Die Placeboforschung befasst sich seit Langem mit der Modulation von Schmerzen. Aus den Studienergebnissen zu Erwartung und Lernmechanismen wie Beobachtungslernen, klassischer Konditionierung, verbalem Lernen sowie den Studienergebnissen zu „State“- und „Trait“-Faktoren des:der Patient:innen und außenliegenden Kontextfaktoren konnte ein theoretisches Modell zur Entstehung des analgetischen Placeboeffekts entwickelt werden (Klinger et al. 2020). In dieser Arbeit werden diese theoretischen Grundlagen zur Entstehung analgetischer Placeboeffekte vorgestellt und daraus Empfehlungen für die klinische Praxis abgeleitet (Tab. 1).

Tab. 1 Glossar

Analgetischer Placeboeffekt

Die Forschung zum analgetischen Placeboeffekt zeigt, dass den Erwartungen von Patient:innen oder einer von Schmerzen betroffenen Person über den folgenden Schmerzverlauf, z. B. durch eine anstehende Behandlung, eine zentrale, vermittelnde Rolle zukommt (Kam-Hansen et al. 2014). Bei der Entstehung von Erwartungen zu schmerzlindernden Behandlungen oder zu der weiteren Entwicklung der Schmerzen spielen frühere und gegenwärtige Lernerfahrungen, Beobachtungen, Emotionen, Motivation und Kognitionen eine wichtige Rolle (Klinger und Flor 2014). Es gibt deutliche Evidenz, dass auf neurobiologischer Ebene das endogene Opioid- und Dopaminsystem bei der Entstehung des Placeboeffektes involviert ist (Colloca et al. 2013). Placeboanalgesie führt zu einer reduzierten Hirnaktivität in schmerzsensitiven Hirnregionen und involviert das deszendierende schmerzlindernde System. Während der Erwartung des Schmerzes kommt es zu einer erhöhten Aktivität im präfrontalen Kortex und zu einer unmittelbaren Veränderung der Schmerzerfahrung. Das Schmerzerleben kann kognitiv über deszendierende Nervenbahnen blockiert werden (Bingel 2020).

Um das Schmerzerleben besser zu verstehen, kann der Placeboeffekt als Forschungsmodell genutzt werden. Der Schmerz selbst ist ein multifaktorielles komplexes Phänomen, das biologische, psychologische und soziale Faktoren umfasst (Klinger et al. 2018) und kognitiv modulierbar ist (Bingel 2020). Sowohl akutes als auch chronisches Schmerzerleben ist kontextabhängig, d. h., das Schmerzerleben wird sehr stark von äußeren und inneren Erlebensfaktoren der Situation, in der der Betroffene sich befindet, gesteuert. Aufmerksamkeit auf den Schmerz, Bewertungen, Unterstützung anderer und frühere Erfahrungen beeinflussen dieses Erleben (Klinger et al. 2020).

Die Behandlung chronischer Schmerzen sollte dieser Komplexität des Schmerzes gerecht werden. Schmerzen halten sich nicht an Fachgebiete. Ihre Diagnostik und Behandlung benötigt ein breites Spektrum an Fachdisziplinen und Fachkompetenzen. Ein interdisziplinärer Austausch ist zwingend erforderlich. Der Goldstandard ist ein interdisziplinäres und multimodales Therapiekonzept. Die vielversprechenden Ergebnisse der Forschung auf dem Gebiet des analgetischen Placeboeffekts können innovative Impulse für diesen Behandlungsansatz liefern (Klinger et al. 2020).

Nutzung des Placeboeffektes

Das Ziel der Placeboforschung ist nicht, verdeckt Placebos an Patient:innen zu vergeben. Placebos, die ohne das Wissen und Einverständnis der Patient:innen vergeben werden, sind ethisch nicht vertretbar. Vielmehr soll durch die Placebomechanismen der „additive Placeboeffekt“ gestärkt werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Wirkung eines Medikaments immer aus zwei Komponenten besteht: der pharmakologischen „Verum“-Komponente und der psychologischen „Placebo“-Komponente (Abb. 1). Additiv ist im Sinne von zusätzlich zu verstehen: Ob die Komponenten interagieren und das Ergebnis größer als die Summe seiner Teile ist, ist nicht abschließend geklärt (Kube und Rief 2017). Zur Untersuchung wurde das Paradigma der offenen und verdeckten Medikamentengabe verwendet. Dabei wurde das Medikament entweder verdeckt gegeben, d. h., die Patient:innen wussten nicht, wann genau das Medikament gegeben wird. Zum Beispiel wird in einem solchen Versuchsaufbau zunächst eine Kochsalzlösung über einen Perfusor injiziert, und die Patient:innen wissen nicht, wann die Kochsalzlösung mit dem Medikament getauscht wird. Bei einer offenen Medikamentengabe sollen sich die Patient:innen auf die Medikamenteneinnahme fokussieren und werden genau über die Wirkungsweise, das erwartete Einsetzen der Schmerzreduktion, aber auch das Ende des Wirkungszeitraums informiert. Dabei zeigt sich, dass der additive Placeboeffekt wesentlich zur Wirkung beiträgt (Klinger et al. 2020). Es ist anzumerken, dass z. B. im klinischen Alltag des Krankenhauses häufig eine verdeckte Medikamentengabe stattfindet, da die Patient:innen nicht wissen, welches der verschiedenen Medikamente das Schmerzmedikament ist (Klinger et al. 2020).

Abb. 1
figure 1

Die Medikamentenwirkung ergibt sich aus der pharmakologischen „Verum“-Komponente und der psychologischen „Placebo“-Komponente

Modell des Placeboeffekts

Um analgetische Placeboeffekte nutzen zu können, ist es wichtig, die zugrunde liegenden Wirkmechanismen zu kennen. In Abb. 2 ist das Modell zur Entstehung von Placeboeffekten zusammengefasst (Klinger et al. 2020). Ein zentraler Punkt ist die Erwartung, die durch Vorerfahrungen, überdauernde Charaktereigenschaften und momentane emotionale Zustände des:der Patient:in ausgelöst und geformt wird. Die Erwartung interagiert mit der Behandlung, die aus Tabletten, Spritzen, Infusionen oder Operationen bestehen kann. Diese beiden Faktoren, die Erwartung und die Behandlung selbst, beeinflussen, wie sich der vorherige Gesundheitszustand auf das Behandlungsergebnis auswirkt (Abb. 2). Im Sinne eines Assoziationslernens führt diese wahrgenommene Veränderung auch wieder zu einer Änderung der Vorerfahrung für weitere Behandlungen (Abb. 2). Im Idealfall sollte sich ein positiver Verstärkerkreislauf entwickeln, der zusätzlich mit der Behandlung interagiert und einen analgetischen additiven Placeboeffekt darstellt (Bingel 2020).

Abb. 2
figure 2

Behandlungserwartung: Einfluss von früheren Lernerfahrungen, Zustands- und Eigenschaftsfaktoren

Bedeutung der Erwartung

Es wird davon ausgegangen, dass der Placeboeffekt wesentlich von der Erwartung des:der Patient:in beeinflusst wird (Colloca et al. 2013). In experimentellen Studien konnte der Einfluss der Erwartung vielfach gezeigt werden (Colloca et al. 2013; Klinger und Flor 2014). Verschiedene Studien konnten den Effekt von Erwartung bei chronischen Schmerzen (Bishop et al. 2013) und akuten Schmerzen (Haanstra et al. 2015) zeigen. Bei Patient:innen mit chronischen Rückenschmerzen konnte eine hohe Korrelation zwischen der Erwartung einer Schmerzlinderung und der tatsächlichen Schmerzlinderung (Placeboantwort) nachgewiesen werden (Klinger et al. 2017; Schmitz et al. 2019; Vase et al. 2014). Auch scheinen Ängstlichkeit und Stress einen negativen Effekt auf die Placeboanalgesie zu haben, wenn in einer früheren Lernerfahrung das Placebo nicht zur Schmerzreduktion geführt hat (Lyby et al. 2012). Peerdemann et al. (2016) konnten den Einfluss der Erwartung auf den Placeboeffekt in einer Metaanalyse zusammenfassen: Es wurden moderate Effekte von Erwartung auf die Schmerzwahrnehmung festgestellt, wobei Effekte auf experimentell induzierte Schmerzen und Akutschmerzen größer waren als Effekte auf chronische Schmerzen.

Es wurde noch nicht näher untersucht, wie die verschiedenen Faktoren, die zur Ausbildung einer positiven Erwartung beitragen, interagieren (Klinger et al. 2020). Diese Faktoren umfassen z. B. Ängstlichkeit, Stress, negative Emotionen, aber auch neurobiologische Faktoren wie z. B. Gehirnkonnektivität (metabolische und funktionelle Verbindungen zwischen verschiedenen Gehirnarealen). Zu diesen Faktoren zählen überdauernde „Trait“-Faktoren (stabile Charaktereigenschaften) der Person und vorübergehende „State“-Faktoren (vorübergehende Gefühlszustände). Zudem haben Informationen wie Vorerfahrungen (Vorerfahrungen mit Medikamenten, Instruktionen von Ärzt:innen und Beobachtung der Wirkung bei anderen), über die die Person schon vor der Intervention verfügt („prior information“), einen Einfluss auf die Erwartung und somit auf die Placeboanalgesie (Klinger et al. 2020). Wenn diese Interaktionen genauer verstanden werden, könnten Interventionen noch genauer auf den:die einzelnen Patient:in zugeschnitten werden.

„Prior information“

Verbale Information

Diese Vorerfahrungen, die einen Einfluss auf die Placeboanalgesie haben, können durch verschiedene Lernmechanismen erworben werden. Wissen wird vorwiegend durch verbale Information erworben, sei es durch die Instruktion von Behandler:innen („Diese Medikation wird Ihre Schmerzen lindern.“) oder durch eine Informationsbroschüre. Digitale und soziale Medien nehmen eine immer größere Rolle ein (Klinger et al. 2020). Dieser Lernmechanismus des kognitiven Lernens durch verbale Information trägt maßgeblich zur Ausbildung von Erwartung und damit zur Placeboanalgesie bei (Colloca und Barsky 2020; Klinger et al. 2020). Dies konnte bei akuten und auch chronischen Schmerzen nachgewiesen werden (Colloca und Barsky 2020; Schmitz et al. 2019).

Vorerfahrungen

Ein weiterer Einflussfaktor ist die Vorerfahrung des:der Patient:in mit dieser oder ähnlichen Behandlungen. Bei chronischen Schmerzen konnte gezeigt werden, dass es einen Zusammenhang zwischen Vorerfahrungen und dem Placeboeffekt gab (Kessner et al. 2013; Zunhammer et al. 2017). Dabei haben Effekte der klassischen Konditionierung eine große Bedeutung. So wird bei dem Erleben, dass ein Medikament regelhaft zu einer Schmerzlinderung führt, dieser Effekt auch dann auftreten, wenn das Medikament durch ein Placebo ausgetauscht wird. Er tritt selbst dann ein, wenn offengelegt wird, dass es sich um ein Placebo handelt (Kessner et al. 2013; Zunhammer et al. 2017). Hierbei handelt es sich um eine pharmakologische Konditionierung (Klinger et al. 2020). Dieser Punkt ist besonders wichtig bei Patient:innen mit chronischem Schmerz, bei denen vielfach negative Medikamentenerfahrungen vorliegen und die gewünschte Wirkung nicht eingetreten war.

Beobachtungslernen

Aus der Erfahrung in der klinischen Praxis dürften die meisten Behandler:innen vermuten, dass die Beobachtung der Behandlungsergebnisse bei anderen wie Freunden, Mitpatienten, aber auch Familienangehörigen einen Einfluss auf die Erwartung und damit das Behandlungsergebnis haben sollten. Hier gibt es aus der Laborforschung Hinweise (Schenk und Colloca 2020), dass die Beobachtung einer Wirkung eines Placebos bei einer anderen Person ebenso zu einer Placeboanalgesie führen kann. Bei Patient:innen mit chronischen Schmerzen konnte ein Placeboeffekt in der Variable körperliche Funktionskapazität gefunden werden, aber kein analgetischer Effekt (Schwartz et al. 2021). Aufgrund dieser ersten Ergebnisse ist das Beobachtungslernen in das Modell aufgenommen worden. Weitere Studien müssen durchgeführt werden, um diesen Aspekt genauer zu untersuchen.

State‑/Trait-Faktoren

Die Erwartung wird auch durch die Eigenschaften des:der Patient:in beeinflusst: Stabile Charaktereigenschaften (Trait-Faktoren), wie Optimismus, Resilienz und Altruismus, wirken als positive Prädiktoren sowie Feindseligkeit als negativer Prädiktor (Peciña et al. 2013). Zu den vorübergehenden State-Faktoren zählen auf psychologischer Ebene Ängstlichkeit, Stress und andere unangenehme Emotionen (Lyby et al. 2012) sowie auf neurobiologischer Ebene Faktoren wie Gehirnkonnektivität (Tétreault et al. 2016).

Nutzung von analgetischen Placeboeffekten bei chronischen Schmerzen

Analgetische Placeboeffekte wurden für verschiedene chronische Schmerzerkrankungen nachgewiesen (Klinger et al. 2020): chronische Rückenschmerzen (Carvalho et al. 2016; Klinger et al. 2017; Schmitz et al. 2019), neuropathische und idiopathische Schmerzen (Vase et al. 2014), Migräne (Kam-Hansen et al. 2014), Gonarthrose (Gollub et al. 2018) und chronischen Reizdarm (Vase et al. 2005). Aus dem oben dargestellten Modell lassen sich Hinweise für die klinische Praxis ableiten.

Offene Medikamentenvergabe

Je deutlicher Schmerzmedikamente von Patient:innen auf allen Sinnesebenen (z. B. olfaktorisch, gustatorisch) wahrgenommen werden, desto besser ist die erzielte Wirksamkeit. Bei diesem „additiven Placeboeffekt“ wird die Erwartung positiv beeinflusst (Klinger und Flor 2014, 2013). Hieraus ergeben sich folgende Hinweise für die klinische Behandlung (Klinger et al. 2018):

Betonen der positiven Wirkung.

Im klinischen Alltag werden oft aufgrund der juristischen Aufklärungspflicht nur die Nebenwirkungen eines Schmerzmedikaments vermittelt. Die positiven Wirkungen von Schmerzmedikamenten sind den Patient:innen zumeist nicht klar. Positive und negative Effekte sollten aber in einem Verhältnis präsentiert werden, das den Patient:innen ermöglicht, sich auf die positiven Fakten zu fokussieren (Klinger et al. 2018). Der Wirkmechanismus der Schmerzmedikation sollte so einfach wie möglich erklärt werden (Klinger et al. 2018). Der engmaschige Kontakt in der Psychotherapie sollte genutzt werden, um Wirkmechanismen wiederholt zu erklären und über die Wirkung der Erwartung zu informieren. So kann die Selbstwirksamkeit der Patient:innen gestärkt werden, und sie können nachvollziehen, warum es sinnvoll sein kann, an einer realistisch positiven Erwartung zu arbeiten.

Darstellung des Wirkverlaufs.

Patient:innen sollten darüber informiert sein, wann genau sie mit einer Schmerzreduktion nach Einnahme eines Schmerzmittels rechnen können. Hier sollten möglichst Visualisierungen verwendet werden. Dies ermöglicht, dass sie in dieser kritischen Phase ihre volle Aufmerksamkeit auf die Schmerzmedikamentenwirkung legen und nicht abgelenkt sind (Klinger et al. 2018). Die Wirkung von Prophylaxemedikamenten tritt nicht so schnell und vorhersehbar wie bei Akutmedikation ein. Bei einer Schmerzmedikation, die z. B. langsam eindosiert werden muss, sind die Effekte für die Behandler:innen und Patient:innen oft nicht eindeutig einzuschätzen und auch schwerer auf das Schmerzmedikament zu attribuieren. Auch hier kann der regelmäßige Kontakt in der Psychotherapie hilfreich sein, um Effekte auf die Schmerzmedikation zu attribuieren. Den Patient:innen sollten verstehen, dass sie die Wirkung ihrer Schmerzmedikamente durch ihre Selbstwirksamkeit verstärken können.

Vermeidung unrealistischer Versprechungen.

Zu erwartende Effekte von Schmerzmedikamenten sollten an ihrem realistischen Wirkverlauf dargestellt werden. Erweckt der:die Behandler:in zu hohe Erwartungen, die nicht erfüllt werden, kann es zu Enttäuschungen kommen und der zusätzliche Placeboeffekt verhindern werden (Klinger et al. 2018). Hier ist eine realistische Information wichtig. Das Versprechen von Schmerzfreiheit kann bewirken, dass auch geringe Schmerzstärken als belastend eingestuft werden (Klinger et al. 2007). Auch kann bei Patient:innen der Placeboeffekt schneller wieder abgebaut werden, wenn das Placebo nicht positiv verstärkt wird. Möglicherweise achten besonders Patient:innen mit chronischem Schmerz mehr auf ihre eigenen Körpersignale und spüren daher schneller eine Diskrepanz zwischen ihrer Erwartung und der tatsächlichen Schmerzreduktion (Klinger et al. 2018). Dies wiederum hat einen negativen Einfluss auf die Erwartung.

Positive Vorerfahrungen aktivieren, negative Vorerfahrungen relativieren.

Patient:innen sollen über ihre Vorerfahrungen mit Schmerzbehandlungen berichten, wobei positive Aspekte von den Behandler:innen hervorgehoben und negative relativiert werden sollten (Klinger et al. 2018). Hier kann der:die Psychotherapeut:in genau erarbeiten, welche Vorerfahrungen bestehen, und womöglich negative Erwartungen wieder relativeren, z. B. wenn die Medikamenteneinnahme früher in einer sehr schwierigen Lebenslage erfolgte, was den Effekt der Schmerzmedikation möglicherweise reduziert hat.

Kontextfaktoren

Auch die „Kontext-Cues“, die den Placeboeffekt verstärken, sollten im klinischen Alltag genutzt werden (Klinger et al. 2018):

Aufmerksamkeit auf die Medikamenteneinnahme lenken.

Der:die Patient:in sollte seine ganze Aufmerksamkeit auf die Einnahme des Schmerzmedikaments lenken. Dabei sollte auf den Geschmack, die Textur, das Aussehen und den Geruch geachtet werden. So wird die Wichtigkeit der Schmerzmedikation betont, und positive Effekte können leichter auf die Medikamenteneinnahme attribuiert werden (Klinger et al. 2018).

Medikation in einem innerlich und äußerlich positiven Kontext einnehmen.

Die Schmerzmedikation sollte in einem innerlich und äußerlich positiven Kontext eingenommen werden: z. B. in Verbindung mit einer positiven Situation wie einem entspannten Feierabend oder positiven Gedanken an z. B. den letzten Urlaub. Dies kann zusätzlich Ängstlichkeit und Stress, die einen negativen Einfluss auf den Placeboeffekt haben, abzubauen (Klinger et al. 2018).

Medikation in Verbindung mit anderen Schmerzreduktionstechniken einnehmen.

Eine Verbindung mit anderen Schmerzreduktionstechniken (z. B. Entspannungsverfahren) kann sinnvoll sein (Klinger et al. 2018). Hierbei kann eine Konditionierung entstehen und der Entspannungseffekt auch auf das Schmerzmedikament übertragen werden. Natürlich funktioniert dies auch für die Schmerzbewältigungstechnik selbst: Diese wird nun mit einer weiteren Schmerzreduktion in Verbindung gebracht.

Aktivierung von Erinnerungen an erfolgreiche Behandlungen.

Auch bei der täglichen Einnahme kann es sinnvoll sein, sich positive Erinnerungen an erfolgreiche Behandlungen mit dieser Schmerzmedikation ins Gedächtnis zu rufen (Klinger et al. 2018). Es werden eine positive Erwartung aufgebaut, Angst und Stress abgebaut sowie der additive Placeboeffekt verstärkt.

Nutzung von Placeboeffekten in der Therapie

Nutzen von Placeboeffekten im interdisziplinären Team.

Der Vorteil der teilstationären oder stationären Behandlung ist, dass diese immer in der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und im Gruppensetting stattfindet. Im Team sollte ein einheitliches Konzept vertreten werden, sodass positive Erwartungen in den Therapien jeder Berufsgruppe gestärkt werden können. Fragen und Zweifel der Patient:innen sollten im Team besprochen und in ähnlicher Weise beantwortet werden. Die gemeinsame Vertretung eines Konzepts vermittelt Sicherheit und kann positive Erwartungen stärken. Gegensätzliche Aussagen sollen vermieden werden.

Beobachtungslernen.

Im stationären und im teilstationären Setting wird fast immer ein Gruppensetting genutzt. Hier kann das Beobachtungslernen umgesetzt werden: Wo haben die Patient:innen möglicherweise positive, aber auch negative Wirkungen von Schmerzmedikamenten beobachtet? Die Patient:innen sollen durch solche Fragetechniken angeregt werden, negative Erfahrungen kritisch zu hinterfragen und sich auf positive zu fokussieren.

Therapeutische Allianz.

Der hohe Stellenwert der therapeutischen Beziehung wurde in verschiedenen Studien nachgewiesen (Hatcher und Barends 2006), und der Aufbau einer tragfähigen Beziehung ist Ziel in jeder Psychotherapie. Im Kontext der Psychotherapie bei chronischen Schmerzen kommt der therapeutischen Allianz eine besondere Bedeutung zu: Der:die Patient:in soll die Möglichkeit haben, über Befürchtungen sprechen zu können – besonders im Kontext der Schmerzmedikation. Dabei sollte der:die Behandler:in die Werte, Präferenzen und Annahmen über Gesundheit des:der Patient:in kennen (Street et al. 2009). Auch sollten im gesamten Behandlerteam konsistente Botschaften vermittelt werden.

Verdeckter Entzug von Schmerzmedikamenten.

Placeboeffekte, spezifischer das Unterdrücken von Noceboeffekten, kann auch bei dem Entzug von Schmerzmedikamenten zielführend angewendet werden. In Absprache mit dem:der Patient:in werden die Schmerzmedikamente z. B. in ein bestimmtes Getränk vergeben und für ihn:sie verdeckt reduziert (Klinger et al. 2018). Auch können die Schmerztabletten schrittweise durch Placebos ersetzt werden. Die Erwartung von negativen Effekten während des Entzugs werden so minimiert und das Absetzen der Medikation unterstützt (s. Nestoriuc 2022 in dieser Ausgabe).

Open-Label-Placebo.

Eine weitere Möglichkeit, Placebos ohne Täuschung zu vergeben, ist, den Schmerzpatient:innen mitzuteilen, dass sie Placebos erhalten werden, und dass es sich um eine Substanz ohne pharmakologischen Wirkstoff handelt („Open-Label-Placebos“). Erste Ergebnisse zur Wirksamkeit der Open-Label-Placebos konnten deren positive schmerzlindernde Wirkung (Carvalho et al. 2016; Kam-Hansen et al. 2014; Kleine-Borgmann et al. 2019) darlegen. Dieser Weg eröffnet Möglichkeiten, Placebos ethisch vertretbar zu verwenden (Blease et al. 2016; Colloca und Howick 2018). Sie können auch bei Entzugsbehandlungen eingesetzt werden (Klinger et al. 2018).

Bei der Verwendung von Open-Label-Placebos wird nicht die dauerhafte Einnahme von Open-Label-Placebos angestrebt. Das Ziel ist es, dem:der Patient:in das Erleben der eigenen Schmerzhemmung zu ermöglichen. Durch die Intervention soll der:die Patient:in verstehen, dass die eigene Schmerzhemmung zur Schmerzreduktion geführt hat und er:sie die gleichen Mechanismen auf andere Schmerzbewältigungsstrategien und Kontexte übertragen kann. So soll die Selbstwirksamkeit gesteigert werden. Außerdem soll durch dieses Verständnis der:die Patient:in angeregt werden, die eigenen Erwartungen für andere nichtmedikamentöse Schmerzbewältigungstrategien (Entspannungsverfahren, Ablenkung, Bewegung) zu hinterfragen und zu ergründen, wie er:sie diese positiv beeinflussen könnte.

Fazit für die Praxis

  • Die Placeboanalgesie ist ein evidenzbasiertes, wissenschaftliches Forschungsmodell, bei dem die Erwartung eine große Bedeutung hat. Aufgrund von Belegen für klinisch relevante analgetische Effekte bei Patient:innen ergeben sich Empfehlungen für die Praxis zur Anwendung von „Kontext-Cues“, offener Medikamentenvergabe und Open-Label-Placebos.

  • Bei der offenen Medikamentenvergabe soll der:die Patient:in das Medikament mit allen Sinnen wahrnehmen und realistische Erwartungen zur Wirkung aufbauen.

  • Bei den Kontext-Cues ist es wichtig, dass der:die Patient:in das Medikament in einem innerlich und äußerlich angenehmen Kontext einnimmt.

  • Open-Label-Placebos sollen als Intervention, zur Steigerung der Selbstwirksamkeit und als deren Symbol genutzt werden.

  • Voraussetzung für das Wirken dieser Empfehlungen ist eine gute therapeutische Allianz, in der Zweifel und Ängste angesprochen werden können. Die Stärken eines interdisziplinären Teams sollten für die Umsetzung genutzt werden.