Anamnese

Ein 79-jähriger Patient stellte sich konsiliarisch in unserer Notfallsprechstunde vor und berichtete von einer akuten beidseitigen Sehverschlechterung seit ca. einer Woche. Aktuell befand er sich wegen eines metastasierten intestinalen Melanoms in dermatologischer Behandlung und erhielt dort seit 5 Wochen eine systemische kombinierte Immuntherapie mit den Checkpointinhibitoren Ipilimumab und Nivolumab (bisher 2 Zyklen).

Anamnestisch erfolgten beidseits aufgrund einer neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration (nAMD) seit 2020 regelmäßige intravitreale Medikamentenapplikationen (IVOM) mittels Anti-VEGF-Präparaten, zudem bestanden mit einer arteriellen Hypertonie, einem Diabetes mellitus Typ II und einem Myokardinfarkt in der Vorgeschichte mehrere kardiovaskuläre Risikofaktoren. Unter Immuntherapie wurde keine IVOM durchgeführt. Die letzte IVOM fand 10 Tage vor der ersten Immuntherapie und ca. 6 Wochen vor Symptombeginn statt. Vor und während der Immuntherapie wurden von onkologischer Seite regelmäßige laborchemische Kontrollen durchgeführt und verschiedene Infektionskrankheiten wie Hepatitis B und C sowie HIV (Humanes Immundefizienz-Virus) ausgeschlossen.

Klinischer Befund und Diagnostik

Bei Erstvorstellung zeigten sich beidseits eine bestkorrigierte Sehschärfe von 0,1 und ein Augeninnendruck (IOD) von 6 mmHg. Die Vorderabschnitte wiesen an beiden Augen Vorderkammerzellen (0,5+ bis 1+), milde zirkuläre hintere Synechien sowie einzelne Glaskörperzellen auf. Linksseitig bestanden feine Endothelbeschläge. Fundoskopisch und in der optischen Kohärenztomographie (OCT) fanden sich beidseits eine fast zirkuläre Aderhautamotio mit zentralen Aderhautfalten (links mit subretinaler Flüssigkeit) sowie ältere Veränderungen im Rahmen der nAMD (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

a In den Fundusfotografien zeigt sich beidseits eine zirkuläre Aderhautamotio. b In der optischen Kohärenztomographie zeigen sich deutliche Aderhautfalten und subretinale Flüssigkeit

Therapie und Verlauf

In Zusammenschau der klinischen Befunde und der internistischen Gesamtkonstellation gehen wir von einer okulären Inflammation mit sekundärer Hypotonie im Rahmen der systemischen Immuntherapie aus. Der Patient erhielt im stationären Aufenthalt in der Dermatologie bereits vor Vorstellung in unserer Klinik bei Verdacht auf immunvermittelte Nebenwirkungen eine systemische antiinflammatorische Therapie mittels intravenöser Hochdosissteroidtherapie (Prednisolon 500 mg i.v. 1‑mal täglich) über 3 Tage. Nach ophthalmologischer Mitbeurteilung in unserer Klinik initiierten wir eine orale gewichtsadaptierte Steroidtherapie (Prednisolon 90 mg 1‑mal täglich, jede Woche um 10 mg reduziert) mit Magenschutz und Osteoporoseprophylaxe und ergänzten beidseits eine antiinflammatorische Lokaltherapie mit Prednisolon Augentropfen 4‑mal täglich und Augensalbe zur Nacht sowie Atropin Augentropfen 2‑mal täglich.

Wir sahen den Patienten über Monate zu regelmäßigen Verlaufskontrollen, bei denen sich unter oben genannter Therapie bereits nach 3 Wochen eine deutliche Rückbildung der Aderhautamotio und -falten sowie der subretinalen Flüssigkeit, des Vorderkammerreizes und der hinteren Synechien zeigte. Auch normalisierte sich der Augeninnendruck auf 13 mmHg rechts und 16 mmHg links, und der Visus stieg beidseits auf 0,3 an, was in etwa der vorbestehenden Sehschärfe vor der Immuntherapie bei bekannter nAMD entsprach (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Verlauf unter Steroidtherapie am linken Auge. In der Fundusfotografie bei Erstvorstellung (a) zeigt sich die Aderhautamotio (Pfeile). Bereits 3 Wochen nach Therapiebeginn (b) zeigt sich ein Rückgang des Befundes mit einer pigmentierten Linie (Pfeile) an der Lokalisation der ehemaligen Aderhautamotio. In der optischen Kohärenztomographie zeigen sich die bei Erstvorstellung (c) vorliegenden Aderhautfalten und die zentrale subretinale Flüssigkeit 3 Wochen nach Therapiebeginn (d) ebenfalls deutlich rückläufig

In der multidisziplinären Tumorkonferenz wurde entschieden, die Immuntherapie seitens der Onkologie und Dermatologie infolge der immunvermittelten ophthalmologischen Nebenwirkung zu pausieren. Auch im weiteren Verlauf wurde die Immuntherapie bei ausbleibendem Progress der Tumorerkrankung vorerst weiterhin ausgesetzt, jedoch erfolgen engmaschige Staginguntersuchungen mit Reevaluationen in der Tumorkonferenz.

Zum Zeitpunkt der letzten Verlaufskontrolle etwa 4 Monate nach Erstvorstellung in unserer Klinik zeigte sich ein normotoner Befund ohne aktive Inflammation, jedoch mit Zeichen einer aktiven nAMD, welche weiterhin mit Anti-VEGF-Injektionen behandelt wird.

Diskussion

Die Immuntherapie gehört zu den neuen Therapieansätzen in der Onkologie. Medikamente wie Ipilimumab und Nivolumab gehören zur Gruppe der Checkpointinhibitoren. Checkpoints sind Bremsmechanismen des Immunsystems, die normalerweise eine überschießende Immunreaktion verhindern. Tumorzellen nutzen diesen Mechanismus um einer Immunantwort zu entgehen, indem sie diesen natürlichen Bremsmechanismus aktivieren. Durch Checkpointinhibitoren wird der immuneigene Bremsmechanismus aufgehalten, sodass eine Erkennung und Abwehr des Tumors durch das Immunsystem begünstigt wird (Abb. 3; [1]).

Abb. 3
figure 3

Schematische Darstellung der Checkpointinhibition: a Durch eine Expression von PD-L1 (Programmed cell death 1 ligand 1) kann die Tumorzelle an das PD‑1 (Programmed cell death protein 1) der T‑Zelle binden und deren Tumorabwehr verhindern. Durch Nivolumab kann diese PD-1/PD-L1-Interaktion blockiert werden, sodass die Tumorzelle angegriffen werden kann. b Die Interaktion von CTLA‑4 (Cytotoxic T-lymphocyte-associated protein 4) der T‑Zelle und CD80/86 (Cluster of differentiation 80/86), welches von den antigenpräsentierenden Zellen exprimiert wird, ist ein inhibitorisches Signal für die bindende T‑Zelle. Ipilimumab bindet an CTLA‑4, wodurch CD28 (Cluster of differentiation 28) an die T‑Zelle binden kann. Nivolumab und Ipilimumab verstärken so die T‑Zell-Aktivität. (Abbildung nach [2]. Erstellt mit BioRender.com)

Diese Blockade der immuneigenen Bremsmechanismen kann jedoch zu einer Vielzahl autoimmuner Nebenwirkungen wie Exanthemen oder auch einer schweren Organbeteiligungen, wie z. B. einer Hepatitis, führen [3,4,5]. In einer Auswertung des Paul-Ehrlich-Instituts lag bei 6,1 % der gemeldeten Fälle ein tödlicher Verlauf vor [3]. Bei Symptomen, die auf eine schwere Nebenwirkung hinweisen können, sind eine zeitnahe Vorstellung im Tumorzentrum und eine interdisziplinäre Abklärung angeraten.

Die Datenlage zu ophthalmologischen Nebenwirkungen unter Immuntherapie ist bisher gering und kommt häufig aus dem Formenkreis der Uveitiden (Tab. 1; [6]). Die Leitlinien der American Society of Clinical Oncology (ASCO) berichten von einer Inzidenz der Uveitis von ca. 1 % [5]. Unter den Uveitiden macht die Uveitis anterior den höchsten Anteil aus, wenngleich auch andere Manifestationsformen auftreten können, welche beispielsweise an ein Vogt-Koyanagi-Harada-Syndrom oder eine Birdshot-Retinopathie erinnern oder auch bis hin zu einer Panuveitis reichen können [7,8,9].

Tab. 1 Übersicht über beschriebene ophthalmologische immunvermittelte Nebenwirkungen unter Checkpointinhibitoren

Der Pathomechanismus der beschriebenen Hypotonie ist aktuell ungeklärt. Es wird vermutet, dass es im Rahmen der Inflammation zu einer Fehlregulation der „tight junctions“ zwischen den Zellen des retinalen Pigmentepithels und Aquaporin 1, einem wasserspezifischen Transportkanal, kommt, was zu Veränderungen der Flüssigkeitsverteilung führt [10]. Auch eine temporäre Ziliarkörperinsuffizienz ist denkbar.

Von allen gemeldeten Nebenwirkungen beziehen sich > 17 % auf Oberflächen- oder Benetzungsstörungen wie Sicca-Syndrom [11]. Es ist jedoch anzunehmen, dass insbesondere die Sicca-Symptomatik unterdiagnostiziert wird, da mildere Formen möglicherweise nicht als Medikamentennebenwirkungen erfasst werden. Die Angaben über das zeitliche Auftreten von immunassoziierten Nebenwirkungen variieren sehr stark. Ophthalmologische Nebenwirkungen sind zu jedem Zeitpunkt und auch nach Beendigung der Immuntherapie möglich [5]. Die bisherigen Angaben in der Literatur über die Häufigkeit dieser immunassoziierten Nebenwirkungen ist von der jeweiligen Krankheitsentität sowie von den verwendeten Checkpointinhibitoren abhängig und ist besonders bei CTLA-4-Antagonisten wie Ipilimumab in Kombination mit Nivolumab erhöht [12].

Des Weiteren wurden auch neuroophthalmologische Komplikationen wie eine Ophthalmoplegie (Ptosis oder Diplopie) oder eine Optikusneuritis beschrieben [11]. Eine neurologische Mitbeurteilung ist in solchen Fällen angeraten.

Die Handhabung von Immuntherapie-assoziierten Nebenwirkungen sollte unbedingt interdisziplinär erfolgen und die europäischen und amerikanischen onkologischen Leitlinien beachten [5, 13]. Die Therapie ist abhängig vom betroffenen Organ und der Schwere der Symptomatik. Insbesondere in der Akutphase ist eine Therapie mit Kortikosteroiden entscheidend [13]. Auch die Fortführung der Therapie muss im Fall von schweren Nebenwirkungen individuell und interdisziplinär abgewogen werden. Interessanterweise ist das Auftreten von immunvermittelten Nebenwirkungen teilweise mit einem verbesserten Therapieansprechen und einem verbesserten Gesamtüberleben assoziiert [13]. Aufgrund der Möglichkeit von immunvermittelten Nebenwirkungen sollte die Indikationsstellung von elektiven ophthalmologischen Eingriffen individuell abgewogen werden und auf die Zeitplanung der Immuntherapie abgestimmt werden.

Perspektivisch wird seit kurzer Zeit die Anwendung von Checkpointinhibitoren auch bei okulären Metastasen diskutiert, wenngleich die Wirksamkeit aufgrund des immunologischen Privilegs des Auges bei systemischer Medikamentengabe umstritten ist [14].

Schlussfolgerung

Checkpointinhibitoren können zu einer Bandbreite an okulären Nebenwirkungen führen, welche von häufigen und milderen Nebenwirkungen wie der Sicca-Symptomatik bis zu selteneren teils schweren Komplikationen reichen. Aufgrund der Gefahr gravierender systemischer Nebenwirkungen ist beim Auftreten von okulären Reaktionen eine zeitnahe Weiterleitung an das behandelnde Tumorzentrum dringend empfohlen. Bei okulären Komplikationen ist je nach Befund eine lokale und systemische antiinflammatorische Therapie mittels Kortikosteroiden nach interdisziplinärer Rücksprache indiziert. Die Konsequenz bezüglich der Fortführung der Immuntherapie muss interdisziplinär und unter onkologischer Führung entschieden werden.

Fazit für die Praxis

  • Checkpointinhibitoren haben einen zunehmenden Stellenwert in der Therapie von Tumorerkrankungen und verstärken das körpereigene Immunsystem.

  • Durch eine überschießende Aktivierung des Immunsystems ergibt sich eine Vielzahl potenziell schwerer autoimmuner Nebenwirkungen, sowohl systemisch als auch okulär. Die Therapie sollte interdisziplinär erfolgen.

  • Regelmäßige augenärztliche Kontrollen sind insbesondere bei Symptomatik sinnvoll.