die Entwöhnung aus kardialen Gründen scheitert.

  • Zur Vermeidung von Weaningproblemen sollte sparsam mit Sedierung umgegangen werden. Muskulär schwache Patienten sollten möglichst früh rehabilitiert werden.