Hintergrund und Fragestellung

Die Fluoreszeinangiographie (FAG) wird bereits seit etwa 60 Jahren in der klinischen Routine zur retinalen Bildgebung angewandt [2]. Trotz ihres Alters ist diese Methode weiterhin fester Bestandteil in der Diagnostik zahlreicher Netzhaut- und Aderhauterkrankungen und ermöglicht es im Gegensatz zu anderen Untersuchungsmodalitäten, Schrankenstörungen retinaler Gefäße direkt darzustellen. Die FAG ist häufig bei der Diagnosestellung vaskulärer Erkrankungen der Retina indiziert. Sie wird z. B. bei der neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration (nAMD), der proliferativen diabetischen Retinopathie (PDR) und bei retinalen Venenverschlüssen (ischämische und nichtischämische Zentralvenen- [ZVV] und Venenastverschlüsse [VAV]) durchgeführt und wird hier in den gemeinsamen Leitlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG), der retinologischen Gesellschaft (RG) und des Berufsverbands der Augenärzte (BVA) weiterhin mindestens zur Erstdiagnose dieser Erkrankungen empfohlen [3,4,5].

Auch die Indocyaningrünangiographie (ICGA) ist bereits seit über 50 Jahren Bestandteil der augenärztlichen Diagnostik. Sie ist insbesondere zur Darstellung der choroidalen Gefäße geeignet, da Indocyaningrün aufgrund der Abgabe von Infrarotstrahlung das retinale Pigmentepithel besser durchdringen kann und zusätzlich nicht aus der Choriokapillaris austritt, sondern intravasal verbleibt [6].

Bei der FAG und ICGA handelt es sich um invasive Bildgebungsverfahren der Retina und Aderhaut, die es ermöglichen, Schrankenstörungen undichter Gefäße darzustellen. Bei der FAG erfolgt die Anregung des Farbstoffs Fluoreszein mit Licht der Wellenlänge von 488 nm, bei der ICGA wird Licht mit einer Wellenlänge von 787 nm verwendet, das den Farbstoff Indocyaningrün anregt. Aufgrund dieser invasiven intravenösen Applikation von Fluoreszein bzw. Indocyaningrün kann es zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) kommen, die von leichten allergischen Reaktionen wie Übelkeit bis zu lebensbedrohlichen Situationen mit anaphylaktischem Schock reichen können [7].

Die COVID-19-Pandemie hat und hatte auch deutliche Auswirkungen auf die Versorgung ambulanter und stationärer augenärztlicher Patienten und Patientinnen, wobei es insbesondere während der Lockdowns zu reduzierter Einbestellung kam und zahlreiche Termine verschoben werden mussten [8, 9].

Die meisten Untersuchungen zur Sicherheit von FAG und ICGA wurden vor vielen Jahren durchgeführt. Aktuelle Daten hierzu, insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum fehlen. Auch Daten zur Indikationsverteilung der FAG sind selten, und zur ICGA sind diese Daten nicht verfügbar.

Primäres Ziel ist deswegen die Analyse der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) und deren Schweregrad im universitätsmedizinischen Setting. Sekundäres Ziel der Studie ist es, die Indikationsstellung von FAG und ICGA vor und während der COVID-19-Pandemie zu analysieren.

Material und Methoden

Es erfolgte eine retrospektive Querschnittuntersuchung von allen FAG und ICGA, die im Zeitraum Januar 2016 bis Dezember 2021 an der Universitätsaugenklinik in Würzburg durchgeführt wurden. Die Daten wurden anhand klinikinterner Dokumentationsbögen und Krankenakten erhoben. Die Zustimmung der Ethikkommission des Universitätsklinikums Würzburg lag bereits zu Projektbeginn vor.

Vor jeder FAG und ICGA erfolgte ein ärztliches Aufklärungsgespräch inklusive der Abfrage vorheriger allergischer Reaktionen auf eine FAG, und eine schriftliche Einwilligungserklärung lag vor. Die Indikation für die Durchführung einer FAG und/oder ICGA wurde durch den behandelnden Facharzt in Abhängigkeit vom jeweiligen Krankheitsbild gestellt. Vor der Angiographie erfolgte eine medikamentöse Pupillenerweiterung mit Tropicamid- (5 mg/ml) (Mydriaticum Stulln®, Stulln) und Phenylephrinhydrochlorid-Augentropfen (50 mg/ml) (Neosynephrin Pos®, Ursapharm GmbH).

Die Angiographien erfolgten mit einem Spectralis HRA (Heidelberg Engineering GmbH, Heidelberg). Bei der FAG wurde das Präparat Fluorescein Alcon 10 %-Injektionslösung (Alcon Deutschland GmbH, Freiburg) und bei der ICGA das Präparat VERDYE 5 mg/ml (Diagnostic Green GmbH, Aschheim-Dornach) entsprechend der Herstellerempfehlung angewandt [10, 11].

Nach Durchführung der FAG bzw. ICGA wurden alle Patienten für mindestens 15 min nachbeobachtet und auftretende UAW entsprechend behandelt und dokumentiert.

Die aufgetretenen UAW wurden in die Kategorien mild, moderat und schwer eingeteilt. Grundlage hierfür war die Metastudie von Kornblau et al. [1]:

Milde UAW waren vorübergehende Effekte, die keine Behandlung erforderten und vollständig verschwanden, wie z. B. Übelkeit und Erbrechen.

Moderate UAW waren definiert als vorübergehende Auswirklungen mit allmählicher Auflösung die möglicherweise eine Behandlung benötigten, wie z. B. eine Synkope.

Als schwere UAW waren lang anhaltende Wirkungen eingeordnet, die eine intensive Behandlung erforderten und eine erhebliche Bedrohung für das das Wohlbefinden des Patienten darstellten, wie z. B. ein akutes Lungenödem.

Statistische Analyse

Die statistische Auswertung erfolgte mit JMP® Software (Version 16.0, SAS Institute Inc., Cary, NC, USA) und GraphPad Prism 9 (GraphPad Software, San Diego, CA, USA). Quantitative Daten werden mit Mittelwert, Standardabweichung (SD) und Spannweite (Range) dargestellt. Die Überprüfung auf Normalverteilung erfolgte mit dem Shapiro-Wilk-Test und dem Kolmogorov-Smirnov-Test. Die einfaktorielle Varianzanalyse (ANOVA) wurde zum Testen der Mittelwerte von 3 oder mehr Gruppen auf Differenzen durchgeführt, anschließend erfolgte der Tukey-post-hoc-Test. Ein p-Wert < 0,05 wurde als statistisch signifikant gewertet.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 4900 Datensätze von 4193 Patienten, bei denen eine FAG oder ICGA an der Universitätsaugenklinik in Würzburg durchgeführt wurde, analysiert. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich über 6 Jahre, von Januar 2016 bis Dezember 2021. Durchschnittlich wurden pro Jahr 816,7,2 ± 91,1 FAG durchgeführt, wobei die jährliche Anzahl der FAG zwischen 642 (2016) und 902 (2018) betrug (Abb. 1a). Die FAG wurde etwas häufiger bei Männern (54,8 %) als bei Frauen (45,2 %) durchgeführt, und das Durchschnittsalter betrug 63,2 ± 16,9 Jahre (Median: 65 Jahre). Hierbei zeigte sich zwischen der Anzahl der monatlichen FAG im Jahr 2016 und in den Jahren 2018, 2019 und 2021 ein signifikanter Unterschied (Abb. 1b). Der Verlauf der monatlichen Anzahl der durchgeführten FAG ist in Abb. 1c dargestellt. Zu Beginn des ersten Lockdowns während der COVID-19-Pandemie kam es zu einer Abnahme der Anzahl der Angiographien. Hier zeigte sich im Zeitraum 18.03. bis 08.05.2019 (N = 113) im Vergleich zu 18.03. bis 08.05.2020 (N = 87) ein Rückgang der FAG um 23,0 %. Die häufigsten Indikationen zur FAG waren hierbei der ZVV/VAV mit 12,4 % (2019) bzw. die diabetische Retinopathie mit 12,4 % (2020). Auffällig war, dass die FAG bei RCS während des Lockdowns deutlich abnahm von 10,6 % (2019) auf 2,7 % (2020).

Abb. 1
figure 1

a Jährliche Anzahl an Fluoreszeinangiographien (FAG), b Anzahl an monatlichen FAG, c Verlauf der monatlichen Anzahl der durchgeführten FAG

Die durchschnittliche Anzahl von FAG pro Monat betrug im Untersuchungszeitraum 68,1 ± 14,2, die wenigsten FAG (N = 39) wurden im Januar 2021, die meisten FAG (N = 107) im November 2021 durchgeführt.

Die Anzahl der ICGA betrug im Untersuchungszeitraum insgesamt 201, wobei durchschnittlich pro Jahr 33,5 ± 11,2 ICGA durchgeführt wurden. Der Höchstwert wurde 2018 (N = 49) und der Tiefstwert 2016 (N = 15) erreicht (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Jährliche Anzahl der ICGA.

Insgesamt kam es im Untersuchungszeitraum zu 81 UAW bei 79 Patienten ohne lebensbedrohliche Zwischenfälle. Das entspricht 1,65 % der durchgeführten FAG. Die mit Abstand häufigste UAW war Nausea (N = 48). Die weiteren UAW waren deutlich seltener und umfassten Blutdruckveränderungen (N = 11), Erbrechen (N = 7), Flush (N = 5), Pruritus (N = 4), Synkope (N = 3), Parästhesie (N = 2) und Hustenreiz (N = 1) (Abb. 3). Zu milden (Nausea, Erbrechen, Pruritus, Parästhesien, Hustenreiz) bzw. moderaten (Blutdruckveränderungen, Flush, Synkope) UAW kam es in 1,27 % bzw. 0,39 % der Fälle.

Abb. 3
figure 3

Anzahl der Arten der UAW bei FAG im Untersuchungszeitraum.

Bei den Patienten, bei denen UAW auftraten, hatten nur 8 eine bekannte Allergie gegen ein anderes Allergen als Fluoreszein. Am häufigsten war eine Hausstauballergie (N = 2), die anderen Allergien waren Einzelfälle.

Als Komorbidität zeigte sich bei den Patienten mit UAW am häufigsten eine arterielle Hypertonie (N = 24), gefolgt von Diabetes mellitus (N = 9), Asthma bronchiale (N = 4), Depression (N = 2) und Schilddrüsenunterfunktion (N = 2). Alle anderen Komorbiditäten waren Einzelfälle.

Nach ICGA traten keine UAW auf.

Die häufigste Indikation zur FAG im untersuchten Zeitraum waren venöse retinale Verschlüsse mit 22,93 % (N = 774). Die zweit- bzw. dritthäufigste Indikation waren die diabetische Retinopathie (DR) und die exsudative altersbedingte Makuladegeneration (nAMD) mit 15,79 % (N = 533) bzw. 15,28 % (N = 516). Weitere häufige Indikationen waren Uveitis und retinale Vaskulitis mit 10,84 % (N = 366), die Retinopathia centralis serosa (RCS) mit 9,89 % (N = 334), arterielle retinale Gefäßverschluss (Zentralarterienverschluss [ZAV] und Arterienastverschluss [AAV]) mit 5,21 % (N = 176). Weniger häufig wurde eine FAG bei myoper makulärer Neovaskularisation (mMNV) (2,61 %; N = 88), anteriorer ischämischer Optikusneuropathie (AION) (1,69 %; N = 57), Makuladystrophie (1,57 %; N = 53), White-Dot-Syndrom (1,90 %; N = 64), Papillitis (1,10 %; N = 37), Makroaneurysma (1,01 %; N = 34), Aderhautmelanom (1,07 %; N = 36), Hämangiom (0,98 %; N = 33), Irvine-Gass-Syndrom (0,74 %; N = 25) und makulären Teleangiektasien (MacTel) (0,50 %; N = 17) durchgeführt. Bei sonstigen Erkrankungen erfolgten 233 FAG (6,90 %) (Abb. 4a, Tab. 1).

Abb. 4
figure 4

a Anteil der Indikationen zur Fluoreszeinangiographie (FAG), b Anteil der Indikationen zur ICGA. ZVV/VAV Zentralvenenverschluss/Venenastverschluss, nAMD neovaskuläre altersbedingte Makuladegeneration, DR diabetische Retinopathie, RCS Retinopathia centralis serosa, MNV makuläre Neovaskularisation, AION anteriore ischämische Optikusneuropathie, MacTel makuläre Teleangiektasien

Tab. 1 Prozentualer Anteil der Indikationen zur FAG

Die Indikation, bei der am häufigsten mehrfache FAG durchgeführt wurden, war der ZVV/VAV. Hier hab es 104 Patienten, bei denen eine FAG mehrfach durchgeführt wurde. Im Falle von multipler FAG, wurden durchschnittlich 2,38 FAG pro Patient durchgeführt (Maximum 10, Minimum 2).

In einer Subanalyse der Anzahl der FAG im zeitlichen Verlauf bei der insgesamt häufigsten Indikation, dem ZVV/VAV, zeigte sich im Jahr 2021 bei Betrachtung der monatlichen Zahlen eine signifikant erhöhte Anzahl von FAG im Vergleich zu den Jahren 2018, 2019 und 2020. Im Vergleich zu den Jahren 2016 und 2017 war der Unterschied nicht signifikant (Supplement Abb. 1A und Supplement Abb. 1B).

Die mit Abstand häufigste Indikation zur Durchführung einer ICGA im Untersuchungszeitraum waren die Choroiditis und Panuveitis (36,87 %; N = 73), gefolgt von der nAMD (16,16 %; N = 32) und White-Dot-Syndromen (14,14 %; N = 28). Ähnlich häufig erfolgte die ICGA bei der RCS (11,62 %; N = 23) und Hämangiom (7,07 %; N = 14). Weniger häufig erfolgte die ICGA bei Aderhautmelanom (2,02 %; N = 4), Makuladystrophie (1,01 %; N = 2) und Papillitis (1,01 %; N = 2). Bei sonstigen Erkrankungen erfolgten 20 ICGA (10,10 %) (Abb. 4b; Tab. 2).

Tab. 2 Prozentualer Anteil der Indikationen zur ICGA

Diskussion

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) bei FAG und ICGA

Die hier vorgestellte Studie ist die bisher größte Untersuchung zu UAW bei FAG und ICGA im deutschsprachigen Raum. In anderen Untersuchungen zeigten sich deutliche Unterschiede bei der Häufigkeit von UAW bei FAG. Eine Metaanalyse berichtet von einer Gesamtrate von UAW zwischen 0,83 % und 21,69 % [1]. Hierbei wurden insgesamt 78 Studien untersucht und die UAW in mild (1,24–17,65 %), moderat (0,2–6 %) und schwer (0,04–0,59 %) eingeteilt. Die in unseren Untersuchungen erhobenen Daten liegen mit 1,27 % bzw. 0,39 % für milde bzw. moderate UAW jeweils im niedrigen Bereich.

Übereinstimmend mit den bisherigen Studien zeigte sich als häufigste UAW eine Nausea [1, 12, 13]. Schwere lebensbedrohliche UAW oder Todesfälle konnten in vielen Studien ebenso wie in unserem Patientenkollektiv nicht nachgewiesen werden [12, 13]. In 2 großen Studien zeigten sich Einzelfälle von Myokardinfarkten (0,03 %) und akutem Lungenödem (0,04 %) [1, 14]. In der bislang größten Einzelstudie, in der über 221.000 Fälle untersucht wurden, zeigt sich mit 1,58 % eine sehr ähnliche Rate von UAW wie in unseren Daten [7]. Hierbei kam es in 0,05 % der FAG zu schweren UAW (das Herz-Kreislauf-System, respiratorische System oder Nervensystem betreffend). In einem Fall kam es zu einem tödlichen Verlauf nach der FAG, aus dem sich das oft beschriebene Todesrisiko von 1:222.000 bei der FAG begründet. In dieser Studie aus dem Jahr 1986 wurden im Gegensatz zu unserer Untersuchung Fluoreszeinpräparate verschiedener Hersteller verwendet: Alcon, wie auch in unserer Studie, Cooper Vision, Akorn, aber mutmaßlich auch selbst hergestellte Fluoreszeinlösungen. Hiervon wird das Fluoreszeinpräparat von Cooper Vision nicht mehr verkauft. Die Präparate von Alcon und Akorn enthalten laut Herstellerangaben die gleichen Inhaltsstoffe: Bei beiden ist der Wirkstoff Fluoreszein-Natrium, zur Regulierung des pH-Werts werden Natriumhydroxid und/oder Salzsäure verwendet, sowie Wasser ist für Injektionszwecke enthalten [10, 15]. In der Metaanalyse von Kornblau et al. konnte allerdings kein Unterschied der UAW in Bezug auf Fluoreszeinpräparat, -konzentration oder -volumen gefunden werden [1].

Auch andere patientenabhängige (Komorbidität, positive allergische Anamnese [außer für Fluoreszein], Alter, Ethnie und Geschlecht) und patientenunabhängige Faktoren (Injektionsgeschwindigkeit, Temperatur) konnten nicht als prädiktiv für allergische Reaktionen auf Fluoreszein identifiziert werden. Der einzige heute bekannte prädiktive Faktor für ein erhöhtes Risiko für eine allergische Reaktion auf Fluoreszein ist eine vorherige allergische Reaktion auf Fluoreszein [1]. Daher sollte vor jeder Wiederholung einer FAG der Patient oder die Patientin zu vorherigen allergischen Reaktionen befragt werden.

Nausea und Erbrechen sind die häufigsten UAW der FAG. Hier konnte gezeigt werden, dass es bei der prophylaktischen Gabe von Metoclopramid, Granisetron oder Antihistaminika (z. B. Dimenhydrinat) zu signifikant weniger Nausea und Erbrechen kommt [16,17,18]. Falls eine Wiederholung der FAG notwendig ist, kann bei diesen Patienten auch eine prophylaktische Gabe überlegt werden. Eine Arbeit von Kwiterovich et al. zeigte, dass es bei Patienten mit bekannter Reaktion mit Nausea/Erbrechen bei der FAG zu einer Reduktion dieser Ereignisse durch eine medikamentöse Prophylaxe kommen kann (p = 0,05). Welcher Wirkstoff hierbei am geeignetsten ist, ist bislang noch nicht bekannt und sollte in zukünftigen Studien untersucht werden.

Insgesamt bestätigen unsere Daten, dass es sich bei der FAG um eine sichere Untersuchung handelt. Die meisten UAW sind mild und gut beherrschbar, nur in Einzelfällen kann es zu schweren oder lebensbedrohlichen UAW kommen.

Indikationen von FAG und ICGA

FAG und ICGA sind wichtige Bildgebungsverfahren bei der Diagnose zahlreicher vaskulärer Erkrankungen der Netzhaut (z. B. retinale Ischämien, Mikroaneurysmata, Leckagen, vaskuläre Okklusionen) und Aderhaut (z. B. polypoidale choroidale Vaskulopathie, Aderhauthämangiome [19]) sowie bei verschiedenen Uveitisformen (Uveitis intermedia, Uveitis posterior und Panuveitis [20]). Zum Einsatz kommen sie auch bei der Verlaufskontrolle und Therapieüberwachung [20, 21]. Beispielsweise werden Uveitispatienten und -patientinnen unter Steroidtherapie anhand der Befunde der FAG/ICGA regelmäßig auf entzündliche Aktivitätszeichen untersucht und bei Bedarf auf additive Biologika oder Immunsuppressiva umgestellt [22]. In den letzten Jahren haben verschiedene Entwicklungen stattgefunden, um bei der Bildgebung mit FAG und ICGA die Peripherie mit Ultraweitwinkeldarstellung besser zu visualisieren [23, 24]. Dies hat unter anderem auch dazu geführt, dass bei kindlichen vaskulären Erkrankungen der Retina, wie z. B. bei Morbus Coats und bei familiärer exsudativer Vitreoretinopathie (FEVR), eine bessere Darstellung besonders durch FAG nach oraler Fluoreszeineinnahme gelingt [25, 26]. Insgesamt bleiben FAG und ICGA weiterhin wichtige diagnostische Instrumente in der Augenheilkunde.

Venenverschlüsse sind die zweithäufigste vaskuläre Erkrankung der Retina und stellten in unserer Studie die häufigste Indikation zur FAG dar (22,9 %), gefolgt von der diabetischen Retinopathie (15,7 %). In einer Studie aus Frankreich von Le Rouic et al. wurde die Indikationsstellung von FAG und OCTA über einen Zeitraum von 3 Jahren untersucht, wobei sich zeigte, dass die häufigste Indikation die altersbedingte Makuladegeneration (49 %), gefolgt von diabetischer Retinopathie (16 %) und Chorioretinopathia centralis serosa (14 %) war. In dieser Studie erhielten jedoch nur 6,5 % der Patienten eine FAG [27]. Daten aus Wales Anfang der 90er-Jahren zeigen ähnliche Verteilungen wie bei Le Rouic et al., hier war ebenfalls die nAMD mit 50 % die häufigste Indikation, gefolgt von DR mit 15 % und ZVV/VAV mit 5 % [8]. Einer der Gründe für den häufigen Einsatz der FAG bei venösen Gefäßverschlüssen liegt darin begründet, dass die Netzhaut bei dieser Erkrankung dynamischen Veränderungen unterliegt (Umwandlung nichtischämischer in ischämische Zentralvenenverschlüsse bei 40 % und Umwandlung einer ischämischen Retinopathie in ischämische Gefäßverschlusse mit Makulaödem bei 33 % der Patienten über die Jahre) [28,29,30]. Deswegen wird die FAG bei ZVV/VAV im Gegensatz zu anderen Erkrankungen häufiger wiederholt.

Unsere Daten scheinen die erste Untersuchung zur Verteilung der Indikation der ICGA zu sein, denn in unserer Literaturrecherche (Suchbegriffe: „ICGA“; „indocyanine green angiography“; „indications“; PubMed-Recherche am 03.12.2022) konnte keine Studie gefunden werden, die bisher die Verteilung der Indikation der ICGA untersuchte. Ein Grund hierfür könnte sein, dass die ICGA deutlich seltener als die FAG durchgeführt wird und auch nicht in allen Augenarztpraxen und augenärztlichen Zentren verfügbar ist. Jedoch gibt es zahlreiche Empfehlungen, bei welchen Indikationen eine ICGA einen diagnostischen Mehrwert zeigen könnte. Die meisten Autoren empfehlen die ICGA bei Verdacht auf polypoidale choroidale Vaskulopathie. Außerdem wird eine ICGA bei Uveitis sowie bei Aderhauttumoren (Hämangiom und Aderhautmelanom) empfohlen [19, 31].

Neben den seit Jahrzehnten etablierten Techniken der Angiographie mittels intravenöser Farbstoffapplikation gewinnt die OCTA im klinischen Alltag zunehmend an Bedeutung und zeigt in manchen Bereichen Vorteile gegenüber der FAG bzw. ICGA. Die OCTA ermöglicht eine detaillierte 3D-Darstellung des gesamten Mikrogefäßsystems von Retina und Choroidea. Ein weiterer Vorteil der OCTA ist, dass es sich um ein nichtinvasives Verfahren handelt, wodurch UAW, die bei den Angiographien in Einzelfällen sogar lebensbedrohlich sein können, vermieden werden können. Nachteile der OCTA sind der relativ kleine Scanausschnitt und dass bei der Untersuchung von Gefäßveränderungen in der mittleren Peripherie häufig vor der Untersuchung eine invasive Angiographie notwendig ist, um die Lage zu bestimmen. Außerdem können Schrankenstörungen in der OCTA nicht direkt dargestellt werden, dennoch können Rückschlüsse durch die Detektion von Makulaödemen und korrespondierender Dickenmessung gezogen werden [32,33,34].

Effekt der COVID-19-Pandemie auf die Anzahl der FAG

Eine Arbeit aus Hannover konnte beim Vergleich einer 7‑wöchigen Zeitspanne zu Beginn der COVID-19-Pandemie (18.03. bis 08.05.2019 vs. 18.03. bis 08.05.2020) einen Rückgang der FAG um −57,4 % im Vergleich zum Vorjahr feststellen [8]. In unseren Daten zeigte sich mit −23,0 % ebenfalls ein Rückgang, der allerdings deutlich geringer ausfiel. In diesem Zeitraum handelte es sich um den Beginn der COVID-19-Pandemie in Deutschland mit dem ersten Lockdown, in dem nur medizinisch dringend indizierte Leistungen durchgeführt wurden und Patientenzahlen auf ein Minimum reduziert werden sollten.

Bei Betrachtung der monatlichen Gesamtzahlen zeigte sich in unserem Patientenkollektiv jedoch kein signifikanter Rückgang der Anzahl der durchgeführten FAG in den Jahren der COVID-19-Pandemie im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie (Abb. 1b). Der kurzfristige Rückgang kann am ehesten durch die damalige Aufschiebung nichtdringlicher ambulanter Behandlungen bei nichtvitalen Indikationen, die im besonderen Maß die Augenheilkunde betrafen, erklärt werden und auch durch die hohe Anzahl von Terminabsagen und -verschiebungen, die von Patientenseite ausgingen [9]. Im Sommer 2020 (Abb. 1c) kam es zu einer Zunahme der FAG im Vergleich zum Frühjahr, in dem viele Untersuchungen nachgeholt werden konnten, sodass insgesamt im Gesamtjahr 2020 kein signifikanter Rückgang der FAG zu verzeichnen war.

Es gibt mittlerweile Hinweise darauf, dass COVID-19-Infektionen und -Impfungen zu venösen retinalen Verschlüssen führen können [35, 36]. Zu Beginn der COVID-19-Pandemie Anfang 2020 konnte in diesem Jahr kein signifikanter Unterschied der monatlichen Anzahl von FAG bei ZVV/VAV im Vergleich zu den Vorjahren festgestellt werden (Supplement Abb. 1B). Im Jahr 2021, in dem die COVID-19-Impfungen in Deutschland begonnen wurden (Zulassung des ersten COVID-19-Impfstoffs in Deutschland am 21.12.2020) und es deutlich mehr COVID-19-Infektionen als 2020 gab (2020: 1.672.645 Infektionen [Stichtag 28.12.]; 2021: 5.309.583 Infektionen [Stichtag 24.12.; 37]), wurden signifikant mehr FAG pro Monat bei ZVV/VAV im Vergleich zu den Vorjahren 2018 bis 2020 durchgeführt (Supplement Abb. 1B). Ein möglicher Grund für diese Zunahme an FAG bei ZVV/VAV könnten COVID-19-Erkrankungen oder -Impfungen sein. Um diese Frage zu klären, sind aber noch Folgestudien notwendig.

Limitationen

Bei unserer Untersuchung handelt es sich um eine retrospektive Analyse, die an nur einem Zentrum durchgeführt wurde. Hierbei kann sich insbesondere die Indikationsstellung je nach Praxis bzw. Zentrum unterscheiden. Hierbei können hausinterne Standards, Diagnostik- und Therapieschwerpunkte eine Rolle spielen.

Fazit für die Praxis

  • Die FAG ist eine sichere Untersuchungsmethode, bei der es nur in 1,65 % aller Fälle zu UAW kommt. Milde UAW traten in 1,27 %, moderate UAW in 0,39 % der Fälle auf. Es traten keine schweren UAW auf.

  • Bei der ICGA traten keine UAW auf.

  • Bei 4900 Angiographien trat keine lebensbedrohliche UAW auf.

  • Die häufigste Indikation zur FAG im universitätsmedizinischen Setting ist der ZVV/VAV.

  • Die häufigste Indikation zur ICGA im universitätsmedizinischen Setting ist die Uveitis.

  • Während der COVID-19-Pandemie nahm die Anzahl der Angiographien kurzfristig ab, langfristig zeigte sie sich im Langzeitverlauf aber auf dem gleichen Niveau wie vor der Pandemie.