Anamnese

Ein 34-jähriger männlicher Patient stellte sich mit einer seit fünf Jahren langsam progredienten, aber schmerzlosen Lidschwellung und subjektiv eingeschränkter Sehschärfe rechts ambulant vor. Die übrige ophthalmologische Anamnese war leer.

Des Weiteren bestanden eine Nasenatmungsbehinderung sowie Riechstörungen seit etwa zehn Jahren. Eine Operation der Nasennebenhöhlen brachte keine Besserung. Im Rahmen der zurückliegenden operativen Interventionen war eine Biopsie der Glandula submandibularis bei unklarer Vergrößerung erfolgt. Hier zeigte sich eine hochgradig chronisch-destruierende plasmazellreiche Entzündung mit begleitender Eosinophilie und Sklerose.

Ferner lagen ein Asthma bronchiale sowie ein stattgehabter Myokardinfarkt bei koronarer Herzerkrankung, ein Bluthochdruck, eine Hypercholesterinämie, eine familiäre Hyperlipoproteinämie, eine Adipositas sowie ein Nikotinabusus vor.

Befund

Der bestkorrigierte Visus lag rechts bei 0,25 und links bei 0,6. Der intraokulare Druck war seitengleich normwertig, die Pupillenreaktion beidseitig ohne pathologischen Befund. Es zeigte sich rechts eine insgesamt leicht eingeschränkte Motilität mit Doppelbildern beim Blick nach rechts unten. Die Tränendrüsen waren rechts etwas mehr als links derb palpabel, vergrößert und prolabiert, die Oberlider beidseits weich geschwollen (Abb. 1). In der Hertel-Exophthalmometrie ergab sich eine Bulbusprotrusion von rechts 31 mm und links 26 mm. Die vorderen Augenabschnitte zeigten am rechten Auge temporal eine episklerale Venenstauung bei sonst altersentsprechendem Normalbefund beidseits. Fundoskopisch fanden sich ebenfalls an beiden Augen keine Auffälligkeiten.

Abb. 1
figure 1

Klinisches Bild bei Erstvorstellung beim Geradeausblick (a) und in leichter Reklination des Kopfs mit Lidschluss (b). Beidseitig prominente Tränendrüsen und Oberlidschwellung sowie epibulbäre Gefäßstauung rechts

In einer uns vorliegenden zerebralen Magnetresonanztomographie ließen sich eine Pansinusitis mit fast vollständiger Verschattung aller Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen, entzündlich-ödematös aufgetriebene äußere Augenmuskeln und Tränendrüsen mit axialer Verdrängung der Bulbi erkennen. Im Seitenvergleich zeigte sich im Bereich des rechten Nervus opticus der Verdacht auf eine perineurale Infiltration (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Magnetresonanztomographie in axialer (a) und koronarer (b) Bildebene (T1-Wichtung mit Kontrastmittel). Zu sehen sind die verdickten Tränendrüsen (gelbe Sterne) und äußeren Augenmuskeln (rote Sterne). Weiterhin zeigt sich der erhebliche Exophthalmus und die verschatteten Nasennebenhöhlen (hier: beidseitig Siebbein und Kieferhöhle). Im Seitenvergleich zeigt sich rechts die perineurale Infiltration entlang des Nervus opticus (roter Pfeil)

Wir führten eine Biopsie der rechten Tränendrüse durch und entnahmen zudem eine Probe der Nasenschleimhaut. Histopathologisch fand sich eine entzündliche Infiltration mit reichlich eosinophilen Granulozyten und umschriebenen perivaskulären Fibrosearealen. Granulome ließen sich nicht nachweisen. Immunhistochemisch zeigten sich mittels MUM1-Färbung (Multiples-Myelom-Oncogen 1) zahlreiche Plasmazellen, welche einen IgG4-Anteil von über 40 % aufwiesen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Histopathologische Befunde (Vergr. 200:1) der Tränendrüse in der Hämatoxylin-Eosin-Färbung (a) und Immunhistochemie auf IgG4 (b). Zu sehen ist ein ausgeprägtes lymphoplasmazelluläres Infiltrat mit Gewebsfibrose ohne noch erkennbare Drüsenstrukturen (a). Immunhistochemisch lässt sich eine IgG4-Ratio > 40 % erkennen (b)

Diagnose

Es wurde die Diagnose einer IgG4-assoziierten Erkrankung mit Orbitopathie gestellt.

Verlauf

Aufgrund der Diagnose wurde der Patient interdisziplinär vorgestellt. Zusammen mit der Klinik für Rheumatologie wurde eine Therapie mit Prednisolon 60 mg oral in ausschleichender Dosierung und die wöchentliche Gabe von 15 mg Methotrexat subkutan mit Folsäuresubstitution am Folgetag begonnen. In den klinischen Verlaufskontrollen zeigten sich eine deutlich regrediente Lid- und Tränendrüsenschwellung beidseits mit stark rückläufigen Werten in der Hertel-Exophthalmometrie (rechts: 16 mm; links: 12 mm) sowie Visusanstiege auf rechts 0,6 und links 0,8 (Abb. 4). Der Patient berichtete über eine deutliche subjektive Besserung und zurückgewonnene Lebensqualität durch eine verbesserte Nasenatmung sowie wiederhergestellte Geschmackswahrnehmung.

Abb. 4
figure 4

Klinisches Bild, vier Monate nach Therapiebeginn. Es zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Schwellung von Tränendrüse und Oberlidern mit stark reduziertem Exophthalmus

Diskussion

Die IgG4-assoziierten Erkrankungen („IgG4-related diseases“; IgG4-RD) gehören zu einer jüngeren Krankheitsentität und verdienen erhöhte Aufmerksamkeit. Erstmalig wurde das Auftreten eines IgG4-reichen Entzündungsgewebes bei einem Patienten mit autoimmuner Pankreatitis 2001 beschrieben, die Erstbeschreibung einer orbitalen Beteiligung folgte 2007 [1, 2]. Heute kann die Erkrankung dem Spektrum der idiopathischen orbitalen Inflammationen zugeschrieben werden [5], einem klinischen Phänomen, welches bereits Anfang des 20. Jahrhunderts durch den Dresdner Ophthalmologen Professor Birch-Hirschfeld beschrieben wurde und vormals unter dem Pseudonym „Pseudotumor orbitae“ firmierte [6].

Die Pathogenese der Erkrankung ist bis heute unverstanden. IgG4, als kleinste Subgruppe des Immunglobulin G, findet sich im Serum vieler Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen. Es wird häufig in Kombination mit Immunglobulin E gebildet, welches im Rahmen allergischer Expositionen eine tragende Rolle spielt [3]. Entsprechend oft bestehen allergische Diathesen bei Patienten mit IgG4-RD, wie auch bei unserem Patienten [7].

Genauere epidemiologische Daten liegen bis dato nur für den japanischen Raum vor. Hier wird die Prävalenz aller IgG4-RD mit 1:10.000 angegeben. Im Durchschnitt finden sich mehr Männer als Frauen, häufig im mittleren Alter, unter den Erkrankten, im Fall einer IgG4-RD im Kopf-Hals-Bereich ist das Geschlechterverhältnis jedoch nahezu gleich [4, 8].

Klinisch sind Beteiligungen im Bereich von Pankreas und Gallensystem, gefolgt von Speicheldrüsen und der Orbita am häufigsten. Aus ophthalmologischer Sicht imponiert eine subakut-entzündliche Symptomatik. Die Tränendrüsen sind oft bilateral befallen. Patienten präsentieren sich mit Lidschwellungen, aber auch mit einem Exophthalmus und Motilitätsstörungen, seltener kann es zu einer Optikusneuropathie kommen [7]. Wegweisend für die Diagnosefindung ist unter Berücksichtigung einer entsprechenden Klinik, unterstützt durch bildgebende Verfahren, die histopathologische Untersuchung [4, 7, 9].

Im Jahr 2011 wurden mit den „Boston-Kriterien“ erste histopathologische Diagnosemarker für die IgG4-RD definiert. Hierzu gehören lymphoplasmazelluläre Infiltrate, mit storiformer, „wagenradähnlicher“ Fibrose und obliterierender Phlebitis bei erhöhten IgG4-positiven Zellanteilen (IgG4+/IgG-Ratio von > 40 %). Sind die Tränen- bzw. Speicheldrüsen beteiligt, findet sich das Kriterium der obliterierenden Phlebitis häufig nicht, was sich auch in unserem Fall bestätigte [2]. Eine internationale Klassifikation (American College of Rheumatology und European League Against Rheumatism) aus dem Jahr 2020 fügte Ausschlusskriterien zur Diagnosesicherung hinzu. Diese umfassen das Vorliegen von Fieber sowie klinisch, bildgebend und histologisch malignomverdächtige Läsionen und ein Nichtansprechen auf Glukokortikoide [9].

Zusammenfassend kann sich der Verdacht auf eine IgG4-assoziierte orbitale Erkrankung nur aus dem klinischem Bild unter Ausschluss anderer Differenzialdiagnosen, allen voran maligner oder infektiöser Erkrankungen, und einer entsprechenden fachgerechten Histologie ergeben. Dabei muss die Frage nach der IgG4-Ratio unter den vorhandenen Plasmazellen gestellt werden. Dies scheint in unserem Fall zu einer primären Verzögerung der Diagnosestellung geführt zu haben. Ist die Verdachtsdiagnose einer IgG4-RD wahrscheinlich, sollte schnellstmöglich die Therapie mit oralen Steroiden eingeleitet werden. Eine Anfangsdosis von 0,6 mg/kg Körpergewicht, ausschleichend über drei Monate entsprechend den geltenden Empfehlungen, ist angezeigt. Für den Fall eines Rezidivs kann eine Therapie mit dem CD20-Antikörper Rituximab in Erwägung gezogen werden [4, 7].

Fazit für die Praxis

  • Bei vorhandener Klinik einer idiopathischen inflammatorischen Orbitopathie ist an eine IgG4-Assoziation zu denken.

  • Schmerzen gehören nicht zu den Leitsymptomen einer IgG4-assoziierten orbitalen Erkrankung.

  • Die Diagnosesicherung erfolgt durch die Kombination aus klinischem Bild und charakteristischer Histologie.

  • Differenzialdiagnostisch sind maligne und infektiöse Ursachen auszuschließen.