Für die Wirksamkeit von Psychotherapie ist der Anteil des Therapeut*inneneffekts eine wichtige Variable, um Unterschiede innerhalb eines therapeutischen Ansatzes, aber auch fehlende Unterschiede zwischen verschiedenen Verfahren zu verstehen. Eine Richtung der Psychotherapieforschung attribuiert die Effekte von Psychotherapie auf sog. allgemeine Wirkfaktoren. Kompetente Psychotherapeut*innen müssen allerdings außerdem spezifische Wirkfaktoren umsetzen. Es stellt sich die Frage, ob die notwendigen Kompetenzen in der Therapieausbildung genügend gefördert werden, um möglichst viele Super-Shrinks in die psychotherapeutische Versorgung zu bringen.

Hintergrund und Fragestellung

Unterschiede zwischen Therapeut*innen

Der Begriff des „Super-Shrink“, also die Vorstellung von überdurchschnittlich erfolgreichen Therapeut*innen, wurde 1974 von Ricks eingeführt (Ricks 1974). Dieser beschrieb in einer katamnestischen Auswertung von Therapieverläufen vormals adoleszenter und zum Auswertungszeitpunkt erwachsenen Patient*innen einen Therapeut*inneneffekt, der unabhängig von anderen Merkmalen wie dem Verfahren und den Aspekten der Patient*innen war. Dabei beschrieb er nicht nur die extrem guten Therapeut*innen, sondern verwendete den Begriff des „Pseudo-Shrink“ für die Therapeut*innen mit unterdurchschnittlichen Ergebnissen. Die Ergebnisse haben das Feld bis heute in einen Schockzustand versetzt, da der Unterschied zwischen den beiden Kategorien von Therapeut*innen für die in Behandlung befindlichen Adoleszenten extrem war, von 75 %iger Heilung bei den guten Therapeut*innen zu 84 % negativen Outcomes bei den „Pseudo-Shrinks“. Der klassische Zweifel an der Validität eines so starken Therapeut*inneneffekts wird häufig mit dem zu geringen „caseload“ pro teilnehmendem Therapeut*in, der vermutlich nichtausgewogenen Mischung an Patient*innen („case mix“) oder der ungenügenden Manualisierung der untersuchten Therapien begründet. Tatsächlich konnten neuere Studien mit hohem Caseload und hohem Case mix sowie manualisierten Therapieverfahren den Eindruck bestätigen, dass Super- und Pseudo-Shrinks empirisch erfassbar sind. Saxon und Barkham (2012) berichteten in ihrer Studie über 119 Therapeut*innen mit 10.786 Patienten, dass die „Recovery“-Quoten zwischen 23,5 und 95,6 % betragen, wobei der Therapeut*inneneffekt unter Berücksichtigung der Schwere der initialen Erkrankung bis zu 10 % ausmachte. Nissen-Lie et al. (2016) zeigten, dass sich der Therapeut*inneneffekt nicht auf einen Outcome-Bereich beschränkt, sondern dass überdurchschnittliche Therapeut*innen überdurchschnittliche Effekte in verschiedenen Domänen erzielen (z. B. bei Outcome, Drop-out und interpersonellen Problemen), sodass die Kompetenz als eine globale und weniger als eine auf bestimmte Bereiche limitierte Fähigkeit bezeichnet werden kann (Evers und Taubner 2019). Die Länge der Therapie muss ebenfalls berücksichtigt werden. In der Studie von Goldberg et al. (2018) an 158 Therapeut*innen mit jeweils durchschnittlich 38 Patient*innen in KVT fanden sich größere Unterschiede in der therapeutischen Performanz, je länger die Therapie andauerte. Die Prä-post-Effekte bewegten sich zwischen negativen (bis zu d = −2,35) und positiven Werten (bis zu d = 4,32), allerdings traten die Unterschiede erst nach 8 Sitzungen und nicht bereits initial auf. Die Autor*innen schlussfolgern, dass die „higher performer“ unter den teilnehmenden Therapeut*innen 3‑mal so gut seien wie die „low performer“. Norcross und Lambert (2019) stellen in einer Übersichtarbeit zusammen, welche Therapeut*innenmerkmale zu einem Therapiemisserfolg beitragen: mangelnde Empathie, Unterschätzen der Probleme der Patient*innen, Verstrickung in negative Gegenübertragung (reagieren z. B. enttäuscht oder feindselig), schlechte Technik und schlechte therapeutische Allianz (schlechte Beziehung, mangelnde Übereinstimmung bezüglich der Ziele und Vorgehensweisen).

Die Frage, ob sich negative Therapeuteneffekte durch eine stärkere Manualisierung der Therapien begrenzen lassen, muss eher kritisch bewertet werden. Die aktuell verfügbaren Metaanalysen zum Zusammenhang zwischen Manualtreue (Adhärenz) bzw. kompetenter Manualumsetzung und Therapie-Outcome zeigen sowohl bei den Erwachsenentherapien als auch bei den Kinder- und Jugendlichenbehandlungen kaum belastbare Zusammenhänge (Collyer et al. 2020; Webb et al. 2010). Aufgrund der robusten Evidenz zur Bedeutsamkeit der therapeutischen Allianz und des Therapieerfolgs schlussfolgern Webb et al. (2010), dass die Wirksamkeit von Therapeut*innen verbessert werden kann, wenn sie nicht in Manualtreue, sondern in ihrer Fähigkeit, eine gute therapeutische Beziehung aufzubauen, gestärkt würden. Aus den Arbeiten der Task Force zur therapeutischen Arbeitsbeziehung um Norcross und Lambert (2019) wiederum gibt es viele empirisch belastbare Hinweise, was Therapeut*innen zu einer gelingenden therapeutischen Beziehung beitragen (Tab. 1). Die Dreiteilung der Tab. 1 spiegelt den Evidenzgrad wider, mit dem die einzelnen Komponenten in Studien als bedeutsam zur Erklärung des Therapeut*inneneffekts auf das Outcome bestätigt werden konnten. Es ist einschränkend zu sagen, dass der jeweils inkrementelle Beitrag der einzelnen Aspekte bislang nicht geprüft worden ist. Wir wissen demnach nicht, welche der Komponenten sich empirisch überlappen, da konzeptuell Überschneidungen zwischen den verschiedenen Konstrukten bestehen (Nienhuis et al. 2018). Daher sind Untersuchungen notwendig, die verschiedene Kompetenzanteile prüfen, wie die Studie zur Kompetenzentwicklung von Psychotherapeut*innen in Ausbildung, die im Folgenden zusammenfassend dargestellt wird.

Tab. 1 Aspekte funktionierender Therapiebeziehungen. (Norcross und Lambert 2019; Übersetzung S.T.)

Kompetenzentwicklung in der Psychotherapieausbildung

Der Bedeutsamkeit der Beziehungsfähigkeiten oder interpersonellen Kompetenzen von Therapeut*innen neben ihren technischen Fähigkeiten kommt in der Zusammenstellung von Norcross und Lambert (2019) ein besonderer Stellenwert zu. Es stellt sich die Frage, ob interpersonelle Kompetenzen in der aktuellen Therapieausbildung ausreichend trainiert werden, oder ob diese so sehr mit der Persönlichkeit der Therapeut*innen verwoben sind, dass sie über klassische Ausbildungsmethoden nicht trainierbar sind. Die Vanderbilt-Studien haben einen negativen Eindruck vermittelt, da ein Training interpersoneller Kompetenzen vor dem Hintergrund bereits bestehender negativer Introjekte der Therapeuten die Interaktionen mit Patient*innen sogar verschlimmerte (Henry et al. 1993). Darüber hinaus schätzten Ausbildungsleiter:innen in einer Befragung staatlich anerkannter Ausbildungsinstitute 4–5 % ihrer Kandidat*innen als ungeeignet ein, was sie am ehesten an mangelnden personalen und interpersonellen Defiziten festmachten, wie mangelnder Empathie und Reflexionsfähigkeit (Nodop und Strauß 2013). Allerdings stellt sich die Datenlage zur Psychotherapieausbildung als begrenzt dar, trotz konsequenter Bemühungen, die Evidenzbasis für die Psychotherapieausbildung zu verbessern (z. B. Boswell und Castonguay 2007; Fliegel et al. 2019; Fydrich und Fehm 2018; Kaslow et al. 2009; Orlinsky et al. 2015). Offen ist die Frage, ob ein naturalistisches Training zu einer allgemeinen Kompetenzsteigerung führt (Alberts und Edelstein 1990; Bennett-Levy 2019; Ford 1979; Herschell et al. 2010; Hill und Knox 2013; Kühne et al. 2019; Orlinsky et al. 2011; Willutzki et al. 2015). Insbesondere die Entwicklung globaler, also von der Therapieorientierung unabhängiger, psychotherapeutischer Kompetenz, ist kaum untersucht worden (Barber et al. 2007; Hill et al. 2015; O’Donovan et al. 2005). Ebenso gibt es nur begrenztes Wissen über Kompetenzprädiktoren oder Variablen, die zur globalen Kompetenzentwicklung beitragen, da die meisten Studien entweder querschnittlich oder qualitativ aufgebaut sind (Hill und Knox 2013; Murphy et al. 2018; Rønnestad et al. 2019; Wilson et al. 2016).

Die im Folgenden dargestellte von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Längsschnittstudie zur Kompetenzentwicklung von Psychotherapeutinnen in Ausbildung (KPA; MO-2008/2-1/2-2) widmete sich dieser Forschungslücke mit der zentralen Frage, welche globalen und schulenunabhängigen Kompetenzen sich bei Ausbildungsteilnehmer*innen in den zum Studienzeitpunkt zugelassenen Richtlinienverfahren kognitive Verhaltenstherapie (KVT), tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TfP) oder Psychoanalyse (PA) im Verlauf von 3 Jahren verändern. In der vorgestellten Analyse wird das Hauptaugenmerk auf den Veränderungen der interpersonellen Kompetenzen im Vergleich zu den personalen und fachlich-methodischen Kompetenzen liegen. Das der Studie zugrunde gelegte Kompetenzmodel entspricht dem der Bundespsychotherapeutenkammer (2008), das psychotherapeutische Kompetenz in 3 Bereiche unterteilt: fachlich-konzeptionelle Kompetenz (z. B. Wissen und Methoden), personale Kompetenz (z. B. Selbstreflexion und Selbstwirksamkeit) sowie Beziehungskompetenz (z. B. Kommunikation und Aufbau einer therapeutischen Allianz).

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Die KPA-Studie umfasste ein naturalistisches longitudinales Prä-post-Design. Dabei wurde die Kompetenzentwicklung von 184 Psychotherapeut*innen in Ausbildung sowie einer Kontrollgruppe (KG) von 35 Psycholog*innen über einen Zeitraum von 3 Jahren erhoben. Die Datenerfassung erfolgte von 2011 bis 2014. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Kassel genehmigt.

Stichprobe

Die Teilnehmer*innen wurden aus 17 staatlich anerkannten psychotherapeutischen Ausbildungsinstituten für Erwachsenentherapie in KVT, PA und TfP eingeschlossen. Sämtliche Teilnehmenden waren Psycholog*innen. Kontrollpersonen wurden über Mailing-Listen der Universitäten rekrutiert und umfassten ebenfalls Psycholog*innen, die während der Studie keine Therapieausbildung begannen. Die Stichprobe setzte sich aus 219 Teilnehmenden für die Prä-Untersuchung (T1) und 155 Teilnehmenden für die Post-Untersuchung (T2; 29,22 % Drop-out) zusammen. Die Gesamtstichprobe bestand aus 64 KVT-Auszubildenden (Mittelwert, M = 29,45 Jahre, 84,4 % weiblich), 87 TfP-Auszubildenden (M = 31,83 Jahre, 85,1 % weiblich), 33 PA-Auszubildenden (M = 33,79 Jahre, 84,2 % weiblich) sowie 35 Kontrollpersonen (M = 28,91 Jahre, 77,1 % weiblich). Für die Auswertungen wurden TfP- und PA-Auszubildende zu einer psychodynamischen Gruppe (PD) zusammengefasst.

Instrumente

Eine Übersicht über die verwendeten Instrumente und Zuordnungen zu den verschiedenen Kompetenzbereichen findet sich in Tab. 2. Fachkompetenz wurde einerseits über eine Multiple-Choice-Prüfung operationalisiert; diese enthielt Fragen aus der deutschen Approbationsprüfung. Andererseits wurde die Fallkonzeptualisierungsfähigkeit auf der Grundlage einer schriftlichen Fallformulierung erfasst, die anhand eines Patientenvideos von den Teilnehmenden unter zeitlimitierten Bedingungen erstellt wurde. Diese Fallformulierung wurde mithilfe der Case Formulation Content Coding Method (CFCCM; Eells et al. 1998) von trainierten Ratern ausgewertet. Die globale therapeutische Kompetenz und Selbstwirksamkeit wurde zudem mit den 2 Subskalen des therapeutischen Arbeitserlebens (Therapist Work Involvement Scales, TWIS; Orlinsky und Rønnestad 2005) erfasst: nämlich „healing“ und „stressful involvement“. Personale Kompetenz wurde einerseits über die Attributionskomplexität der Auszubildenden, die eine Facette der Selbstreflexionsfähigkeit darstellt, gemessen (Attributional Complexity Scale [ACS]; Fletcher et al. 1986). Andererseits umfasste die personale Kompetenz den Affiliationsgrad der Introjekte (Intrex Questionnaire Short Form; Benjamin 1995), d. h. das Ausmaß des liebevollen bis feindlichen Umgangs mit sich selbst. Die Beziehungskompetenz wurde über die interpersonell erlebte Affiliation in Patientenkontakten gemessen (Kurzform des Intrex-Fragebogens; Benjamin 1995). Als Prädiktorvariablen der Kompetenzveränderung wurden die folgenden Maße erfasst:

  • die Persönlichkeitsmerkmale der Auszubildenden (NEO Five Factor Inventory [NEO-FFI]; Borkenau und Ostendorf 1993; Costa und McCrae 1992),

  • ihre Bindungsstrategien in engen Beziehungen (Experiences in Close Relationships Revised [ECR-RD]; Ehrenthal et al. 2009),

  • ihre Lebenszufriedenheit (Fragen zur LebenszufriedenheitModule [FLZM]; Henrich und Herschbach 2000),

  • ggf. Kindheitstraumata (Childhood Trauma Questionnaire [CTQ]; Bernstein et al. 2003) sowie

  • die therapeutische Haltung, der Ausbildungskontext, der Umfang der Ausbildungsbausteine und die Ausbildungszufriedenheit (Therapeutic Attitudes Scales [TASC-2] – Version für Auszubildende; Sandell et al. 2008).

Tab. 2 Instrumente der KPA-Studie, Prädiktoren und Kompetenzbereiche

Teilstudie 1: Kompetenzentwicklung über den Ausbildungsverlauf

In der ersten Teilstudie wurde die Veränderung von Fach-, personaler und Beziehungskompetenz über den 3‑jährigen Ausbildungsverlauf untersucht. Die Entwicklung wurde nach Vertiefungsverfahren (KVT, PD) untersucht und mit der Entwicklung der KG vergleichen. Ausführliche Methoden und Ergebnisse finden sich bei Evers et al. (2022).

Statistische Auswertung

Die Analysen basierten auf dem Prä-post-Datensatz von n = 130 Ausbildungsteilnehmer*innen und n = 25 Kontrollpersonen, die beide Erhebungszeitpunkte abgeschlossen hatten. Es wurde mit Mehrebenenmodellen gerechnet, bei denen die Erhebungszeitpunkte auf Level 1 und die Teilnehmer*innen auf Level 2 verschachtelt waren. Gruppenunterschiede wurden über Gruppe • Zeit-Interaktionen getestet. Alle Berechnungen wurden für die Variablen Alter und Ausbildungssemester kontrolliert.

Ergebnisse

Über den 3‑jährigen Ausbildungsverlauf stellten wir eine Steigerung der Fachkompetenz der Ausbildungsteilnehmer*innen fest. Das Fachwissen, die Kompetenz zur Fallformulierung und die globale therapeutische Selbstwirksamkeit (Healing involvement) verbesserten sich mit kleinen bis mittleren Effekten, wobei das therapeutische Stresserleben auf einem verhältnismäßig hohem Niveau stagnierte. Im Vergleich zur KG zeigten Ausbildungsteilnehmer*innen deutlich mehr Verbesserungen in der Fallformulierungskompetenz, während sich im Wissen keine Unterschiede fanden. Schulenunterschiede waren in diesem Bereich gering ausgeprägt. Zu Beginn der Ausbildung hatten PD Kandidat*innen eine höhere Selbstwirksamkeit, wobei die KVT-Teilnehmer*innen dies im Verlauf der Ausbildung kompensierten.

Im Bereich der Beziehungskompetenzen stieg die affiliative Kommunikation in den Patient*innenbeziehungen mit kleinem Effekt. Auf einem der 2 Teilaspekte der affiliativen Kommunikation erzielten PD-Ausbildungskandidat*innen einen weniger starken Zuwachs. Das betraf die „Affiliation zu schlechten Zeiten“, d. h. in Therapiephasen, in denen es beispielsweise zu Brüchen in der therapeutischen Beziehung kam.

Die personale Kompetenz, d. h. die Introjektaffiliation und die Attributionskomplexität, veränderte sich während der Studie nicht signifikant. Die Veränderung der Attributionskomplexität der Kandidat*innen unterschied sich darüber hinaus nicht von der KG. Im Vergleich der Vertiefungsverfahren hatten PD-Kandidat*innen eine höhere Attributionskomplexität als KVT-Kandidat*innen. Im Bereich der Introjektaffiliation „zu schlechten Zeiten“, d. h. im freundlichen vs. feindseligen Umgang mit sich selbst, berichteten PD-Kandidat*innen eine tendenzielle Verschlechterung im Vergleich zu den KVT-Kandidat*innen.

Teilstudie 2: Prädiktoren des therapeutischen Arbeitserlebens und der Introjektaffiliation

In der zweiten Teilstudie wurde untersucht, welche persönlichen und fachlichen Variablen mit der Entwicklung von Ausbildungskandidat*innen zusammenhingen. Untersucht wurden die Maße Healing involvement (globale therapeutische Selbstwirksamkeit), Stressful involvement (therapeutisches Stresserleben) und Introjektaffiliation. Die Maße waren von besonderem Interesse, da Vorstudien ihre hohe Relevanz für den Behandlungsprozess deutlich gemacht hatten (Nissen-Lie et al. 2010, 2013) und sie in der Teilstudie 1 unterschiedliche Entwicklungspfade aufzeigten, wobei Healing involvement anstieg, Stressful involvement auf verhältnismäßig hohem Niveau stagnierte und sich die Introjektaffiliation verschlechterte. Als mögliche Prädiktoren wurden fachlich-therapeutische Variablen (Verfahrensorientierung, Supervision, Arbeitszufriedenheit, Breite der therapeutischen Orientierung) und persönliche Attribute (Bindung, Introjektaffiliation, Persönlichkeit) untersucht. Methoden und Ergebnisse wurden ausführlich von Evers et al. (2019) und Thanbichler et al. (2021) beschrieben.

Methoden

Die Analysen basierten auf dem Prä-post-Datensatz von n = 130 Ausbildungsteilnehmer*innen, die beide Erhebungszeitpunkte abgeschlossen hatten. Es wurde mit Mehrebenenmodellen gerechnet, bei denen die Erhebungszeitpunkte auf Level 1 und die Teilnehmer*innen auf Level 2 verschachtelt waren. Individuelle Prädiktoren wurden auf Level 2 hinzugefügt.

Ergebnisse

Es finden sich 2 distinkte Muster für Healing und Stressful involvement. Healing involvement wurde hauptsächlich über fachlich-therapeutische Variablen vorhergesagt. Prädiktoren waren die Verfahrensorientierung, Arbeitszufriedenheit und nur ein persönliches Attribut: Extraversion. Im Gegensatz dazu wurde Stressful involvement ausschließlich durch persönliche Merkmale der Ausbildungskandidat*innen vorhergesagt. Niedrigere Niveaus von Stressful involvement wurden durch höheres Alter, mehr Gewissenhaftigkeit und mehr Introjektaffiliation vorhergesagt, während hohe Ausprägungen von Neurotizismus mit höheren Niveaus von Stressful involvement zusammenhingen (Tab. 3).

Tab. 3 Hauptergebnisse der KPA-Studie: Kompetenzveränderungen über 3 Jahre und Prädiktoren der therapeutischen Entwicklung

In der Analyse der Introjektaffiliation (Thanbichler et al. 2021) ergab sich, dass die Introjektaffiliation zum Studienende signifikant von der Bindungsangst vorhergesagt wurde. Ausbildungskandidat*innen mit höherer Bindungsangst zu Beginn der Studie wiesen nach 3 Jahren eine niedrigere Introjektaffiliation auf.

Diskussion

Die längsschnittliche Studie zur Kompetenzentwicklung von Psychotherapeut*innen in Ausbildung konnte über einen Beobachtungszeitraum von 3 Jahren feststellen, dass sich Psycholog*innen in KVT und psychodynamischen Ausbildungen in den Aspekten Fachwissen, Fallformulierung und Healing involvement sowie affiliative Kommunikation mit Patient*innen signifikant auf Gruppenebene und im Vergleich zu einer KG verbessern, während keine Verbesserungen im Bereich des Stressful involvement, der Attributionskomplexität und Introjektaffiliation messbar waren. Damit zeigt sich, dass in dem beobachteten naturalistischen Ausbildungskontext eine Steigerung der Mehrzahl der erfassten fachlichen und relationalen Kompetenzen stattfindet, die personalen Kompetenzen jedoch unverändert bleiben bzw. sich auch verschlechtern, wie z. B. der affiliative Umgang mit sich selbst in schlechten Zeiten.

Die Ergebnisse zeigen v. a. auf fachlicher Ebene einen erfolgreichen Professionalisierungsprozess, der sich mit vorherigen Studien deckt (O’Donovan et al. 2005; Hill et al. 2015). Auch die Steigerung der Affiliation in Patient*innenbehandlungen deutet auf positive Prozesse hin, da zugewandtes therapeutisches Verhalten mit besseren Behandlungsergebnissen in Verbindung gebracht wird. Für die Stagnation und teilweise Verschlechterung in der personalen Kompetenz könnte es zweierlei Erklärung geben. Einerseits ist es möglich, dass viele Kandidat*innen die Ausbildung bereits mit ausgeprägten persönlichen Ressourcen beginnen und die fehlende Steigerung auf Deckeneffekte zurückzuführen ist (O’Donovan et al. 2005). Andererseits können Ergebnisse wie die negative Entwicklung der Introjektaffiliation auch persönliche Krisen aufgrund von belastenden Ausbildungssituationen widerspiegeln (Grundmann et al. 2013; Rønnestad und Skovholt 2013). Solche Entwicklungen könnten temporäre Entwicklungskrisen darstellen, die bei Verstetigung jedoch zu anhaltenden Belastungen in der therapeutischen Arbeit führen können (Orlinsky und Rønnestad 2005).

Unterschiedliche Kompetenzbereiche wurden von unterschiedlichen Prädiktoren vorhergesagt: So wurden die Veränderungen im Healing involvement eher durch das Verfahren und die Zufriedenheit mit der Ausbildung vorhergesagt, während das Stressful involvement von persönlichen Aspekten der Teilnehmenden abhängig war, wie Alter und Persönlichkeitseigenschaften. Die Ergebnisse heben die Bedeutung persönlicher Attribute der Kandidat*innen hervor, die bisher v. a. in Bezug auf Behandlungsergebnisse untersucht wurden (Fletcher und Delgadillo 2022; Heinonen und Nissen-Lie 2020). Die Kandidat*innenpersönlichkeit erwies sich in der aktuellen Studie v. a. als ein Schutzfaktor gegen negative Entwicklung im therapeutischen Arbeitserleben während der Ausbildung. Eine mögliche Interpretation ist, dass persönliche Eigenschaften der Kandidat*innen v. a. in herausfordernden therapeutischen Situationen zum Tragen kommen könnten und sich über wiederholte negative oder positive Interaktionen mit Patient*innen auf das globale Stress- oder Selbstwirksamkeitserleben auswirken (Orlinsky und Rønnestad 2005). Der Einfluss der Ausbildungsbausteine war in der vorliegenden Studie weniger stark ausgeprägt. Aufgrund des naturalistischen Designs kann jedoch der differenzielle Einfluss der Bausteine (Supervision, Theorie, Behandlungspraxis und Selbsterfahrung) auf die Kompetenzentwicklung nicht bestimmt werden. Auch wurden im Hinblick auf die verschiedenen Bausteine nur Ausmaß und Zufriedenheit mit den absolvierten Ausbildungselementen und keine Fremdeinschätzungen erhoben. Daher sind experimentelle Studien notwendig, die verschiedene didaktische, übende und Feedbackelemente systematisch differenzieren.

Es zeigen sich in den Kompetenzentwicklungsprofilen verfahrensspezifische Unterschiede nur in Bezug auf das therapeutische Erleben und bei persönlichen Attributen, jedoch nicht in Bezug auf die Entwicklung der fachlichen Kompetenzen. Bei den Ausbildungsteilnehmer*innen in den PD wurden eine im Vergleich zur KVT bereits zu Beginn der Ausbildung hohe Attributionskomplexität deutlich sowie eine hohes Healing involvement, aber im Verlauf der 3 Jahre eine Verschlechterung der Introjektaffiliation. Bei den KVT-Ausbildungsteilnehmer*innen fand eine stärkere Steigerung des Healing involvement statt, während die Introjektaffiliation eher stagnierte.

Schlussfolgerung

Die Eingangsfrage, ob man Super-Shrinks ausbilden kann, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit einem klaren „Jein“ beantworten. Die Ergebnisse unserer Kompetenzstudie zeigen eine klare Steigerung in allgemeinen Beziehungskompetenzen im Sinne einer Verbesserung der affiliativen Kommunikation und eine Steigerung der therapeutischen Selbstwirksamkeit. Das hohe Stresserleben und der weniger affiliative Umgang mit sich selbst stellen jedoch Kontrapunkte dar, der die jungen Therapeut*innen potenziell hemmen können. Die Ergebnisse weisen daher eher darauf hin, dass die aktuelle Ausbildung bessere Wege braucht, um differenziell auf Belastungen und negative Entwicklungen einzugehen, mit dem Ziel, den Übergang vom Laienhelfer zum Professionellen besser zu gestalten.

Fazit für die Praxis

  • Super-Shrinks haben insbesondere globale therapeutische Kompetenzen, die sich bislang im Rahmen der aktuellen therapeutischen Ausbildung nicht bei allen Ausbildungsteilnehmer*innen positiv weiterentwickeln. Globale Kompetenzen sollten daher stärker als bislang in der therapeutischen Aus- und Weiterbildung berücksichtigt werden.

  • Darüber hinaus sollten persönliche Ressourcen, die einen besseren Umgang mit arbeitsbezogenem Stress ermöglichen, gestärkt werden. Dies könnte eine bedeutsame Perspektive sein, um die Selbsterfahrungsanteile in den Ausbildungen zu reformieren und an die Bedarfe der Ausbildungsteilnehmer*innen anzupassen.

  • Gerade im Hinblick auf die psychodynamischen Verfahren scheint es im Verlauf der Ausbildung zu stärkerem Stress und zum verschlechterten Umgang mit sich selbst zu kommen; diesem könnte mit einer Reduktion der Methodenkomplexität begegnet werden.

  • Die Bedeutsamkeit von Persönlichkeit und Bindungsstilen für die Kompetenzentwicklung unterstreicht die Wichtigkeit der Unterstützung der Ausbildungsteilnehmer*innen in diesen Bereichen.